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Tahiti: Roman aus der Südsee. Zweiter Band.

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»So essen und trinken Sie nur wenigstens,« bat Sadie, die nicht ohne Grund fürchtete das Gespräch könnte sich hier auf religiöse Bahn lenken und das unter jeder Bedingung zu vermeiden wünschte – »René würde sich herzlich freuen wenn er hörte, daß es Ihnen bei uns gefallen hat.«

Die Damen zögerten noch unschlüssig was zu thun – sie schienen sich eine vor der andern zu geniren; Sadie bewegte sich aber mit solcher Leichtigkeit in dem, ihr doch fremden Kreis, und ihre Bitte kam so frisch und unverstellt aus dem Herzen, daß sie in ihrer Natürlichkeit jede leere Höflichkeitsformel schon von vornherein unmöglich machte, und selbst Mrs. Noughton mußte sich zuletzt gestehen, daß diese Insulanerin ein ungewöhnlich liebenswürdiges Wesen sei, dem man wohl gewogen sein könne – wenn sie eben nicht die fatale broncefarbene Haut gehabt hätte.

Die Frauen hatten sich denn auch bald um den runden, mit einem reinlichen Tuch bedeckten Tisch gesetzt, Monsieur Belard wurde hinaus nach den Pferden geschickt, zu sehen ob diese ruhig stünden und Mataoti von jetzt beordert bei ihnen zu bleiben, und wenige Minuten später saß die Gesellschaft ganz traulich beisammen, und Madame Belard und Brouard hatten – sie wußten gar nicht wie sie dazu gekommen, der kleinen Insulanerin, die mit ihrem reinen Französisch die Eingeborene vollkommen vergessen machte, so viel vorzuplaudern und zu erzählen, als ob sie sich schon seit langen Monaten gekannt, und nicht eben erst heute, vor Minuten fast, zusammengekommen wären. Die Männer blieben darin natürlich nicht zurück, besonders Mr. Brouard, der seinen Sitz neben Sadie genommen, thaute ordentlich auf, und war von einer Aufmerksamkeit gegen die kleine Insulanerin, daß er seine Nachbarin zur Linken, Mrs. Noughton, total darüber vernachlässigte, die denn auch der ganzen Unterhaltung – der Französischen Sprache ohnedieß nur oberflächlich mächtig – mehr beobachtend als theilnehmend, und ziemlich kalt und ernsthaft folgte.

Eine volle Stunde hatten sie so gesessen und geplaudert, und Früchte gegessen und Französischen Claret dazu getrunken, und Mataoti war draußen bei den Pferden schon ganz ungeduldig geworden, als Madame Brouard, die zuletzt ebenfalls stiller und einsylbiger wurde, und die Unterhaltung ihrer Freundin und den Herren fast allein überließ, endlich zum Aufbruch mahnte. Monsieur Brouard wollte noch gar nicht fort, so vortrefflich hatte er sich amüsirt, und die Damen begannen jetzt Abschied zu nehmen von ihrer neuen Bekanntschaft.

Sadie sagte ihnen mit einfachen Worten wie es sie freue daß es ihnen bei ihr gefallen hätte, und wie glücklich es René machen würde, wenn er höre daß sie hier gewesen und gegessen und getrunken hätten – »wir können recht gute Nachbarschaft halten, hier auf Tahiti,« setzte sie hinzu, und mit freundlichem Händedruck und Joranna, von Madame Belard und Brouard ebenfalls eingeladen sie wieder zu besuchen, verließ die kleine Gesellschaft den Garten, bestieg draußen die scharrenden tanzenden Pferde wieder, und galoppirte wenige Minuten später mit klappernden Hufen die Straße entlang nach Papetee nieder.

»Sadie!« flüsterte da eine leise Stimme, als der Schall der Hufe auf der harten Straße noch nicht verklungen war, und die junge Frau, die noch lauschend stand, und in tiefem Nachdenken den mehr und mehr verschwimmenden Tönen zu horchen schien, wandte sich rasch, und fast wie erschreckt dem Rufe zu, der von der Nachbarhecke kam.

»Aumama? – und warum kommst Du nicht herüber?«

»Ist die Luft rein?« frug eine klare, lachende Stimme.

»Meinst Du die Fremden? – sie sind fort; aber ich glaubte Du wärest mit Lefevre nach Papetee gegangen?«

Die junge Frau an der Hecke schüttelte mit dem Kopf und sagte lachend:

»Ich wollte erst, wie aber René mitging blieb ich daheim; denen schließen sich dann mehr und mehr Männer an und – das Treiben in ihrer Gesellschaft gefällt mir nicht; auch mit der Sprache kann ich nicht so gut fertig werden wie Du. Aber ich komme hin über – « und ein kleines Pförtchen öffnend, das zwischen einer blühenden und Frucht tragenden Orangenhecke hindurchführte, trat Aumama, Sadiens freundliche Nachbarin, in den Garten und küßte sie, ihren Arm um sie schlagend auf die Lippen.

