Buch lesen: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 480»
Impressum
© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-888-1
Internet: www.vpm.de und E-Mail: mailto:info@vpm.de
Fred McMason
Des Teufels Knechte
Sie waren erbarmungslos – und wurden von der Goldgier getrieben
Wenn Diego Machado, Kapitän der „Trinidad“, gedacht hatte, mit seinem Schiff und der bereits übernommenen Schatzladung aus der Bucht westlich von Batabanó verschwinden zu können, so war das eine Illusion gewesen. Don Gaspar de Mello, Kommandant der Kriegsgaleone „San Sebastian“, gab das Feuer frei, und so wurde die „Trinidad“ im Breitseitenbeschuß abgetakelt. Für Machado war das Grund genug, von seinem eigenen Schiff mit sechzehn Kerlen zu desertieren und sich auf die Seite der anderen Deserteure zu schlagen, von denen die Schatzhöhlen besetzt worden waren. Der eigentliche Urheber des ganz großen Beutecoups, Don Alonzo de Escobedo, drehte jedoch schier durch, denn er sah seine Felle davonschwimmen. De Mello zögerte keinen Augenblick, ihn einfach festzunehmen …
Die Hauptpersonen des Romans:
Rodrigez Vanetto – der Zweite Offizier der „San Sebastian“ hat eine Idee mit beachtlichen Folgen.
Diego Machado – dem Kapitän der „Trinidad“ kommt es auf ein paar Morde mehr oder weniger nicht an.
Batuti – der Gambia-Riese verfolgt des Teufels Knechte bis nach Batabanó.
Felipe Gutierrez – der Zweite Offizier der „Trinidad“ muß erkennen, daß er den Bogen überspannt hat.
Manzo – der Kreole rächt seinen ermordeten Decksältesten.
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
1.
Batabanó – 25. Mai 1595.
Der unselige Schatz des Ex-Gouverneurs von Kuba, Don Antonio de Quintanilla, holte sich ein Opfer nach dem anderen.
Vor einigen Augenblicken hatte eine Eisenkugel die gewaltige Schatzhöhle getroffen. Der Schuß war von der spanischen Kriegsgaleone „San Sebastian“ abgefeuert worden. Ein Zufallstreffer, aber einer mit verheerender Wirkung.
Einem der Kerle, die sich in der Höhle verschanzt hatten – er hatte am Eingang hinter dem Wasserfall gestanden –, war von der Eisenkugel der Kopf abgerissen worden.
Kopflos war er durch den Wasserfall geflogen und unten vom Fluß mitgerissen worden. Daraufhin hatte bei den Kerlen ein jämmerliches Gebrüll eingesetzt.
Damit nicht genug. Der Capitán der „San Sebastian“ hatte den Halunken auch noch die letzte Möglichkeit genommen, das Schiff bei Nacht mit den zwei Beibooten zu entern, die am Strand unterhalb des Wasserfalls lagen. Drehbassenfeuer hatte die Jollen zerhackt, zerfetzt und zersplittert.
Erneutes Wutgeheul war die Antwort. An die Kriegsgaleone kamen die Kerle nun nicht mehr heran. Ihr Plan, sie zu entern und mit den Schätzen zu beladen, mußte aufgegeben werden, seit die Jollen zerschmettert waren.
Dementsprechend war auch die Stimmung in der Höhle bei den Deserteuren.
Es waren etwa vierzig Mann, die angesichts der gewaltigen Schätze von der „Trinidad“ desertiert waren. In diesem wilden Haufen gab der Zweite Offizier der Handelsgaleone, Felipe Gutierrez, den Ton an. Er hatte sich mit brutaler Gewalt durchgesetzt. Zu ihm und den anderen Deserteuren war inzwischen auch der Capitán der „Trinidad“ mit weiteren sechzehn Mann gestoßen. Gleich darauf hatte es die ersten Reibereien und Auseinandersetzungen gegeben.
