Seewölfe - Piraten der Weltmeere 566

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 566
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Impressum

© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-973-4

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Fred McMason

Zigeuner der See

Sie kassieren hohe Zölle – doch die Arwenacks bezahlen mit den Fäusten

November 1597, Marmarameer.

Die Dreimast-Galeone „Nuestra Señora Pino“ hatte Istanbul hinter sich gelassen und befand sich im Marmarameer, mit Kurs auf die Dardanellen. Die Dardanellen waren der einzige Zugang zum Mittelmeer, der über die ostägäischen Inseln führte.

Die spanische Galeone lief bei handigem Wind gute Fahrt. Ihr Kapitän, Don Miguel de Morales y Saragossa, war zufrieden wie selten in seinem Leben, denn in den Laderäumen der Galeone befanden sich kostbare Teppiche, Seidenstoffe, Tabak, Silbervasen und Silbergeschirr und ebenso kostbare Gegenstände aus Onyx, die sich im fernen Spanien mit Kußhand an den Mann bringen ließen.

Don Miguel de Morales y Saragossa hatte gute Beziehungen zum spanischen Hof, und so errechnete er im Stillen bereits, was ihm diese Reise einbringen würde.

Diese Rechnung wäre sicherlich auch aufgegangen, aber da gab es Roma Padisch, den See-Zigeuner, der Liebling Allahs, der Allerprächtigste, wie sie ihn nannten. Dessen Späher lagen bereits auf der Lauer, und ihnen entging kein Schiff, das man rupfen konnte, ganz besonders jene Fremde nicht, die sich in den Gewässern schlecht auskannten und die mit kostbarer Ladung den Rückweg von Istanbul antraten.

Die Hauptpersonen des Romans:

Roma Padisch – Der See-Zigeuner rupft auf schlitzohrige Art eine spanische Handelsgaleone.

Don Miguel – Er glaubt an Seelenwanderung und an manch anderen Unsinn, der ihm erzählt wird.

Mac Pellew – Statt musischer Töne entlockt er einer Flöte nur zwei verstörte Kakerlaken.

Old O’Flynn – Er hat neue Erkenntnisse aus magischen Büchern gewonnen und wendet sie leider auch an.

Philip Hasard Killigrew – Der Seewolf fällt auf die schäbigen Tricks der See-Zigeuner nicht herein und kommt zur Sache.

Sie rupften fast jedes Schiff, nur die Türken durften ungehindert passieren, weil sie ohnehin eine Vormachtsstellung hatten. Denn mit den Türken legte sich selbst Roma Padisch nicht an …

Aber von all dem wußte Capitán Don Miguel nichts. Die Reise nach Istanbul war ohne jeden Zwischenfall verlaufen, und selbst mit den Türken hatte es keine Schwierigkeiten gegeben, obwohl die Spanier für sie nicht gerade das waren, was man als gute Freunde bezeichnete.

Don Miguel hatte an Bord zwei Spitznamen, von denen er allerdings nichts ahnte. Die Offiziere nannten ihn El perplejo, und das hatte seinen guten Grund. Erfuhr er eine unbedeutende Neuigkeit oder etwas ganz Banales von ihnen, dann verzogen sich seine Lippen und formten ein perplexes, erschrockenes oder ungläubiges Mündchen, als hätte man ihm die größte Sensation mitgeteilt. Sehr gebannt pflegte er dann zuzuhören, und gab sich sehr interessiert, aber – wie gesagt – auch immer ein wenig erschrocken oder perplex.

Die Männer vorm Mast nannten ihn El titere, und das bedeutete nichts anderes als schlicht und einfach Hampelmann. Das war keineswegs abwertend gemeint, es hatte nur damit zu tun, daß Don Miguel eigentlich immer überall war, obwohl sein Platz das Achterdeck hätte sein sollen.

Er hampelte auf der Galeone herum, war mal hier, mal da, sah dem Koch in der Kombüse auf die Finger, oder tauchte ganz überraschend im Mannschaftsquartier auf, wenn niemand damit rechnete. Ebenso plötzlich erschien er dann wieder auf dem Achterdeck.

