Romantic Thriller Doppelband 1301 - Zweimal Liebe, Spannung und Geheimnis

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Ein, zwei Sekunden lang verschmolzen Bannisters Lachen und Heathers Schrei zu einem einzigen Laut, einem schrillen, disharmonischen Kreischen.

Dann endete das Beben, und Bannister verschwand vom Fernsehschirm. Gleich darauf war wieder das Gesicht des Nachrichtensprechers zu sehen. Als wäre nichts geschehen, trug er weiter seine Meldungen vor, war mittlerweile beim Sport angelangt.

Heather hörte auf zu schreien. Immer noch fassungslos vor Schrecken ließ sie sich keuchend in ihren Sessel zurücksinken und wartete, dass das rasende Hämmern ihres Herzschlages sich allmählich beruhigte.

Sie konnte nicht glauben, was sie gerade gesehen und gehört hatte.

Jack Bannister war tot!

Wie Sheriff Brennen ihr mitgeteilt hatte, war seine Leiche sogar schon am Vormittag obduziert worden. Wie also konnte er dann im Fernsehen erscheinen und sich noch dazu an sie persönlich wenden? Es musste sich um eine Bandaufzeichnung handeln, die geschmackloserweise im Fernsehen ausgestrahlt worden war.

Kurz entschlossen suchte Heather aus dem Telefonbuch die Nummer des Senders heraus, rief dort an und verlangte den Leiter der Nachrichtenredaktion zu sprechen. Dass man sie tatsächlich zu ihm durchstellte, hatte sie wohl nur ihrer gerade bei Presseleuten seit vergangener Nacht sprunghaft gestiegenen Bekanntheit zu verdanken.

„Ich freue mich sehr, dass Sie anrufen, Mrs. Chambers‟, sagte der Redaktionsleiter, nachdem er sich ihr als William Stanton vorgestellt hatte. „Wir haben bereits mehrfach versucht, Sie zu erreichen, um ein Interview oder zumindest eine kurze Stellungnahme zu den Ereignissen der vergangenen Nacht zu erhalten.‟

„Eigentlich rufe ich nur an, um zu erfahren, was dieser makabre Scherz mit Bannister gerade sollte.‟

„Ich verstehe nicht, wovon Sie sprechen‟, behauptete Stanton. „Wir legen Wert auf eine seriöse und objektive Berichterstattung. Sollte unsere Meldung einen Fehler enthalten oder eine unserer Formulierungen Ihren Ärger erregt haben, so bedauere ich das und möchte Ihnen hiermit direkt die Gelegenheit zu einer Richtigstellung geben.‟

Schlauer Fuchs, auf diese Art zu versuchen, doch noch eine Stellungnahme zu erhalten, dachte Heather. Zugleich verwirrten seine Worte sie aber auch. Er schien nicht einmal zu wissen, wovon sie sprach, und wenn sie es sich recht überlegte, war es eine Schnapsidee gewesen, überhaupt beim Sender anzurufen.

Bannister hatte direkt zu ihr gesprochen, und das würde mit Sicherheit nicht in dieser Form offiziell ausgestrahlt werden. Sie erinnerte sich, dass kurz bevor und nachdem sie ihn gesehen hatte, der Bildschirm für einen Moment schwarz geworden war. Außerdem war der Nachrichtensprecher mitten im Satz ausgeblendet worden und hatte seine Meldungen in der Zwischenzeit anscheinend ganz normal weiter verlesen.

Vielleicht hatte ein Piratensender ganz in ihrer Nähe sich kurzfristig auf der entsprechenden Frequenz zugeschaltet. Die Erklärung klang nicht einmal für sie selbst sonderlich überzeugend, war aber die einzige, die ihr spontan einfiel. Sie würde in Ruhe darüber nachdenken müssen. Wenn sie Stanton jetzt erzählte, was sie gesehen hatte, würde er sie vermutlich für verrückt halten, deshalb verzichtete sie darauf.

