Buch lesen: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 513»

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© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-921-5

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Fred McMason

Und die See ging hoch …

Mit Mann und Maus soffen sie ab – denn Rasmus war stärker

26. Juli 1595 – Grand Cayman.

Der Korse della Rocca sah sich vorsichtig nach allen Seiten um, während seine fünf Schnapphähne die Jolle eifrig zum Strand pullten.

Auch sie waren mißtrauisch wie der Korse, doch weit und breit war niemand zu sehen. Daß zwei Dutzend schußbereiter Kerle auf sie lauerten, ahnten sie ebenfalls nicht. Sie liefen blindlings in ihr Verderben.

Sie hatten den Strand erreicht und die Jolle ein Stück hochgezogen, dann taten sie ein paar Schritte und sahen sich erneut um. Da brach das Verhängnis auch schon über sie herein.

Ein Schuß krachte überlaut. Zwei weitere Schüsse fielen, und dann schossen die im Ufergestrüpp verborgenen Kerle ihre Musketen leer.

Rauchfahnen wölkten am Strand auf. Kerle schrien überrascht auf, taumelten und kippten in den Sand. In der stillen Bucht war urplötzlich die Hölle los …

Die Hauptpersonen des Romans:

Della Rocca – Der korsische Perlenhai erlebt die Hölle und muß für das büßen, was er seiner Horde angetan hat.

Moleta – Der neue Kapitän der „Bonifacio“ schnappt über, als die Perlentruhe auf Grand Cayman geborgen wird.

Philip Hasard Killigrew – Der Seewolf denkt nicht daran, einzuschreiten, wenn sich die Halunken an die Gurgel gehen.

Mac Pellew – Der zweite Koch der „Isabella“ hat einen Pechtag, und das Gelächter läßt nicht auf sich warten.

Old Donegal – Beim Kapitän der „Empress“ zwackt das Holzbein, und der Sturm bleibt nicht aus.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Philip Hasard Killigrew, Dan O’Flynn, Batuti und Sam Roskill lagen in überhöhter Deckung oberhalb des Strandes und hatten den gesamten Schauplatz vor sich. Von hier aus konnten sie alles beobachten, was sich in der Bucht am Rum Point von der Insel Grand Cayman abspielte. Und da tat sich eine ganze Menge.

Zwei Gruppen prallten hart aufeinander. Die eine bestand aus dem Korsen und fünf Kerlen, die andere aus dem Bootsmann Moleta und dreiundzwanzig Kerlen. Diese Kerle waren von einem heillosen Zorn erfüllt, weil sich della Rocca heimlich abgesetzt hatte und gar nicht daran dachte, sie an seinem Reichtum zu beteiligen.

Weder Moleta noch der Korse wußten, daß sich noch weitere Zuschauer auf der Insel befanden.

Allerdings wußte auch della Rocca nicht, daß er von Moleta und seinen Schlagetots bereits sehnsüchtig erwartet wurde. Die Kerle wollten die Perlenverstecke aus ihm herauskitzeln, notfalls mit dem Messer.

Hasard und Dan beobachteten, wie die Jolle auf den Strand gepullt wurde. Die fünf Kerle des Korsen waren nur mit Pistolen bewaffnet, und die steckten noch in ihren Gürteln.

Batuti und Sam Roskill blickten zu der Zweimastschaluppe des Korsen, die in der Bucht vor Anker gegangen war. Weitere Kerle befanden sich nicht an Bord. Alle waren zum Strand gepullt.

„Jetzt gibt es Mord und Totschlag“, prophezeite Sam Roskill, dessen Aufmerksamkeit sich jetzt ebenfalls auf den Strand konzentrierte. „Die Kerle sind völlig ahnungslos und rennen in den Hinterhalt. Gleich wird man alle abknallen.“

„Alle nicht“, versicherte Hasard, der sich die Hintergründe schon zusammengereimt hatte. „Einer bleibt ganz sicher am Leben, denn der wird noch gebraucht.“

„Sollen wir nicht eingreifen, Sir?“ fragte Sam.

Hasard warf ihm nur einen kurzen Blick zu.

