Der Anfang vom Ende der Ewigkeit.

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Wie hießen nochmal die Schutzheiligen der Alten? Santa Demenzia, Flatulenzia und Inkontinenzia, höhnte Hochreiter in Gedanken. Renitenzia käme bei ihm noch dazu, zumindest solange er sich noch würde wehren können. Oder das zumindest glaubte - gegen die Willkür der Pfleger und Eingriffe in seinen Willen. Einer flog übers Kuckucksnest. Fetzen aus dem Film flirrten irrlichternd durch sein angezähltes Gehirn. Nein, dachte Hochreiter bitter, dann lieber vorher auf eigenen Wunsch ins Nirwana gehen. Bevor einen das Nichts von innen her aushöhlt und den schäbigen Rest von außen auffrisst. Den richtigen Zeitpunkt dafür durfte man nicht verpassen. Sonst muss man den ganzen harten Weg nach unten gehen. Zurück in den Zustand eines lallenden, mit Brei gefütterten hilflosen Babys in Windeln. Aber die sind ja wenigstens niedlich, wecken mütterliche Instinkte mit ihren Pausbäckchen und den großen Augen, die die Welt noch nicht kennen und sich darauf freuen. Anders als faltige stinkende Sabbergreise: Aus der Schnabeltasse nuckelnd, im Angesicht des Todes flehende Blicke voller Angst auf junge, schöne Schwestern und Pfleger aus den Armenhäusern Europas, Afrikas und Asiens werfend. Die dann nur mühsam ihr Angewidertsein verbergend den Kopf wegdrehen …

Erinnerungen an die psychiatrische Klinik nach dem Unfall fluteten wieder durch sein schwammlöchriges Hirn. Man hatte ihn nach seinem Zusammenbruch im Arbeitsamt eingewiesen. Er hatte ein Schreiben erhalten, dass er seine weitere Erkrankung nachweisen müsse, sonst müsste man ihm bedauerlicherweise die Leistungen kürzen. Die junge sachorientierte „Kundenberaterin“ mit blondem Pferdeschwanz und Angeberbrille vom Typ „Unternehmensberater“ hielt ihm einen wohl frisch im Seminar gelernten schwungvollen Vortrag zum Thema „Wiedereinstieg ins Arbeitsleben nach traumatischen Erlebnissen“ und zeigte ihm die vielfältigen Möglichkeiten und Chancen auf: aktive Mitarbeit bei der Jobsuche oder weniger Geld.

Hatte er sie nach dem folgenden heftigen Wortwechsel wirklich tätlich angegriffen, sie gar an den Haaren gezogen, wie sie behauptete? Hatte er Akten zerrissen, den Schreibtisch leergefegt, die Zimmerpflanzen gegen die Wände geschleudert, den PC-Monitor und die Regale umgeworfen? Er konnte sich nicht daran erinnern. Er „wusste“, nein, ahnte eher schemenhaft, dass ihn drei weitere „Kundenberater“ aus den Nachbarzimmern überwältigten und der kurz darauf eintreffenden Polizei übergaben. Ein Amtsarzt diagnostizierte ein „erhöhtes Aggressionspotenzial“ das sich gegen ihn selbst und schlimmer noch, auch gegen andere richten könne und verfügte die sofortige Einweisung in eine psychiatrische Klinik in Ulm.

Die Plätze in und um Stuttgart waren alle belegt. Dort an der Donau gaben „sie“ ihm den Rest, davon war Hochreiter überzeugt. Ausgerechnet Ulm, das kleine schöne Städtchen, das er mit Karin so gerne besuchte, im romantischen Fischerviertel einkehrte, ihr atemlos hinterher hechelte mit hängender Zunge die tausend Stufen des Ulmer Münsters, die Augen auf ihren immer noch so knackigen Hintern gerichtet ...

Die Pillen, die er schlucken musste, die Einzelzelle, die Zwangsjacke und die Elektroschocks, war das alles nicht real, wie „sie“ nachher behaupteten? Hatte er nicht noch den metallischen Geschmack im Mund, den Elektrodengeruch in der Nase, die pulsierenden Schmerzen in allen Gliedern? Nach ein paar Wochen war er ruhig und schluckte brav die Tabletten, wehrte sich nicht, wenn er aus seinem „Zimmer“ zu einer Therapie geführt wurde. Er machte mit, wenn die Therapeuten seine Seele erforschten und versuchte brav, sein Trauma zu verarbeiten. Den Tag auf der Alb, den Tod seiner Frau. Aber sie kamen immer nur bis zu einem bestimmten Punkt, bis zu dem er sich erinnerte. Ab dem Moment hatte sich sein Bewusstsein wohl ausgeblendet und schaltete sich auch jetzt noch aus, wenn er sich ihm näherte, dem Augenblick, wo der Keiler durch die Öffnung der herausgebrochenen Windschutzscheibe Karins Kopf mit seinen Hauern packte und ...