„Schon gut‟, sagte sie. „So schlimm war es nicht. Nur eins noch: Wissen Sie schon, ob es bei dem Erdbeben schlimmere Schäden gegeben hat?‟

„Ein Erdbeben?‟, hakte Stanton nach. Offenbar wusste er auch davon nichts.

„Ja, vor etwa einer halben Stunde hat hier kurz die Erde gebebt, und vor wenigen Minuten hat es ein leichtes Nachbeben gegeben.‟

„Davon habe ich noch nichts erfahren. Würde es Ihnen etwas ausmachen, einen Moment in der Leitung zu bleiben? Ich werde mich sofort erkundigen.‟

Heather wurde in eine Warteschleife geschaltet. Musik säuselte aus dem Hörer, während eine Automatenstimme sie zum Warten aufforderte. Sie musste sich nur eine knappe Minute gedulden, bis Stanton sich wieder meldete.

„Hören Sie, Mrs. Chambers? Es hat kein Erdbeben in North Bend gegeben. Ich habe gerade bei Sheriff Brennan nachgefragt, und er konnte nichts Derartiges bestätigen.‟

„Aber ...‟ Heather brach ab. „Dann war es wohl nur ein besonders großer Truck, der die Interstate 90 entlang gedonnert ist‟, legte sie sich eine Ausrede zurecht. „Wenn diese Ungetüme mit zu hoher Geschwindigkeit vorbeirasen, bringen sie schon mal die Fenster zum Klirren.‟

„So wird es wohl gewesen sein. Und was das Interview betrifft ...‟

„Ich werde darüber nachdenken und melde mich dann wieder bei Ihnen‟, fiel Heather ihm ins Wort. „Haben Sie erst einmal vielen Dank. Auf Wiederhören.‟

Bevor Stanton noch etwas sagen konnte, legte sie verwirrt auf. Mittlerweile verstand sie gar nichts mehr.

Die beiden Erklärungen, die sie sich während des Gesprächs selbst zusammengebastelt hatten, waren beide ziemlich aus der Luft gegriffen. Zwar fuhren tatsächlich viele Trucks auf dem Highway, und oft genug auch mit zu hoher Geschwindigkeit, doch Heather wohnte so weit abgelegen, dass nicht das geringste Geräusch davon bis hierher drang.

Vorbeifahrende Trucks konnten also auf keinen Fall für die Beben verantwortlich sein, sonst hätte sie außerdem auch Motorenlärm hören müssen. Dennoch hatte sie deutlich gespürt, wie die Erde unter ihr gezittert hatte.

Noch mysteriöser aber war die Sache mit Bannister. Stantons Verblüffung hatte echt geklungen, sie war überzeugt, dass er wirklich nicht gewusst hatte, wovon sie sprach. Hätte Bannister vor seinem Tod ein solches Video aufgenommen und an den Sender geschickt, so wäre das Band eine Sensation gewesen. Erstens hätte man der Polizei mit Sicherheit davon berichtet, und zweitens hätte man es nicht in einer Überblendung einfach so während der normalen Nachrichten ausgestrahlt. Bestimmt wäre es groß angekündigt und anschließend kommentiert worden.

Die Theorie mit dem Piratensender allerdings klang ebenfalls ziemlich abwegig. Woher hätte jemand wissen können, dass sie gerade zu dieser Zeit genau diesen Sender eingeschaltet hatte, um im richtigen Moment ein Band mit der Nachricht für sie über das normale Programm zu senden?

Vor allem gab es keinerlei Grund, warum Bannister überhaupt ein solches Band hätte anfertigen sollen. Er wollte sie damit offenbar noch über seinen Tod hinaus terrorisieren. Das aber setzte voraus, dass er damit gerechnet hatte, in ihrem Haus womöglich zu sterben, und das passte überhaupt nicht zu ihm.

Er war von sich selbst völlig überzeugt gewesen, und in seinem wahnsinnigen Fanatismus hatte er mit Sicherheit keinen Moment mit der Möglichkeit gerechnet, dass sie ihn besiegen oder gar töten könnte.