„Nein“, sagte er dann hart. „Wir greifen nicht ein, egal was hier passiert. Ich habe keine richterliche Funktion, und ich will mir auch keine anmaßen. Außerdem ist einer von diesen Kerlen immer schlechter und mieser als der andere. Wenn diese wüste Horde untereinander zerfallen ist und sich gegenseitig an die Kehlen springt, dann soll sie das tun. Mir ist das Risiko zu groß, bei diesen Halunken eventuell als Schlichter aufzutreten. Das würde nie den Tod oder auch nur die Verletzung eines meiner Männer rechtfertigen.“

„Das stimmt“, sagte Sam nachdenklich.

„Für wen sollte man denn auch Partei ergreifen?“ fragte Dan O’Flynn. „Für den Korsen oder für den Anführer der anderen Halunken? Um Himmels willen! Unser Kapitän sieht das ganz richtig. Sollen sie sich an die Kehlen gehen, das ist nicht unser Bier.“

Hasard dachte nicht im Traum daran, bei diesen Schnapphähnen und Schlagetots Partei zu ergreifen. Sie alle waren miese Bastarde, Piraten, Galgenstricke und heimtückische Mörder, die etliche Menschenleben auf dem schmutzigen Gewissen hatten. Sie waren so tief gesunken, daß sie sich nicht scheuten, für ein paar lumpige Kröten die eigene Mutter zu verkaufen.

Wie sie charakterlich waren, so sahen sie auch aus. Sie trugen dreckige Lumpen, Fetzen, schmutzige Kopftücher oder ausgefranste Hosen zu schmierigen Hemden. Einer trug ein turbanähnliches Gebilde auf dem Schädel, das offenbar aus einem alten Unterrock zusammengedreht war. Der Kerl war fast schwarz im Gesicht, hatte aufgedunsene Lippen und die Visage voller Narben. Er lauerte mit angeschlagener Muskete hinter dem Gestrüpp und grinste hinterhältig, weil seine eigenen Kumpane jetzt ahnungslos in den Hinterhalt liefen.

Der Perlenhai, wie Hasard den Korsen nannte, schien noch ein wenig mißtrauisch zu sein. Immer wieder sah er sich aus den Augenwinkeln lauernd nach allen Seiten um. Er suchte auch nach Spuren im Sand, doch die hatten die anderen Schnapphähne rechtzeitig und sehr gründlich verwischt.

Die Jolle lief mit einem leisen Knirschen auf den Strand. Der Korse sah sich wieder nach allen Seiten um, bevor er hinaussprang. Als die anderen folgten, gab er ihnen durch Handzeichen zu verstehen, daß sie die Jolle auf den Sand hochziehen sollten.

Die fünf Kerle taten das. Dann ließen sie von der Jolle ab und sahen sich neugierig um.

Hinter dem Ufergestrüpp hoben sich die Musketenläufe unmerklich in die Höhe. Die Läufe waren so dreckig und schmierig, daß sie nicht einmal das Sonnenlicht reflektierten, was sie eventuell hätte verraten können.

Della Rocca stand breitbeinig auf dem Sand und sah sich noch einmal um. Seine fünf Kerle gingen ein paar Schritte weiter.

Dann wurden sie kaltblütig abgeschossen, ohne die geringste Vorwarnung, ganz plötzlich aus dem Hinterhalt.

In der so stillen und ruhigen Bucht knallte es. Das Geknatter der Musketenschüsse wurde immer lauter. Schreie ertönten.

Der erste, der brüllend die Arme hochriß, war Ribas, der Vertraute des Korsen. Ihn traf der erste Schuß. Er taumelte, griff haltsuchend um sich, schrie dann auf und fiel mit dem Gesicht voran in den Sand, als ihn eine weitere Kugel traf.

Hasard und seine Männer sahen mit unbewegtem Gesicht zu, wie die einen Schnapphähne die anderen ausrotteten. Der Seewolf hatte harte, schmale Augen. Seine Lippen waren nur ein dünner Strich.

Auf den Rest der Schlagetots veranstalteten die anderen ein regelrechtes Scheibenschießen. Sie ballerten, was das Zeug hielt, bis die Musketen leer geschossen waren.

Der zweite Mann sank lautlos in den Sand. Der dritte stolperte über ihn und blieb ebenfalls liegen. Dann wurde ein weiterer unter ohrenbetäubendem Gebrüll von den Beinen geholt.

Fünf Mann lagen jetzt tot im Sand. Nur der Korse stand noch aufrecht da und erweckte den Eindruck, als sei er gegen alle Kugeln gefeit.

