Die wichtigsten Naturwissenschaftler im Porträt

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Aus der Reihe: marixwissen
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Alle Stoffe sollen aus einer homogenen Mischung dieser vier Elemente bestehen, die kontinuierlich teilbar sei und deren Eigenschaften sich aus dem Mischungsverhältnis ergäben; nur für organische Stoffe gebe es eine untere Teilungsgrenze, unterhalb der die homogene Mischung der kleinsten Teile (›minima naturalia‹) in ihre elementaren Bestandteile zerfalle. (Ansätze zu einer chemischen Analyse finden sich in seinen ›Meteorologika‹, die zusammen mit der Erweiterung der aristotelischen Theorie der ›minima naturalia‹ den Ausgangspunkt für die Erneuerung der Chemie im 17. Jahrhundert bilden sollten.) Die essentiellen qualitativen Eigenschaften der Elemente ergänzte Aristoteles durch ein schnellstmögliches, folglich geradliniges Streben zu dem ihnen gemäßen, zu ihrem ›natürlichen Ort‹ im Kosmos: Erde zum Mittelpunkt (unten), Feuer zur Peripherie (oben), Wasser relativ nach unten, Luft relativ nach oben. Hieraus ergab sich die Schichtenanordnung der Elemente im Kosmos, notwendig mit der ruhenden kugelförmigen Erde in der Mitte (die so begründete Geozentrik war also nur bei gleichzeitig erfolgender entsprechender Umformung dieser ›Physik‹ durch eine Heliozentrik zu ersetzen). Da auch die Ortsbewegung wie jede Veränderung für Aristoteles eines Zieles bedurfte, weil sie in einem Wechsel des Ortes bestehe – unendliche geradlinige Bewegungen sind aufgrund dieser Definition unmöglich, und der lückenlos erfüllte Kosmos ist deshalb notwendig begrenzt –, musste auch die Aufwärtsbewegung begrenzt sein und überall gleichweit vom Zentrum entfernt zum Ziel kommen. Das Ziel der Aufwärtsbewegung musste deshalb ein zur Erdmitte konzentrischer Hohlkugelkörper sein. Da von den beiden bekannten ›einfachen‹ Bewegungen die geradlinige ›einfachen‹ Körpern, den vier Elementen, zukomme, müsse auch die kreisförmige Bewegung ›einfachen Körpern‹ zukommen, und da es zu ihr keinen Gegensatz gebe, so dass sie selbst gewaltsam in keiner Weise verändert werden könne, müsse dieses auch für den mit ihr behafteten, einzigen ›einfachen‹ Körper gelten. Hieraus erschließt Aristoteles die Existenz eines fünften Elementes, des ›Äthers‹, der, in jeder Beziehung unveränderlich, in konzentrischen Schalen, die gleichförmig rotieren, den Kosmos begrenze. Die astronomischen Phänomene mussten damit als aus solchen konzentrischen Kreisbewegungen von rotierenden Hohlkugeln resultierend aufgefasst werden. Die wohl in seinem Auftrag durch Kallippos verbesserte Theorie der konzentrischen Sphären des Eudoxos von Knidos gab dazu die willkommene Grundlage. Sie stellte die ungleichförmig erscheinende Bewegung eines jeden Planeten für sich als Resultante der Bewegungen mehrerer gleichförmig rotierender (mathematischer) Kugeln dar, die so ineinander geschachtelt wurden, dass deren Achsen jeweils unter einem bestimmten Winkel in der nach außen anschließenden gelagert waren, während der Planetenkörper in die innerste eines für jeden Planeten getrennten Sphärensystems an deren ›Äquator‹ eingebettet gedacht war. Aristoteles hatte nur die mathematischen Sphären mittels des allein zu solchen Bewegungen befähigten ›Äthers‹ zu materialisieren und den Bewegungsapparat eines jeden Planeten kompensierende Sphären zwischen ihnen zu ergänzen, um daraus ein geschlossenes ›physikalisches‹ System von der Fixsternsphäre bis zum Mond zu erhalten. Die Phänomene zwangen zwar später, von der strengen Konzentrizität abzugehen, doch blieben fortan die Geozentrizität des Kosmos und die Gleich- und Kreisförmigkeit sämtlicher jeweils auf der Rotation einer Äthersphäre beruhenden (Teil-)Bewegungen der Himmelskörper als unantastbare Grundsätze bestehen, bis Tycho Brahe durch den Nachweis der Veränderlichkeit auch der Äthersphären Johannes Kepler den Weg bereitete, von ihnen und damit von der notwendigen Kreisförmigkeit sämtlicher Bewegungen und Bewegungsanteile Abstand nehmen zu können.