Trotzdem musste er das Band vor seinem Tod aufgenommen haben. Die Möglichkeit, dass er wirklich als Geist weiterlebte und auf diesem Wege Kontakt mit ihr aufgenommen hatte, war so absurd, dass Heather sich weigerte, auch nur weiter darüber nachzudenken.

Ihr Blick fiel auf eine kleine Anzeige in einer der Zeitungen, die sie gekauft hatte, und die immer noch aufgeschlagen auf dem Wohnzimmertisch lagen.

Die GHOSTBUSTERS sind nur eine Erfindung des Kinos, hieß es dort. Übernatürliche Phänomene jedoch gibt es wirklich. Wenn auch Sie mit rätselhaften Erscheinungen konfrontiert oder das Opfer eines Spuks werden, scheuen Sie sich nicht, den Rat und die Hilfe eines erfahrenen Parapsychologen und Spezialisten für okkulte Fragen in Anspruch zu nehmen.

Darunter standen der Name Frank Sutton und eine Telefonnummer aus Seattle.

Blödsinn, dachte Heather ärgerlich. Nur ein Scharlatan, der naiven Leuten mit dieser Masche das Geld aus der Tasche zog.

Sie glaubte nicht an Spukerscheinungen, übernatürliche Phänomene und Geister, sondern stand mit beiden Beinen fest auf dem Boden der Tatsachen.

Aber da waren die beiden Erdbeben gewesen, die außer ihr anscheinend niemand bemerkt hatte, als wären sie allein auf ihr Haus beschränkt gewesen.

Und da war der tote Jack Bannister, der genau zu dem Zeitpunkt auf ihrem Fernsehschirm erschienen war, während in einer Nachrichtensendung über seinen Tod berichtet wurde. Unterlegt von dem zweiten Beben, das exakt zu diesem Moment begonnen hatte, hatte er ihr eine angebliche Nachricht aus dem Jenseits geschickt, hatte ihr seine baldige Rückkehr und Rache angekündigt.

Fast eine halbe Stunde rang Heather noch mit sich, dann wählte sie die Nummer aus der Anzeige.

7

Frank Sutton erwies sich als schlanker, fast schlaksig wirkender Mann mit dunklem Wuschelkopf. Er war jünger, als Heather erwartet hatte, höchstens Ende zwanzig. Er hatte ein sympathisches Gesicht und ein überaus einnehmendes Lächeln, bei dem sich kleine Grübchen um seine Mundwinkel bildeten. Seine dunklen Augen blickten sanft, fast ein bisschen verträumt.

Alles in allem entsprach er absolut nicht dem Bild, das Heather sich aufgrund der Anzeige von ihm gemacht hatte, obwohl sie nicht wusste, was genau sie erwartet hatte. Vielleicht einen eiskalten Geschäftemacher, der die Leute mit salbungsvollen Worten und großen Gesten zu beeindrucken und über den Tisch zu ziehen versuchte. Vielleicht auch eine eher düster Gestalt wie den älteren Priester aus dem Film Der Exorzist, denn als ein solcher gab Sutton sich ja gewissermaßen aus.

Zunächst hatte sie geglaubt, bei dem jungen, in Jeans, Rollkragenpullover und einen langen Mantel gekleideten Mann, der leicht verlegen vor ihrer Tür von einem Fuß auf den anderen trat, handelte es sich um einen weiteren Reporter. Deshalb öffnete sie die Tür erst, nachdem sie sich durch den Spion seinen Ausweis hatte zeigen lassen.

 

„Guten Abend, Mister Sutton‟, begrüßte sie ihn. „Wie ich schon am Telefon sagte, tut es mir leid, dass ich Sie so spät noch gestört habe.‟

„Macht nichts‟, erwiderte er und schüttelte ihr die Hand.

