Buch lesen: «Die Colonie: Brasilianisches Lebensbild. Erster Band.»
1.
Die Colonie Santa Clara
Von Osten her strich die frische Seebrise über das weite, wellenförmige Land, schaukelte die einzelnen Palmen, die auf der Lichtung standen, und schüttelte von den Orangenbäumen nicht allein die überreifen Früchte, sondern auch manche Blüthe herab, unter der sich schon wieder die junge Frucht gebildet hatte. Ein würziger Duft wehte dabei über den ganzen Bergeshang, der sich hie gerade und neben einer kleinen, freundlichen Wohnung oder Chagra dem Thale zu öffnete, und zwei Reiter, die den schmalen Waldweg herüber gekommen waren, hielten überrascht ihre Pferde an, als sie das entzückende Bild erblickten, das sich unter ihnen ausbreitete.
Dicht vor ihnen, und durch die reine Luft nur noch viel näher gerückt, als es in der That lag, füllte ein kleines Städtchen – die deutsche Colonie Santa Clara – den ebenen Theil des nicht breiten Thales aus, der vollkommen gelichtet war, und nach allen Richtungen hin, wie durch Adern, von schmalen, gelben Wegen durchschnitten wurde, während die Häuser, wohl in Straßen ausgelegt, aber doch noch einzeln aufgebaut, über die ganze Fläche hin zerstreut standen. Mit ihren lichten Farben und rothen, meist neuen Ziegeldächern stachen sie aber um so lebendiger von dem saftigen Grün ab, das die sie umschließenden Gebüsche trugen, während in der Ferne, nach Süd, Süd-Ost und Osten, drei scharf abgeschiedene Gebirgsschichten zuerst in dunkelm Grün, dann in blaugrüner Färbung und zuletzt in einem duftigen Lichtblau den Hintergrund bildeten.
Nur nach Süd-West öffnete sich die sonst vollkommene Gebirgslandschaft ein wenig, und eben genug, um in blauer Ferne das Meer mit seinem scharf abgegränzten Horizonte zu zeigen, und man erkannte, selbst von hier aus, deutlich, wie die verschiedenen Gebirgshänge, je mehr sie sich dem Seestrande näherten, niedriger wurden. Nur die gelben Sanddünen des Strandes selber ließen sich nicht erkennen, denn an den abschüssigen Hängen war noch Nichts gelichtet, und nur die weiten Umrisse der höheren Partien schloß der Wald in seinen grünen Rahmen.
Wieder und wieder flog der Blick der beiden Reiter aber zu der kleinen Ansiedlung zurück, die auch zu gleicher Zeit ihr heutiges Ziel bildete, und während in dem Walde selber die tropische Vegetation von dem weit stärkeren Laubholze verdeckt oder überschattet wurde, konnte ihnen nicht entgehen, wie gerade nahe bei den Häusern der tropische Charakter der Landschaft sorgfältig gewahrt und erhalten war.
Die deutschen Einwanderer hatten nämlich, als sie den Wald in offenes Feld verwandelten, daheim schon zu viel von den »wehenden Palmen Brasiliens« gehört, und hier und da auch wohl in ihrer Art davon geschwärmt – denn der Bauer ist nie Phantast – um jetzt gleich die Axt an die ersten zu legen, die ihnen in den Weg traten. Wo sie ihr Haus aufrichteten oder ihren Garten umzäunten, ließen sie manche von diesen stehen, und hier und da bequemte sich auch wohl ein Einzelner, selbst in seinem Felde um die Wurzeln derselben herumzupflügen, nur um von seinem Fenster aus die stattlichen, schlanken Stämme sehen zu können.
Reizend gelegen war selbst die kleine Chagra1, vor der sie hielten, und eine schönere Fernsicht hätte der Eigenthümer wohl kaum in der ganzen Nachbarschaft finden können. Ebenso hatte er sein kleines Häuschen mit Geschmack gebaut, so einfach es auch sonst sein mochte, und der Platz schien nach Allem, was man auf den ersten Blick davon sehen konnte, neu eingerichtet und gelichtet, hätten dem nicht wieder die stattlichen Pinien und Orangenbäume widersprochen, welche das Haus umstanden, und mit drei oder vier stämmigen Palmen eine Gruppe bildeten, wie man sie sich kaum pittoresker denken kann.
