Henri hardcore II - Heines Mannesjahre

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Henri hardcore II - Heines Mannesjahre
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Freudhold Riesenharf

Henri hardcore II - Heines Mannesjahre

Welche sterben, wenn sie lieben

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Inhaltsverzeichnis

Titel

27: Lo

28: Lolita

29: Dido

30: Crescence

31: Helena

32: Glycère

33: Crescentia

34: La Place de l'Odéon

35: Pandore

36: Luise

37: Katharina

38: Vinot

39: Pas si vite!

40: Je ne sais pas

41: Aut Caesar aut nihil

42: Mathilde

43: Candida

44: Manon

45: Jenny

46: George

47: Asunción

48: Pauline

Impressum neobooks

27: Lo

Und der Sklave sprach: „Ich heiße

Mohamet, ich bin aus Jemen,

Und mein Stamm sind jene Asra,

Welche sterben, wenn sie lieben.“

Der Asra

Morelle bietet ihm, da sie zwei Zimmer frei hat, an, bei ihr zu wohnen, wodurch er sich seine Miete an der Porte St. Denis sparen könnte. Er aber besteht auf seiner Freiheit und Selbstständigkeit. Dass er während der Zeit mit ihr keine andere Frau hat, hindert ihn nicht, sich auch immer wieder nach anderen umzudrehen. Eine Friseurin in der Nachbarschaft bezirzt ihn durch ihren zärtlichen Umgang mit seinem Haar. Sie kommt offenbar aus dem Osten, Polen, Rumänien, Bulgarien oder dergleichen. Sie ist aber verheiratet, und ihr Mann schnippelt im Salon nebenan.

Noch während er im Frisierstuhl sitzt, fängt er von draußen auf dem Trottoir den Blick einer jungen Vorübergehenden auf. Weil sie so zierlich wirkt, hat sein Auge noch durch das Fensterglas hindurch einen gewissen so klebrigen Lustre, wie er verliebten Katern eigen zu sein pflegt, so dass die Passantin buchstäblich daran kleben bleibt und kurz danach sogar zurückkehrt, um nochmals durch die Scheibe zu schauen. Traute sie zuerst ihren Augen nicht? Jetzt ist es, da er momentan sowieso keine Gelegenheit hat, sie anzubaggern, geniert an ihm, beschämenderweise so zu tun, so als hätte er sie gar nicht gesehen. Dabei muss es natürlich nicht seinetwegen sein, warum sie umgekehrt ist, es kann auch einen anderen Grund haben.

Beim Zahnarzt berückt ihn eine Helferin mit ihrem heiter unbeschwerten, geschäftstüchtigen Gebaren, wobei ihre unter der leichten Bluse ohne BH wabbelnden jungen Brüste seinem Gesicht so nahe kommen, dass er ihre süße Melonenfrische riecht. Ist aber offenbar schon vergeben. Außerdem ist er mit ihrem Arbeitgeber unzufrieden, so dass er sie einem Arztwechsel opfert.

Auf der Bibliothèque Nationale, die er häufig besucht, verschaut er sich aus reiner Gewohnheit in eine der Bedienerinnen und verdreifacht seine Besuche, bis er eines Tages erfährt, dass sie schwanger ist und nächsten Monat heiraten will.

Beim Buchhändler Renduel fällt ihm eine Verkäuferin auf. Er randaliert in den Regalen wie noch nie, bis er eines Tages ihrem indignierten Blick entnimmt, dass sie ihn durchschaut hat ...

Wie könnten stundenlang so fortfahren, denn seine ephemeren Amouren sind, wie flüchtig auch immer, inflationär. Auch flaniert er regelmäßig nach wie vor durch die Passage des Panoramas, wo die Bordsteinschwalben Spalier stehen.

