Seewölfe - Piraten der Weltmeere 165

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 165
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Impressum

© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-489-0

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Der alte Donegal Daniel O’Flynn stand neben seinem Sohn Dan auf dem Achterdeck und blickte mit gerunzelter Stirn auf das Durcheinander von Karten, die der Seewolf und Dan ausgebreitet hatten. Beschwert waren die Seekarten mit einem Jakobsstab und einem kleinen Handkompaß.

Hasard und Dan rechneten, verglichen und trugen die Distanzen ein, die sie zurückgelegt hatten.

Für Donegal war die äußerst schwierige Navigation immer noch ein Buch mit sieben Siegeln und würde es auch bleiben.

„Wieso, zum Teufel, könnt ihr behaupten, wir befinden uns genau da und dort, wo es doch, verdammt noch mal, keine Linien im Wasser gibt, an denen man sich orientieren könnte. Das grenzt immer wieder an Hexenwerk und Zauberei“, sagte er grollend.

„So schwer ist das gar nicht, Dad“, erwiderte sein Sohn, der die Geheimnisse der Navigation vom Seewolf gelernt hatte.

„Wir haben von überall Karten angefertigt, nach denen wir uns richten können. Wir messen die zurückgelegte Strecke, peilen die Sonne über dem Horizont an und schon haben wir …“

„Schon haben wir gar nichts“, sagte O’Flynn rechthaberisch und stampfte mit dem Holzbein nachdrücklich auf die Planken. „Ihr faselt von Längenkreisen, Breitenkreisen, nördlicher und südlicher Breite, und genaugenommen seht ihr nur Wasser wie die anderen auch, und nicht mehr. Wie, zum Beispiel, wollt ihr wissen, ob wir jetzt über dem lausigen Äquator oder schon darunter sind, he?“

„Da stehen doch die Schilder mit dem großen Buchstaben Ä drauf“ sagte Dan todernst. „Sieht man sie von Norden, steht außerdem noch Süden drauf, und sieht man sie vom Süden steht Norden drauf. Schon gut, Dad“, meinte Dan beschwichtigend, als er sah wie der Alte krebsrot anlief. „Mit den Längenkreisen haben wir tatsächlich immer noch Schwierigkeiten, aber unsere Position können wir trotzdem ziemlich genau bestimmen. Sogar der Profos kann dir auf Anhieb sagen, wo wir jetzt sind.“

Carberrys Narbengesicht verdunkelte sich leicht, als er den grinsenden Dan von der Seite ansah. Wollte der ihn etwa auf den Arm nehmen?

„So“, sagte der alte O’Flynn. „Und wo sind wir jetzt, Ed?“

„Äh – mitten auf dem Meer“, sagte Carberry. „Und wenn du es ganz genau wissen willst, mitten im Atlantischen Ozean, Donegal.“

Die Männer auf dem Achterkastell lachten, bis auf O’Flynn, der den Profos ärgerlich ansah.

Hasard nahm den Alten beiseite und lächelte.

„Sieh mal nach vorn, Donegal“, sagte er. „Wir laufen, seit wir die Azoren hinter uns gelassen haben, auf Südwestkurs mit Wind aus Nord, also mit Steuerbordhalsen auf Backbordbug.“

„Das hätte ich nie erraten“, sagte O’Flynn grimmig. „Und an den Masten hängen Segel, die uns vorwärtstreiben, was? Wenn ihr einen alten Mann zum Idioten erklären wollt, dann könnt ihr was erleben, ihr – ihr triefäugigen Seegurken.“

„Nun gut“, lenkte Hasard ein. „Dann sage ich dir unsere Position, wenn es dir so lieber ist. Wenn wir richtig gerechnet haben, befinden wir uns jetzt auf dreiundreißig Grad und zwanzig Minuten nördlicher Breite und etwa achtundfünfzig Grad und fünfundvierzig Minuten westlicher Länge. In ein paar Tagen überschreiten wir den nördlichen Wendekreis, und liegen damit also schon heute mit Kurs auf die Schlangen-Insel. Korrigieren müssen wir natürlich, denn da gibt es Abdriften, Meeresströmungen und die merkwürdige Tatsache, daß der Kompaß unterhalb des Wendekreises oft verrückt spielt.“

„Trotzdem könnt ihr euch verrechnet haben.“

„Natürlich, das streitet ja auch keiner ab.“

„Also stimmt die Position nicht genau“, beharrte O’Flynn. „Das wollte ich nur wissen. Ihr gebt damit also zu, daß die Navigation nicht ganz genau ist, und daß wir auch woanders als auf der Schlangen-Insel herauskommen können.“

„Das passiert leider viel zu oft.“

O’Flynn grinste zufrieden. Zum Teufel, er ließ sich doch nicht einreden, man wäre mitten im Atlantik haargenau an diesem oder jenem Punkt.

