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Tahiti: Roman aus der Südsee. Zweiter Band.

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»Erinnerst Du Dich noch auf Bill Kooney?« frug Jim.

Jack pfiff leise vor sich hin und lachte verschmitzt.

»Bill Kooney,« sagte er dann nach einer kurzen Pause – »Bill Kooney – aber wie zum Teufel ist der zu dem Wallfischfänger gekommen?«

»Das ist eine naive Frage,« sagte Jim, »aber mein Junge, wenn dem so ist daß der Gesell – wie heißt er doch gleich dein Lieutenant?«

»Bertrand.«

»Daß also der Monsieur hier herumschwimmt, da ist's für mich Zeit aus dem Cours zu gehn – bis ich ihm vielleicht einmal richtig hinein kommen kann; ich muß so an Bord.«

»Aber wo treffen wir uns wieder? ich möchte vorher genau wissen wann Ihr segelt und Bill Koo ney doch auch gern einmal sehn, mit ihm meinen Plan zu bereden.«

»Ich gehöre gar nicht mehr an Bord,« sagte Jim – »daß ich Harpunier wäre hab' ich deinem neugierigen Bootsmann nur aufgebunden.«

»Du gehörst nicht mehr an Bord?« frug Jack erstaunt – »den Teufel auch, da hast Du wohl dein »Geschäftsbüreau« jetzt an Land?«

»Zu Zeiten,« sagte Jim ausweichend.

»Und gehn die Geschäfte gut? – na hab' keine Angst,« setzte er aber rasch hinzu, als er sah daß den neugefundenen Kameraden die Frage etwas in Verlegenheit zu setzen schien, wenigstens nicht gleich und unbedingt von ihm beantwortet wurde – »ich komme Dir dabei nicht in's Gehege, bleibe aber, aufrichtig gesagt auch lieber einmal eine Zeitlang auf festem Grund und Boden und in der angenehmen Gesellschaft hier, mich von den überstandenen Strapatzen erst ein wenig auszuruhn. Donnerwetter, man lebt doch nur einmal auf der Welt, und wozu sich in einem fort schinden und placken, wie ein Hund!«

»Ich weiß gerade nicht ob es Dir hier gefallen würde,« sagte Jim.

»Daß laß meine Sorge sein,« lachte der Matrose, »wenn ich nur erst glücklich aufgehoben wäre, eine Desertion in meinen Verhältnissen ist nur zu ver dammt gefährlich, denn kriegten sie mich wieder, möcht' ich in jeder anderen, nur nicht in meiner eigenen Haut stecken. Ich könnte Dir vielleicht hier auch in Manchem von Nutzen sein.«

»Das bezweifle ich nicht im Mindesten,« entgegnete Jim ruhig, »aber überleg's Dir wohl; wird eine große Belohnung auf den Einfang gesetzt, so ist keinem von den Indianischen Schuften zu trauen. Am besten wär's doch wohl Du sprächst einmal mit Mac Rally.«

»Hm – ja – vielleicht – nun ich werde ja sehen,« sagte Jack wie überlegend sich das Kinn streichend und dabei verstohlen auf Jim hinüber schauend. – »Und wenn man Dich einmal hier am Ufer finden wollte, wo bist Du da am besten zu erfragen?«

»Kennst Du einen Platz hier auf der Insel, den sie »Mütterchen Tot's Hotel« nennen?«

»Nein – ich bin noch nie funfzig Schritt vom Strand fortgewesen.«

»Du wirst ihn erfragen können – jeder Matrose kennt ihn.«

»Wohnst Du dort?«

»Nein, aber es ist der einzige Platz, den ich regelmäßig besuche.«

»Gut, werd' ihn mir merken, und nun good bye, Dick, unser Bootsmann könnte mich sonst vermissen.«

»Nenne mich nur nicht Dick,« warf der Ire ein, »der Name war mir unbehaglich, und ich möchte nicht gern immer wieder an jene unglückselige Zeit erinnert werden.«

»Hast Du Gewissensbisse?« lachte Jack.

»Bah Gewissensbisse – Unsinn – aber keine Lust eine Raanocke zu zieren, alter vergessener Geschichten wegen.«

»Gut, gut; also Du, Jim, wenn Dir das sicherer klingt, könntest Dich unter der Zeit doch immer einmal nach einem Quartier oder Schlupfwinkel für mich umsehen – wenn's auch nur für den Nothfall wäre; je weiter im Inneren, desto lieber ist mir's. So gute Nacht und – hab gut Acht auf deinen Hals!« – Und leise vor sich hinlachend verließ er den Freund und ging zurück, wo er die Trommeln der Insulaner noch hören konnte, die unermüdlich neue und frische Tänzer herbeilockte.