Einmal besucht er mit Morelle eine verwitwete Freundin, Charlotte, die in der Modebranche ist und in der Banlieue am Stadtrand wohnt. Sie zeigt ihnen das ganze leere verwaiste Haus. Er folgt ihr mit gleichgültigem Interesse die Treppe hinunter; durch die Küche am Ende der Diele, auf der rechten Seite des Hauses – der Seite, auf der auch Ess- und Wohnzimmer liegen. In der Küche sagt das Dienstmädchen, eine dickliche, jüngere Negerin: „Ich gehe jetzt, Madame Haze“, und nimmt ihre große schwarzglänzende Tasche vom Knauf der Tür, die zur hinteren Veranda führt. „Gut, Louise“, antwortet Charlotte mit einem Seufzer. „Ich rechne am Freitag mit Ihnen ab.“ – Sie kommen durch einen engen Anrichteraum ins Esszimmer, das parallel zum Wohnzimmer verläuft, welches sie schon bewundert haben. Dort liegt eine weiße Socke am Boden. Mit einem missbilligenden Grunzen bückt sich Charlotte, ohne stehenzubleiben, und schleudert sie in einen Wandschrank neben der Anrichte. Sie werfen einen flüchtigen Blick auf einen Mahagonitisch mit einer Fruchtschale in der Mitte, mit nichts als einem einzelnen, noch glitzernden Pflaumenkern. Er tastet nach dem Fahrplan, den er in der Tasche hat, und zieht ihn verstohlen heraus, um so schnell wie möglich nach der nächsten Postverbindung zu sehen.

Er zockelt noch immer hinter ihnen durchs Esszimmer her, als plötzlich ein Grün-in-Grün über sie hereinbricht – ,die Piazza', singt ihre Führerin. Und dann, ohne die geringste Warnung, hebt sich eine blaue Meereswelle unter seinem Herzen, und auf einer Matte in einem Teich von Sonne, halbnackt, kniend und sich auf den Knien herwendend, hockt eine seiner ersten großen Lieben: Veronika, und sieht ihn über dunkle Brillengläser forschend an.

Es ist dasselbe Kind – dieselben zarten, honigfarbenen Schultern, derselbe biegsame, seidige, nackte Rücken, derselbe kastanienbraune Haarschopf. Ein weißgepunktetes schwarzes Tuch, um ihre Brust geknotet, verbirgt seinen alternden Affenaugen, nicht aber den Blicken lebendiger Erinnerung, die jugendlichen kleinen Brüste, die er eines unvordenklichen Tages geliebkost hat. Und als wäre er die Märchenamme einer kleinen Märchenprinzessin (verlaufen, geraubt, wiedergefunden, in Zigeunerlumpen, durch die ihre Nacktheit den König und seine Meute anlächelt), erkennt er das winzige dunkelbraune Mal an ihrer Seite. Mit Ehrfurcht und Entzücken (der König weint vor Freude, die Trompeten blasen, die Amme ist trunken) erblickt er wieder ihren holden eingezogenen Bauch, wo einst sein südwärts segelnder Mund kurz verweilte, und die kindlichen Hüften, an denen er die gezackte Spur küsste, die das Gummiband ihrer Shorts hinterlassen hatte – an jenem letzten unvergesslichen Tag am Strand von Helgoland im Schatten der roten Felsen. Die knapp zwanzig Jahre, die er seitem durchlebt hat, laufen in einer zitternden Spitze zusammen und entschwinden.

Wie könnte er dies Aufleuchten, dies Erschauern, diesen Schock leidenschaftlichen Wiedererkennens mit angemessener Kraft schildern? In den flüchtigen sonnendurchschossenen Sekunden, als sein Blick über das kniende Kind gleitet (ihre Augen blinzeln über den strengen, schwarzen Brillengläsern – der kleine Onkel Doktor, der ihn von all seinen Schmerzen heilen würde), während er in seiner Verkleidung als Erwachsener (ein männliches Prachtexemplar aus der großen Welt) an ihr vorübergeht, gelingt es dem Vakuum seiner Seele, jede Einzelheit ihrer frischen strahlenden Schönheit in sich aufzusaugen und an den Zügen seiner toten Braut zu messen. Was er zu betonen wünscht, ist, dass ihre Entdeckung für ihn die schicksalhafte Konsequenz jenes ,Prinzenreichs am Meer' aus seiner qualvollen Vergangenheit bildet. Alles, was zwischen den beiden Begebenheiten liegt, ist eine Reihe von tölpelhaften Missgriffen und verfehlten Ansätzen. Alles ihnen Gemeinsame ergibt eine Einheit.

