Der Sohn des Glücklichen

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Leo war ein guter Pool-Spieler, man sah sofort, dass er nicht zum ersten Mal spielte. Aber auch Betty beherrschte es, die Kugeln zu versenken. Da ich auch oben Lautsprecherboxen montiert hatte, konnten die fünf weiterhin Musik hören. Ich stellte mir immer zuhause einen Musikmix für den Abend zusammen. Die Reihenfolge der Lieder konnte ich dann mittels Mausklick am Computer individuell, je nach Stimmung im Lokal verändern. Ich hatte natürlich meinen eigenen Musikgeschmack, den ich meinen Gästen aber durchaus zumuten konnte und der auch immer großen Anklang fand. Da in mein Lokal eher reiferes Publikum kam, war die Musik aus der Vergangenheit und nicht aus der Gegenwart. Leo und Paco gingen auf die Toilette. »Sag einmal Leo, stehst du eher auf dunkelhaarige...« »Warum fragst du?« fiel ihm Leo in´s Wort. »Naja, die Mädls sind ja beide nicht zu verachten und der Abend ist ja noch jung, also könnten wir doch die Prioritäten besprechen.« »Du meinst wohl deine Prioritäten.« »Nein, ich habe ja keine, ich würde ja beide...aber. Bist du eigentlich verheiratet? Ich wollte dir nicht zu nahe treten. Ich meine, wenn du verheiratet bist, Treue ist ja okay.« »Ich bin geschieden und derzeit auch in keiner festen Beziehung« sagte Leo. »Weißt du Leo, ich sage immer, lieber stop and go als gar keinen Verkehr.

Du solltest es nicht zu einem Stau kommen lassen, da ist es dann schon besser, wenn du ins Puff zur Wurzelbehandlung gehst.« Leo musste lachen und dann lachten beide und waren in diesem Moment froh, sich kennengelernt zu haben. »Was ist eigentlich mit Theo?« wollte Leo wissen. »Was soll mit ihm sein?« »Der ist doch eher mit seiner Literatur und seinen Filmen in Beziehung, oder vielleicht ist er schwul.« »Nein, nein, schwul ist der nicht.« »Woher willst du das wissen?« »Ich habe ihn beobachtet, wie er die Mädels angesehen hat, der ist hetero.« »Also, ich denke du verstehst dich ganz gut mit Betty, oder?« »Du willst also jetzt schon das Fell verteilen, obwohl wir nicht einmal wissen, ob diese Rehlein erlegt werden wollen.« »Alle wollen erlegt werden, glaub mir. Ich spreche nicht nur als Mann sondern auch als Frauenarzt. Ich bin sozusagen Frauensachverständiger, und als solcher kann ich dir sagen, Frauen sollten wie Polizeihunde sein, folgsam, willig, demütig und scharf. Ich kenne die Frauen, innen und außen. Ich habe schon mehr Muschis gesehen als Warren Beatty.« Beide schüttelten ab und Leo schüttelte auch seinen Kopf. Als die beiden zurückkamen tanzte Theo mit Betty und Stella auf den wenigen Quadratmetern die zwischen Tisch, Stühlen und Billardtisch frei waren. Hot Chocolate sangen »You sexy thing.« Theo tanzte zwischen den zwei Frauen, die sich perfekt zum Rhythmus bewegten und ihn immer wieder mit ihren Körperteilen berührten.

Sie sangen alle drei den Liedtext mit, Theo wurde sehr laut, er legte er sich mächtig ins Zeug. »Weißt du jetzt, dass er nicht schwul ist« sagte Leo mit einem Grinsen zu Paco. Die beiden gesellten sich auf der engen Fläche antanzend dazu. Ich konnte die Tanztruppe von unten auf meinem Monitor sehen. Die obere Etage hatte eine Überwachungskamera, die aber sehr gut getarnt war. Einerseits wusste ich, welche Musik ich spielen musste, um die Laune der Leute und den Umsatz zu steigern, andererseits hätte ich gerne mit Stella alleine getanzt, und zwar ganz eng. Ich stellte mir vor, dass wir einen Tango tanzen. Immer wieder auseinander und dann wieder eng zusammen. Ich würde meinen Oberschenkel zwischen ihre Beine schieben. Sie würde mich wegstoßen um mich beim nächsten Takt gleich wieder zu sich ziehen um mich noch enger an sich zu drücken. »Barmann, wir haben Durst!« kam es von oben, so wurde ich von meiner Phantasie in die Realität zurückgeholt. Als ich die Drinks serviert hatte und wieder hinter meiner Bar stand, betrat ich erneut meine Phantasiewelt. Ich stellte mir vor, dass die drei Männer bald so abgefüllt sein werden, dass ich praktisch den Retter für die Damen spielen musste.

