Buch lesen: «Der Algorithmus des Meeres»
Der Algorithmus des Meeres
Frank Hebben
© 2015 Begedia Verlag
© 2015 Frank Hebben
Titelbild – Thomas Franke
(Gewidmet Carl Hoffman)
Lektorat – Armin Rößler, Nadine Ihle
ebook-Bearbeitung – Harald Giersche
ISBN – 978-3-95777-055-4
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Widmung
† Michael Szameit gewidmet.
»Das Meer ist keine Landschaft, es ist das Erlebnis der Ewigkeit, des Nichts und des Todes, ein metaphysischer Traum«
[Thomas Mann]
Der Algorithmus des Meeres
VIOLETT IST das Meer, morgens; und abends, wenn die Dunkelheit fällt; mittags am Fenster so grell, dass der Schaum zerplatzt – weit unten kratzt es am Beton, wühlt zwischen Abfall und Tang, rollt gurgelnd ein Ölfass, das angeschwemmt wurde und stinkt. Dumpf, weil die Luft an der Haut klebt, hört er den Wellen zu, wie sie knistern und zischen, schlaflos, verloren, bis er die Augen öffnet: das Zimmer, sein Bett. Maro streift das Laken von seinen Füßen, zu heiß, und liegt nackt, lange Zeit. Mit zwei Fingern wischt er einen Tropfen von der Wand, schmeckt ihn: salzig; der ganze Bau schwitzt, die Tapeten sind blasig, gewellt; rechts die Regale mit Pflanzen, ein Windspiel aus Gabeln, das ihm Kassandra geschenkt hat, blinkt, und das Bad, mit einer Wasserpumpe; keine parfümierte Seife, keine bestickten Handtücher – wie es im Hotel üblich war, früher; meint die alte Lina.
Eine flache Hand auf dem Bauch, den er reibt, an Härchen zupft und sich selbst anfassen will, als ein Vogel keift, sodass er den Arm zurückzieht, still wartet, dann hustend aufsteht, nur um wieder am Tisch zu sitzen, Kopf unten, sein Nacken glänzt. So starrt Maro die Skizzen an: Flügel auf Papier. Er greift nach dem Bleistift, zeichnet eine Feder nach, seufzt. Diese Hitze. In einer Brise weht schlechter Atem herein; das Besteck klimpert. Die Sonne steigt auf. Maro wartet, mit brennenden Augen, während er zum Horizont schaut, die Tränen wegblinzelt. Wie das Meer heute blendet – ein Spiegel, und kaum Schaum; erst bei der Treppe werden die Wogen kraus, bevor sie über Miesmuscheln lecken, am Plastik ziehen: Trinkflaschen und strähnige Tüten, zu Fetzen zerschnitten. Ich weiß nicht, sagt Maro. Etwas ist anders.
Ihr Glöckchen am Halsband, es funkelt und schellt, als seine Katze aufs Fenstersims springt: Loreley – sie legt die Pfote ans Glas, maunzt; und er öffnet spaltbreit, damit sie auf den Tisch klettern kann, wo sie moosige Tatzen auf dem Papier hinterlässt. Maro beugt sich vor, steckt seine Nase ins Fell, das nach Sand und Tabak riecht: Die Katze ist bei ihr gewesen; und zur Begrüßung leckt sie ihm das Salz von den Fingern, streift vorbei, plumpst in sein Bett, wie jeden Tag, und rollt sich ein und döst – ein Umriss an der Wand, die Ohren sind zwei Zacken.
Müde bleibt er sitzen, die Schultern an der Lehne, fühlt den klebrigen Schweiß am Rücken, ehe er den Stuhl zurückschiebt, zum Kühlschrank geht und das Werkzeug rausholt: eine speckige Gürteltasche, die er auf dem Boden ablegt. Er pumpt Wasser ins Becken, wäscht sich die Haare, die Achseln und die Brust. Maro zieht kein Hemd an, nur die abgewetzte Arbeitshose; nimmt die Tasche, zurrt sie fest. Mit Eimer und Besen in Händen verlässt er den türlosen Raum, und ein Luftzug streicht durchs Windspiel: Die Gabeln pendeln, Lichtfunken im Gang, dem er zur Treppe folgt, dann abwärts steigt, barfuß.
Kein Teppich aus Samt, der seine Schritte dämpft, nur Reste stecken in den Leisten fest, struppig und blass. Auf dem Estrich, hier rissig, dort dünne Mörtelschollen, erreicht Maro die untere Etage, und ein Handlauf führt ihn ins Foyer – bis auf ein Sofa vollkommen leer. Von seinen Füßen bleiben Geisterspuren zurück, verdunsten, als er raus zum Strand läuft.
Spät dran! Die alte Lina, ihr gegerbtes Gesicht, mit dem blauen Punkt auf der Stirn; sie lacht, winkt ihm vom Balkon aus zu, ruft etwas, das der Wind mit sich fortträgt.
Maro spürt den Sand, schmirgelnd, er rennt; links Dünen und brüchige Zäune, die Disteln blühen; nördlich liegt die Küste in der Grelle, unscharfe Klippen, weit entfernt und salzweiß. Hinten im Meer wie Boote, die trocken fielen: die Tidenkraftwerke. Man nennt sie Zyklopen: ein vierbeiniges Gestell, ein verschweißtes Rohr als Lidrand – innen der Rotorkranz, die Iris; alles algenbewachsen, verschlammt. Maro hört eine Böe durch Propellerblätter schneiden und das Spulen der Turbinen, die neuen Strom erzeugen.