»Hm,« sagte Jim leise und nachdenkend vor sich hin, als der alte Kamerad aus früheren Tagen in den Büschen verschwunden war, und seine Schritte weiter und weiter im dürren Laub verklangen – »schön Dank für die Warnung; ich weiß aber eben noch nicht, ob mir mein Hals in Deiner Gesellschaft sicher oder unsicher ist, mein alter Bursche, und fataler Weise ist der Versuch gerade so gefährlich. Nun, jedenfalls bin ich auf meiner Huth und vor Dir ziemlich sicher daß Du nicht selber aus der Schule schwatzest; Vielleicht kommt mir aber der französische Grünschnabel einmal gelegentlich unter die Finger und dann können wir ja unsere Rechnungen mitsammen ausgleichen. Jetzt übrigens, so lange es noch Tag ist, werde ich nicht an Bord zurückgehn, sondern meine Geschäfte hier am Land besorgen; ich traue den Insulanern nur nicht viel zu; sie sind zu gleichgültig bei Allem was sie nicht unmittelbar in die Höhe schüttelt, und müßten sich sehr geändert haben, wenn sie überhaupt noch einmal zu einem entscheidenden Schlag zu bringen wären – sei der nun hingerichtet, wohin er wolle. – Hm – ist mir aber auch wieder ungemein lieb erfahren zu haben daß der Gesell in einer französischen Uniform steckt und hier herumläuft – werde doch zusehn daß er mir zuerst vorgestellt wird, und nicht ich ihm.« – Und mit einem vorsichtigen Blick umher, denn Jack's Warnung hatte seine Wirkung keineswegs verfehlt, schlug er sich, mit der Gegend in der er sich hier befand vollkommen gut bekannt, seitwärts in das Dickicht, die Stadt auf einem anderen Pfade zu erreichen und verschwand bald darauf in den dichten, hinter ihm sich wieder schließenden Guiavenbüschen.

Capitel 2.
Sadie und René

Ah – die Brust hebt sich ordentlich frei, wie wir dem wilden wüsten Treiben von Haß und Sünde, Leichtsinn und roher Sinnlichkeit den Rücken kehren, dem Wald, dem unentweihten Walde zuzustreben. Noch haben wir aber nicht all die bunten wilden Gruppen hinter uns, die zerstreut bei all den verschiedenen Hütten, in all den kleinen Hainen ihre Orgien feiern. Horch, von da drüben herüber lauter und munterer Trommelschlag unter den Palmen vor – lachende Männer und Mädchenstimmen und jubelnder Chor; und von dort? tönt der scharfe Klang einer kleinen, in den Zweigen eines Orangenbaumes aufgehangenen Glocke, und der monotone Sang frommer Hymnen in Tahitischer Sprache, von den Ehrwürdigen Männern selbst an einem Wochentag gesungen, weil heute die Inseln ja dem rechten, dem »allein selig machenden Protestantischen Glauben« gerettet wurden.

Dahinein aber kreischt der laute fröhliche Sang halbtrunkener Matrosen, die am Strand nieder neuen Vergnügungen zuziehen. Hier eine Frauengestalt in wehdurchschauerter Angst niedergeworfen vor dem zürnenden Gott, den Blick angstvoll nach oben gerichtet, als ob sie fürchte daß der rächende Strahl den Zornesworten folgen müsse, die der weiße fromme Mann eben niedergedonnert hatte von dem einfach hölzernen Kanzelstand, auf die Häupter der kleinen »auserwählten Schaar« – dort ein wildes braunes halbnacktes Mädchen, den Arm leichtfertig um die Schulter eines französischen Soldaten gelegt, der mit ihr plaudert und koßt, während sie den lachenden Blick frei und ruhig zu dem blauen freundlichen Himmel emporhebt, und dabei mit halbem Ohr vielleicht den fernen wohlbekannten Glockentönen lauscht.

Widersprüche wohin das Auge fällt, und nur die Natur selber ist sich treu geblieben in dem tollen wilden Gewirr – nur die Natur allein, die Gottes Größe und Güte predigt in jeder Zeit, und ihre Gaben liebend ausstreut über die Kinder des Allmäch tigen, gleichviel welcher Sekte sie angehören, welchen Namen die Lippe flüstert, wenn das Herz, in stiller Anbetung versunken, emporstaunt zu seinen Wundern, und gleichgültig dabei, ob sie ihre Stirnen nach Westen oder Osten zum Gebet neigen – beten sie doch Alle zu Ihm.

