Buch lesen: «Südamerika»
1. Die Ausfahrt
An Bord des Talisman in der Weser – 18. März 1849. Es ist ein wunderliches, eigentümliches Gefühl, an Bord eines Fahrzeuges, vor Beginn einer langen Seereise, noch im alten Vaterland fest vor Anker zu liegen, und diesem, während man die Reise selber noch gar nicht begonnen, den heimischen Boden noch nicht verlassen hat, doch auch eigentlich schon nicht mehr anzugehören – es ist ein wunderliches aber auch recht fatales Gefühl und hält unsere Nerven in einer Abspannung, die uns zuletzt ordentlich den Zeitpunkt ersehnen läßt, vor dem es Manchem im Anfang wohl heimlich gebangt hatte – den Abschied von seiner Muttererde.
Auf die Passagiere eines Auswandererschiffes macht das übrigens den verschiedenartigsten, wenn auch im Endresultat sich ziemlich gleich bleibenden Eindruck. Unthätig und mit langweiligen verdrossenen Gesichtern treiben sich die Meisten von ihnen bald an dem, kaum fünfzig Schritt entfernten Land (wir liegen dicht vor Groß’s Hotel in Brake) – bald an Bord umher, und so ungemüthlich, so unbehaglich Alles am Ufer ist, ebenso jeder Bequemlichkeit und Ruhe förmlich trotzend, ist es an Bord.
Fortwährend treffen noch neue Passagiere mit einer Masse von Gepäck ein, als ob jeder Einzelne erwarte, die Arche Noäh zu eigener Disposition gestellt zu bekommen. – Alle Luken sind geöffnet, Kisten, Koffer, Bettsäcke, Körbe, Schachteln etc. stehen überall in Menge; kein Mensch findet was ihm selber gehört, Namen werden verwechselt und Koffer und Kasten waren es von Anfang an. Die Matrosen, die diesem gewohnten Treiben dabei mit der äußersten Gleichgültigkeit zuschauen, steigen in einer wahrhaft fabelhaften Gemüthsruhe über das wild umhergestreute Passagiergut hin und her, treten Hut- und andere Schachteln in ganz unbestimmte Formen und Fayons, hissen, was ihnen in den Wurf kommt – manchmal nur durch das verzweifelte Zuspringen der Passagiere verhindert – in den unteren Raum, etwas mehr unter den Füßen weg zu bekommen, und kehren sich sonst an gar nichts, während sich die Zwischendecks und auch Cajütspassagiere gerade im Gegentheil um Alles bekümmern, jedes Collo besehen und untersuchen wollen, über die Luken hinüber oder auch hineinschreien, und Alles thun, was in ihren Kräften steht, die Verwirrung aufs Aeußerste zu steigern.
Nasses Wetter vermehrt nur natürlich das Unangenehme, ja Widerliche solchen Zustandes, und kein Wunder, daß Mancher wirklich voller Verzweiflung in das dunkle Chaos – in die Höhle des Zwischendecks, niederstarrt, aus der ihm ein enormer widerlicher Dunst entgegenquillt, und die ihm nicht fünf bis sechs Wochen, wie auf einer Reise nach Newyork, nein ebensoviele Monate hindurch zum fast alleinigen Aufenthaltsort dienen soll. Wäre Tausenden von diesen ein solcher Blick verstattet gewesen, als sie noch zwischen »Auswandern« und »zu Hause bleiben« im Geiste schwankten, wie Viele, o wie unendlich Viele würden nie in ihrem Leben ein Schiff betreten, die aber können jetzt natürlich nicht mehr zurück, und müssen nun auch, mit einem alten deutschen Sprüchwort, ausessen, was sie sich vorher in aller Unschuld auf das sorgfältigste eingebrockt hatten.
Was das Gepäck übrigens betrifft, so ordnet sich das, erst einmal ein paar Tage in See, gar bald von selber. – Ganz unglaubliche Quantitäten werden in die wirklich kleinsten Räumlichkeiten weggestaut, und Sachen und Gegenstände, an deren Unterbringen man bis dahin förmlich verzweifelte, bekommen einen Platz und scheinen vollkommen gut aufgehoben – bis dahin aber heißt es »Geduld und Fügsamkeit« bis ins Unendliche.