Er verlor bei diesen Sitzungen regelmäßig die Besinnung und man entschied, nicht weiter an diesem traumatischen Erlebnis zu arbeiten. Er bekam die Erlaubnis, auf dem Hof mit anderen Insassen der Klinik seinen Runden zu drehen und schließlich durfte er auch in der Küche mithelfen. Er schälte Kartoffeln, putzte Gemüse, deckte den Tisch und spülte ab. Dabei redete er kein Wort, mit niemandem, nicht einmal mit sich selbst. Aber er war nicht der einzige „Stumme“. Da war noch dieses junge Mädchen mit dem scheuen Blick, das ebenfalls beim Kochen half. Ein seltsames tintenblaues Tattoo hatte sie auf dem rechten Handrücken, es sah schlecht gemacht aus, wie selbstgestochen und sollte wohl ein Messer darstellen oder ein Schwert. Die Umrisse kamen ihm seltsam bekannt vor, wo hatte er das nur schon mal gesehen ...

Einmal waren sie alleine noch beim Abtrocknen, Spülmaschinen gab es aus therapeutischen Gründen nicht, irgendwie mussten die Patienten ja ihren Tag herumbringen und die Klinikleitung verfolgte den Ansatz der Heilung durch Arbeit. Irgendwie musste er wohl schon eine geraume Zeit auf ihren Hintern gestarrt haben, der sich unter ihrem Kittel undeutlich abzeichnete. Ein lange nicht verspürtes Gefühl überkam ihn mit einem deutlichen Signal zwischen seinen Schenkeln. Hart richtete sich da etwas auf, das er nicht mehr beachtet hatte seit dem Unfall. Sie bemerkte das wohl instinktiv, schaute ihn ohne zu lächeln und ohne Abweisung an, kam zu ihm und presste ihren Po gegen seinen Schwanz, der sich innerhalb weniger Sekunden in seine Unterhose entlud, schaute ihn noch einmal so ausdruckslos an wie in dem Moment, als sie sich an ihn drückte und ging wortlos an ihre Arbeit zurück.

Die Lust auf Fleisch war bei Hochreiter zwar in den letzten Jahren eher auf kulinarische Erlebnisse beschränkt. Aber sein Schwanz wurde schon noch wach, wenn eine Frau seinen erotischen Wunschbildern entsprach. Das konnte der knackige, nicht zu große, nicht zu kleine zum Reinbeißen verlockenden Poapfel in einer engen Jeans sein oder – besser noch - in einer Lederhose. Mein Gott, wie hatte er mit Fünfzehn auf Suzi Quattro „gestanden“ und wie oft ihr Bild aus dem Starmagazin als Anregung seiner lebhaften Phantasie hergenommen. Sein Papiertaschentuchverbrauch entsprach dem eines schwerst betroffenen Heuschnupfenopfers.

Jahre später an der Uni auf einem Erstsemesterfest: Eine Kommilitonin – Susi? Sanne? Biggi? – der Name, weg! - schon wieder ein Alarmzeichen! - ein Prachthintern in engster Tierhaut, glatt, schwarz, glänzend, animalisch geil duftend. Weiße halboffene Bluse ohne BH drunter und mit blonden Locken. Sein feuchter Traum tanzte in echt direkt vor ihm lasziv wie in Trance. Sofort war es um ihn geschehen. Enthemmt von zwei Flaschen Bier tänzelte er zu ihr. Sein Glied drückte pulsierend und schmerzhaft gegen den harten Reißverschluss. Sein Kopf lief trocken. Das Blut wurde unten dringender gebraucht. Nur das Echo archaischer Triebe dröhnte noch darin: „DIE DA HABEN WILL! FICKEN! JETZT!“ Er zappelte vor ihr herum, bis er ein Lächeln auf ihren Lippen sah. Näherte sich dreister, presste sich von hinten mit seinem Unterleib an diesen göttlichen prallen Lederarsch. Das Teil war so knapp geschnitten, dass sich vorne im Schoß ihre Schamlippen schamlos abzeichneten wie modelliert. Hinten entfalteten sich die zwei Hälften des Apfels symmetrisch links und rechts der Nahtspalte. Ein Slipumriss drückte sich durch wie ein 3D-Tatoo.