„Also ist das keine Hexerei, sonst wäre es genauer“, stellte er noch einmal fest.

„Es sind mühsame Berechnungen und Irrtümer auf keinen Fall dabei ausgeschlossen. Du hast doch schon oft dabei zugesehen.“

„Ich will mit dem Kram nichts zu tun haben.“

„Ich zeige und erkläre es dir aber gern noch genau, Donegal.“

„Später mal“, wehrte der Alte ab, „jetzt muß ich mich um die Lausebengels kümmern, die haben bestimmt wieder was angestellt. Der Kutscher brüllt schon seit einer ganzen Weile herum.“

Hasard war der Kutscher auch schon aufgefallen, der ab und zu händeringend und fluchend aus seiner Kombüse rannte, mit den Händen fuchtelte und brüllte. Aber seine beiden Söhne, Hasard und Philip, hatten damit anscheinend nichts zu tun, denn des Kutschers Gebrüll galt merkwürdigerweise dem karmesinroten Papagei Sir John, der auffällig oft in der Kuhl und in der Nähe des Vordecks herumflatterte.

Hasard war das erst aufgefallen, seit sie die Azoren passiert hatten und sich auf dem Weg nach Süden befanden. Sollten die beiden Bengels wirklich etwas ausgeheckt haben?

Na egal, Donegal würde sich schon darum kümmern. Er kannte auch die Schliche und Tricks der beiden oder glaubte jedenfalls sie zu kennen, so ganz sicher konnte man da nicht sein.

O’Flynn humpelte nach vorn, blieb in der Kuhl einmal stehen und sah sich um.

Über ihm wölbte sich strahlend blauer Himmel. Es war angenehm warm. Der Wind blies aus Nord und jagte die „Isabella VIII.“ über das Meer. Es war eine Lust auf diesem Schiff zu fahren, dachte der Alte immer wieder, überhaupt wenn er sich um die lausige Navigation nicht zu kümmern brauchte. Dafür gab es Jüngere, wie seinen Sohn Dan, den die ganze Rechnerei geradezu berauschte und der sich mit wahrer Hingabe dem Schreibkram widmete.

Der ranke Dreimaster segelte unter vollem Zeug, die Segel waren prall gefüllt, und der Wind sang in der Takelage.

O’Flynn hatte also allen Grund, zufrieden zu sein, und doch war er es nicht ganz, denn tief in seinem Innern gab es wieder eine mahnende Stimme, die ihm etwas einflüsterte. Es war nur ein Wort. Das hieß „Sargassomeer“, und davor graute es ihn schon heute. Dort war es nicht geheuer, und er hätte wer weiß was darum gegeben, diesen Alptraum von Meer schon hinter sich zu haben. Das Sargassomeer war die bittere Pille auf dem Weg zur Schlangen-Insel, und an dieser Pille pflegte O’Flynn einige Tage lang zu schlukken.

Er dachte an die teuflischen Braunalgen, an Meermänner, Seespuk und Geisterschiffe, aber er nahm sich vor, diesmal mit keinem darüber zu reden. Alter Spökenkieker, sagten dann die meisten, obwohl sie sich hinterher meist lahm entschuldigten, denn ab und zu hatte Old O’Flynn tatsächlich das sogenannte Zweite Gesicht, auch wenn die Kerle das vorher nicht wahrhaben wollten.

Hasard und Philip grinsten ihn an, als er sich näherte und dicht vor dem angelehnten Kombüsenschott stehenblieb. Sie grinsten so harmlos wie immer, wenn sie etwas ausgefressen hatten – oder wenn sie dabei waren, etwas auszuhecken.

„Jubelt ihr dem Kutscher wieder Ratten unter?“ fragte O’Flynn. Das üble Spielchen kannten mittlerweile die meisten, aber der treuherzige Kutscher fiel immer noch darauf herein. Er hatte ihnen unlängst versprochen, jede tote, von den Zwillingen erlegte Ratte an Bord der „Isabella“ mit Kandiszucker oder einem anderen Leckerbissen zu honorieren, und von da an hatte es auf dem Rahsegler plötzlich von Ratten nur so gewimmelt. Ganze Heerscharen schienen sich in der Vorpiek und den Laderäumen aufzuhalten.