Sie war in die einfache indianische Tracht gekleidet, mit dem langen losen, bis auf die Knöchel niederfallenden Oberrock, der nur vorn am Handgelenk zugeknöpft wird, ohne Schuh und Strümpfe, den Kopf mit einem leichten Panama Männerstrohhut bedeckt, unter dem nur ein paar große tiefdunkelrothe Blüthen der rosa sinensis hervorschauten, und von dem vollen, mit wohlriechendem Oel getränkten rabenschwarzen Lockenhaar fast wieder versteckt wurden.

Ihre Gestalt war schlank und üppig, aber mit dem, den dortigen Insulanern eigenen Bau breiter Schultern, auch die sonst kleinen und zierlichen Füße nach unseren Begriffen von Schönheit ein wenig zu sehr einwärts gebogen; die Form des Gesichts jedoch dabei voll und edel und die Augen mit einem eigenen Feuer unter den feingeschnittenen Brauen hervorglühend. Aumama war überhaupt der vollkommene Typus eines Tahitischen Weibes, dem trotz den lebendigen Augen selbst das sinnlich Weiche in den Zügen nicht fehlte, und als die beiden jungen Frauen so freundlich umschlungen, und von den wehenden Palmen überragt und beschattet, zwischen den Blüthenbüschen standen, hätte man sich kaum etwas Lieblicheres denken können auf der Welt.

»Du hast vornehmen Besuch gehabt,« sagte Aumama endlich lächelnd, nachdem die erste Begrüßung vorüber war.

»Ja,« erwiederte Sadie, leicht erröthend, »und zwar unerwarteten; aber warum kamst Du nicht herüber?«

Aumama schüttelte, etwas ernsteren Ausdruck in den Zügen mit dem Kopf.

»Nein,« sagte sie, »ich passe nicht zu den Leuten – wir überhaupt nicht – und sie nicht zu uns – es ist besser wir bleiben aus einander.«

»Aber Du närrisches Kind,« rief Sadie, »hast Du Dich denn nicht, so wie ich gerade, mit Einem von ihnen für das ganze Leben verbunden, und willst Du denn auch von ihm sagen, daß Ihr nicht zu einander paßt?«

Aumama seufzte tief auf, und wandte das Köpfchen leicht zur Seite; sie war jetzt recht ernst geworden, und der ganze frühere Frohsinn schien verschwunden.

»Ich hoffe daß wir zu einander passen – für das ganze Leben;« sagte sie endlich leise, »es wäre wenigstens recht traurig, wenn wir es je anders finden sollten. Aber« setzte sie rascher, und wieder in den leichteren Ton übergehend hinzu, »in unseren Familien ist das auch etwas anderes; mit dem Mann den wir lieben, stehn wir in einem Rang; er versteht uns, wir verstehen ihn und in unserem Vaterland schmiegt er sich leichter unseren Sitten an, oder lehrt uns allmählich die seinen, beider Eigenthümlichkeiten in einander verschmelzend. Mit den Gesellschaften jedoch ist das etwas anderes, besonders mit fremden Frauen, und glaube mir, Sadie – ich habe darin Erfahrung. Die Weißen« fügte sie leiser hinzu, »halten uns für einen untergeordneten Stamm, weil wir früher zu Götzen gebetet haben vielleicht – «

»Aber das haben sie auch gethan, ihre Vorväter wenigstens,« unterbrach sie Sadie rasch, »Vater Osborne hat mir das selbst erzählt.«

»Haben sie?« sagte Aumama erstaunt, »das ist das erste Mal, daß ich davon höre; aber auch vielleicht noch weil wir nicht so klug sind wie sie, und so geschickt im Lesen und Schreiben. Auch unsere dunkle Hautfarbe kommt ihnen nicht so schön vor – den Frauen wenigstens, und Eifersucht mag oft gleichfalls, und gar nicht selten, die Ursache sein, daß sie uns zurücksetzen und – kränken. Ausnahmen mag es dabei unter uns geben; so glaub' ich, Sadie, daß Du Dich vielleicht wohl unter ihnen fühlen wirst, weil ich einsehe, daß Du uns eingeborenen und wild aufgewachsenen Mädchen in vielen vielen Stücken überlegen und den weißen Frauen fast gleichstehend bist; aber für mich paßt es nicht – mir schnürt es die Brust zusammen, wenn ich bei ihnen bin, und die kalten vornehmen Blicke sehen muß, die sie auf mich werfen, als ob es blos eine Gnade von ihnen wäre, daß sie mich zwischen sich dulden. Da ist es mir weit weit wohler bei meinen Kindern am freundlichen Strand, im Rauschen meiner Bäume, und vor mir die weite, herrliche See – ich halte es auch für gar kein Glück für uns, etwa« setzte sie langsam und wie in recht ernstem Sinnen hinzu, »daß die weißen Frauen in den letzten Monaten zu uns gekommen sind. Das Leben auf Tahiti ist seitdem ein anderes geworden, und ich selbst fühle mich nicht so wohl mehr in der neuen Umgebung – habe mich auch selber vielleicht geändert, oder – Andere haben.«

