Buch lesen: «Hilfe! Er ist in Rente»
Hilfe
Impressum
1. Teil
2. Teil
3. Teil
Aus dem Wörterbuch der Blumen
Über die Autorin
Gisela Sachs
Hilfe
Er ist in Rente
Roman
XOXO Verlag
Impressum
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbiblio thek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publika tion in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über
http://www.dnb.de abrufbar.
Print-ISBN: 978-3-96752-616-5
E-Book-ISBN: 978-3-96752-116-0
Copyright (2020) XOXO Verlag
Umschlaggestaltung und Buchsatz: XOXO Verlag
Coverbild: Help businessman falls © alphaspirit/ Fotolia Datei: #113848671
Hergestellt in Bremen, Germany (EU)
XOXO Verlag
ein IMPRINT der EISERMANN MEDIA GMBH
Gröpelinger Heerstr. 149
28237 Bremen
Alle Personen und Namen innerhalb dieses Buches sind frei er funden.
Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
1. Teil
Er ist Rentner von Beruf
Alle Dinge haben Zeiten des Vorangehens und Zeiten des Folgens, Zeiten des Flammens und Zeiten des Erkaltens, Zeiten der Kraft und Zeiten der Schwäche, Zeiten des Gewinnens und Zeiten des Verlierens. Deshalb meidet der Weise Übertreibungen, Maßlosigkeit und Überheblichkeit.
— Laotse
17. Oktober. 8.00 Uhr. Frühstück in der Küche.
Er wird drei Toastbrote dick mit Erdnussbutter bestreichen, zwei Scheiben Bacon darauf legen, eine Tomatenscheibe, zwei Zwiebelringe, zwei Tassen Kaffee dazu trinken, vielleicht auch drei, je nach Stimmung. Nach dem Frühstück wird er eine Zigarette rauchen, dann die örtliche Tageszeitung lesen, aus dem Fenster schauen, den Walnussbaum im Garten gegenüber hypnotisieren, die Nachbarn beobachten. Bis dato wusste ich nicht, was für ein Leben unsere Nachbarn führen, jetzt weiß ich es, sehr genau sogar. Bei denen ist gar nichts geregelt. Aber es interessiert mich nicht, was mein Mann über die Nachbarn erzählt.
Ich habe meine eigenen Probleme. Die Waschmaschine läuft auf Hochtouren, ich habe schon fünf Maschinen gefüllt, zwei Maschinen mit kochfester Weißwäsche und drei Maschinen mit Buntwäsche. Es werden noch ein paar Maschinenfüllungen dazu kommen heute, weil die Waschmaschine unserer verheirateten Tochter schon wieder defekt ist. Unser Schwiegersohn, Dennis, wird die Wäsche heute Abend vorbei bringen, gleich nach dem Geschäft. Und weil das junge Ehepaar noch keinen Wäsche trockner besitzt, werde ich das Trocknen der Wäsche gleich mit übernehmen. Die Kartoffeln für den Kartoffelsalat liegen pellbereit auf der Spüle, die Zwiebeln habe ich in kleine Würfelchen geschnitten, die Salatsoße mit getrockneten Kräutern angereichert.
Ich werde Rührei zum Kartoffelsalat anbieten, mit Speck, mehr Zeit zum Kochen habe ich heute nicht, auch keine Lust. Hausarbeit, insbesondere Küchenarbeit war mir schon immer zuwider. Ich bin eine freiberufliche Redakteurin, Fotografin und Autorin, habe mehrere Schreibaufträge zur gleichen Zeit und übermorgen ist mein allerletzter Abgabetermin, es wird eng für mich werden. Gefrühstückt habe ich heute schon um 4.30 Uhr, ich bin immer sehr nervös vor einem Abgabetermin, wenn man noch Fehler im Text finden würde, dann wäre das schlichtweg eine Katastrophe für mich. Im Haushalt nehme ich es aber nicht so genau wie in meinem Job. Ich mag einfach keine Hausarbeit, meinen Job dagegen liebe ich sehr. Schon als Kindergartenkind wollte ich bei einer Zeitung arbeiten, all die reichen, schönen und berühmten Menschen treffen, die ich in den Illustrierten beim Friseur so sehr bewunderte. Berühmte Menschen habe ich leider nicht getroffen, ich heiratete, bekam Kinder und hielt meinem Mann für seine Karriere den Rücken frei.
