Die Colonie

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„Mein lieber Baron - nein, das nicht," sagte die Gräfin nach einigem Zögern, „und ich habe auch den Entschluß jetzt gefaßt, Sie zu meinem Vertrauten zu machen - vielleicht werden wir doch noch Compagnons," lächelte sie dazu.

„Ich bin auf das Aeußerste gespannt," sagte der Baron.

„Sie müssen bemerkt haben," fuhr die Gräfin fort, „daß mir sowohl wie Helenen eine Beschäftigung in diesem Lande fehlt."

Des Barons Blick suchte unwillkürlich die junge Dame, die er gerade noch durch eine Lücke der Bäume mit ihrem Begleiter erkennen konnte.

„Helene besonders," fuhr die Gräfin fort, „hat mich schon lange gebeten, eine leichte Arbeit aufzufinden, mit der sie die langen Tage besser hinbringen könne, denn immer Lesen und Cla- vierspielen geht ja doch auch nicht, noch dazu in einer so prosaischen und sogenannten praktischen Umgebung, wie die ist, in der wir uns befinden."

„Ich werde immer gespannter," versicherte der Baron, und er hatte die Augenbrauen schon bis unter den Hut hinaufgezogen.

„Wenn man nun unter so praktischen Leuten fortwährend lebt," lächelte die Gräfin, „so ist es wohl ganz natürlich, daß ein klein wenig davon auch an unserer Natur hangen bleibt, und ich habe denn auch schon das ganze letzte Jahr nach der und jener Seite hinüber gehorcht, an was man im rechten Augenblicke und mit den rechten Mitteln die Hand legen könnte - ich glaube, ich habe jetzt gefunden was ich suchte."

„Sie hätten wirklich?"

„Ich habe gefunden und außerdem die genauesten Erkundigungen deshalb eingezogen," fuhr die Gräfin fort, „daß hier im Lande eine ganz enorme Quantität von Cigar-/51/ren verbraucht wird, die man sämmtlich mit einem, zu den Kosten des Rohtabaks in gar keinem Verhältnisse stehenden hohen Preise bezahlt."

„Cigarren?" fragte der Baron erstaunt.

„Nun sind gerade gegenwärtig eine Menge junger Leute hier in der Colonie - und werden mit dem Schiffe noch mehr erwartet - von denen viele, besonders alle aus Bremen stammende, Cigarren zu drehen verstehen. Hier auf diesem Zettel finden Sie außerdem den Preis guten Blättertabaks genau zusammengestellt, ebenso die Löhne für die Fabrikarbeiter, die nach dem Hundert oder Tausend bezahlt werden. Eine Cigarre nur einigermaßen guten Tabaks ist aber hier nicht unter zwanzig Reis das Stück zu bekommen, und nun berechnen Sie selber, welcher enorme Nutzen dem Fabrikherrn werden muß, wenn die Sache nur ein klein wenig in's Große getrieben wird."

„Hm," sagte der Baron, der aber doch nur einen flüchtigen und zerstreuten Blick über das Papier warf, „und mit etwas Derartigem wollten Sie sich befassen?"

„Und warum denn nicht?" sagte die Frau Gräfin, indem sie einer leichten Verlegenheit Meister zu werden suchte. „Wir müssen in der That eine Art von Beschäftigung haben, wenn wir hier nicht vor Langerweile sterben sollen, und Helene sehnt sich so danach, ja selbst Oskar, der jetzt vor lauter Muthwillen gar nicht weiß, was er für Tollheiten angeben soll."

Der Baron Jeorgy war in der That nichts weniger auf der Welt als ein praktischer Charakter, der auf einen gewissen Ueberblick Anspruch machen konnte, um wirklich Ausführbares von bloßen Chimären zu unterscheiden. Hatte er aber schon zu viele bittere Erfahrungen mit ähnlichen Projecten gehabt, oder war es ihm vollkommen unmöglich, sich die Comtesse Helene und den jungen wilden Grafen Oskar als ehrbare Cigarrenmacher zu denken, - er schüttelte ganz ernsthaft und bedenklich mit dem Kopfe und sagte:

„Aber, gnädigste Frau Gräfin, haben Sie sich denn die Sache wirklich schon recht genau überlegt, und vermuthen Sie, /52/ daß Sie einen, alle dem Aerger und der Schererei entsprechenden Nutzen daraus ziehen könnten?"