»Aia hat Dich traurig und ernst gemacht,« sagte Sadie, freundlich ihre Hand ergreifend, »sie war auch hier bei mir, und ich – «

»Aia!« unterbrach sie rasch und heftig Aumama, aber mit weicherer Stimme fuhr sie fort, »Aia ist ein armes, armes Mädchen und sie kann mich nicht böse machen, aber« – und ihre Augen funkelten in einem eigenen wilden, fast unheimlichen Feuer – »nicht ertrüg ich es auch wie sie, und was sie ertragen hat. Bei jenem weißen Gott, der Oro's Bilder zertrümmerte und unsere Tempel niederbrach, bei jenen Tempeln selbst – « Aumama schwieg, aber die Hand noch, wie zum Schwur emporgereckt, die Locken, von denen der Strohhut abgefallen war, wild ihre Stirn umflatternd, das Auge glühend in einem eigenen Licht, stand sie wohl eine halbe Minute schweigend da, selber ein Bild der zürnenden Gottheit ihres Landes. Da, wie unwillig mit sich selber, schüttelte sie plötzlich den Kopf, strich sich die Locken aus der Stirn und sagte, jeden unmuthigen Gedanken gewaltsam bannend. »Ich bin ein Kind, Sadie, ein launisches Kind, und seit einigen Wochen komme ich mir selber manchmal wie umgetauscht vor, so tolle Träume und Bilder zwing' ich mir ordentlich selbst herauf, mich zu quälen und – ärgern auch. – Aber fort fort mit ihnen, fröhlich wollen wir sein und uns des Lebens freuen, denn der Himmel lacht noch rein und blau über uns und die Götter, die in früheren Zeiten den Tisch unserer Väter mit ihren Speisen deckten, haben uns auch jetzt noch ihre Gaben nicht entzogen.«

 

»Aumama,« sagte da Sadie, mehr herzlich als vorwurfsvoll, »Du sprichst noch immer von den Göttern, und bist doch lange, lange schon eine Christin, ja wie ich hoffen will eine gute Christin ge worden. Sündige nicht, denn der Gott der Gnade ist auch ein Gott der Rache und der Strafe, und Vater Osborne würde es unendlich weh gethan haben, wenn er Dich hätte je so reden hören.«

»Und nicht um Alles in der Welt hätte ich ihn kränken mögen,« rief Aumama rasch, »er war der Einzige auch, der mich an Gott gehalten, der Einzige, der mich die Möglichkeit eines solchen Wesens ahnen und begreifen ließ, an das uns ja sonst die Uneinigkeit und der Haß der anderen Priester zwingen mußte zu verzweifeln. Er war ein guter Mann und die Feranis hatten ihn auch lieb, trotzdem daß er auf andere Weise zu seinem Gott betete, als sie es thun; aber – Sadie« – fuhr sie langsam und wie zögernd fort, »bist Du dennoch so – so fest überzeugt – daß er recht hatte?«

»Aumama?« rief Sadie erschreckt, und sah staunend die Freundin an.

»Hast Du von dem alten Mann gehört?« sagte aber diese mit leiser Stimme sich zu ihr überbeugend, und den Blick fragend auf sie geheftet, »der drüben auf Bola Bola lebt, lange lange Jahre schon, und der so wunderliche Sachen von dem Gott der Christen erzählt?«

»Von dem Gott der Christen? – ist er denn nicht selbst ein Christ?«

»Nein,« sagte Aumama rasch – »nein – er selber hat es versichert – er ist von dem Stamm die den Christengott gekreuzigt haben, und soll behaupten Jener sei gar nicht der Messias gewesen.«

»Das waren die Juden,« rief Sadie überrascht, »aber ich wußte gar nicht, daß von jenem Stamm noch Leute lebten?«