Ich habe immer von zu Hause aus gearbeitet, der Kinder wegen, wollte meinen Sohn und meine Tochter selbstverpflastern, wenn sie hinfallen und sich verletzen würden. Nie habe ich ein Fertigprodukt für unsere Kinder gekauft, habe alles selbst gekocht, sogar Brot gebacken. Die Küchenarbeit vermisse ich nicht, aber meine Kinder vermisse ich sehr.
Ich musste immer sehr sparsam wirtschaften, aber das machte mir nichts aus, auch wenn ich mir die tollen Kleider, die ich als Kind bei den Promifrauen immer bestaunt hatte, nicht leisten konnte. Ich hätte zu gerne einen schicken Pelz getragen, so einen wie die Queen oder wie Königin Silvia von Schweden. Aber die Zeiten haben sich sowieso verändert. Mann trägt keinen Pelz mehr heutzutage. Manche Dinge erledigen sich eben von allein.
Seit über einem Jahr schon ist mein Mann nun in Rente und ich bin an meiner Belastungsgrenze angelangt. Martin rührt weder im Haushalt noch im Garten einen Finger. Irgendwann fing ich damit an, ein Rentner Tagebuch zu schreiben. Warum ich ausgerechnet am siebzehnten Oktober mit den Aufzeichnungen anfing, das kann ich nicht mehr so genau sagen, aber ich glaube es war ein paar Tage danach, nachdem unser Sohn seine Tiere zu uns gebracht hatte, weil er nach Mallorca in Urlaub flog und mein Mann und unser Sohn ohne Absprache mit mir beschlossen hatten, Emma, die getigerte Katze, Rico den Papagei, den Braunhaardackel Flori und das weiße Zwergkaninchen Hanna in unsere Obhut zu nehmen. Das wäre doch das Mindeste, was wir für unseren Sohn tun können, sagte mein Mann damals. Aber die Tiere sind immer noch bei uns, weil die Freundin, die unser Bastian aus Mallorca mitgebracht hatte, allergisch gegen Tierhaare ist, auch gegen Vogelfedern und Kaninchenkackkügelchen. Na ja, mal sehen, was aus den beiden wird die Freundinnen von unserem Sohn sind nie allzu lange bei ihm geblieben.
Ich will Bastians Tiere nicht als Dauergäste bei uns haben! Mein Mann hingegen schon. Er war schon immer ein Tiernarr, wie unsere Kinder auch. Am liebsten hätte Martin auf einem Bauernhof gelebt, mit Enten, Gänsen, Hühnern, Schweinen, einem Hofhund aber das passte erstens nicht zu seinem Job und zweitens hätte ich da nicht mitgemacht, ich bin für das Landleben nicht geschaffen, kann den Geruch von Tieren nicht ertragen. Martin hatte sich für mich entschieden.
Ich versuche, einen geregelten Alltag für uns zu gestalten. Um
8.00 Uhr gibt es Frühstück, um 12.00 Uhr essen wir zu Mittag, um 15.00 Uhr gibt es Kaffee und Kuchen und um 18.00 Uhr richte ich unser Abendbrot.
12.00 Uhr. Mittagessen in der Küche.
Es gibt Hackbraten in Zwiebelsoße und Salzkartoffeln, eines seiner Lieblingsessen. Nach dem Essen ruht Martin sich auf dem Sofa im Wohnzimmer aus, wie immer. Und wie immer läuft der CD-Player auf voller Lautstärke.
Er hört ABBA-Musik, wie jeden Tag beim Mittagessen. Der Hund und die Katze streiten sich mal wieder, um was es dieses Mal geht, das weiß ich nicht.
Der Papageienvogel flattert aufgeregt im Käfig hin und her und krächzt wie verrückt. Ich halte mir die Ohren zu.
»Ein Vogel kann im Käfig nicht fliegen, ein Vogel braucht zum Fliegen die Freiheit«, meint mein Mann.
Er öffnet die Käfigtür und streichelt dem Papageienvogel über den Kopf. Rico flattert aus dem Käfig, macht es sich vorerst auf der Stuhllehne im Esszimmer bequem, dann auf der Gardinenstange. »Du darfst ihn jetzt nicht bloß erschrecken, Anke«, flüstert mein Mann mir zu. »Das wäre für den Vogel Stress.«
»Für mich ist es auch Stress.«
»Du bist wieder einmal missgelaunt, Anke. Hast du heute Nacht schlecht geschlafen oder schlecht geträumt, Anke?«
»Beides!«
15.00 Uhr. Kaffee trinken im Wintergarten.
Der Papageienvogel Rico und die Katze Emma streiten sich um einen Brocken Marmorkuchen. Das Kaninchen wuselt hin und her, knabbert mal an diesem und an jenem Kabel. Der Papageienvogel sitzt auf der Gardinenstange im Wohnzimmer und krächzt, was das Zeug hält. Federn fliegen durch die Luft.