Die Zwillinge brachten dem Kutscher die erlegten Ratten, erhielten ihre versprochene Leckerei, bedankten sich artig und nahmen die toten Ratten dann gleich mit an Deck, um sie vor den Augen des Kutschers über Bord zu werfen.

Der Kutscher sah auch jedesmal etwas ins Wasser fliegen und zeigte sich hocherfreut. Nur waren das keine Ratten, sondern Holzstücke, und so erschienen die beiden etwas später wieder in der Kombüse und jubelten dem Kutscher die alten Ratten als neuerlegte unter.

Die beiden gaben sich entrüstet.

„Das tun wir nicht mehr, ganz bestimmt nicht“, versicherte Hasard ernstlich. „Wir spielen nur mit dem Papagei. Wir lernen ihm zu fliegen.“

Das Englisch, das die beiden sprachen, war noch etwas miserabel, und daher verbesserte O’Flynn: „Wir lehren ihn zu fliegen, heißt das.“

„Ja, wir lehren ihm, daß er fliegen kann.“

O’Flynn gab es auf, das mußte die Zeit mit sich bringen. Die beiden Kerlchen waren ohnehin Sprachtalente, und sie würden die Feinheiten schon noch lernen.

Er drehte sich um, stellte sich ans Schanzkleid, und es dauerte auch nicht lange, bis sein Mißtrauen erwachte. Verblüfft kratzte er sich mit dem Finger das Kinn.

 

Verdammt, dachte er. Wollten die gewitzten Rübenschweinchen, wie Carberry sie immer nannte, ihn foppen? Der Papagei konnte längst fliegen, dem brauchte man das nicht mehr beizubringen. Der flog sogar lange Runden um das gesamte Schiff, kurvte auch ab und zu ein Stück auf See hinaus und kehrte wieder zurück. Und da wollten die beiden ihm das Fliegen beibringen? Da stimmte doch etwas nicht!

Er musterte sie scharf, aber in den jungen Gesichtern lag alle Ehrlichkeit dieser Welt. Sie standen da, ihrem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten, hatten die Hände hinter den Rücken verschränkt und starrten aus eisblauen unschuldsvollen Augen in die Welt.

„Wenn ihr dem Affen das Fliegen beibringen wollt“, knurrte Old O’Flynn, „dann hätte ich das ja noch geglaubt. Aber dem Papagei – da müßt ihr euch schon etwas anderes einfallen lassen.“

Er sah sich nach dem Papagei um und zuckte zusammen, als der Aracanga plötzlich mit gesträubtem Gefieder kreischend, schimpfend und laut krächzend aus der Kombüse herausflatterte, verfolgt von dem grimmig dreinblikkenden Kutscher, der ihn mit lauthals gebrüllten Flüchen und Händegewedel zum Fockmast hochscheuchte.

Da blieb das „Mistvieh“, wie Donegal es nannte, aufgeplustert hocken und hackte mit seinem starken Schnabel voller Bosheit Löcher in die Luft. Wie ein bis aufs Blut gereizter Hahn sah er jetzt aus.

„Was ist los, Kutscher?“ fragte O’Flynn.

Der Kutscher, seinen wirklichen Namen hatte er den Männern an Bord nie verraten, blickte verstört drein und warf dem krächzenden Papagei wilde Blicke zu.

„Ich weiß nicht, was, zum Teufel, in diesen lausigen Federbalg gefahren ist, Donegal“, sagte er. „Dauernd kreuzt das Vieh in der Kombüse auf, fliegt mir über den Schädel, jagt über die Kessel und den Herd und krächzt in der Kombüse herum. Das geht jetzt schon einige Tage so. Wenn ich das Vieh erwische, dann gibt’s eine schmackhafte Brühe, das verspreche ich dir.“

Donegal drehte sich um und warf den Zwillingen einen fragenden Blick zu, aber die hoben nur die Schultern. Ihre Gesichter waren ratlos, und sie grinsten auch nicht.

„Ihr bringt ihm doch angeblich das Fliegen bei“, sagte Donegal mißtrauisch. „Weshalb dann ausgerechnet in der Kombüse?“

Die beiden spielten wieder Unschuldslämmer.