So, je weiter wir das wirre tolle Treiben Papetee's hinter uns lassen, verschwimmen die Dissonnancen von Hymne und Trommel in dem gewaltigen Donner der ewigen Brandung, und dem leisen flüsternden Rauschen der Blätter und Palmenkronen, und dort draußen, weit draußen am wunderschönen Strand, wohinaus kaum der donnernde Schall des Geschützes drang, das den Aufgang und Niedergang der Sonne kündete, hatte René seine Hütte gebaut. Ein wohl nicht großes aber doch geräumiges Haus, dicht in den Schatten von Frucht- und Blüthenbäumen hineingeschmiegt, diente ihm mit seiner kleinen Familie, wie dem alten ehrwürdigen Mr. Osborne, von dem sie sich nicht hätten trennen mögen, zum Aufenthalt; ja wurde ihm zur Heimath, und selbst Sadie fühlte sich hier wieder wohl und glücklich, so heimisch so freundlich war der kleine liebe Platz – so lieb fast wie Atiu – nur daß ihm die Erinnerungen fehlten.

– Nur daß ihm die Erinnerungen fehlten – es ist ein kleines, unbedeutendes Wort; die Erinnerung, und sie umfaßt doch, wenn wir erst einmal wirklich ins Leben traten, Alles fast, was das Herz je theuer gehalten und lieb, und dessen Klängen es mit freudigem Klopfen, o wie gern doch, lauscht. Was anderes giebt unserer Heimath jenen unendlichen Reiz, der uns nicht weilen läßt im fremden Land und uns zurückzieht mit festen, kaum zerreißbaren Banden? – was anderes zaubert uns mit einem Schlag alle die lieben, nie vergessenen, aber wohl so oft und heiß ersehnten Bilder wieder herauf, die unserem Leben damals Licht und Farbe, unserem Blut die Wärme, unserer Brust die heitere Ruhe gaben? Verleih einem Platz diese Erinnerungen, und laß es dann die ärmlichste dürftigste Hütte in einer Wildniß sein, und jede Stütze ist uns theuer die noch den morschen Bau zusammenhält. Wir kennen da jeden Baum, jeden Stein und an jedes, das noch so unbedeutendste, an den schmalen Pfad der hinausführt zu dem stillen, Linden umlaubten Friedhof, an das Gartenpförtchen, an den Apfelbaum neben der Thür, an die Steinbank oder den murmelnden Bach, oder den moosbewachsenen Eimer des Brunnens, selbst an die lieben Sterne die nur so, wie alte liebe Bekannte über der Hütte standen, knüpft sich eine Liebe, eine selige Erinnerung, und je älter wir dabei werden, je weiter uns das Schicksal und je länger es uns fortgetrieben aus dem Heiligthum, desto theurern Platz wahrt es sich in unserm Herzen.

 

Und ohne diese Erinnerungen? ja die Welt ist schön, und überall gründet der unstete Mensch seinen Heerd, überall deckt Gottes unendliche Güte den Boden für ihn mit Speise und Trank, und das Geschlecht treibt und gedeiht – aber es treibt und gedeiht auch nur eben, und wie in der Fremde beginnt es seine Hütte zu bauen, wie in der Fremde siedelt es sich an und – denkt zurück an frühere glücklichere Zeiten, liebere Plätze – an die Stelle wo seine Wiege gestanden.

Aber Sadie und René waren glücklich – über ihnen wölbten, wie auf Atiu wehende Cocospalmen ihre Häupter und schüttelten den Thau nieder auf die duftenden Blüthen der Orangen, die ihren Fuß umwuchsen; vor ihnen aus breiteten sich die Corallendurchzogenen Binnenwasser der Riffe, klar und silberrein wie an der Schwesterinsel, und Abends ruderte der junge Mann das Canoe hinaus, und vor ihm saß dann die glückliche Mutter mit dem Kind am Herzen, dem Liebesblick seines Auges in unendlicher Seligkeit begegnend; – es waren das so frohe, so glückliche Stunden.