Hin und wieder kam es auch vor, daß er dem Segelmacher bei der Arbeit über die Schulter sah, oder er blickte einem Mann penetrant auf die Finger, wenn der ein Tau spleißte. Dann stand er daneben und rührte sich nicht, bis die Arbeit erledigt war. War das der Fall, dann hampelte er zum nächsten.

Über dem Marmarameer spannte sich an diesem Tag ein seidig-blauer Himmel, der den kommenden Winter bereits ahnen ließ. Die Sonne hatte nicht mehr die richtige Kraft, und die Abende und Nächte waren bereits empfindlich kühl.

El titere hampelte diesmal in seiner Kammer herum und besah sich sehr zufrieden die Schätze und Kostbarkeiten, die er seiner Dulcinea in Saragossa mitzubringen gedachte. In Istanbul hatte er kostbares Silbergeschirr günstig erworben, dazu eine goldene Halskette mit einem Edelsteinanhänger und zwei silbergetriebene Ohrringe mit leuchtend blauen Sternsaphiren. Dazu gehörte noch ein Armband, ebenfalls silbergetrieben und mit Sternsaphiren geschmückt.

Don Miguel rieb sich zufrieden die Hände und genehmigte sich ein kleines Schlückchen Rotwein. Die Kostbarkeiten hatte er auf einem Samttuch auf seiner Koje ausgebreitet, und dabei tat er seinem Spitznamen wieder mal alle Ehre an, indem er herumhampelte und von einer Ecke zur anderen lief. Vor der Koje blieb er immer wieder stehen, um die Schätze zu betrachten.

Nach einer Weile verschloß er sie sehr sorgfältig in seinem Schapp, und da hielt ihn nichts mehr in seiner Kammer, und so rannte er wieder zum Achterdeck hinauf, wo der Erste Offizier, Dino Ballou, gerade dem Zweiten verklarte, daß der ehrenwerte Señor Capitán absolut keine „Ruhe im Arsch“ habe.

Don Miguel sah zuerst nach dem Kurs, blickte den Rudergänger an und nickte wohlwollend.

„Da hat sich gerade eine Möwe auf dem Großmars niedergelassen, Señor Capitán“, sagte der Erste genußvoll. Er deutete nach oben und zeigte auf den Vogel, der auf dem Großmars hockte und sich intensiv und ohne Scheu das Gefieder putzte.

Das war mal wieder eine Neuigkeit! Don Miguel kriegte prompt sein erschrockenes Mündchen und sah den Ersten an, als habe der gerade den Weltuntergang verkündet. Ebenso fassungslos sah er dann zum Großmars, das Mündchen geöffnet, die Zunge leicht zwischen den Zähnen und die Augen groß und rund.

Nicht zu fassen – da hockte eine Möwe!

„Ja, tatsächlich, da sitzt eine Möwe“, sagte er perplex. „Eine noch junge Möwe, wie mir scheint. Offenbar ist sie erschöpft. Haben Sie sie schon gefüttert?“

Der Erste verkniff sich das Feixen. Der Zweite stand mit einem Gesicht da, als hätte man ihn an die Balustrade genagelt.

„Nein, noch nicht, Señor Capitán. Ich wollte Ihrer Entscheidung nicht vorgreifen.“

„Dann lassen Sie das nachholen. Geben Sie ihr … äh … Küchenabfälle am besten, aus der Kombüse natürlich. Sie wissen ja, daß mir Möwen sehr am Herzen liegen, denn sie sind die fliegende Auferstehung ertrunkener Seeleute. Sozusagen personifizierte Seelen, die sich in die Lüfte geschwungen haben.“

„Sehr gehaltvoll ausgedrückt, Don Miguel“, sagte der Erste mit unbewegtem Gesicht. „So einen Sch… schönen Satz habe ich noch nie gehört.“

Don Miguel verließ übergangslos seinen Posten und hampelte aufs Quarterdeck, um die Möwe näher in Augenschein zu nehmen. Der Zweite Offizier, Arellano, stand mit zuckenden Lippen an der Balustrade und schien unter Atemnot zu leiden.