„Vielleicht Sir John lieben Kutscher“, vermutete Hasard ernsthaft. „Oder hat vielleicht Hunger.“

„Ich kriege das schon noch heraus“, versprach der Alte grimmig. „Da steckt etwas dahinter, eine Lausbuberei, das weiß ich. Außerdem ist Sir John auffallend oft in eurer Nähe, und ich habe gesehen, daß ihr ihn füttert.“

„Sir John hat auch Hunger“, sagte Philip.

Der Alte blieb mißtrauisch. Was die Zwillinge mit dem Papagei taten, sah fast nach einer Dressur aus, aber Donegal blickte da noch nicht durch.

Der Aracanga hatte sein Krächzen aufgegeben und segelte aus luftiger Höhe wieder auf Klein-Hasards Schulter.

Der Kutscher donnerte das Schott zu und ließ sich nicht mehr blicken.

„Keine Lumperei“, warnte O’Flynn noch einmal nachdrücklich.

Dann ging er zurück aufs Achterdeck, wo Hasard, Dan und Ben Brighton immer noch damit beschäftigt waren, den Kurs abzustekken und die Position zu bestimmen.

„Alles in Ordnung?“ fragte der Seewolf.

„Ich weiß nicht, was die Burschen wieder aushecken, aber der Papagei fliegt ständig durch die Kombüse, und der Kutscher hat ziemlich üble Laune.“

„Vielleicht necken sie ihn nur. Ich sehe da jedenfalls nichts Schlimmes.“

„Ich auch nicht“, sagte Donegal, „wenigstens noch nicht.“

Damit war das Thema vorerst erledigt, und man schrieb es dem Spieltrieb der Zwillinge zu, die sich ja mit irgend etwas beschäftigen mußten.

Etliche der Seewölfe waren damit beschäftigt, die Kammern und Aufenthaltsräume des Schiffes auszuwaschen und zu durchlüften. Das wurde jede Woche einmal praktiziert, damit an Bord immer Sauberkeit herrschte.

Old O’Flynn zuckte plötzlich zusammen, als das berüchtigte Stichwort fiel. Ausgerechnet sein Sohn sagte es.

„In ein paar Tagen segeln wir wieder durch das Sargassomeer. Das erinnert mich immer daran, als wir durch Zufall die Schlangen-Insel fanden und dort auf die Rote Korsarin stießen. Hoffentlich bleiben wir diesmal nicht wieder in den verdammten Algen hängen.“

Hasard schüttelte den Kopf. „Diese Algenfelder gibt es nicht das ganze Jahr, soviel ich gehört habe. Sie treten periodisch auf, ballen sich dann zusammen und lösen sich auch wieder auf.“

O’Flynn wurde ganz kribbelig zumute. Er lehnte mit verkniffenem Gesicht an der Schmuckbalustrade des Achterdecks und trommelte mit den Fingern ungeduldig auf dem Handlauf herum. Mißmutig blickte er in das quirlige Wasser, das blasenreich an der Bordwand der „Isabella“ vorbeizog und sich achteraus zu einer schaumigen langen Bahn vereinigte.

Ein Fisch sprang aus dem Wasser, schnalzte hoch, breitete seine Flossen aus und flog neben dem Schiff über dem Wasser her.

„Ein fliegender Hering!“ schrie O’Flynn. „Mann, der ist ja bald schneller als wir.“

Zwei weitere fliegende Fische sausten aus dem Wasser, und das brachte die Crew auf die Beine.

„Los, bewaffnet euch mit Haken!“ rief Hasard. „Das gibt eine köstliche Abwechslung.“

Die Seewölfe kannten das Phänomen der fliegenden Fische durch ihre zahlreichen Fahrten. Es war beileibe kein Spiel, wenn die Fische, aufgescheucht durch den Bug der „Isabella“, seitwärts aus dem Wasser sprangen und durch die Luft segelten. Nicht selten legten sie dabei mehr als hundert Yards fliegend zurück.

Wo immer die Fische flogen, gab es die großen Bonitos oder Makrelen, die sich auf ihre Beute stürzten und sie gierig verschlangen, sobald sie ins Meer zurückglitten.

