Buch lesen: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 382»
Impressum
© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-790-7
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
Frank Moorfield
Meuterei auf der Caribian Queen
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
1.
Casco drehte den Becher um und knallte ihn hart auf das Holz der Schiffsplanken. Die Spieler starrten wie gebannt auf die Würfel.
„Zum Teufel, jetzt hab’ ich dich endlich geschafft!“ brüllte der bullige Kreole, der die Muskeln und den Nacken eines Kampfstieres hatte. Er hieb sich mit beiden Pranken auf die Schenkel und grinste von einem Ohr zum anderen. Sein Gesicht glich in diesem Augenblick einer dämonischen Fratze, wozu sicherlich auch seine verknorpelten Ohren sowie die breitgeschlagene Nase beitrugen.
„Gar nichts hast du geschafft“, sagte Pablo. „Wir sind jetzt lediglich auf dem gleichen Stand.“
„Was soll das heißen, du Ratte?“ In den pechschwarzen Augen Cascos glomm ein gefährliches Feuer.
„Daß du mich beschissen hast“, erwiderte Pablo wütend. Er war ein vierschrötiger Kerl, muskelbepackt und mit einem Gesicht voller häßlicher Narben.
Der Kreole fuhr von den Planken hoch.
„Reiß dein Maul nur nicht zu weit auf!“ stieß er hervor. „Ein einziges Wort noch, und ich zerquetsche dich zwischen Daumen und Zeigefinger wie eine Kakerlake.“
Pablo lachte heiser, und die anderen grinsten dazu erwartungsvoll.
„Wenn du spielst, mußt du dich auch an die Regeln halten“, sagte er ungerührt. „Bilde dir nur nicht ein, daß ich mich auf eine so plumpe Weise übers Ohr hauen lasse. Da such’ dir lieber gleich einen Dümmeren aus, es gibt ja genug Idioten an Bord dieses verdammten Kahns.“
Für einen Moment herrschte Totenstille. Die Spielkumpane blickten in gespannter Erwartung auf die massigen Körper der beiden dunkelhäutigen Giganten.
Sie wurden nicht enttäuscht.
Die Rechte Cascos zuckte blitzschnell zum Gürtel, und einen Lidschlag später blitzte die Klinge seines Messers grell im Licht der Vormittagssonne.
Jawohl, über der versteckten Bucht im Labyrinth der Islas de Mangles vor der westlichen Südküste Kubas brauten sich an jenem 23. April im Jahre des Herrn 1594 Wolken des Unheils zusammen.
Schon seit Tagen spürte jeder an Bord des schwarz gestrichenen Zweideckers mit dem anspruchsvollen Namen „Caribian Queen“, daß etwas in der Luft lag, aber keiner der Piraten konnte sich einen Reim darauf bilden. Die Stimmung an Bord glich der dumpfen Atmosphäre, die einem heftigen Gewitter vorausgeht.
Eigentlich hatte der sonnige Apriltag recht harmlos begonnen. Ein halbes Dutzend der verluderten Kerle hatte sich auf der Back im Schatten des mächtigen Schanzkleides hingehockt und ließ einen Würfelbecher kreisen. Kleinere und größere Häufchen von Perlen sowie Gold- und Silbermünzen wechselten ihre Besitzer und wurden von gierigen Händen hin und her geschoben.
Jetzt aber hatten die Piraten kaum noch Interesse an den Münzen. Ihre Augen waren auf Casco und Pablo gerichtet. Endlich passierte mal wieder etwas auf diesem Teufelskahn, auf dem die Kerle seit dem Anlaufen des Schlupfwinkels im Dezember des vergangenen Jahres tatenlos herumgammelten. Die nervtötende Warterei ging ihnen schon lange aufs Gemüt. Da half es auch nicht, wenn von Zeit zu Zeit eine kleinere Gruppe zum kubanischen Festland übersetzte, um dort in einer der zahlreichen Hafenkneipen mal tüchtig auf die Pauke zu hauen.