Die Schwierigkeit der Denkbarkeit eines anisotropen begrenzten Raumes – Platon hatte Raum und Materie gleichgesetzt – bewog Aristoteles, dessen Eigenschaften gleichsam in die Stoffe (Elemente) selbst zu verlegen und den Begriff Raum durch den des ›Ortes‹ zu ersetzen. Der ›Ort‹ eines Dinges ist die innere Begrenzungsfläche des ihn umgebenden Körpers. Außerhalb des kugelförmig begrenzten Kosmos ist demnach weder Ort noch Zeit, somit auch keine Materie oder Leere, nur Gott als reines Formprinzip (Geist), auch als unbewegter Erster Beweger angesehen, der wie eine erstrebte Geliebte, also teleologisch sämtliche Sphären in gleichförmige Rotationen versetzt und folglich erste Ursache für alles Geschehen im Kosmos wird. Derartige Auffassungen hatten natürlich die Ablehnung jeglichen Vakuums und jeglicher Fernwirkungen der Kräfte zur Folge.

Von besonderer Bedeutung und im biologischen Bereich am längsten währendem Einfluss war das teleologische Denken, das nach stoischem und neuplatonischem Vorbild im christlichen Mittelalter von der aristotelischen Vorstellung einer dem Einzelding und -vorgang immanenten Finalität (Entelechie) zu einem sinn- und zweckvollen Aufeinander-Bezogensein aller Dinge und natürlichen Vorgänge ausgeformt wurde. Die Seele gilt in diesem Sinne als das Prinzip des Lebens in allem Belebten, in den Pflanzen (vegetative), den Tieren (vegetative und sensitive) und den Menschen (vegetative, sensitive und noëtische Seele). Seele und Körper verhielten sich wie Bewegendes und Bewegtes (Form und Materie, Zweck und Mittel usw.), sie seien wechselseitig aneinander gebunden und entstünden und vergingen gemeinsam; denn die Seele sei »primäre, aktuelle Wirklichkeit (Entelechie) eines natürlichen, organischen Körpers«. Die potentiellen Eigenschaften sollen in und mit dem Körper zur allmählichen aktuellen Entfaltung bis zur ›Entelechie‹ gelangen – innerhalb der Embryologie beobachtete Aristoteles diesen Prozess im Detail an der Entwicklung des Hühnereies. Ihm gelangen so klare Erkenntnisse über die Funktionen des Lebens bezüglich Ernährung, Wachstum, Fortpflanzung und Anpassung. Aus den analogen Bedürfnissen Ernährung, Bewegung, Atmung folgt für ihn die Existenz entsprechender, dem Lebensraum angepasster homologer Organe (wie Lungen, Kiemen). – Die Grenze zwischen Pflanzen- und Tierreich sei fließend wie die Übergänge innerhalb beider, je nach dem, welche Unterscheidungsmerkmale man zugrunde lege. Die später so genannte ›scala naturae‹ ist hier vorgebildet, feste natürliche ›Gattungen‹ lehnte Aristoteles jedoch ab. Überhaupt war es weder seine noch seines Schülers Theophrastos, der sich hauptsächlich dem von seinem Lehrer nicht eigens detailliert behandelten Pflanzenreich widmete, Absicht gewesen, eine Klassifikation des Tier- beziehungsweise Pflanzenreiches zu erarbeiten. Die Eigenschaften und Merkmale seien vielmehr durch ein graduelles Mehr oder Weniger bestimmt; und je nach Wahl des Gesichtspunktes (Ernährung, Fortpflanzung, Lebensraum) ergäben sich andere Gruppierungen, die nur eingeführt wurden, um Ähnliches zusammenhängend darstellen zu können. Eine Systematik entsteht aus einzelnen dieser Ansätze erst in der Neuzeit. – Ein größeres botanisches Werk scheint Aristoteles nicht verfasst zu haben, wenn auch in seinem Auftrag und nach von ihm erarbeiteten Methoden auf dem Alexanderzug botanisches Beob­achtungsmaterial gesammelt wurde, das Theophrastos später auswertete. Die unter dem Namen des Aristoteles überlieferte Schrift ›De plantis‹ stammt nicht von ihm selbst.