Gutierrez hatte Capitán Diego Machado eiskalt und knüppelhart verklart, daß er seine Rolle als Capitán ausgespielt habe. Jetzt sei er nur noch Gleicher unter Gleichen, und er möge auch ja nicht mehr das Maul aufreißen, sonst würde es ihm sehr schnell gestopft.
Machado hatte begriffen. Die „Trinidad“ war zerschossen und von einem Kommando der „San Sebastian“ besetzt worden. Jetzt hatte er kein Schiff mehr, und so heulte er mit den Wölfen, scharf und gierig darauf, sich ebenfalls an den Schätzen zu bereichern, die allen Kerlen schon längst den Kopf verdreht hatten.
Ein paar Kerle starrten jetzt angeekelt oder auch gleichgültig auf den Kopf, der immer noch am Eingang lag. Der Ex-Capitán sah widerwillig auf den blutigen Schädel.
„Wirf ihn in den Fluß, Cabral“, befahl er, „das ist ja nicht länger zum Aushalten.“
Cabral war Decksältester auf der „Trinidad“ gewesen, ein Klotz von einem Kerl mit brutalen und harten Zügen. Er war der erste gewesen, der zusammen mit vier weiteren Kerlen von Bord getürmt war, um sich von dem Reichtum seinen Teil zu holen.
Jetzt sah er den ehemaligen Capitán schief an und grinste abfällig. Von Respekt oder Achtung war auch keine Rede mehr.
„Wirf ihn doch selbst weg, du Oberarsch“, sagte er grinsend. „Mich stört er nicht.“
„Ich befehle dir …“
Der Zweite, Felipe Gutierrez, mischte sich ein. Er war ein Mann mit breitausladenden Schultern, kalten Augen, einem zynischen Mund und spitzen Kinn. Auch ihm hatte das viele Gold, Silber, die Perlen und Edelsteine den Kopf verdreht. Er war schon früher über Leichen gegangen, aber jetzt war er unberechenbar, und er schreckte auch vor keinem Mord zurück.
„Ich habe dir schon einmal gesagt, Capitánchen, daß du hier nichts mehr zu befehlen hast, und ich sagte dir auch, du sollst dein großes Maul halten, sonst kriegst du es gestopft. Laß Cabral also in Ruhe – und die anderen auch. Aber damit du endlich klar erkennst, wer hier was zu sagen hat, wirst du den Schädel in den Fluß werfen. Wird’s bald? Oder soll ich dir ein bißchen helfen?“
Der Zweite hatte schon die Hand zur Faust geballt und sah Machado hart an.
Zuerst wollte der es darauf ankommen lassen, aber er kannte seinen Zweiten als rücksichtslosen und brutalen Schläger. Der würde auch keinen Augenblick zögern, zum Messer oder zur Pistole zu greifen.
Noch einmal kreuzten sich ihre Blicke, da gab Machado nach.
„Na schön“, sagte er heiser und mit unterdrückter Wut. „Damit es keinen weiteren Ärger gibt. Wir haben schon genug am Hals.“
Er stand auf und ging geduckt zum Höhleneingang, wo der mächtige Wasserfall toste. Er hatte Angst, ebenfalls von einer Kugel getroffen zu werden, denn die Kerle von der Kriegsgaleone verstanden es, genau zu treffen. Außerdem schossen sie in so unregelmäßigen Abständen, daß man nicht berechnen konnte, wann wieder ein heißer Gruß erfolgte.
Mit dem Stiefel schob er den Kopf ein Stück vor, bis er ebenfalls im Wasser verschwand. Dann kehrte er eilig in den Schutz der Höhle zurück.
„Wer war das, den es erwischt hat?“ fragte er einen Kerl, der auf einer mit Gold gefüllten Kiste hockte.
„Weiß ich nicht“, sagte der gleichgültig. „Aber ohne Kopf ist der sowieso zeitlebens ein Krüppel.“
Etliche andere lachten roh. Es war bezeichnend für ihren Zustand, daß sie keinem mehr nachtrauerten. Je weniger es wurden, desto größer wurde ihr Anteil an der Beute.