»Pssst«, flüstert mein Mann und legt seinen Zeigefinger auf die Lippen.
»Das Vögelchen muss sich erst noch an uns gewöhnen, Anke.«
»Na dann.«
Er erzählt im Flüsterton von seinem Arbeitsleben als Bänker, wie jeden Tag beim Kaffee trinken, seit er in Rente ist. Als ob ich das nicht wüsste, schließlich habe ich ihm einige Jahrzehnte lang den Rücken für seine Karriere freigehalten. Und die Geschichten, die er mir erzählt, kenne ich längst schon in und auswendig. Alle!
18.00 Uhr. Abendbrot in der Küche.
Das Zwergkaninchen Hanna läuft wieder einmal frei herum. Hanna hat schon sämtliche Tapeten und Kabel im Flur angefressen, die Teppichböden im gesamten Haus sind voll gepisst. Ich trete in Hasenkackekügelchen.
»Verdammte Scheiße!«
Ich habe noch jede Menge Büroarbeit vor mir und begebe mich einen Stock höher ins Büro. Die fette Katze Emma kommt mir entgegen geschlichen. Aus Emmas Maul hängt ein Mauseschwanz. Ich würge und verschwinde so schnell ich kann in meinem Büro. Emma läuft mir nach. Ich klemme ihren Schwanz in die Tür. Emma miaut zum Gotterbarmen.
»Was ist denn nun schon wieder los, Anke?«, brüllt mein Mann durchs Treppenhaus.
»Ich habe den Schwanz der Katze in die Bürotür eingeklemmt«, brülle ich zurück.
»Kannst du nicht besser aufpassen, Anke?«
»Tut mir leid, Martin, aber ich hatte vergessen, dass wir eine Gastkatze haben, dies im gesamten Haus herumstreunt.«
»Sie streunt nicht, Anke, das Kätzchen macht bei uns Urlaub.«
»Ist ja schon gut, Martin, ist ja schon gut. Aber halte die Katze bitte bei dir, ich mag sie nicht in meinem Büro haben.«
»Du meine Güte, Anke, wie bist du denn wieder drauf heute? Was ist schon dabei, wenn das Kätzchen sich unter deinen Schreibtisch legt und schnurrt.«
»Ich will aber keine schnurrende Katze unter meinem Schreibtisch liegen haben, Martin.«
»Du bist tierfeindlich eingestellt, Anke.«
»Nein, das bin ich nicht, ich will beim Arbeiten nur alleine sein, ist das denn so schwer zu verstehen, Martin?«
»Und das Kätzchen stört dich in deiner Fantasie, Anke?«
»Lass mich einfach in Ruhe, Martin.«
»Du musst wieder einmal das letzte Wort haben, Anke, wie immer.«
»Dann passte es ja, Martin.«
»Du bist eine Schindmähre, Anke.«
»Danke für das Kompliment, Martin.«
»Du bist ...«
Der Alltag umklammert mich wie ein Eisenring.
19.09 Uhr
Martin liegt auf dem Boden im Wohnzimmer und spielt mit den Tieren Ball. Der CD-Player spielt immer noch ABBA-Musik. Und immer wieder das gleiche Lied. ‚I have a Dream, a Song to sing.’
Er singt den englischen Text in deutscher Sprache mit, dreimal hintereinander, das ganze Lied.
»Ich habe einen Traum Ein Lied, das ich sing‘ ...
»Geht es auch etwas leiser?«, rufe ich vom Büro aus nach unten. Aber mein Mann hört mich nicht.
»Leiseeer«, rufe ich nochmals durch das Treppenhaus. Lauter jetzt. Aber leider wieder erfolglos.
»Bei dem Krach im Haus kann doch kein Mensch arbeiten, Martin, ich jedenfalls nicht. Ich brauche meine Ruhe, um kon zentriert arbeiten zu können, verdammt noch mal.«
»Was hast du gesagt, Anke?«
Ich fahre den PC herunter, begebe mich ins Bad und fange an, die Fliesen zu abzuwaschen. Das Putzen ist ein Erfolgserlebnis für mich, das schneeweiße Mikrofasertuch wird recht schnell rabenschwarz. Das ermuntert mich zu neuen Taten. Ich werde mir das Untergeschoss vornehmen, da habe ich auch schon lange nicht mehr geputzt. Danach werde ich mir den Hobbyraum vornehmen, sowie den Vorratskeller vielleicht auch noch die Waschküche, da hat sich seit Ewigkeiten schon Waschpulver auf den Granitfließen festgetreten.