Archimedes

(* um 285 v. Chr. Syrakus, † 212 ebenda bei der Ein­nahme der Stadt durch römische Truppen während

des Zweiten Punischen Krieges)

Neben einer Reihe bloßer Legenden, die sich schnell um seinen Namen rankten, ist aus dem Leben des Archimedes nichts weiter bekannt, als dass er in Alexandria, der wissenschaftlichen Hochburg des Hellenismus, mathematische Wissenschaften studiert und zu den dortigen Mathematikern auch nach der Rückkehr in seine Vaterstadt Syrakus engen Kontakt behalten hat. Sie konnten seine mathematischen Arbeiten am ehesten verstehen und würdigen, und ihnen schickte er sie nach einer damals üblichen Art, wissenschaftliche Abhandlungen zu veröffentlichen, auch von Syrakus aus jeweils als offenen Brief zu. Dass sie fehlerhafte Ergebnisse, die Archimedes ihnen zur Prüfung auch einmal zukommen ließ, nicht von sich aus bemerkten, spricht allerdings weniger gegen sie als für das alles überragende mathematische Genie des Absenders, das er sich auf diese Weise von den Kollegen bestätigen ließ.

Der große Ruhm, den Archimedes zu Lebzeiten genoss, beruhte dagegen auf seinen technisch-mechanischen Erfindungen, zu denen neben Kriegsmaschinen, die er zur Verteidigung seiner Vaterstadt erfunden hatte und die ihre römischen Belagerer immer wieder in Angst und Schrecken versetzt hatten, die Schraube(nlinie), die sogenannte Archimedische (Ägyptische) Wasserschnecke, der Flaschenzug und ein mit Wasser betriebenes Planetarium zählen, welches noch Cicero in Rom bewundern konnte, wohin Marcellus es als Kriegsbeute mitgebracht hatte. (Dass Archimedes bei der Seeblockade von Syrakus die römischen Schiffe mittels riesiger Brennspiegel in Brand gesetzt habe, beruht dagegen auf einer erst später entstandenen Legende.) Archimedes hatte sich dieser Erfindungen auch keineswegs geschämt, wie erst später Plutarchos ihm in Zeiten einer durch neuplatonisches Denken beeinflussten Geringschätzung praktischer (technischer) Tätigkeit unterstellte.

Die Konstruktion dieser Erfindungen beruht auf einer genialen theoretischen Erfassung der Wirkweise der sogenannten Einfachen Maschinen, der Grundarten der auf geometrische Schemata reduzierten Werkzeuge der praktischen Mechanik (Technik). Er begründete deren Statik durch axiomatisch-deduktive Ableitung aus einfachen Sätzen, wie es die in den ›Elementen‹ des Eukleides gipfelnde axiomatische Mathematik für ihre Objekte vorgemacht hatte. So konnte er auch die mit ihnen zu erreichende proportionale Unter- oder Übersetzung erstmals berechnen – und so auch aus der Wirkweise hintereinander geschalteter Rollen zur Erfindung des Flaschenzuges geführt werden (die Berechnung kombinierter Maschinen findet sich im Anschluss daran in den ›Mechanika‹ Herons von Alexandria, der im 1. Jahrhundert als Lehrer der mathematischen Wissenschaften am Museion in Alexandria wirkte und in archimedischer Manier auch pneumatische und hydraulische Gerätschaften behandelte). In diesen Zusammenhang gehört sein Ausspruch: »Gib mir einen Punkt, wo ich stehen kann, und ich werde die Erde [mittels Maschinen] in Bewegung setzen« (nach dem damaligen Weltbild befand sich die Erde unbewegt im Mittelpunkt des Universums). – Jener andere Ausspruch, den er unter wohl legendären Umständen beim Baden getan haben soll, das »εὕρηκα« (»Ich habe es gefunden!«), hängt mit der Entdeckung der genau seinem Volumen entsprechenden Wasserverdrängung eines eingetauchten Körpers und seiner Gewichtsverminderung um den Betrag, den dieses Volumen Wasser ausmacht, zusammen (sogenanntes Archimedisches Prinzip), also mit der Entdeckung der Methode, das spezifische Gewicht eines Körpers exakt mittels hydrostatischer Wägung zu bestimmen. Hieron II. von Syrakus soll ihn gebeten haben nachzuprüfen, ob bei der Anfertigung eines goldenen Kranzes das gelieferte Gold auch vollständig verarbeitet worden war, ohne dabei das Kunstwerk selbst zu zerstören. Archimedes’ eigentliche Arbeiten zur Statik der Einfachen Maschinen und zur Hydrostatik sind allerdings schon in der Spätantike verloren gegangen, lassen sich jedoch in großen Zügen aus den Schriften der alexandrinischen Gelehrten Heron und Pappos rekonstruieren. Von seinen Schriften sind auch vor allem nur diejenigen erhalten, die von dem alexandrinischen Mathematiker Eutokios von Askalon im 5. Jahrhundert herausgegeben und kommentiert worden waren; und diese wurden bereits im lateinischen Mittelalter rezipiert und trugen dann seit der Renaissance wesentlich zur Entstehung neuzeitlicher Mechanik und Mathematik bei.