Er macht sich aber keine Illusionen. Seine Sittenrichter würden all dies als das Täuschungsmanöver eines Verrückten mit einem gierigen Appetit auf die fruit vert betrachten. Au fond ça m'est bien égal. Er weiß nur, dass seine Knie, als die Haze und sie die Stufen in den atemlosen Garten hinuntergehen, wie Spiegelungen von Knien in gekräuseltem Wasser waren und seine Lippen wie Meeressand, und –

„Das war meine Lo“, sagt die Witwe, „und dies sind meine Lilien.“ Ersteres ist die Verkleinerungsform von ,Dolores'.

„Ja“, sagt Henri, „ja. Sie sind schön, wunderschön, ganz wunderschön.“ Die Heuchelei durchzuckt ihn wie ein Blitz: Wie er einmal auf der Zeichnung, die Béa ihm von der halbnackten Berthe zeigte, die grünen Auen um den Düsselstrand lobte.

 

Er will, dass seine erfahrenen Leser an der Szene teilnehmen, die er jetzt noch einmal aufführen werde; er möchte, dass sie jede Einzelheit prüfen und von sich aus erkennen, wie behutsam, wie keusch das ganze weinsüße Geschehnis ist, wenn man es mit ,unvoreingenommener Anteilnahme' betrachtet, wie ein Rechtsanwalt sich einmal in einem Privatgespräch ihm gegenüber ausgedrückt hat. Fangen wir also an. Wir haben eine schwierige Aufgabe vor uns.

Hauptrolle: Henri, der Summer. Zeit: ein Sonntagnachmittag im Juni. Ort: sonnenbeschienenes Wohnzimmer. Requisiten: altes, bonbongestreiftes Sofa, ein Pariser Modejournal, andalusische Kinkerlitzchen (Charlottes verstorbener Mann – Gott segne den guten Mann – hat seinen Liebling auf der Hochzeitsreise während der Siestastunde in einem blaugetünchten Zimmer in Granada gezeugt, und Andenken an ihn, unter ihnen Dolores, befinden sich überall). Während Charlotte und Morelle am Tisch über die neueste Schuhmode plaudern, hat Henri sich – absichtlich? in unkeuscher Erwartung? – aufs Sofa gesetzt, – weit links, nur noch durch einen Stapel alter Journale von der linken Ecke entfernt, wie um sich ganz dem Stapel zu widmen, in Wahrheit jedoch, um rechts davon recht viel einladenden Platz frei zu lassen.

Und tatsächlich – sein Herz schlägt wie eine Trommel, als er – erwartungsgemäß? erhofft? –Dolores hinten ins Zimmer schlendern sieht. Sie kommt angezogen von der Veranda herein und trägt ein hübsches bedrucktes Kleid: weiter Rock, anliegendes Oberteil, kurzärmelig, rosa mit einem dunkleren Rosa gewürfelt. Sie hat – um die Farbskala zu vervollständigen – ihre Lippen bemalt und hält in der hohlen Hand einen schönen banalen edenroten Apfel, den sie abwechselnd in die Höhe wirft und wieder fängt. Ihre weiße Sonntagshandtasche hat sie neben die Kommode geworfen. Bestimmt hat sie von Maman gehört, dass er ein berühmter Schriftsteller ist, und kommt aus Neugier herein, um ihn etwas aufzukratzen. Das ist der Vorteil der Berühmtheit, dass man für die Leute kein Fremder mehr ist, dass sie einen gleich wie einen nahen Verwandten betrachten. Er denkt an Lottchen von der Landwehr, das schöne zwölfjährige Schankmädchen, und wie ihr Kuss ihm einst mehr reine Freude machte als späterhin all die blinkenden Goldstücke von Hoffmann und Campe.