„Todos Santos“, murmelte er, „müssen Sie das immer absichtlich hochspielen, Ballou?“

„Weshalb nicht? Ich finde das köstlich.“

„Eines Tages merkt er es.“

„Dazu ist er viel zu sehr in die personifizierten Seelen vernarrt, die sich in die Lüfte schwingen.“

Ballou gab einem Decksmann einen Wink, damit der sich um die Möwe kümmerte. Der Mann starrte ihn schweigend an, verschwand dann in der Kombüse und kehrte mit einer Handvoll Abfall zurück. Es sah ziemlich matschig aus, was er da in der Hand hielt, und es roch auch so.

Don Miguel überwachte das „Möwenfüttern“ persönlich und gab Anweisung, wie der Mann aufzuentern habe.

Aber offenbar hatte die personifizierte Seele heute keine gute Laune, denn sie schiß ihm etwas, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes.

Die Möwe reckte den weißen Hintern heraus und dann klatschte es auch schon.

Don Miguel hätte es vielleicht mit einem kleinen Kanönchen verglichen, das abgefeuert wurde. Nach dem Abschuß zuckte der Achtersteven der Möwe zurück und ging in Ruhestellung. Der Rückstoß wurde nicht durch die üblichen Brooktaue abgefangen, sondern durch die Beinchen der Möwe, die sich um das Tau krallten.

Nachdem sich ihre Hinterlassenschaft als weißer großer Fleck auf den Planken ausbreitete, flog sie einfach davon. Der aufenternde Mann war mit knapper Not und Mühe einem Volltreffer entgangen, weil er sich rechtzeitig geduckt hatte.

„Verdammtes Mistvieh“, fluchte er leise und kehrte wieder auf die Kuhl zurück, in der Hand immer noch den Matsch haltend. „Der Teufel soll dich holen.“

„Tsss, tsss, tsss“, machte Don Miguel kopfschüttelnd. „Werfen Sie das Zeug über Bord. Und beim nächsten Mal fangen Sie das etwas gefühlvoller an. Sie haben die Möwe erschreckt, Serafino. Gefühlvoller, sage ich, viel gefühlvoller, verstanden?“

„Si, Señor Capitán. Aber die Möwe war früher mal mein Kumpel, und sie hat mich auch sofort erkannt. Deshalb flog sie weg.“

Don Miguels Mund blieb offen. Er war wieder mal perplex.

„Sind Sie sicher?“ fragte er fassungslos. „Ihr Kumpel … äh? Und Sie haben ihn erkannt? Weshalb flog er dann weg?“

„Wir hatten kurz vor seinem Ableben Streit, Señor Capitán. Aber ich habe ihn trotzdem erkannt. Er flog schon eine ganze Weile hinter dem Schiff her.“

Don Miguel nickte nachdenklich und blickte der Möwe nach.

„Das beweist wieder einmal recht drastisch und deutlich, daß ich recht habe. Es ist also keine haltlose Theorie, wie man mir immer aufzuschwätzen versucht. Sie sind sich Ihrer Sache also ganz sicher, Serafino?“

 

Der Bootsmann legte eine Hand auf sein Herz.

„Absolut, Señor Capitán, daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Ich habe überdeutlich seine blauen Augen gesehen. Solche intensiv blauen Augen gibt es nicht noch einmal. Hinzu kommt die Tatsache, daß er direkt auf mich persönlich gezielt hat, eben weil wir damals Streit hatten. Die Absicht war unverkennbar.“

„Man sollte einem Toten gegenüber aber nicht nachtragend sein“, belehrte der Capitán seinen Bootsmann. „Vielleicht hat er sich ja auch nur einen Scherz mit Ihnen erlaubt.“

„Das glaube ich von Eugenio eigentlich nicht. Der konnte früher schon immer sehr gut zielen. Er war nämlich erster Kanonier und ein hervorragender Schütze.“

Ein paar Kerle aus der Mannschaft hörten grienend mit. Sie hatten sich so gestellt, daß Don Miguel es nicht bemerkte. Der Bootsmann verstand es jedenfalls hervorragend, den Alten auf den Arm zu nehmen, ohne daß der es merkte.