»Viele, viele sollen noch davon in dem fernen Lande der Weißen sein und der alte Mann behauptet jener Gekreuzigte sei nicht Gottes Sohn gewesen, und habe nicht die rechte Lehre gebracht, denn die Christen unter einander wüßten es nicht einmal und stritten und kämpften deshalb gegen einander, und hätten schon viele viele Tausend unter sich erschlagen, zu beweisen wer recht und den rechten Gott und Erlöser habe.«

»Und wenn der Mann nun nicht die Wahrheit sagt?«

»Nicht die Wahrheit? – es soll ein alter alter Mann sein, und graue Haare und grauen Bart haben; und streiten sie sich hier nicht etwa auch um ihren Gott? – Wer hat recht? und wie jener Mann von Bola Bola sagt giebt es in seinem Vaterland unter den Christen noch viele andere Sekten, die alle einander hassen und gegen einander predigen. Ist das ihre Religion des Friedens?«

»Aumama, Du sprichst entsetzlich,« sagte Sadie schaudernd, »wer um des Himmels Willen hat Dein Herz mit solchem Trug erfüllt?«

»Trug?« wiederholte die Indianerin, und ihr Blick haftete fest auf Sadie – »gebe Gott daß es Trug wäre und Lüge, aber wer giebt uns Wahrheit?«

»Gott selber,« sagte da Sadie mit jenem kindlichen Vertrauen, das in dem Schöpfer wirklich seinen Vater sieht, und in reiner, ungeheuchelter Frömmigkeit am Throne des Höchsten sein Gebet, seinen Dank niederlegt – »Gott selber, Aumama; er hat uns die Wahrheit in das Herz gelegt, und seine Boten schon vor langen Jahren gesandt, sie uns hier zu lehren. Bete, bete mit voller Inbrunst und das Herz wird Dir aufgehen, wenn Du Dich zu Gott wendest.«

»Aber Le-fe-ve betet gar nicht,« warf das Mädchen wieder ein, dem Gedanken folgend daß die Europäer selber, in verschiedene Religionen getrennt, kein Vertrauen auf den Gott hätten, den sie den Inseln gebracht – »er ist ein guter Mann, aber er lacht, wenn man ihn an seine Pflicht als Christ will mahnen; thut das René nicht auch?«

»Nein,« rief Sadie schnell, aber doch nicht im Stand eine gewisse Verlegenheit zu verbergen – »er lacht mich niemals aus.«

»Aber er betet auch nicht.«

»Gott wird ihn schon erleuchten,« sagte die junge Frau, und barg ihre Stirn einen Augenblick in den Händen, »ach es ist wahr,« fuhr sie dann leiser fort, »und hat mir schon manche bittere Stunde, manche schlaflose Nacht gemacht, wie wenig er an seinen Gott denkt, und wie viel gerade Gott für ihn doch eigentlich gethan.«

»Und Mr. Osborne? hat er Dir nie an's Herz gelegt ihn deiner Kirche zuzuführen? – mir ist das oft und oft zur Pflicht gemacht, aber – wie bald hab' ich den Versuch aufgegeben.«

»René geht seinen eigenen Weg,« seufzte Sadie, »und Vater Osborne sah das wohl und fühlte es, aber er hat mir nie ein Wort davon gesagt, ja er warnte mich sogar vor religiösen Streitigkeiten mit dem Gatten. Auf Atiu war auch Alles gut, aber hier in Tahiti, wo die Priester selber einander feindlich gegenüber stehen, und seit Vater Osbornes Tod hat sich René ganz von jeder Andacht abgewandt.«

»Weißt Du wie Du jetzt aussiehst, Sadie?« rief da Aumama plötzlich, den Ton wechselnd, und der Freundin Hand ergreifend.

Sadie schaute überrascht empor, Aumama aber fuhr lächelnd fort – »scheuche die trüben Gedanken fort von der Stirn, sie passen nicht für uns. Was kümmern uns die Streitigkeiten jener Priester, noch ist die Banane so süß, die Cocosnuß so saftig als je und der Himmel lacht blau und heiter auf uns nieder und unser schönes Land. Sieh da kommt deine Sadie,« unterbrach sie sich plötzlich als das Kind, von einem jungen vierzehnjährigen Mädchen getragen, in der Thür erschien – »her zu mir Herz, her zu mir mein süßes Kind, und Du sollst mir helfen der Mama Züge wieder aufzuheitern. Und nun sollen auch Scha-lie und Ro-sy herüber und mit Dir spielen, mein Herz, und froh und munter wollen wir sein, und tanzen und springen.«

Die Kleine aufgreifend, die ihr schon von Weitem lachend die Aermchen entgegenstreckte, sprang sie mit ihr, wieder ganz das fröhliche ausgelassene Kind dieser Inseln, singend und trällernd am Strand umher, und rief die eigenen Kinder herüber mit ihr zu spielen und zu tollen. Und selbst Sadie, wenn auch nicht im Stande so rasch die quälenden Gedanken abzuschütteln vom Herzen, vergaß doch ebenfalls bald bei dem Lachen und Jauchzen der Kleinen Alles, was sie noch vorher mit Angst vielleicht und Sorge erfüllte, und das Herz ging ihr wieder auf voll Lust und Glück in dem einen reinen und seligen Gefühl der Mutter Lust.