Das Herz hüpft ihm ein paar zusätzliche Takte im Leibe, als er sie verlegen – offenbar auf der Suche nach einer Gelegenheit, sich ihm unverdächtig zu nähern – hin und her streifen sieht. Da, scheint's, kommt ihr eine Idee. Sie jongliert den Apfel ein paarmal in seine Richtung, bis sie vor dem Sofa ist, tut dann mit schlecht gespielter Ungeschicklichkeit so, als würde sie stolpern, und lässt sich sozusagen als letzte Rettung neben ihm auf das Sofa plumpsen. Der Trick scheint etwas tollpatschig, desto mehr aber jubiliert sein Herz. Ihr kühler Rock bläht sich, als sie neben ihn fällt, der durchtriebene Tollpatsch, und sinkt wieder zusammen. Sie spielt, während er ihr mit andächtiger Miene zusieht, mit der glänzenden Frucht in ihrer Hand. Sie wirft sie in die sonnendurchstäubte Luft und fängt sie wieder auf – sie macht ein hohles, glattes Plopp.

Da fängt Henri, flink genug, ihr den Apfel im Fluge weg.

Geben Sie ihn zurück! befiehlt sie bittend und lässt die marmorierte Röte ihrer Handfläche sehen. Dass sie die Höflichkeitsform gebraucht, zeigt ihm, dass er sie trotz aller burschikosen Vertraulichkeit beeindruckt und sie Respekt vor ihm hat. Er hält ihr den Köstlichen hin. Sie greift nach ihm – er zögert einen Moment, ob er ihn festhalten soll, bevor es ihm dann doch zu vertraulich scheint und er ihn ihr willig überlässt – und beißt hinein, und sein Herz ist wie Schnee unter dünner karmesinroter Schale, und mit der äffchenhaften Geschicklichkeit, die für dies Pariser Nymphchen bezeichnend scheint, entwendet sie seinem lockeren Griff, da sie ihm offenbar was zeigen will, – nicht ohne ein höfliches „Darf ich?“ – das Journal, das er gerade geöffnet hat (schade, dass man das merkwürdige Hin und Her, die monogrammhafte Verschränkung ihrer gleichzeitigen oder sich überschneidenden Bewegungen nicht zeichnerisch festhalten kann).

Geschwind, kaum behindert durch den entstellten Apfel in ihrer Hand, durchblättert sie wild die Seiten auf der Suche nach dem, was sie ihm zeigen will. Findet es schließlich. Er heuchelt Interesse und bringt – mit einem Blick zum Tisch, wo die Damen in ihre Fachsimpeleien vertieft sind – ihr seinen Kopf so nah, dass ihr fliehendes Haar seine Schläfe berührt und ihr Arm seine Wange streift, als sie den Mund mit dem Handgelenk abwischt. Des goldbraunen Nebels wegen, durch den er auf das Bild blickt, lässt seine Äußerung auf sich warten, und sie reibt und klopft ihre nackten Knie ungeduldig gegeneinander. Verschwommen kommt Folgendes in Sicht: Ein exzentrischer Maler liegt rücklings hingegossen an einem Strand, und neben ihm, ebenfalls rücklings und halb im Sand vergraben, ein Gipsabguss der Venus von Milo. „Das Bild der Woche“, heißt die Unterschrift. Er reißt ihr – mit gespielt vorwurfsvollem Seitenblick, wie wenn er ihr halb moralistisch, halb schelmisch bedeuten wolle, dass das für ein Kind ihres Alters nicht geeignet sei, das obszöne Ding weg und kann doch nicht – oh, wenn sie es ahnte! – verhindern, dass etwas in seinen Lenden aufzischt.

Im nächsten Augenblick fuchtelt sie mit gespieltem Versuch, es wiederzubekommen, über ihm herum. Er hält sie am schmalknochigen Handgelenk fest. Das Journal flattert – wieder begleitet von seinem schüchternen Blick nach den Damen am Tisch, die sich aber nicht um sie kümmern – wie ein verstörtes Geflügel auf den Boden. Sie windet sich los, ringelt sich zurück und lehnt sich tief in die rechte Ecke des Sofas. Dann streckt das unverschämte Kind mit vollkommener Selbstverständlichkeit seine Beine über seinen Schoß.