Unsere Passagiere für Californien – denn der Talisman ist direkt nach San Francisco bestimmt – bilden eine höchst eigentümliche und wirklich interessante Masse. Es sind fast lauter junge kräftige Leute, die jenem abenteuerlichen Leben des neu entdeckten Eldorado mit so goldenen Träumen entgegengehen, wie sie nur je ein Alchymist in seiner düsteren Stube geträumt hatte – keine einzige Frau – kein Kind ist zwischen ihnen. Die meisten, besonders die Zwischendecks-Passagiere, sind dazu, bei ihrer Ankunft an Bord, bis an die Zähne bewaffnet, Manche auf wirklich komische Art. So kam gestern Einer vom Dampfboot auf den Talisman mit einer Flinte, einem Spaten und – einem baumwollenen Regenschirm. »Mit dem Spaten willst Du wohl s’ Gold ’rauskriegen?« frug ihn ein Matrose. »Ich werd’s doch nicht sollen mit den Händen raußer krabbeln,« antwortete ihm der Mann im höchsten Ernst.
Spaten führen übrigens die Meisten bei sich; Manche Dutzende davon – auch Massen von alten Säbeln, Pistolen, Dolchen, Bajonnet-Flinten und überhaupt Waffen kommen zum Vorschein, als ob eine Rüstkammer geplündert wäre, oder ein Antiquitätencabinet aufgestellt werden sollte. Eine Persönlichkeit darf ich jedoch hier nicht übergehen, denn sie hat nicht allein bei uns, sondern auch in ganz Bremen großes Aufsehen erregt. Es ist das ein Messerschmied aus Magdeburg – hier jetzt nur kurzweg der Riese genannt, der ebenfalls nach Californien auswandern will.
Der Leser denke sich eine wahre Herkulesgestalt, von riesigem Körperbau mit krausem Bart, rothen Wangen und gutmüthigen klaren Augen – nur ein klein wenig zu bauchig, also eine Figur, die schon ohnedieß durch ihren kolossalen Umfang aufgefallen wäre, nun auch noch nach folgender Art gekleidet: grüne Blouse, helle Beinkleider und weißen Turnerhut; um den Leib einen etwa fünf Zoll breiten weißen Ledergurt und an diesem erstens einen wahrhaft riesigen Pallasch, der über die Steine klirrt, neben diesem einen Hirschfänger, der an der Stelle allerdings nur wie ein Messer aussieht, und neben dem Hirschfänger noch einen gigantischen »Rickfänger« zum Zusammenklappen – ebenfalls etwa 18 Zoll lang. Außerdem trägt diese Titanengestalt einen Dolch mit Terzerolläufen daran, wie eine verhältnißmäßige Anzahl von Pistolen.
Noch abenteuerlicher, ja fast komisch wird aber diese Persönlichkeit durch ihre Begleitung. Es sind das drei, hier jetzt »Trabanten« genannte Individuen, die den mächtigen Führer in Diminutivform, wie die Lootsen den Haifisch, umschwimmen. Drei sehr kleine Männer, ebenfalls in grünen Blousen, Turnerhüten und mit dem weißen Gurt, also ganz wie junge Riesen, und nur statt des Pallasches mit sehr kurzen Messern oder Hirschfängern an der Seite. Ich habe wirklich lange nichts Originelleres gesehen.
Der Riese ist dabei allem Anschein nach ein höchst gutmüthiger, ja fast gemächlicher Mann— wie das meist alle großen kräftigen Naturen sind – er läßt sich Pallasch und Messer von allen Leuten herausziehen und untersuchen, und kommt mir überhaupt vor wie ein Kauffahrer, der Kanonen ohne Munition führt. Wie mir gesagt wurde, kann der Mann – charakteristisch ja auch natürlich genug, nicht reiten, und soll einen kleinen Handwagen benutzen wollen. Wie der wohl Californien betritt? —
Die Auswanderung scheint dieses Jahr, wie sich das auch kaum anders erwarten ließ, an Größe alle anderen Jahre weit zu übertreffen. Bremen schwärmt von Auswanderern aus allen Theilen Deutschlands, und jeder Bahnzug bringt neue Massen, ja nicht selten sogar müssen Extrazüge genommen werden, die Hinzuströmenden zu befördern. Die Weser-Dampfboote können in ihren regelmäßigen Fahrten gar nicht einmal mehr alle Passagiere ihren Schiffen und den äußeren Häfen zuführen, und selbst die Schleppdampfer müssen deßhalb mit zum Passagiertransport genommen werden, was bis dahin noch in keinem anderen Jahr nöthig geworden war. In Brake liegt eine sehr große Anzahl und Bremerhafen soll ebenfalls überfüllt seyn.