Den beiden Fremden war dies ebenfalls nicht entgangen, und besonders der jüngere von ihnen, der vielleicht dreißig bis zweiunddreißig Jahre zählen mochte, überschaute mit innigem Behagen den kleinen Platz, der sich wie ein Bild unter seinem grünen Blätterschmucke zeigte.
Der Fremde ritt einen grauen, prächtigen Hengst mit einem ganz eigenthümlichen, fremden Sattelzeuge, das mit seiner ganzen Form und einer Menge rohgearbeiteter Silberplatten, wie einer Anzahl kleiner silberner Schnallen und Troddeln und Quasten von ungegerbter, aber außerordentlich künstlich geflochtener Rohhaut mexicanischen, vielleicht sogar indianischen Ursprungs zu sein schien. Sonst aber ging er sehr einfach, doch für den Wald praktisch gekleidet. Der Wärme wegen hatte er ein ledernes, ausgefranztes Jagdhemd, wie es in den nordamerikanischen Wäldern Sitte ist, vorn über seinen Sattel geworfen, auf dem jetzt querüber eine sauber gearbeitete, aber ebenfalls einfache Büchsflinte ruhte. Er trug nur ein roth und grau gestreiftes wollenes Hemd, dunkle Beinkleider, von einem breiten Ledergurt gehalten, an dem ein breites, schweres Jagdmesser hing, hohe Wasserstiefel, einen braunen Strohhut auf dem Kopfe und eine alte lederne Kugeltasche an der rechten Seite.
Seine Sporen waren ebenfalls klein und von dunkler Bronze, und am Sattelgurt festgeschnürt, aber hinten am Sattel zusammengerollt und mit einer Schleife eingehakt, hing ein dünner, doch stark gedrehter Lasso aus roher Haut.
Der Fremde sah keinesfalls wie ein Neuling im Walde aus, und die sonnverbrannte Farbe seiner Züge, aus denen ein paar große, blaue Augen treuherzig hervorschauten, verrieth ihn ebenfalls als den Nordländer, der vielleicht, wie Tausende seiner Landsleute, Brasilien zu seiner neuen Heimath gewählt.
Sein Begleiter, der etwa sechs Jahre mehr zählen mochte als er, bewegte sich trotzdem eben so frei im Sattel, verrieth aber in diesen Bewegungen, als auch noch zum Überflusse durch den Schnitt seines wohlgepflegten Bartes, den früheren Soldaten. Die enge Uniform hatte er freilich lange bei Seite geworfen und dafür den leichten Rock und breitrandigen Panamahut angenommen. Außerdem schien er sich den brasilianischen Sitten noch entschiedener durch ein paar riesige brasilianische Sporen von echtem Silber angepaßt zu haben, und auch das Kopf- und Zaumzeug seines Pferdes trug, wo es nur möglich war sie anzubringen, silberne Spangen und Schnallen. Seine Kleidung indessen, obgleich von feinem Tuche und modernem Schnitte, war durch den Busch und langen Ritt arg mitgenommen. Man sah ihm an, daß er schon eine gute Weile unterwegs sein müsse, und die ledernen Leggins, mit denen er den untern Theil der Beine bedeckt hatte, zeigten die im Walde geholten Spuren von Dorn und Ranken.
Sein Blick haftete gegenwärtig aber fast ausschließlich auf der Ansiedlung und den Berghängen voraus, während sein Begleiter sich weit mehr durch das Wohnliche des Bauernhauses gefesselt und angezogen fühlte.