Ich malte mir folgendes Szenario aus: Theo hing über der Toilette und kotzte sich alles raus was drinnen war. Paco und Leo prügelten sich um Betty und Stella, oder nein, anders - Theo kotzte, das konnte bleiben, aber Leo ging mit Betty nach Hause und Paco bekam einen Anruf, dass er dringend in seine Praxis müsse. Jetzt wären Stella und ich alleine und sie könnte mir den Ich-habe-gewusst, dass-es-passieren-würde-Blick zuwerfen. »Träum weiter!« hörte ich jemanden sagen. Es hat aber nicht mir gegolten, die Herren mussten sich jetzt beweisen und Paco hatte gewettet, dass er mit einem Stoß fünf Kugeln versenken könne. Die Wette gilt, schrie Leo, und Theo hatte mittlerweile die wahrscheinlich doch nicht so gut getarnte Überwachungskamera entdeckt. Er zeigte mir fünf Finger und machte dann eine Trinkbewegung. Ich kannte mich aus und machte die Drinks fertig. Ich legte nun ein paar Sinatra und Dean Martin Klassiker auf und zwischendurch ließ ich Sade singen, wobei ich mir „no ordinary love“ noch aufsparte.

Kapitel 4 Der Sattel von John Wayne

Meinen Lieblingssong von den Stones, nämlich »Moonlight mile« spielte ich meistens als letztes Lied, bevor ich das Lokal schloss. Manchmal spielte ich das Lied auch, wenn alle Gäste weg waren und nur noch ich alleine mit den Gerüchen, ein Mix aus Rauch, Alkoholdunst, Schweiß und Parfum war. Dann machte ich mir einen Drink und setzte mich auf meinen Spezialhocker, den ich hinter dem Tresen stehen hatte. Es war eine Sonderanfertigung, die eine Freundin mir einmal zum Geburtstag schenkte. Er hatte statt einer Sitzauflage einen Sattel von John Wayne. Sie hatte den Sattel in Los Angeles ersteigert und angeblich gehörte er wirklich John Wayne. Sie brachte einen Lederfleck darauf an, wo sie folgenden Spruch einprägen ließ: »Mut ist, wenn man Todesangst hat, aber sich trotzdem in den Sattel schwingt.« ein Zitat von John Wayne. Die Satteltaschen waren auch dabei, diese waren gefüllt mit einem, nicht gewaschenen Höschen von ihr, bestem irischen Whiskey, schottischem Whisky und kubanischen Zigarren. Den Whisky und die Zigarren habe ich konsumiert, das Höschen habe ich noch. Mittlerweile ist es natürlich verduftet. Diese Freundin machte mir immer besondere Geschenke. Sie war sehr phantasievoll, nicht nur was Geschenke betraf. Ein anderes Mal schenkte sie mir einen Pfirsichbaum, also sie pachtete ein kleines Stück Grund bei einem Bauernhof und pflanzte dort einen Pfirsichbaum.

Eine Sorte die wohl geformt war und so knackig, dass man reinbeißen musste. Sie hatte so ein wohl geformtes Hinterteil und sie wusste, dass ich gerne in diese zarte Pfirsichhaut biss. Sie pflanzte also diesen Pfirsichbaum und gab der Sorte ihren Namen. Der Baum steht heute noch, die Pacht übernahm nach unserer Trennung ich und er trägt immer noch diese herrlich geformten und wohlschmeckenden Früchte, die mich immer noch an diese Frau erinnern. Eine wirklich sehr phantasievolle Frau. Menschen mit Phantasie langweilen sich nie, oder man könnte es auch mit Albert Einstein sagen: Phantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt. Natürlich waren ihre Geschenke keine Einbahnstraße. Ich war nicht so vermögend wie Gunter Sachs und ließ auch keine Rosen aus dem Hubschrauber werfen, außerdem wäre das ja nachgemacht und daher nicht sehr originell gewesen. Einmal mietete ich eine Almhütte. Wir wanderten dorthin, wobei sie noch nicht wusste, dass wir die Nacht dort verbringen würden. Ich schaffte schon am Vortag die Verpflegung dorthin. Ich hatte nur mehr einen Rucksack mit. Sie ging ja davon aus, dass wir am selben Tag wieder heimgingen und zuhause die Überraschung wartete. Die Hütte war ziemlich abgelegen und wir mussten zuerst mit der Seilbahn und danach noch einige Stunden gehen, dafür waren die Lage und die Aussicht grandios.

