Buch lesen: «Friedrich Gerstecker: Streif- und Jagdzüge durch die Vereinigten Staaten von Amerika 1837-43»

Schriftart:

Jürgen Ruszkowski

Friedrich Gerstecker: Streif- und Jagdzüge durch die Vereinigten Staaten von Amerika 1837-43

Band 144 in der maritimen gelben Buchreihe

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort des Herausgebers

Der Autor Friedrich Gerstecker

Kapitel eins – Die Seereise in die Vereinigten Staaten Nordamerikas

Kapitel zwei – Der Atlantische Ozean

Kapitel drei – Streifzug durch die Vereinigten Staaten – New-York

State of New-York

Kapitel vier – Streifzug westlich vom Mississippi

Kapitel fünf – Cincinnati

Kapitel sechs – Landleben im Westen

Kapitel sieben – Versuch eines geregelten Lebens

Kapitel acht – Deutsche Ansiedlung in Arkansas

Kapitel neun – Jagd auf Truthühner, Hirsche und Bären im Urwald

Kapitel zehn – Zug in die Ozarkgebirge

Kapitel elf – Aufenthalt in Louisiana

Kapitel zwölf – Heimfahrt

Die maritime gelbe Buchreihe

Weitere Informationen

Impressum neobooks

Vorwort des Herausgebers

Vorwort des Herausgebers


Von 1970 bis 1997 leitete ich das größte Seemannsheim in Deutschland am Krayenkamp am Fuße der Hamburger Michaeliskirche.


Dabei lernte ich Tausende Seeleute aus aller Welt kennen.

Im Februar 1992 entschloss ich mich, meine Erlebnisse mit den See­leuten und deren Berichte aus ihrem Leben in einem Buch zusammenzu­tragen. Es stieß auf großes Interesse. Mehrfach wurde in Leserreaktio­nen der Wunsch laut, es mögen noch mehr solcher Bände erscheinen. Deshalb folgten dem ersten Band der „Seemannsschicksale“ weitere. Hamburg, 2021 Jürgen Ruszkowski


Ruhestands-Arbeitsplatz

Hier entstehen die Bücher und Webseiten des Herausgebers

* * *

Der Autor Friedrich Gerstecker

Der Autor Friedrich Gerstecker


Geboren am 10. Mai 1816 in Hamburg als Sohn eines Bühnentenors. Er ließ sich zum Kaufmannslehrling ausbilden, danach absolvierte er eine Ausbildung in Landwirtschaft. 1837 wanderte er nach Amerika aus, wo er ein abwechslungsreiches und abenteuerliches Leben als Matrose, Heizer, Jäger, Farmer, Koch, Silberschmied, Holzfäller, Fabrikant und Hotelier führte. 1843 kehrte Gerstäcker nach Deutschland zurück. Er lebte ab 1868 in Dresden und Braunschweig. Gerstäcker starb am 31.05.1872 in Braunschweig.

Gerstäcker war ein Erzähler von außerordentlich spannenden und farbenprächtigen Abenteuerromanen, die jedoch stets belehrende Momente in der Landschafts- und Kulturschilderung beinhalten.

* * *

Jagd- und Streifzüge durch die Vereinigten Staaten Nordamerikas

* * *

Kapitel eins – Die Seereise in die Vereinigten Staaten Nordamerikas

Kapitel eins – Die Seereise in die Vereinigten Staaten Nordamerikas


„Um neun Uhr geht der Kahn ab. – Gewiss?“ – „Ja, kommen Sie ja nicht später!“

Das war die Warnung, die ich empfing, als ich im Frühjahr 1837 mit dem Ewerführer sprach, der mich und mein Gepäck nach dem Schiffe „KONSTITUTION“ bringen sollte.


Die „KONSTITUTION“ war nach New-York bestimmt und lag auf der Reede vor Bremerhaven, ungefähr neun Meilen von Bremen, wo sie nur noch auf die beiden Leichter, oder, wie sie in Bremen genannt werden, Kähne wartete, um ihre Deckpassagiere und deren Güter einzunehmen.

Um neun Uhr war ich an Ort und Stelle, fand aber bald, dass ich mich nicht so hätte zu übereilen brauchen, denn noch wurde keine Anstalt zum Abfahren gemacht. Ich nahm mir daher Zeit, alle meine kleinen Habseligkeiten durchzusehen, um mich zu überzeugen, ob auch alles Notwendige da sei, wo nicht, das Fehlende noch nachzuholen.