Hasard sah es an seinem Gesicht, daß er völlig überrascht und verblüfft war. Er hätte sich vielleicht noch mit einem schnellen Sprung ins Wasser retten oder eine Deckung suchen können. Aber das hätte ihm auch nichts mehr genutzt. Mit der Jolle würde er sowieso nicht fliehen können, die vermochte er nicht allein ins Wasser zu schieben.

Jetzt stand er wie gelähmt da, starrte auf seine fünf erschossenen Kumpane und war nicht in der Lage, auch nur einen Finger zu rühren.

Nur seine Augen flackerten, und sein Mund verzog sich in grenzenloser Überraschung.

Dann wurde sein Blick irre, er schluckte schwer und stierte zum Ufergestrüpp.

Über zwanzig Kerle tauchten dort auf, erhoben sich und traten mit angeschlagenen Waffen auf ihn zu. Sie kamen von vorn, von rechts und von links. Sie grinsten dreckig oder hämisch und hielten die Waffen – Pistolen und Musketen – genau auf ihn gerichtet.

Zur Flucht war es zu spät. Der Korse konnte ihnen nicht mehr entkommen, aber er wußte in seiner Verblüffung immer noch nicht richtig, um was es hier ging. Aus den Augenwinkeln starrte er abwechselnd auf seine getöteten Kumpane, dann zu den schmierigen Kerlen, die ihn jetzt eingekreist hatten.

Plötzlich wurde ihm schlagartig alles klar, als er in dem wüsten Haufen seinen Bootsmann Moleta erkannte.

„Du Hundesohn“, flüsterte er mit erstickter Stimme. „Der Teufel soll dich verdammten Hurenbock holen! Warum habt ihr das getan?“

Moleta grinste ihn höhnisch an.

„Alles zu seiner Zeit, Bastard. Sei froh, daß du überlebt hast. Die anderen sind alle tot.“

Der Korse saß hoffnungslos in der Falle. Es gab keinen Ausweg mehr für ihn. Doch diesem dreckigen Halunken wollte er noch an die Kehle. Jähzorn, wild und explosiv, flammte in ihm auf. Trotz der bedrohlichen und aussichtslosen Situation begann der Korse zu handeln.

Mit einem heiseren Wutschrei sprang er vor. Seine klauenartig gekrümmten Finger griffen nach Moletas Kehle. Doch der Bootsmann wich grinsend und blitzschnell zur Seite aus.

Della Rocca stieß ein heiseres Gebrüll aus, fuhr herum und wollte erneut nach Moleta greifen.

Ein anderer, ebenfalls schmierig grinsender Kerl schien nur auf diesen Augenblick gewartet zu haben. Er belauerte den Korsen schon seit einer Weile.

Moleta wich noch einmal grinsend mit einem raschen Schritt zur Seite. Gleichzeitig nickte er dem Kerl mit dem schwarzen Gesicht blitzschnell zu.

Bocanegro, Schwarzmaul, so nannten sie ihn, hieb mit dem Kolben der Pistole zu, als wolle er einen Baum fällen. Der Hieb traf mit voller Wucht die Schlafe des Korsen.

Della Rocca verdrehte die Augen. Er versuchte noch, den Arm hochzubringen, aber der Hieb löschte sein gesamtes Denken, schlagartig aus. Mit herabhängenden Armen kippte er rückwärts in den Sand.

„Hoffentlich hast du ihn nicht umgebracht, Schwarzmaul“, sagte Moleta. „Wenn er tot ist, ziehe ich dir das Fell über deine dreckigen Ohren und lasse dich daran aufhängen.“

„Keine Angst, die Korsen haben Eisenschädel. Wenn der tot ist, dann fress’ ich meine eigene Großmutter.“

Die Kerle lachten roh und hämisch. Sie starrten auf den gefällten Korsen, der kein Lebenszeichen mehr von sich gab.

Moleta bückte sich, riß della Rocca das Hemd über der Brust auf und legte sein Ohr an den haarigen Oberkörper. Nach einigen Augenblicken stand er wieder auf.

„Dein Glück“, sagte er kalt. „Der Bastard lebt noch. Wir brauchen ihn ja auch dringend.“

Moleta ging zu den anderen hinüber und drehte sie mit der Stiefelspitze verächtlich auf den Rücken. Als er Ribas umdrehte, verstärkte sich sein Grinsen noch mehr.