Als wir auf der Alm ankamen, war es schon reichlich spät und sie drängte schon auf eine Umkehr. Ich ging mit ihr zu der einsam gelegenen Hütte, nahm den Schlüssel aus der Tasche und sperrte auf. Wir traten ein und der Tisch war reich gedeckt, ihre Lieblingstorte und ein Blumenstrauß mit Almblumen standen ebenfalls auf dem Tisch. Außerdem war im kalten Quellwasser Champagner eingekühlt. Der Kamin war gefüllt mit Buchenholz und bereit angefeuert zu werden. Sie nahm meine Hände, schaute mir tief in die Augen, gab mir diesen Ich- liebe-dich-Blick und küsste mich leidenschaftlich. Nachdem wir sehr gut gegessen und getrunken hatten, saßen wir draußen auf einer Holzbank in Decken gewickelt und betrachteten den Sternenhimmel, den man hier noch sehen konnte. Keine Menschen, kein Netz, kein Lärm und reine Luft. Diese Nacht werden wir beide wohl nie vergessen. Betty und Leo machten eine Tanzpause und setzten sich zusammen. »Siehst Du das als Widerspruch, wenn man auf Männer mit Waschbrettbauch steht und trotzdem einen fetten Buddha zuhause stehen hat?« fragte Betty. »Du denkst also darüber nach, was ich gesagt habe. Ich widerspreche einer Frau solange nicht, bis sie es selber tut. Und ich denke, wenn du dich mit der Thematik Buddhismus, oder besser mit allen Weltreligionen und Sekten besser auseinandersetzt, wirst auch du eine andere Meinung vertreten.

Nur weil Richard Gere oder irgend ein anderer Promi den Buddhismus toll findet, muss man da nicht gleich hinterherlaufen.« »Du bist sehr überzeugt von dem was du sagst, vielleicht werde ich mich wirklich etwas näher damit beschäftigen. Deine Arbeitslosigkeit ist sicher belastend für dich.« »Ja, aber frag mich bitte jetzt nicht, ob ich einen Plan B habe, denn ich habe schon alle Pläne von A-Z durch. Ich hätte viele Ideen, kann diese aber wegen Absurdität oder mangels Kapitals nicht umsetzen.« »Und wie sieht es mit deinem Privatleben aus?« wollte Betty wissen. »Weißt du, wenn du den Job verlierst, deine Frau und etliche materielle Dinge, dann hast du schon viel zum Nachdenken. Du musst aufpassen, dass du nicht die Balance verlierst. Ich habe viele Menschen in den letzten Jahren meiner Arbeitslosigkeit kennen gelernt, die ihre Balance verloren haben, zu trinken angefangen haben oder einfach keine Zukunftsperspektive mehr sehen. Das größte Problem, das ein Langzeitarbeitsloser hat ist, dass das Umfeld, sprich die Menschen, den Respekt verlieren. Das passiert auch im engsten Kreis, Frau, Freunde etc. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass dein Selbstwert im Keller ist, du ein Außenseiter der leistungsorientierten Gesellschaft bist. Außerdem wird auch oft unterstellt, man will ja nicht arbeiten und ein Riesenarschloch hat es einmal als Komfortzone bezeichnet. Arbeitslosigkeit als Komfortzone zu bezeichnen, das ist purer Zynismus.«

 

Kapitel 5 Ein eifersüchtiger Belgier

Paco baggerte mittlerweile bei Stella. »Du hast eine Praxis, eine Facharztpraxis?« wollte Stella wissen. »Ich kann dir gerne einen Termin geben, wenn du willst noch heute.« und reichte Stella seine Visitenkarte. »Viva la vulva« las Stella mit einem Schmunzeln laut vor. »Nein danke, Herr Doktor, ich bin in besten Händen und sehr zufrieden mit meinem Gynäkologen.« »Wartet eigentlich keiner auf dich zuhause?« wollte Paco wissen. »Natürlich, der arme Kerl, ich sollte schon längst zuhause sein« sagte Stella mit Blick auf ihre Uhr. »Er ist sehr besitzergreifend, manchmal sogar schon ein bisschen übertrieben. Wenn wir unterwegs sind, lässt er mich keine Minute aus den Augen. Er ist Belgier, durch seine Größe und seine Stärke strahlt er natürlich auch eine gewisse Souveränität aus und wirkt oft einschüchternd auf andere. Carlos ist einfach mein Liebling. Ich glaube, dass ich vorher noch nie so geliebt habe. Und ich bin für ihn sowieso der wichtigste Mensch auf dieser Erde.« »Wird er auch gewalttätig?« fragte Paco schon etwas ängstlich. »Nur wenn er angegriffen wird, aber das passiert ganz selten, so dumm ist normalerweise keiner.« »Er, dieser Belgier, also dieser Carlos spioniert dir aber nicht nach, oder kommt das auch vor.« »Nein, das kann er ja nicht, er kommt ja nur bis auf die Dachterrasse raus.