In eine große Kiste, aber so, dass ich sie leicht öffnen und schließen konnte, hatte ich roten Wein in Flaschen, ein Fässchen Sardellen, ein Fässchen Heringe, einen westfälischen Schinken – o, dass es sechs gewesen wären! –, eine bedeutende Menge Zitronen, etwas Rum, Pfeffer, Zucker und mehrere zinnerne Gefäße, teils zum Tischgebrauch, teils zum Aufbewahren von essbaren Gegenständen bestimmt, sowie Löffel, Gabel und Messer eingepackt. – Ich fand alles, schlenderte noch recht behaglich an der Weser umher, den Abgang des Kahnes nicht zu verfehlen, und wunderte mich sehr über die immer zahlreicher ankommenden Reisegefährten. Als ich aber die Unmasse von Menschen sah, die alle in dem erbärmlich kleinen Fahrzeuge transportiert werden sollten, schien es mir im Anfange ganz unmöglich, dass es die Leute sämtlich aufnehmen könne, – doch was leistet nicht ein Bremer Kahnführer in dieser Hinsicht!

Als ich so, an eine Kiste gelehnt, dastand und dem allen zusah, kam plötzlich ein junger Mann mit einem blauen Mantel, einer etwas militärischen Mütze und einer Brille, eine lange Pfeife in der einen Hand, einen Tornister in der anderen, auf mich zu, betrachtete mich einen Augenblick und begrüßte mich dann mit dem vertraulichen Du. Sein Gesicht war mir bekannt, doch erst, als er sich nannte, erinnerte ich mich seiner. Es war H., ein früherer Schulkamerad von mir, der mit mir auf demselben Schiffe die Reise nach dem Orte meiner Sehnsucht machen wollte.

Sein Anblick brachte zum ersten Mal, seit ich von allem, was mir lieb und teuer war, Abschied genommen hatte, ein Gefühl in meine Brust zurück, als ob ich doch noch nicht so ganz verlassen in der weiten Welt sei. Ich begrüßte ihn auf das Herzlichste, und dass wir beide von nun an unzertrennlich waren, versteht sich wohl von selbst.

Wir wanderten jetzt noch eine Weile in der Stadt umher und erfuhren, als wir zum Kahne zurückkehrten, mit Bestimmtheit, dass er erst am Morgen des nächsten Tages abgehen würde. Die meisten der Passagiere gingen den Abend noch einmal an Land zurück, ich blieb mit H. an Bord bei unseren Sachen, und am nächsten Morgen, am ersten Pfingstfeiertage, lichteten wir den Anker, d. h. banden den Kahn vom Ufer los, und gingen mit der Ebbe und einem nicht besonders guten Winde unter Segel, sobald als möglich unser Schiff zu erreichen. Aber nur der, welcher eine solche Reise, auf einem solchen Fahrzeuge, mit einer solchen Anzahl von Passagieren gemacht hat, kann sich das Leben und Treiben vorstellen, das wir an Bord unseres Kahnes führten.

Nötig möchte es hier sein, eine kurze Beschreibung desselben zu geben, da diese Kähne noch immer gebräuchlich sind und wohl noch Tausende von Auswanderern in solchen Trauerbüchsen aus der Heimat fortgeschafft werden.

Es sind einmastige Fahrzeuge mit einem großen Schonersegel, das am Hauptmast durch große hölzerne Ringe befestigt ist, und ein lateinisches, ebenso eingerichtetes Segel am Bugspriet trägt. Die ganze Länge des Fahrzeugs beträgt ungefähr 15 Schritt, seine Breite vielleicht 5–6 Schritt; im Hinterteil ist es mit einer Art Kajüte versehen, wenn man überhaupt ein kleines viereckiges Loch mit zwei Schlafstellen an der einen Seite und einem kleinen Schranke an der anderen, etwa 6 Fuß ins Gevierte, so nennen darf.

Man denke sich nun in diesem Kahne – die Kajüte stand bloß zur Verfügung des Kahnführers oder Kapitäns, wie er sich gern nennen hörte – 60 Passagiere, sage sechzig lebendige Passagiere, mit ihren Koffern, Kisten, Hutschachteln, Tüchern voll Proviant, Mänteln, Decken, Matratzen usw. sitzend, gelagert, stehend, und zwar nicht allein junge Männer, nein, alte und junge Frauen, Greise und Knaben, junge hübsche Mädchen und alte Jungfern, alles wild und bunt durcheinandergeworfen, in dem engen, dunkeln, dunstigen Raume, und man hat immer nur ein schwaches Bild von dem, was die Wirklichkeit bot.