„Mein lieber Baron," erwiderte die Gräfin lebhaft, „das können Sie sich doch wohl denken, daß ich ein solches Unternehmen nicht entriren würde, wenn ich mich nicht vorher gründlich damit bekannt gemacht. Helene brennt ordentlich darauf zu beginnen, und Oskar selber hat versichert, daß es ihm ungeheuern Spaß machen würde, selber Cigarren zu drehen."

„So? In der That? Hm! Und haben die beiden jungen Herrschaften also darin schon einen Versuch gemacht?"

„Jetzt schon - wo denken Sie hin?" lachte die Gräfin. „Das selber Cigarrenmachen muß doch auch immer nur Nebenbeschäftigung bleiben, wenn es vielmehr darauf ankommt, eine große Anzahl von Arbeitern zu überwachen. Aber es ist nöthig, daß es Jeder von uns versteht, um etwa vorkommende Fehler andeuten und rügen zu können, und deshalb wollen wir auch Alle ordentlich mit zugreifen."

Der Baron, die Hände auf den Rücken gelegt, nickte langsam und bedächtig mit dem Kopfe, und manchmal schüttelte er ihn auch ganz in Gedanken, aber er sagte kein Wort. Es entstand dadurch für die Gräfin eine etwas peinliche Pause, denn sie hatte erwartet, daß der Baron die Enthüllung dieses Planes mit mehr Enthusiasmus aufnehmen würde. Der Baron blieb aber vollkommen kalt und schien nicht die geringste Lust zu haben, auch nur eine Bemerkung zu machen.

„Und was sagen Sie dazu?" unterbrach endlich die Gräfin das ihr lästig werdende Schweigen. - Der Baron zuckte die Achseln.

„Ja, lieber Gott, was kann ich dazu sagen? Ich verstehe nicht das Geringste von Tabak oder Cigarren, das ausgenommen, daß ich beim Rauchen eine gute von einer schlechten unterscheiden kann. Wenn Sie aber fest dazu entschlossen sind und das nöthige Capital dazu besitzen, so - weiß ich in der That nicht..."

„Aber das gerade hab' ich noch nicht," unterbrach ihn die Gräfin etwas gereizt, „wenigstens nicht in diesem Augenblicke, und meine Ungeduld, die mich jeden neugefaßten Plan /53/ mit voller Energie ergreifen läßt, war die alleinige Veranlassung, daß ich Ihnen Gelegenheit gab, sich bei dem Unternehmen zu betheiligen. Sie zweifeln doch nicht etwa an dem Erfolg?"

„Beste Frau Gräfin," betheuerte der Baron, der, stets voller Rücksichtsnahmen, schon vor der Idee eines Widerspruchs zurückschreckte; „ich erlaube mir nicht im Geringsten daran zu zweifeln, und hoffe von ganzer Seele, daß Sie ein außergewöhnlich günstiges Resultat erzielen werden, aber -"

„Aber?"

„Aber," fuhr der Baron, sich verlegen die Hände reibend, fort, - „ich besitze kein Capital, um mich dabei zu betheiligen."

„Sie besitzen kein Capital?" sagte die Gräfin erstaunt.

„Ich besitze allerdings ein kleines," verbesserte sich der Baron, „was ich aus dem Verkaufe meiner Chagra und meines Viehes, besonders meiner Pferde, gelöst habe, aber ich brauche das nothwendig zu meinem unmittelbaren Leben, und wenn ich dasselbe angreife, bin ich am Ende genöthigt, mir noch auf meine alten Tage mein Brod mit Handarbeit zu verdienen."

„Und glauben Sie nicht, daß Sie das Drei-, ja vielleicht Vierfache Ihrer jetzigen Zinsen bei einem solchen Unternehmen herausschlagen könnten?" lächelte die Gräfin.

Der Baron hätte um sein Leben gern „Nein" gesagt, aber er riskirte es nicht; die etwas hitzige Gräfin hätte sich beleidigt fühlen können, und er erwiderte nur achselzuckend:

„Ich bin zu alt zur Speculation, meine Gnädigste, und - außerdem ist mir die Sache auch wirklich noch zu neu - zu fremd - es kam mir zu überraschend. Gestatten Sie mir, daß ich mich vorher ein wenig informire, und wir können ja dann später mit Muße darüber sprechen."