Und dann geschah das Wunder: Sie drehte sich nicht etwa um, scheuerte ihm eine und schrie dazu „Verpiss dich!“. Nein, sie hielt mit kreisenden Bewegungen fest gegen seinen Schwanz. Er rieb sich im Rhythmus der irre lauten im Bauch wummernden Musik – ausgerechnet „Satisfaction“ von den Stones - an ihren wackelnden Pobacken. Sah im hypnotisierenden Strobo-Flackerlicht ihre Löwinnenmähne fliegen, die Schweißperlen auf ihrer Oberlippe. Roch das schwere betäubende Patchouli-Parfüm an ihrem Hals. Zog den tierischen Duft des Leders ihrer heißen Pants durch seine Lefzen. Tropfte vor Begeisterung, nicht nur aus dem Mund. Hörte ihr lustvolles Stöhnen und ihr keuchendes Mitsingen. Kam endlich mit glühenden Eiern und einem tierisch gebrüllten „I can get no …“ in die schmerzhaft enge Hose. Es tat teuflisch weh, als er sie später auszog: seine erste Enthaarung. Der körpereigene Superkleber hatte sich beim Trocknen aufs feinste mit den Haaren und dem Slip verbunden. Sein klebriger Samen, sein schmackhafter Erguss:

Riecht wie Kastanienblüten, sagte Anne? Babsi? Conny? ... genießerisch sich die Lippen leckend damals am See, als nach dem nackten Sprung in die Fluten sie auf dem noch warmen Sand sich wälzten ...

Ja, das war eine seiner Lieblingserinnerungen, die er hoffentlich nicht oder wenigstens nicht so schnell vergaß. Er holte sie sich deshalb auch öfter aus dem persönlichen Archiv hoch und sich dabei einen runter. Was Susi? Sanne? Biggi? – wie war ihr Name verdammt nochmal? ... inzwischen wohl machte? Wahrscheinlich war sie ziemlich in die Breite gegangen.

Ihr Becken hatte damals ja schon recht einladend ausladende Ausformungen, wie er mit Vergnügen feststellte, als er ihren Körper in ihrer Studentenbude nach dem Konzert erkunden durfte. Ihr kleiner nasser Slip, den er aus dem engen Leder befreite. Der Moschusduft aus den weichen Locken ihres Schoßes. Die festen, spitzigen Brüstchen mit den harten rosa Nippeln. Der schneeweiße Traumarsch. Ach Suzi ... und später Emma, Emma Peel, eigentlich Diana Rigg, die aus der TV-Serie „Mit Schirm, Charme und Melone“. Im hautengen schwarzen Ganzkörper-Lederanzug legte sie die Männer reihenweise flach, allerdings rein karatemäßig. Suzi und Emma haben wohl eine ganze Generation pubertierender Jungs zu Lederfetischisten gemacht.

 

Auch Dessous waren sein Ding. Er nahm die dicken Kataloge von Otto, Quelle oder Neckermann mit auf die sorgsam abgeschlossene Toilette. Mit weitaufgerissenen Augen die Mädchen und Frauen in Miedern und Büstenhaltern anstarrend. Das war Unterwäsche ganz anders als die seiner Mutter. Keine langweilig hautfarbenen Mieder, sondern Spitze, Seide, Lack, Leder, in allen Farben: weiß, schwarz, rot, lila, grün, aubergine, transparent, durchbrochen, blickdicht. Sie glänzten im Scheinwerferlicht, wirkten feucht, bei den durchsichtigen schaute er immer auf die Spalte, die er ja noch gar nicht kannte.

Er wusste nicht, wie eine Frau „da unten“ aussah, ihre Möse, Spalte, Muschi, Fotze oder „Futt“, wie sie manche der Jungs auf dem Schulhof verschwörerisch raunend beim mindestens mystischen, wenn nicht gar teuflischen Namen nannten. Er wusste auch nicht, wo genau diese geheimnisvolle Öffnung war und vermutete sie lange ungefähr in Höhe des Schambeins.

Er halluzinierte und stellte sich Frauen in Dessous vor, halbtransparent, die sich stöhnend streicheln. Zwischen den Schenkeln, an den Brustspitzen, am Poloch ... So saß er halbgeschlossenen Auges auf der Klobrille, mit der linken Hand den kiloschweren Bildband haltend, was schon alleine eine sportliche Leistung war. Mit der rechten – nun ja – durch Reibung ein Energiepotenzial erzeugend ... Später pauste er dann an seinem Schreibtisch sitzend mit Butterbrotpapier die Umrisse scharfer Mädels aus den Katalogen ab und ebenso BHs und Höschen. Schnitt sie dann aus, um das Mädchen, das er mit Buntstiften nackt ausgemalt hatte mit verschiedener Reizwäsche immer wieder hübsch an- und auszuziehen. Eine schöne Beschäftigung am Nachmittag, wenn er angeblich Hausaufgaben machte. Heute findet man das alles mit ein paar Klicks in HD-Qualität im Internet, damals war noch Kreativität gefragt.