„Eugenio hieß er also“, sann Don Miguel laut. „Und jetzt ist er eine Möwe.“ Er nickte schwer, warf dem fliegenden Eugenio einen weiteren Blick nach und hampelte aufs Achterdeck zurück.

Eine Viertelstunde später – die Kerle waren immer noch heimlich am Grinsen – knöpfte sich der Erste Offizier Dino Ballou den Bootsmann unauffällig vor.

„Wenn Sie noch einmal den Capitán mit Ihrem Blödsinn verarschen, Serafino, dann ziehe ich Ihnen persönlich die Gräten lang.“

„Aber – Sie tun es doch auch ständig, Señor Ballou, und da dachte ich mir …“

„Quod licet Jovi, non licet bovi“, sagte der Erste etwas von oben herab und grinste dünn.

„Ich … ich verstehe leider nicht Türkisch“, murmelte Serafino ein wenig verwirrt.

„Was Jupiter erlaubt ist, steht dem Ochsen noch lange nicht zu, so sagt man es auf Lateinisch, mein Lieber. Ein altes Sprichwort, daß Sie sich unbedingt merken sollten.“

„Ja – aber wer ist Jupiter?“

„Der bin ich in diesem Fall. Es erübrigt sich demnach also zu fragen, wer dann der Ochse ist, nicht wahr?“

Der Bootsmann nickte kläglich.

„Es … es war nur ein Spaß“, versicherte er leise.

„Für den Spaß an Bord bin ich zuständig, zumindest was das Achterdeck betrifft. Und kommen Sie dem Capitán nicht wieder mit Ihrem fliegenden Eusebius.“

„Eugenio“, hauchte der Bootsmann.

„Das ist mir egal, verdammt, wie immer diese dämliche Möwe auch heißen mag. Es geht hier nicht um Eugenio oder Eusebio, es geht um etwas ganz anderes, kapiert? Und jetzt sorgen Sie dafür, daß der Möwenscheiß von den Planken verschwindet.“

Serafino ließ beleidigt die Unterlippe hängen. Den Befehl gab er mit mürrischem Gesicht weiter. Für ihn und den Ersten war der „Fall Eugenio“ damit erledigt, nicht aber für Don Miguel, denn dem ging alles, was mit Auferstehung und Seelen zu tun hatte runter wie warmes Öl.

Kaum war Ballou wieder auf dem Achterdeck, da ging es auch schon los. Don Miguel zeigte irritiert achteraus, wo ein heller Punkt über der See schwebte.

„Erstaunlich, was der Bootsmann zu berichten wußte“, sagte er. „Er kennt diese Möwe, die sich auf dem Mast niedergelassen hat. Sie heißt Eugenio und war früher erster Kanonier auf einem Schiff. Es ist tatsächlich so, wie ich immer behaupte. Der Seemann, der ertrinkt, kehrt als Möwe zurück. Hier haben wir das beste Beispiel. Dieser Eugenio folgt uns zweifelsfrei und ganz eindeutig. Ach ja, da fällt mir ein, daß ich ganz vergessen habe zu fragen, ob er wirklich ertrunken ist. Holen Sie das bitte nach, Señor Ballou, und fragen Sie den Bootsmann doch noch einmal danach.“

Dem Ersten verging jetzt sein heimliches Grinsen, denn er hatte das untrügliche Gefühl, sich nun der Lächerlichkeit preiszugeben, jedenfalls gegenüber dem Bootsmann.

„Er ist ganz sicher ertrunken“, sagte er, um sich zu drücken.

„Fragen Sie ihn trotzdem, es interessiert mich.“

Innerlich erbost marschierte Ballou wieder auf Quarterdeck und blieb vor dem Bootsmann stehen.

„Ist noch etwas?“ fragte Serafino scheinheilig.

„Der Kapitän möchte wissen, ob dieser Eusebius damals ertrunken ist“, knirschte er erbittert.