Diese Beute hatte allerdings einen recht üblen Widerhaken, dessen war sich jeder bewußt. Sie alle waren, seit sie den Schatz gefunden hatten, mehrfache Millionäre. Das viele Gold und die anderen Kostbarkeiten konnten sie in ihrem ganzen Leben nicht verbrauchen. Aber sie befanden sich in einer total verfahrenen Situation, denn sie waren buchstäblich festgenagelt und konnten die Höhle nicht mehr verlassen, seit der Beschuß von der „San Sebastian“ eingesetzt hatte.
Einen Toten und mehrere Verletzte hatte das Feuer bereits gefordert.
Sie hatten zwar noch Trinkwasser, aber mit dem Proviant sah es schlecht aus. Der bestand nur noch aus einigen Kokosnüssen, um die bald der große Streit entbrennen würde.
Der ständige Beschuß nervte sie, und ihre Hoffnung, mit den beiden Jollen die „San Sebastian“ überfallen zu können, war auch dahin. Am Strand lagen nur noch Fetzen und Trümmer.
Grotesk war die Situation, in der sie sich befanden. Vor ihren Augen lag das viele Gold, aber sie konnten damit nichts anfangen. Sie konnten im Extremfall sogar inmitten dieses unermeßlichen Reichtums elend verhungern oder verdursten.
Dementsprechend war auch die Laune der Kerle. Die meisten starrten stumpf vor sich hin. Ein paar andere belauerten sich mißtrauisch, ob auch ja keiner von ihnen heimlich etwas klaute. Selbst das war ein Witz, denn es gab Reichtümer im Überfluß.
Jetzt hockten die Kerle mißmutig, finster und verdrossen auf den Kisten mit Gold, Silber, Edelsteinen oder Schmuck und wußten nichts mit sich anzufangen. Sie waren mit ihrem Latein am Ende.
„Das ist vielleicht ein Scheiß“, sagte Cabral tückisch. „Da sitzt man mit dem Arsch auf Gold und kann es nicht ausgeben. Wie lange soll das eigentlich noch weitergehen?“
„Weiß ich doch nicht“, sagte Gutierrez voller Wut. „Glaubst du vielleicht, ich habe daran Spaß? Solange die Bastarde da unten uns befeuern, können wir gar nichts unternehmen.“
„Ach, dann sollen wir wohl warten, bis sie ihre letzte Kugel verschossen haben, was? Aber da können wir lange warten. Die Hunde könnten ja auch auf die Idee verfallen, Verstärkung zu holen. Dann sitzen wir erst recht in der Klemme und werden ausgeräuchert.“
„Verdammt, ich kann das nicht ändern!“ brüllte der Zweite nervös.
„Wir müssen das aber ändern. Ich habe nämlich die Schnauze voll, und ich habe auch nicht die geringste Lust, mich von den Marineknechten erwischen zu lassen. Die fackeln nicht lange. Wen sie haben, dem ziehen sie gleich den Hals lang.“
„Noch haben sie uns ja nicht“, sagte Machado beschwichtigend. „Uns wird schon noch etwas einfallen. Wir müssen die Nacht abwarten, dann sieht alles anders aus.“
Der Decksälteste Cabral ging vor Wut fast die Wand hoch. Wütend versetzte er einer Goldtruhe einen Tritt. Dabei funkelte ihm aber noch immer die Gier aus den Augen.
„Ich habe einen Plan“, sagte er nach einer Weile. „Wir können ja doch nicht alles mitnehmen, oder?“
„Wie es aussieht, vermutlich nicht. Aber laß deinen Plan nur hören, vielleicht ist er gut.“
„Er ist jedenfalls das Beste, was wir in dieser Situation tun können. Also, hört mal zu!“
Etliche Kerle, denen die Gier nach Gold im Gesicht stand, scharten sich sofort um ihn und sahen ihn neugierig an. Auch Capitán und Zweiter näherten sich.