Die Waschmaschinenoberfläche klebt wie Kaugummi vom Weichspüler. Die Katze Emma hatte die 1LiterFlasche mit dem zarten Mandelduftflüssigkeitsmittel zum Spielen missbraucht. Und weil ich den Verschluss nicht richtig zugedreht hatte, hatten Martin und ich uns gestritten.
»Warum schraubst du die Flasche auch nicht richtig zu, Anke?«
»Ich habe gedacht, sie sei richtig zu.«
»Das war sie eben nicht, Anke, sonst wäre das Malheur nicht passiert.«
»Wenn die Katze die Flasche nicht von der Maschine geworfen hätte, dann wäre das nicht passiert, da hast du Recht, Martin.«
»Was kann denn das Kätzchen dafür, Anke? Das Tierchen weiß doch nicht, dass die Flasche mit dem Weichspüler offen ist.«
»Was um des Himmels willen, hat die Katze unseres Sohnes in meiner Waschküche zu suchen.«
»Sie ist bei uns in Urlaub, Anke.«
»Wir haben einen großen Garten, Martin ...«
»Mit dir ist einfach kein Auskommen, Anke, immer musst du das letzte Wort haben.«
»Wenn du das meinst, Martin, dann wird es wohl schon so sein.«
»Siehst du, genau das, habe ich damit gemeint, Anke.«
»Was denn?«
»Du musst immer das letzte Wort haben, Anke.«
»Da liegt eine tote Maus, Martin.«
20.47 Uhr
Martin sitzt im Jogginganzug vor dem Flimmerkasten und schaut sich Westernfilme an. Bastians Katze lümmelt sich auf Martins Schoß, der Papageienvogel hat es sich auf seiner Schulter bequem gemacht, der Hund kuschelt zwischen seinen Füßen, das Kaninchen wuselt mal hierhin, mal dorthin. Und alle knabbern sie an Kartoffelchips.
Er bemerkt mich nicht, als ich an ihm vorbeilaufe, streichelt mal den Hund, mal die Katze, mal den Vogel, mal das Kaninchen.
In der Wohnung riecht es wie in einem Zoo. Die Fenster zu öffnen, hat Martin mir strengstens untersagt der Papageienvogel könnte davon fliegen oder die Katze entlaufen.
Ich wasche und bügle im Untergeschoss bis weit nach Mitternacht, muss mich an dieses neue Leben erst einmal gewöhnen. Es war ruhig im Haus, nachdem die Kinder ausgezogen und meine Schwiegereltern gestorben waren. Mein Mann war tagsüber in der Arbeit, aß in der Kantine, brachte seine Hemden in den Reinigungsdienst und absolvierte nach Feierabend meist irgendwelche Fortbildungsmaßnahmen. Ich war allein zu Hause und konnte meine Arbeit als freiberufliche Redakteurin, Fotografin und Autorin einteilen, so wie es mir beliebte. Die Abende verbrachte ich oft mit meinen Freundinnen Inge, Roswitha, Johanna, Ilona und Birgit. Wir besuchten fast jede Theatervorstellung in unserer Stadt, fast jedes Konzert, gingen oft ins Kino, schauten uns mit Vorliebe französische Komödien an. Manchmal fuhren wir Mädels übers Wochenende ins Allgäu zum Wandern. Wir Mädels kennen uns schon seit der Grundschule, besuchten dasselbe Gymnasium, glücklicherweise dieselbe Klasse. Und später fingen wir gemeinsam mit dem Studium an, in derselben Stadt, aber leider in anderen Fachrichtungen.
18. Oktober. 8.00 Uhr. Frühstück in der Küche.
Martin liest die örtliche Tageszeitung. Der Papageienvogel sitzt schon wieder auf seiner Schulter. Ich mag keine Tiere am Frühstückstisch haben, weder den Vogel noch den Hund und auch die Katze nicht, die sich unter dem Tisch an die Füße meines Mannes schmiegt und wohlig schnurrt. Aber mein Mann ignoriert das konsequent. Hoffentlich lässt er wenigstens das ewig kackende Zwergkaninchen im Stall.
Er hat eine CD von den Abbas aufgelegt. Der Papageienvogel hat ein ausgeprägtes Rhythmusgefühl, er hüpft auf dem Tisch herum, schlenkert den Kopf von links nach rechts und von rechts nach links. Rico wackelt mit den Flügeln, hüpft immer wieder in die Luft. Ich schalte den CD-Player aus. Er schaltet ihn wieder ein, ich wieder aus.