„Eusebius?“ überlegte der Bootsmann laut. „Ah, Sie meinen sicher Eugenio, Señor Ballou. Ja, der war damals Kanonier, aber das sagte ich wohl schon. Ja, leider, leider, er ertrank in der Tat.“

„Ich dachte, er ertrank im Meer.“

„Ja, natürlich, er ertrank im Meer. Aber das ist eine längere Geschichte, Señor Ballou, und die beginnt folgendermaßen.“

„Hören Sie mit Ihrer dämlichen Feixerei auf, Sie … Sie Möwenarsch“, knurrte der Erste verärgert. „Mir brauchen Sie keine erstunkenen und erlogenen Geschichten aufzutischen. Vielen Dank für die Auskunft.“

„Gern geschehen, Señor Ballou. Ich stehe selbstverständlich für weitere Auskünfte gern zur Verfügung.“

Der Erste warf dem Bootsmann einen bitterbösen Blick zu, ehe er wieder nach achtern ging.

„War es so?“ fragte Don Miguel gespannt.

„Ja, so war es, falls es überhaupt stimmt. Señor Serafino behauptet es jedenfalls.“

„Daran ist nicht zu zweifeln, es ist ja auch nicht der erste Fall einer Reinkarnation. Es gibt Geschichten, in denen ertrunkene Seeleute als Albatros zurückgekehrt sind.“

„Manche sollen auch als Tölpel wieder Gestalt angenommen haben“, sagte der Erste vergrätzt und ärgerlich.

„So? Das war mir noch gar nicht bekannt.“

Don Miguel blickte wieder mal total erstaunt in die Welt.

Arellano räusperte sich und fragte todernst: „Sind das nicht jene Vögel, die immer ganze Inseln zuscheißen?“

„Ich muß doch sehr bitten, Señores“, rief Don Miguel. „Haben Sie denn keinen Respekt mehr?“

Erster und Zweiter Offizier grienten bis an die Ohren, als der Capitán zum Spektiv griff und „Eugenio“ in Augenschein nahm.

Die Möwe flog jetzt dicht über dem Wasser und näherte sich wieder der „Nuestra Señora Pino“.

„Eugenio“, hauchte Don Miguel. „Er stattet uns wahrhaftig wieder einen Besuch ab. Sehen Sie nur, Señores, er fliegt direkt auf die Rah. Unglaublich, wirklich unglaublich. Holen Sie sofort den Bootsmann, damit er sich um seinen Freund kümmert.“

Ballou schluckte eine riesige Qualle hinunter. Sein Gesicht war verkniffen, und er ärgerte sich, als „Eugenio“ wahrhaftig wieder auf der Rah landete.

„Verfluchter Affenzirkus“, knurrte er vor sich hin. „Jetzt geht das Theater wieder von vorn los.“

Sämtliche Kerle auf der Galeone grinsten jetzt ganz offen, denn das war wieder mal ein feiner Spaß, der immer neue Heiterkeitsausbrüche verursachte.

Am schönsten und heuchlerischsten aber war das Gesicht des Bootsmannes, der nach oben blickte und pathetisch die Arme ausbreitete.

„Mein lieber Eugenio“, rief er verzückt. „Begraben wir unseren Streit von damals, und versöhnen wir uns wieder.“ Dann blickte er den Ersten erwartungsvoll an und fragte höflich: „Ob der verehrte Señor Capitán wohl bereit ist, Eugenio in die Musterrolle einzutragen? Er fühlt sich uns schließlich sehr verbunden, das beweist doch sein erneuter Besuch.“

„Bei der nächstbesten Gelegenheit lasse ich Sie an den Mast nageln“, zischte der Erste.

Sie waren so mit der Möwe beschäftigt, daß sogar der Ausguck vorübergehend abgelenkt wurde. Daher bemerkten sie auch erst viel später das kleine Schiff, das auf sie zuhielt.

Das Schiff war eine Sambuke, die als Späher fungierte. Sie war gut bewaffnet, doch das war auf den ersten Blick nicht zu erkennen.