»Sehen Sie nur, Günther, was für ein reizendes Plätzchen das hier ist,« wandte sich in diesem Augenblicke der Jüngere der Beiden an den Freund, »wie malerisch diese dunkeln Pinien – vielleicht unbewußt – mit dem lichten Grün der Palmenwipfel gruppirt sind, und wie ganz eigenthümlich der goldgesprenkelte Orangenhain das Ganze wie ein künstlich gewobenes Netz umschließt. »Eine Hütte und ihr Herz,« wie das alte Sprüchwort lautet, und wenn es das richtige Herz wäre, glaub' ich selber, daß ich es in einer solchen Hütte aushalten könnte.«
»Und auf wie lange?« lachte sein älterer Gefährte, indem er mit den Augen dem ausgestreckten Arme des Freundes folgte; »Sie unsteten Menschen möchte ich wirklich einmal, und selbst in eine solche Hütte gebannt sehen – noch dazu in einer Gegend, in der es nicht einmal Wild zum Jagen giebt.«
»Das wäre freilich fatal,« erwiederte der Andere, »und daran dachte ich im ersten Augenblicke nicht. Aber hab' ich trotzdem nicht Recht? Kann man sich ein freundlicheres Plätzchen auf der Welt denken?«
»Nein – in der That – in Brasilien wenigstens nicht,« erwiederte der Freund, den er mit »Günther« angeredet hatte; »mit meinem Thüringen daheim möchte ich's freilich immer nicht vertauschen. Es giebt doch nur ein Deutschland.«
»Haben Sie das Heimweh, Günther?« sagte sein Kamerad lächelnd.
»Und wenn ich's hätte, wär's ein Wunder?« fragte Günther leise; »wie lange schon führ' ich dieses unstete wilde Leben jetzt? Wie lange schon treib' ich mich heimathlos im Walde umher, während daheim – doch wir wollen uns den schönen Tag nicht mit solchen Gedanken verbittern, Freund – die Heimath hat doch keiner von uns vergessen.«
Sein Begleiter nickte nur schweigend mit dem Kopfe, und auch seine Gedanken schienen in dem Augenblicke weit, weit zurück zu schweifen, zu ganz anderen Scenen und Ländern, als sich die beiden Freunde plötzlich angerufen hörten. Die Stimme schallte hinter der Gartenhecke vor und rührte von einem jungen Manne, dem Eigenthümer der Chagra, her, den ihnen das Grün der Hecke bis jetzt verborgen gehalten.
»Hallo, Fremde!« rief der Mann in deutscher Sprache mit nur einem leichten Anklang niederrheinischen Dialektes; »wollt Ihr nicht ein wenig absteigen und ein Glas Milch trinken? Der Weg ist schlecht, und ein Bißchen Rast kann Euren Pferden nicht schaden, denn 's ist noch eine gute Stunde bis in die Colonie hinunter.«
Die beiden Deutschen sahen sich erst erstaunt um, von wo her die Stimme eigentlich komme. Endlich entdeckten sie hinter der Hecke und gerade unter einem blühenden Granatbaume das rothe, freundliche Gesicht eines jungen Mannes, der ihnen erst jetzt, als er ihren Blick auf sich gerichtet fand, sein herzliches »Guten Morgen mit einander!« zurief.
»Guten Morgen, Landsmann,« sagte der jüngere Fremde, der ihm zunächst hielt, indem er den Kopf seines Thieres gegen die Hecke drehte, »ich wußte gar nicht, weshalb mein Grauer immer die Ohren spitzte. Also eine Stunde Weges ist's noch hinunter? Es sieht eigentlich von hier oben viel näher aus.«
»Ja,« lachte der hinter der Hecke, »wenn die Brücke nicht wieder eingebrochen wäre, die der Bleifuß da neulich erst neu gebaut hat, dann wär's auch nicht viel mehr als ein halb Stündchen zu Thal. So aber müßt Ihr hier rechts unter meiner Chagra durch, um der Schlucht aus dem Wege zu gehen, und der Pfad zieht sich mordmäßig in die Länge. Aber steigt ab, das besprechen wir besser im Hause.«
»Schon recht,« sagte Günther, indem er sich leicht aus dem Sattel schwang; »unseren Packthieren sind wir doch vorausgeritten, und bis die nachkommen, können wir recht gut ein halb Stündchen plaudern.«
Sein Gefährte folgte, ohne ein Wort zu erwiedern, dem Beispiele, denn es drängte ihn selber das Innere des Häuschens zu sehen, das schon von außen einen so freundlichen Eindruck auf ihn gemacht. Die beiden Reisenden banden deshalb ihre Pferde außen an der Hecke an die herunterhangenden Äste eines stattlichen Orangenbaumes, und traten dann in den Garten, wo ihnen der Hausherr, ein junger, prächtig gewachsener Mann mit offenen, ehrlichen Gesichtszügen, blauen Augen und blonden Haaren, entgegen kam und sie begrüßte.