 

Archimedes blieb mit seinen ›mechanischen‹ Arbeiten allerdings noch ganz im Rahmen der aristotelischen Differenzierung zwischen ›Kunst‹ und ›Natur‹, indem er Probleme ›künstlicher‹ Mechanik durch eine Reduzierung auf die ihren Geräten schon von der Konstruktion her zugrunde liegende Geometrie mathematisch löste, wie er umgekehrt auch mathematische Probleme durch in der ›Mechanik‹ entwickelte Verfahren einer Lösung zuführte. Die Mathematik selbst war das verbindende Agens, die ›Mechanik‹ eine Angewandte Mathematik. Das macht ihn aus der Sicht moderner Physiker zu einem Aristoteles weit überlegenen, scheinbar modern denkenden, einzigen ›artverwandten‹ Physiker der Antike. Er war aber reiner Mathematiker und somit auch ›Mechaniker‹, der zu den Fragestellungen der antiken ›Physik‹ im Gegensatz zu denen der praktischen ›Mechanik‹ (Technik) auch im eigenen Selbstverständnis wenig beizutragen vermochte. Erhalten haben sich aus diesem Bereich allerdings nur, wenn auch in verkürzter und dem neuen Zweck angepasster Form, eine axiomatische Ableitung des Hebelgesetzes und die Behandlung der Gewichtsverluste verschieden tief ins Wasser getauchter ›Schwimmender Körper‹, weil Archimedes diese mechanischen Erkenntnisse in verblüffender Weise neben in der Praxis verwendeten Indivisibeln (als Ansatz zu einer Integralrechnung) später zur Lösung rein mathematischer Probleme nutzte, etwa zur Bestimmung des Flächen- und Volumenverhältnisses verschiedener geometrischer Körper und des Schwerpunktes krummlinig begrenzter Flächen und deren Rotationskörper oder zur Quadratur der Parabel. Die das Verfahren beschreibende und begründende methodische Schrift (›Ephodos‹) wurde erst 1899 wieder entdeckt. Gemäß der strenge(re)n Auffassung der Antike von der Mathematik bedurfte die aufgefundene Lösung dann allerdings noch eines rein geometrischen Beweises. Hier wurde also umgekehrt die Mathematik von den ›mechanischen‹ Hilfsverfahren, die nach antiker Auffassung allein der Heuristik dienen konnten, klar und deutlich abgegrenzt.