Als sich alles gelagert und weggepackt hatte und ich fest überzeugt war, dass es nicht möglich gewesen wäre, auch nur noch einen einzigen Menschen unterzubringen, wir hätten ihn denn unter das Deck gehangen, kamen noch ein Paar Beine durch die Luken, ihnen folgte eine blaue Jacke und dann das dicke, rote Gesicht unseres fidelen Kapitäns. Nachdem er eine Weile mit den Füßen nach einem harten Punkte zum Feststehen gefühlt hatte, ließ er die Hände los und landete glücklich auf den Hühneraugen eines langen Schneiders, der sich zwischen zwei Kisten hineingeklemmt hatte und dort stehend eingeschlafen war. Dieser zog die langen Beine vor Schmerz in die Höhe, war aber so verdutzt – der arme Teufel war noch halb im Schlafe, dass er den guten Kapitän oder Teerjack, wie wir ihn nannten, höflich um Verzeihung bat.

Was aber wollte um Gottes willen der gute Mensch da unten? Nichts, als die hübschen Mädchen, die wir unter unseren Passagieren zählten, in Augenschein nehmen. Deshalb stieg und kletterte er sehr freundlich von einer zur anderen und versuchte sein Bestes, sich angenehm zu machen. Wind und Wetter aber, Ort und Zeit, alles war gegen ihn, und er bekam nur schnöde Worte von dem einen und ein Hohnlächeln vom anderen Teil der Passagiere zum Lohne. Als er sah, dass das schöne Geschlecht nichts von ihm wissen wollte, machte er sich an das andere und fing an mit verschiedenen Schnapsflaschen zu liebäugeln. Diese zeigten sich ihm denn auch bedeutend günstiger als die jungen Damen, denn hier und da wurde eine derselben von unserem Kahnführer entstöpselt und genau untersucht.

Als es zu dunkeln anfing, mussten wir Anker werfen, denn wir hatten die aufkommende Flut jetzt gegen uns. Der kleine Anker flog über Bord, die Segel fielen nieder, und für die Nacht wenigstens waren wir in Ruhestand versetzt. – Ruhestand, ja; ich saß die ganze Nacht hindurch auf der Ecke eines Koffers mit dem Kopfe an eine große Kiste lehnend, mit deren Vorhängeschloss ich mir die Schläfe wundscheuerte.

Welch ein Anblick am nächsten Morgen, als die aufgehende Sonne die schlafenden und schlaftrunkenen Gruppen des engen Zwischendecks beleuchtete! Es war wirklich, um seekrank zu werden, trotz des ruhigen Wassers. Das Wetter besserte sich übrigens, und unser Kahn zog langsam den Strom hinunter. Es mochte acht Uhr sein, als uns ein kleines Fischerboot, ein Schellfischfänger, begegnete. Ich kaufte für wenige Grote einige herrliche Schellfische, die uns unser Kapitano von seinem dienstbaren Geiste zum Feuer setzen ließ. Natürlich aß er, als sie zubereitet waren, auch mit. Mit eintretender Flut ankerten wir von neuem, und H. und ich fuhren mit dem einzigen Matrosen, den wir hatten, an Land, wieder einige Lebensmittel einzunehmen. Unsere Wasserfahrt drohte etwas langwierig zu werden. Nachmittags lichteten wir mit der Ebbe den Anker und kamen bis an ein kleines Städtchen, ich glaube, es heißt Brake, von wo uns fröhliche Tanzmusik entgegenschallte.

Unser Teerjack wäre aber da nicht vorbeigefahren, und wenn die ganze Bremer Admiralität daneben Schildwacht gestanden hätte. Trotz des günstigen Windes und der Ebbe wurde geankert, und der kleine Handkahn, den er, hinten angebunden, immer mit sich führt, brachte wenigstens den jüngeren Teil der Passagiere, einige ganz junge Schreihälse ausgenommen, ans Ufer.

Dort drehten sich viele Stunden lang, vielleicht zum letzten Mal, die jungen Leute auf vaterländischem Boden lustig nach dem Takt der Violinen und Klarinette. Mir aber war freilich nicht wie Tanzen zu Mute, und in eine Ecke gedrückt, sah ich dem wilden Schwarme der Ausgelassenen zu. Mancher von ihnen hätte sich auch vielleicht lieber in irgendeinem stillen Winkel recht herzlich ausgeweint, als hier die Beine im Takt herumzuwerfen, aber die Musik betäubte, was ihnen im Herzen brannte, und einmal in den Strudel hineingerissen, gaben sie sich ihm nun so viel williger hin.