Diese Sambuke gehörte Roma Padisch, dem Seezigeuner, der mal hier mal da sein Unwesen trieb.

Zigeuner der See, so nannten sie sich, weil sie immer wieder, sobald es brenzlig wurde, ihren Standort wechselten.

Seit zwei Monaten trieben sie sich bei den Dardanellen herum, um die Schiffe zu rupfen, die von Istanbul kamen. Es kamen viele Schiffe, beladen mit den Schätzen des Orients, und viele ahnungslose Kapitäne ließen sich auch rupfen.

Andere wiederum verstanden keinen Spaß, und dann wurden sie gewaltsam zur Ader gelassen. Nur die Türken selbst durften ungehindert die Dardanellen passieren, denn mit denen legte sich Roma Padisch nicht gern an, weil sie zu mächtig waren.

Roma Padisch war nicht persönlich an Bord der Sambuke. Dieses Schiff war nur sein Kundschafter, der nach lohnender Beute Ausschau hielt. Er selbst befand sich an Bord einer wendigen und schnellen Ghanja, die weiter südwestlich auf der Lauer lag.

Der Spanier war bereits als Punkt am Horizont schon gesichtet und wurde fachmännisch beurteilt, als er deutlicher zu erkennen war.

„Spanische Galeone, tief abgeladen“, sagte der Sambukenkapitän Bybar. Er trug ein langes weißes Gewand, wie es die Araber bevorzugten. Ein paar andere Männer waren ebenfalls in djelabaartige Gewänder gehüllt.

„Schwach armiert“, fügte Bybar nach einem Blick durch den Kieker hinzu. „Sie hat nur zwei Kanonen und zwei Drehbassen, mehr nicht. Wir werden in aller Form längsseits gehen und wie immer die Regeln der Höflichkeit wahren.“

„Dann bin ich also dran, wenn es ein Spanier ist“, sagte ein anderer Mann grinsend. Er hieß Barud und trug einen gepflegten Bart. Er verstand sich auf die spanische Sprache hervorragend.

„Ja, das wirst du übernehmen. Spanier sind hier ja fast eine Seltenheit.“

Er schob das Spektiv zusammen und gab es einem anderen Mann.

Die Sambuke hielt weiter auf die Galeone zu. Das Vorauskommando sollte erst einmal „testen“, inwiefern der spanische Kapitän zugänglich war, ob er aufbrauste, ruhig blieb oder sich empörte, und ob Widerstand zu erwarten war. Daß Don Miguel aus dem Tal der Ahnungslosen stammte, wußten sie noch nicht.

„Sie scheinen uns nicht zu bemerken, oder sie ignorieren uns ganz bewußt“, sagte Bybar. „Diese Leute legen überhaupt ein erstaunliches Gebaren an den Tag. Sie stehen an Deck und glotzen in den Himmel.“

„Da sitzt ein heller Vogel auf dem Mast“, sagte Barud, der erneut einen Blick durch das Spektiv warf. „Aber was ist daran so Besonderes? Sieht aus wie eine Möwe.“

„Vielleicht beten sie Möwen an“, sagte ein anderer grinsend. „Die Spanier sind ja recht eigenartige Leute, wie man so hört.“

Auf der Galeone stierten die meisten Kerle immer noch nach oben, als sei der Vogel ein Götze.

Die „Nuestra Señora Pino“ hatte das Marmarameer fast durchquert und ein paar kleinere Inseln an Backbord gelassen. Jetzt ging es in die Dardanellen hinein, wo eine starke Oberflächenströmung herrschte.

Auf der Hinfahrt hatten sie dagegen hart anknüppeln müssen, aber jetzt wurden sie geschoben.

An Deck fiel Don Miguel von einer Verzückung in die andere, denn der liebe Eugenio hockte auf der Rah und äugte scharf nach unten. Offenbar war der lieben Seele das Treiben nicht ganz geheuer.

Don Miguel hampelte überall herum und scheute sich nicht, auch einmal ein Stück in den Webeleinen aufzuentern, um die Möwe näher in Augenschein nehmen zu können.