„Ich hoffe, Sie haben noch nicht geschlafen.‟

„Doch, habe ich‟, antwortete er und lächelte verschmitzt. „Aber heute Vormittag. Die meisten Leute rufen abends oder sogar erst spät nachts an. Wenn es irgendwo spukt, dann selten bei Tageslicht. Deshalb habe ich mir angewöhnt, tagsüber zu schlafen.‟

„Oh. Demnach werden Ihre Dienste häufiger benötigt?‟

„Es geht.‟ Er zuckte mit den Schultern. „Bei Weitem nicht so oft, wie ich es mir wünschen würde, aber ich komme über die Runden. Vielfach ist es auch nur blinder Alarm. Vor Kurzem wurde ich beispielsweise wegen eines angeblichen Poltergeistes gerufen, und dann stellte sich heraus, dass sich nur die Verankerung der Hausantenne etwas gelockert hatte und klopfende Geräusche verursachte, wenn sie vom Wind bewegt wurde.‟

Auch Heather musste nun lächeln, während sie ihm den Mantel abnahm und ihn ins Wohnzimmer führte. Sie hatte nicht erwartet, dass Sutton die Bereitschaft einiger seiner Kunden, voreilig an Geister zu glauben, so humorvoll nehmen könnte.

Durch seine Offenheit nahm er ihr etwas von ihrer Befangenheit. Sie war auch jetzt noch nicht bereit, an Spukphänomene und Botschaften aus dem Jenseits zu glauben. Aber wenigstens war Sutton kein Fanatiker, und sie hatte den Eindruck, dass er für diese Skepsis vollstes Verständnis aufbringen würde.

„Sagen Sie, sind Sie die Heather Chambers, über die in den Nachrichten berichtet wurde, wenn ich mir die Frage erlauben darf?‟

„Die bin ich‟, bestätigte sie. „Und ich bin froh, dass Sie schon darüber informiert sind, was gestern Nacht geschehen ist. Das erspart mir umständliche Erklärungen, denn der Grund, aus dem ich mich an Sie gewandt habe, hat damit zu tun. Setzen Sie sich doch.‟

Sie wartete, bis er in einem der Sessel Platz genommen hatte, und setzte sich ihm gegenüber.

„Ich fürchte, das kann ich Ihnen nicht ersparen‟, sagte er. „Ich habe nur am Rande aus den Nachrichten davon erfahren, habe aber nicht besonders gut aufgepasst. Soweit ich mitbekommen habe, sind Sie gestern Nacht von einem Geistesgestörten überfallen worden, der einen Freund von Ihnen ermordet hat und auch Sie zu töten versucht hat, aber Sie konnten ihm zuvorkommen.‟

„Grob zusammengefasst, entspricht es in etwa der Wahrheit. Der Kerl hieß Jack Bannister. Er ist in mein Haus eingebrochen und hat mir hier aufgelauert. Er hat meinen Hund und einen Freund, der mich nach Hause gebracht hat, getötet, aber von mir wollte er eigentlich etwas anderes.‟

Heather zögerte. Sie wusste noch nicht recht, was sie von Sutton halten sollte, und obwohl er einen freundlichen, sympathischen Eindruck machte, widerstrebte es ihr, ihm davon zu erzählen, dass Bannister in ihr eine Gleichgesinnte für seine Morde gefunden zu haben glaubte.

Dann aber sagte sie sich, dass Sutton wahrscheinlich schon viel seltsamere Geschichten gehört hatte und erzählte ihm nach und nach alles, bis hin zu den mysteriösen Ereignissen an diesem Abend. Geduldig und ohne sie einmal zu unterbrechen hörte er ihr zu.

„Das ist ziemlich merkwürdig‟, sagte er stirnrunzelnd, als sie geendet hatte. „Übrigens habe ich vorhin genau die gleiche Nachrichtensendung gesehen und dort erstmals von Ihnen erfahren. Diese Botschaft Bannisters aber war nicht darin enthalten, sie ist also definitiv nicht vom Sender ausgestrahlt worden.‟

„Ich dachte mir, dass sich vielleicht ein Piratensender auf dieser Frequenz eingeklinkt hat.‟

Er schüttelte entschieden den Kopf.