Die einbrechende Nacht rüttelte da endlich das sonst eben nicht sehr zarte Kahnführergewissen unseres „Kapitäns“ empor. Der Wind war zur Ausfahrt günstig, und er wusste, dass das Schiff auf der Reede seiner wartete. Er trommelte daher seine Ladung zusammen, und bald ließen wir die sich in der Ferne recht gut ausnehmenden Klänge der Tanzmusik weit zurück.

Einen Spaß hatten wir übrigens, wenn auch auf Unkosten anderer, der uns die Zeit wenigstens etwas verkürzte. In Vegesack, einem kleinen Städtchen an der Weser, hatten wir noch drei Passagiere eingenommen, die ebenfalls mit unserem Schiffe fahren wollten, einen älteren Mann, vielleicht 45 bis 50, seine Ehehälfte, vielleicht 38 bis 39, und ihren hoffnungsvollen Sohn, ungefähr 18 Jahre alt. Da in dem Zwischendeck unseres Kahnes aber keine drei Personen mehr untergebracht werden konnten, so hatte ihnen Teerjack, natürlich gegen eine verhältnismäßige Vergütung, seine „Kajüte“ abgetreten. Mit nicht geringer Schwierigkeit war es dabei gelungen, die beiden alten, etwas unbeholfenen Leute hinunter zu schaffen, während Wilhelm, der hoffnungsvolle Sohn, mit desto größerer Schnelle unten anlangte. Als er sich nämlich überzeugen wollte, ob seine Eltern glücklich unten wären, rutschten ihm die Füße aus, und wie ein Blitz aus heiterem Himmel fuhr er zwischen den zum Tode Erschrockenen nieder, im Vorbeigehen noch seiner Mutter, die bald in Ohnmacht gefallen wäre, den Hut abreißend.

Als es schon fast Abend geworden war, fiel es unserem Führer noch ein, dass er Teer brauche. Derselbe stand in eben dieser Kajüte, und zwar unter dem Fußboden, in den ein viereckiges Loch mit hineingepasstem Deckel eingeschnitten war.

Der Matrose, der, beiläufig gesagt, in Brake zu viel geladen und dabei die Grundregel bei dem Befrachten eines Schiffes vergessen hatte, die schwersten Sachen nie in den oberen Raum zu stauen, taumelte in die enge Öffnung hinein und machte dem Kleeblatt da unten begreiflich, dass er das viereckige Loch in der Mitte aufmachen müsse und sie sich daher, so gut es ginge, an die Wand drücken möchten. Gesagt, getan. Die Aufforderung, sich an die Wand zu drücken, war übrigens leichter ausgesprochen, als in Ausführung gebracht, da schmale Bänke an den niederen Wänden hinliefen. Der Verschlag wurde jedoch geöffnet, der eiserne Topf hervorgezogen und mit dem einen scharfen Fuße gerade auf Wilhelms Zehe niedergesetzt, der den Fuß zurückzog und die Ferse hinten gegen die Wand schlug. Aber sein Leidenskelch war noch nicht vorüber. Mit himmlischer Geduld erwartete er den Abzug des Matrosen, der den Topf mit beiden Händen in die Höhe hob, ihn dem obenstehenden, schon die Hände danach ausstreckenden Kahnführer zuzureichen. So glücklich sollte die Sache aber nicht abgehen; der ziemlich schwere Topf mit dem flüssigen Teer drehte sich in des Taumelnden Hand, Wilhelm bekam den Teer und der Kapitän den Topf, und während dieser oben wie ein Heide oder, viel besser, wie ein christlicher Seemann wetterte und fluchte, stand Wilhelm unten wie Butter an der Sonne, mochte sich nicht einmal anfassen und schnitt ein höchst unglückseliges Gesicht.

Auch noch Spott musste er dabei erdulden, denn ein langer Schneider, der mit an Bord war, meinte unter dem Hohnlachen der gefühllosen Mitpassagiere, dass Wilhelm eine sehr glückliche Reise haben müsse, wenn nur irgend Wahrheit in dem alten Sprichwort läge: „Wer gut schmeert, der gut fährt.“

Noch eine ganze Nacht mussten wir in dem erschrecklichen Kasten zubringen, und es würde Bogen füllen, alle die komischen und ernsthaften Geschichten zu erzählen, die da vorfielen. So etwas aber muss wirklich miterlebt sein, es lässt sich nicht mit Worten beschreiben und würde zuletzt gar ermüden.


Am nächsten Morgen sahen wir das erste Ziel unserer Bestimmung, die Barke „KONSTITUTION“ mit aufgehisster Signalflagge vor Anker liegen. Wir liefen an sie hinan, warfen unsere Taue hinüber und sprangen an Bord.