Oh daß sie schwinden müssen, daß Alles nur auf Erden eine Spanne Zeit umfaßt, und während uns die Sonne fröhlich scheint, daß da schon düstre Wolkenschleier unterm Horizonte lagern müssen, die langsam aber sicher höher steigen. Es giebt kein ungetrübtes Glück auf dieser Welt, es kann's nicht geben, denn das Bewußtsein schon, wie nah der Wechsel unserm Leben liegt, wie oft an einer Faser nur das Alles hängt, was uns in diesem Augenblick entzückt, wirft einen trüben Schein selbst auf die frohste Stunde, und das, was uns gerade im Unglück stärkt, was den Blick vertrauend, hoffend dem Lichte zukehrt, wie trüb und traurig uns auch im Herzen sei, und wie die Verzweiflung an ihm nagt und zehrt, die Gewißheit irgend des einstigen Wechsels solcher Leidenszeit, die klopft dann ebenfalls als Mahner an des Glückes Thor, mit leisem Finger, aber still und unverdrossen fort.

Nicht bei René; er war ein Kind im Glück und nahm das Alles mit so frohem leichten Herzen an, wie Kinder Spielzeug nehmen, lachen und springen damit und nicht d'ran denken daß es zerbrechen kann, sich nicht d'rum kümmern. Nach langer schwerer Zeit, wo er viel dulden mußte und ertragen, erschien das Alles hier ihm wie gehörig, wie gerechter Lohn nur für Bestandenes; Sorge hatte er nie gekannt, der Augenblick war ihm des Lebens Trieb gewesen, dem er folgte, dem Augenblick gehörte er auch an, und wie er ebenso im Unglück wenig nur gehofft, sich stets vom Schicksal ausersehn gedacht und kecken trotzigen Muthes darin gerade Freude fand ihm zu begegnen, es zu überwinden, so dachte er auch im Glück nicht oft hinaus wie's einst wohl werden solle, wenn der Tod vielleicht hier oder da die Stützen wegriß, oder and'res Leid mit kalter starrer Hand eingreifen könne in sein junges Glück. Er lebte, liebte, das war ihm genug.

Nicht so Sadie; auf jener stillen Insel still herangewachsen, hatte sie kaum von einem höheren Lebensziel gewußt; der Schwestern sorglose Freuden sorglos theilend, war ihr auch nie ein anderer Gedanke gekommen, hatte sie nie einen andern Fall für möglich gehalten, als mit der Palme am Strand zu blühen, zu gedeihen und unter ihrem Schatten einst in leichter Erde, leicht und hoffend einem neuen, besseren Leben entgegen zu träumen. Da kam René – mit ihm erschloß sich eine neue Welt für sie, mit ihm gewann sie etwas was sie nie geahnt – ein geistiges Leben, neben ihrer Palmenwelt, und Alles das was ihr die Brust von da mit solcher Seligkeit erfüllte, fand in dem einem Herzen nur Ursprung und Ziel – und wenn das eine Herz ihr wieder schwand dann – nein, sie dachte den Gedanken nie aus, und wenn er aufsteigen wollte in ihr, floh sie vor sich selbst, und das Gefühl gewann erst wirklich festen Grund in ihr, bekam erst Farbe und Gestalt, als ihr ein anderer Schmerz durchs Leben zog – das erste schwere herbe Leid der jungen Brust.

Der alte ehrwürdige Mr. Osborne, ein Missionair im wahren Sinn des Worts, der Gottes Liebe voll und wahr im Herzen trug, und Tausenden schon damit Trost gebracht, fand gerade da, wo er Achtung und Anerkennung hätte fordern dürfen, mit seinem treuen ehrlichen Herzen, kalten dürren Grund, und wenn nicht offenen Kampf, weit Schlimmeres – heimlicher Bosheit Pfeil, der oft weit tödtlicher trifft als Blei und Stahl. Herüber und hinüber geschickt auf der Insel, wo er kaum des einen Stammes Herzen sich gewonnen, und wohlthätigen Einfluß auf sie auszuüben begann, gekränkt und angefeindet, geärgert und betrübt, erkrankte er endlich, und ehe René sowohl wie Sadie sich auf den schmerzlichen Verlust der ihnen drohte, vorbereiten konnten, ja ehe selbst nur die Befürchtung solcher Gefahr in ihnen aufgestiegen war, machte ein Nervenschlag seinem Leben ein sanftes und nur zu rasches Ende.

Der Schmerz traf tief in ihr junges, bis dahin ungetrübtes Glück, und Sadie besonders hatte viel, unendlich viel durch ihn verloren. Auch René schmerzte der Verlust des alten wackern Mannes, der ihm ein zwei ter Vater geworden, und ja auch eigentlich viel mit seinetwegen ertragen und geduldet.