„Der liebe gute Manoel“, höhnte er. „Ich wußte gleich, daß dieser Hundesohn uns bescheißen wollte. Der ist dem Korsen ja fast in den Hintern gekrochen. Aber nicht mit mir, mein Lieber“, sagte er zu dem Mann, der aus gebrochenen Augen zum Himmel starrte.

„Was sollen wir mit dem Bastard tun?“ fragte Bocanegro. Er fummelte sein schmieriges turbanähnliches Ding auf dem Schädel zurecht und sah auf den gefällten Korsen. „Am liebsten würde ich den Hund auf der Stelle umbringen.“

„Womit du Affe eine Menge Geld verlieren würdest, ganz zu schweigen von den anderen. Ich betone noch einmal, daß der Korse wichtig für uns ist. Er muß vorerst am Leben bleiben, bis wir alles aus ihm herausgekitzelt haben. Aber das wißt ihr ja selbst. Bindet ihn da drüben an den Baumstamm, bewacht ihn und klatscht ihm Wasser in die Visage, damit er wieder munter wird. Wir wollen uns doch noch nett mit ihm unterhalten.“

Auf die „nette Unterhaltung“ schien sich schon die ganze Horde zu freuen. O ja, sie wollten sich nur allzugern mit ihrem ehemaligen Kapitän „unterhalten“, der sie auf die ganz laue Tour überfahren und um ihren Beuteanteil betrogen hatte. Sie wollten die Perlen, und das war eine unermeßliche Menge. Nur mit einem winzigen Teil dieser Beute würde jeder bis an sein Lebensende ein gemachter Mann sein.

Aber der Korse hatte sie sitzenlassen auf der Insel Cozumel und war mit fünf Kerlen heimlich mit der zweimastigen Schaluppe verschwunden, um die Verstecke selbst zu plündern.

Verständlicherweise hatten alle jetzt einen heillosen Zorn auf ihn und konnten es kaum erwarten, ihn durch die Mangel zu drehen.

Della Rocca war immer noch bewußtlos. Über seine Schläfe zog sich eine blutige Schramme. Eine gewaltige Beule entstand dort.

Unter lautem Gebrüll rissen sie ihn hoch und schleif ten ihn an den Armen zu einem Baum. Der Korse spürte nichts davon, auch dann nicht, als ein paar Kerle die günstige Gelegenheit nutzten und ihm kräftig in den Hintern traten.

Noch kurze Zeit zuvor waren sie mit ihm durch dick und dünn gegangen, aber jetzt hatte sich das Blatt gewendet, und er war ihr Todfeind geworden, den sie am liebsten umgebracht hätten, wäre es nicht um den sagenhaften Perlenreichtum gegangen.

Der Korse wurde kunstvoll gefesselt. An Armen, Oberkörper und Beinen banden sie ihn fest. Sein Kopf war ihm auf die Brust gesunken, aber er atmete flach.

Moleta trat vor ihn hin und prüfte die Fesseln.

„Mistkerl, elender“, fluchte er und schlug dem Korsen die flache Hand ins Gesicht. „Seht zu, daß ihr ihn wieder zu Bewußtsein bringt. Ich sehe mich inzwischen mal auf der Schaluppe um. Du kannst mitkommen, Bocanegro.“

Der Kerl, dessen Gesicht von Schießpulver teilweise verbrannt war und dessen aufgeworfene Lippen fast blutleer waren, nickte eifrig. Mit dem Turban, der schwarzverbrannten Visage und den groben Narben sah er aus wie ein Ungeheuer. Selbst die Huren, die sie auf Cozumel einfach zurückgelassen hatten, mieden seine unmittelbare Nähe und wollten nichts mit ihm zu tun haben.

Moleta blieb noch einmal stehen und sah zu, wie zwei Kerle ein paar Pützen mit Seewasser füllten. Eilig kehrten sie zurück und klatschten della Rocca das Wasser schwungvoll ins Gesicht.

Der Korse rührte sich immer noch nicht. Wie leblos hing er in den Fesseln, als sei er längst tot.

„Der wird schon bald wieder auf den Beinen sein“, meinte Moleta. „Los, schieb jetzt die Jolle ins Wasser. Ich bin neugierig, wo der Halunke die Beute versteckt hat. Es müssen mindestens drei oder vier Truhen voller Perlen sein.“

„Die werden wir finden“, sagte Bocanegro zuversichtlich. „Der Korse ist zwar ein gerissener Hund, aber wir sind auch nicht dämlich. Wenn er sie an Bord hat, werden wir sie auch finden.“

Moleta war ebenfalls davon überzeugt.