»Was soll das, Anke?«
»Ich komme mir vor wie bei den Bremer Stadtmusikanten.«
»Das Vögelchen hat solchen Spaß, Anke. Siehst du das denn nicht? Das Vögelchen gewöhnt sich langsam bei uns ein.«
»Dann ist ja alles gut, Martin.«
»Ich habe einen Traum. Ein Lied, das ich sing‘,
Das mir hilft, mit allem fertig zu werden ...
»Bei den Bremer Stadtmusikanten war übrigens kein Papageienvogel dabei, das nur so nebenbei zur Kenntnisnahme, Anke!«
»Spare dir deine ewigen Belehrungen für jemand anderen auf, Martin!«
»Du bist missgelaunt Anke, hast du heute Nacht schlecht geschlafen oder schlecht geträumt?«
»Beides!«
12.00 Uhr. Mittagessen in der Küche.
Es gibt Ravioli aus der Dose. Schwarzbrot dazu.
»Das war’s dann an Essen?«, fragt er.
»Es ist nichts anderes mehr da als drei Dosen Ravioli in Tomatensoße und fünf Dosen Ravioli in Hackfleischsoße. Du hattest fünfundzwanzig Dosen mitgebracht, weil die Ravioli gerade im Sonderangebot waren. Und du weißt sehr genau, dass ich keine Ravioli mag, jedenfalls nicht aus der Dose. Das Zeug sieht aus wie Hundefutter und ich habe nicht die geringste Lust darauf das Zeug zu essen Martin, das verstehst du doch, oder?«
»Du bist ja schon wieder missgelaunt!«
»Wenn du das meinst, Martin, dann wird es wohl so sein.«
»Du solltest früher schlafen gehen, Anke.«
»Gute Idee!«
Er dreht den CD-Player auf volle Lautstärke. I have a Dream ...
Ich drehe den CD-Player leiser. Er dreht ihn wieder auf volle Lautstärke und der Papageienvogel nimmt seinen Tanz wieder auf. Der Hund bellt, die Katze miaut, das Karnickel kaut an der Telefonschnur. Bald hat es Hanna geschafft, das Kabel ganz durchzubeißen.
15.00 Uhr
Gemeinsames Kaffeetrinken mit dem Hund Flori, der Katze Emma, dem Papageienvogel Rico und dem Zwergkaninchen Hanna.
Hanna hat schon wieder an die Tapeten im Flur rangemacht, die Haustüre zerkratzt und am Telefonkabel weitergeknabbert, dieses Mal am anderen Ende. Aber das mache nichts aus, meint mein Mann, weil der Flur ohnehin neu tapeziert werden müsse und das Kabel auch schon altersschwach war. Und, dass er die Haustüre vor drei Jahren schon habe frisch streichen wollen. Lei der sei er noch nicht dazu gekommen. Wo er recht hat, hat er recht, die weißen Tapeten mit den grasgrünen Efeuranken sind schon weit über dreißig Jahre alt. Die ersten Wachsmalzeichnungsversuche von unseren Kindern sind noch darauf. Ich werde mich nach aktuellen Tapetenmustern umsehen, irgendwann dem nächst einmal.
Martin füttert den Dackelhund mit Marmorkuchen. Den beiden schmeckt der Kuchen und auch die Katze schleckt daran. Der Papageienvogel pickt die Krümelchen vom Fußboden. Hanna hinterlässt viele schwarze Kügelchen im Flur, in der Küche und im Wohnzimmer. Martin freut sich.
»Welch eine Idylle!«
Ich will nicht schon wieder streiten und versuche, die Tiere zu ignorieren. Nach dem Kaffee trinken begebe mich in mein Büro. Und wie immer erledige ich zwischendurch den Haushalt, die Wäsche, den Garten und alles, was so anfällt in einer Familie mit Hund, Katze, Papageienvogel, Kaninchen und einem Frührentner.
18.00 Uhr. Abendbrot in der Küche.
Der Papageienvogel hat es sich auf der Stuhllehne gemütlich gemacht, das Kaninchen hoppelt durch den Flur, die Katze streift um meine Beine, der Dackelhund sitzt neben meinem Mann und wartet auf ein Stück Fleischwurst. Flori liebt Fleischwurst ebenso sehr wie mein Mann. Es gibt Schwarzbrot zur Wurst, wie immer. Und wie immer läuft im Hintergrund ABBA-Musik. Ich schalte den CD-Player leiser, er dreht das Gerät wieder auf volle Laut stärke. The same procedure as every day, es ist zum verrückt werden.