Besonders widmete Archimedes sich auch der Berechnung von Oberfläche und Volumen geometrischer (Rotations-)Körper. Von dem Axiom, das Umfassende sei größer als das Umfasste, ausgehend gelang ihm dabei entgegen der Annahme des Ari­stoteles wenigstens näherungsweise eine Quadratur des Kreises; er bestimmte die Größe π sehr exakt als zwischen 310/70 und 310/71 liegend (während man in der Praxis wie schon im alten Ägypten von dem Wert 3 ausging). Archimedes entwickelte weiterhin eine Exponentialschreibweise zur Darstellung beliebig großer Zahlen mit Oktaden (108) als Stufeneinheiten (die Griechen kannten noch nicht die dezimale Schreibweise) und konnte damit aufzeigen, dass nicht nur die Zahl der Sandkörner an einem Strand nicht unzählbar ist, sondern dass selbst die Anzahl jener, die das ganze Weltall füllen würden, ohne weiteres darstellbar sei – selbst wenn man der Hypothese des Aristarchos von Samos folge und die Erde um die Sonne kreisen lasse, was ja einen sehr viel größeren Kosmos ergäbe, da sich dann die Erdbahn statt der Erdkugel im Verhältnis zur Fixsternsphäre wie ein Punkt verhalten müsse. – Dieses ist der einzige Hinweis im gesamten Schrifttum der Antike auf die zur Erklärung des Entstehens der Himmelserscheinungen einmal von Aristarchos rein hypothetisch geäußerte Alternative zur Geozentrik.

Klaudios Ptolemaios

(* um 100 n. Chr. Ptolemais [Oberägypten], † um 160)

Klaudios Ptolemaios, der während des zweiten Drittels des zweiten Jahrhunderts in Alexandria, der Hochburg griechischer Wissenschaft und Forschung im Hellenismus, wirkte, hat die mathematischen Inhalte der Astronomie, Optik und Harmonik (Musiklehre) als letzter kreativer Vertreter mathematisch-naturwissenschaftlicher Forscher der griechisch-römischen Antike für lange Zeit abschließend bearbeitet; allein Diophantos, der im 3. Jahrhundert ebenfalls in Alexandria wirkte, erarbeitete mit der Zahlentheorie ein für die Antike neues Gebiet, allerdings aus der reinen Mathematik. Die Spätantike beschränkte sich dann auf die Einbettung der Erkenntnisse in philosophische Systeme (vor allem des Neuplatonismus und des Stoizismus) und auf die Kommentierung älterer philosophischer, mathematischer und naturwissenschaftlicher Schriften, wobei durchaus neue Einzel­erkenntnisse mit einflossen, während die Römer sich überhaupt vorwiegend der selektiven Zusammenfassung des vorliegenden Wissens widmeten.

Aus dem Leben des Ptolemaios ist aufgrund seiner Beobachtungsdaten lediglich bekannt, dass er zwischen den Jahren 127 und 147 in Alexandria astronomische Beobachtungen angestellt hat; um so größer ist aber der Einfluss seiner Werke auf seine Zeitgenossen und die Folgezeit bis ins 17. Jahrhundert gewesen. Den größten hatte von ihnen ohne Zweifel die ›Syntaxis mathematike‹ (›Mathematische Zusammenstellung‹), das nach einer arabisch-lateinischen Verballhornung so genannte ›Almagestum‹. Das Werk ist allerdings mehr als eine Zusammenstellung der mathematischen Kenntnisse zur Astronomie; denn Ptolemaios ent­wickelt hier darüber hinaus auf der Grundlage eigener und älterer Beobachtungen besonders des Hipparchos zumindest für die Planeten ein erstes, ältere Theorie-Elemente zusammenfassendes Bewegungsmodell, das den beobachteten Planetenörtern für lange Zeit genau genug entsprach, und in seinen übrigen Teilen ist das ›Almagestum‹ als das erste systematische Handbuch der mathematischen Astronomie anzusprechen, dessen Aufbau und Inhalt noch lange vorbildlich bleiben sollten.