Capitel 4.
Die Missionaire

Ueber die See brauste es daher, wild und stürmisch in furchtbar entsetzlicher Wuth; an den Riffen schäumte und kochte die Brandung in milchweißem Gischt, und warf ihre Wogen selbst in die sonst stillen Binnenwasser, weiter und weiter wallend, bis zu dem weißen Corallensand des Strandes und den freigespühlten Wurzeln der Cocospalmen, die ihre Wipfel über dem Meere schaukelten und jetzt, wie entsetzt über die Entweihung, die weiten, armartigen Blätter emporwarfen und sich zurückbogen vor der anstürmenden Bö. Hei wie der Sturmvogel so scharf und gellend pfeift wenn er über die aufgewühlte See streicht, und seine langen elastischen Flügelspitzen auf die glatte Woge preßt, von der die Windsbraut schon den schäumenden Kamm geraubt und als Perlen hinausgestreut hat weit weit über das Meer; hei wie die Brandung da kracht und tobt, und sich bäumt und reckt und mit den weißen Armen hinüberlangt über den Korallendamm, und doch wieder und immer wieder zurückgeworfen wird von dem gewaltigen Bollwerk, das Jahrtausende gebaut. Und der Sturm, der machtlos seine Kraft brechen sieht an diesem Damm, und seine Wellen, die er sich aufgerüttelt hat, nicht hinüber bringen kann, so viel er auch hebt und drängt, und die Schulter stemmt gegen die gewaltigen, wirft sich endlich selbst mit dem flatternden Bart an das grüne Land, und die Palmen fassend in tollem Spiel biegt und schaukelt er sie, wie er das Spiel sonst vielleicht mit Halm oder Blüthe getrieben, im weit und straff gespannten Bogen nieder, nieder bis ihre Kronen das Laubdach berühren das sie stützt und hemmt und mit wildem eifrigen Rascheln die auszweigenden Arme fest fest zusammenstreckt und sich hält und gegenseitig hilft gegen den wilden ungestümen Feind.

Gewaltig und furchtbar ist ein Sturm auf offener See, wo er die Wogen aufwühlt und gräbt, und die bergwichtigen Massen wie spielend und in entsetzlicher Schnelle vor sich her jagt; aber frei und ungehindert rast er dort sich aus, keine Grenze hemmt ihn und selbst das schwanke Schiff das er trifft auf seiner Bahn wirft er herum, taucht es und schleudert es empor, reißt und splittert was er daran gerade fassen und halten kann und – jagt vorüber, müde solch unwürdigen Spiels. Anders aber und grauenhaft furchtbarer ist er dort wo die bergige Küste den Anprall hemmt, und dem Rasenden die Stirn bietet in kräftigem Trotz.

Nicht nur den neuen Grimm hat der Wüthende da auszulassen an der starren hartnäckigen Wand, die sich ihm eisern entgegenstellt, nein auch alte Unbill zu rächen, seit Jahrhunderten her, und seit manchem furchtbaren Strauß, bei dem er sich wieder und wieder vergebens in die Schluchten wühlte und bohrte, und die Grundfesten seines Feindes zu untergraben suchte. Von der See führt er die Wogen heran zum gemeinsamen Kampf, und sich selber wirft er wild und toll gegen die Brustwehr von Baum und Gebüsch, das sich ihm zäh und unverdrossen entgegenlegt; was hilft es ihm daß er die starren hartnäckigen Stämme faßt und bricht und die schweren Kronen zu Boden schmettert, oder als Widder braucht, gegen andere anzustürmen – die elastische Palme biegt und legt sich der Uebermacht, folgt aber dem Feind auf dem Fuß bei jedem Zollbreit Weichen, und schüttelt ihm die Federkronen zornig in's Angesicht. Wild heult und braust sie da auf, die tobende tolle Windsbraut; bis hoch in die Lüfte hinauf pfeift es und zieht's und dröhnt's, und wieder und wieder prasselt's an gegen Halde und Hang, wieder und wieder reißt es und bricht und schmettert und stöhnt, ein Opfer suchend in unsagbarem Grimm, bis die Kraft auf's Neue erschöpft ist wie seit Jahrhunderten, und der Orkan jetzt weichend, seine Wuth mit neuer Hoffnung beschwichtigen muß für den nächsten Tanz, sich dennoch immer auf's Neue getäuscht zu sehn. Grollend und innerlich gährend und kochend zieht er sich dann zurück, weit weit über die See, in der Ferne dröhnt es und braust es noch, wie schwer athmend aus der Tiefe auf – bläulich schwarz liegt die See, einzelne Sturzwellen in sich selbst zusammenbrechend und weiße weite Flächen, förmliche Thäler bildend von milchigem Schaum, der zischend zerfließt, neu aufquellender Woge zum Mantel zu dienen mit dem sie sich schmückt und tanzt und ihn abwirft, der Schwester zu. Hu, wie das hohl geht da unten und braust und murmelt – aber die Sturmmöve zieht jetzt mit klappendem Flügelschlag, nicht mehr regungslos kreisend, über das stillere Wasser, das im wilden Unmuth noch nicht einmal den Strahl der vorbrechenden Sonne wiedergeben mag, und faden matten Bleiglanz über seine Fläche deckt.