So sehr also glaubt sie sich von seiner prominenten Familienzugehörigkeit schon überzeugt, dass sie wie selbstverständlich ihre Beine über seinen Schoß legen darf. Dabei ist er bereits in einem Zustand der Erregung, der an Wahnsinn grenzt; hat aber auch die Schläue eines Wahnsinnigen. Auf dem Sofa sitzend, gelingt es ihm dank einer Reihe verstohlener Bewegungen – und ebensolcher Blicke nach dem Tisch –, seine verborgene Lust mit ihren arglosen Gliedern in Einklang zu bringen. Es ist nicht leicht, die Aufmerksamkeit der Kleinen abzulenken, während er die geheimen Anpassungen vornimmt, die den Erfolg seines Kunstgriffs sichern sollen. Unter lautem Sprechen – das ebenso ihre Aufmerksamkeit wie die der Damen am Tisch betäuben soll –, bei dem er hinter seinem Atem zurückbleibt und ihn wieder einholt, unter der Vorspiegelung plötzlicher Zahnschmerzen, um die Pausen in seinem Geplapper zu erklären – und immerfort das innere Auge eines Besessenen auf das ferne goldene Ziel gerichtet, verstärkt er vorsichtig die zauberhafte Reibung, die, wenn auch nicht tatsächlich, so doch in der Vorstellung, die physisch nicht zu entfernende, aber psychologisch leicht lösliche Textur der stofflichen Trennungsschicht (Unterzeug und Sommerhose) zwischen dem Gewicht von zwei sonnengebräunten Beinen, die quer über seinem Schoß liegen, und der verborgenen Geschwulst einer unsagbaren Leidenschaft verschwinden lässt. Da er im Fluss seines Geplappers auf etwas nett Mechanisches stieß, deklamiert er mit einer leichten Abwandlung des Textes einen derzeit beliebten albernen Schlager – wir winden dir den Jungfernkranz mit veilchenblauer Seide; wir führen dich zu Spiel und Tanz, zu Lust und Liebesfreude …; er wiederholt das automatische Gereimsel immerfort und hält sie (besonders durch die Abwandlungen) im Bann, und die ganze Zeit ist er in tödlicher Angst, dass Gott – oder die beiden schwatzenden Matronen – eingreifen und ihn unterbrechen könnten, ihm die goldene Last fortnehmen, die zu spüren all sein Sein sich konzentriert, und diese Angst zwingt ihn, in den ersten paar Minuten schneller vorzugehen, als es sich mit vorsätzlich moduliertem Genuss verträgt.

Und der Jungfernkranz, und die veilchenblaue Seide, und das Spiel mit Tanz und Lust und Liebesfreude werden bald von ihr übernommen; ihre Stimme hält und berichtigt die Melodie, die er verstümmelt. Sie ist musikalisch und apfelsüß. Ihre Beine, wie sie über seinem rührigen Schoß liegen, zucken ein wenig – er streichelt sie. Da liegt sie in die rechte Sofaecke gekuschelt, beinahe hingeräkelt – Lola, die Halbflügge, die ihre paradiesische Frucht verspeist, durch ihren Saft hindurchsingt, einen ihrer Pantoffel verliert, die Ferse ihres bloßen Fußes mit der heruntergerutschten Socke gegen den Stapel alter Illustrierter links von ihm auf dem Sofa reibt –, und jede ihrer Bewegungen, jedes Wenden und Biegen hilft ihm, das Geheimsystem der taktilen Übereinkunft zwischen der Schönen und dem Biest zu verbergen und zu verbessern – zwischen seinem geknebelten, berstenden Unhold und der Holdheit ihres Grübchenkörpers in seinem unschuldigen Kattunkleid.