Das war ohne Zweifel der begehrteste Zeitvertreib, denn die glutäugigen Schönen, die fast schon zum Inventar der Spelunken gehörten, warfen allem, was Hosen trug, verführerische Blicke zu, und nicht nur das. Trotzdem hatten es die meisten Schnapphähne von der „Caribian Queen“ längst satt, einen Großteil ihrer Zeit faul an Bord herumzulungern oder bei den zahlreichen Glücksspielen ihre Barschaft zu verjubeln. So verschlechterte sich die Stimmung von Tag zu Tag mehr, und immer wieder mußte sich mal einer der Kerle „Luft“ verschaffen – gleich auf welche Weise.
Auch Casco war seit Tagen übelgelaunt. Kein Wunder, daß er jetzt die Nasenflügel blähte wie ein Büffel, der im Begriff ist, seinen Gegner auf die Hörner zu nehmen. Seine Rechte umklammerte den Griff des Messers, seine Augen funkelten tückisch.
„Komm her, du Ratte!“ zischte er. „Niemand bezeichnet mich ungestraft als Falschspieler. Auch du nicht.“
„Trotzdem hast du mich beschissen!“ schnaubte Pablo. „Alle können das bezeugen. Außerdem scheinst du die Hosen gestrichen voll zu haben. Warum sonst brauchst du einen Piekser? Deinen zarten Fäusten traust du wohl nichts mehr zu, wie?“
Casco warf einen verdutzten Blick auf sein Messer.
„Na schön“, sagte er dann mit rauher Stimme, „du sollst es haben, wie du willst – heiß oder kalt, langsam oder schnell. Wenn du dich vor einem Messerkampf fürchtest, bin ich gern bereit, dir mit den Fäusten was zu verpassen. Aber verlaß dich drauf – ich werde dir jeden Knochen einzeln brechen.“ Mit einer raschen Bewegung schob er das Messer in den Gürtel zurück.
Pablo quittierte das mit einem höhnischen Grinsen.
„So ist’s besser, Freundchen. Und jetzt zeig endlich, ob du deine großspurigen Versprechungen auch einhalten kannst.“ Sein narbiges Gesicht nahm einen lauernden Ausdruck an. Er stand nach vorn gebeugt wie ein Gorilla und hatte die Hände zu Fäusten geballt.
„Und ob ich dir das zeigen werde!“ stieß Casco hervor. Fast gleichzeitig wuchtete er seinem Gegner eine rechte Gerade entgegen.
Pablo hatte jedoch damit gerechnet. Er kannte die wilde und ungestüme Art Cascos und ebenso seine Verschlagenheit, Skrupellosigkeit und Hinterlist. Da er dem Kreolen, was diese und einige andere Charaktereigenschaften betraf, durchaus ebenbürtig war, reagierte er entsprechend. Trotz seiner massigen Gestalt war er flink und beweglich. Er tauchte blitzschnell unter der Faust Cascos weg und rammte diesem den kantigen Schädel in die Magengrube.
Casco keuchte und krümmte sich für einen Moment zusammen. Dann entrang sich ihm ein wütender Aufschrei, der an das Brüllen eines Ochsen erinnerte.
„Jetzt bist du endgültig dran!“ schrie er mit haßverzerrtem Gesicht. „Dir drehe ich die Nase so auf den Rücken, daß du dein eigenes Hinterteil betrachten kannst.“
„Versuch’s doch“, entgegnete Pablo wild. Im selben Augenblick stießen seine Pranken zu. Offensichtlich wollte er seinen Rammstoß mit den Fäusten wiederholen, um dem Kreolen abermals die Luft aus dem mächtigen Brustkorb zu jagen.
Doch diesmal war Casco auf der Hut. Er blockte den Hieb geschickt ab und erwischte seinen Gegner mit einem harten Schlag gegen die rechte Schulter.
Pablo wurde ein Stück um die eigene Achse gerissen. Dennoch reagierte er geistesgegenwärtig und ging sofort in die Hocke, denn der zweite Hieb Cascos hätte ihn ohne Zweifel am Kopf erwischt und von den Beinen gefegt. So aber stieß die Faust des Kreolen ins Leere, und er torkelte durch die Wucht des eigenen Schlages ein Stück vor.