Hochreiter hatte hohe ästhetische Ansprüche beim „Real-Life-Sex“. Obwohl er wahrlich kein Adonis, sondern ein von der Idealfigur sich immer weiter entfernender, doppelkinniger und hängewangiger Typ war. Wenn ich etwas Übergewichtiges mit Falten im Bett haben will, dann muss ich es mir vor dem Spiegel nur selber machen, dachte er. An attraktive Frauen oder gar knackige junge Mädchen zu kommen, die Erfüllung dieses durchaus verständlichen Wunsches konnte er in der freien Wildbahn aber vergessen. Dafür fehlte ihm das nötige Geld, das Frauen noch immer bewegt, bei der Partnerwahl nicht unbedingt auf das Äußere zu achten. Hier zählten andere Werte, die sogenannten „inneren“ wie Konten, Status, Automobile oder natürlich besser noch Immobilien. Fehlende optische Attraktivität ließ sich - so man hat - leicht mit Hilfe des Portemonnaies kompensieren. Eine schicke Penthousewohnung und ein Fahrzeug mit Pferdle-Emblem auf der Motorhaube machten schon immer Eindruck auf die Damenwelt.

Kein dicker Loser-Opa im 70iger Benz, da stehen nur Oldies und Oldtimerfans drauf, die in derselben Kreisklasse spielen. Aber immer nur Handbetrieb? Ab und an, nach einem kleinen Auftrag gönnte er sich deshalb einen Profiservice unten in Stuttgart. Er lag dann neben, auf und unter einer jungen schönen weißen, gelben, milchkaffeehäutigen oder gar schwarzen Frau mit falten- und dellenlosen Haut. Entblößt durch einen lasziven Striptease, die atemberaubenden Dessous ihm ins Gesicht haltend, ihn schon einmal an der Beute schnuppern lassend. Die Verführerin schenkte ihm mit ihren feuchten, attraktiv bemalten Lippen ein Lächeln. Makellos weiße Zähne blitzten, bevor sie ihr wohlfrisiertes Haupt in seinen Schoß tauchte.

Und er, der Gentleman und Kavalier alter Schule revanchiert sich gerne und widmet sich in seiner Lieblingsvorspielstellung „Sixty-nine“ mit Mund und Zunge schleckend, leckend, Salz und geile Gewürze schmeckend, saugend, knabbernd, pustend, blasend ihren, wie heute üblich, völlig enthaarten, ultimativ freigelegten, wunderbar duftenden und schmeckenden Lippen, glänzenden glatten Spalten und pulsierenden Öffnungen. Rosa Fleischblüten im schwarzen Ebenholz blasend, ja, denn Frauen kann Mann und Frau tatsächlich „blasen“, Männer stehen mehr aufs Saugen, Zuzeln, das glaubte Hochreiter zu wissen.

Ihn überfielen feuchte Tagträume, wenn ihn auf der Straße oder im Gedränge der U-Bahn der Hauch eines Parfüms streifte, das eine der Geliebten seiner Jugend immer auf ihrer Haut trug. Ein paar wenige Moleküle von Aldehyden dieser Mischung brachten seine Synapsen und Neuronen zum Tanzen. Ganz selten nur noch, eigentlich nur bei den schwarz gewandeten Girls der Gothic-Szene ließ sich Patchouli erschnuppern.

Ein unverkennbarer moschusartig modrig morbider schwülschwerer Duft nach frischer Blumenerde waberte um die munteren Mädchen der siebziger Jahre in den lila gebatikten Wallewallekleidern. Darunter meist nichts außer unrasierten schwitzigen Achseln und einem ebenfalls wildwachsenden und wild duftenden Busch.

In ihren von Amber- oder Sandelholz-Räucherstäbchen, Vanillekerzen und Kirscharomatees gewürzten Zimmern der elterlichen Wohnung waren die gar nicht so braven Mädels schnell bereit zu allerlei freizügigen Spielen. Auch wenn ihre Mama nebenan bügelte. „Die lässt uns in Ruhe, glaub mir!“, hatte Corinna ihm versichert, zog ihn mit seinem hochroten Kopf am Mutterdrachen vorbei - „das ist der Alex!“ - in ihre Hexen-Höhle, schloss mit schelmischem Zwinkern die Tür und legte Moustaki auf den Plattenteller. Er erforschte mit Nase, Lippen und Zunge gerade lustvoll die feuchten Auen im nach natürlichem Moschus riechenden Wäldchen zwischen ihren Schenkeln, ließ sich die reichlich strömenden Säfte der stöhnenden Schönen schmecken, da platzte die Alte natürlich doch herein und fragte: „Wollt Ihr vielleicht ein paar Schnittchen oder etwas zu trinken …? CORINNAAAA!“