„Aber die Zeit drängt, mein bester Baron," versicherte die Gräfin; „ich habe die nicht unbegründete Vermuthung, daß sich Andere mit einer ähnlichen Idee tragen, und es ist in der That seltsam, daß ein solches auf der Hand liegendes Unternehmen nicht schon lange mit Begierde aufgegriffen ist. Was also geschehen soll, muß rasch geschehen. Ich habe dabei /54/ von Anfang an auf Sie gerechnet, da ich Sie als alten, lieben Freund meines Hauses kannte, und ich hoffe nicht, daß Sie mich jetzt im Stiche lassen werden."

Dem Baron kam es allerdings etwas wunderlich vor, daß die Frau Gräfin gerade auf ihn von Anfang an gerechnet haben sollte, während sie ihn erst im letzten entscheidenden Augen- blicke davon in Kenntniß setzte. So groß seine Höflichkeit aber auch sein mochte, der Trieb zur Selbsterhaltung war doch noch größer, und mit viel mehr Entschiedenheit, als er bis jetzt gezeigt und überhaupt der Gräfin gegenüber für möglich gehalten hätte, sagte er, indem er seine Tabaksdose in allen Taschen suchte:

„Man soll eine Dame nie im Stiche lassen, meine Gnädigste, aber - ich bitte tausendmal meiner Hartnäckigkeit wegen um Entschuldigung - ich muß doch darauf bestehen, vor allen Dingen mir eine größere Kenntniß über den Betrieb dieser Angelegenheit zu verschaffen. Apropos - sollte sich der Director Sarno nicht am Ende bewogen finden, ein so gemeinnütziges Unternehmen aus Regierungsmitteln zu fördern?"

Ein ganz eigener Ausdruck von Zorn und Verachtung zuckte um die Lippen der Dame, als sie erwiderte:

„Ja, wenn ihm einer der Bauern den Vorschlag gemacht hätte."

„So haben Sie schon mit ihm darüber gesprochen?" rief der Baron, von dieser Wendung sichtlich überrascht.

Die Gräfin hatte sich in ihrem Unmuthe verleiten lassen, mehr zu sagen als sie eigentlich wollte. Was noch gut zu machen war, that sie.

„Fällt mir nicht ein," sagte sie wegwerfend; „der Herr Director und ich stehen nicht auf einem so freundschaftlichen Fuße zusammen, ihm eine solche Mittheilung zu machen, und ich werde mich hüten, mit der brasilianischen Regierung etwas Derartiges zu beginnen, die mir vielleicht fünfzehn oder zwanzig Procent für meine Mühe ließe. Doch Sie verlangen Zeit, mein lieber, ängstlicher Freund, und seien Sie versichert, daß ich Sie nicht drängen möchte. Ueberlegen Sie sich also die Sache, sagen Sie mir aber bis spätestens morgen /55/ früh Antwort, oder" - setzte sie hinzu, indem sie lächelnd mit dem Finger drohte - „ich halte mich an kein Versprechen mehr gebunden und sehe mich nach einem andern Compagnon um."

 

Der Baron machte eine stumme, dankende Verbeugung, schien aber von dieser directen Drohung keineswegs so eingeschüchtert, wie es die Wichtigkeit der Sache hätte sollen vermuthen lassen. In diesem Augenblicke bekam er aber auch Succurs, denn ihr Gespräch wurde durch jenes wunderliche Individuum, Jeremias, unterbrochen, der plötzlich in den Garten kam, ohne Weiteres auf die Frau Gräfin und den Baron zuging, und Beiden, ehe sie es verhindern konnten, auf das Cordialste die Hand schüttelte. Oskar, der Zeuge dieser Scene war, lag noch immer in der Laube auf der Bank und wollte sich jetzt ausschütten vor Lachen.

Oskar war auch in der That die eigentliche Ursache dieser plötzlichen Begrüßung gewesen, denn während er in der Laube seine Siesta hielt, da ihn die Projecte der Frau Mutter wenig interessirten, hatte er nur über seinen heutigen Verlust, den Pferdejungen, nachgedacht, der sich auf so grobe Weise empfohlen, und dabei hin und her überlegt, wie er denselben wohl ersetzen könne. Da ging Jeremias, ebenfalls auf einem Sonntag-Nachmittag-Spaziergange begriffen, an der Laube vorüber, und Oskar, der den sonderbaren Burschen schon kannte und sich oft über ihn amüsirt hatte, glaubte in ihm einen passenden Ersatz gefunden zu haben und rief ihn auch ohne Weiteres an und herein.