Pablo nutzte das aus. Noch in der Hocke wirbelte er herum, warf sich der Länge nach zu Boden und griff nach Cascos Beinen. Bevor dieser zur Seite springen konnte, zog er ihm die Füße unter dem Körper weg, so daß der bullige Mann mit einem wüsten Fluch auf die Planken krachte.
Die Zuschauer, die den Schlagabtausch mit Begeisterung verfolgten, brüllten lachend auf. Solange sie Casco kannten, hatte es noch keiner geschafft, den Bullen auf eine so simple Weise aufs Kreuz zu legen.
Aber sie freuten sich zu früh. Der Kampf strebte rasch seinem Ende entgegen.
Pablo, der Casco an Körperkräften unterlegen war, wollte seinen bisherigen Erfolg auskosten. Der Gedanke, am Ende doch noch der Unterlegene zu sein, war ihm unerträglich, deshalb riß er mit einer jähen Bewegung sein Entermesser aus dem Gürtel. Er wollte unter allen Umständen verhindern, daß der Kreole wieder auf die Beine kam. Schon Sekunden danach zerschnitt die scharfe Klinge seines Messers die Luft und raste auf Casco zu.
Einen Atemzug lang sah Casco dem Tod ins Auge, dann warf er seinen schweren Körper in einem wilden Aufbäumen zur Seite. Das Messer fuhr mit einem dumpfen Geräusch in das Holz der Schiffsplanken.
Casco schäumte vor Wut. Mit einem Schrei, der seinen ganzen Haß zum Ausdruck brachte, griff er ebenfalls zum Messer. Dabei verwünschte er sich selber, weil er es zu Beginn des Kampfes in den Gürtel zurückgesteckt hatte.
Bevor Pablo die scharfe Klinge seiner Waffe aus dem Holz ziehen konnte, war sein Schicksal besiegelt.
„Stirb, du hinterlistiger Hund!“ brüllte Casco und stieß dem narbengesichtigen Burschen, der noch halb über ihn gebeugt war, von unten das Messer in die Brust.
Pablo kippte zur Seite und rollte auf den Rücken. Ein Röcheln verriet dem bulligen Kreolen, daß er seinen Gegner endgültig besiegt hatte. Trotzdem warf er sich in seiner unbändigen Wut über Pablo und hätte ohne Zweifel ein zweites Mal zugestoßen, wenn ihn nicht plötzlich die Stimme einer Frau in die Wirklichkeit zurückgerissen hätte.
Die Stimme gehörte der Black Queen, jener halbnackten Negerin mit dem athletischen Körperbau, die den gefürchteten Zweidecker mit eiserner Hand regierte und sich zum Ziel gesetzt hatte, die gesamte Karibik zu beherrschen.
„Aufhören!“ rief sie mit wütender Stimme. „Sofort aufhören!“
Casco rollte wild mit den Augen, dann ließ er das Messer zähneknirschend auf die Planken fallen.
Der Befehl der Black Queen war jedoch um Sekunden zu spät erfolgt, denn Pablo war tot. Seine Augen starrten gebrochen in den wolkenlosen Himmel.
Die Black Queen, die gestützt vom Feldscher zu einem ihrer sehr kurzen und seltenen Inspektionsgänge aufgebrochen war, blickte Casco böse an.
„Was geht hier vor?“ wollte sie wissen, und jeder an Bord bemerkte, daß ihre Stimme nicht mehr die frühere Schärfe und Festigkeit hatte. Sie war leiser und kraftloser geworden in der langen Zeit, seit die schwarze Piratin ihre schwere Verwundung auskurierte. Früher, ja, da hatte sie ihrem Namen alle Ehre gemacht. Stolz und tatkräftig wie eine Königin war sie aufgetreten und gar mancher hatte sich die Zähne an ihr ausgebissen.
Seit sie sich jedoch im Duell gegen El Tiburon eine Kugel dicht über dem Herzen eingefangen und viele Wochen lang mit Wundfieber, Vereiterungen und gefährlichen Entzündungen in ihrer Koje gelegen hatte, war sie nur noch ein Schatten ihrer selbst.