Extrem anregend fand er deshalb auch die verschiedenen „tierisch“ angesagten Musk-Produkte mit ihrem Hirn und Schoß durchdringenden animalischen Moschusduft, ein Parfüm in angerauter Flasche war das, erinnerte er sich oder diese eine Körpermilch, es gab noch ja keine Bodylotion oder Massageöl, allesamt sehr sinnlich schwül und lecker. Ebenfalls „in“ war bei manchen Girls die Bübchenmilch mit ihrer Kamillennote. Das roch noch wirklich nach Kinderzimmer und Babypflege, machte dazu eine zarte Haut, wie die Girls betonten „... oder findest Du nicht?“

Und dann gab es da eben auch noch dieses einen absoluten Hammer-Duft, der ihn bei einer Braut erwischte mit etwa Ende Zwanzig. Der hieß Linique, später Clinique genannt, so wie Raider umgetauft wurde in Twix, „sonst ändert sich nix“. Der karamellklebrige Schokoriegel hatte aber niemals diese Wirkung auf ihn.

Das Zeug traf ihn beim ersten Schnuppern wie eine olfaktorische Atombombe: Ein gleißend blendender Blitz und dröhnender Donner aus Amber und Patchouli, Rose und Sandelholz, Ylang-Ylang und Jasmin … einfach wahnsinnlich! Wenn er heute auf der Straße oder in einem Kaufhaus diesen Duft roch, schoss ihm das Blut sofort wieder aus dem Kopf runter zwischen die Beine. Leider folgte dem Sinnesrausch meist rasch die Ernüchterung, wenn er sah, wer die Parfümwolke mit sich trug. Eben keine aparte dunkelhaarige zierliche Schönheit in hautengen Jeans oder gar Leder, sondern eine hässliche dicke Frau in scheußlichen Hässliche-Dicke-Frauen-Klamotten. Er hatte schon überlegt, sich seinen früheren Suchtstoff zu besorgen und mitzunehmen, wenn er mal wieder zartes Fleisch schmecken wollte. Vielleicht konnte er eine der Damen überreden, sich von ihm beduften zu lassen. Aber das Parfum war mittlerweile so teuer wie eine Servicestunde bei der Erotikfachkraft.

Trotzdem, der Nostalgiefick wäre der Hammer, eingeklemmt zwischen straffen Schenkeln und eingehüllt in den Liebesduft seiner wilden Jahre. Am besten mit einer, die ihr Wäldchen nicht kahlgeschlagen hatte, die gab es jetzt ja wieder als Spezialangebot, „behaarte Ladies“, die Natur wird halt auf allen Gebieten zum Luxus, brummte er kulturpessimistisch.

Henry Miller hatte es noch gut, in seinen der Jugend unzugänglich verschlossen zu bewahrenden offenschößigen Schilderungen der Zeit Anfang der 30 iger Jahre in Paris. Den „Wendekreis des Krebses“ hatte er als 14 jähriger Knabe von einem zwei Jahre älteren Kumpel heimlich ausgeliehen bekommen - sowas gab es natürlich nicht in der katholischen Pfarrbücherei - und mit offenem Mund und offenem Hosenstall verschlungen. Unvorstellbares kam auf der immer noch eselsohrmarkierten Seite zur Sprache: „... Sie hatte sich rasiert – keine Spur von einem Haar daran! ...“

Die Aufregung über eine kahle Furche, heute völlig absurd, der Hinweis auf die Nichtigkeit des Anlasses der Erregung, aktuell wie eh und je. Wenn eben nicht Eros zum Sexus sich gesellt und körperliche Liebe mehr ist als das Reiben unserer Häute aneinander. Wenn aus simplen animalischen Trieben raffinierte sublime Lüste erwachsen.

Das sein ganzes Leben hindurch in seinen Phantasien permanent präsente und leider allzu selten ausgelebte Lustthema hatte in Hochreiter auch den Wunsch reifen lassen, ein Buch zu schreiben, das Essen mit Erotik verbindet. Die Befriedigung des Hungers als Einstieg in geschlechtliche Abenteuerreisen. Eine „Cucina Aphrodisia“ oder „Küche der Lüste“ mit scharfmachenden Gerichten aus aller Welt.