Unter seinen huschenden Fingerspitzen fühlt er, wie der winzige Flaum an ihrem Schienbein sich ganz leicht sträubt. Er verliert sich in der glimmenden und doch gesunden Glut, die wie ein Sommerglast um die kleine Dolores hängt. Wenn sie doch bliebe, wenn sie nur bliebe … Als sie sich anhebt, um das Kerngehäuse ihres abgenagten Apfels in den Kamin zu werfen, schiebt sich ihr junges Gewicht, schamlose unschuldige Schenkel und rundes Hinterteil, in seinen gespannten, gequälten, heimlich arbeitenden Schoß; und plötzlich überkommt seine Sinne eine geheimnisvolle Wandlung. Er gelangt auf eine Seinsebene, wo nichts gilt außer dem Lustgebräu, das in seinem Körper gärt. Was als genussreiche Dehnung seiner innersten Wurzeln begann, wird zum glühenden Prickeln, das sich jetzt in einem Zustand absoluter Sicherheit, Zuversicht, Zuverlässigkeit befindet, der nirgends sonst im bewussten Leben zu finden ist. Nun, da die tiefe, heiße Süße gesichert und auf gutem Wege zur äußersten Verzückung ist, weiß er, dass er sich zurückhalten darf, um die Glut zu verlängern.

Mit einem überraschten Seitenblick stellt er fest, dass die beiden Damen, in ihre Moden vertieft, momentan ihren Tisch und offenbar auch das Zimmer verlassen haben, offenbar, um weiter ihrer Garderobe nachzuforschen, und er dankt seinem Schicksal dafür. Lolita ist ganz mit sich selbst beschäftigt. Die einverstandene Sonne pulst in den bereitgestellten Pappeln; sie sind wunderbar und himmlisch allein; er beobachtet sie – rosig, golden bestäubt – hinter dem Schleier seiner beherrschten Lust, die sie nicht wahrnimmt, die ihr fremd ist, und die Sonne liegt auf ihren Lippen, und ihre Lippen formen anscheinend noch immer die Worte ihres Wir-winden-dir-den-Jungfernkranz-wir-führen-dich-zu-Spiel-und-Tanz-Reimgeklingels, das sein Bewusstsein nicht mehr erreicht. Alles ist jetzt bereit. Die Nerven der Lust liegen blank. Die Krauzeschen Korpuskeln geraten in eine Phase der Raserei. Der geringste Druck würde genügen, das ganze Paradies zu entfesseln. Er hat aufgehört, Henri der Hund zu sein, der triefäugige, degenerierte Köter, der den Stiefel umklammert, welcher ihm gleich einen Tritt geben wird. Er ist dem Bereich des Lächerlichen entrückt, jenseits von Vergeltungsmöglichkeiten. In seinem selbstgeschaffenen Serail ist er ein strahlender, kraftstrotzender Türke, der, seiner Verfügungsgewalt voll bewusst, absichtlich den Augenblick hinausschiebt, in dem er die jüngste und zarteste seiner Sklavinnen genießen wird. Am Rande des Wollustabgrundes schwebend (dies Ausbalancieren eines physiologischen Gleichgewichts, das sich mit gewissen Kunsttechniken vergleichen lässt), echot er fortwährend Worte, die ihm der Zufall eingibt – winden dir, Jungfernkranz, Spiel und Tanz, veilchenblaue Seide, Lust und Liebesfreude –, wie jemand, der im Schlaf spricht und lacht, und dabei gleitet seine glückliche Hand, so hoch wie der letzte Schatten von Anstand es nur irgend zulässt, ihr sonniges Bein hinauf. Am Tage vorher hat sie sich in der Diele an der schweren Kommode gestoßen und „sieh doch nur!“ – keucht er, und die Damen sind noch immer aus dem Zimmer – „sieh nur, was du gemacht hast, was du dir da getan hast, ach, sieh doch nur!“; denn da ist, er schwört es, wirklich eine gelblich-violette Stelle auf ihrem holden Nymphchenschenkel, den die mächtige, behaarte Hand des Sultans massiert und langsam umfasst, und da sie nur sehr spärliche Unterkleidung trägt, scheint nichts seinen muskulösen Daumen daran zu hindern, die heiße Vertiefung ihrer Leiste zu erreichen – so wie man ein kicherndes Kind kitzelt und streichelt – nur so – und „sieh doch nur!“ – und: „ach, das ist gar nichts“, ruft sie mit plötzlich schriller Stimme, und sie windet und dreht sich und wirft den Kopf zurück, und ihre Zähne liegen auf ihrer glitzernden Unterlippe, als sie sich halb von ihm abkehrt, und sein stöhnender Mund erreicht fast ihren bloßen Nacken, während er die letzte Zuckung der längsten Ekstase, die Mensch oder Monstrum je erfahren hat, an ihrer linken Gesäßhälfte verebben lässt … –