Casco rappelte sich von den Planken hoch und deutete verächtlich auf die Leiche Pablos.
„Diese Ratte hat mich der Falschspielerei beschuldigt, und zwar unberechtigt, wie jeder dieser Männer hier bezeugen kann.“ Die Blicke, mit denen er seine Spielkumpane bedachte, sagten deutlich genug, daß eine gegenteilige Antwort von ihnen ernste Folgen nach sich ziehen würde.
Die Kerle nickten deshalb eifrig.
„Er hat recht, Madam!“ rief einer von ihnen. „Pablo hat den Streit begonnen. Er hat seine Pechsträhne nicht verwinden können.“
Die Piratin winkte ab.
„Werft die Leiche über Bord!“ befahl sie, und damit war der Fall für sie erledigt.
Die wüsten Kerle führten diesen Befehl aus, zumal es an Bord der „Caribian Queen“ ohnehin nicht üblich war, einen Toten in Segeltuch zu nähen und nach einem Gebet und einer Ansprache der See zu übergeben. Leichen nahmen den gleichen Weg wie die Küchenabfälle: man warf sie einfach über Bord.
Nachdem Pablos Körper mit einem Klatschen in das Wasser der Bucht eingetaucht war, zog sich die Black Queen mit Hilfe des Feldschers in ihre Achterdecksräume zurück. Das hämische Grinsen, das die wulstigen Lippen Cascos dabei umspielte, bemerkte sie nicht.
Sobald die einst so gefürchtete Frau nicht mehr zu sehen war, wandte sich Casco seinen Kumpanen zu. Ihre Schar war durch eine beträchtliche Anzahl Gaffer größer geworden. Das Stimmengewirr, das während des Auftauchens des weiblichen Kapitäns leiser geworden war, schwoll jetzt wieder an. Einige der Schnapphähne hieben dem bulligen Kreolen anerkennend auf die Schultern – getreu dem Brauch, sich immer auf die Seite des Stärkeren zu schlagen.
Casco genoß seinen Triumph, obwohl es nicht mehr sein Sieg über Pablo war, der sein Denken beherrschte. Seine Gedanken kreisten bereits um eine ganz andere Sache. Um eine Sache, die ihm schon seit Wochen im Kopf herumspukte, und über die man zuweilen hinter vorgehaltenen Händen tuschelte.
Der stiernackige Mann mit der breitgeschlagenen Nase zeigte jetzt mit dem Daumen zum Achterdeck.
„Unsere Queen scheint eine Katze ohne Krallen geworden zu sein“, sagte er spöttisch. „Wenn ich sie so kraftlos herumschleichen sehe, erinnert sie mich an meine sieche Großmutter.“
Während einige der verlotterten Burschen ein lautes Gelächter anstimmten, zogen es andere vor, zu schweigen, denn man wußte zur Zeit nicht so recht, wie man dran war auf der „Caribian Queen“.
Überhaupt hatte der Zusammenhalt an Bord in letzter Zeit merklich nachgelassen. Die meisten Männer waren gereizter Stimmung, und nichts fehlte ihnen mehr, als ein wilder Raid, der auch ihre leeren Beutel wieder auffüllte. So aber lag der Dreimaster seit Monaten in dieser einsamen Bucht, um die Genesung der Black Queen abzuwarten.
Das üppige Grün der Insel, die hochaufragenden Palmen und die baumhohen Farne waren oft wochenlang das einzige, was die Mannschaft zu sehen kriegte. Manchmal zog ein Schwarm Vögel lärmend über das Schiff weg und übertönte für einige Augenblicke die Flüche jener, die gerade beim Glücksspiel ihre letzte Barschaft verloren hatten. Die erzwungene Untätigkeit setzte den Kerlen am meisten zu. Alle warteten darauf, daß endlich etwas geschah.