»Das ist gescheidt,« sagte er dabei, »Sonntag Morgens habt Ihr so nicht viel in der Colonie zu versäumen und kommt noch zeitig genug zum Mittagessen, wenn Ihr nicht das hier ebenfalls verzehren wollt.«
Er schüttelte dabei den beiden Fremden kräftig die Hand und führte sie dann ohne Weiteres in sein Haus hinein, wo Beide aber unwillkürlich erstaunt und überrascht auf der Schwelle stehen blieben.
Das kleine Zimmer, das sich ihnen öffnete, glänzte von Sauberkeit; der einfache Holztisch war schneeweiß gescheuert, aber nicht weißer als der Fußboden selber, den in der Mitte eine leichtgeflochtene Matte überdeckte. An den Fenstern hingen sogar Gardinen, und ein nett gearbeiteter Nähtisch aus polirtem Holze schien mit diesen, als Luxusmöbel, concurriren zu wollen. Aber die Freunde sahen das Alles weniger, als daß sie es im Eindrucke des Ganzen fühlten, denn Beider Augen hingen in dem ersten Momente an einem wunderbar schönen jungen Weibe, das ein Kind auf dem Schooße hielt und, als die Fremden die Hütte betraten, den kleinen, strampelnden Burschen aufgriff und ihnen mit freundlichem Lächeln entgegentrat.
»Grüß' Gott!« sagte sie herzlich, als sie Beiden nach einander die Hand reichte, »und setzt Euch und macht's Euch bequem – Vater, hast Du denn schon nach den Pferden gesehen?«
»Werd's schon besorgen, Schatz,« lachte der Mann, »bring' Du nur einmal ein paar Gläser Milch, denn die beiden Herren werden durstig geworden sein.«
»Ja, dann mußt Du indessen den Schlingel da nehmen,« sagte die junge Frau, indem sie ihrem Gatten den kleinen unruhigen Burschen so leicht hinüberreichte, als ob er keine zwei Pfund gewogen hätte, wie er sicher zwanzig wog, – »der läßt mir ja sonst nicht Ruh' noch Frieden an den Milchnäpfen.«
»Ob er Frieden halten wird?« lachte der Mann, nahm ihr den kleinen Burschen ab, gab ihm ein paar derbe Küsse und setzte ihn sich in den linken Arm. »Und nun thut, als ob Ihr zu Hause wäret,« fuhr er dann, indem er sich wieder zur Thür wandte, gegen die Fremden fort; »ich bin gleich wieder da, und zu trinken wird Euch die Trine auch im Augenblick bringen.« Die »Trine« war schon lange aus der Thür hinaus, und die beiden Freunde sahen sich im nächsten Momente allein in dem kleinen Raume.
»Ist das nicht ein wahres Madonnengesicht?« brach aber der Jüngere heraus, als der junge Bauer kaum das Zimmer verlassen hatte; »haben Sie je in Ihrem Leben ein Paar solcher Augenbrauen, einen solchen Mund gesehen?«
»Ein wunderhübsches Paar, in der That,« erwiederte Günther, der den Blick indessen forschend umherwarf, »und wie nett und sauber sieht's bei ihnen aus! Ja,« – fuhr er tief aufseufzend fort, »der hat's gut, und Unsereiner zieht nun so in der Welt umher, sieht die verbotenen Früchte an den Bäumen hangen, wischt sich resignirt den Mund und – wandert eben weiter.«
»Ob denn das wirklich Deutsche sind?« sagte sein Freund.