Da habe ich ihm ein Plätzchen eingerichtet mit einer kleinen Grünfläche und einem Bäumchen, dass er im Notfall sein Geschäft verrichten kann.« »Dieser arme Hund« seufzte Paco. »Mein Hund ist nicht arm, er ist mein treuester Begleiter und ich würde alles für ihn tun.« Jetzt wurde Paco erst klar, dass es sich wirklich um einen Hund handeln würde. »Ich dachte, du sprichst von einem Mann, dabei hast du einen Hund!« Stella grinste jetzt bis über beide Ohren und freute sich den Herrn Doktor auf die falsche Fährte geführt zu haben. »Du dachtest wohl schon, jetzt kommt gleich ein großer, breitschulteriger Belgier in das Lokal, macht mir eine Szene und verpasst dir eine.« »Naja, ich gebe zu, ein etwas ungutes Gefühl habe ich schon bekommen.« »Du brauchst keine Angst haben, mein belgischer Carlos ist ein ganz lieber Schäferhund.« Theo, der das Gespräch mitgehört hatte, zeigte verstohlen seine Belustigung, musste aber einen Kommentar anbringen: »Siehst du Paco, es gibt so viele falsche Hunde.« Er setzte sich zu den beiden, um noch augenzwinkernd ein Zitat nachzuschießen: »Ich glaube, es war Louis Armstrong, der gesagt hat, mit einem kurzen Schwanzwedeln kann ein Hund mehr Gefühle ausdrücken, als mancher Mensch mit stundenlangem Gerede.«

Kapitel 6 Dichtung und Wahrheit

Paco lehnte sich mit einem Seufzer zurück. »Du bist ja ein richtiger Philosoph« sagte Stella zu Theo. »Ja, ich bin ein Freund der Weisheit, ich bin ja auch ein Freund der Literatur und wollte immer Schriftsteller werden. Gereicht hat es leider nur zum selbstständigen Buchhändler.« »Aber du bist doch sehr kreativ, wenn ich an deine selbst signierten und mit Widmungen verkauften Fakebücher, wenn ich das einmal so sagen darf, denke.« Theo fühlte sich geschmeichelt, denn er hatte den Eindruck, dass es Stella ernst meint und ihm den nötigen Respekt und die nötige Wertschätzung entgegenbrachte. »Ich schreibe Gedichte« platzte es jetzt aus ihm heraus. »Dürfen wir eines hören?« wollte Stella wissen. Theo stützte sein linke Hand an seinen linken Oberschenkel und hob die rechte Pobacke vom Stuhl, um mit der rechten Hand in seine Hosentasche zu greifen. Er hielt ein kleines Notizbüchlein mit roter Krokooptikprägung in der Hand, das aussah, als ob es schon viele Brände und auch Waschgänge überlebt hat und sonst noch Dinge, die man gar nicht wissen will. Er blätterte darin, wobei er immer wieder den Daumen mit seinem Speichel befeuchtete. Ich habe einmal gelesen, dass die meisten Bakterien und Keime auf dem Display eines Handy sind, also viel mehr als auf einer öffentlichen Klobrille, aber dieses Notizbuch war, was die Keim- und Bakterienbelastung betraf, sicher die Nummer eins im Guiness Buch der Rekorde.