Hinzu kam, daß seit Tagen auch die harte Hand an Bord fehlte. Die Black Queen war noch immer krank und schwach, und Caligula, ihr Geliebter, hatte schon vor acht Tagen das Schiff verlassen, um sich nach Havanna durchzuschlagen. Er wollte herausfinden, was aus Cariba geworden war, der im Auftrag der Black Queen schon vor einem Monat nach Havanna aufgebrochen war, um die Männer von der Schlangen-Insel, jenen schlagkräftigen Bund der Korsaren, den Spaniern ans Messer zu liefern.
Die Queen lebte nur noch ihrer persönlichen Rache. Da Cariba längst überfällig war, hatte der hünenhafte Caligula die Angelegenheit selber in die Hand genommen. Das aber war ein Fehler, wie sich noch zeigen sollte, denn seit er das Schiff verlassen hatte, bröckelte nicht nur der Zusammenhalt an Bord ab, sondern auch die Autorität. Und das war gefährlich, sehr gefährlich sogar.
In der Mannschaft gärte und brodelte es, und gerade Casco war einer von jenen, die genug Schlitzohrigkeit und Durchsetzungsvermögen hatten, um die allgemeine Stimmung auszunutzen.
Auch jetzt begann er das bereits schwelende Feuer wieder aufzuheizen.
„Manchmal frage ich mich“, fuhr er fort, „ob die Queen jemals wieder etwas als Kämpferin taugen wird. Ist euch nicht aufgefallen, wie schwach und abgemagert sie ist, he?“
Viele der Kerle, die sich auf der Back versammelt hatten, nickten zustimmend.
„Wie eine schwindsüchtige Kuh, die keinen Tropfen Milch mehr gibt“, bemerkte einer von ihnen und vollführte dabei eine geringschätzige Geste.
Ein kleiner Bursche mit Säbelbeinen und einer riesigen Warze auf der Nase sagte: „Sie kommt nie wieder richtig auf die Beine, auch wenn sie seit dem Landgang Caligulas ab und zu mal aus der Koje kriecht. Doch sie wird das niemals einsehen, selbst wenn wir hier langsam vermodern.“
„Da hast du verdammt recht, Silo“, ließ sich ein spindeldürrer und baumlanger Kerl vernehmen. „Wenn das noch eine Weile so weitergeht, werden wir vor Faulheit noch rund und fett. Außerdem haben wir nicht mal mehr so viel Kleingeld im Beutel, daß wir ein Spielchen riskieren können.“
Casco grinste breit.
„Dich möchte ich mal rund und fett sehen, du ausgedörrter Hering“, erklärte er. „Trotzdem ist es so, wie du sagst. Wir verarmen langsam, aber sicher, wenn wir uns diesen Zustand noch länger bieten lassen. Meiner Meinung nach wird es höchste Zeit, daß wir mal wieder richtig zuschlagen und was erbeuten.“
Der Kreole erntete rege Zustimmung, wenn auch nicht von allen.
Limba, ein magerer Bursche mit üppigem Kraushaar, farbig wie alle an Bord, erhob Einspruch.
„Ich finde, wir sollten die Rückkehr Caligulas abwarten“, schlug er vor. „Wenn erst die Sache mit den englischen Bastarden von der Schlangen-Insel erledigt ist, wird sich hier bestimmt auch einiges ändern, gleich, ob die Queen wieder hochkommt oder nicht. Caligula wird sich darum kümmern, denn er wird hier ebensowenig versauern wollen wie wir.“
Die meisten antworteten mit einem hämischen Lachen.
„Hast du etwa Sehnsucht nach Caligula?“ fragte Casco. „Sicherlich hat er dir noch nie seine Peitsche übers Fell gezogen, sonst würdest du nicht so einfältig daherreden. Außerdem: Wer weiß denn, ob er überhaupt jemals wieder hier auftauchen wird? Vielleicht hat er selber die Schnauze voll, und während wir hier auf ihn warten, vergnügt er sich in Havanna.“
„Das ist auch meine Meinung“, ereiferte sich der säbelbeinige Silo und befingerte dabei unentwegt die Warze auf seinem Nasenrücken. „Selbst Cariba ist noch nicht zurückgekehrt. Wenn ich mich recht erinnere, ist er schon vor einem Monat nach Havanna aufgebrochen. Wahrscheinlich hat er was Besseres gefunden, ebenso wie unsere drei Kameraden, die bereits heimlich abgemustert haben und es sich inzwischen auf Kuba gutgehen lassen. Sollen wir vielleicht warten, bis wir alt und grau geworden sind und beim Enterkampf die Arme nicht mehr hochkriegen?“
Casco nickte beifällig und ergriff erneut das Wort.