Verdammt, sie wollten hier raus, aber sie wollten natürlich nicht auf den Reichtum verzichten. In Gedanken hatte jeder sich bereits ausgemalt, was er mit dem vielen Gold anfangen wollte. Jeder hatte da seine eigenen verrückten Ideen entwickelt.
„Nun laß endlich deine Gedanken raus“, sagte der Zweite unwillig.
Cabral hockte sich auf eine der Truhen. Mit finsterem Gesicht starrte er die Kerle an, die sich um ihn geschart hatten.
„Wir stopfen uns die Taschen voll“, sagte er in die Stille hinein. „Jeder nimmt sich, soviel er tragen kann, und dann hauen wir ab. Wenn wir uns Hemden, Taschen und Stiefel mit Goldstückchen, Edelsteinen oder Perlen vollstopfen, so ist das eine ganze Menge, und man kann verdammt viel damit anfangen.“
„Moment mal“, sagte Gutierrez.
„Laß mich doch ausreden, verflucht! Wir trennen uns natürlich, und jeder geht seiner eigenen Wege. Dann fällt es auch nicht auf. Auf die Art können wir jedenfalls eine ganze Menge wegschleppen.“
Ein paar Kerle brummten beifällig.
„Sehr gut“, sagte ein Kreole gierig, „das ist wenigstens ein Stück vom großen Kuchen und besser als gar nichts. Klar, damit bin ich einverstanden.“
Einige andere blickten den Bullen unentschlossen an und waren verunsichert. Sie wollten lieber alles haben und nicht nur „ein Stück vom großen Kuchen“.
Anderen wieder flackerte die Gier aus den Augen. Die Hauptsache, sie erwischten ein paar Goldstücke oder ein paar Perlen. Damit hatten sie zumindest für die nächste Zeit ausgesorgt.
Plötzlich war die Situation spannungsgeladen. Die Taschen vollstopfen und verschwinden, hierbleiben und abwarten – die Kerle wußten immer noch nicht so recht, für was sie sich entscheiden sollten. Aber immer noch waren etliche dafür, sich sofort abzusetzen und mitzuschleppen, was nur mitzuschleppen war.
Der Zweite durchkreuzte jedoch ihre Hoffnungen. Sein Gesicht war höhnisch und abfällig verzogen, als er zuhörte. Dann winkte er verächtlich ab.
„Das würde nur ein Feigling tun, aber für Feiglinge ist hier kein Platz. Wir nehmen alles oder überhaupt nichts, damit das klar ist. Wer allerdings abhauen will, der kann es tun, aber mit leeren Taschen. Hier stopft sich niemand die Klamotten voll und verschwindet.“
„Richtig“, sagte Machado und stellte sich damit auf seine Seite. „Das ist auch meine Ansicht.“
„Deine Ansicht interessiert mich einen Scheiß!“ brüllte Cabral. Dann drehte er sich um und sah den Zweiten, tückisch an.
„Und das bestimmst du jetzt, was? Aber da hast du dich geirrt, mein Freund. Ich, Manzo, Casco, Domingo und Toluca sind die ersten gewesen, die die Schatzhöhle besetzt haben. Das solltest du nicht vergessen, mein Lieber. Folglich gehört die Höhle uns. Ihr Halunken seid erst viel später erschienen, und jetzt reißt ihr das Maul auf. Aber nicht bei mir. Du und der saubere Capitán haben überhaupt nichts mehr zu vermelden, und ihr braucht auch keine großen Töne spucken. Die Zeiten, in denen der Sack da Capitán und du Zweiter waren, sind endgültig vorbei. Ich unterstelle mich keinem Kommando mehr. Wer hier groß rumtönt, dem hau ich was aufs Maul.“
„Paß nur auf, daß du nicht was aufs Maul kriegst“, sagte der Zweite wutentbrannt. „Du Scheißer sorgst hier nur für Ärger, und davon haben wir schon genug.“
„Und du Oberscheißer kotzt hier groß nun!“ schrie Cabral. „Das hast du schon immer gut gekonnt, aber damit ist jetzt Schluß.“
Der Zweite wandte sich um. Es sah so aus, als starre er voller Wut in den finsteren Teil der Höhle.