»Okay, ich lese euch eines aus meiner Reihe: Ich wäre so gerne… vor: Ich wäre so gerne heute mit Dir zum Open-Air-Konzert gefahren. Wir Teenies der 70er hätten am See den Hits unserer Jugend gelauscht und wären in Erinnerungen geschwelgt. Hätten uns geküsst und uns umarmt, hätten getanzt und uns gesagt, dass wir uns lieben. Aber Dich gibt es nicht, darum bin ich zu Hause geblieben.« Stella beobachtete Theo ganz genau, wie er sein Gedicht vortrug, sie spürte seine Leidenschaft für seine Texte. »Du bist nicht nur ein Philosoph, sondern auch ein poetischer Romantiker« schwärmte Stella. »Die Romantik ist eine kulturgeschichtliche Epoche.« kam es von Paco. »Sagt der Nichtromantiker!« fügte Stella hinzu. »Bitte, lies mir noch eines vor .« Theo blätterte in den Fragmenten seines Notizbuches und musste, bevor er zu lesen begann hörbar schlucken. Nach einer kurzen Pause fing er an: Ich wäre so gerne…Ich wäre so gerne der Vater Deiner Kinder. Ich könnte sie in Dir und mir wiedersehen. Wir könnten sie aufwachsen sehen und wären eine richtige Familie. Aber Dich gibt es nicht, darum bin ich kein Vater. Nun hatte er Tränen in den Augen und Stella war von seinem Gedicht und von ihm so beeindruckt, dass sie selbst den Tränen nah war. Paco wechselte jetzt zum Tisch von Betty und Leo, es war ihm zuviel der Romantik.

Diese Leseratte kam mit seinen Gedichten wohl besser an, als er, der erfolgreiche Arzt, der Brat- und Saftmeister, der doch normalerweise immer mit seinem Status und seinem Geld beeindrucken konnte. Doch scheinbar war Stella eine Frau, die er mit markigen Machosprüchen und materiellen Dingen nicht erobern konnte. »Hast du keine Frau und keine Kinder?« fragte Stella Theo. »Nein, ich hätte mir immer so gerne eine Familie gewünscht. Es hat leider nie gepasst. Wenn es für die Frau gepasst hätte, war es für mich nicht der richtige Zeitpunkt und wenn es für mich der richtige Zeitpunkt gewesen wäre, dann vice versa.« »Aber du bist doch noch nicht zu alt um eine Familie zu gründen« stellte Stella fest. »Ich bin 52 Jahre alt, du siehst ja, Leo ist wahrscheinlich im gleichen Alter und gehört auch zum alten Eisen, er bekommt keinen Job mehr. Auch im Privatleben bist du mit 50+ nicht mehr attraktiv für den, ich sage einmal Frauenmarkt.« »Das ist doch Bullshit, es gibt doch auch Damen, die in der gleichen Situation sind.« »Da sucht man aber die Stecknadel im Heuhaufen« sagte Theo resignierend. »Ich denke, du wirst noch die richtige Partnerin finden, nein - ich bin überzeugt davon.« sprach Stella ihrem Gegenüber Hoffnung zu. »Verstehe mich bitte nicht falsch, wenn ich dich nach deinem Alter frage, ich habe keine Absichten, ich bin nicht Paco.« sagte Theo jetzt etwas schüchtern.

»Ich bin 28 Jahre, ein Studium absolviert, habe seit drei Jahren einen guten Job, also ich bin nicht nur mit der Bezahlung zufrieden, sondern auch mit meiner Tätigkeit und den Kollegen. Ich reise sehr gerne, allerdings die letzten zwei Jahre, seit ich Carlos habe, reise ich nur mehr mit Hund, also keine Fernreisen mehr. Wenn es mich doch wieder einmal weiter weg zieht, kann er auch bei meinen Eltern bleiben, die haben einen Garten und sind auch sehr tierlieb.« »Ich reise auch für mein Leben gerne, ich habe einige antiquierte, aber sehr interessante Reiseführer in meinem Laden. Einen habe ich sogar selbst verfasst, es sind davon noch etliche Exemplare da, weißt du was, ich schenke dir einen signierten Reiseführer von mir, mit Widmung wenn du willst.« »Der ist auch wirklich von dir geschrieben?« »Ja, ganz ehrlich, ich weiß, du hältst mich für einen Gauner, aber...« »Nein, ich halte dich nicht für einen Gauner, obwohl du hast sicher einiges an krimineller Energie in dir.« »Also dieser Reiseführer, den ich verfasst habe, wurde kein Bestseller aber ich hatte gute Kritiken. Es gibt so viele Reiseführer, für Normalos, für Freaks, für Geschichtsinteressierte, für Kulinariker, für Weintrinker, für Paare, für Singles, für Abenteurer, für Faule und Wasweissichnochfürwen. Aber es gab noch keinen Reiseführer, der einem die hässlichsten und schrecklichsten Flecken dieser Erde zeigte.