20.55 Uhr
Mann und Tiere schauen im Wohnzimmer fern. Ich arbeite am PC.
Zwischendrin ist für mich Spülmaschine ausräumen angesagt, Waschmaschine füllen, Waschmaschine leeren, Wäschetrockner füllen, Wäschetrockner leeren. Das Waschpulver ist alle. Ich schreibe mit dem Rotstift ‚Waschpulver’ auf den Einkaufszettel. Der Einkaufszettel wird immer länger. Und meine persönliche to do Liste auch.
Ich sollte noch meine Manuskripte zum Briefkasten bringen, seine Hosen von der Reinigung abholen, noch ein Geschenk ein packen eine Freundin unserer Tochter hat ein Baby bekommen und Diana hat keine Zeit um Einkaufen zu gehen. Ich sollte noch bei Inge anrufen. Ihr Sohn Klaus hat heute Geburtstag und ich muss noch sein Geschenk mit ihr besprechen. Klaus, unser Patensohn, ist acht Monate älter als unser Sohn. Er hat in Kinderzeiten oft bei uns übernachtet, war uns wie ein weiteres Kind. Klaus ist ein feiner Mensch. Wir mögen ihn alle sehr. Momentan arbeitet er für Ärzte ohne Grenzen, sein Einsatz ist gerade in Somalia. Martin möchte Klaus gerne besuchen. Zusammen mit Inge. Inges Mann möchte aber nicht nach Somalia reisen. Und ich auch nicht.
Ich sollte noch unser Klassentreffen organisieren. Als ehemalige Klassensprecherin im Gymnasium wäre ich verpflichtet dazu, meint Inge. Ich sollte und sollte ind sollte.
19. Oktober. 8.00 Uhr. Frühstück in der Küche.
Martin ist vertieft in die Tageszeitung, wie immer beim Frühstück. Das Karnickel knabbert am Stallgitter, der Hund liegt er wartungsvoll unter dem Tisch. Flori wird enttäuscht werden, es ist keine Wurst mehr im Haus. Alles aufgefressen. Von Flori und meinem Mann. Der Papageienvogel beobachtet den Hund. Mein Mann beobachtet den Papageienvogel und den Hund. Martin dehnt und streckt sich, seufzt wohlig.
»Welch eine zauberhafte Idylle Anke!«
Die Katze fehlt heute Morgen beim Frühstücken, wie so oft in letzter Zeit. Sie hat sich mit einem streunenden Kater angefreundet und kommt manchmal sogar nachts nicht heim. Hoffentlich bringt Emma nicht wieder eine Maus mit. Der CD-Player plärrt schon wieder ABBA-Musik. Und der Papageienvogel zappelt schon wieder herum wie verrückt.
‚Ich habe einen Traum. Ein Lied, das ich sing‘
Das mir hilft, mit allem fertig zu werden ...
Auf meinem Teller liegen zwei Federn. Ich ekele mich und verzichte auf das Frühstück.
»Du bist ja schon wieder missgelaunt, Anke. Hast du heute Nacht schlecht geschlafen oder schlecht geträumt?«
»Beides, Martin, beides!«
9.43 Uhr
Er hat es geschafft sich anzuziehen, früher als gewöhnlich, will eine Runde spazieren laufen mit mir und dem Hund, in den Weinbergen im Nachbarort, der Nachbarn wegen, weil die nicht alles mitbekommen sollen, was wir tun. Eigentlich sollte ich arbeiten, aber er würde dann bis zum Mittagessen im Wohnzimmer auf und ablaufen. Mit den Ledersohlenschuhen. Klack, klack, klack.
Er trägt immer seine guten schwarzen Lederschuhe für den Spaziergang in den Weinbergen falls ihm einmal etwas passieren sollte und er ins Krankenhaus müsse, dann wolle er wenigstens anständig angezogen sein, meint mein Mann. Gott sei Dank lässt er jetzt wenigstens seine Krawatte weg.
Ich trage wie immer Schlabberlook zum Laufen: Jogging Hose, T-Shirt, gestrickte Socken und Sportschuhe. Wir wohnen in Stadtrandlage, nahe an einem Naturschutzgebiet, unser Garten grenzt an die Weinberge, aber wenn er da nicht laufen will, so soll er eben in den Nachbarort fahren. Martin ist recht bockig manchmal, aber in Kleinigkeiten bin ich großzügig, ich setze meine Energie für größere Dinge ein. Und zudem muss der Hund endlich raus. Die Eingangstür ist schon zerkratzt genug, jedenfalls von innen, vom Hund, der Katze und dem Kaninchen.