Er ließ in feuchten kulinarisch-obszönen Tagträumen erlesene Spezereien und Köstlichkeiten seine Augen, seine Finger, seine Nase, seine Lippen, seine Zunge, seinen Gaumen, seine Synapsen sich erregen, ergötzen und laben an Orangensaft mit Ingwer, Chili und Zimt. Goldenem Kurkuma-Lassi mit Minze und Mango. Asiatisch gewürzter grüner Spargelcremesuppe. Safranmuscheln in Pastis. Exotisch gebeiztem Wildlachs. Currykokoshühnchenfrikassee. Tatar und Carpaccio vom Albbüffel. Jakobsmuscheln in Bourbon-Vanillesauce. Frische Atlantik-Austern auf Eis im eigenen Meerwassersaft mit einem Spritzer Zitrone. Gedünsteten Fine-de-Claire-Austern auf Sellerieapfelpüree mit Aniscroûtons. Feigensorbet auf Gorgonzola. Lauwarm im Mund zerfließenden Schokokuchen. Ziegenkäsecreme an Pflaumenmus. Honigmelonenwürfeln, tiefrot mariniert in Granatapfelsaft. Gegrillten Blutorangenspalten zu Chiligarnelen …

Eine bacchantische Lustküche dieser Art stellte er sich vor, serviert in fein inszenierter spätrömischer Dekadenz. Gedämpftes Licht, lederbezogene Stühle mit hohen Rückenlehnen, sehr bequem und weich und glatt und sinnlich, schwer und dunkel und tief animalisch duftend. Auf den Tischen dezent, aber anregend riechende Duftschalen und Räucherwerk. Flackerndes Kerzenlicht und im Hintergrund eine Klangcollage aus Tönen verschiedenster Art, Klangschalen und Trommeln und von Vögeln und Tieren, Wind und Wellen, Dschungel und Tiefsee, gepaart mit animierenden Geräuschen von Menschen, Frauen und Männern jeden Alters im Zustand beginnender, sich immer mehr steigernder und schließlich höchster Erregung, geiles Kichern, Lachen, Gurren, Schnurren, Stöhnen, Knutschen, Lutschen, Flutschen, Lecken, Schlecken, Schmatzen, Schlotzen, Zuzeln, Hecheln, Keuchen, Wimmern, Winseln, Ächzen, Seufzen, Stöhnen, Rufen, Schreien, Brüllen, quietschende Bettgestellfedern, knarzendes Holz, Klopfen, Pochen, Stampfen, Hüpfen, Hopsen, Kriechen, Robben, aufeinander klatschendes schweißnasses Fleisch, Knurren, Fauchen, Jauchzen, Jaulen, Japsen, Spucken, Schlucken, Würgen, Bellen, Bitten, Betteln, Flehen, Jodeln, Heulen, Singen, Rufen, Drohen, Befehlen, Schreien, Brüllen, Toben, Wüten, Fluchen, Schimpfen … Sekunden der Ruhe ... Erlösung ... Seufzen, Schnaufen, Röcheln, Schnarchen, Furzen, Rülpsen, Schlafen ...

Die Geräuschkulisse komponiert wie seine „Jungmann macht auf Bildung“-Fickmusik – gleich nach Santanas „Samba Pa Ti“ - dem „Bolero“ von Ravel: Aufs Langsamste verzögerte Steigerung von der gespannten Ruhe bis zur gewaltigen Eruption, dann erschöpfte Stille ... und dann? gaaanz laaangsaaam wieder von vorne natürlich.

Für ganz spezielle Gelegenheiten wie seinem 60. Geburtstag, falls er diesen erleben sollte, stellte sich Hochreiter auch eine Live-Performance vor mit einem lebendig dekorierten Buffet. Nackte Mädchen und Jünglinge geschmückt mit Früchten und anderen Leckereien. Im Hintergrund auf einer kleinen Bühne seine erotische Vision einer Straps-Lack-Latex-Leder-Band mit Popo-Percussion. Der „Drummer“ hat eine schwarzhaarige Lady mit Pagenschnitt über dem Knie liegen und gibt ihr Klapse auf´s nackte knackige Apfelgesäß. Die getätschelte, beklopfte, beklatschte Frau stöhnt dazu rhythmisch und voller Lust ins Mikrofon. Der „Mann am Bass“ zupft an den Zitzen und der behaarten Möse einer drallen Rothaarigen. Sie steht vor ihm, dem Publikum zugewandt, gibt dazu tiefe gutturale Töne von sich. Der „Posaunist“ bläst auf dem Rücken liegend sehr engagiert einer Blonden mit fliegenden Zöpfen die kleine blanke Schoßorgel. Sie hockt über ihm mit gespreizten Beinen und dankt dies in den höchsten spitzen Tönen. Sodann wechseln Musiker und Instrumente die Rollen und Aufgaben und auch zwischen Musikanten und Klangkörpern gleichen Geschlechts wird eifrig Musik gemacht in allen denkbaren Konstellationen.

