1 Titel
2 Spuren der Nacht und der Nähe
3 Weitere Informationen
Gerd Berghofer
SPUREN DER NACHT UND DER NÄHE Aufgehobene Gedichte Literatones Verlag Gerd Berghofer wurde 1967 in Nürnberg geboren und lebt mit seiner Familie seit fast 30 Jahren im mittelfränkischen Georgensgmünd. Für seine Lyrik wurde er mehrfach ausgezeichnet. Sein letzter Gedichtband erschien im Jahr 2004. Seitdem verfasste er Erzählungen, Theaterstücke, Biografien, aber auch zahlreiche Arbeiten für Hörfunk, Zeitungen und Zeitschriften, ebenso diverse wissenschaftlich-heimatkundliche Bücher, wobei hier insbesondere seine Arbeiten über die jüdische Geschichte Georgensgmünds zu erwähnen sind. Nähere Informationen über den Autor, Sprecher und Rezitator Gerd Berghofer gibt es auf www.gerd‐berghofer.de. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d‐nb.de abrufbar. © 2021 Literatones Verlag e.K., Georgensgmünd. Alle Rechte der Vervielfältigung und Verbreitung einschließlich Film, Funk und Fernsehen sowie der Fotokopie, der elektronischen Speicherung und der auszugsweisen Veröffentlichung vorbehalten. Druckvorstufe:Literatones Verlag. 1. Auflage 2021.
(Friedrich Schiller)
1
Unsere neuen Tage: Der Corona-Rap wird
hinter Scheiben und Mundschutz
in gehörigem Abstand präsentiert
da ist gefilterter Beifall der Security sicher:
„Halten Sie Ihren Einkaufswagen bereit
ihn zur Wahrung des Abstands
gegen Ihren Nächsten einzusetzen“.
Die Schlagzeile ist der Anfang
einer neuen Form von Gewalt
wehe, selbst der harmlose Porree
hält den Mindestabstand nicht ein
sogleich wird er zum Prügel
für den, der einen anfuhr
mit dem gefüllten Einkaufswagen
es ist alles etwas grober
in virulenten Zeiten
was hätten Cindy und Bert heut
wohl noch zu singen?
Vorbei die Zeit, da man Schlager schrieb
in unserem Heute Leute wird alles gerappt
sogar der Einkaufszettel mit dem Senf drauf
bringt glutenfreie Songs für allergische Zeiten
es wird der Metzger meines Vertrauens
seinem Schwein auch das Lied vom Tod
noch rappen:
Hey, uh, mit dem Messer in der Hand -
und ‘ne Million „Likes“ dafür bekommen
wenn der Clip auf Facebook landet
und später wird das Steak gepostet
wie es sich in die Soße schmiegt
und vor einem auf dem Teller liegt
glücklich gebraten und saftig und schön
- wir wollen niemals auseinandergeh‘n.
2
Und doch sind wir Verabschiedungswesen
verabschieden uns dankbar von Freiheit
und Weite und kriechen von selbst ins Netz.
So ändern sich die Zeiten und Großvater
trägt zur Erwärmung des Klimas bei
weil er im Grab weißglühend rotiert.
Er wusste noch, dass das, was er wusste
nicht jeder wusste. Und weil man nicht wusste
was er wusste sperrte man ihn ein.
Wir sitzen heute nackt im Glashaus und fühlen uns sicher
und ungestört wenn wir einen Hut aufsetzen
und so frei wie nie
obwohl man mehr von uns weiß
als wir wissen und selbst von uns wissen
doch manchmal, in düsteren Stunden
da glaubt man den Goebbels zu hören
wie er drunten in der Hölle kocht
und dabei kreischt und lacht:
„Ihr seid heutzutage so belämmert,
ich hätt’s damals mit euch
nicht besser gemacht.“
3
Meine Generation ist die erste
die sich als Pausenfutter erschöpft
ein Sandwich mildgereizt bis melancholisch
knackiger Kern des Mehrgenerationenhappens
zwischen Salat und Tomaten
einer oberen und einer unteren Welt
soviel gleichzeitiges Glück kann kein
noch so schmatzendes Maul fassen
wir bleiben zwar freundlich aber
fassungslos vor unserem Schatten
der versucht auch mit dem krümmsten Buckel
noch geradezustehen.
4
Wir leben nachdem was man so hört
in einer Spaßgesellschaft
die die Umwelt verschmutzt
und den Müll dafür trennt
weil’s dem Gewissen hilft
wenn man viel kompostiert
wenn man viel fliegt
„Man treibe den Spaßteufel
mit dem Kassenbon des
biologischen Einkaufs aus
und drohe mit dem jüngsten Gericht
aus der veganen Küche“,
lacht der Spaß.
Die Not schweigt.
5
Erst neulich, in den ungesunden Tagen
stand mein Denken vor der Tür
und trat doch nicht ein:
„Ich wart‘ mal draußen“, dachte es und
„mir ist heut nicht wohl“.
Es schlenderte im Garten umher
unten das Gras und oben der Himmel und Wolken.
Große Wolken. Keine Sonne.
Stand zwischen den Gurken
und sah mies aus bereit für die Frage:
„Geht es dir gut?“
Aber nein, es dachte nur mulmig.
An Radieschen von unten
an wurmige Kirschen von oben
es wandelte achtsam
zwischen den Beeten
balancierte mit leichtem Schwindel
an einem Gedicht knabbernd
dann kam es herein.
Warf sich aufs Sofa und fauchte
„Sprich mich bloß nicht an“
Wenn das eigene Denken schmollt und
die Kommunikation verweigert
wird’s schön öde.
Man sitzt nebeneinander und glotzt blöd
absolut fernsehfähig
doch endlich
es dauerte lange
da rückte es mit der Sprache heraus
und einer unsäglichen Geschichte.
6
Niemand weiß mehr um den quälenden Reiz
einer falsch gewählten Farbe die hilflos
um die Liebe ihrer Betrachter ringt
niemand weiß davon mehr als Marie
oder war das Laura, vielleicht auch Nadine?
Die sich von einem ihrem ausladenden
Hintern schmeichelnden Rock zur Milde
im Urteil über ihre Figur betören lässt.
Marie ist nicht – sie sieht nur aus
sie will auch nur aussehen
sie treibt’s gern mit der rauschenden Menge
im gelobten Land der Käufe und
laboriert am neuen Hüllensyndrom:
Kleider und Titel machen Leute
„Ist der echt?“ fragt sie den Juwelier
es könnte auch der Doktor sein
der den Busen vergrößert.
Sie wiegt siebenundsechzig Kilogramm
(mit Antiaging-Creme zweimal täglich)
und sie findet sich immer zu fett.
Zweimal in der Woche hetzt
sie abends ins Studio
und fährt Rad zu Musik, die fetzt.
Sie keucht und schwitzt.
Es ist fast wie Sex.
Aber es ist kein Sex.
Es ist nicht mal Ersatz für Sex.
Obwohl sie unter ihrem Shirt