„Guten Tag, Frau Gräfin," sagte Jeremias indessen, durch das etwas erstaunte Zurückfahren der Dame nicht im Mindesten beirrt - „schönen guten Tag, Herr Baron - prächtiges Wetter heute - wie bei uns im Sommer - nur ein bischen heiß - Herr Gott, wie man schwitzt!"

„Und was wollen Sie?" fragte die Gräfin, wie in Gedanken die eben erfaßte Hand mit ihrem Batisttuche abwischend. Jeremias war das auch nicht entgangen; er betrachtete ebenfalls seine eigenen arbeitharten Fäuste, und sein Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen. Aber er nahm /56/ weiter keine Notiz davon, sondern sagte nur, freundlich ihr zunickend:

„Der junge Herr da hinten hat mich gerufen; will einmal zu ihm gehen und sehen, was er wünscht - amüsiren Sie sich gut" - und mit einer Art von Kratzfuß drückte er den Hut wieder in die Stirn und wandte sich dorthin, wo Oskar schon wieder sein: „Jeremias, hierher!" herüberrief.

„Hat ihm schon," antwortete Jeremias, als er in die Laube trat, sich ohne Weiteres auf die andere Bank setzte und vergnügt mit den kurzen Beinen schlenkerte; „hier ist's hübsch kühl; wenn man jetzt hier ein Maß baierisch Bier und einen Handkäs hätte, könnte man's eine ganze lange Weile aushalten."

Oskar hatte sich das Benehmen seines künftigen Pferdejungen wahrscheinlich anders gedacht; mit den Sonderbarkeiten des Burschen aber schon bekannt, beachtete er es nicht weiter und fragte ohne Umschweife:

„Willst Du Geld verdienen, Jeremias?"

„Immer," lautete die kurze, bündige Antwort.

„Kannst Du Pferde warten?"

„Kann ich?" sagte Jeremias in Selbstvertrauen.

„Und wie viel verlangst Du monatlich?"

„Hm," meinte der Bursche, den brennend rothen Schopf kratzend, der sich jetzt, als er dazu den Hut abnahm, als eine alte, ziemlich abgetragene Perrücke auswies, „je mehr, je besser - was lohnt's denn eigentlich?"

„Sechs Milreis."

„Und sonst noch 'was?"

„Stiefelputzen -"

„Ne, so mein' ich's nicht," sagte Jeremias, „ob noch sonst etwas bei den sechs Milreis wäre, wie Schnaps, Frühstück, Trinkgeld oder dergleichen."

„Wenn Du Dich gut hältst, gewiß," sagte der junge Graf.

Jeremias schob beide Hände, so tief er sie bekommen konnte, in seine Hosentaschen und spitzte den Mund, als ob er ein Liedchen pfeifen wolle. Er pfiff aber nicht, sondern sah nur nachdenklich vor sich nieder. Endlich sagte er nach /57/ einer kleinen Pause, indem er die Hände wieder aus den Taschen nahm und seine Perrücke zurechtschob:

„Na, ich will Ihnen etwas sagen, junger Herr, wir wollen's einmal einen Monat zusammen versuchen, wöchentliche Kündigung natürlich von beiden Theilen, wenn ich Ihnen nicht gefallen sollte oder Sie mir nicht - außerdem gegenseitige Hochachtung und ein Milreis Handgeld - sind Sie das zufrieden?" - und er hielt dabei Oskar die Hand in so drolliger Weise zum Einschlagen hin, daß der junge Bursche, der bei Erwähnung des Milreis Handgeld einen Augenblick gestutzt hatte, lachend einschlug und ausrief:

„Gut, Jeremias, so wollen wir es denn, wie Du sagst, einmal zusammen versuchen - hier ist Dein Milreis, und nun beginne Dein Geschäft gleich damit, daß Du vor das Haus gehst und das dort stehende Pferd meiner Schwester hereinführst und absattelst."

„Donnerwetter, das geht geschwind!" meinte Jeremias, „und eigentlich wäre heute Sonntag. Das arme Thier kann aber auch nicht da draußen stehen bleiben - also, junger Herr, wir sind jetzt für einen Monat mit einander zusammen gegeben, wie der Pfarrer sagt."

Dabei nahm er das Milreisstück, betrachtete es einen Moment aufmerksam, schob es dann in die Tasche, machte eine kurze, nicht ungeschickte Verbeugung und verließ rasch den Garten, um den überkommenen ersten Auftrag auszuführen.