„Ja, damit ist jetzt Schluß“, sagte er dann ruhig, während er sich wieder umdrehte und höhnisch grinste. „Endgültig Schluß.“
Er hielt eine Pistole in der Faust und richtete sie auf Cabral, der langsam von seiner Goldkiste aufstand und blaß wurde.
„Du hinterhältiger Dreckskerl“, keuchte er.
„Du hast es gut“, sagte Gutierrez kalt, „du brauchst dir keine Gedanken mehr über das Gold zu machen, und die Taschen wirst du dir auch nicht mehr vollstopfen.“
Nach dem letzten Wort drückte er eiskalt ab.
Aus dem Lauf raste eine rotglühende Zunge. Ein lauter Knall ertönte, dessen Echo sich an den Wänden der Höhle brach.
Als Cabral in den Knien einknickte, befand sich auf seiner Stirn über der Nase ein dunkles Loch. Er war schon tot, bevor er auf dem felsigen Boden aufschlug.
Sehr gelassen steckte der Zweite die Pistole wieder ein.
„Will noch jemand auf den großen Kuchen verzichten?“ fragte er voller Hohn. „Dann nur zu und tut euch keinen Zwang an. Je weniger wir sind, desto größer wird die Beute. Eine einfache Rechnung. Na, wie sieht es aus?“
Angesichts ihres toten Kumpans kuschten die Kerle. Sie hatten Angst vor dem Zweiten, der kaltblütig und höhnisch jeden umlegte, der nicht nach seiner Pfeife tanzte.
„Du hast ganz recht“, sagte Machado heiser. „Wir nehmen den ganzen Kuchen, nicht nur die Krümel.“
Etwas weiter in der Höhle saß der Kreole Manzo auf einer Kiste, die mit Silbermünzen gefüllt war. Er saß ganz ruhig da, aber in ihm kochte alles, als er sah, daß der Zweite seinen Kumpan niedergeschossen hatte.
Seine Finger berührten das Messer, mit dem er gut umzugehen verstand. In seinen Augen glomm wilder Haß. Er schluckte schwer, als er zu dem toten Cabral blickte.
Das zahle ich dir heim, dachte er in ohnmächtiger Wut, das schwöre ich bei meinem Leben, du Hundesohn. Er blieb jedoch ruhig und wie unbeteiligt auf der Kiste hocken. Nicht mehr lange, dann würde sich die Gelegenheit ergeben, dem Kerl die Rechnung zu präsentieren.
„Schmeißt den Kerl in den Fluß!“ befahl der Zweite. „Weg mit ihm. Jetzt kann er endlich abhauen und braucht nicht einmal zu laufen. Bequemer geht’s doch gar nicht. Los, ihr beiden da – laßt ihn verschwinden!“
Gleich vier eingeschüchterte Kerle stürzten sich auf den Toten. Sie schleiften ihn an den Stiefeln zum Eingang, hoben ihn hoch, schlenkerten ihn hin und her und warfen ihn durch den Wasserfall.
Cabral landete in hohem Bogen im Fluß, nachdem er durch den Wasserfall geflogen war. Seine Leiche trieb flußabwärts, dem Golf von Batabanó entgegen.
Wieder hatte der unselige Schatz des dicken Ex-Gouverneurs ein Opfer gefordert. Er holte sich eins nach dem anderen, und alle traten die gleiche Reise über den Fluß an.
Sehr eilig kehrten die Kerle wieder zurück und hockten sich wie unterwürfige Hunde auf die Kisten.
2.
Gerade als sich der Zweite auf eine Kiste setzen wollte, gab es einen bestialisch lauten Knall.
Am Eingang zur Höhle flogen Steinsplitter aus dem Fels, die wie Geschosse nach allen Seiten rasten.
Im ersten Schreck warfen sich die meisten Kerle flach auf den Felsboden und zogen die Köpfe ein. Ein paar andere heulten und brüllten hilflos ihre Wut hinaus oder drohten in stummen Entsetzen mit den Fäusten.