Viele Monate vergingen denn auch, ehe sich Beide von dem Verlust erholen, an die Trennung von ihm gewöhnen konnten, und selbst dann noch wollte das Gefühl der Leere nicht ganz weichen – es fehlte ihnen ein Theil ihrer selbst, und der Alles lindernden Zeit mußte es vorbehalten bleiben sie vollständig dafür zu trösten.

Dieser Todesfall war aber auch für René zum Trieb geworden, sich irgend nach einer Thätigkeit umzuschauen, nach der auch, besonders jetzt allein auf sich selbst angewiesen und in der lebendigeren Ansiedlung mit neuen Bedürfnissen erwachsend, sein lebenskräftiger Geist sich sehnte und drängte. Eine solche Beschäftigung wurde ihm aber auch zuletzt zur Nothwendigkeit, wenn er nicht untergehen sollte in dem müßigen, dem Insulaner wohl zusagenden, dem gebildeten Europäer aber auf die Länge der Zeit nicht genügenden Leben.

Kurz vor Mr. Osbornes Tode war ein Theil des Capitals, das René in Frankreich stehen hatte, für ihn auf Tahiti eingetroffen, und er beschloß jetzt dasselbe in kaufmännischen Speculationen anzulegen, und sich außerdem mit dem Handel und Betrieb dieser Inseln bekannt zu machen. Er bedurfte dessen allerdings nicht seine Lage zu verbessern oder seine Existenz zu sichern, denn wenig genügte hier seinem einfachen Leben, aber er wollte einen Antrieb haben, der ihn irgend einem gestellten Ziel entgegen führte, und das zog ihn dann nicht allein nicht von seinem häuslichen Leben ab, sondern mußte diesem sogar einen noch höheren Reiz verleihen.

Seine kleine freundliche Wohnung lag vielleicht eine halbe Meile unterhalb Papetee, dicht am Meeresstrand, von hohen Wi- und Mapebäumen umgeben, und die freie Aussicht nach dem reizenden Imeo hinüber gewährend. Dort, schon mit mancher Europäischen Bequemlichkeit ausgestattet, hatte er sich sein Nest gebaut, und zog ihn auch über Tag dann und wann theils die Anknüpfung seiner Geschäfte, theils das rege politische Treiben dieser lebendigen Zeit für Tahiti, nach der Stadt, so fand ihn der Abend doch stets mit raschen Schritten heimwärts, in die Arme seines trauten Weibes eilend, und schmiegte sich dann das liebe holde Kind, dem die Mutterwürde einen fast noch höheren Reiz verliehen, kosend an seine Seite, dann segnete er wohl oft, in der Fülle seines Glücks, das Schiff, das ihn an diese gastliche Küste geführt, und mehr noch den Entschluß Freiheit und Leben daran gesetzt zu haben den Boden zu betreten, zu dem es ihn, wie mit einer höheren inneren Stimme unaufhaltsam getrieben.

Wie es dabei oft jungen Leuten geht, denen das Schicksal, und wie häufig ihnen zum Heil, in ihrer ersten Liebe, bei ihren ersten ehrgeizigen Plänen, den schon zum Genuß gehobenen Becher von den Lippen reißt, und die dann plötzlich ihre Rechnung mit der Welt abgeschlossen, ihre Ansprüche an das Leben und sein Glück vernichtet glauben und gar nicht einsehen wollen, daß ihnen die Welt erst jetzt so voll und weit die Arme öffnet, fand er Alles, Alles gerade in dem Augenblick erfüllt, wo er sich schon an Abgrunds Rande wähnte, und den Schritt für unvermeidlich, für unabwendbar hielt, der ihn zerschmettert in die Tiefe senden mußte.

Und wenn er dann wieder im Anfang, von einem Extrem zum andern überspringend, jeder Gefahr entrissen, mit jedem Wunsch erfüllt, in einem förmlichen Taumel von Wonne und Seligkeit der neu gefundenen Rettungsbahn, die ihn nun durch blumige Auen führte, wie im Traume folgte, verlor sich doch endlich dieses Gefühl, das ihn auch wirklich sein Glück nur halb empfinden ließ, und mit dem vollen Bewußtsein dessen was er sich hier, in dieser wunderherrlichen Welt gewonnen, kehrte auch unendliche Ruhe und Seligkeit ein in sein Herz – eine Ruhe die sein Weib unsagbar glücklich machte und ihrer Brust letzte, durch die anderen Protestantischen Geistlichen wachgerufenen Zweifel und Befürchtungen beschwichtigte und widerlegte, daß sich der unstete Geist des jungen Mannes so leicht und vollständig dem doch ganz neuen ungewohnten, und gewissermaßen abgeschlossenen Leben dieser Inseln fügen werde.