Es ist unmöglich, auch nur eine Idee der Unordnung und Verwirrung wiederzugeben, die bei unserer Ankunft an Bord entstand. Einer der Kähne war schon vor zwei Tagen mit der Hälfte der Passagiere angelangt.


Diese hatten den dadurch erlangten Vorteil benutzt, sich die besten Kojen oder Schlafstellen auszusuchen und alle ihre Sachen in Ordnung zu bringen, was in dem engen Raume gewiss keine Kleinigkeit war. Man denke sich einen von Balken und Brettern begrenzten Raum, 18 Schritt lang, 9 Schritt breit und 8 Fuß hoch, in der Mitte mit hölzernen Balken versehen, die das Verdeck stützen und zugleich dazu dienen, das Gepäck zu halten. In diesem Raume nun denke man sich ferner an jeder Seite eine doppelte Reihe von Schlafstellen, d. h. eine über der anderen, jede ungefähr 6 Fuß lang und 6 Fuß breit, für 5 Mann eine jede eingerichtet, oder vielmehr nicht eingerichtet.

Rechnet man also von einer Breite von 9 Schritt oder 18 Fuß die an beiden Seiten befindlichen Schlafstellen, jede zu 6 Fuß, ab, so bleiben 6 Fuß Zwischenraum. Da in diesem Raume nun wieder die Kisten und Kästen mit Wäsche und Lebensmitteln von allen Passagieren aufgehäuft und mit Seilen und Stricken an die Balken in der Mitte befestigt waren, um das Umherrutschen derselben bei unruhigem Wetter zu verhindern, so blieb kein größerer Raum übrig als 12 bis 14 Zoll an jeder Seite in einer Länge von 36 Fuß für 118, sage einhundertachtzehn Passagiere!

Als ich den düstern, dunstigen Raum, die dann herumkriechenden und kletternden Gestalten zuerst vom Deck aus mit einer leicht verzeihlichen Scheu betrachtete, kamen mir so sonderbare Ahnungen von dem Wälzen und Schaukeln des Schiffes, von dem Losgehen der Seile, welche die Kisten und Koffer hielten, von dem Umherfliegen des Gepäcks, von Seekrankheit und Erbrechen, auf das die in einer wahren Unzahl vorhandenen zinnernen Geschirre noch dazu gar wehmütig zu deuten schienen, vor die Seele, dass ich mich im Anfang gar nicht hinabgetraute. Ich musste auch wirklich nur nach und nach lernen, in dem furchtbar dunstigen Raum auszuhalten; doch der Mensch ist ein Gewohnheitstier und findet sich nach und nach in alle Verhältnisse.

Die „KONSTITUTION“ war eine Bark, d. h. ein dreimastiges Schiff, nur mit dem Unterschiede, dass die Querrahen am hintersten oder Besanmaste fehlten und dieser ein großes Besansegel und Besantopsegel hatte; die Seeleute nennen solche Fahrzeuge Zweieinhalb-Master. Fast war das Verdeck ziemlich geräumig, wenn es durch das viele Gepäck auch noch wild und unordentlich genug aussah. Obgleich wir nun noch vor Anker lagen, schwankte das Schiff doch ziemlich stark, wie es mir wenigstens im Anfange vorkam, da ich das Schaukeln noch nicht recht gewohnt war. Endlich wurde es dunkel, und ich kroch in das Zwischendeck hinunter, mir noch vor einbrechender Finsternis meinen Schlafplatz ein wenig zu beschauen.

Wir waren unserer fünf, die das Schicksal und unser eigener Wille vermocht hatten, in einen 6 Fuß breiten und 6 Fuß langen Raum hineinzukriechen, und zwar mit der kühnen Idee, dort dem Schlummergotte zusammen in die Arme zu sinken. Einzeln hätte er uns, beiläufig gesagt, auch gar nicht in die Arme nehmen können; denn wir lagen so dicht beisammen, dass er entweder nur alle fünf in Bausch und Bogen oder gar keinen in Schlaf wiegen konnte.

Unsere Matratzen – jeder hatte eine Matratze und eine Decke – wurden unten hineingelegt, und wir krochen, einer neben den anderen, darauf. Als vier darin lagen – zwei von unseren Schlafkameraden wogen je 230 Pfund, – war der Raum ausgefüllt, und nun entstand die Frage: „Wohin soll der fünfte?“ Quer über? Dagegen protestierte die Unterlage. Unter die Köpfe? Das wäre für H., den fünften Mann, nicht sehr angenehm gewesen, und dann war dieser auch so eckig und knochig, dass ich nicht weiß, ob sich unsere Schädel gut dabei befunden hätten. Wir legten uns endlich sämtlich auf die Seite, und H. schob sich noch ein. Er passte gerade in die Lücke; an ein Umdrehen war aber nun nicht mehr zu denken, und so verbrachten wir die erste Nacht auf dem so lang' ersehnten Schiffe.