Hasard blickte nach achtern ins Wasser und sah seine Vermutung augenblicklich bestätigt. Ein riesiger, wie ein Komet dahinziehender Schwarm Bonitos begleitete das Schiff. Tausende von glitzernden Fischleibern zogen in einem riesigen Schwarm dahin und stürzten sich auf die fliegenden Fische. Hatte sich einer in einen der Flugfische verbissen, so geschah es nicht selten, daß ein Bonito sofort den anderen angriff und aus seinem Leib handtellergroße Stücke Fleisch herausfetzte. Bonitos waren grausame Kannibalen, und sie wiederum zogen Haie an, die sich an dem Mahl beteiligten.

Ferris Tucker hatte sich von Will Thorne weiße Leinenfetzen geben lassen. Das weiße Tuch war ein guter und billiger Köder, den die Bonitos gierig angingen.

In aller Eile wurden die weißen Lappen um dreizöllige Eisenhaken gewunden und mit langen dünnen Leinen versehen.

Die ersten flogen bereits über Bord, als der Kutscher schon aufgeregt erschien und sich die Hände rieb.

„Denkt an die Haie!“ schrie er. „Mit dem ersten Bonito als Köder fangen wir einen Hai, und dann gibt’s die nächsten Tage immer frischen Fisch. Wir haben jede Menge Tomaten an Bord von den Azoren. Ich werde euch ein Essen zaubern – ah – da werdet ihr ewig dran denken.“

„Los, drauf auf die Burschen!“ rief der Profos. „Wir werden den Kutscher beim Wort nehmen.“

2.

Der erste Bonito biß an dem Fetzen an, den Smoky in der Hand an langer Leine hielt. In wilder Gier stürzte sich der Bonito auf den umwickelten Haken und hing fest.

Der Decksälteste holte Hand über Hand die Leine ein und mußte sich mächtig anstrengen, seinen Fang an Bord zu hieven, denn jetzt begann der Bonito zu toben und zu zappeln.

Smoky schleuderte ihn in die Kuhl, wo der Kutscher schon gierig auf ihn lauerte.

„Himmel“, sagte er, „der Bursche dürfte gut und gern seine zwanzig Pfund haben.“

Ein neuer Haken wurde gebracht, fast so stark wie ein Männerarm, auf den der Kutscher den Bonito als Köder spießte. Er wartete aber noch damit, ihn über Bord zu werfen.

Inzwischen bissen auch an die anderen Leinenfetzen die großen Hochseefische in unbeschreiblicher Gier an. Kaum war der umwickelte Haken im Wasser, stürzten sich von allen Seiten die Bonitos darauf, bissen sich fest, schluckten den Haken und wurden von ihren eigenen Artgenossen noch am Köder hängend angegriffen.

Hinter der „Isabella“ kochte und brodelte das Meer. Breite silberne Streifen wälzten sich durchs Wasser, dann erschienen die ersten dreieckigen Flossen in dem Rudel.

Stenmark hievte seine Beute an Bord, Tucker zog den nächsten heraus, Shane holte seine Beute ein, und innerhalb kürzester Zeit lagen auf den Planken mehr als zwei Dutzend große Bonitos.

Dann stob der Riesenschwarm blitzartig auseinander, als die Haie dazwischenfuhren. Das Gewühl wurde größer, in der See tummelten sich Riesenleiber, doch dann war es schlagartig vorbei.

Die Haie hatten das Nachsehen, als der Schwarm aus blinkenden Leibern nach allen Seiten davonstob.

Sechs oder sieben Haie bewegten sich flink im Kielwasser des Rahseglers, aber sie fanden keine Beute mehr.

Der Kutscher warf seinen Köder über Bord und hielt die starke Leine in der Hand.

„Du willst wohl über Bord gehen, was?“ sagte Carberry. „Glaubst du etwa, du kannst den Burschen lässig mit einer Hand halten, wenn er anbeißt! Mann, belege das sofort am Poller, oder gib mir die Leine! Du gehst garantiert nach achtern ab, wenn der Köder sitzt.“

Carberry, Tucker und Shane befanden sich jetzt in der Kuhl.

Die Leine war belegt worden. Der Bonito tobte an seinem Haken und sprang immer wieder aus dem Wasser.

Ein Schatten schoß auf ihn zu und beschrieb eine halbe Drehung im Wasser. Sekundenlang klaffte ein entsetzlich großes, mit scharfen Doppelreihen Zähnen bewehrtes Maul auf. Der zwanzig Pfund schwere Fisch verschwand in dem Rachen und wurde verschluckt, einschließlich des schweren Hakens.