Unser Fahrzeug, der Talisman, ist ein wackeres, noch ziemlich neues und gut aussehendes Schiff (eine Barke von 180 Last) und soll schnell und gut segeln. Der Capitän ist noch ein junger Mann und macht seine erste Reise als wirklicher Führer eines Schiffes. Der Cargadeur ist ein »befahrener« im Seeausdruck »weit zur See gewesen«) und wackerer Mann, die Passagiere scheinen fast durchgängig der gebildeten Klasse anzugehören, und alle Aussichten sind also vorhanden – wind and weather permitting – eine angenehme und schnelle Fahrt hoffen zu dürfen.
Der Zudrang nach Californien hat übrigens, wie es scheint, mit der Ausrüstung dieses Fahrzeugs erst begonnen; nicht einmal all die Fracht kann mitgenommen werden, die eingeliefert wurde, und die Firma Heydorn und Comp., die noch mehrere andere Schiffe dem Talisman nachzusenden gedenkt, beabsichtigt auch in San Francisco ein Zweiggeschäft unter der Firma Pajeken Frisius und Comp. zu etabliren. Herr Clemens Pajeken geht mit dem Talisman, Herr Frisius mit der Gesina als Cargadeur hinüber.
Gestern Abend ging hier bei Brake das neue deutsche Kriegsdampfschiff Britannia unter dem Abfeuern der Landböller vor Anker – es ist ein tüchtiges, stark und scharfgebautes und gewiß schnelles Boot und wird hoffentlich sein Möglichstes gegen den Feind thun (o schöne Träume). Mit freudigem Stolz sah ich an seinem Bord die schwarz-roth-goldene Flagge wehen – möge sie über alle ihre Feinde triumphiren.
Nachdem wir uns nun über eine Woche in einem solchen Zwitterdaseyn zwischen Reisenden und Ansäßigen herumgetrieben, kam endlich die frohe Botschaft, daß wir »unter Segel gehen,« oder wenn wir keinen günstigen Wind bekämen, wenigstens mit der rückströmenden Ebbe der Mündung der Weser zutreiben sollten. Unsere Geschäfte mit dem Land waren bald abgebrochen und regulirt, und noch an demselben Abend lösten wir die Taue, die uns noch am Ufer hielten und schwammen den Fluß hinunter. Die Nacht mußten wir freilich wieder vor Anker gehen, und dasselbe Spiel trieb der Wind mit uns den nächsten Tag.
Gerüchte über neuausbrechende Feindseligkeiten mit Dänemark gaben uns dabei ziemlich gegründete Ursache, eine Unterbrechung unserer Reise fürchten zu müssen, falls wir nicht den Canal, wenigstens vor der Aufkündigung des Waffenstillstands, erreichten, denn unsere Flotte lag noch in den Windeln (ich dachte damals wahrlich nicht, daß ich sie bei der Rückkehr schon im Leichenhemde finden sollte) und dänische Kreuzer hätten uns einen bösen Strich durch die Rechnung machen können.
Der Abschied vom Vaterland ist schon immer an und für sich ein trübes niederdrückendes Gefühl, selbst wenn die Fahrt günstig und den Wünschen entsprechend ist, wie nun, wenn noch Mißmuth und Langweile über aufgehaltene, ja bedrohte Fahrt hinzukommen, und kein Wunder also, daß sich die Meisten, unserer Passagiere mürrisch und unzufrieden an Deck herumtrieben, und sicherlich mit nicht günstigen Augen das letzte Stück ihres Vaterlandes, die niederen monotonen Ufer des Weserstromes, betrachteten, als ein eigenthümlicher Zwischenfall der ganzen Sache eine andere Wendung gab.
Der größte Theil der Passagiere bestand, wie schon gesagt, aus jungen, unverheiratheten Leuten, und von diesen war Einem derselben schon an Bord, ich glaube sogar durch den Lootsen, aus Neckerei das Daguerreotyp eines nicht besonders geachteten Mädchens nachgesandt. Das schien unter den Passagieren bekannt geworden zu seyn; die Seeleute mochten es wohl ebenfalls erfahren haben, und plötzlich hieß es, das Bild gerade sey es, das den bösen Wind bringe, und wir müßten hier so herumtreiben, bis es über Bord geworfen wäre. Es dauerte auch gar nicht lange, so war schon der Beschluß gefaßt es der Tiefe zu übergeben, denn Seeleute wie Jäger sind alle ein wenig abergläubisch. Das Gerücht des beabsichtigten Opfers lief mit Windesschnelle von Mund zu Mund und unter donnerndem Hurrah flog, wenige Minuten später, das arme Bild in den stillen Weserstrom hinab.
