Spiritualität als Lebenskunst

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Spiritualität als Lebenskunst
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IGW-Publikationen

Hg. Institut für Integrative Gestalttherapie Würzburg (IGW) Institut für Integrative Gestalttherapie Wien (IGWien)


Die Reihe wird gemeinsam vom Institut für Integrative Gestalttherapie Würzburg (IGW) und dem Institut für Integrative Gestalttherapie Wien (IGWien) herausgegeben. Die beiden Schwesterinstitute wollen damit im deutschen Sprachraum einen Beitrag zum öffentlichen fachlichen Diskurs unter Gestalttherapeutinnen und Gestalttherapeuten leisten sowie bei gegebenem Thema auch unter Personen, die andere Therapieansätze vertreten. Als Autorinnen und Autoren treten Lehrende und Graduierte der beiden Institute auf, aber auch andere Kolleginnen und Kollegen.

Verantwortlich für die Reihe sind:

Peter Schulthess, Zürich (IGW), und Heide Anger, Wien (IGWien)

Der Autor

Georg Pernter, Theologe und Gestaltberater mit eigener Praxis in Bozen/Südtirol; Klinischer Gestalttherapeut und Magister der Theologie (Religionspädagogik und Germanistik); zweijährige Fortbildung in Gestalttherapie (Ö.G.I.-Wien); Advanced Training in »Rites of Passage« bei Paul Rebillot; Fortbildung in Gestalt-Paartherapie bei Joseph C. Zinker und Sandra Cardoso-Zinker; psychotherapeutische Ausbildung in integrativer Gestalttherapie beim IGWien mit Abschluss in klinischer Gestalttherapie beim IGWürzburg; Advanced Training in »Gestalt Body Process« (Heilsame Körperprozesse in der Psychotherapie) bei Jim Kepner; diverse Fortbildungen in Kontemplation, Sacred Dance, Ritual- und dynamischer Atemarbeit; Initiator und Leiter von Musicalprojekten in der Kinder- u. Jugendarbeit; Geschäftsführer des Zentrums Tau, Kaltern; Leiter von Jona-Gestaltkreationen (Beratung, Coaching, Workshops);

(www.gestalt-bz.eu; www.spiritualitaet-als-lebenskunst.de).


© 2008 EHP – Verlag Andreas Kohlhage, Bergisch Gladbach www.ehp.biz

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Umschlagentwurf: Uwe Giese

– unter Verwendung eines Aquarells von Traudi Pernter: Untitled –

Gedruckt in der EU

Alle Rechte vorbehalten

All rights reserved. No part of this book may be reproduced or transmitted in any form or by any means, electronic or mechanical, including photocopying, recording or by any information storage and retrieval system, without permission in writing from the publisher.

eBook-ISBN 978-3-89797-532-3

eBook-Herstellung und Auslieferung:

Brockhaus Commission, Kornwestheim

www.brocom.de

Inhalt

Vorwort: Für die Herausgeber der Reihe (Peter Schulthess)

Zum Geleit (Almut Ladisich-Raine)

Einleitung: Welche Farbe hat der Wind?