Ein zweiter Donnerschlag erschütterte die Höhle, dann ein dritter. Beim vierten flog eine Eisenkugel durch den Wasserfall. Sie knallte dicht neben einem Kerl an die Wand, der mit einem irren Aufschrei hochsprang und weiter nach hinten flüchtete.
Danach hörte der Beschuß aus Culverinen so plötzlich auf, wie er begonnen hatte.
Den Kerlen flatterten die Nerven, und jeder eiserne Gruß von der „San Sebastian“ nervte sie noch mehr.
„Die Bastarde schießen sich immer besser ein“, sagte der Zweite mit wütender Stimme. „Die Kugeln und das Pulver scheinen ihnen auch nicht auszugehen.“
„Kein Wunder bei einem Kriegsschiff“, meinte einer, „die haben sich bis unter die Luken eingedeckt. Die werden uns aushungern, bis wir von selbst angekrochen kommen.“
„Das wird ganz sicher nicht der Fall sein“, sagte der Zweite scharf! „Wir werden jetzt nämlich handeln, sonst ist es wirklich zu spät.“
„Was hast du dir denn vorgestellt?“ fragte Machado.
„Etwas Besseres als uns dieser Bastard Cabral vorsetzen wollte. Ich habe einen anderen Plan entwickelt, der auch Aussicht auf Erfolg hat.“
„Dann laß ihn hören.“
Der Zweite blickte auf die rußgeschwärzte Eisenkugel und ließ sich mit einem überlegenen Grinsen auf der Kiste nieder.
Dann begann er, seinen Plan zu entwickeln, wobei die Kerle gebannt lauschten.
„Die beiden Jollen sind hin, zerschossen von diesen lausigen Marinebastarden. Das ist verdammt ärgerlich, aber wir brauchen unbedingt Ersatz. Ohne Jollen läuft für uns nichts.“
„Das ist klar“, sagte Machado, „fragt sich nur, wo wir andere Jollen herkriegen. Die von der ‚San Sebastian‘ werden uns bestimmt keine abgeben.“
„Quatsch kein dämliches Zeug. Wir besorgen uns die Jollen natürlich in Batabanó. Wir brauchen die ‚San Sebastian‘, um die Schätze zu verladen und verschwinden zu können. Ein Kriegsschiff ist für uns genau das Richtige. Damit sind wir bis an die Zähne bewaffnet und haben zudem eine Menge Platz.“
Ein paar der Deserteure sahen den Zweiten voller Zweifel an. Sie konnten sich nicht vorstellen, wie Gutierrez das schaffen wollte. Andere wieder waren von der Aussicht geradezu begeistert, obwohl auch sie nicht wußten, wie das durchzuführen war. Jedenfalls hörte sich das ganz gut an.
„Und wie soll das vor sich gehen?“ fragte Machado.
„Eine Gruppe von etwa sechzehn Mann wird jetzt gleich nach Batabanó aufbrechen und dort vier Jollen beschaffen. Kaufen oder klauen, das wird die Situation ergeben.“
„In Ordnung!“ rief Machado. „Das hört sich gut an. Ich stelle mich freiwillig zur Verfügung, um die Gruppe zu übernehmen.“
Der Zweite grinste kalt.
„Na bitte! Dann wäre das ja schon geregelt. Falls ihr die Jollen kaufen müßt – hier haben wir genügend Möpse zur Verfügung. Aber mit dem Beschaffen der vier Jollen allein ist es noch nicht getan. Wir brauchen Proviant. Die Gruppe wird also auch dafür sorgen.“
„Und wenn wir die Jollen haben – was dann?“
„Ihr werdet die Jollen östlich von der Bucht verstecken und gut tarnen. Bemannt werden sie erst in der Nacht. Dann überfallen wir die Marinebastarde.“
Machado zog ein bedenkliches Gesicht.