Ich lege eine Sicherheitskopie meiner Arbeit an, einen Klappentext zu schreiben war noch nie mein Ding, ich werde noch viele Stunden in die Arbeit investieren müssen, habe hämmernde Kopfschmerzen, wie immer, wenn ich angestrengt nachdenken muss, die frische Luft wird mir gut tun. Ich schlüpfe in meine Laufschuhe, werfe mir die sonnengelbe Regenjacke über und öffne die Haustür.
»Dann kommt mal mit ihr zwei!«
Auf dem Weg zum Auto treffen wir Emma. Sie hat eine Maus im Maul. Der Schwanz der Maus zappelt hin und her. Emma legt die Maus vor den Füßen meines Mannes ab.
»Du hast mir ein Mäuschen mitgebracht, meine Süße? Das ist aber schön. Was hältst du denn von einer kleinen Spazierfahrt mein Kätzchen?«
Und mein Mann nimmt auch die Katze mit zu unserem Spaziergang in die Weinberge. Die Mieze darf auf dem Beifahrersitz Platz nehmen, wird erst einmal ausgiebig gestreichelt, dann mit Bedacht angeschnallt. Der Hund liegt der Katze zu Füßen. Er hätte die Tiere zusammen an den Sitz schnallen können, denke ich.
Ich spähe vom Rücksitz aus nach vorne. Keine Maus in Sicht! Aber entspannen kann ich mich nicht. Martin legt eine CD von den Abbas ein, singt den Text in deutscher Sprache mit, drei Mal hintereinander das ganze Lied.
Ich glaube an Engel,
An das Gute in allem, das ich sehe Ich glaube an Engel ...
Ich kann den Text des Liedes nicht mehr ertragen.
»Die Katze ist fett geworden, Martin.«
»Was du mal wieder siehst, Anke.«
Er redet unentwegt, erzählt das Fernsehprogramm des Vor abends rauf und runter, begibt sich alle fünfzehn Minuten in die Büsche, um zu pinkeln. Er hat seine Stammbäume, den zweiten Kirschbaum in der obersten Reihe der Kirschbäume, verdeckt von Brombeerbüschen, keine Einsicht, den fünften Birnbaum in der ersten Reihe der Birnbäume, auch uneinsehbar vom Wanderweg aus, weil verdeckt von Himbeersträuchern, den Lederapfelbaum, alleinstehend, sein Lieblingsbaum, vor dem er immer besonders lange verweilt. Er liebt die großen Äpfel, reißt zwei Stück vom Ast, wiegt die Äpfel in den Händen und grinst. »Da hat man wenigstens was in der Hand.«
Ich hasse solche plumpe Anspielungen!
11.42 Uhr
Gerade heimgekommen, kurze Runde nur gelaufen heute, des Zeitmangels wegen, Kopf etwas freier jetzt. Noch schnell die Waschmaschine und den Wäschetrockner leeren, die Feinwäsche der Tochter aufhängen, dann Tisch eindecken, Rührei braten, die Tiere füttern.
Martin raucht die zweite Zigarette des Tages, im Gartenhäuschen, weil es nieselt und er im Haus nicht rauchen darf. In jungen Jahren hatte er nicht geraucht, ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wann er damit anfing, aber ich glaube es war kurz nach der Geburt von unserem Sohn Bastian. Bastian war ein Schreikind.
11.55 Uhr
Dennis, unser Schwiegersohn hat angerufen. Er will einen Korb mit Bügelwäsche vorbei bringen, weil unsere Tochter krank ist, und er nicht bügeln kann. Der Vogelkäfig müsste dringend ge putzt werden, ebenso der Kaninchenstall.
Die Katze hat eine tote Maus im Wohnzimmer abgelegt, schon zum zweiten Mal in dieser Woche, direkt neben der Terrassentür. Ich will die Katze aus dem Haus haben, aber mein Mann liebt Emma über alles. Sie darf sogar zu ihm ins Bett.