I Einführung

1. Satirische Annäherungen im Feld: Fragmente zu Psychotherapie und Spiritualität

2. Der erweiterte Horizont

II Spiritualität – ein mehrdeutiger Begriff

1. Definition von Spiritualität

2. Die Urfragen der Menschheit

3. Die Frage nach Sinn

III Spiritualität in der Psychotherapie

1. Die Sorge um die Seele

2. Spiritualität als Ressource

3. Spirituelle Wirkfaktoren in der Psychotherapie

IV Gestalttherapie – Therapie der Lebenskunst

1. Ein integrativer Ansatz

2. Dualismus überwinden – Ganzheit fördern

3. Die gestaltlose Gestalt der Seele

4. Gestalttherapeutische Blicke auf Spiritualität

5. Lebenskunst: Das gemeinsame Feld

V Gestalt-Lebenskunst – Wege zur inneren Wahrheit

1. Verbundenheit – Dem Vertrauten und dem Fremden begegnen

2. Sich ein-lassen – Verbundenheit erleben

3. Sich verbinden – Achtsam wahrnehmen, was ist

4. Die pulsierende Kraft des Augenblicks schmecken

5. Unterwegs-Bleiben – Prozesse in Hingabe gestalten

6. Sich wandeln – So bleiben dürfen, wie wir sind

7. In sich gegründet sein

8. Den Abschied atmen

VI Ausklang: Das Herz öffnen

Literatur

Meinen Töchtern Hanna und Sara

Vorwort: Für die Herausgeber der Reihe

Der Psycho-Spiri-Markt boomt. Viele Publikationen entstehen und verbinden Psychotherapie mit Spiritualität, auch im Bereich der humanistischen Psychologie und der Gestalttherapie. Benötigen wir jetzt auch noch dieses Buch? In der Buchreihe des IGW? Ich will nicht verschweigen, dass die beiden verantwortlichen Herausgeber erst etwas zögerten. Nach der Lektüre des Manuskriptes aber fand ich eine klare Antwort: Ja, dieses Buch benötigen wir, denn dieses Buch hebt sich angenehm ab von anderen.

Der Autor ist als Theologe zweifellos ein Experte im spirituellen Bereich und er ist gestalttherapeutisch ausgebildet. Er zeigt ein Verständnis von Spiritualität, das sich abhebt von anderen Publikationen, welche mit fließenden Grenzen zur Esoterik operieren und oft unkritisch Konzepte der Gestalttherapie mit Konzepten der Transpersonalen Psychologie, Esoterik und spirituellen Ritualen anderer Kulturen vermischen, um daraus einen ›Gestalt-Spiritualitäts-Ansatz‹ zu konstruieren.

Es geht dem Autor nicht um eine weltverbessernde, missionierende religiöse Spiritualität, die es zu entwickeln gilt und die verankert ist in einem konfessionellen Gottesbild. Vielmehr geht es ihm um eine persönliche, individuelle Spiritualität, welche sich mehr in einer bewussten Lebenshaltung äußert, die offen ist für das Numinose und mit einer transzendenten Wirklichkeit rechnet. Sie drückt sich aus in einer Achtung vor allem Lebendigen, vor der Schöpfung, und in einer Sorge um die förderliche Entwicklung von Individuen, Sozietäten bis hin zu deren ökologischen Umwelt- und Lebensbedingungen.

Spiritualität als Lebenskunst, als Ausdruck des sich Einlassens auf Beziehungen, auf die Welt, in der man lebt, als Ausdruck einer Haltung, in der nicht das eigene Ego zuoberst steht, sondern die Fähigkeit besteht, sich selbst zu transzendieren, sich als eingebunden in ein größeres Ganzes zu sehen und doch sich selbst als Eigenes zu erleben, mit der Fähigkeit zu selbstverantwortlichem Handeln und Mitgestalten der sozialen und politischen Umgebung, in der man lebt. Das ist ein der Welt zugewandtes Verständnis von Spiritualität, das gut zur Gestalttherapie passt, zu ihrer sozialen Ethik, ihren theoretischen Konzepten und ihren politischen Implikationen. Oft genug ist sie missverstanden worden als Weg zur hedonistischen Selbstinszenierung.

In einer Zeit und einer Welt der zunehmenden Zersplitterung und Fragmentierung und zugleich einer fortschreitenden (kapitalistischen) Globalisierung mit enormer, schwer zu verarbeitender Informationsvielfalt ist es kein Zufall, dass die Suche nach Sinn, die untrennbar mit Spiritualität einhergeht, neu akzentuiert wird. Entsprechend bilden sich auf dem Lebenshilfe- und Psychomarkt, aber auch im Feld religiöser Bewegungen laufend neue Angebote, die regen Zuspruch erfahren. Nur zu oft werden dabei Verbindungen zwischen Esoterik, Transzendentaler Psychologie und Ritualen aus initiatischer Therapie eingegangen, ohne dass kritisch hinterfragt wird, ob und wie das zusammenpasst. Religiöse Praktiken aus fremden Kulturen und Religionen werden herangezogen, Menschen- und Glaubensbilder aus diesen Kulturen in unsere Lebenshilfe- und Psychotherapiepraxis (fragmentiert und aus dem gesellschaftlich-kulturellen Zusammenhang gerissen) eingebaut, »integriert«, ohne kritische Reflexion, was man da denn mit hereinholt.