Jetzt denkst du wahrscheinlich, dass das auch keinen interessiert. Im Vorwort meines Reiseführers habe ich Humboldt zitiert, der einmal gesagt hat: Wer die Welt nicht kennt, sollte auch keine Weltanschauung haben. Dieses Zitat von Humboldt inspirierte mich zu meinem Ratgeber. Ich wollte den Menschen zeigen, dass es Orte auf dieser Welt gibt, die man nicht sehen will, aber es hat einen Grund, warum man diese Orte nicht sehen will. Ich wollte die Menschen darauf aufmerksam machen, um sie wachzurütteln und sie vielleicht zum Umdenken bringen. Nicht die Augen zu verschließen, sondern sich darüber bewusst werden und zu hinterfragen, ob das wirklich so sein muss. Ich weiß schon, wieder so ein Weltverbesserer-Ding und unrealistisch, würde wahrscheinlich Paco sagen. Aber ich bin ein unverbesserlicher Idealist und glaube an das Bessere und nicht nur an das Gute. Ich recherchierte fast ein Jahr lang, welche Orte man nicht besuchen will. Danach habe ich mich mit meiner Kamera und einem dicken Blankobuch auf die Reise begeben. Es war für mich faszinierend, aber vor allem erschreckend, denn es war schlimmer als ich es mir vorgestellt hatte. Ich möchte dir aber inhaltlich jetzt nichts erzählen, du solltest es lesen, vorausgesetzt du willst es jetzt überhaupt noch lesen.« »Ich würde es sehr gerne lesen, aber vor allem würde ich mich freuen, wenn du mir eine persönliche Widmung hineinschreibst.

Wenn es doch noch ein Bestseller wird, kann ich es einmal teuer verkaufen.« lachte Stella und prostete Theo zu um gleich noch zu sagen: »Aber ich würde es nie mehr hergeben.« Betty, Leo und Paco sahen zum Nebentisch. »Da haben sich wohl zwei gefunden« sagte Paco etwas angesäuert. »Ist doch toll, dass sie sich so gut unterhalten« meinte Betty. Leo warf Paco einen Jetzt-weißt-du-es-sicher-dass-er-nicht-schwul-ist-Blick zu und Paco hatte diesen auch so gedeutet. Mir war es auch nicht entgangen, dass der Romantiker bei Stella besser ankam, als der Herr des Establishments. Mir gefiel aber besonders, dass sie eine Frau war, die man nicht durch Macht oder Geld beeindrucken konnte. Andererseits war sie eine selbstbewusste und erfolgreiche Frau, die wusste, dass das Leben nicht nur romantische Seiten hat. Aber am besten gefiel mir, dass sie jeden respektierte wie er war, obgleich sie ganz sicher nicht Everybodys Darling sein wollte. Ich mag keine Frauen, die Everybodys Darling sein möchten. Ich mag Frauen, die Ecken und Kanten, ein Profil haben und dieses auch zeigen. Frauen, die zu jedem drittklassigen Witz kichern und sich von jeder blöden Anmache auch noch geschmeichelt fühlen, konnten mich noch nie reizen. Ich fühlte mich immer schon mehr von Frauen angezogen, abgesehen jetzt von den Äußerlichkeiten - ich bin ja auch nur ein Mann, also zu den Frauen hingezogen, die Stolz waren, schon hin zur Arroganz, die man mir selbst auch nachsagt.

Aber es ist ein schmaler Grad, zwischen Stolz und Arroganz und wird oft falsch interpretiert. Stolze Frauen sind selbstbewusst, wissen um Ihre Ausstrahlung, ihr Wirken und ihr Können. Sie brauchen keine Ratgeber, weder in Menschen- noch in Buchform. Sie gehen selbstbestimmt durch das Leben und geben sich, wenn sie wirklich verliebt sind vollends hin, mit Leib und Seele. Ein paar mal durfte ich solche Frauen schon zu meinen Partnern zählen. Lange hatte ich schon nicht mehr das Gefühl, mich wirklich von einer Frau angezogen zu fühlen. Diese Anziehung spürte ich jedoch bei Stella. Natürlich wünschte ich mir, dass ich genauso auf sie diese Wirkung erzielen würde, wie zwei Magneten, die ab einem gewissen Abstand zusammengezogen werden. Ich war der Dienstleister an diesem Abend. Ich machte meinen Job. Die drei Herren und die zwei Damen hatten sich in meinem Lokal kennengelernt, saßen schon seit Stunden, unterhielten sich gut und konsumierten auch viel, also was wollte ich eigentlich mehr. Ich wollte nicht mehr, ich wollte nur eines, nämlich Stella. Die Damen gingen gemeinsam auf die Toilette. »Was sagst du zu unserer Bekanntschaft?« wollte Betty von Stella wissen. »Also, erstens bin ich froh, dass wir morgen nicht in das Büro müssen und ausschlafen können.« »Und zweitens?« fragte Betty neugierig. »Ich unterhalte mich sehr gut. Es sind natürlich ganz unterschiedliche Charaktere, aber das macht es interessant.