Wie aber der Wirkungskreis ein weiterer war, den er hier fand, so zeigte sich auch bald das Leben ein ganz anderes, als in dem stillen, abgeschlossenen Atiu. Tahiti, und auf ihm Papetee schien der Mittelpunkt des Handels und Verkehrs für die südlich vom Aequator gelegenen Inselgruppen werden zu wollen, und gerade in letzter Zeit hatten sich mehre Amerikanische wie Französische Familien hier niedergelassen, die den gesellschaftlichen Verhältnissen dieses kleinen Inselstaates einen neuen, bis dahin noch nicht gekannten Aufschwung zu geben versprachen. René dessen liebenswürdiges Benehmen ihm leicht die Herzen derer gewann, mit denen er in Berührung kam, trat bald darauf mit einem der Amerikaner sowohl wie den Franzosen in Geschäftsverbindung, und fand sich auf das Herzlichste bei ihnen eingeführt. Den Frauen besonders lag daran einen geselligen Verkehr auf diesem abgelegenen Punkt zu eröffnen und zu erhalten, und sie hörten kaum daß René verheirathet sei, als sie auch fest entschlossen waren ihn aufzusuchen und mehr an sich und ihr Haus zu fesseln.

René, der recht wohl fühlte daß er sich mit der stärkeren Bevölkerung der Insel, wenn sich besonders noch mehr Europäer herüber zogen, einem mehr geselligen Leben nicht ganz würde verschließen können, ja verschließen mochte, hatte schon seit einiger Zeit angefangen Sadie darauf vorzubereiten, und zum ersten Mal störte ihn hierin ihre ungezwungene Tracht, die dem Klima wie der freien Bewegung des Körpers doch so angemessen war. In den Kreisen in denen er sich aber in einem mehr geselligen Leben bewegen mußte, wäre dieselbe jedenfalls, wenn nicht geradezu ein Hinderniß, doch oft ein Stein des Anstoßes geworden. Allerdings fürchtete er im Anfang diesen Punkt bei Sadie zu berühren – es konnte sie kränken wenn sie glauben möchte sie gefiele ihm weniger jetzt in dem bunten flatternden Tuch, als früher in der ersten Liebe Zeit; aber Sadie war viel zu vernünftig nicht einzusehen, wie sie mit dem Gatten in einen anderen Wirkungskreis getreten wäre und sich dem anzuschmiegen hätte. Die liebe kleine Frau schüttelte wohl anfangs darüber lächelnd den Kopf, aber die neuen Kleider standen ihr vortrefflich, und mit dem, ihren Landsleuten eigenen Scharfblick fügte sie sich so leicht nicht allein in die Tracht, son dern auch in das ganze Neue und Fremde, das dieselbe mit sich brachte, als ob sie von Kindheit an darin aufgezogen gewesen wäre, und nicht erst hätte Alles abwerfen müssen was uns durch Gewohnheit und Sitte aus unserer Jugend noch fast zur andern Natur geworden, und mit unserm inneren Selbst verwachsen ist.

Störend allein griffen manchmal, wenn auch selten, die kirchlichen und dadurch wieder politischen Verhältnisse der Inseln in das Leben der Glücklichen ein, denen sich René selber am liebsten ganz entzogen hätte, wenn ihn eben die Geistlichen in Frieden gelassen. Die Protestantischen Missionaire hielten es aber für ihre Pflicht (ein entsetzliches Wort solcher Herren) die junge, im rechten Glauben erzogene und unglücklicherweise in die Hände eines Ungläubigen gerathene junge Frau, unaufhörlich vor dem Abgrund zu warnen an dem sie stehe, und ihr alle die Schrecknisse vor zu halten die sie erwarteten, wenn sie dem von ihrem Gatten betretenen Pfade folge. Auch das Kind mußte ja dem rechten Glauben erhalten werden, und so bereitwillig sich René, um nur Ruhe von Außen und Frieden im Hause zu haben, allen verlangten Ceremonien fügte, die für unumgänglich nöthig gehalten wurden dem kleinen unschuldigen Erdenbürger eine einstige Seligkeit zu sichern, so mußte er doch zuletzt entschieden gegen einen Theil dieser Menschen auftreten, die in seinem Haus anfingen wie in einem Taubenschlag aus und ein zu fliegen, und auf dem besten Weg waren der armen Frau den Kopf zu verdrehen, und sie melancholisch und unglücklich zu machen.