Ob sich nun irgend ein, bei den Blasebälgen droben, angestelltes Engelein einen Spaß mit uns machen wollte, oder das Bild wirklich auf irgend eine elektromagnetische Weise mit den Geistern der Luft in Verbindung stand; kurz, so viel war gewiß, die kleine Tafel konnte kaum den Wesergrund berührt haben, als sich die Segel leise an zu heben fingen, vorn am Bug begann das Wasser zu kräuseln, die auf dem Strom schwimmenden Blasen, mit denen wir bis dahin friedlich niedergetrieben waren, blieben zurück, und in kaum einer Viertelstunde hatten wir eine zwar leichte, aber doch günstige Brise, die von Stunde an wuchs und uns endlich mit vollgeblähten Segeln, und zwar noch an demselben Abend, an den letzten Wesertonnen vorüber in die Nordsee hineinführte.
Als wir Bremerhafen gerade gegenüber waren, kam ein Boot von dort ab, zwei Leute saßen darin, ruderten aus Leibeskräften und hatten es nur ihrem zeitig genug vom Ufer fahren zu danken, daß sie uns wirklich einholten, denn das Schiff lief wenigstens fünf Knoten durchs Wasser. Die Passagiere standen fast Alle an Deck und schauten gespannt nach diesem letzten Boten vom festen Land herüber. Der Capitän glaubte, es sey eine Depesche für ihn, und die Uebrigen zerbrachen sich den Kopf, was die Sendung zu bedeuten haben könne, denn Niemand befand sich im Boot, als eben die beiden Rudernden. Und was brachten sie? – einen Brief für einen der Zwischendeckspassagiere.
»He – Schulze – Schulze – ein Brief für Dich!« rief es aus einer Anzahl Kehlen, als das heranschießende Boot von einem zugeworfenen Tau gehalten, mit dem Talisman fortgezogen wurde, und Einer der Bootsleute an Bord gesprungen war.
»Ein Brief für mich?« sagte der Angeredete, der sich jetzt hinzudrängte, anscheinend ganz erstaunt, ja fast erschreckt, »ich gehe nicht wieder zurück.«
Während noch einige der Uebrigen lachten, erbrach er den Brief und frug zugleich den Bootsmann, was er als Botenlohn zu beanspruchen habe.
»Einen Dollar,« lautete die tröstliche Antwort, die den armen Teufel von Passagier nicht wenig erschreckte – »einen Dollar,« wiederholte er ganz verblüfft und las dabei zugleich den Inhalt des Briefes halblaut vor sich hin – lieber Bruder, ich rufe Dir nochmals ein Lebewohl aus der Ferne zu – ich wünsche Dir eine recht glückliche Reise und gute Gesundheit – und das kostet einen Dollar – und laß recht bald etwas recht Gutes von Dir hören – es grüßt und küßt Dich tausendmal Dein getreuer Bruder Franz – und dafür will ich mein ganzes Leben lang nichts weiter thun, als Briefe transportiren – wie können Sie denn dafür einen Dollar fordern?«
»Das ist Taxe,« betheuerte der Mann, »und es war wahrhaftig keine Kleinigkeit, das Schiff mit solchem Fortgang noch einzuholen – seyen Sie froh, daß wir noch zur rechten Zeit gekommen sind.«
»Ich?« – sagte der Passagier ganz erstaunt – »für einen Thaler zehn Silbergroschen das Stück wünsch ich den Leuten das ganze Jahr hindurch eine »glückliche Reise« – ich wollte Sie wären eine halbe Stunde später gekommen.«
Der Mann mußte jedoch seinen Dollar bekommen, und Herr Schulze fügte sich endlich seufzend darein, nachdem er dem Bootsmann noch vorher den, wenn auch vergeblichen Vorschlag gemacht hatte, ihm den Brief für das halbe Porto wieder abzunehmen.
Aus der Weser erst hinaus wurde der Wind immer schärfer und besser, wir mußten aufbrassen und liefen vor günstigster Brise wohl sieben bis acht Meilen.