„Und wenn wir die ganze verdammte Schaluppe kurz und klein schlagen, wir finden sie ganz sicher.“

Sie stiegen in die Jolle und pullten zu der zweimastigen Schaluppe hinüber.

2.

„Wo suchen wir zuerst?“ fragte Bocanegro, als sie an Bord des Zweimasters auf geentert waren.

„Achtern natürlich, in seiner Kammer. Dort wird er sie wohl versteckt haben.“

Einsam und verlassen lag die Schaluppe vor Anker. In der Vorfreude, gleich etwas zu finden, rieb sich Moleta schon die Hände.

Sie gingen nach achtern, Gier in den Augen, und blieben vor dem Schott der Achterkammer stehen.

Moleta hob das Bein hoch und bewies mit einem eindrucksvollen und kräftigen Tritt, wie man ein Schott aufsprengt. Das Schott flog auch krachend auf.

Die Kammer gab nicht viel her. Sie war klein und ziemlich bescheiden eingerichtet. Der Korse hatte auf der Galeone „Bonifacio“ gehaust. Die Schaluppe war nur eine Übergangslösung gewesen, um beweglich und schnell zu sein.

Sie nahmen sich auch nicht die Mühe, die Schapps zu öffnen. Sie traten sie einfach mit den Stiefeln ein, bis sie in Trümmer gingen.

„Seit dieser korsische Mistbock heimlich verschwunden ist, hat er mindestens drei Truhen voller Perlen ausgegraben“, sagte Moleta. „Die eine am Cabo San Antonio, die zweite auf der Pinos-Insel an der Punta Francés und die dritte auf Cayo Largo.“

„Damit sind wir reiche Leute. Das ist doch eine ganze Menge.“

„Viel zu wenig“, sagte Moleta verächtlich. „Überlege mal, wie viele Verstecke der Hurensohn insgesamt angelegt hat. Nein, nein, ich will alles, nicht nur drei oder vier lausige Truhen.“

„Wenn wir alle Verstecke kennen, fällt für jeden mehr als eine ganze Truhe ab“, schwärmte Bocanegro. „Dir gehört natürlich ein größerer Anteil als den anderen.“

„Das ist wirklich sehr großzügig von dir, vielen Dank für deinen edlen Großmut“, sagte Moleta höhnisch. „Aber erst müssen wir das Zeug mal haben.“

Bocanegro war in der Hinsicht sehr optimistisch, doch sein schwarz-verbranntes Gesicht wurde allmählich immer länger, als sie im ersten und zweiten Schapp nicht fündig wurden.

„Verdammt, wo sind die Perlen?“ brüllte er. Laut fluchend zerhämmerte er das nächste Schapp.

Dann grinste er bis über beide Ohren, stand andächtig da und starrte auf den Boden. Moleta war mit einem Satz bei ihm, als er das verräterische Grinsen sah. Dann aber grinste er mit.

„Da sind ja die lieben Kullerchen!“ rief er erfreut. „Na, dann wollen wir doch gleich mal nachsehen, wo sich die Brüder und Schwestern versammelt haben. Öffne die Truhe, ich will einen Blick hineinwerfen.“

Bocanegro kam dieser Aufforderung nur allzugern nach. In seine Visage war ein Zug von Habgier getreten, der ihn noch schlimmer aussehen ließ. Moleta sah, daß seine Hände vor Aufregung zitterten.

Er brach den Deckel der Truhe auf – und dann blickten beide voller Entzücken auf den sagenhaften Schatz, der sich ihnen bot.

„Herrliche Klunkerchen“, sagte Moleta begeistert, als er die schimmernde und kostbare Pracht sah.

Das fand Bocanegro auch. Mit weltentrückten Blicken fischte er in den Perlen herum und ließ sie durch seine dreckigen Finger gleiten. So ganz weltentrückt war er dann aber doch nicht, denn ein besonders schönes und mattrosa schimmerndes Exemplar blieb zwischen seinen Fingern kleben und wanderte von dort aus geschickt weiter in die linke Handfläche. Bocanegro wischte sich scheinbar vor Aufregung mit der Hand über den Mund – und weg war die rosa Perle.