 

Das Bedürfnis nach Zugehörigkeit zu einem größeren Ganzen, das Bedürfnis, in der Entwicklung dieser Welt doch so etwas wie einen schöpferischen Plan zu erkennen, von einer unbekannten aber doch geglaubten höheren Macht gesteuert, so dass doch dies alles Sinn gibt, auch das Irrationale, Unverstehbare, ist ein menschliches Urbedürfnis und immer wieder, je nach zeitgeschichtlicher gesellschaftlicher Entwicklung, Nährboden für kollektive Regressionen ganzer gesellschaftlicher Subsysteme, die dann gerne empfänglich sind für Heilsbotschaften von spirituellen, psychologischen und politischen Führungsfiguren und gerne bereit sind, sich dem Willen des Führers und seiner eingeforderten Rituale und Handlungen zu unterwerfen. Der gemeinsame Kampf für eine bessere Welt ist dann gefragt, für einen höheren Wert und die Bildung eines besseren Menschen. Mit echter Spiritualität und Religiosität haben solche Heilslehren nichts zu tun. Oft sind darin Züge einer Sektenbildung zu erkennen, und bei den Führern eine massive narzisstische Problematik, die sie die Bedürfnisse der Nachfolgenden ausbeuten lässt.

Karin Daecke (2006/2007)1 hat in einem umfangreichen Werk dargelegt, wie die Entwicklung von psychotherapeutischer Theoriebildung und Praxis (feldtheoretisch begründet) untrennbar verbunden ist mit der gesellschaftlichen Entwicklung, politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen und dem aus ihnen hervorgehenden Zeitgeist. »Keiner kann dem Zeitgeist entfliehen, aber man kann sich kritisch mit ihm auseinandersetzen. Der Blick auf die Geschichte bietet hierfür immer Positionen perspektivischer Distanz« schreibt sie auf der Titelseite. Ihre Sorge gilt der unbewussten Tradierung strukturell-faschistischer Phänomene in der evolutionären Psychologieentwicklung. Dass die Gestalttherapie davor nicht gefeit ist, zeigt sie sehr deutlich in einer Analyse der Entwicklung der humanistischen Psychologie zur Transpersonalen Psychologie während der McCarthy-Ära in Amerika und der entsprechenden Entwicklung von Esalen. Verpasst wurde damals während der Umwandlung der humanistischen Psychologie als dritter Kraft zur Transpersonalen Psychologie als vierter Kraft eine klare Abgrenzung der einer humanistischen sozialen Ethik verpflichteten Exponenten von einer Transpersonalität, welche auf Auflösung der Individualität und dafür Nährung regressiver, oft drogeninduzierter (Grof), Bedürfnisse nach universeller oder gar kosmischer Verschmelzung abzielte, was psychologisch und politisch recht bedenkliche Implikationen haben kann, wenn man an die germanische Selbsterhöhung zu einem völkischen, besseren Ganzen im Nationalsozialismus denkt, aber auch an das Amerika der späteren Jahre (Busch mit seinen freikirchlichen Anbindungen ist nur jüngster Ausdruck davon).

Die frühen Konzepte der Gestalttherapie sind frei von einem evolutionären Anspruch. Perls wollte keine besseren Menschen machen. Er wollte ihnen zu mehr Bewusstheit verhelfen, zu mehr Gewahrsein und zur Fähigkeit, sich wirklich einzulassen auf die Welt, Teil von ihr zu sein und sie so verändernd mitzugestalten. Er war nicht an der (NS-nahen) Grazer oder Leipziger Schule der Gestaltpsychologie orientiert, sondern der Berliner, deren Exponenten ins Exil flüchten mussten, um zu überleben. Sein Gestaltordnungsbezug blieb stets ein relativer und situativ feldbezogener, gesellschaftsbezogen reflektiert, im Unterschied zu starren, absoluten und verklärten Gestaltordnungen. Perls wollte selbstbestimmte Individuen fördern, die in der Lage waren, Beziehungen und soziale Welten kritisch und tatkräftig mitzugestalten, sich kreativ anzupassen an unabänderliche Begebenheiten, selbst wenn dies allenfalls die Flucht bedeutete. Es hat ihm und Lore wohl auch das Leben gerettet, dass er rechtzeitig Deutschland verließ angesichts der Demonstration, zu welch vernichtendem Machtanspruch idealisierte und verabsolutierte Ganzheitsentwicklungen führen können. Ob sich in diesem Gewahrsein und Spüren, wann es Zeit zum Gehen ist, seine Spiritualität zeigte?