Als ich wenigstens auf der linken Seite, denn die rechte war und blieb fest eingeschlafen, am nächsten Morgen aufwachte, schienen mir alle Glieder wie zerschlagen und zerstoßen. Es fehlte nicht viel, so hätte ich das Heimweh bekommen.

Ein Eimer voll Weserwasser, das hier schon halb salzig ist, diente mir an dem Morgen, wie später auf der ganzen Reise, zum Waschbecken. Der Wind pfiff recht kalt und unfreundlich durch das Tauwerk, und die ganze Sache wollte mir eigentlich gar nicht so besonders gefallen. Das war der Anfang der Prosa, wo ich mir gleich vom Anfang an nur Poesie geträumt hatte. Ich schämte mich übrigens, irgendeinem anderen ein Wort davon zu sagen, wenn mir auch später eingefallen ist, dass den anderen vielleicht an dem Morgen ebenso zu Mute war, und verbiss meine Gedanken mit einem so viel als möglich gleichgültigen Gesicht.

Jetzt fing es auch unten an lebendig zu werden, und als ich durch die enge Öffnung in das Zwischendeck hinunterschaute, fiel mir Schillers Taucher recht lebhaft ein, „wie's von Salamandern und Molchen und Drachen sich regt in dem furchtbaren Höllenrachen“. Lachen, Singen, Toben, Kinderschreien, Weinen, Beten, Fluchen – alles, alles tönte von da unten herauf, und bald kletterte ein verschlafenes Gesicht nach dem anderen die steile Leiter herauf und blinzelte mit den an die Dunkelheit gewöhnten Augen der hier und da durch dünne, graue Wolken blinkenden Morgensonne entgegen.

Als das eine Stunde gedauert hatte, in der die Leute oben versuchten, sich den Schlaf aus den Augen zu waschen, rief plötzlich eine kräftige Stimme im Vorderteil des Schiffes: „Schaffen!“ – und gleich darauf kam Leben in den Teil unserer Schiffsmannschaft, welcher schon einige Tage an Bord war und das geheimnisvolle Wort verstand. Aber auch uns sollte es bald erklärt werden, denn es erwies sich als eins der wichtigsten Worte für die ganze Reise, es hieß nämlich „Frühstück, Mittagessen, Abendbrot“, gewissermaßen eine Schiffshieroglyphe. Wir bekamen Kaffee, Schiffszwieback und Schwarzbrot, alles ziemlich gut; jeder musste aber mit seinem Kaffeetopfe oder Kessel, oder was er sonst hatte, hingehen und es sich selber holen.

Jetzt hatte ich erst Zeit, mir meine Reisegefährten ein wenig genauer zu betrachten. Außer H. waren es ein Tischler Mlhr., ein Doktor Tsmr. und ein Apotheker Bgl., die beiden letzten ein paar kolossale Gestalten, die füglich eine Koje für sich allein hätten haben sollen. Alles übrigens, was sich von den Leuten nach dem ersten Eindruck beurteilen ließ, schien mir angenehme Gesellschaft zu versprechen.

Die Unordnung, die jetzt noch auf dem Schiffe herrschte, war wirklich grenzenlos; keiner wusste, wo er hingehörte, und ein jeder fragte nach seinen Sachen, nach dem und dem Koffer, nach der und der Kiste. Die Frauen und Mädchen insbesondere, und wir zählten deren ungefähr 20 bis 25 an Bord, schienen zu gar keinem Ergebnis zu kommen, und wenigstens sprachen immer acht auf einmal.

Leid taten mir in dem Gewirr und Lärm einige Damen, die, wahrscheinlich durch Vermögensumstände gezwungen, die billigere Überfahrt im Zwischendeck der sehr teuren in der Kajüte vorgezogen hatten und nun, alle die kleinen Bequemlichkeiten, an die sie von Kindheit auf gewöhnt waren, entbehrend, sich höchst unglücklich zu fühlen schienen. Für einen einzelnen Mann geht es schon, sich im Deck durchzuschlagen, ja es ist sogar höchst interessant, all dies Leben und Treiben einmal mitzumachen. Ich selber möchte um alles in der Welt nicht in der Kajüte gereist sein; für eine Frau jedoch ist das eine ganz andere Sache, denn was dem Manne zum Spaß und zur Unterhaltung dient, kann die Frau oft verletzen und zurückschrecken.