„Das sind eine Menge Kerle, und sie sind alle bis an die Zähne bewaffnet. Sie werden scharf aufpassen. Ich gebe das nur zu bedenken.“
„Klar werden sie aufpassen, aber wir haben einen Vorteil. Wir werden uns von der See her anpirschen. Die Wachen richten ihr Hauptaugenmerk auf den Strand und das Gelände unterhalb des Wasserfalls. Sie rechnen mit keinem überfallartigen Angriff von der Seeseite aus. Die konzentrieren sich ganz auf unsere jetzige Stellung.“
„Das ist richtig“, sagte Machado. „Dieser Plan läßt sich wirklich hören. Was meint ihr dazu?“ fragte er die anderen.
„Hervorragend, sehr gut.“
„Ganz phantastisch“, sagte ein dürrer Kerl und rieb sich in der Vorfreude schon die Hände.
Auch die anderen stimmten ausnahmslos zu. Nur der Kreole sagte nichts. In seinen Augen loderte immer noch der Haß. Am liebsten hätte er den Zweiten mit einem Messerwurf niedergestreckt. Doch das konnte er jetzt nicht tun. Er mußte eine günstige Gelegenheit abwarten, sonst hatte er die ganze Meute am Hals, die jetzt vor Freude gerade losbrüllen wollte.
„Nicht so laut!“ rief der Zweite. „Wenn die hören, daß wir jetzt in Jubel ausbrechen, werden sie mißtrauisch.“
Die Hochrufe verstummten, noch bevor sie richtig heraus waren.
„Gut, dann übernehme ich das Kommando“, sagte Machado. In seinen Augen war ein Lauern. „Aber dazu brauchen wir so eine Art Reisekasse. Ich denke, wir nehmen hier aus dieser Kiste einen kleinen Beutel voll Goldtalerchen mit.“
Der Zweite schüttelte, lässig den Kopf.
„Kein Gold“, entschied er. „Ihr nehmt Silbergeld, weil es weniger auffällt. Mit Goldtalern ist das immer so eine Sache. Da könnten ein paar Kerle neugierig werden und euch folgen. Es bleibt bei Silbergeld. Klunkerchen werden auch keine mitgenommen.“
Machado begriff das. Etliche der Kerle sahen verkommen und abgerissen und keineswegs wie Caballeros aus, die mit Gold bezahlten. Und wenn sie wirklich mit Goldstücken bezahlten, dann würde das auffallen. Daher nickte er schweigend.
Der Zweite öffnete eine Truhe, deren Inhalt sie schon lange vorher besichtigt hatten. Wieder flammte die Gier bei den Kerlen auf, als sie die vielen Münzen sahen. Sie konnten sich an dem Anblick kaum satt sehen und drängten sich um die Truhe.
Ein Ledersäckchen wurde geholt und dem Zweiten übergeben.
Der benahm sich wie der Schatzmeister persönlich, wühlte in der Truhe herum und tat Münzen in das Säckchen, als müßte er sie aus eigener Tasche bezahlen.
Als er seine Hände wieder zurückzog, hielt Machado den Lederbeutel noch einmal demonstrativ hin.
„Nur keinen Geiz“, sagte er heiser, „schließlich haben wir auch noch eine Menge Proviant zu besorgen.“
Der Zweite sah ihn an, dann nickte er und füllte nochmals eine Handvoll hinein.
Machado grinste unmerklich, als er den Beutel in der Hand wog. Ein herrliches Gefühl war das. Er gedachte auch gleich, in Batabanó in irgendeiner Pinte einzukehren und etwas von den Silberlingen kräftig auf den Kopf zu hauen.
Was sie da hatten, war wirklich mehr als genug. Damit konnten sie nicht nur vier Jollen und Proviant kaufen. Es würde noch eine ganze Menge übrigbleiben.
Machado wählte die Kerle aus, mit denen er zum Schluß zu dem Haufen Deserteure gestoßen war. Sechzehn Mann waren es, die es kaum erwarten konnten, endlich etwas zu tun.