Mit welcher Leichtfertigkeit heute auch unter GestalttherapeutInnen (etwa mit Bezug auf Hellinger, Theosophie, Graf Dürckheim, New Age, Bhagwan) zurückgegriffen wird auf verabsolutierende Ordnungen der Welt, wie selbstverständlich man in den Sog gerät, den humanistischen Ansatz und die Gestalttherapie zur Psychagogik für eine Erziehung zum »besseren Menschen« zu degradieren und die ursprünglichen emanzipatorischen Konzepte der Gestalttherapie zu unterlaufen, erschreckt. Auch das Ausmaß an narzisstischer Selbstdarstellung mancher Neuerer der Gestalttherapie. Unreflektiert bleiben die zeitgeschichtlichen ideologischen Hintergründe der Zutaten, unreflektiert bleiben die Widersprüche im Menschenbild, wohlfeil verkauft wird all das aber als Integration von Spiritualität und Psychotherapie.

Davon hebt sich Pernter wirklich erfreulich ab und ich danke ihm dafür. Er schreibt in einfacher, verständlicher Sprache. Er beschreibt in Kenntnis der theologischen Spiritualitätsliteratur und Forschung, was unter Spiritualität verstanden wird, und versteht es, dies mit den Konzepten der Gestalttherapie in Beziehung zu bringen und Überschneidungen aufzuzeigen. Er sieht als gemeinsame Aufgabe der Psychotherapie und der spirituellen Begleitung das Eröffnen bereichernder Felder für ein gelingendes Leben, die Förderung der ganzen Persönlichkeit. Gekonnt stellt er Konzepte der Spiritualität und der Gestalttherapie dar und bringt sie in fruchtbare und anregende Verbindung. Das macht gelegentlich den Anschein, als verstünde er das Schreiben selbst als Spiritualität und Ausdruck seiner Lebenskunst.

Der Autor schließt sein Buch mit dem Ausdruck der Hoffnung, dass es ihm ein Stück weit gelingen möge, die Spiritualität in jenen TherapeutInnenkreisen hoffähig zu machen, die sonst mit ihr nicht viel zu tun hätten, zu zeigen, dass sie eigentlich etwas ganz Normales und Alltägliches ist und dass die Gestalttherapie mit ihrer Betonung von Achtsamkeit, Verantwortlichkeit, dialogischer Beziehungs-Begegnungsgestaltung und dem ganzheitlichen Menschenbild, das wesentliche Element zur Spiritualität schon in sich hat und nicht »draußen« (der Esoterik, der Theologie, dem Schamanimus oder wo auch immer) danach suchen muss, um sie erst so zu einer spirituellen Psychotherapie zu erweitern. »Es ist alles schon da.«

Peter Schulthess

1. Karin Daecke: Moderne Erziehung zur Hörigkeit? Die Tradierung strukturellfaschistischer Phänomene in der evolutionären Psychologieentwicklung und auf dem spirituellen Psychomarkt. Edition Psychotherapie und Zeitgeschichte. Neuendettelsau 2006

Zum Geleit

– Lass dem Priester, was des Priesters ist und lass dem Psychotherapeuten, was des Psychotherapeuten ist.

– Das eine hat mit Glauben, das andere mit Wissen zu tun, sogar mit Wissenschaft.

– Religion ist Opium fürs Volk, als Therapeuten geht es uns um Erkenntnis, Heilung im Alltag, Erlernen von Lebenskunst im Hier-und-Jetzt.

– Spiritualität als Lebenskunst? Ist das nicht ein Widerspruch in sich?

Im 12. Jahrhundert lebte in Persien ein Dichter und Sufi-Mystiker, der nach der Überlieferung gut zu leben wusste und 110 Jahre alt wurde: Fariduddin Attar. Er schrieb die berühmte Geschichte vom Wiedehopf, der die anderen Vögel zusammenrief, um sich auf die Suche nach ihrem geheimnisvollen König Simurgh im Qaf-Gebirge zu machen (Fariduddin Attar – ›Vogelgespräche‹). Ergriffen von tiefer Sehnsucht begeben sie sich auf die Reise. Bald jedoch stellt sich heraus, dass es eine Reise voller Gefahren und Mühsal ist. Und je länger der Weg ist und je schwieriger, desto mehr der Weggefährten wollen aufgeben, finden Entschuldigungen, zweifeln am Sinn des Unterfangens. Doch der Wiedehopf ermutigt sie immer wieder mit eindrücklichen Geschichten der alten Meister, bis sie am Ende, erschöpft und abgerissen, endlich den herrlichen Sitz des Königs Simurgh erreichen. Sie haben die sieben Täler durchwandert, die nach alter Sufi-Tradition zur Sonne der Nähe und Güte führen, nachdem sie ihre irdischen Bedingungen, Gebundenheiten und gewohnte Denkweisen überwunden haben. Staunend sehen sie Simurgh im Spiegel ihres Selbst. Der König und sie sind eins.