Nicht so ängstlich dachten übrigens einige Oldenburger Mädchen über das Leben im Zwischendeck. Diese schienen ganz in ihrem Fahrwasser zu sein, und je toller, je wilder, je lärmender es zuging, desto mehr lachten und tobten sie selber mit. Auch Israels Stamm hatte einige 60 Repräsentanten und Repräsentantinnen im Zwischendeck der „KONSTITUTION“.

Schon ein paar Tage hatte dies wilde Leben so gedauert, als endlich der Lotse an Bord kam und die Anker gelichtet wurden.

Jetzt ward Leben im Schiffe, alles drängte froh und jubelnd durcheinander, niemand wollte unten im Raume bleiben, und das Verdeck wimmelte.

Mit ziemlich gutem Winde segelten wir aus und erreichten in kurzer Zeit die Nordsee. Der Landstreifen, den wir noch sahen, wurde schmäler und schmäler, der Lotse stieg in seinen kleinen Kutter und verließ uns. Auch dies Fahrzeug wurde kleiner und kleiner. Jetzt schaute nur noch ein dünner, blauer Streifen mit einem schwarzen Punkte darauf hervor: Es war der Kirchturm von Wangerooge, und auch dieser wurde endlich immer unbestimmter.

Dort schwand die Heimat – das verlassene Vaterland. – In der blauen Ferne, dort hinter jenen dünnen Wolken, die sich auf dem Wasser lagerten, lebte alles, was mir auf dieser Welt lieb und teuer war, alles – und ich hatte nicht einmal eine Träne, als das letzte vom heimischen Strande im Nebel zerfloss. Es war, als ob der Quell versiegt sei, und mit trockenen Augen starrte ich noch lange, lange nach der teuren Himmelsgegend.

Es dunkelte, und ich ging früh zu Bett. Ich sehnte mich heute danach, ruhig und ungestört meinen Gedanken nachhängen zu können. Auch im übrigen Zwischendeck war es heut weit stiller als die früheren Tage. Der Abschied von der Heimat mochte doch auch manchem ans Herz gerückt sein, und die weite, öde Wasserwüste, die uns umgab, hatte überhaupt etwas Bewältigendes, geheimnisvoll Großartiges, das den leichten Scherz und Spott eben nicht aufkommen ließ.

Das Schiff fing jetzt an, von günstigem Winde geschaukelt, ziemlich unruhig zu gehen, und ein unerträgliches Gefühl weckte mich in der Nacht. Ich erwachte und fühlte, dass ich mit dem Kopf viel niedriger als mit den Füßen lag. Wir lagen nämlich auf der Steuerbordseite (Die rechte Seite vom Schiffe, wenn man am Steuerruder steht und nach vorn sieht. Backbord oder Larbord heißt die linke Seite.) des Schiffes, mit dem Kopfe, der frischeren Luft wegen, dem offenen Gangwege zu; der Wind aber kam jetzt aus Nordost, und das Schiff lag ziemlich schräg auf die Backbord- oder linke Seite hinüber, wodurch unsere Beine natürlich in die Höhe kamen. Unter Lachen und Fluchen und nicht ohne bedeutende Schwierigkeiten veränderten wir unsere Lage und befanden uns dann etwas behaglicher – wenn man das eben behaglich nennen kann, dass wir jetzt mit den Köpfen in dem engen, dunstigen Raum an der Schiffswand lagen und kaum atmen konnten.

Die nächste Morgensonne beschien manches leichenblasse, ellenlange Gesicht. Die See ging hoch, das Schiff schwankte und schaukelte furchtbar und hatte die unangenehmste Bewegung, die es haben kann, indem es von den Wellen vorn hoch emporgehoben wurde und dann wieder tief in sie hineinschlug, und zwar so reißend schnell, dass einem der Atem bei manchen Sprüngen verging. Diese Bewegung blieb nicht ohne Folgen. Der Magen der meisten unserer lieben Unglücksgefährten, zwar an eine anständige Bewegung, aber keineswegs an dieses Herumwerfen und Auf- und Abschütteln gewöhnt, revoltierte, und fürchterlich war das Ergebnis.