„Aufpassen!“ schrie Carberry. „Jetzt geht’s rund!“

Als der Hai merkte, daß er mit dem Fisch zusammen auch noch etwas geschluckt hatte, das er eigentlich nicht wollte, begann er wie rasend auf Tiefe zu gehen.

Carberry fierte Leine nach, bis der Holzpoller zu qualmen anfing und kleine Rauchwölkchen emporstiegen.

Tief unter ihnen begann das Tiefsee-Ungeheuer zu toben, kehrte wieder an die Oberfläche zurück und schoß halb aus dem Wasser.

Carberry und Shane holten die Leine wieder ein, fierten nach, und begannen zu schwitzen.

Immer öfter sprang der große Hai aus dem Wasser, riß den Rachen auf, um den Haken loszuwerden, schlug mit dem Schwanz wild um sich und krachte einmal gegen die Bordwand, daß die Erschütterung die Planken ächzen ließ.

„So kriegen wir ihn nicht“, meinte der ehemalige Schmied von Arwenack, Big Old Shane. „Wir müssen ihn weiter achteraus toben lassen, bis er die Kräfte verliert und ermattet. Wir stecken noch eine Leine an die andere und lassen ihn hinterherschwimmen.“

Das Tau wurde verlängert und Lose gegeben. Der Hai drehte ab und zog die Leine hinter sich her.

Mehr als sechzig Faden liefen nach und immer mußte noch weitergefiert werden, denn der gefräßige Bursche fand sich noch lange nicht mit seinem Schicksal ab.

Länger als eine Stunde tobte er im Kielwasser der „Isabella“ herum, sprang aus dem Wasser, wälzte sich herum, bis man seine helle Unterfläche sah, und versank dann wieder.

Ab und zu tauchte er ganz überraschend neben der Bordwand auf, knallte gegen die Planken und schlug wild mit dem Schwanz.

Die „Isabella“ segelte weiter, aber der Bursche brachte es fertig, die Fahrt des Schiffes merklich zu verzögern.

Das ging nochmals eine Stunde so, dann war der Gigant der Tiefsee erschöpft und ließ sich ziehen.

Der Kutscher sprang aufgeregt an Deck hin und her. Er konnte es nicht erwarten, bis der Riesenfisch an Bord war. Aber das dauerte noch eine ganze Weile und war nur mit der Hilfe von etlichen Männern zu bewältigen.

Hasard ließ die Segel bergen, bis die „Isabella“ nur noch langsam in der See dümpelte.

„Vorsicht, wenn ihr ihn an Bord holt“, warnte er. „Auch wenn er entkräftet ist, ist er immer noch gefährlich genug! Paßt also auf und geht nicht so dicht ran!“

Die Jagd auf den Riesenfisch hatte die Gemüter erhitzt. Endlich gab es wieder Abwechslung und dazu die Aussicht auf frischen Fisch. Hai war ein Lekkerbissen, das wußten die Seewölfe zu schätzen, obwohl sein Fleisch von vielen anderen verschmäht wurde. Aber die waren auch noch nicht so weit herumgekommen wie die Crew des Seewolfs.

 

Eine Talje wurde am Mast befestigt, dann eine weitere.

Carberry ließ eine Tauschlinge ins Wasser, und nach vielen Versuchen gelang es ihm, sie dem Hai über die Schwanzflosse zu streifen und mit einem Block zu verbinden.

„Hiev auf!“ rief der Profos. „Und denkt daran, was der Kapitän gesagt hat!“

Mit vereinten Kräften wurde gehievt, bis der Hai mit dem gewaltigen Schwanz voran aus dem Wasser tauchte. Als er frei in der Luft hing, begann er noch einmal zu zappeln, und die Männer hatten alle Mühe, ihn in die Kuhl zu hieven.

Er lag kaum auf den Planken, als Hasard wieder Segel setzen ließ und die „Isabella“ Fahrt aufnahm.

Ferris Tucker, der rothaarige Schiffszimmermann, griff zu seiner angsteinflößenden Riesenaxt und tötete den Hai mit drei blitzartig geführten Hieben.

Dann wurde er zum Ausschlachten wieder hochgehievt.

Da geschah das, wovor der Seewolf gewarnt hatte.

Obwohl alle sicher waren, daß die drei Axtschläge den Hai getötet hatten, steckte noch Leben in ihm, und das äußerte sich in einem wilden Sprung, bei dem sich der Riesenkörper wild durchbog.

Die Belastung für das Tau wurde zu stark, und es brach mit einem hellen Knall.