»Was denn sonst? Doch wahrhaftig keine Portugiesen!«
»In meinem Leben habe ich noch keinen ausgewanderten Bauernburschen gesehen,« erwiederte der Jüngere, »der ein so ungezwungenes und doch anständiges Benehmen hatte, und die junge Frau würde in einem schweren Seidenstoffe eben so zu Hause sein, wie in ihrem einfachen Kattunröckchen. Aber sie sprechen vollkommen gut Deutsch.«
»Er noch dazu mit dem rheinischen, sie etwas mit dem Tyroler Dialekte,« sagte Günther, »aber da kommt sie zurück. Sie wird uns gleich sagen, wo sie herstammen.«
»So – da bin ich wieder – hat's lang gedauert?« sagte die junge Frau, als sie mit einem kleinen Präsentirteller in's Zimmer trat; »und nun setzen Sie sich her und langen Sie zu – 's ist nicht viel, aber wir haben's hier oben noch nicht besser, denn wir sind hier erst seit kaum sechs Monaten auf der Chagra.«
Während sie sprach – und so rasch und gewandt, daß Alles sich fast von selber zu ordnen schien – hatte sie indessen das Mitgebrachte auf dem Tische ausgebreitet, und frische, süße Milch, weißes Brod, Butter und Käse, Alles auf blinkendem Geschirr, lachte den Fremden bald darauf entgegen und lud sie schon selber ein, nur tapfer zuzulangen.
»Und sind Sie erst so kurze Zeit hier oben?« fragte der ältere Fremde; »die Pinien und Orangen müssen doch schon vor vielen Jahren gepflanzt sein.«
»Das sind sie auch,« erwiederte der Mann, der in diesem Augenblicke wieder in der Thür erschien und der Frau das Kind entgegen hielt. »Da, Mutter, nimm den Schlingel,« fuhr er dann zu dieser fort; »ob der Bengel wohl Ruhe gegeben hat, bis ich ihn auf den Grauen setzte, und da oben blieb er, bis ich die Thiere gefüttert hatte.«
»Aber der Graue ist ein unruhiges Thier,« sagte Günther.
»Bah, der hält sich schon fest,« lachte der Mann, »ja, was ich sagen wollte, die Chagra habe ich erst kürzlich gekauft, und zwar von einem Deutschen, der sie so hatte verwildern lassen, daß man die Bäume kaum fand, die darauf standen. Es war ein vornehmer Herr gewesen, der, wie er meinte, hatte brasilianischer »Pflanzer« werden wollen, sich die Sache aber wohl ein Wenig anders und leichter gedacht haben mochte und auch irgendwo anders besser hinpaßte, als hinter Pflug und Egge.«
»Und seid Ihr keine Deutsche?« fragte der ältere Fremde.
»Wir? – Nein,« lachte der Mann, – »das heißt, ja, wir sind schon Deutsche, aber doch nicht in dem Deutschland drüben geboren, sondern hier in Brasilien. Mein Vater stammt vom Rheine, und der Frau ihr Vater von Innsbruck, die Beide vor etwa dreißig Jahren hier herüber gekommen waren und sich in San Leopoldo niedergelassen hatten.«
»Also Brasilianer?« sagte Günther enttäuscht.