 

Von den Geistlichen war nur Einer, mit dem er sich gewissermaßen befreundete, und zwar eigenthümlicher Weise gerade Einer der eifrigsten und entschiedensten der ganzen Gesellschaft. Bruder Nelson lebte und webte nur in seiner Mission und behandelte seinen Beruf mit einer Aufopferung, die ihn stets zuletzt an sich denken ließ, und Belohnung nur wieder allein in dem Erfolg suchte und fand, den er dem alleinigen Gott, seiner Meinung und Ueberzeugung nach, errang. Ruhig und fest arbeitete er aber auch ohne Uebertreibung, ohne jenen blinden Eifer an der Besserung und Bekehrung seiner Mitmenschen, und gehörte vor allen Dingen nicht zu jener tollen Schaar die mit dem Wahlspruch »ein Tröpfchen Glaube sei besser wie ein ganzes Meer voll Wissen« das Volk nur für ihre Worte und Formeln fanatisiren wollen, und Sinn und Verstand dabei, mit einem verklärten Blick nach oben, unter die Füße treten.

René unterhielt sich gern und oft mit ihm, selbst über religiöse Punkte und noch mehr und gewaltigern Stoff zur Unterhaltung, aber auch zugleich dabei zu einer neuen Besorgniß, die seinen Eifer ihr zu begegnen nur noch mehr anstachelte, erhielt der ehrwürdige Mr. Nelson in einem neuen Gast des Hauses, der anfangs nur selten kam, sich aber bald dort wohler fühlte und häufiger da gesehen wurde als den übrigen Missionairen, die schon das Schlimmste fürchteten, lieb sein mochte.

Es war dies Einer der Katholischen Priester, denen natürlich daran gelegen sein mußte vor allen Dingen unter ihren Landsleuten festen Fuß zu fassen, von denen aus sie ihre Lehre verbreiten und den Ketzern den schon fast sicher geglaubten Sieg entreißen konnten. Vater Conet hatte den jungen Franzosen und Landsmann aufgesucht, und trotzdem daß er von diesem, der nicht mit Unrecht dadurch den religiösen Kampf über seine eigene Schwelle zu ziehen fürchtete, im Anfang etwas kalt empfangen und aufgenommen wurde, sich so liebenswürdig betragen, und sich so fern auch selbst von jedem Schein eines Bekehrungsversuches gehalten, daß René bald in ihm nur den lieben, ihm herzlich willkommenen Landsmann sah. Selbst Bruder Nelson, der mit ihm einige Male da zusammentraf und es zuletzt unmöglich fand im Gespräch das was ihnen beiden so nahe lag, die Religion ganz zu vermeiden, lernte ihn mit jedem Tage mehr als einen durchaus gebildeten, anständigen Mann kennen, daß er nicht allein Nichts mehr gegen seine Besuche des Hauses einzuwenden hatte, sondern sie im Gegentheil anfing gern zu sehn und absichtlich ein und dieselbe Stunde mit dem katholischen Priester wählte, ihn dort zu treffen.

Unter den übrigen Geistlichen hatte aber, nichtsdestoweniger daß Bruder Nelson das Haus besuchte, der überhaupt lange nicht als entschieden und orthodox genug unter ihnen galt, mehr und mehr der Verdacht Wurzel geschlagen, daß der katholische Priester wirklich die heimliche Absicht habe, die junge Frau schon aus den Armen der rechtgläubigen Kirche herauszureißen und der seinigen zuzuführen, und der Ehrwürdige Bruder Dennis, der fanatischeste unter den Fanatikern, fühlte sich vor allen anderen dazu berufen, für die junge Christin wie ihr Kind als Kämpfer aufzutreten.