Auf dem Land aber, dem natürlichen Feind des Orkans, der ihm so starr die Faust entgegenstreckt, wie die Fluth ihm jeder Zeit willige Hülfe bietet und mit ihm tobt und rast, entfaltet der siegende Sonnenschein schon wieder sein Panier, während die grollende See noch gegen die Riffe pocht, und jeder niedergeschleuderte Tropfen wird zur Perle, die blitzend und jubelnd im Lichte funkelt. Noch erzürnt, aber doch schon wieder den warmen Strahl auf den Wangen fühlend, schütteln die Bäume ihr Laub, und rauschen und rascheln, Blatt und Zweiglein wieder in die alte Form zu bringen, aus der sie der ungestüme Störenfried herausgerissen, und der warme Duft der aus den Thälern steigt wird zum Nebelschleier, den sich der Berg wie Silberfäden durch die Krone flicht, und dem das sinkende Tagsgestirn noch seinen schönsten herrlichsten Farbenschmelz verleiht.

Es war zur Zeit solcher Stürme, die sich besonders im Herbst und Frühjahr zeigen unter dieser Breite, und der Orkan brauste noch in all seiner furchtbaren Kraft über die Wasser, und schien die Riffe hinein drängen zu wollen gegen das Land, solche berghohe Wogen thürmte er auf, und schleuderte sie von Westen herbei, der Passat Strömung gerad in die Zähne. Nur der fluthende Regen hatte nachgelassen und der Wind fegte nur noch das Firmament rein, von widerspenstischen Wolken und Schwaden, die wieder und wieder, jetzt aber machtlos und zu spät, zum neuen Kampfe herbei wollten.

In der Hauptstraße von Papetee, auf dem breiten Strand der die erste Häuser- und Gartenreihe vom Meere trennte, und von den lebenslustigen Tahitiern besonders Abends zum Sammelplatz benutzt wurde, blieben jetzt Einzelne stehen und schauten auf das Meer hinaus, denen bald Andere folgten; die Thüren der nächsten Häuser wurden geöffnet, die Eigenthümer standen darin mit Telescopen und um diese wogte und preßte bald das Volk in mächtiger Schaar, bald die Gläser, bald das weite Meer betrachtend, und dem Wort der Ausschauenden wie einem Orakel lauschend.

Der Gegenstand aber um den es sich hier handelte war ein Schiff – ein großes Schiff das von Point Venus aus schon vor einer halben Stunde etwa und noch im vollen Sturm, der Königin gemeldet worden, wo es, weit draußen in Sicht, versucht hatte beizulegen und von den Inseln abzukommen, der Wind war aber zu heftig gewesen solches Maneuver zu gestatten. Die Fregatte – denn daß jenes fremde Segel ein großes Kriegsschiff sei unterlag schon gar keinem Zweifel mehr – mußte vor dem Wind abfallen, und kam jetzt unter dicht gereeftem Vormars- und Vorstengenstagsegel um die Spitze herum jedenfalls bestimmt nach Papetee einzulaufen, was aber jetzt, bei dem gewaltigen Seegang und der schmalen Einfahrt durch die schäumenden Riffe nicht möglich war, und nur bemüht nun, so wenig Fortgang als möglich zu machen um erst einmal von den nächsten Riffen frei, wieder aufzubrassen und das Beruhigen der Wasser abwartend, gegen den Wind anzukreuzen.