„Das ist ziemlich an den Haaren herbeigezogen. Ich vermute eher, dass es sich wirklich um einen Spuk handelt. Irgendwie hat es dieser Bannister geschafft, die Nachricht auf Ihren Schirm zu projizieren, um mit Ihnen in Kontakt zu treten.‟

„Nehmen Sie es mir nicht übel, Mister Sutton, aber im Gegensatz zu Ihnen fällt es mir ziemlich schwer, an Geister zu glauben‟, erklärte Heather offen. „Ehrlich gesagt, diese Erklärung scheint mir noch wesentlich stärker an den Haaren herbeigezogen zu sein.‟

Wie sie gehofft hatte, stimmte ihre Skepsis ihn nicht ärgerlich. Im Gegenteil, er lächelte sogar.

„Das kann ich gut nachempfinden, und es ist gut, dass Sie aus dieser Einstellung keinen Hehl machen. Vielen Menschen geht es wie Ihnen. Es gibt ein paar Leute, die in jedem Schatten und jedem wehenden Vorhang gleich ein Gespenst vermuten, aber die bilden eher die Ausnahme. Viele meiner Kunden sind zunächst skeptisch. Es wird Sie auch kaum überzeugen, wenn ich Ihnen aus meiner Erfahrung bestätige, dass es das Paranormale wirklich gibt.‟

„Ich bin mir nicht einmal sicher, ob es richtig war, Sie anzurufen. Anfangs hatte ich ziemliche Vorbehalte, und ich weiß selbst nicht recht, warum ich es getan habe.‟

„Weil Sie unsicher und verzweifelt sind‟, behauptete er. „Unsicher, weil Sie sich die Vorfälle nicht auf rationalem Wege erklären können und überlegen, ob es vielleicht doch eine übernatürliche Ursache gibt. Und verzweifelt, weil Bannister Ihnen Rache angedroht hat und diese Drohung wahrmachen könnte, wenn er wirklich als Geist zurückgekehrt ist.‟

Sutton machte eine kurze Pause.

„Ich kann Ihnen nur auf diesem Gebiet meine Hilfe anbieten, und Sie müssen sich darüber klar werden, ob Sie diese annehmen wollen. Sie können ruhig weiterhin skeptisch bleiben, aber wenn ich Ihnen helfen soll, müssen Sie sich nach meinen Regeln richten. Anderenfalls verschwende ich hier nur meine Zeit.‟

„Ich werde tun, was Sie sagen‟, antwortete Heather nach kurzem Zögern. „Gehen wir also davon aus, dass ich wirklich von einem Geist bedroht werde. Was wollen Sie dagegen unternehmen?‟

„Bevor wir dazu kommen, lassen Sie uns kurz über mein Honorar sprechen. Ich nehme einen Standartsatz von zweihundert Dollar, zuzüglich Spesen. Ist das für Sie akzeptabel?‟

Heather schluckte.

„Eine Menge Geld.‟

„Von irgendwas muss ich schließlich leben, und da meine Dienste nicht gerade täglich in Anspruch genommen werden, häufe ich auch bei diesem hoch erscheinenden Honorar bestimmt nicht gerade Reichtümer an. Außerdem habe ich mich lange Zeit erst gründlich in die Materie einarbeiten müssen. Auch heute noch verwende ich jeden Tag mindestens zwei bis drei Stunden darauf, Fachbücher und -zeitschriften zu lesen. Darüber hinaus führe ich eine aufwendige Korrespondenz zum Erfahrungsaustausch mit Kollegen, und gelegentlich muss ich Reisen unternehmen, um in Bibliotheken oder an archäologischen Ausgrabungsstellen uralte Schriftrollen im Original studieren zu können, von denen manche ein heute ein längst vergessenes oder vielfach nur noch belächeltes Wissen enthalten.‟

„Schon gut‟, wehrte Heather ab. Sutton hatte sich in seine Rechtfertigung regelrecht hineingesteigert. „Ich bin mit dem Betrag einverstanden und werde Ihnen einen Barscheck ausstellen, wenn Sie fertig sind.‟

Zwar war sie immer noch skeptisch, aber möglicherweise war die Bedrohung durch Bannister ja tatsächlich real, und wenn Sutton ihr helfen konnte, war ihr dies das Geld wert.