Dem nicht nautischen Leser hier übrigens gleich im Anfang wenigstens einen Begriff der nautischen Rechnungsart zu geben, werden ein paar Worte genügen. Der Lauf des Schiffes wird nach dem Log gemessen – (jedes Conversationslexikon gibt darüber Auskunft) – und wenn es heißt, das Schiff läuft z. B. acht Knoten in der Stunde (nach den Merkmalen in der Loglinie) – so sind damit englische Meilen gemeint; heißt es acht Meilen in der Wacht, so sind das geographische oder vielmehr nautische. Vier englische gehen aber auf eine nautische, und vier Stunden auf eine Wacht, so daß acht Knoten oder Meilen (engl.) die Stunde – auch dasselbe ist, was acht Meilen die Wacht bedeutet, denn wenn man von der Wacht spricht, rechnet man nur nach nautischen Meilen.
Donnerstag Abend um sieben Uhr liefen wir also in die Nordsee ein – am Freitag Abend mit Dunkelwerden sahen wir schon die Leuchtfeuer von Dover – etwas später auch die von Calais und Sonntag Morgens, am 25. erreichten wir die Mündung des englischen Canals.
»With the blue above and the blue below
And silence reigns wherever we go«
So lagen denn all die gefährlichen Dünen und Sandbänke der Nordsee – all die grünen Untiefen des Canals glücklich hinter uns – mit diesen allen aber auch die Heimath, und es war ein wahrlich nicht zu beschreibendes Gefühl das mich ergriff, als ich endlich einmal wieder auf dem blauen, so wundervoll blauen Ocean, aber auch so fern von den Meinen schaukelte, nun auf’s Neue einem wilden tollen Leben in die Arme gesprungen.
Die Gefühle meiner Mitpassagiere schienen größtentheils anderer Art; mit nur sehr geringen Ausnahmen wurden die meisten seekrank, und wen nicht das grimme Seeleid, den jagte gewiß die nichtswürdige Kälte unter die Decken, so daß das Verdeck die ersten Tage ziemlich verödet lag. Von günstigem Wind getrieben schossen wir aber rasch dahin, und mit dem freudigen Bewußtseyn einen ziemlich fatalen Theil der Reise überstanden zu haben, mischte sich jetzt auch noch das beruhigende Gefühl jeder Gefahr eines, durch die dänische Blokade möglichen Aufenthalts glücklich entgangen zu seyn. Da tauchte ein Segel am Horizont auf – es kam näher, und unsere Fernröhre zeigten uns eine, gegen den Wind anlavirende Brigg.
Ein Segel auf offenem Meere ist stets ein interessanter Gegenstand, um so mehr dieses, da es das erste war, das uns auf dem Ocean in Sicht kam, und wir schauten seinem Nahen mit gespannter Aufmerksamkeit entgegen. Es kam mehr und mehr heran – an unserem Gaffelbaum flatterte die Bremer Flagge und von dem anderen Fahrzeug – stieg grüßend die dänische – das weiße Kreuz im rothen Felde, empor. Es war vielleicht ein Holsteiner, aber jedenfalls wehten diese beiden feindlichen Flaggen hier – was auch die Nationen daheim gegeneinander beginnen mochten, sich friedlich gegenüber, und stiegen zuletzt Abschied nehmend dreimal auf und nieder.
Mit derselben herrlichen Brise erreichten wir die Breite der Insel Madeira, die wir jedoch nicht zu Gesicht bekamen, und trafen hier den Nordostpassat, der uns eine rasche Fahrt, unserem nächsten Ziele zu, versprach, oder uns doch wenigstens glücklich und schnell unter den Aequator bringen mußte.
Die See, die bis dahin eine sehr starke Dünung gehabt, wurde in den Passaten ziemlich ruhig, die Seekranken erholten sich vollkommen, und man sah wieder einmal freundliche belebte Gesichter und – etwas sehr seltenes bis dahin – hungrige Mägen. – Es wird jetzt aber auch Zeit, daß ich zu unserem Schiff und dessen Passagieren und Eintheilung übergehe.
Der Talisman führte 101 Passagiere – 31 in der Cajüte und 70 im Zwischendeck, und es ist dieß vielleicht das erste deutsche Auswandererschiff das, gänzlich ohne Frauen an Bord, fast nur mit jungen Leuten in See, einem fernen Welttheile zuging. Die erste Woche auf dem Meere zeigte aber schon wie nöthig es sey, daß eine gewisse Ordnung besonders in das Zwischendeck gebracht werde, wo Ordnung und Reinlichkeit auf einer so langen Fahrt durch die heiße Zone besonders nöthig sind, und wo doch eigentlich niemand verpflichtet war darauf zu sehen. Die Passagiere entwarfen deßhalb unter sich (wobei sich besonders ein Herr Kamberg verdient machte), Statuten, erwählten K. zum Präsidenten des Zwischendecks, andere Passagiere zu Vorständen, und erreichten dadurch vollkommen alle die Bequemlichkeiten, die durch Ordnung und Reinlichkeit nur erreicht werden konnten. Diese Statuten zeigten sich um so vorzüglicher, da sie in ihren einzelnen Punkten erst aus dringender Nothwendigkeit hervorgegangen waren, und ich will deßhalb für später nachfolgende Schiffe eine Abschrift derselben hier beifügen.