„Recht so, Silo“, sagte er schmeichlerisch. „Du gehörst zu jenen Männern an Bord, die die Dinge mit klarem Blick sehen. Aber laß Limba nur bei seiner Herrin bleiben. Vielleicht hat sie sogar Verwendung für ihn und läßt ihm die Ehre zuteil werden, ihren Nachttopf entleeren zu dürfen. Außerdem, was geht es uns an, daß sich die Queen an diesen verdammten Engländern rächen will? Wir sind Piraten und möchten endlich mal wieder was im Beutel klimpern hören. Ich bin deshalb dafür, daß wir das Schiff übernehmen, um selbst entscheiden zu können, was zu tun ist.“
„Das ist Meuterei!“ kreischte Limba schrill.
„Nenne das, wie du willst, du Kriecher!“ sagte Casco wütend. „In meinen Augen ist das Selbsthilfe, reine Selbsthilfe, jawohl. Und wenn du dein vorlautes Maul nicht endlich hältst, bin ich gern bereit, es dir zu stopfen.“ Wie zufällig streichelte er den Griff seines Messers, das er wieder im Gürtel trug.
Limba schluckte und zog es vor, den Mund zu halten. Er verspürte nicht die geringste Lust darauf, den gleichen Weg wie Pablo zu gehen.
Casco wandte sich wieder den anderen zu, die jetzt alle mit gedämpften Stimmen durcheinanderredeten.
„Leute“, sagte er, „wir haben in der Vergangenheit oft genug bewiesen, daß wir eine schlagkräftige Mannschaft sind. Sogar diesem Seewolf und seinen Kerlen haben wir beachtlich zugesetzt. Und wir haben reichlich Beute geschlagen. Die Queen und Caligula sind dadurch reich geworden, während wir kaum noch einige Münzen für ein Würfelspielchen erübrigen können. Das aber wird sich ändern, wenn wir zusammenbleiben und über ein gutes Schiff wie dieses verfügen. Nicht das Weibsstück, das siech in seiner Koje liegt, wird dann die Karibik beherrschen, sondern wir.“
Zustimmendes Gemurmel brandete über die Back. So war das: Männer wie Casco und Konsorten waren schnell bei der Hand, ihre Anführer abzusetzen, wenn sie spürten, daß deren Glorienschein dahin war. Einen Treuebegriff kannte man in ihren Kreisen ohnehin nicht. Moralische Hemmungen schon gar nicht. Casco gelang es daher, daß sich auch diejenigen, die bisher gezögert hatten, auf seine Seite schlugen. Nur Limba und drei weitere Männer hielten sich noch zurück, aber das war für Casco, der sich seit einiger Zeit als Haupträdelsführer der Unzufriedenen an Bord aufspielte, kein Problem. Er stand längst im Mittelpunkt, und es gab keinen Zweifel daran, daß er die Führerrolle übernommen hatte.
„Wir müssen Cascos Vorschlag annehmen, wenn wir hier nicht verrotten wollen!“ rief Silo begeistert. „Wir sind eine eingespielte Mannschaft, die es am Ende doch noch schaffen wird, sich die Schätze von der Schlangen-Insel zu holen.“
„Natürlich schaffen wir das“, sagte Casco sofort, „obwohl wir es gar nicht mehr nötig hätten. Wenn dieses Schiff uns gehört, dann gehören uns auch die Schätze, die von den früheren Beutezügen her noch an Bord sind. All die Golddublönchen, die Piasterchen, Perlen und Klunkerchen werden nämlich im Achterdeck gehortet, und ich wette, daß selbst der Dümmste unter uns weiß, welche Werte dort lagern. Wir haben dazu beigetragen, daß diese Schätze erbeutet wurden, also haben wir auch ein Anrecht darauf.“
Mit diesen Worten hatte der bullige Kreole den Nerv der Galgenstricke getroffen. Diejenigen, die sich auf den Planken niedergelassen hatten, sprangen auf, als habe sie eine unsichtbare Faust am Kragen gepackt und hochgepurrt. Es entging Casco nicht, daß ihre Augen gierig zu glitzern begannen. Demnach mußte er die Gunst der Stunde nutzen. Und das tat er gründlich.