Aber auch der Baron hatte diese kleine, ihm sehr gelegene Unterbrechung benutzt, dem ihm unangenehm werdenden Gespräche mit der Gräfin eine andere Wendung zu geben, und als jetzt auch die Comtesse zurückkehrte, die Vollrath aber nur bis an die Gartenthür begleitete, worauf er sich empfahl, schützte er plötzliches Kopfweh vor und beurlaubte sich ebenfalls mit der gewohnten Förmlichkeit bei den Damen.

Die Gräfin hatte indessen Vollrath ankommen und wieder gehen sehen, und wenn sich ihr Geist auch gerade mit ganz anderen Dingen beschäftigte, war ihr doch das auffallend bleiche und niedergedrückte Aussehen des jungen Mannes nicht entgangen. Sie warf einen forschenden Blick auf ihre /58/ Tochter, aber Helenens Antlitz, wenn ihre Augen auch einen ganz ungewohnten Glanz hatten, verrieth durch nichts einen in ihr aufsteigenden, plötzlichen Verdacht. Nur, als das junge Mädchen den Kopf abwandte - vielleicht um ihr Antlitz dem mißtrauischen Auge der Mutter zu entziehen - und sich dem Hause zuwandte, sagte die Dame leise:

„Helene!"

„Mutter?" fragte die Tochter und wandte sich halb nach ihr um.

„Was ist denn mit Vollrath vorgegangen? Er hatte, als er Dich verließ, keinen Blutstropfen in seinem Gesichte."

„Wirklich nicht? Ich habe es nicht beachtet."

„Und Du bist auch so sonderbar."

„Ich, Mutter?"

„Ja - Du - Helene, ich will nicht hoffen, daß Du..."

„Was, Mutter?" sagte Helene, und ihr Auge haftete kalt und ernst auf den strengen Zügen derselben.

„Es ist gut, mein Kind," sagte die Gräfin, die sie einen Moment aufmerksam betrachtet hatte. „Ich glaube, ich kann mich fest auf Dich verlassen und Du bedarfst keiner Wächterin."

„Ich denke nicht, Mutter," sagte Helene, indem ein leichtes zorniges Roth ihre Wangen färbte. Dann wandte sie den Kopf wieder ab und schritt, ohne der Mutter Gelegenheit zu weiteren Fragen zu geben, rasch in das Haus und hinauf in ihr Zimmer, wo sie sich einschloß und an dem Abend nicht mehr zum Vorschein kam.

4.

Die „Meierei".

Dicht über der Colonie Santa Clara, wenn man in gerader Richtung eben hätte hinauf kommen können, aber /59/ durch einen ziemlich steilen Hang, an dem nicht einmal ein Fußsteig emporführte, davon getrennt, lag die Wohnung des Colonisten Meier, den der Director gegen Könnern den Einsiedler genannt hatte. Allerdings lief ein Fahrweg bis dicht an seine kleine, wenig bebaute Chagra, aber er wurde nicht häufig benutzt, da er nur zu sehr entfernten Ansiedelungen führte, und die Bewohner der „Meierei" - wie man den Platz scherzweise genannt hatte - kamen nie selber in die Colonie herab. Insbesondere der Eigenthümer, der alte Herr Meier, hielt sich so von der Welt abgeschlossen, daß es eine Menge älterer Ansiedler in Santa Clara gab, die sich gar nicht erinnerten, sein Gesicht je gesehen zu haben.

Auffallend war dabei, daß er nie Briefe empfing oder schrieb, und doch mußte er sich, seinem ganzen Wesen, allen seinen Gewohnheiten nach, daheim in der besten Gesellschaft bewegt haben. Wie er aber sein kleines Haus dicht hinter den Schutz der Bäume gebaut hatte, daß es lauschig und versteckt dort lag, weder gestört, noch selbst beachtet von der Außenwelt, so hielt er sich selber und seine Familie dem regen Leben und Treiben fern, das unter ihm wogte - es nicht suchend und nicht von ihm gesucht.