Da ließ ihn ein Ruf aus dem Großmars so heftig zusammenfahren, daß er fast den Halt verloren hätte. Völlig perplex blickte er auf den Mann im Ausguck.

„Schiff an Steuerbord voraus“, brüllte der Ausguck. „Es hält Kurs auf uns zu.“

Don Miguel überraschtes Gesicht glättete sich, aber als er sich jetzt langsam umwandte, da war wieder das Erstaunen da und er wirkte so, als hätte er noch nie ein zweimastiges Schiff gesehen.

Schnell enterte er ab und hampelte aufs Achterdeck zurück, was die Offiziere wiederum mit einem Grinsen zur Kenntnis nahmen.

Die Möwe blieb immer noch auf der Rah sitzen und war damit beschäftigt, erneut die Planken zu verunreinigen.

„Offenbar wollen sie zu uns“, überlegte Don Miguel laut. „Aber was mögen sie nur wollen? Und was für ein Schiff ist das überhaupt?“

„Eine Sambuke“, sagte der Erste, der sich immer noch über den grinsenden Bootsmann ärgerte. „Das ist eine Sambuke, Don Miguel, ein schnelles und wendiges Schiff, das zu den arabischen Dhautypen zu zählen ist.“

„Jaja, das dachte ich mir schon. Möglicherweise ein Höflichkeitsbesuch oder so etwas ähnliches. Bewaffnet scheinen sie auch nicht zu sein, ich kann jedenfalls nichts erkennen.“

„So höflich ist man in diesen Gewässern eigentlich nicht“, meinte Ballou. „Ich kann mir auch nur schlecht vorstellen, daß man uns einen Höflichkeitsbesuch abstattet.“

„Sie können sich manches nicht vorstellen. Aber diesen Leuten sieht man schon aus der Ferne an, daß sie kein Gelichter sind. Alle sind sauber hell und freundlich gekleidet.“

 

Don Miguel behielt recht. Es waren wirklich sehr freundliche und aufmerksame Leute auf der Sambuke. Die beschrieb jetzt einen kleinen eleganten Bogen und kam längsseits bis auf Rufweite.

Ein Mann, in Weiß gekleidet und mit einem gepflegten und sauber gestutzten Bart legte die Hände trichterförmig an den Mund.

„Seien Sie gegrüßt, Señores“, rief er herüber. „Ist es gestattet, längsseits zu kommen? Wir haben eine Bekanntgabe für Sie.“

„Donnerwetter“, sagte Don Miguel staunend. „Der ehrenwerte Señor spricht ja so gut wie wir. Es sind also doch höfliche und zuvorkommende Leute, wie ich ganz richtig vermutet habe.“

Er winkte leutselig mit der Hand und nickte dazu.

„Aber natürlich ist es gestattet“, rief er zurück.

Der Erste wußte nicht, wie er die Männer einordnen sollte. Er vermochte sich auch nicht vorzustellen, was es mit der „Bekanntgabe“ auf sich haben sollte.

Die Sambuke ging längsseits und wurde vertäut. Beide Schiffe segelten nun einträchtig nebeneinander her.

Der Erste Offizier empfing einen Mann, der sich als Barud vorstellte und sich höflich verneigte. Dann geleitete er ihn nach achtern.

Don Miguel sah ein sonnengebräuntes bärtiges Gesicht mit dunklen Augen und nickte wohlwollend, als sich seine Vermutung auch aus der Nähe bestätigte.

„Ich bedauere außerordentlich, Sie aufzuhalten“, sagte der Mann. „Es wird jedoch nicht lange dauern, Don Miguel, und ich hoffe, Sie verzeihen mir diese kleine Störung.“

„Aber gern, Señor, aber gern.“ Don Miguel gab sich jovial und zeigte durchaus Verständnis für die kleine Unterbrechung. „Was kann ich denn für Sie tun? Sie erwähnten etwas von einer Bekanntgabe?“

Barud lächelte verbindlich und seufzte ein wenig.