„Wir verschwinden am besten gleich“, sagte Machado. „Und immer schön langsam, einer nach dem anderen. Wir verziehen uns in die Felsen. Die Kerle können uns nicht sehen, also keine Angst.“
„Wartet erst noch den nächsten Beschuß ab“, riet der Zweite. „Sonst kann es passieren, daß euch ganz unerwartet die Köpfe fehlen. So was soll es ja schon gegeben haben.“
Machado, der sich schon anschickte, zum vorderen Teil der Höhle zu gehen, zuckte zurück.
„Daran habe ich nicht gedacht“, sagte er. „Wir wissen ja nie, wann die Halunken wieder feuern.“
„Das ist ja eben ihre Taktik, uns zu zermürben. Niemand traut sich mehr an den Eingang. Sie werden aber bald wieder feuern, lange kann es nicht mehr dauern.“
Es dauerte noch zehn Minuten, bis es wieder mit nervtötendem Krachen einschlug. Als die erste Kugel heranraste, begann der Fels zu zittern und zu beben. Es hörte sich an, als würden in rascher Folge riesige Hämmer gegen den Fels gedroschen.
Beim dritten Treffer hagelte es wieder Steinsplitter nach allen Seiten.
Domingo und Casco, die Kerle „der ersten Stunde“, die als erste desertiert waren, hatten sich in eine Ecke verkrochen und hielten die Hände über die Köpfe.
„Verdammt, einmal bricht noch der ganze Felsen auseinander, und der Mist fällt uns auf den Kopf“, sagte Domingo. „Die zerhämmern systematisch die Felswände.“
„Die sind nicht zu zerhämmern“, sagte Toluca, der mit zum Quartett gehörte. „Da können sie sämtliche Siebzehnpfünder draufballern und noch mehr. Den Berg kriegen sie nie kaputt.“
„Aber der Fels zersplittert immer mehr.“
„Das ist nur am Eingang und jedesmal auch nur eine Handvoll Steinchen. Hier sind wir absolut sicher.“
Diesmal wurden fünf Culverinen abgefeuert. Aber es war keine Kugel in die Höhle geflogen. Am Eingang lagen nur spitze kleine Steine, die das Eisen aus dem Fels gehämmert hatte.
Der Vierte im Quartett sagte gar nichts. Er grinste nur abfällig, als das Poltern verklungen war. Er dachte wieder an den Zweiten und überlegte, wie er ihn um die Ecke bringen konnte.
„Raus jetzt!“ rief der Zweite in diesem Augenblick. „Sie haben ihr Feuer eingestellt. Es wird wieder eine Weile dauern, bis es erneut losgeht. Verschwindet und vergeßt ja nicht den Proviant. Bringt soviel wie möglich mit.“
„Tun wir“, versprach Machado grinsend. Als er am Höhleneingang stand, grinste er nicht mehr, denn da war wieder das verdammte Gefühl der Unsicherheit. Den Bastarden auf der Galeone konnte ja einfallen, nochmals einen Schuß hinterherzufeuern.
Mit eingezogenem Genick, den Lederbeutel fest an sich gepreßt, betrat er das steinerne Sims und verschwand.
Sechzehn weitere Kerle folgten beklommen. Sie atmeten erst auf, als sie in den Felsen waren. So, jetzt können die Kerle weiterballern, dachte Machado. Ihn ging das nichts mehr an. Sie waren erst einmal in Sicherheit, und gesehen hatte sie auch niemand.
„Wenn die Marineknochen das wüßten“, sagte er grinsend, „dann würden sie aber staunen. Sind alle Mann da?“
Es waren alle da, wie er zufrieden feststellte. Er klopfte auf das Ledersäckchen und lachte leise.
„Da ist natürlich für uns noch ein kleiner Schluck drin“, sagte er. „Ich bin sicher, daß wir in Batabanó auf eine Pinte treffen.“
„Ha, du bist doch ein feiner Kerl“, sagte einer der Kerle freudestrahlend. „Ich habe einen verdammten Bärenhunger. Von den mistigen Kokosnüssen wird ja keiner satt.“
Der kostenlose Auszug ist beendet.