Mehrmals trafen sich hierauf die beiden Geistlichen, Bruder Dennis und Conet in René's Wohnung, selbst während dessen Abwesenheit; Bruder Conet fand aber bald welch ein anderer Geist diesen Mann beherrsche wie den ehrwürdigen Nelson, und vermied sorgfältig auch nur die mindeste Begegnung mit ihm auf geistlichen Gebiet unter dem, ihm befreundeten Dach. Artig aber entschieden wieß er den wieder und wieder gebotenen Kampf zurück. René erfuhr das auch, und gewann ihn dadurch um so lieber; vergebens bat er aber den frommen Mr. Dennis dagegen, von solchen Versuchen bei ihm abzustehn, da erstens nicht einmal die geringste Gefahr irgend eines Glaubenswechsels für Sadie vorhanden sei, ja die Frau sogar viel schwärmerischere Ideen bekam, als ihm schon lieb war, und er auch nicht gern sein häusliches Glück dem Zwiespalt opfern wollte, der die ganze Nation zu verschlingen drohte. Der fromme Geistliche hatte höhere Pflichten als gegen die Menschen und ihr häusliches Glück – er hatte Pflichten gegen Gott und denen mußte er folgen, gleichviel wohinaus sein Weg ihn führte. Der Allmächtige hatte ihn und seine Brüder jenem glorreichen Beruf erwählt, Sein Wort, Seine Lehre, den Heiland der Welt und den Heiligen Geist den Heiden dieser Seeen zu bringen und jubelnd in dem Gefühl – jubelnd in der Seligkeit der Ueberbringer so froher Botschaft für die Verlorenen zu sein, schritt er vorwärts, das Kreuz in der gehobenen Rechten. Wohl lauerte der Feind jetzt mit einem trügerischen Schatten desselben Kreuzes die schon fast Geretteten von der richtigen Bahn wieder abzulenken; schon streckte er die gierige Teufelsfaust aus, und Gefahr drohte der kleinen Schaar der Rechtgläubigen von allen Seiten; aber fest und unerschrocken wandelten sie, die von Gott Beauftragten, ihre Bahn. Ihr Loos war ein schweres, ihr Ausgang ein zweifelhafter, aber sie zögerten nicht in dem begonnenen guten Werk, und Gott, der die Herzen der Menschen sah und ihre innersten Thaten, würde sie einst richten, ob sie recht gehandelt hätten vor Seinem Angesicht.

Bruder Nelson fühlte und achtete den Grund, der den französischen Priester bewog mit dem fanatischen Geistlichen keinen religiösen Kampf zu beginnen, was nur in offener Feindseligkeit enden konnte, ja diesen Weg schon mehremal, selbst ohne Entgegnung, durch des frommen Mannes Heftigkeit zu nehmen gedroht hatte. Er machte auch seinem Collegen darüber mehrmals freundliche Vorstellungen, die dieser aber nur heftig erwiederte, und in René's Wohnung war es solcher Art schon mehrmals zwischen den beiden befreundeten Geistlichen selbst, was der Katholik stets vermieden hatte, zu, wenn nicht feindlichen, doch sehr lebhaften und jedenfalls für die Zuhörer unangenehmen Auftritten gekommen.

René hätte sich Sorgen machen können, des aufsteigenden Wetters wegen, aber sein leichter fröhlicher Sinn ließ das auch leicht an sich vorübergehn, und zog's ihm auch manchmal die Stirne kraus, ein Blick auf sein trautes Weib, glättete sie rasch wieder, und ein Lächeln ihres Mundes trieb ihm wie fröhlicher Sonnenschein durch's Herz.

Die ehrwürdigen Herren Nelson und Dennis hatten denn auch, nur wenige Tage nach der Versammlung, wieder einmal in René's Wohnung eine sehr ernste Debatte gehabt, in der der letztere, wie gewöhnlich, Sieger geblieben, das heißt das letzte Wort behalten, und Sadie war zum ersten Mal traurig geworden daß René über Beide lachte, und überhaupt die Sache, die doch auch seinen Gott betraf, so entsetzlich leicht nehmen wollte. Die Geistlichen hatten lange das Haus verlassen, der, schon vorher beschriebenen Versammlung beizuwohnen, und René und Sadie saßen jetzt, Hand in Hand, die junge Frau das wirklich sorgenschwere Haupt an des Gatten Schulter gelehnt, vor ihrem Haus, während die kleine Sadie in dem Schooß der Mutter lachte und strampelte, und des Himmels Blau in ihren klaren großen Augen wiederspiegelte.

»Und bist Du noch bös auf mich, Sadie?« flüsterte René nach einer langen langen Pause, in der er seine Lippen an ihre Stirn gepreßt gehalten.

»Bös, auf Dich, René?« sagte die Frau, und schüttelte wehmüthig lächelnd mit dem Kopf – »ich glaube nicht daß ich bös auf Dich werden könnte. – Das ist auch ein gar trauriges schmerzliches Wort; nur ein wenig – nur ein ganz klein wenig weh hast Du mir gethan – aber es gereut mich schon daß ich Dir Vorwürfe darüber gemacht. Du hattest es sicher nicht so gemeint, wie ich thörichtes Kind es aufgenommen; – ich muß Dir auch gestehen – «