Nach den Beweisen für die zu den Berechnungen und Tafeln benötigten geometrischen Sätze und einer allgemeinen Einführung in das geozentrische Weltbild auf der Grundlage aristotelischer Physik ist das 3. Buch der Bewegung der Sonne und den Jahrespunkten gewidmet, wobei Ptolemaios zwar im Anschluss an die beiden alexandrinischen Mathematiker Adrastos von Aphrodisias und Theon von Smyrna die kinematische Gleichwertigkeit der von Apollonios von Perge vorgeschlagenen Epizykeltheorie und der Exzentertheorie des Hipparchos betont, sich aber wegen der größeren Einfachheit bei der Sonne für die letztere entscheidet. Die scheinbar ungleichförmige Bewegung der Sonne wird daraufhin aus der Exzentrizität ihrer Kreisbewegung abgeleitet. Für den Mond zog Ptolemaios die Epizykeltheorie ihrer größeren Anpassungsfähigkeit wegen vor, musste sie aber zur Berücksichtigung der von ihm entdeckten Evektion gegenüber Hipparchos durch einen beweglichen Exzenter als Träger des Epizykels, auf dem der Mond herumgeführt wird, erweitern. Für die damals bekannten fünf Planeten Saturn, Jupiter, Mars, Venus und Merkur reichte nicht einmal die Kombination beider Bewegungsmodelle aus, um die von der Erde aus ungleichförmig erscheinenden Bewegungen als aus sich überlagernden gleichförmigen Kreisbewegungen (einem Epizykel auf exzentrischem Trägerkreis / ›Deferenten‹) resultierend darstellen zu können. Ptolemaios musste vielmehr einen sogenannten Ausgleichskreis einführen, um die im Anschluss an die aristotelische Physik geforderte Gleich- und Kreisförmigkeit aller Bewegungskomponenten zu erhalten: Der Epizykelmittelpunkt bewegt sich weiterhin auf einem zur Erde exzentrischen Kreis, jedoch jetzt nicht mehr mit gleichförmiger Lineargeschwindigkeit, sondern mit gleicher Winkelgeschwindigkeit bezogen auf den Ausgleichspunkt außerhalb des Mittelpunktes des Deferenten und der Welt (Erde). – Dieser immer wieder kritisierte ›Verstoß‹ gegen die aus der aristotelischen Physik gezogenen Forderungen, der zwar auf eine gute Übereinstimmung von Theorie und beobachteten Örtern führte, aber physikalisch als Rotationsbewegung undenkbar gewesen ist, war es übrigens, der Copernicus später veranlasste, eine Verbesserung der ihm vorliegenden Theorien mit Ausgleichsbewegung durch strikte Befolgung der (aristotelischen) physikalischen Grundsätze vorzunehmen. – Die weiteren Bücher handeln über Ursachen und Berechnungen von Sonnen- und Mondfinsternissen sowie von den Fixsternen, deren nach Sternbildern geordneten Katalog mit genauen Örtern Ptolemaios gegenüber Hip­parchos um 200 erweitern konnte. Er wurde immerhin bis hin zu Tycho Brahe – nur wegen der Präzession jeweils auf die neue Zeit reduziert – unverändert übernommen. Neue systematische Fixsternbeobachtungen beginnen erst wieder im ausgehenden 17. Jahrhundert.

Das ptolemaiische, geozentrische Planetensystem dagegen, das im ›Almagest‹ für jeden Planeten gesondert mathematisch entwickelt wurde (so dass sich daraus kein zusammenhängendes ›System‹ ergab), fand zwar mit seiner Anordnung der Planeten und mit seinen mathematischen Elementen ebenso lange Anerkennung, nur hatte sich ergeben, dass die Perioden der sich der mittleren Bewegung überlagernden anomalistischen (Kreis-)Bewegungen einer Revision unterzogen werden mussten, damit die danach berechneten Tafeln zu den beobachteten Werten führten: Die Theorien für die einzelnen Planeten wurden durch neue Perioden modifiziert, das System nicht; und die auf Eudoxos von Knidos zurückgehende Art, ungleichförmige Bewegungen auf gleichförmige Bewegungen auf rotierenden Sphären (die im reduktionistischen mathematischen Modell wie im ›Almagest‹ als Kreise gedacht wurden) zurückzuführen, hat sich sogar so lange gehalten, bis das System Johannes Keplers mit den drei Bewegungsgesetzen sich seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert allmählich durchsetzte.