Er lebte dabei ganz seiner Familie, mit der er sich einzig und allein beschäftigte und in der er vollkommenen Ersatz für die übrige Welt zu finden schien. Im ersten Jahre freilich fehlte dem an Thätigkeit gewohnten Manne eine bestimmte und ausgesprochene Beschäftigung, und er genügte dem Drange nach Arbeit nur dadurch, daß er seinen eigenen Garten anlegte, umgrub und pflanzte. Das aber konnte ihn auf die Länge der Zeit nicht befriedigen, und da er manche Tischlerarbeiten in seinem Hause zu machen hatte und einen jungen, sehr geschickten Arbeiter dazu fand, schaffte er sich selber Werkzeug an und lernte bald die verschiedenen Griffe und Vortheile dieses Handwerks. Dann kaufte er sich eine Drehbank, und nahm sich auch hierfür auf kurze Zeit einen Lehrer an. Außerdem verstand er schon daheim ein wenig von der Malerei, was er jetzt in seinen Mußestunden noch weiter ausbildete. Eine recht hübsche Bibliothek hatte er sich /60/ ebenfalls angeschafft, und da er bei allen diesen Beschäftigungen viel praktischen Verstand besaß, so richtete er sich in wenigen Jahren seine kleine Heimath so allerliebst und traulich her, daß jedes Zimmer einem Puppenstübchen glich, ohne daß er dabei aber auch nur den geringsten Luxus getrieben hätte.

Nach außen vermied er jedoch Alles, was nur im Geringsten die Aufmerksamkeit eines Fremden hätte auf sich ziehen können; er wollte nun einmal mit der Welt keinen Verkehr haben, und was ihn auch dazu bewogen haben konnte, auf die geschickteste Weise wich er jeder Annäherung fremder Menschen aus.

Seine Familie bestand, wie schon erwähnt, nur aus seiner Frau und einer erwachsenen Tochter. Diese, Elise, hatte erst dreizehn Sommer gezählt, als er, vor nun sieben Jahren, die damals kaum entstandene und noch ziemlich wilde Colonie erreichte, und wenn auch ein junges Mädchen in diesem Alter wohl berechtigt ist, größere Ansprüche an das Leben zu stellen, während sie hier - obgleich von allen Bequemlichkeiten umgeben - wie auf einer wüsten Insel saß, so schien doch Elise das nie zu fühlen oder irgend einen andern Wunsch zu kennen als den, die Häuslichkeit ihrer Eltern eben zu theilen, wie sie war. Auch auf ihren Charakter hatte das stille, abgeschlossene Leben nicht den geringsten nachtheiligen Einfluß ausgeübt. Sie war immer heiter und guter Laune und eigentlich das einzige sonnige Element im Hause.

Wenn auch ihre Eltern selbst glücklich mit einander lebten und nie ein hartes oder auch nur unfreundliches Wort zwischen ihnen vorfiel, so lag doch auf des Vaters Stirn nur zu oft ein tief eingeschnittener Zug von Schwermuth, den wegzuscheuchen nur allein der Tochter, nie der Mutter gelang.

Noth oder Sorge um den Lebensunterhalt konnte das nicht sein, denn Meier war, wenn auch vielleicht nicht reich, doch keineswegs ohne die Mittel, sich eine sichere Existenz zu wahren. Konnte es Heimweh sein - vielleicht, aber Niemand erfuhr das, Niemand hörte je eine Klage, wie er etwaigen Fremden, mit denen er trotz aller Vorsicht gelegent-/61/lich zusammentraf, wenn er nur die Schüchternheit der ersten Begegnung überwunden hatte, auch stets das nämliche freundliche Lächeln zeigte. Es lag dabei etwas in seinem ganzen Wesen, das rasch für ihn einnahm, wenn man nur kurze Zeit in seiner Nähe weilte. War es das lange, schlichte, schneeweiße Haar, das er mitten auf dem Kopfe gescheitelt trug, und das sonderbarer Weise erst hier in Brasilien diese Farbe des Alters, und zwar gleich im ersten Jahre, angenommen hatte, war es der leichte leidende Zug um den Mund, den selbst das Lächeln der feingeschnittenen Lippen nicht ganz zerstören konnte, war es sein mildes, nachgebendes Wesen, man wußte es selber nicht, aber konnte dem Manne, trotz seiner Eigenheit, nie böse sein.

Nicht ganz den freundlichen Eindruck machte seine Gattin, obgleich man auch ihr auf den ersten Blick ansah, daß sie sich stets in guter Gesellschaft bewegt habe. Sie hatte das Kalte, Zurückhaltende ihres Mannes, ohne dessen milde Freundlichkeit, und der mißtrauische Blick ihres kleinen grauen Auges, mit dem sie jeden Fremden, ja selbst Leute, die sie lange als Nachbarn kannte, betrachtete, munterte eben nicht zu einem freundlichen Zusammenleben mit ihr auf. Uebrigens war sie eine noch recht hübsche, stattliche Frau, von vielleicht sieben- oder achtunddreißig Jahren, und die einzige Meinungsverschiedenheit, welche je zwischen ihr und ihrem Gatten auftauchte, war die, daß sie sich mehr dem geselligen Leben der Colonie hinzugeben wünschte.