 

Hochreiter träumte schon lange von einer archaischen Orgie dieser Art, er phantasierte in blitzartig in überfallenden Tagtraumfetzen davon, einfach den Schalter der Vernunft umzulegen, die Sicherungen von Moral und Tugend und Anstand und vor allem Angst vor sicherer dies- und möglicher jenseitiger Verdammnis mit dem feurig glühenden Laserschwert der Lust durchzuhauen und wie von Sinnen den Verstand zu verlieren und nur noch die tierischen Triebe und Gelüste regieren lassen, vollkommen sinnvergessen in einem ekstatischen Rausch der Sinne, Eintauchen, Versinken, Ertrinken in einem geil nach Moschus duftenden, nach Salz und Muscheln schmeckenden tosend wogenden, zuckend leckenden, kraftvoll stoßenden, nachgiebig sich öffnenden Meer aus Mündern, Mösen, Zungen, Titten, Nippeln, Ärschen, Fingern, Schwänzen, Löchern, Bergen und Tälern, Höhlen und Felsphallen, Pfählen und Pforten, alles bedeckt von frischen Fleischfruchtsäften, tropfend, fließend, spritzend, strömend, die äußeren und inneren Häute heiß und kalt und weich und hart und prall und zart und spitz und rund und glatt und trocken und rau und feucht und nass und glitschig und dampfend, bis die stärker und stärker anrollenden Wellen des Glücks sich zum orgiastischen Tsunami hochschaukeln und über allem und allen zusammenbrechen, alles wegreißen und zerreißen, in seine einzelnen Moleküle zertrümmern, zu Atomen und Elektronen zerschlagen, all das zu nichts zermahlen, zu dem Nichts aus dem sie stammen … Danach nur noch Stille ... schwarze Stille ...

Mmm ... ein Räuspern: „... tja, ähm, wer wollte das nicht ... ähm ... ja ... zurück ins Dings äh ... Studio nach Stuttgart ..“.

Am Rande der Talkshow hatte er in der Warm-up-Runde mit dem Koch ein paar Worte gewechselt. Und ihn als Experten wie beiläufig gefragt, welche sexuell stimulierenden Dinge er ihm denn - rein kulinarisch natürlich - empfehlen könne. Bachel hatte äußerst pikiert reagiert, so als ob er direkt auf seine höchst privaten erotischen Vorlieben angesprochen worden wäre.

Bachel hatte dabei vor seinem inneren Auge einen Flashback, der ihn aus der Fassung brachte. Ein älterer „Freund“, der ihm jedesmal nach dem Reinstecken einen Schein zusteckte, sang immer ein Lied leise vor sich hin, bevor er loslegte und zwar nach der Melodie von „Alle meine Entchen“: „Meinem süßen Bengel juckt´s heut im Entrée, juckt´s heut im Entrée, drum Köpfchen tief ins Kissen, und Popo in die Höh´!“

Er war noch einer der netteren, nicht nur wegen des Geldes, das Martin gut gebrauchen konnte, das Salär beim Wirt war karg und die Disko am Wochenende in Biberach oder die Sexshops und -kinos in Ulm teuer, nein er war auch der zärtlichste von allen, die ihn benutzten und es machte Martin sogar Spaß, wenn er merkte, dass der „Entenmann“ seine Freude an ihm hatte. Und er war vorbildlich in Sachen Kondome, die zog er ohne jede Diskussion drüber und sagte zu ihm sogar, dass er das Gefühl mochte, wenn er mit reichlich Gleitgel auf dem Latex in ihn reinflutschte.

Es dauerte auch nicht sehr lange, bis er kam, Martins enger und babyglatter Medizinballarsch sowie sein nicht gespieltes Stöhnen brachten ihn schnell zum Abschuss. Meistens trafen sie sich in seiner Wohnung, wenn seine Frau mit der Nachbarin zum Einkaufen in die nächste Stadt gefahren war. Bachel genoß diese Nachmittage, der Mann mochte ihn anscheinend wirklich, war zärtlich und nicht so grob wie die anderen und bemühte sich auch anschließend dem Martin zu einem Orgasmus zu verhelfen. Er saugte ganz passabel und konnte auch gut küssen.

Hochreiter hatte davon im Speziellen natürlich keine, er konnte ja keine Gedanken lesen, sondern hinsichtlich Bachels sexueller Orientierung lediglich eine leichte, bei näherer Betrachtung aber schnell wachsende Ahnung, die lachsfarbene Seidenhemdbluse mit Rüschen, die Knöchelkurze und engbeinige Hose aus neongrüngelbem Glanzchiffon, die feinen flachen roten Lackschühchen, die Art seiner manierierten Gestik, die täubchenhaft aufgeregt in den Gelenken auf und nieder flatternden Hände, die spitzschmollmündige Mimik, der langsame mascarawimpernverhangene und kajalumrahmte Augenaufschlag, das impertinente süffisante Lächeln, der hüftwiegende arschschwingende Gang, die mädchenhaft schrittklemmenden Schenkel beim Sitzen, die weichsingende Stimmführung, die betont kultivierte Ausdrucksweise, das kindlich kieksige Kichern hinter vorgehaltener feinmanikürter Hand ... eine Bilderbuchtunte, alles das glatte Gegenteil eines richtigen, breitbeinig, dröhnend lachenden, schenkelklopfenden Normalo-Kerls wie dem Tunnelbohrer, aber all das war Hochreiter auch relativ egal.