 

Der Frauenarzt ist ziemlich von sich überzeugt. Der Buchhändler ist zwar ein Fälscher, aber im Grunde ein ehrlicher liebenswürdiger Mann. Der Werber ist verständlicherweise frustriert, dennoch ein starker Charakter.« »Bist du an dem Arzt nicht interessiert?« wollte Betty wissen. »Warum sagst du nicht, dass du an ihm Interesse hast.« sagte Stella und kniff Betty in die Nase, die sich gerade die Lippen neu überschminkte. Die beiden Damen sahen sich im Spiegelbild des Waschraumes an und lachten. »Ist dir eigentlich der Barmann aufgefallen?« fragte Stella. »Der Barmann?« Die beiden schauten sich immer noch im Spiegel an und Stella fuhr sich durch ihre Mähne. »Ja, der Barmann - nicht uninteressant.« »Den habe ich noch gar nicht so genau unter die Lupe genommen« meinte Betty. »Hat der etwas, was mir noch nicht aufgefallen wäre?« »Könnte man ja herausfinden.« antwortete Stella und sie verließen wieder gleichzeitig den Waschraum. Die Konversation der vorübergehend alleinsitzenden Herren verlief auch nicht stumm. Paco provozierte Theo und wollte, dass er Leo und ihm ein Gedicht aus seinem Repertoire präsentiert. Doch Theo ging auf diese Provokation nicht ein. »Findet ihr Stella nicht auch arrogant?« wollte Paco bestätigt haben. »Überhaupt nicht, eine sehr liebenswürdige Dame, wenn ich ein paar Wochen jünger wäre, dann...« Theo konnte den Satz nicht zu Ende bringen, denn Leo fing an von Betty zu schwärmen. »Sie kann sehr gut zuhören und ist äußerst attraktiv. Wie alt würdet ihr sie schätzen?« fragte er die beiden anderen Herren. »Ich müsste sie mir einmal untenrum anschauen, dann könnte ich es dir genau sagen.« sagte Paco mit einem süffisantem Grinsen. »Also komm, jetzt einmal ernsthaft, wie alt glaubt ihr, ich möchte jetzt von jedem von euch eine Schätzung.« »Noch keine vierzig.« glaubte Theo. »Die hat den Vierziger schon gefeiert.« war sich Paco sicher. »Außerdem ist das doch gar nicht so wichtig, wir sind doch auch alle schon 50plus, oder?« warf Theo ein. »Du meinst also, wir wären zu alt für sie?« so Leo. »Ach, was heißt zu alt, wir sind im besten Alter. Was würden diese Ladys denn mit jungen Grünschnäbeln anfangen.« war Paco überzeugt. »Der Trend bei der modernen Frau geht ja zum jüngeren Partner, um nicht zu sagen zum Toyboy.« erklärte Theo. In diesem Moment kamen die beiden Damen wieder. »Wo ist ein Toyboy?« wollte Betty wissen. »Ach, Theo meinte, dass heute Frauen über...äh...also das reifere, nein besser, erfahrene Frauen auf Toyboys stehen.« stammelte Paco. Die beiden Damen mussten lachen. »Aha, erfahrene Frauen, es gibt aber Frauen, die mit zwanzig Jahren mehr Erfahrung haben, als manche mit vierzig Jahren, oder? Also, ich denke du sprichst wirklich von älteren Damen,- fuhr Betty fort -und die haben doch recht.« »Wenn wir auch einmal in dieses ominöse Alter kommen, werden wir das auch machen, nicht wahr Stella?«