»Ah, nein, wir sind schon Deutsche,« lachte die Frau gutmüthig, »und halten uns ja auch immer zu Deutschen, wie Ihr seht, denn mit den Bleifüßen ist es doch Nichts, und sie wollen Nichts arbeiten und schaffen.«
»Bleifüße – was zum Henker ist das nur?« lachte der eine Fremde; »ein Bleifuß soll ja auch die schlechte Brücke gebaut haben.«
»Ih ja,« meinte der Mann schmunzelnd, »der Bleifüße giebt's gar viele – eigentlich mehr, als gut ist, und wir nennen besonders die eigentlichen Portugiesen so, die immer herüberkommen und so thun möchten, als ob Brasilien ihnen gehörte. Weshalb sie aber eigentlich so genannt werden, weiß ich selber nicht recht; aber den Namen haben sie, so viel ist sicher, und werden ihn wohl auch behalten. Aber seid Ihr selber erst so kurze Zeit im Lande, daß Ihr noch nicht einmal das Wort Bleifuß gehört habt? Ich dächte doch, das würde häufig genug aller Orten genannt.«
»Ich selber bin schon lange im Lande und kenne auch den Namen,« lächelte Günther, »aber mein Reisegefährte da ist erst kürzlich aus den Vereinigten Staaten von Nordamerika nach Rio, und von da zu Pferde hier nach dem Süden gekommen, um sich das Land einmal anzusehen.«
»Und was ist Ihr Geschäft? wenn man fragen darf.«
»Ich bin Feldmesser,« erwiederte Günther, »und von der Regierung hierher beordert, um die Colonien für frisch eintreffende Emigranten auszumessen.«
»Das ist gescheidt,« sagte der junge Bauer; »an vermessenem Lande fehlt's ewig, und die armen Teufel müssen sich oft Monate lang in den sogenannten Auswanderungs-Häusern herumtreiben, ehe sie eigenen Boden und eine feste Heimath bekommen. Nun, da werden Sie Arbeit genug kriegen, daran fehlt's nicht – aber essen Sie nicht mehr?«
»Wir danken,« erwiederte Günther, der bis jetzt mit seinem Gefährten wacker zugelangt, »es hat trefflich geschmeckt und war delicat. Jetzt können wir's schon bis in die Colonie hinunter aushalten.«
»Und wollen Sie schon wieder fort?« fragte die Frau freundlich, als die beiden Fremden von ihren Sitzen aufstanden und zu den Hüten griffen – »das war gar ein kurzer Besuch.«
»Wenn Sie's erlauben,« sagte der jüngere Fremde, »so komme ich schon wieder einmal her. Ich selber habe Nichts zu versäumen und werde mich doch wahrscheinlich ein paar Monate in der Nähe der Colonie herumtreiben. Daß es mir aber hier bei Ihnen gefällt, dürfen Sie mir auf mein Wort glauben. Mein Freund ist jedoch mit seiner Zeit gebunden und hat heute noch viel unten mit dem Director zu besprechen. Da draußen sind auch eben unsere Packpferde angekommen, und wir wollen deshalb lieber aufbrechen.«
»Apropos,« fragte Günther, »was für ein Mann ist der Director eigentlich? Ich habe in den anderen Colonien am Chebaja nicht gerade viel Gutes von ihm gehört.«
»Ich weiß nicht,« lachte der Mann – »es kommt wohl immer darauf an, wen Ihr fragt. Die Einen schimpfen auf ihn, die Anderen loben ihn, und Allen kann man's eben nicht recht machen auf der Welt. Er ist sehr streng, das ist wahr, und oft auch wohl ein Bißchen eigensinnig. Mit den armen Leuten geht er aber gut um und steht ihnen bei.«
»Und das ist die Hauptsache,« rief Günther – »nun, ich werde schon mit ihm fertig werden – also, herzlichen Dank für die Aufnahme. Wenn ich's einmal wieder gut machen kann, stehe ich zu Diensten!«
»Das mag vielleicht rascher geschehen, als Sie denken,« lachte der junge Bauer, »denn unsere Grenzen sind hier alle in Confusion, und ich bin schon lange darum eingekommen, die meinige ebenfalls nachsehen zu lassen. Doch darüber sprechen wir später; ich möchte Sie jetzt nicht länger als nöthig aufhalten, und komme auch vielleicht in diesen Tagen einmal nach der Colonie hinunter.«
Damit reichten er und die Frau den Fremden herzlich die Hand zum Abschied. Draußen hielten auch in der That die beiden eingeborenen Diener der Freunde, ein paar braune, rauh genug aussehende Burschen, mit drei Lastpferden, wovon zwei dem Vermesser, eins aber seinem Freunde gehörte, und gleich darauf trabte die kleine Cavalcade, welcher der junge Bauer erst noch den Weg um seine Chagra herum zeigte, diesen thalein.