„Gut.‟ Er nickte zufrieden. „Dann müssen wir uns zunächst darüber klar werden, um welche Art von Spuk es sich hier handelt. Es muss etwas geben, an das der Geist Bannisters sich klammert. Es könnten Sie sein, sein unbedingter Wunsch nach Rache dafür, dass Sie ihn besiegt haben. Es kann aber auch sein, dass er dieses Haus als eine Art Anker benutzt, als einen Bezug vom Jenseits zu dieser Welt. Am Besten werde ich sofort mit meinen Untersuchungen beginnen.‟

Sutton ging zu seinem Wagen und kehrte mit einem großen Koffer zurück, in dem sich allerlei seltsame Geräte und sonstige Gegenstände befanden. Er nahm etwas heraus, das entfernt an die Hälfte eines Fernglases erinnerte, jedoch mit allerlei Elektronik aufgerüstet war. Als er einen Schalter betätigte, begann ein kleines rotes Lämpchen an der Oberseite zu blinken.

„Was ist das?‟, erkundigte sich Heather.

„Ein Gerät, das Spektralprismen für mich sichtbar macht‟, erklärte er. „Damit kann ich ektoplasmische Rückstände erkennen.‟

„Aha‟, kommentierte sie. Zwar wusste sie weder was Spektralprismen, noch was ektoplasmische Rückstände waren, aber sie hatte keine Lust auf weitere endlose Erklärungen, von denen sie wahrscheinlich ebenfalls höchstens die Hälfte verstehen würde. Die Hauptsache war, dass Sutton wusste, was er tat.

„Zeigen Sie mir bitte, wo Bannister gestorben ist‟, verlangte er. „Wenn es solche Rückstände gibt, dann am ehesten dort.‟

Heather führte ihn in ihr Schlafzimmer und zeigte ihm die Stelle, wo Bannister tödlich getroffen zusammengebrochen war. Durch den neuen Teppich war nun nichts mehr davon zu sehen, dennoch betrachtete Sutton den Boden gerade dort genau durch sein Gerät, ehe er sich den Wänden und der Einrichtung zuwandte.

„Ich glaube, dass bei seinem Tod tatsächlich etwas von Bannister in dieses Haus übergegangen ist, dass sein Geist nun hier umgeht‟, sagte er schließlich. „Aber da es erst in der vergangenen Nacht geschehen ist, hat er noch nicht richtig Halt fassen können und wird sich vermutlich durch einen einfachen Exorzismus austreiben lassen.‟

„Und dazu sind Sie in der Lage?‟

„Wenn nicht, wäre ich mein Geld nicht wert und sollte mir einen anderen Beruf suchen. Kommen Sie, wir führen den Exorzismus im Wohnzimmer durch, da es der zentrale Ort des Hauses ist.‟

Sie stiegen die Treppe wieder hinunter. Sutton stellte zwei Kerzen aus seinem Koffer auf dem Wohnzimmertisch auf und zündete sie an. Sie verbreiteten einen fremdartigen, aber nicht unangenehmen Geruch. Daneben stellte er ein Gefäß, in dem er Weihrauch entzündete. Der Geruch des Rauchs vermischte sich mit dem der Kerzen. Um das Gefäß herum zeichnete er mit Kreide einen fünfstrahligen Stern, dessen Spitzen durch Striche alle miteinander verbunden waren.

„Dämpfen Sie bitte das Licht‟, verlangte Sutton. „Und dann setzen Sie sich bitte dort drüben hin und seien Sie völlig still. Egal was passiert, Sie dürfen mich nicht stören oder ablenken. Diese alten Formeln und Bannsprüche sind sehr kompliziert, und jeder kleine Fehler kann meine Bemühungen zunichte machen oder sogar ins Gegenteil verkehren.‟

„Wie Sie meinen.‟

Er wartete, bis sie sich gesetzt hatte, dann begann er, aus einem Notizbuch mit lauter Stimme Worte aus einer fremden Sprache vorzulesen. Hauptsächlich schien es sich um Latein zu handeln. Andere Sätze hingegen hörten sich eher nach Altgriechisch an.