Ein ›physikalisches‹ System neben der mathematischen Theorie hatte auch Ptolemaios in seiner Schrift ›Hypotheses planetarum‹ aufzustellen versucht, indem er im Anschluss an Theon von Smyrna nach aristotelischem Muster die imaginären Kreise des ›Almagest‹ zu massiven Äthersphären ergänzte, zu Kugelschalen mit teils nicht-konzentrischen Begrenzungsflächen, und die Epizykel als Vollkugeln durch eine freigelassene Röhre in diesen Sphären rollen ließ. Durch das konzentrische Aneinanderreihen der Sphärensysteme aller Planeten (einschließlich Sonne und Mond), deren zum Durchmesser relative Dicke sich aus den Größen von Epizykel und Deferent ergab, gewann Ptolemaios so die Möglichkeit, auch absolute Entfernungen zu berechnen, wie sie im Falle des Mondes aufgrund von Parallaxenbestimmungen und für die Sonne daraufhin aus den Finsternissen seit Aristarchos von Samos bekannt waren. Für die das Universum abschließende Fixsternkugel errechnete er so einen Durchmesser von knapp 20 000 Erddurchmesser, einen Wert, der mit geringfügigen Modifizierungen bei den Anhängern eines geozentrischen Weltbildes ebenfalls bis ins 17. Jahrhundert hinein anerkannt war. – Tycho Brahe erhielt nach derselben Methode für sein geo-heliozentrisches System einen Wert von 14 000 Erddurchmessern, während nach Copernicus eine große Lücke zwischen der Saturn- und der unermesslich weit entfernten Fixsternsphäre klaffte (was lange Zeit einen der Gründe für die Nicht-Anerkennung seines heliozentrischen Systems bildete). Die Präzession, deren zu kleinen Wert von 1° in 100 Jahren Ptolemaios unverändert von Hipparchos übernommen hatte, wurde dann erst seit Thabit Ibn Kurra und seiner Zeit in einem solchen ›physikalischen‹ System berücksichtigt. Es wurde im lateinischen Mittelalter und dann bis ins 17. Jahrhundert parallel zu dem reduktionistischen, rein mathematischen Berechnungsmodell tradiert und benutzt; erst Copernicus’ Ziel war es dann, beide Betrachtungsweisen zu einer Einheit zusammenzufassen.

 

Von ähnlich großem Einfluss wie das ›Almagestum‹ waren die ›Tetrabiblos‹ (›Viererbuch‹) des Ptolemaios, das erste astrologische Handbuch, in dem die Inhalte orientalischer Gestirnsreligionen auf griechische Naturphilosophie gegründet und die Einflussnahme der (Gestirns-)Götter auf das irdische Geschehen systematisch zusammengefasst wird, seine astronomisch-geographischen Tafeln, in denen die Werte des ›Almagestum‹ bereits revidiert wurden, und seine ›Geographie‹, die nach dem Vorbild des Hipparchos im wesentlichen nur die mathematische Geographie umfasst und eine Sammlung von nach Landschaften und ›Klimata‹ zwischen zwei Parallelkreisen geordneten Örtern mit ihrer geographischen Breite und Länge darstellt, die noch zu Beginn der Neuzeit die Grundlage für alle Weltkarten bildete. Die ›Harmonik‹ des Ptolemaios ist ebenfalls ein Handbuch über die ihm vorliegenden mathematischen Musiktheorien seit den älteren Pythagoreern – sie übte noch starken Einfluss auf Johannes Keplers Vorstellungen von der ›Weltharmonik‹ aus. In seiner ›Optik‹ wird zwar die Reflexion im Anschluss an Eukleides und Heron von Alexandria wieder zusammenfassend behandelt, doch erfährt die Brechung der Lichtstrahlen beim Eintritt in ein anderes Medium (Luft – Wasser, Luft – Glas, Wasser – Glas) eine vollkommen selbständige Behandlung aufgrund eigener Messreihen. Einfalls- und Brechungswinkel wurden von ihm erstmals mittels einer graduierten Scheibe in der Art der aus der Astronomie bekannten Astrolabien gemessen. Für Einfallswinkel zwischen 10° und 80° kam Ptolemaios so zu recht annehmbaren Ergebnissen, wenn er auch noch weit von der Entdeckung des Brechungsgesetzes durch Willebrord Snel­lius (1620/21) entfernt war, für dessen Entdeckbarkeit aber selbst Keplers Korrekturen noch zu ungenau gewesen waren.

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