Und doch war es ein wundervoller Pfad, der sie hier in die Niederung hinabführte, denn gerade an diesem Berghange zeigte sich die schon fast tropische Vegetation des Landes in ihrer ganzen Pracht und Herrlichkeit. Der Baumwuchs war allerdings lange nicht so mächtig, wie in den nördlicher gelegenen Theilen Brasiliens, aber das üppige Unterholz mit seinen zierlichen Farnpalmen und Fächern, mit seinen Lianen und Ranken bildete überall, wo es dem Blicke erlaube, einzudringen, die reizendsten Gruppen und Festons, aus denen sich die grünen, schlanken Schäfte verschiedener wilder Palmenarten keck emporhoben.
Hier und da, wo eine eingerissene Schlucht oder ein breiteres Bachbett den Blick in die Tiefe gestattete, zeigte sich dann die kleine Niederlassung im Thale mit ihren lichten Gebäuden und hellgrünen Rasenflecken, durch welche die gelben Wege wie Fäden liefen, immer in verschiedener Form und Beleuchtung, aber immer freundlich, so daß die Reiter ihre Thiere oft anhielten und ein paar Secunden schweigend auf das unter ihnen ausgebreitete Bild hinabblickten.
Da hier der Weg aber zu schmal war, oder der Regen doch in den Boden an den verschiedensten Stellen Einrisse gemacht hatte, mußten sie ihre Pferde hinter einander halten, und dadurch war die Conversation gestört. Erst weiter unten, auf der letzten Abdachung angelangt, bog der Beipfad wieder in den durch die eingefallene Brücke unterbrochenen Hauptweg ein, und jetzt hatten sie die eigentliche Colonie Santa Clara auch bald erreicht, deren Ausläufer in kleinen, allein stehenden Ansiedelungen schon bis hier herauf reichten.
»Der Platz liegt wirklich allerliebst,« sagte Günther, der bis jetzt vorangeritten war, indem er sein Pferd anhielt, um wieder neben dem Freunde zu bleiben.
»Was die Scenerie betrifft, ja,« erwiederte dieser, »aber der Boden scheint mir hier nicht besonders, und der Mais da drüben in dem Felde steht dünn und mager genug – wenigstens magerer, als ich es bis jetzt gewohnt bin zu sehen.«
»Das bessere Land wird weiter zurück in der Ebene liegen,« meinte Günther, »jedenfalls hat der Ort nicht weit zur See, und das ist schon immer ein enormer Vortheil für eine Colonie.«
»Wenn der Hafenplatz gut ist, ja; und wohin wollen wir jetzt zunächst?«
»Direct zum Director,« lachte Günther, »der wird uns dann schon die beste Auskunft geben, wo wir übernachten können. Wir müssen nun im nächsten Hause seine Wohnung erfragen.«
»Das ist nicht nöthig,« meinte sein Freund – »das Haus da drüben, wo die deutsche Fahne weht, ist jedenfalls das Wirthshaus, und das größere Gebäude daneben eben so sicher die Kirche, – wo baute der Deutsche nicht Eins neben das Andere? Außerdem steht aber dort nach Süden nur noch ein sehr großes Haus mit einer neuen Umzäunung, und dort hat natürlich auch der Director seinen Aufenthalt. Wir wollen ruhig darauf zureiten.«
»Sie können Recht haben,« lachte Günther, »aber vielleicht wohnt er doch da drüben in dem kleinen allerliebsten Gebäude, wo die vielen Orangenbäume stehen. Den Platz hätte ich mir jedenfalls zu meiner Wohnung ausgesucht.«
»Das ist sicher die Pfarrwohnung,« versicherte aber sein Kamerad; »sehen Sie nicht den breiten, betretenen Pfad, der von dort zur Kirche niederführt. Ich glaube kaum, daß der Director alle die Fährten nach der Kirche in den Sand eingedrückt hat. Folgen Sie mir nur; ich führe Sie den richtigen Weg.« Und ohne weiter eine Antwort abzuwarten, gab er seinem Pferde leicht die Sporen und sprengte, von Günther jetzt dicht gefolgt, dem vorher bezeichneten Hause zu, vor dessen Thür er anhielt und ohne Weiteres aus dem Sattel sprang.