Er hetzte und schürte, er beschwor und versprach mit einer Überzeugungskraft, die ihresgleichen suchte. Das Feuer, das er entfachte, pflanzte sich in Windeseile über die Decks fort. Überall wurde erregt debattiert, und viele rieben sich erwartungsvoll die Hände. Die Meuterei auf der „Caribian Queen“ war nicht mehr aufzuhalten. Casco brachte nahezu die gesamte Mannschaft auf seine Seite, während die Black Queen ahnungslos in ihrer Koje lag und dumpf brütend gegen die Decke starrte.
Nur vier Männer gab es noch an Bord, die ihre Bedenken äußerten und glaubten, bei der Black Queen nicht abmustern zu dürfen. Zu ihnen gehörte nach wie vor der magere Limba, dem die Furcht vor der Rache der schwarzen Piratin und ihres Geliebten im Nacken saß. Er ballte hilflos die Hände, während Casco die übrigen Männer anfeuerte.
„Wir müssen sofort handeln“, erklärte der Kreole, „und nicht erst warten, bis Caligula zurückgekehrt ist. Jetzt, in diesem Augenblick, müssen wir zuschlagen. Einen Kampf wird es nicht geben, wenn wir uns einig sind. Allein hat die Queen keinerlei Chance gegen uns.“
„Das ist Wahnsinn!“ rief Limba mit bebender Stimme. „Völliger Wahnsinn! Der Einflußbereich der Queen ist noch immer groß. Wir werden uns nirgends mehr in der Karibik sehen lassen können, ohne daß sie sich an uns rächen wird.“
„Wir könnten sie ja ins Jenseits befördern“, sagte ein bärtiger Kerl kalt, „dann braucht sich niemand mehr aus Angst vor ihrer Vergeltung in die Hosen zu machen.“
Limba tippte sich mit dem Zeigefinger gegen die Schläfe.
„Du Schwachkopf hast wohl Caligula vergessen, wie? Er würde uns über alle Meere der Welt folgen, darauf kannst du dich verlassen.“
„Schluß jetzt mit all dem Schwachsinn!“ befahl Casco herrisch. „Was dich betrifft, Limba, zwingt dich niemand, daß du dich uns anschließt. Wir alle haben längst bemerkt, daß du dich vor einer kranken und schwachen Frau fürchtest, und auf solche Feiglinge können wir allemal verzichten. Aber bilde dir nur nicht ein, daß auf unserem Schiff noch Platz für dich sein wird. Das gilt auch für diejenigen, die mit dir ins selbe Horn blasen. Ihr alle dürft gern in dieser anheimelnden Gegend bleiben. Wenn ihr hübsch fleißig seid, könnt ihr drüben auf der Insel Bananen und Kokosnüsse ernten, damit euer Freund Caligula und seine Hure was zu beißen haben.“
Der Kreole ging einen Schritt auf Limba zu, packte ihn übergangslos am Gürtel und Kragen, wuchtete ihn hoch, und bevor der magere Schwarze einen Schrei ausstoßen konnte, klatschte er bereits ins Wasser. Seine drei Freunde folgten ihm in wenigen Augenblicken, denn es fehlte Casco fürwahr nicht an Helfern.
„Verschwindet, ihr Angsthasen!“ rief der Kreole. „Aber beeilt euch, sonst beißen euch die Haie die besten Stücke ab.“
Die vier Männer schwammen um ihr Leben. Wenn ihnen kein Hai begegnete, hatten sie eine Chance, die Insel zu erreichen. Im Grunde mußten sie noch froh darüber sein, daß man sie nicht einfach nach alter Piratenmanier abgemurkst hatte.