»Die Tiere von Basti sollen einen schönen Urlaub bei uns haben, Anke, im Haus natürlich! Das ist doch das Mindeste, was wir für unseren Sohn tun können. Oder wolltest du etwa ausgesperrt vom Familienleben sein?«
»Erstens wohne ich hier, ich bin deine Frau und zweitens, möchte ich nicht mit einer Katze verglichen werden.«
»Du bist ja schon wieder missgelaunt, Anke. Es ist kaum noch zum Aushalten mit dir in letzter Zeit! Was ist nur los mit dir? Geht es dir nicht gut? Hast du schlecht geschlafen oder schlecht geträumt?«
Ich liebe meine Kinder, aber muss ich deshalb auch deren Tiere lieben? Unsere Tochter hat Springmäuse. Ich ekle mich vor allem, was einen langen Schwanz hat.
12.00 Uhr.
Schnelles Mittagessen aus der Dose. Natürlich Ravioli. Der Hund freut sich, die Katze auch. Ich gebe dem Vogel frisches Wasser. Rico schimpft vor sich hin. Es ist nichts mehr zum Fressen für ihn da. Hilflos zuckt mein Mann die Schultern. »Auch Ravioli?«
»Wenn der Hund und die Katze Ravioli vertragen, wird es dem Papageienvogel wohl auch nicht schaden, Martin!«
»Wenn du das meinst, Anke?«
»Hier fressen doch alle unbeschadet Ravioli aus der Dose, wa rum sollte dann ausgerechnet der Papageienvogel einen Schaden von dem Zeug davon tragen?«
»Du bist immer noch missgelaunt, Anke? Oder bist du müde?«
»Ich bin weder müde noch missgelaunt Martin.«
»Du solltest früher schlafen gehen.«
»Ich bin nicht müde, Martin, das sagte ich doch gerade, nicht, dass es mir bewusst wäre, Martin. Aber, wenn du das meinst, dann wird es wohl so sein!«
»Du musst halt mal wieder das letzte Wort haben, Anke wie immer.«
»Dann lass’ mich doch einfach in Ruhe, Martin.«
»Du bist noch schlimmer, als die blöden Zicken auf der Bank, Anke.«
Er füttert den Papageienvogel mit Ravioli in Hackfleischsoße aus der Dose. Und dem Vogel schmeckt es. Sehr sogar. Die Küche sieht nach der Vogelfütterung allerdings aus wie ein Schlachtfeld überall klebt Tomatensoße: auf der Gardinenstange, auf der Anrichte, auf dem Fenstersims, am Lampenschirm. Aber mein Mann freut sich.
»Schau mal Anke, wie gut es unserem Vögelchen schmeckt.«
»Unserem Vögelchen?«
»Er gehört doch zur Familie.«
»Wenn du das meinst, Martin?«
»Du bist ein extrem zänkisches Frauenzimmer, Anke.«
»Danke, Martin, du bist auch nicht gerade das gelbe vom Ei.«
Die unerledigten Berge von Wäsche in der Waschküche machen mich ganz nervös, ebenso der Korb mit Bügelwäsche im Flur, von der verschmutzten Küche ganz zu schweigen. Ich habe noch jede Menge Büroarbeit vor mir. Es wäre schön, wenn mein Mann wenigstens die Waschmaschine und den Wäschetrockner bedienen würde. Aber alle freundlichen Versuche meinerseits, ihn davon zu überzeugen, dass Arbeitsteilung im Haushalt angesagt ist, schlagen fehl.
»Du musst die Wäsche effizient verarbeiten, Anke, Stress vermeiden! Bei der Effizienzanalyse von Banken hat sich herausgestellt, dass man weiterkommt, wenn man ...«
Ich knalle die Bedienungsanleitungen der Waschmaschine und dem Wäschetrockner auf den Küchentisch.
»Die Effizienzanalysen von Banken interessieren mich nicht im Geringsten, Martin.«
»Du hast dich noch nie so richtig für meine Arbeit interessiert, Anke! Wenig, als ich noch zur Arbeit gegangen bin und überhaupt nicht, seit ich in Rente bin.«
»Jetzt ist zuerst einmal Wäsche waschen angesagt, Martin, ich will keine Effizienzanalyse von Banken mehr hören. Und vergiss nicht die Tomatensoße von den Küchenfliesen herunterzukratzen.«
»Ich?«
»Vom Fenstersims, vom Tisch, von der Stuhllehne, von der Gardinenstange.«
»Ich muss mich ...«
»Du hast doch die Katze und den Hund mit Ravioli in Tomatensoße gefüttert, Martin, nicht ich. Und du warst es auch, der dem Papageienvogel die Käfigtür geöffnet hat, damit er mit dem Hund und der Katze zusammen die Mahlzeit einnehmen kann, nicht ich. Auf solch eine blöde Idee muss man erst einmal kommen, Martin.«