„Wie schön“, sagte Moleta andächtig. „Wahrhaftig eine einmalige Pracht und Herrlichkeit. Vor allem sind sie auch leicht zu transportieren, besser als Gold- oder Silberbarren.“

Er schloß den Deckel der Truhe, runzelte dann die Stirn und öffnete sie wieder. Sehr nachdenklich blickte er auf den Inhalt.

„Ist was?“ fragte Schwarzmaul gespannt.

„Ja, da fehlt eine Perle, eine rosafarbene Perle. Du hast übrigens einen Moskito auf der Wange.“

Moleta holte mit der Hand aus und schlug sie Bocanegro mit aller Kraft in die Visage. Schwarzmaul war so überrascht, daß er der Länge nach auf die Dielen fiel. Vor Schreck spie er die Perle aus.

Moleta sah ihn kalt an. In seinen Augen glitzerte es gefährlich.

„Mit mir macht man so was nicht“, sagte er scharf. „Und wenn du mich bescheißen willst, mußt du das geschickter anfangen, du häßliche Mistkrücke. Dafür sollte ich dich eigentlich blenden lassen.“

Bocanegro wich angstvoll zurück.

„Es war doch nur die eine“, jammerte er, „ich konnte der Verlockung nicht widerstehen.“

„Eine oder viele, das ist egal. Geklaut ist geklaut, du verdammter Hundesohn. Leg sie wieder zurück, sonst wirst du nie wieder das Licht der Sonne sehen, erst recht nicht mehr den schimmernden Glanz einer Perle.“

Bocanegro gehorchte zitternd. Er wischte die Perle an seinem Hemdsärmel ab und legte sie vorsichtig zurück.

„War nicht so gemeint“, murmelte er heiser.

Moleta gab keine Antwort. Er verschloß die Truhe und stellte sie wieder in das Schapp zurück. Dann stand er auf und gab dem Schwarzmaul einen deftigen Tritt.

„Weitersuchen, wir müssen die anderen auch noch finden.“

Die achtere Kammer gab jedoch nichts mehr her, und als sie weitersuchten, wurde Moletas Laune immer mieser und übler.

Sie krempelten die Pantry um, dann den Laderaum, dann die anderen kleinen Kammern und schließlich auch die Piek. Aber es fand sich keine weitere Perlentruhe mehr. In der Piek rissen sie mit einem Kuhfuß zwei Bretter los und peilten die Bilge ab.

„Dieser Sauhund!“ brüllte Moleta. „Ich weiß genau, daß er die Truhen hier an Bord hat. Die eine, die wir gefunden haben, stammt aus der Bucht westlich von Havanna, wo wir anschließend mit den spanischen Soldaten aneinandergeraten sind. Aber wo sind die anderen? Wo ist die Ausbeute aus den drei anderen Verstecken?“

„Vielleicht ist das wieder so ein mieser Trick von della Rocca“, sagte Bocanegro. „Darin ist er ja ganz groß. Die stecken vielleicht zwischen doppelten Wänden – äh – irgendwo.“

„Irgendwo ganz sicher – aber wo, verdammt noch mal?“

Noch einmal stellten sie die Schaluppe auf den Kopf. Moleta, dessen Laune einen Tiefpunkt erreichte, trat nach allem mit den Stiefeln, was ihm im Weg war. Er tobte durch die Kammern, riß Plünnen heraus und trat die Bodenbretter der Schapps ein. Trotz angestrengter Suche fand sich jedoch keine weitere Perlentruhe.

Bocanegro wagte kaum noch, das Maul zu öffnen, denn Moleta glich jetzt fast dem Korsen, wenn der seine Wut hatte. Er blieb immer ein paar Schritte hinter Moleta, denn der trat um sich, als Wollte er die ganze Schaluppe zermalmen.

In der Achterkammer wüteten sie noch einmal wie die Vandalen, rissen eingerahmte Bilder von den Wänden und zertraten sie. Selbst eine halbvolle Rumbuddel warf Moleta wütend an die Wand, daß sie zerplatzte und ihr Inhalt durch die ganze Kammer spritzte.

„Die Koje!“ brüllte er. „Du achtern, ich vorn! Hau ruck!“

Die eingebaute Koje wurde in einen Trümmerhaufen verwandelt. Darunter fand sich das Skelett einer Ratte, die sich offenbar vor langer Zeit verirrt hatte, sonst nichts.