 

Unmittelbar danach (als ob er mit ihr gerungen und sein Griff sich gerade gelockert hätte) rollt sie vom Sofa und springt auf die Füße – vielmehr auf ihren Fuß – und neugierig den beiden Damen entgegen, die gerade mit den Schuhkartons, die Morelle mit dabei hat, auf dem Arm ins Zimmer kommen. Da steht sie und blinzelt mit heißen Wangen und verwildertem Haar, und während sie zuhört oder spricht, gleitet ihr Blick so flüchtig über ihn hin wie über die Möbel, und sie klopft die ganze Zeit mit dem Pantoffel, den sie in der Hand hält, gegen die Tischkante. Gelobt sei Gott – denkt er –, sie hat nichts gemerkt!

Mit einem buntfarbigen seidenen Taschentuch, auf dem ihre Augen im Lauschen flüchtig ruhen, wischt er sich den Schweiß von der Stirn und ordnet, in eine erlöste Euphorie versunken, seine königlichen Gewänder. Sie steht noch am Tisch, quengelt mit ihrer Mutter herum, als er, lauter und lauter singend, und en passant – in Angst, sie könnten den Lustschweiß unter seinen Achseln riechen – nach der Toilette fragend, die Treppe hinauffliegt und die Tür hinter sich schließt. Mit Toilettenpapier wischt er sich die Spuren seines Abenteuers vom Leib … –

Ich entnahm diese für das Liebesleben der Erotiker aller Zeiten typische Stelle Wladimir Nabokovs Roman Lolita, der im Amerika seiner Zeit des Pornografieparagraphen wegen verboten war und nur unter dem Ladentisch gehandelt werden durfte. Der Fortgang der Geschichte ist dort nachzulesen. Das Lolita-Syndrom ist Henri so vertraut wie irgendeinem. Lolita ist wie Lottchen von der Landwehr, oder eine säkularisierte Form von Dina, der Sichem verfiel. Die Parthenophilie ist das erotisch-sexuelle Interesse Erwachsener an pubertären Mädchen. Aus sexualwissenschaftlicher Sicht ist diese Neigung nicht mit Pädophilie zu verwechseln, bei der das begehrte Objekt noch im präpubertären Stadium ist. Da die Pubertät aber gerade die Geschlechtsreifung bedeutet, ist nichts natürlicher, sozusagen fast tautologisch, dass das sexuelle Interesse des Mannes darauf abfährt. Im Gegensatz zur Pädophilie ist die Parthenophilie „eine sexualbiologisch erwartbare Reaktion“ und „kann nicht als Störung der sexuellen Präferenz kategorisiert werden“. Da das Sexualstrafrecht der zivilisierten Staaten, aus sozusagen kulturellen Rücksichten, den sexuellen Kontakt Erwachsener mit Unter-Sechzehnjährigen verbietet, steht das Gesetz hier sozusagen um circa drei bis vier Jahre im Gegensatz zur natürlichen Ordnung der Dinge (die womöglich aber wie immer nur eine natürliche Unordnung ist).