»Natürlich, dann werden wir uns jeden knackigen Arsch krallen, den wir kriegen können.« Die Herren waren jetzt ein bisschen unsicher, ob das ernst gemeint war, oder ob die Zwei nur provozieren wollten. »Hast du schon lange deine Arztpraxis?« wollte nun Betty von Paco wissen. »So um die fünfzehn Jahre müssten das jetzt sein. Ich nehme normalerweise auch keine neuen Patientinnen mehr, weil ich jetzt schon zu viele in meiner Kartei habe. Natürlich, wenn ich jemanden persönlich kenne und diese auch unbedingt zu mir will, sage ich nicht nein.« »Und du bist immer noch Single, du sitzt doch sozusagen an der Quelle.« legte Betty nach. »Wenn du in einer Schokoladenfabrik arbeitest, schmeckt dir irgendwann die Schokolade auch nicht mehr.« warf Leo scherzhaft ein. Paco schmunzelte zwar kurz, richtete sich aber dann im Stuhl auf und rückte sein Sakko zurecht. »So ist es natürlich nicht, aber es gibt halt Qualitätsunterschiede.« »Ja, die gibt es bei der Schokolade!« sagte Stella. »Ich glaube nicht, dass Paco von Schokolade spricht, oder Paco?« zwinkerte Betty ihn an. »Ist dir also Qualität wichtiger als Quantität.« fuhr sie fort. »Also Qualität kommt ja aus dem lateinischen qualitas und heißt Beschaffenheit oder Eigenschaft und das ist doch nicht abwertend gemeint.« verteidigte sich Paco. »Wir wollen heute die Wörter auch nicht auf die Goldwaage legen, aber ich wollte doch von dir wissen, ob dein Praxisname „Viva la vulva“ auch für dein Privatleben zutrifft?«

»Wenn du wissen willst, ob ich Frauen begehre, natürlich sonst wäre ich ja ein Homo.« »Achtest du Frauen auch, oder begehrst du sie nur.« stichelte Betty weiter. »Wer bist du, eine Kampfemanze?« wurde Paco nun energischer. »Bevor du mich weiter ins Kreuzverhör nimmst, wie sieht das eigentlich bei dir aus, du bist doch nicht etwa männerfeindlich, so wie du dich kleidest. Ich meine, deine Brüste springen einen doch förmlich an. Sind das nicht Signale, die du bewusst aussendest. Du weißt doch, dass du für die meisten Männer ein Blickfang bist. Warum also so kritisch, wenn einer anbeißen würde.« »Okay, runter vom Gas Sportwagenfahrer, du fährst doch einen Sportwagen?« »Was hat das jetzt damit zu tun, aber ja - unter anderem - habe ich einen Sportwagen.« »Ich wette, dass ich die Marke errate.« sagte Betty. Sie schrieb etwas in ihr Smartphone und zeigte es Paco. Er nickte und gleichzeitig schloss er in Zeitlupe die Augen. Betty blickte in die Runde und sagte: »Wette gewonnen, die meisten Männer sind so berechenbar, soviel zu Herdentiere - how boring. »Nun Paco, du musst nicht gleich beleidigt sein, ich bin weder eine Kampfemanze noch bin ich männerfeindlich, ich wollte doch nur wissen wie du tickst.« »Wie ich ticke? Ihr schubladisiert, ihr habt Vorurteile, ihr macht auf tolerant und verständnisvoll und einfühlsam, aber in Wirklichkeit packt ihr mich in eine eurer Kisten, wo draufsteht: MACHO!«

»Wär dir die Kiste: WEICHEI lieber?« sagte Betty mit einem Reg-dich-doch-nicht-auf-mein-Kleiner. - Blick. »Ich fühle mich weder als Macho, noch als Weichei, ich bin ein Mann, Punkt.« »In welche Schublade steckst du uns?« konterte Betty. »In gar keine, Männer sollen Männer sein und Frauen eben Frauen, ihr lockt das Männchen an, so hat das die Natur eingerichtet. Was ist falsch daran?« »Es gibt aber in der Natur auch Männchen die das Weibchen anlocken.« ergänzte Leo. »Außerdem gibt es noch Weibchen die Weibchen und Männchen die Männchen anlocken.« »Darauf trinken wir!« musste Theo diesbezüglich das letzte Wort haben. Die fünf saßen immer noch im oberen Stock auf der Galerie. Dort waren sie unter sich. Sie hatten die wenigen Plätze in Beschlag genommen und der Billardtisch wurde auch zeitweise genutzt. Die Gäste, die jetzt noch kamen, hatten sowieso keine Lust mehr nach oben zu gehen. Es war ein Kommen und Gehen, wie es Nachtschwärmer gerne machen. Schließlich war Freitag und die meisten Leute mussten Samstag nicht arbeiten. Ich mixte Cocktails, zapfte Bier und gab Weintipps. Unterhielt mich mit den Gästen und scherzte mit ihnen. Wenn es die Zeit erlaubte, zeigte ich gerne ein paar Zaubertricks. Ich meine damit nicht, aus einem vollen Glas ein leeres zu machen, das konnten meine Gäste auch. Die Gäste waren verblüfft, wenn ich Münzen verschwinden ließ, oder ein paar Kartentricks vorführte.

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