Der große Hai fiel polternd und unter lautem Getöse auf die Planken der Kuhl und ließ das ganze Deck heftig erzittern.

Der Gambia-Neger Batuti, der schwarze Herkules aus Afrika, sprang mit einem wilden Fluch zur Seite, als der Körper dicht neben ihm aufschlug, aber Batuti war nicht mehr schnell genug.

Der Schwanz peitschte ein letztes Mal über Deck und erwischte den Herkules. Der schwere riesengroße Mann wurde weggefegt, als wäre er eine Feder. Der Schlag warf ihn quer durch die Kuhl, über die Gräting weg bis zur anderen Seite des Schanzkleides, wo er hart dagegenkrachte.

„Himmel!“ rief der Kutscher. „Der hat sich jeden Knochen einzeln gebrochen, der arme Kerl.“

Er rannte zu Batuti hinüber, doch der dunkle Riese erhob sich und schüttelte seine mächtige Faust.

„Mistfisch!“ schrie er, „Trittarsch, Krummhund! Verdammich, hat viel Kraft, das elende Hai. Batuti fressen auf, ganz allein.“

Der Neger wurde ungläubig angeblickt, als wäre ein Wunder geschehen. Er aber trug nicht die geringste Verletzung davon. Dafür fluchte er lauthals auf den hinterhältigen Fisch.

„Und dir fehlt wirklich nichts?“ fragte der Kutscher staunend.

„Batuti nix fehlen“, wehrte der Neger unwirsch ab. „Aber verdammichtes Hai gleich alles fehlen, was hat.“

Die Spannung löste sich in einem befreienden Gelächter, als Batuti haarklein schilderte, was er dem nun endgültig toten Fisch noch alles antun würde.

„Das waren die letzten Reflexe“, sagte der Kutscher. „Ich bin sicher, daß Ferris ihn getötet hat, aber in Zukunft wißt ihr etwas besser Bescheid.“

„Damit konnte niemand rechnen, du Kombüsenquietscher“, sagte der Profos. „Er hing schon oben zum Ausschlachten, und nur weil das verdammte Tau brach …“

Er winkte ab, und dann gingen sie wieder daran, den Riesenfisch zum Ausschlachten hochzuhieven. Diesmal rührte er sich nicht mehr.

Der Hai wurde zerlegt, zerteilt, und die eßbaren Teile in große Stücke geschnitten. Einige davon wollte der Kutscher als Freßreserve, wie er sagte, zum Trocknen an Deck hängen, für schlechte Zeiten, der Rest sollte für ein paar Tage schmackhaftes Essen abgeben.

Am Mittag, als die Sonne ihren höchsten Stand überschritten hatte, war es dann soweit. Der Kutscher hatte Wort gehalten.

Aus dem Tomatenvorrat hatte er eine dicke Brühe gekocht, und dazu gab es dickgeschnittene, in der Pfanne gegarte Fischstücke.

Darüber goß der Kutscher eine dicke Schicht Tomatensoße.

„Und da behauptet man immer, die Haie seien Mistviecher“, sagte Carberry verzückt. „Mir hat selten ein Hai so gut gefallen wie dieser.“

„Ja, das merkt man“, sagte Luke Morgan sarkastisch. „Du frißt ihn ja auch fast allein.“

„Was?“ rief Ed. „Ich habe erst drei oder vier Stücke gegessen.“

„Und jedes Stück wiegt zwei Pfund. Außerdem war es dein fünftes Stück Fisch“, warf der Kutscher ein.

Aber dafür hatte Carberry nur ein verächtliches Lachen übrig.

„Normalerweise steht einem Profos der ganze Hai zu“, sagte er laut. „Aber so bin ich nun mal zu euch Rübenschweinen, jeder kriegt trotzdem seinen Teil.“

Da konnten die Seewölfe nicht umhin, gerührten Herzens Carberrys Großmut und seine Freigebigkeit zu loben, bis dem Profos tatsächlich der Appetit auf weiteren Fisch verging. Aber das lag wohl hauptsächlich daran, daß er jetzt schon das sechste Stück verdrückt hatte.

Vier Tage noch blies der Wind genau aus Norden, dann, am Morgen des fünften Tages, als sie sich dem nördlichen Wendekreis näherten, begann der unberechenbare Geselle zu drehen und wehte aus Nordost.

Das bedeutete, daß die „Isabella“ jetzt platt vor dem Wind laufen konnte und so gut wie keine Segelmanöver mehr ausgeführt werden mußten.