Wie ich schon erwähnt habe, hatten wir eine sehr große Menge Juden, mit wenigen Ausnahmen aus der niedrigsten Klasse, an Bord. Diesen Leuten war nun von ihrem Rabbiner das Speckessen während der Reise erlaubt, wie sie behaupteten, und den meisten hatte der schöne, süße Speck, den wir bekamen, so gut gemundet, dass sie sich die Mägen, wenn nicht überladen, doch wenigstens vollgefüllt hatten. Die Strafe folgte auf dem Fuße; da war kein Winkel auf dem ganzen Schiffe, in dem nicht ein Seekranker mit seinem zinnernen Eimerchen saß oder sich verzweifelnd über Bord lehnte und kläglich der See sein Opfer brachte.

Glücklicherweise blieb ich selber, mit H. und dem Doktor, vollkommen von der Seekrankheit frei und gewöhnte mich auch sogar bald daran, das Elend um mich her ruhig und ungerührt mit ansehen zu können. Auf Mitleid darf überhaupt kein Seekranker Anspruch machen; man weiß, dass die Krankheit nicht lebensgefährlich ist und bald wieder vorübergeht, und eher gewinnt bei den Gesunden eine gewisse Schadenfreude die Oberhand.

Angenehm war die Lage der Gesunden an Bord übrigens auch nicht, wenn auch immer noch beneidenswert gegenüber der Kranken. Der Regen kam nämlich in Strömen nieder, und so fatal die Nässe sein mochte, war es doch in dem unteren Raume mit all den Kranken gar nicht auszuhalten.

Ein paar Tage vergingen so in wirklich trauriger Art, und nur der rege Wellentanz draußen in See entschädigte mich etwas für das verzweifelte Leben an Bord. Die See fing auch nach und nach an, sich wieder etwas zu beruhigen, und am Sonntagnachmittag fanden sich zuerst wieder einige Gruppen hier und da zusammen. Die Leute fühlten, dass sie verzweifeln müssten, wenn sie nicht gesellig würden, dennoch störte ein plötzlicher Ausbruch der Seekrankheit gar oft ganz fröhlich begonnene Unterhaltungen. Die Herzhafteren wagten nun auch schon, wieder ein wenig aufs Verdeck zu gehen, mussten aber manchmal ihre Kühnheit teuer büßen, wenn eine etwas außergewöhnlich große Welle, vom Schiff gebrochen, über das Deck fegte und alle in ihrem Bereich Befindlichen bis auf die Haut durchnässte. Gegen Abend heiterte es sich etwas auf, und ich mischte mich vorn unter die Matrosen, ihren Erzählungen, Liedern und See-Anekdoten lauschend.

Den nächsten Tag war es wieder dasselbe Spiel, die See rauer und wilder denn je, und die Seekrankheit auf dem höchsten Punkte. Die Sache begann mich anzuekeln, und ich kletterte in die Marsen (Mastkorb) hinauf, um wenigstens außer dem Bereiche der Kranken zu sein. Ich kam auch nicht eher wieder aufs Verdeck, bis das „Schaffen“ des Kochs etwas Warmes für den inneren Menschen verkündete, das übrigens diesen Mittag nur von dem kleinsten Teile der Passagiere beachtet wurde.

Hier wäre es nun wohl am Platze, auch etwas über die Kocherei und Art der Bewirtung auf den Schiffen, die sich auf den meisten gleich ist, zu sagen. Die Küche selber ist ein kleines Bretterhaus, auf dem Verdeck aufgerichtet und mit Klammern und Tauen so befestigt, dass ihm die über das Schiff schlagenden Wellen nichts anhaben können. Der Verschlag besteht aus zwei Teilen; in dem einen ist ein großer Kochofen für die Kajüte, in dem anderen ein gemauerter Herd mit einigen ungeheuren Kesseln für die Zwischendecks-Passagiere.

Genres und Tags

Altersbeschränkung:
0+
Umfang:
681 S. 36 Illustrationen
ISBN:
9783753191874
Verleger:
Rechteinhaber:
Bookwire
Download-Format:
Text
Durchschnittsbewertung 4,3 basierend auf 300 Bewertungen
Audio
Durchschnittsbewertung 4,7 basierend auf 1052 Bewertungen
Audio
Durchschnittsbewertung 4,9 basierend auf 136 Bewertungen
Audio
Durchschnittsbewertung 4,5 basierend auf 243 Bewertungen
Audio
Durchschnittsbewertung 4,6 basierend auf 542 Bewertungen
Audio
Durchschnittsbewertung 5 basierend auf 373 Bewertungen
Text
Durchschnittsbewertung 4,9 basierend auf 376 Bewertungen
Text
Durchschnittsbewertung 4,9 basierend auf 503 Bewertungen
Text, audioformat verfügbar
Durchschnittsbewertung 4,7 basierend auf 574 Bewertungen
Text
Durchschnittsbewertung 0 basierend auf 0 Bewertungen