Zwischendecks-Statuten der Barke Talisman.
»Es kann einem jeden Passagier des Talisman nur daran gelegen seyn, daß Ordnung, Reinlichkeit und gegenseitiges anständiges Benehmen unter den Passagieren eingeführt und festgehalten werde. Zu dem Ende haben sämmtliche geehrte Mitreisende diese Statuten durchzulesen und ihre Genehmigung zuzusagen, indem ja zu erwarten steht, daß jeder Ordnungs- und Friedliebende mit dem Inhalt derselben vollkommen einverstanden seyn wird.
§. 1. Jeder Bettkamerad hat genau darauf zu sehen, daß die in einer Coje liegenden Passagiere allwöchentlich ein reines Hemde, überhaupt reine Leibwäsche anziehen.
§. 2. Es muß durchaus von jedem Mitreisenden darauf gesehen werden, daß niemand sich im Zwischendecke wasche oder den Kopf reinige.
§. 3. Es werden von den Passagieren täglich zwei die Tour übernehmen, um Reinlichkeit und Ordnung im Zwischendeck aufrecht zu erhalten.
§. 4. Rauchen und Feuer anmachen im Zwischendeck kann nicht gestattet werden.
§. 5. Alle 14 Tage findet eine neue Vorstandswahl statt, und muß der Gewählte die Stelle das erstemal annehmen.
§. 6. Jeder Passagier muß seinen Koffer so einrichten, daß er die nothwendigsten Sachen nur in dem einen Collo behält und die übrigen Sachen zum »verstauen« oder »in den unteren Raum packen,« geben kann.
§. 7. Jedes Gepäck muß in oder vor der zu bewohnenden Coje placirt werden.
§. 8. Es darf nichts im Zwischendeck auf die Erde geworfen werden, wie z. B. Härings- oder Citronenschalen, Brod, Fleisch u. s. w., auch darf darin keine Pfeife gereinigt, noch Cigarrenstummel weggeworfen werden.
§. 9. In der Coje selbst darf kein Essen aufbewahrt werden, die Erfrischungen natürlich ausgenommen, die vom Lande mitgenommen sind, wie z. B. Citronen, Zucker, Getränke, Tabak, Cigarren u. s. w.
§. 10. Derjenige, der sich Essen aufbewahren will, muß dafür Sorge tragen, daß dieses außerhalb der Coje an einem festen Orte seinen Platz findet, ohne irgend jemand zu belästigen.
§. 11. Jeden Morgen um acht Uhr haben sich die Passagiere aus dem Zwischendeck zu entfernen, damit dieses gereinigt werden kann.
§. 12. Die Reinigung geschieht in der Reihenfolge, und zwar den vom Vorstand zu bestimmenden Nummern der Coje nach.
§. 13. Die Matrazen werden ebenfalls aus bestimmten Cojen jeden Morgen und abwechselnd aufs Verdeck gebracht und von ihren Eigenthümern ausgeklopft und gelüftet.
§. 14. Der Aus- und Eingang der Passagiere von Coje Nr. 1, 2, 3, 4, 11, 12, 13 und 14 geschieht durch die große Hinterluke; der der Bewohner der Cojen 5, 6, 7, 8, 9, 10, 15, 16, 17, 18, 19 und 20 durch die Vorderluke.
§. 15. Wer von den Passagieren vor dem Reinmachen nicht aufgestanden ist, muß liegen bleiben bis alles in Ordnung ist.
§. 16. Beschwerden jeder Art müssen dem Vorstand angezeigt werden, und wird dieser bemüht seyn solche zu beseitigen.
§. 17. Daß obige Paragraphen in allen ihren einzelnen Punkten befolgt werden, dafür wird der von den Mitreisenden gewählte Vorstand Sorge tragen.«
Ich habe die vorstehenden Statuten fast wörtlich nachgeschrieben und ihre Nutzbarkeit hat sich in den späteren Monaten auch vollständig bewährt.