Das war das, was man als ideales Segelwetter bezeichnen konnte. Nur dem Seewolf gefiel es nicht, und ein paar anderen erging es ähnlich.

„Zu dieser Jahreszeit und in dieser Ecke der Welt“, sagte der Seewolf, „folgt dem Drehen des Windes meist eine Flaute. Ich halte meinen Kopf dafür hin, daß wir spätestens morgen in einer prächtigen Kalme liegen.“

Ben Brighton und Dan pflichteten ihrem Kapitän bei. Der Atlantik in dieser Ecke war schon immer unberechenbar gewesen. Sie hatten diese Erfahrung mehr als einmal am eigenen Leib kennengelernt. Etwas später briste es jedoch auf, und Old O’Flynn rieb sich die Hände.

„Der Wind steht“, behauptete er. „und er bleibt stehen, sonst hätte ich längst mein Holzbein gespürt. Aber es klopft nicht, und es zieht auch nicht. Wir kriegen vielleicht sogar einen kleinen Sturm, der uns über das Wasser jagt.“

„Ich hätte nichts dagegen“, sagte Dan. „Lieber einen kräftigen Sturm, als in den Kalmen zu hängen. Denn wenn wir drinhängen, befinden wir uns genau in deinem Lieblingsgewässer, Dad, im Sargassomeer nämlich.“

„Willst du wohl deinen vorlauten Schnabel halten“, fuhr der Alte auf. „Du beschwörst das Unglück ja geradezu mit deinen lästerlichen Worten herauf! Ich habe absichtlich vermieden, darüber zu sprechen, und jetzt fängst du damit an!“

„Ich spreche nur von Tatsachen“, erwiderte Dan.

Der Wind, der jetzt achterlich stark einfiel, briste auch in der nächsten Stunde noch härter auf, so daß der Papagei Mühe hatte, sich auf der Rah zu halten. Aber er blieb oben und flog nicht herab. Im Gegensatz zu ihm hockte der Schimpanse Arwenack an Deck und tollte mit den Zwillingen herum.

Noch etwas später wurde der Nordost böig, und da wußten alle, was es an Bord der „Isabella“ geschlagen hatte.

Außerdem gab es zwei weitere untrügliche Anzeichen für eine Wetteränderung. Sir John hatte sich aufgeplustert und war durch keinen Leckerbissen dazu zu bewegen, seine luftige Höhe zu verlassen. Er hörte auch nicht auf den Profos, seinen Liebling, obwohl der ihn öfter rief. Auch Arwenack hockte lustlos herum und bleckte die Zähne, wenn ihn jemand streicheln wollte.

„Die Tiere spüren das viel eher als wir“, sagte Ben Brighton, dem die Haare wirr vom Kopf abstanden. „Immer wenn das Wetter umschlägt, haben sie schlechte Laune und sind reizbar.“

Bis zum Nachmittag blieben die Böen, dann wurden sie schwächer, der Wind schralte und über die See fuhren Schleier, die wie ein großes Waschbrett aussahen.

In den Augen der Seewölfe lag Besorgnis. Nicht, daß sie es besonders eilig hatten, aber das Gefühl, sich bald in einer Kalme zu befinden, war für jeden Seemann unbehaglich. Unter Umständen konnte das den sicheren Tod bedeuten. So manche Mannschaft war schon verhungert oder verdurstet, weil der Wind das Schiff nicht mehr weiterbewegte und die Vorräte zur Neige gingen.

O’Flynn murmelte leise Beschwörungen vor sich hin und verfluchte sein Holzbein, das diesmal keinen Wetterumschwung angezeigt hatte.

Auch die See wurde zusehends ruhiger. Aus der prachtvoll rollenden Dünung wurden lange flache Wellen, die merklich an Kraft verloren.

Weiter flaute der Wind ab, und zum erstenmal sah man jetzt, wie am Horizont bleigraues Wasser direkt in der Luft zu schweben schien. Es war eine lange graue Bank, die sich nicht bewegte, eine Bank aus ruhigem Wasser, das die Wärme scheinbar in den Himmel hob und dort festhielt.

Der Profos stieß einen ellenlangen Fluch aus, als das Großsegel zu schlagen begann, sich aber noch einmal mit Wind füllte. Er stand an Deck, blickte zu den Flögeln hinauf und sah so grimmig aus, als würde er gleich ins Wasser springen, um das Schiff zu schieben.

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