Zwischen den einzelnen Sätze tauchte er immer wieder seine Fingerspitzen in eine kleine Schale mit einer durchsichtigen Flüssigkeit und verspritzte sie um sich herum. Vermutlich handelte es sich um Weihwasser.

Wie er verlangt hatte, verhielt Heather sich völlig ruhig, obwohl sie nicht recht wusste, was sie von dem Firlefanz halten sollte. Zwar entsprach Sutton selbst absolut nicht dem Bild, das sie sich von ihm gemacht hatte, aber der Hokuspokus, den er nun veranstaltete, war in etwa so, wie sie es erwartet hatte.

„Apanage, Daemon!‟, rief er nach einigen Minuten schließlich abschließend. „Apanage!‟

Er griff wieder nach seinem merkwürdigen Gerät zur Erkennung von ektoplasmischen Rückständen, blickte hindurch und drehte sich dabei einmal komplett um die eigene Achse. Dann nickte er zufrieden.

„Geschafft‟, sagte er, blies die Kerzen aus und legte einen Deckel auf das Gefäß mit dem Weihrauch, damit die Glut erstickte. „Es ist mir gelungen, Bannisters Geist auszutreiben.‟

„Was denn?‟, erboste sich Heather und sprang auf. „Das war alles? Zweihundert Dollar dafür, dass sie ein bisschen aus Ihrem Büchlein vorgelesen haben?‟

„Ich habe Sie von dem Geist befreit, wie Sie es wollten‟, verteidigte sich Sutton. „Und das ist doch schließlich die ...‟

Er kam nicht zum Aussprechen. Wie aus dem Nichts ertönte ein gellendes Lachen, und erneut begann die Erde zu beben.

„Sie haben ihn also ausgetrieben?‟, rief Heather. „Das merke ich.‟

Sutton war blass geworden. Hilflos blickte er sich um.

„Das Lachen scheint von dort zu kommen‟, stieß er hervor und deutete auf die Tür zu ihrem Atelier. Gemeinsam mit Heather eilte er darauf zu, öffnete sie, und sie traten ein.

„Nein!‟, keuchte Heather.

In dem Atelier herrschte ein fürchterliches Durcheinander. Buchstäblich alles, was nicht niet- und nagelfest gewesen war, lag auf dem Fußboden durcheinander verstreut. Sogar die meisten Farben waren aus den Tuben ausgepresst worden und bildeten ineinander verlaufende Lachen auf dem Linoleum. Der scharfe Geruch von verschüttetem Terpentin und anderen Lösungsmitteln erfüllte die Luft.

 

Das aber war noch nicht einmal das Schlimmste.

Ihre Staffeleien waren bis auf eine umgeworfen worden, und dem noch unvollendeten Bild darauf war etwas hinzugefügt worden. Die Malerei im Vordergrund war im Vergleich mit dem von ihr selbst gestalteten Hintergrund bedeutend schlechter ausgeführt, fast unbeholfen. Hier war kein Könner am Werk gewesen, aber dennoch war das Motiv unverkennbar.

Von der Leinwand blickte Bannisters teuflisch grinsendes Gesicht sie an. Jetzt ist es richtig, stand darüber gekritzelt.

Voller Wut und Schrecken angesichts der vielen Stunden, die sie schon an dem Bild gearbeitet hatte, das nun völlig ruiniert war, wollte Heather darauf zueilen, als sie aus den Augenwinkeln etwas heransausen sah. Sie duckte sich blitzschnell, doch sie war ohnehin nicht das Ziel des Wurfgeschosses.

Fast wie eine zu groß geratene Frisbee-Scheibe raste eine ihrer stabilen Paletten aus Kunststoff, auf denen sie ihre Farben mischte, von schräg hinten auf Sutton zu, der sie erst zu spät bemerkte, um noch auszuweichen. Als wollte Bannister ihn für seinen misslungenen Exorzismus verhöhnen, traf sie ihn am Kopf und ließ ihn bewusstlos zusammenbrechen.

Das gellende Lachen verstummte.

Das Zittern und Beben des Bodens hörte auf.

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