Der Spott ihrer ehemaligen Kumpane war ihnen auf jeden Fall sicher. Wüstes Gelächter begleitete sie, bis Casco die Bande wieder zur Ordnung rief und sie ermahnte, sich nicht durch zuviel Lärm zu verraten.
„Es ist soweit, Kameraden“, sagte er grinsend. „Wir werden unseren Kapitän wohl oder übel von unserem Entschluß in Kenntnis setzten müssen.“
Die grelle Vormittagssonne übergoß die endlosen Wassermassen der Karibischen See mit gleißendem Licht. Der tiefblaue und wolkenlose Himmel vermittelte ein Bild des Friedens und der Ruhe.
Doch der Schein trog. Zumindest die Black Queen, die in ihrer Koje lag und finsteren Gedanken nachhing, würde jenen Vormittag des 23. April 1594 nie vergessen, denn er sollte ihr die schwärzesten Stunden ihres bisherigen Lebens bescheren.
Ja, was konnte es für eine Frau wie sie, die sich bereits auf dem besten Wege, befunden hatte, die gesamte Karibik zu beherrschen, Schlimmeres geben, als bis an die Grenzen ihrer Kraft erniedrigt und gedemütigt zu werden! Sie war die Black Queen, die Schwarze Königin, vor der man noch vor Monaten gezittert und gekuscht hatte, wo immer sie erschienen war. Die Männer hatten lüsterne Stielaugen gekriegt, wenn sie auf einer der zahlreichen Inseln an Land gegangen war – halbnackt, nur mit einem Lendenschurz bekleidet, der von einem handbreiten Ledergürtel festgehalten wurde und ihren athletischen Körperbau betonte. Trotz ihrer enormen Muskelkraft waren ihre weiblichen Reize unverkennbar gewesen, was mit Sicherheit nicht nur an den goldenen Ohrringen und der kostbaren, ineinander verschlungenen Halskette lag, die sie stets trug.
Dieses Bild der Black Queen gehörte jedoch der Vergangenheit an. Die schwere Schußverletzung, von der sie beinahe dahingerafft worden wäre, hatte ihr schwer zugesetzt und ihr Aussehen gewaltig verändert. Sie war dürr geworden, ihre einst so festen Brüste waren faltig und schlaff, die muskulösen Oberarme dünn und kraftlos, und ihr Gesicht wirkte spitz und eingefallen. Nichts erinnerte mehr an die sonst so vollen und sinnlichen Lippen. Die Augen lagen tief, in den Höhlen, die Haut war fahl und voller Falten.
Die Queen war zwar zäh wie eine Katze, sonst hätte sie die schwere Verwundung nicht überlebt, und sie würde auch nach und nach wieder gesunden, das war bereits jetzt schon abzusehen, aber all das zählte nicht für Casco und seine Kumpane. Sie blickten weder in die Vergangenheit noch in die Zukunft. Nur die Gegenwart zählte für sie, und das sollte der Black Queen zum Verhängnis werden.
Nach ihrem kurzen Rundgang, der sehr anstrengend für sie gewesen war, hatte sie sich wieder hingelegt. Sie fühlte sich jedoch verpflichtet, während der Abwesenheit Caligulas wenigstens ab und zu nach dem Rechten zu sehen, damit die Kerle an Bord nicht glaubten, sie könnten tun, was sie wollten.
Die Sache zwischen Casco und Pablo hatte sie nicht sonderlich berührt. Auf einen Kerl mehr oder weniger an Bord kam es sowieso nicht an, zumindest ihr nicht. In diesem Punkt hatte sich die schwarze Piratin nicht verändert. Ihr Charakter, ihre Gefühle, ihr Empfinden sowie all ihre Haß- und Rachegedanken waren die gleichen geblieben, auch wenn sich ihr Körper nachteilig verändert hatte.
Der kostenlose Auszug ist beendet.