So nöthig aber auch Ordnung und Reinlichkeit auf einem Schiffe sind, so verlangen die Passagiere doch gewöhnlich noch mehr als diese, und Leute die noch nie eine Seereise gemacht haben, und vielleicht gar mit dem Gedanken an Bord kommen, hier dieselben Bequemlichkeiten zu finden wie auf dem festen Land, müssen sich denn wohl, wie das auch kaum anders geschehen kann, sehr in ihren Erwartungen getäuscht finden.
Sonderbar oder vielmehr eigenthümlich ist es dabei, daß gerade solche, die es in der Heimath am schlechtesten hatten, die den meisten Entbehrungen ausgesetzt waren und sich kaum so gute und regelmäßige Kost, bei harter Arbeit, verschaffen konnten, wie sie es jetzt auf dem Schiff bekamen, es auch stets zuerst sind die unzufrieden über Essen und Trinken werden, während gerade die Verwöhntesten, die gleich mit der Voraussicht von vielen Entbehrungen an Bord gingen, es auch meistens am ruhigsten und geduldigsten ertragen, und es eher unter ihrer Würde halten über solche kleine Unbequemlichkeiten, die nun doch einmal mitgemacht werden müssen, ein Wort zu verlieren.
Unser Schiff hatte hierin noch einen besonderen Nachtheil. Auf kurzen Reisen, wie nach den Vereinigten Staaten, oder selbst nach Rio de Janeiro, wo der längste Termin der Fahrt, wenn nicht ein besonderer Unglücksfall eintreten sollte, zwei Monat seyn kann, läßt Mancher schon eher fünfe gerade seyn, und wenn er erst anfängt irgend einen Uebelstand zu fühlen, so ist dann auch schon ein so bedeutender Theil der Reise zurückgelegt, daß sie es kaum noch der Mühe werth glauben eine Aenderung zu verlangen. Unsere Fahrt mußte dagegen, selbst im günstigsten Fall schon fünf Monate dauern, ja es konnten sechs und sieben daraus werden, und wo andere Reisende es bald überstanden wußten, da begannen es die Unsrigen erst recht zu fühlen und schlugen Lärm. Hierzu kam noch daß wir Deutschland gerade in der bewegtesten Zeit verlassen hatten und Volksversammlungen so zu sagen ein »dringendes Bedürfniß« geworden waren; die Folgen blieben deßhalb nicht aus.
Unzufriedenheit murrte gar bald an Bord des Talisman – im Zwischendecke wie in der Cajüte, und besonders klagte das erste, und zwar nicht ohne Grund, über ungenießbares, oder wenigstens allzu zähes und altes Fleisch, wie – allerdings ohne Grund, über Beschränkung des ihnen versprochenen Raumes.
In der Cajüte waren ebenfalls viele Unzufriedene, gegen die Kost sowohl, wie gegen die Schlafbehälter der neueingerichteten oder besser gesagt oktroyirten Cajüte, die eine zweite, unter Deck gelegene Abtheilung der eigentlichen über Deck gelegenen aber kleinen Cajüte bildete, und in der That etwas viel Personen, besonders für einen Aufenthalt unter der heißen Zone faßte.
Hierzu waren den Leuten in Bremen so günstige Versprechungen gemacht, daß sie bei so niederem Fahrpreis, selbst nicht mit dem besten Willen gehalten werden konnten, sollte der Rheder nicht augenscheinlichen Schaden dabei haben. Der Passagepreis war nämlich 200 Rthlr. Gold Cajüte, und 125 Rthlr. Gold Zwischendeck, mit Beköstigung für eine Reise, auf die man recht gut durchschnittlich ein halbes Jahr rechnen konnte.
Viele der Passagiere schienen dabei den festen, unerschütterten Glauben zu haben, daß der Passagepreis unter jeder Bedingung auch wieder heraus gegessen werden müsse, auf die Passage selber rechneten sie gar nichts.
Das Alles gab die Ursache mancher fatalen Scene an Bord, Volksversammlungen wurden gehalten und Präsidenten erwählt, Commissionen ernannt und Adressen entworfen, und die Regierung wäre jedenfalls durch die sehr große Majorität abgesetzt worden, hätte man nur eben, wenn auch nicht eine bessere, das wäre das wenigste gewesen, aber nur eine andere gehabt.
Der einzige Trost war noch die hoffentlich baldige Ankunft in Rio de Janeiro, denn dort sollte einer bedeutenden Anzahl von Uebelständen abgeholfen oder was nicht zu heben war, doch wenigstens gebessert werden.