Ganz im Gegenteil: Es könnte ja sogar von Vorteil sein, ein wenig skandalös verkauft sich doch immer besser. Vielleicht konnte er diesen Paradiesvogel Bachel als Berater oder Partner für sein Lust-Buchprojekt gewinnen. Es ist um vieles leichter, einen willigen Verlag zu finden, wenn man einen Promi mit im Boot und dessen Nase auf dem Umschlag hat.

Und dieser Bachel war ein solcher Promi: Fernsehkoch mit Sternen und allem „Pipapo“. Einer, dessen Zinken einem aus jeder Zeitung entgegen ragte, die auch nur im Entferntesten mit Küchenthemen glaubte, beim Leser punkten zu können. Er war der „Knobi-Papst“ und wurde nicht müde, die „unglaublich podzsitiven Eigendzschaften“ dieses größten Stinkers der Zwiebelfamilie mit salbungsvollen Worten bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit anzupreisen.

So wie bei dieser bekloppten Letz-Talk-Show: Bachel ließ sich nicht etwa wie alle weiteren Gäste einen Sprudel bringen, sondern ein Glas mit feingeschnittenen Knoblauchzehen „aus eigener Alb-Aufzucht“, wie er betonte, in heißem Wasser. Einen sogenannten „Garlic Tea“, wie ihn die Inder angeblich seit Jahrtausenden tranken und sich darum größter Gesundheit bei sehr langem Leben erfreuten. Wunderbar goldgelb leuchtete er in der dickwandigen Glastasse. „Die schene Farb kommt vom Safran, den zieh i mir jetzt au drobe auf d´r Alb, der wächst auf dem gleiche Boda wia der Knobi!“

Der atemberaubende Duft, den er und sein optisch sehr ansprechendes Getränk nach kürzester Zeit verbreiteten, war für manche der Anwesenden schlicht zu viel: Die sonst so herzhaft-herzliche Heimatsendungsmoderatorin direkt neben ihm kippte, es geschah etwa zur Hälfte der Sendung, mit einer Kreislaufschwäche vom Stuhl und Praktikanten der Show schleppten sie in ihre Garderobe. Vorher spuckte sie noch kurz lautstark würgend in ihre Handtasche, die griffbereit auf dem Schoß lag. Sie kam erst nach einer viertel Stunde gestützt von ihrem Manager mit bösem Blick im bleichen Gesicht und wackeligen Beinen auf ihren Platz zurück.

Da hatte Bachel sein Lebenselixier bereits bis auf den letzten Tropfen genossen und begrüßte sie mit einem Buddha gleichen, seelig entrückten Lächeln. Jetzt konnte Frau Staißbein erneut nicht mehr an sich halten und erleichterte sich nun auch verbal: Wie man seinen Mitmenschen so etwas überhaupt zumuten können zu glauben meinen sich trauen zu können - sie drückte sich tatsächlich so verschroben aus. Sie rufe hiermit eine Anti-Knoblauch-Bewegung ins Leben, damit der öffentliche Genuss solcher olfaktorischen Grausamkeiten ein für alle Mal verboten und unter Strafe gestellt werde. Wenn ihr nicht so speiübel wäre, würde sie sofort eine ihrer leckeren Cohiba-Zigarillos anzünden, die aber in ihrer Handtasche leider Schaden genommen hätten. Dann könnte man ja sehen, wie tolerant der Herr Bachel denn wäre, wenn man ihm den aromatisch-beißenden Qualm ins Gesicht pustet. Ihr täte das Rauchen „scho a Leba lang“ gut und sie erfreue sich bester Gesundheit, nachzulesen sei das alles in ihrem aktuellen Zigarrenführer „Wo koi Qualm isch, brännt koi Feier“. Außerdem bräuchte sie jetzt einen Schnaps, am besten einen Kräuterbitter, noch besser, einen „ächtan“ Blutwurz, ob sie den wohl bitteschön als Notfall-Medizin bekommen könne, von „däm homee-abadische Bachblüade-Scheissdreggs-Pasdille-Zeigs“ halte sie nämlich gar nichts, „im Läba ned dät sie des nemme!“ ...