Attar beschreibt hier den mühevollen Weg der Menschen, die sich auf die Reise zur inneren Wahrheit begeben, ihrer Sehnsucht folgend, im Wechsel von Zweifel und Hingabe. Am Ende hat sich die Suche gelohnt, sie führt zu Wärme, Güte und Weisheit, zu Gott.

In spirituellen Traditionen finden wir immer wieder dieses Bild vom inneren Weg. Jesus sagt: ›Liebe deine Feinde‹ – ›Hör auf, den Splitter im Auge des Anderen zu sehen ohne den Balken im eigenen Auge wahrzunehmen‹ – Hör auf zu projizieren, löse dich von deinen Introjekten, ›Liebe deinen Nächsten wie dich selbst‹ oder ›Du kannst niemanden lieben, bevor du nicht dich selbst, so wie du bist, liebst‹.

Und sage niemand, diese Aufgabe sei leicht zu erfüllen. Die Täler unserer inneren Zustände müssen durchwandert werden, wollen wir zur Heilung und zum guten Leben finden.

Avalokiteshvara, der Buddha des Mitgefühls im tibetischen Buddhismus, der heiter lächelnd im Zentrum des Mandalas sitzt, auch ›der mit klarem Auge Sehende‹ und ›der kostbare, Wunsch erfüllende Edelstein‹ genannt, kann nur erreicht werden, nachdem der Suchende mit vielen inneren Dämonen gekämpft hat.

Aufgeklärte Moslems wissen, dass der Krieg gegen die Ungläubigen nichts anderes ist als der Kampf gegen die eigenen inneren destruktiven Zweifler und die Auseinandersetzung mit dem inneren Richter.

Auch wenn die Gestalttherapie eine wissenschaftlich erforschte Methode zur Heilung der kranken, verwirrten, gespaltenen, verletzten Seele ist, lässt sie sich mühelos ›rückbinden‹ an spirituelle Traditionen und Weisheitslehren.

So zu werden, wie wir gedacht waren, uns zu erinnern an uns selbst und damit an das Göttliche in uns, ist letztlich das, worum es auch in der Psychotherapie gehen darf und soll. Und auch dieser Weg ist nicht leicht, führt durch Aufruhr und schmerzliche Zustände, braucht Geduld und behutsame Führung.

Unser äußeres Leben spiegelt den Zustand unserer Seele. Lebenskunst zeigt sich im gesunden Austausch zwischen mir und der Welt, im Gefühl für das rechte Maß, im liebevollen und klaren Umgang mit mir selbst, mit den Mitmenschen und der Natur, im kraftvollen, kreativen Einsatz meiner Potentiale, in Intensität, Begeisterungsfähigkeit und Lebensfreude.

Wenn wir uns als Psychotherapeuten die Grenzen der Machbarkeit eingestehen, erkennen, dass die Lösung oft im ›Lassen-Können‹ steckt, wenn wir absichtslos den Phänomenen treu bleiben und Bewusstsein fördern helfen, dann fließt Spiritualität mühelos in unser Handeln ein, Psyche, Leib und Göttliches sind im Fluss.

Gestalttherapeuten sollten wie Bildhauer sein. Der Künstler findet, was im Stein steckt und entfernt das Überflüssige.

Der Lebenskünstler findet im lärmenden Chaos des Lebens immer wieder voller Vertrauen die Gestalt, die jetzt zu ihm passt.

Seine Spiritualität zeigt sich auch im liebevollen Annehmen des Unvollkommenen, des Ungeschickten und der Grenzen, die uns durch die Materie gesetzt sind.

Sein Reich ist von dieser Welt, auch wenn das vielleicht noch nicht alles ist.

Lieber Georg, gerne habe ich Dein Buch gelesen, interessant und fundiert, wissenschaftlich einwandfrei und doch mit der Offenheit für das Nicht-Fassbare, das wir Glauben und Gnade nennen.

Dass die Gestaltphilosophie eine gute Orientierung für Lebenskunst ist, habe ich schon immer gedacht. Der spirituelle Aspekt aber ist hier besonders gut herausgearbeitet und belegt. Jenseits von esoterischer Seichtheit und wohlfeilen Heilswegen hast Du den tiefen inneren Zusammenhang der Urfragen der Menschheit und des gestalttherapeutischen Ansatzes aufgezeigt.

 

Unser Gedankenaustausch hat mir viel Spaß gemacht.

In diesem Sinne – alles Gute für dieses Buch!

Almut Ladisich-Raine