 

Es war eine Fregatte, aber von welchem Land? Diese Frage beschäftigte jetzt Alle in ängstlicher Spannung, und wie die meisten der Eingeborenen gerade jetzt, nach ihrer vorhergegangenen Demonstration das Erscheinen des ihnen nur zu gut bekannten Du Petit Thouars mit seinem Fahrzeug fürchteten, so ängstlich waren sie, sich zu früh der freudigen Hoffnung hinzugeben daß es noch ein Englisches Kriegsschiff sein könne, ihre erstrebte Unabhängigkeit zu bestätigen.

Die Meinungen über das Aussehen des Schiffes waren dabei getheilt, während es Einzelne der Europäer nach dem Bau der Masten, denn von den Segeln war gar Nichts zu erkennen, für einen Franzosen hielten, behaupteten Andere den Amerikanischen Zuschnitt daran zu erkennen und nur ein kleiner Theil beharrte auf seinem Ausspruch England sei nicht zu verkennen und die Englische Flagge würde sich zeigen, so bald die Fregatte den Eingang passire.

Selbst die gerade in Papetee anwesenden, und gerade heute zu einer vertraulichen Sitzung berufenen Missionaire standen auf der Verandah des, in Papetee ansässigen Bruder Dennis versammelt, und blickten mit etwas ängstlicher Spannung der Entfaltung der Flagge entgegen, die besonders auf ihre Wirksamkeit einen entschiedenen Einfluß ausüben mußte.

Noch vor dem Sturm hatte ihre Sitzung begonnen, und während die Windsbraut heulend an den Pfosten des Hauses rüttelte, die Palmen wie Weidenruthen niederbog, und die reifen Früchte von den Bäumen riß, den Boden zu streuen mit Orange und Brodfrucht, die saftigen Stiele der Banane umknickte und duftige Blüthen weit und hoch hinaus in die Berge führte, lagen die schwarz gekleideten Männer in dem langen luftigen Gebäude auf den Knieen; und mischten ihre Hymnen und Sänge mit dem Gebrüll des Orkans, ein Preislied dem Herrn der Stärke und Barmherzigkeit.

Es waren die Brüder Rowe, Dennis und Nelson, Mc. Kean, Smith und Brower, zusammengekommen zu vertraulicher Berathung in so schwerer Zeit, und die eigentlichen Vertreter auch, wenigstens die wichtigsten, die sich gegenwärtig in der Südsee befanden, der Evangelischen Lehre nicht mehr nur Bahn zu brechen unter den Heiden, obgleich auch jetzt noch ganze Gruppen von Inseln ihren Göttern treu geblieben waren und den neuen Glauben mistrauisch von sich wiesen, sondern sich zu wahren und schützen gegen den Katholicismus, der ihren Fußtapfen gefolgt war und die Flügel jetzt ausbreitete, ihr eigenes Licht zu verdunkeln.

Bruder Dennis war unter diesen, und besonders in seinem Charakter als Missionair, jedenfalls der bedeutenste, und wenn auch nicht einer der ältesten, doch jedenfalls der eifrigsten Lehrer der Inseln, wo es nur galt dem einen heiligen Ziel entgegenzustreben, den Heiland zu verkünden und seiner Wunden Blut zu predigen in der Wüste. Er auch war Einer der Wenigen, die mit Hintansetzung jedes Gedankens an sich selbst in die Fremde zogen, die Bibel im Arm, das gehobene Kreuz, ja das Schwert in der rechten, wenn gereizt seinen Schatz zu vertheidigen, und rücksichtslos weiter schreitend dabei, welchen Glauben, welche Familienverhältnisse er unter die Füße trat, wenn er nur die Seelen der Verdammten rettete, und ihnen das Heil kündete, das ihnen Gott geboten, und das den Weg um die ganze Erde genommen, zu ihnen zu gelangen.

Eigennutz, Ehrgeiz war ihm fremd, keine Familien bande fesselten ihn, nicht Freundschaft, nicht Liebe hatten sein Herz auch nur für eine Stunde dem einen hohen Zweck seines Lebens abwendig machen können, und er hielt den Tag für verloren, an dem er nicht wenigstens einen, seinem Verderben entgegengehenden Sünder wach gerüttelt, und ihm den Abgrund gezeigt an dem er wandele, oder geduldet und gelitten hatte in der Verbreitung jenes Glaubens, der ihm Licht und Seligkeit und Luft und Liebe war.