Moleta trommelte vor Wut mit den Fäusten an die Wände und trat mit dem Stiefel dagegen.

„Dieser trickreiche Hundesohn“, keuchte er. „Ich werde die Verstecke aus ihm herausprügeln, bis er sie winselnd preisgibt.“

„Der Korse wird nichts verraten, Moleta. Das ist ein ganz harter Knochen. Der läßt sich eher zu Tode foltern.“

„Ich will ihn ja nicht zu Tode foltern, das ist kein Kunststück. Er wird sprechen, das garantiere ich. Man kann einem Mann die größten Qualen bereiten, aber so, daß er selbst wünscht, endlich zur Hölle fahren zu können.“

„Sollen wir die Truhe mitnehmen?“

„Nein, die bleibt hier, sonst regen sich die Kerle nur unnötig auf, wenn sie die Klunker sehen. Wir holen sie später.“

Moleta blieb breitbeinig an Deck stehen und sah zum Strand hinüber, wo die anderen Schnapphähne reihum den Korsen umstanden, ihn lautstark verhöhnten, verfluchten und ihm eimerweise Seewasser ins Gesicht gossen. Einmal hob della Rocca schwach den Kopf.

„Na bitte, er ist wieder an Deck. Jetzt werden wir uns etwas näher mit ihm beschäftigen. Ab in die Jolle, wir nehmen uns den Zweimaster später noch einmal vor.“

Sie stiegen in die Jolle und pullten gleich darauf zum Strand hinüber. Moleta sprang hinaus. In seinem Gesicht hatten sich tiefe Linien eingegraben. Er befand sich in allerschlechtester Stimmung.

Die Kerle sahen ihm gespannt entgegen.

Oberhalb des Strandes, in der überhöhten Deckung, sahen die Seewölfe immer noch zu. Niemand hatte ihre Anwesenheit bemerkt. Die Schnapphähne waren so mit sich selbst beschäftigt, daß sie für ihre Umgebung keinen einzigen Blick übrig hatten. Selbst um die Toten hatten sie sich nicht mehr gekümmert. Ihre ganze Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf den Korsen.

Der Seewolf lachte leise, als er einen Blick zur Schaluppe warf. Von dort war Krachen und Bersten zu hören. Zwei Kerle schlugen in grenzenloser Wut alles kurz und klein, erschienen immer wieder an Deck und verschwanden erneut nach unten.

„Die suchen jetzt die Perlentruhen“, sagte Hasard. „Jetzt werden sie nervös, weil sie sie nicht finden. Kunststück, sie sollten mal bei uns nachsehen, da würden sie staunen.“

Als die Jolle etwas später ablegte, meinte Dan, O’Flynn: „Jetzt geht’s dem Perlenhai an den Kragen. Ich möchte nicht in seiner Haut stecken. Die werden jetzt alles aus ihm herausprügeln, was sie wissen wollen.“

„Sollen sie“, sagte Hasard. „Wir beschränken uns auf die Rolle der Zuschauer. Keiner von den Halunken ist es wert, daß wir auch nur einen Finger rühren oder etwas riskieren.“

Wortfetzen drangen zu ihnen herüber. Hin und wieder verstanden sie ganz deutlich, was gesprochen wurde. Weiter drüben begann eine recht üble Stimmung zu herrschen.

Mit einer Jolle erschienen weitere Kerle von der Dreimastgaleone „Bonifacio“. Hasard sah, daß nur noch zwei Ankerwachen auf der Galeone zurückblieben. Alle anderen zog es zu dem Baum, an den man den Korsen gefesselt hatte.

Den Seewölfen bot sich ein gespenstisches Bild. In der Bucht hielten sich jetzt mehr als zwanzig wilde und buntgekleidete Gestalten auf, Piraten, Schnapphähne, Halsabschneider, Galgenstricke und Buschräuber, denen die Gier in den unrasierten Visagen stand. Dazu kam der an den Baum gebundene Korse, und weiter vorn lagen fünf Tote im Sand.

Am Rum Point war wieder mal der Teufel los. Auf Grand Cayman hatten sich abermals vorübergehend Piraten eingenistet, aber das war nichts Neues, die Insel hatte schon eine berüchtigte Vergangenheit.

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100 S. 1 Illustration
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9783954399215
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