„Zunächst einmal möchte ich Sie vor der in den Dardanellen herrschenden Strömung warnen, Don Miguel. Sie ist äußerst tückisch und gefährlich, Weil sie die Schiffe stark versetzt.“

„Vielen Dank, das ist mir schon bei der Hinreise aufgefallen.“

Don Miguel warf einen schnellen Blick nach oben. Die Möwe saß immer noch da und fuhr mit dem Schnabel durch ihr Gefieder. Eugenio wäscht sich, dachte Don Miguel. Schien vorher schon ein sauberer Kerl gewesen zu sein.

„Diese Strömung“, sagte Barud lächelnd, „ist mitunter dafür verantwortlich, daß die Schiffe an der Zollerhebungsstelle achtlos vorbeilaufen, und so entsteht dann fälschlicherweise der Eindruck, als wollten sie die Steuer nicht abführen. Das führt des öfteren zu unliebsamen Mißverständnissen.“

„Ah ja, Steuer“, sagte Don Miguel. „Was – Steuer? Ich … ich verstehe nicht, Señor Barud.“

Der ehrenwerte Señor Barud schien überrascht, daß der Kapitän nichts von einer Steuer wußte.

„Ach, das können Sie ja auch nicht wissen, Don Miguel. Sicher sind Sie das erste Mal in Istanbul, nicht wahr?“

„Ja, allerdings. Aber auf der Hinreise hat niemand eine Steuer von mir erhoben.“

Barud lächelte nachsichtig.

„Natürlich nicht. Die Ladung muß nur auf der Rückreise versteuert werden wie es der griechische Gesetzgeber vorschreibt. Sie verlassen jetzt die Türkei und passieren Griechenland. Und da ist es leider, leider, Vorschrift, die Ladung zu versteuern.“

Don Miguel dachte daran, was sich alles im Bauch seiner Galeone befand. Verdammt viel befand sich darin.

„Ist die Steuer sehr hoch?“ erkundigte er sich zaghaft.

„Das kommt auf den Wert der Ladung an. Wenn Sie mir freundlicherweise einen Einblick in die Waren gestatten, kann ich es ungefähr überschlagen. Es muß Zoll abgeführt werden, daran führt bedauerlicherweise kein Weg vorbei. Sehen Sie, wir Griechen haben extra diese Wasserstraße gebaut, die sich Dardanellen nennt, und das war natürlich mit enormen Kosten verbunden. Damit aber haben wir den Handel erst gefördert, der ohne diese Wasserstraße nicht möglich wäre.“

Don Miguel stierte wie ein irritiertes Hündchen.

„Und ich dachte immer, dies sei eine natürliche Wasserstraße.“

„Nein, nein“, sagte Barud lächelnd. „Mehr als vierzigtausend Leute haben daran gebaut, und das jahrzehntelang. Nur wissen das die wenigsten, welche Kosten und Mühen das verursacht hat.“

„Ja, wenn das so ist“, sagte Don Miguel lahm. Er beugte sich vertraulich vor und grinste kläglich.

„Sie kennen doch diese … äh … die Zollmenschen, nicht wahr? Oder gehören Sie auch dazu?“

„So halb und halb“, sagte Barud ausweichend. Er grinste sich eins, weil der Kapitän ihm das Märchen von den Dardanellen anstandslos abgenommen hatte. Der Kerl schien ein großer Tölpel vor dem Herrn zu sein. Und jetzt wartete er sicher mit einem Bestechungsversuch auf.

Das Angebot erfolgte auch prompt und umgehend, als Don Miguel sich noch weiter vorbeibeugte.

„Sie könnten doch vielleicht … ähem … ich meine, Sie könnten ja vielleicht ein paar kleine Dinge übersehen, nicht wahr? Aber das regeln wir am besten in meiner Kammer. Bitte, folgen Sie mir.“

Barauds Gesicht blieb völlig ausdruckslos, als Don Miguel vorauswatschelte und er ihm folgte.

Erst in der Kapitänskammer ergriff Barud wieder das Wort, als er Platz genommen hatte.

„Sie werden mich doch nicht bestechen wollen, Don Miguel“, sagte er mit leisem Vorwurf in der Stimme.

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