 

So nachgebend dieser aber auch in jeder andern Beziehung sein, mochte, an dieser Klippe scheiterte selbst jede Bitte von Frau und Tochter. Was ihnen das eigene Haus an Bequemlichkeit, ja selbst hier und da an einem versteckten Luxus bieten konnte, dazu reichte er mit Freuden die Hand und erfüllte selbst jeden nur geahnten Wunsch; aber über die Grenze seines kleinen Besitzthums ging er nicht hinaus, und sogar das zufällige Lichten der Pflanzenmauer, die seinen kleinen Klosterhof umschloß und, durch den Sturm niedergebrochen, sein Haus der Aussicht öffnete, schien ihn zu geniren und zu stören. Er versäumte wenigstens keine Stunde am nächsten Morgen, die zerrissene Lücke durch eine Anpflanzung /62/ anderer junger Palmen und Büsche zu ersetzen, die freilich jetzt Zeit brauchten, bis sie die nöthige Höhe wieder erreichten, aber doch wenigstens den untern Theil des Hauses deckten.

Es war an dem nämlichen Sonntag-Nachmittage, daß der Direktor Sarno mit den beiden Freunden Könnern und Günther den schmalen Weg hinausritten, der zu der sogenannten „Meierei" führte, und erst als sie in die Nähe des kleinen, freundlich gelegenen Hauses kamen, hielt der Director sein Pferd an und sagte, mit dem Arm in eine früher gehauene Schneuße hinein deutend:

„Sehen Sie, Herr von Schwartzau, dies ist die zweite alte Linie, die damals von jenem Stümper ausgeschlagen wurde. Wenn Sie nur Ihren Taschencompaß herausnehmen, sehen Sie schon, welchen Bock jener gescheidte Herr geschossen, der es möglich machte, die Variation auf die verkehrte Seite vom Pol zu legen. Die ganze Vermessung ist dadurch vollkommen werthlos geworden und muß neu gemacht werden. Die nächstgelegenen sechs Colonien gehören aber jenem Herrn in dem Hause da drüben, der sich einen ziemlich bedeutenden Landstrich hier erworben, nur um, wie es scheint, keinen nahen Nachbar zu bekommen, denn was er selber bis jetzt urbar gemacht, ist sehr unbedeutend. Jedenfalls müssen wir aber dessen Grenzen mit bestimmen, damit wir wissen, wo das noch freie Land beginnt, und ich möchte diesen District, wie jenen südlich von der Ansiedelung, am liebsten zuerst in Angriff genommen haben. Diesen hier nehmen Sie also vielleicht gleich morgen vor, denn von hier aus streckt sich eine ziemlich ausgedehnte Hochebene mit nur leiser Steigung dem nächsten Bergrücken zu, und Sie können hier eine tüchtige Anzahl Varas2 den Tag ablegen."

„Und ist der Wald sehr dicht?"

„Nicht übermäßig. Ich will Ihnen Ihr Amt auch nicht zu schwer machen und einen zu breiten Ausschlag verlangen, gründlich müssen die Linien aber gelegt und die Bäume besonders so markirt werden, daß die hiesige Vegetation nicht die Spuren in ein paar Jahren wieder verwächst und vernichtet - wir sprechen darüber noch heut Abend, ob wir Theer mit Buchstaben von weißer Oelfarbe oder vielleicht gar /63/ Blechplatten nehmen, was freilich bedeutend mehr Kosten macht."

„Und wie viel Leute glauben Sie, daß ich mit mir nehmen soll?"

„Kommen Sie, wir reiten einmal ein kurzes Stück in den Wald hinein, der sich dort hinüber ziemlich gleich bleibt," erwiderte der Director, „Sie können es dann selber leicht beurtheilen. Sparen Sie lieber nicht mit den Leuten, wenn Sie dadurch rascher vorwärts rücken, denn Sie vermessen ja dafür auch so viel mehr, und ich garantire Ihnen, daß Sie hier, um nur das Nothwendigste fertig zu bringen, drei volle Monate scharfe Arbeit haben. Je mehr wir aber in möglichst kurzer Zeit beenden, desto besser ist es; denn wenn uns die neuen Ansiedler erst noch auf den Hals kommen, und ich weiß nicht, wo ich sie unterbringen soll - dann ist es mit dem Frieden hier vorbei." Mit diesen Worten wandte er sein Pferd und ritt in einen schmalen Seitenpfad, von Günther gefolgt, hinein, während Könnern noch in dem breiten Wege hielt und sich Meier's stille und trauliche Heimath betrachtete. Es lag ein ganz eigener Zauber über dem Platze, dem die hier vollkommen tropische Vegetation durch angepflanzte Palmen, Farrn und die wunderliche Baumform der Pinien einen noch viel größeren Reiz verlieh.