Von schmächtigem aber nicht schwächlichem Körperbau, zäh bis zum äußersten und an Entbehrungen und Strapatzen gewohnt, die er eher aufsuchte als vermied, hatte er schon den größten Theil der Inseln durchstreift, den feindlichsten Stämmen dort mit »christlicher Demuth«, wie er's nannte, getrotzt, und ihren Hohen Priestern in den Bart die Machtlosigkeit und Nichtigkeit ihrer Götzen verkündet. Die Indianer achten den Muthigen, wo sie ihn auch finden, und muthig wahrlich mußte der sein, der allein und unbewaffnet in einem feindlichen Gebiet wahrhaft tollkühn das angriff, was der Gegner am theuersten hielt, und wofür er sein Leben eingesetzt hätte es zu bewahren; ja unter den Opferkeulen selbst hatte ihn schon dieser starre fanatische Trotz gerettet, und ihm die Achtung seiner bisherigen Feinde, ja oft den späteren Sieg über sie, gesichert.

Hier nun schon den Sieg in Händen, läßt es sich denken, mit welchem Schmerz und Zorn der »Diener des Herren« fremde Priester eindringen sah in sein Heiligthum, und den Bau untergraben, an dem seine Kirche schon Jahrzehende gebaut, und der ein Tempel Zions zu werden versprach in Pracht und Herrlichkeit. Mit zagender Hoffnung wohl, aber auch mit Furcht und Mißtrauen sah er deshalb dem Entfalten jener Flagge entgegen, die ihnen entweder die frohe Hülfe vom Mutterlande brachte, nach der sie sogar schon einen der Ihrigen, den ehrwürdigen Mr. Pritchard, zugleich Consul Ihrer Britannischen Majestät abgesandt hatten, oder neue Schwierigkeiten und Verlegenheiten bereiten konnte, den gierigen Forderungen Französischer Capitaine gegenüber.

Die Brüder Rowe und Nelson in ihrem so verschiedenartigen Charakter kennen wir schon.

Zwei Andere, Mc. Kean und Brower waren einfache Leute, Menschen, die ihre Lebenszeit in der Bibel gegraben, das edle Metall mit dem tauben Gestein mühsam und unverdrossen heraufgeschafft, ohne im Stande zu sein es zu schmelzen und zu scheiden, und es nun Bergehoch um sich aufgeschichtet hatten, eine treffliche Wehr wenigstens, nach Jedem zu schleudern, der ihnen nahe kommen und ihre Stellung ihnen streitig machen oder bekritisiren wollte.

Bruder Smith zeigte sich als eine von diesen ganz verschiedene Persönlichkeit; klein und geschmeidig hatte er sich dem Missionswesen gewidmet, wie er sich irgend einem andern Stand oder Geschäft gewidmet haben würde. Von Enthusiasmus war bei ihm keine Rede, von Schwärmerei noch weniger. Er betrachtete das ganze innere Sein der Mission auf eine ächt irdische und praktische Art als ein Geschäft, das ihm durch die Missionsgesellschaft vom lieben Gott übertragen worden, und auf diesem entlegenen Winkel schien er nun vollkommen bereit alle solche Pflichten, die ihm vorgeschriebener Weise oblagen, auch getreulich zu erfüllen, vorausgesetzt jedoch, daß ihm dann der liebe Gott, neben anderen Kleinigkeiten, auch noch die Bitte des täglichen Brodes mit seinen verschiedenen Variationen erfülle. Ein ausgezeichneter Geschäftsmann außerdem, war eine seiner Hauptbeschäftigungen die, von England zur Unterstützung der Mission eingegangenen Waaren, die natürlich einen größeren Werth hatten als Geld selber, gegen Roh-Produkte oder Fabrikate der Indianer, soweit sie deren herstellten, ja gegen Arbeitskraft selbst und geleistete Dienste anzubringen, und einen besseren Mann hierzu hätte sich die Gesellschaft nicht wählen können. Schicklicher wäre es jedenfalls gewesen hierzu einen besonderen Mann engagirt zu haben, der dann weiter Nichts mit dem geistlichen Theil des »Geschäfts« hätte zu thun haben dürfen; das Lehrergeschäft leidet, wo der Lehrer zu gleicher Zeit neben seinen geistigen Ausgaben seine weltlichen Einnahmen berechnen muß. Bruder Smith wußte aber Beides auf so geschickte Art zu vereinigen, und die Waare mit solcher Salbung, die Lehre mit solcher berechnenden Klugheit auszugeben, daß die Insulaner zuletzt nicht selten beides Empfangene gar nicht mehr von einander zu unterscheiden vermochten und in Zweifel waren, für was von den beiden Sachen sie ihr Cocosnußöl und ihre Perlen und Muschelschalen eigentlich zu Markt gebracht, und ob sie ein gutes oder schlechtes Geschäft dabei gemacht.