Unsere Reise selbst bot wenig Merkwürdiges; am 13. April kamen wir in Sicht der schroffen, kahlen, baumlosen Berge der capverdischen Inseln – es war San Nicholas – am nächsten Morgen fuhren wir, gerade mit Sonnenaufgang und bei herrlicher Beleuchtung der massenhaften Lavaabhänge, an dem gewaltigen und hohen Vulkan der Insel Fogo vorüber. Es ist ein kahler, kolossaler Kegel, ohne die mindeste, von dort aus wenigstens sichtbare Vegetation; nur eine einzige menschliche Wohnung erkannten wir am Fuße des Berges.
Wir näherten uns jetzt scharf dem Aequator, und am Sonntag, den 15. April, kam auch schon die Anmeldung des unausweichlichen Neptun, und zwar durch seine eigene Gemahlin Amphitrite, die mit einem Begleiter – »Neptuns sein Barbier,« wie ihm auf dem Rücken stand, zu uns an Bord stieg.
Sie frugen bei dem Capitän, nach üblicher Sitte, an, wann Neptun selber erscheinen dürfe, seinen Tribut einzufordern, und wurden auf den nächsten Sonntag, an dem wir uns der Linie ziemlich nah befinden mußten, beschieden.
Ich habe mehre Schweinefische – tüchtige Burschen von circa 200 Pfund Gewicht harpunirt, leider aber waren wir bis jetzt noch nicht glücklich genug, auch nur einen einzigen von diesen an Bord zu bekommen – die meisten rissen, wenn wir sie fast schon sicher zu haben glaubten, von der Harpune aus und schlugen in See zurück, und bei einem brach sogar eine starke eiserne Harpune ab.
Das Harpuniren dieser Fische ist übrigens schon an sich selber eine höchst interessante Jagd. Der Schweinefisch (wahrscheinlich der sogenannte Delphin der Alten, da ein wirklicher Delphin nie groß genug gefunden wäre, den Arion an’s Land zu tragen, und diese »Springer« auch der Beschreibung eher entsprechen) durchstreift, besonders bei frischer Brise, wenn das Schiff rasch durch’s Wasser geht, die See in zahlreichen Schaaren. Die Fische springen dann vorzüglich gern dicht vor dem Buge her und spielen in den schäumenden, hochaufspritzenden Wellen, denen sie sich oft, mit dem ganzen Körper über Wasser, vorausschnellen. Der Harpunirende aber steht vorn – ebenfalls vor dem Bug des Fahrzeugs, in den Ketten des Stampfholzes, unter dem vorstehenden Klüverbaum und wartet bis ihm einer der lebendigen, herüber und hinüberschießenden Schaar zum sicheren Wurfe kommt. Unter dem Bugspriet muß dabei ein Block festgemacht seyn, in welchem das an die Harpune geschlagene Tau läuft. An diesem Tau stehen an Bord Leute, des Rufs gewärtig, und sobald der Fisch die Harpune hat, ziehen sie in möglichster Schnelle denselben über Wasser, damit die Fluth, gegen die er jetzt angerissen wird, das Gewicht nicht noch vermehrt, das die schwache Harpune überdieß schon zu halten hat. Zu gleicher Zeit muß ein Matrose draußen ebenfalls eine Schlinge bereit halten, sie dem Gefangenen, sowie er ihn nur erreichen kann, um den Schwanz zu werfen. Dieser aber schlägt dabei aus Leibeskräften um sich, und müht sich unausgesetzt – durch sein bedeutendes Gewicht höchst nachdrücklich unterstützt – wieder loszukommen.
Es läßt sich denken, daß es dadurch mit vielen Schwierigkeiten verbunden ist, einen solchen gewaltigen Fisch an Bord zu holen, und wir haben fünf auf diese Art schon förmlich verloren.
Das Fleisch des Schweinefisches ist ziemlich gut und es lassen sich besonders vortreffliche sogenannte Beefsteaks davon bereiten. Das Harpuniren ist, obgleich der Fisch im vollen Sprung getroffen seyn will, keineswegs sehr schwierig, doch gehört eine sichere Hand und etwas Uebung dazu.
Mitten zwischen dem Jubel und Lärm der Passagiere ging aber in der nämlichen Zeit ein Mann herum, der sich um Alles das nicht kümmerte, die Stellen vermied, wo lustige Leute beisammen waren, und stets still und abgeschieden finster brütend und mit seinen eigenen, jedenfalls traurigen Gedanken beschäftigt, an irgend einem einsamen Plätzchen saß, wo er das auch immer aufsuchen mußte.