Gern wäre er auch einmal zu dem Hause hinüber geritten, die Insassen desselben kennen zu lernen, denn daß der Alte so vollkommen menschenscheu sein sollte, glaubte er noch nicht recht. Aber er durfte seine Gesellschaft nicht zu weit aus den Augen verlieren, und der Director wie Schwartzau waren viel zu sehr in ihr „Terrain" vertieft, um sich in diesem Augenblicke um etwas Anderes zu kümmern, als Nord und Süd und Ecken und Fronten. Günther hatte dazu seinen kleinen Compaß herausgenommen und visirte damit, als sie den Pfad entlang ritten, dicht an einer viel interessanteren Front vorüber, wie sie die bestgelegene Colonie hätte bieten können, ohne sie auch nur zu sehen, nämlich an einem reizenden jungen Mädchen, das, vielleicht sechs Schritt von dem Pfade entfernt, mit einem Buche in der Hand unter /64/ einer halb natürlichen, halb durch Kunst hergestellten Laube saß und, ohne sich zu rühren, die vorbeireitenden und in tiefem Gespräche begriffenen Männer beobachtete.

Sie würde sich in der That lieber ganz zurückgezogen haben, hätte sie nicht gefürchtet, durch eine Bewegung ihre Gegenwart zu verrathen. Jetzt erst, als sie vorüber und schon halb von den Büschen verdeckt waren, richtete sie sich empor und drehte den Kopf um, ihnen nachzusehen.

In diesem Augenblicke passirte Könnern die versteckte Laube. Mit keinem solchen Interesse an der Vermessung des Bodens, und in der alten Gewohnheit des Jägers, das Auge jedem sich regenden Punkte rasch zuzuwenden, entdeckte er kaum die liebliche, jetzt verlegen erröthende Gestalt, als er auch unwillkürlich sein Pferd anhielt und achtungsvoll die Jungfrau grüßte.

War aber für ihn nicht die geringste Veranlassung gewesen, hier zu halten, so besaß er entweder in dem Momente nicht Geistesgegenwart genug, seinem Thiere wieder rasch den Sporn zu geben, oder die freundliche Erscheinung fesselte ihn so, daß er sich nicht gleich wieder losreißen konnte und wollte, und nur, um sich aus einer peinlich werdenden Situation zu bringen, sagte er verlegen:

„Ich muß tausendmal um Entschuldigung bitten, Sie gestört zu haben, Señora, aber ich vermuthete hier in der That Niemanden mitten im Walde."

„Sie haben mich nicht gestört," erwiderte Elise mit ihrem gewinnenden Lächeln, denn die Verlegenheit des jungen Fremden war ihr keineswegs entgangen; „ich fürchte nur, daß Ihre vorangerittenen Freunde den Weg verfehlt haben, denn dieser Pfad führt allein wenige hundert Schritte in den Wald hinein und endet dann in einem verworrenen, von Schlingpflanzen durchwachsenen Dickicht, durch das sie mit ihren Pferden nicht dringen können."

„Also müssen sie wieder diesen Weg zurück?" fragte Könnern, sichtlich darüber erfreut, denn er bekam dadurch eine Entschuldigung, sie hier zu erwarten.

„Allerdings," erwiderte das Mädchen - „wollen Sie denn zur Kolonie hinunter?" /65/

„Wenn Sie das kleine Städtchen meinen, nein. Wir kommen eben daher und sind nur auf einem Spazierritte, auf dem die beiden Herren da vorn das Terrain recognosciren, um nöthige Vermessungen vorzunehmen."

Die Jungfrau, welche, als sie der Fremde anredete, aufgestanden war, verbeugte sich leicht und schwieg, und Könnern, der nicht den geringsten Anhaltspunkt sah, das Gespräch in schicklicher Weise fortzusetzen, grüßte noch viel verlegener als vorher, und folgte jetzt den beiden Freunden, die er gleich darauf an der von Elisen angedeuteten Stelle überholte.