Indes: Ein normaler Mann, dem man ein Gruppenbild von Schulmädchen oder Pfadfinderinnen mit der Aufforderung zeigt, er solle die Reizvollste aussuchen, wird nicht unbedingt das Nymphchen unter ihnen wählen. Man muss ein Künstler sein, und ein Wahnsinniger obendrein, ein tiefmelancholisches Geschöpf, dem das heiße Gift in den Lenden kocht und eine Wollustflamme unablässig in der elastischen Wirbelsäule lodert (ach, wie sehr man sich zu ducken und zu verkriechen hat!), um sofort, durch untrügliche Anzeichen – die leichtgeschwungene Raubtierkontur eines Backenknochens, den Flaum an schlanken Gliedern und andere Merkmale, die auszuplaudern mir Verzweiflung, Scham und Tränen der Zärtlichkeit verbieten – den tödlichen kleinen Dämon unter den gewöhnlichen Kindern herauszuerkennen … Da steht sie, von ihnen unerkannt und ihrer phantastischen Macht selbst nicht bewusst.

Außerdem dürfte, da der Zeitbegriff in dieser Sache eine so große Rolle spielt, der Wissbegierige nicht erstaunt sein, zu erfahren, dass eine Kluft von mehreren Jahren, mindestens zehn, möchte ich sagen, gewöhnlich dreißig oder vierzig, in einigen bekannten Fällen sogar neunzig, zwischen Mädchen und Mann liegen muss, um letzteren überhaupt in den Bann eines Nymphchens geraten zu lassen. Es ist eine Frage der Blickeinstellung, einer bestimmten Distanz, die das innere Auge überbrücken möchte, eines bestimmten Gegensatzes, den der Verstand, vor perversem Entzücken nach Luft schnappend, bemerkt.

Erlaubt sind allerdings Zweifel, ob Nabokovs Version ganz realistisch ist und dem heutigen wissenschaftlich unbestechlichen Blick ganz standhält, auch wenn es nur um Nuancen geht. Es ist nämlich fraglich, ob Humbert Humbert wirklich zum Orgasmus kommt, wenn sein Ding so in der Hose verklemmt und geknebelt bleibt wie hier. Dass er mit Los verfänglichen Schenkeln auf seinem Schoß in einen Zustand der Erregung kommt, der an Wahnsinn grenzt – das ja. Dass er mit seinem gespannten, gequälten, heimlich arbeitenden Schoß auf eine Seinsebene gerät, wo nichts gilt außer dem Lustgebräu, das in seinem Körper gärt – das ja. Dass die tiefe, heiße Süße gesichert und auf gutem Wege zur äußersten Verzückung ist und er sich zurückhalten darf, um die Glut zu verlängern – meinetwegen auch das. Dass er aber so zur letzten Verzückung und längsten Ekstase kommt, die Mensch oder Monstrum je erfahren haben – das muss fraglich bleiben. Das Fleisch lässt sich nicht austricksen. Das Fleisch begnügt sich nicht mit der bloßen Aufgereiztheit. Um zur äußersten Klimax zu kommen, bedarf es einer letzten ultimativen Stimulation des Glieds. Dazu müsste er es aber erst aus der fatalen Quarantäne befreien – ihm sozusagen die Fesseln abnehmen – und es mit einer letzten Handhabung abreiben dürfen. Anders kommt es auch in der höchsten Erregung nicht zur Verzückung, sondern höchstens zu einer Art Stockung, einer unglücklichen Verhaltung und Konstipation.

Anderseits sind wir natürlich auch wieder nicht sicher, ob es nicht tatsächlich solche sinnlichen Subjekte gibt – tiefmelancholische Geschöpfe, denen das heiße Gift in den Lenden kocht und eine Wollustflamme unablässig in der elastischen Wirbelsäule lodert –, die nicht auch schon unter solch behinderten Umständen losgehen wie eine Rakete, – wenn aber ja, dann gehört Henri mit Sicherheit mit zu ihnen. Nehmen wir es also nicht so genau und halten dem Autor seine poetic license zugute! Ob Henri wirklich dergleichen im Leben passiert ist, sei dahingestellt. In seiner Phantasie ist es ihm sicherlich oft genug passiert.