Würmer ringeln in Pfützen, sind Knäuel im samtigen, kühlen Schlick; tief krallt Maro seine Zehen hinein, malt Kreise mit dem großen und nickt. Jetzt wartet er die Anlagen, steigt Trittleitern hoch, schrubbt Birnengehäuse, prüft die Dichtungen durch. Ein Rotorblatt hängt, rostiger Flügel, eine Schraube ist gebrochen; Maro versucht, sie zu lösen, aber es knirscht im Gewinde, daher hebelt er sie raus, schlägt sie weg, legt eine zweite ein, zieht sie fest.
Schnell drängt die Flut zurück; noch leise, rinselnd folgt sie den Prielen in die Bucht, und jähes Plätschern, näher jetzt, lauter. Von seewärts verlaufende Rinnen wie von einer Gabel eingekerbt: zwei vor, eine hinter den Kraftwerken, sie schwellen an, um überzufließen. Maro klettert vom Gestell, flucht, als er den Stand der Sonne misst. Sein Schatten auf geriffeltem Sand: Schuppen eines Fischs – doch Wellen glitzern, ganz nah. Er packt das Werkzeug und stapft los. Jeder Schritt quetscht dünnen Schlamm durch die Zehen, er sinkt ein, und eine Muschel schneidet ihn, während er das Knie herauszerrt, weitergeht, einbricht. Er robbt auf allen vieren, bis der Boden hell und körnig ist, und steht auf, stolpert zur Sandbank. Licht blendet ihn. Scheiße, flucht er.
Wieder im Priel schiebt Maro seine Hüfte durchs Wasser, das zum Bauchnabel steigt, an seinen Fersen saugt: eine Unterströmung, die ihn wegzieht; es kostet ihn Kraft voranzuwaten; dann lässt er los, klatscht hin – und treibt weg. Inmitten der Flut, er driftet, mitgerissen, kämpft dagegen an. Seine Muskeln werden taub. Das Stromkabel; kriegt es zu fassen, zieht sich zum Prielrand, kann stehen. Sand wölkt. Als zerzauster Vogel trottet er an Land, mit wirrem Haar, blutend und erschöpft, und sein Fuß färbt die Steine rot. Neben ihm gewaltige Algen wie Monster in den Wellenbergen. Brecher rollen. Der Wind frischt auf.
Auf Brust und Armen trocknet das Salz – und das Blut an seinem Knöchel. Maro fröstelt, trotz der Hitze. Die Treppen zum Stromspeicher sind so heiß, dass er Stufen überspringt: oben die Eisentür, verrostet, er öffnet sie, und Sand weht auf die Fliesen. Ein Stauraum, leer, bis auf eine Tonne und ein Blechregal, auf dem Bleiakkus lagern, nicht parallel, sondern in Reihen geschaltet, einer davon gebläht, einer korrodiert, einer verliert Flüssigkeit, die sich in einer Ätzmulde sammelt. Kabel hängen von den Polen wie Girlanden. Schwefelsäure. Es riecht nach faulen Eiern. Erst spachtelt Maro den Batterieschlamm ab, kippt ihn weg, bevor er die Bolzen mit einer Stahlbürste reinigt. Er testet, ob die Batterien zu warm sind, dichtet das Leck ab, worauf er jeden Stutzen aufschraubt, um den Säurestand zu prüfen; schwache Zellen füllt er mit destilliertem Wasser auf, verschließt die Deckel gründlich. Als Maro hinausgeht, hat sich der Himmel eingetrübt.
Am Ende des Kabels, die Stufen hoch, steht der Transformator im staubdichten Wellblechverschlag. Maro testest die Isolatoren, lauscht im Brummen nach Störgeräuschen, nichts. So schiebt er einen Knopf durchs Leder seiner Gürteltasche, dreht sich um. Am Geländer, die Hände überkreuz, betrachtet er das Meer, wie es anbrandet, sich zurückzieht, knochengrau. Hohe Wellen steigen auf und brechen: nur Schaum, der blind zur Flutlinie greift, ehe er prasselnd abfließt. Eimer, Besen, längst fortgespült. Maro läuft, bis er sieht, dass sein Knöchel wieder blutet; und steht still, Gänsehaut im Nacken, während Schatten auf die Strandkurve fällt. Muscheln, viele entzwei. Leerer Panzer eines Krebses, wie Papier. Und Loreley, die Kot verscharrt – zu ihm springt, als er ihren Namen ruft. Er streichelt sie.
Zum Hotel. Neben der Promenade hängen noch Sonnenschirme im Wind: entfärbter Stoff, die Streben sind krumm; tanzen als Geister, von Brisen geschüttelt. Hier flanierten die Urlaubsgäste, kauften Eis, meint die alte Lina. Keine Buden, Werbeschilder, kein Trubel mehr, nur Sand und Salz scheuern die Straße auf. Maro geht, und die Katze begleitet ihn ein Stück, ehe sie abseits ins Gras pirscht.
Ein Korridor, Türen zu beiden Seiten – eine davon ausgehängt und an den Rahmen gelehnt; steht spaltbreit auf, dass man sich reinzwängen kann. Hier wohnt Darius. Die Klinke ist sauber, der Schutzbeschlag von Patina überzogen, blau. Überall Wetzspuren von Stahlwolle. Doch Maro läuft weiter aufs Erkerfenster zu und treppab, wo Korblüster düster glitzern. Seitlich ziehen Gemälde vorbei, bevor er stehen bleibt, um eine der Türen zu öffnen: rostiges Bettgestell, die Matratze teegrün. Kassandra döst. Ihr Haar, am Kinn abgeschnitten, ins Kissen gedrückte Stirnfransen, ist schweißgewellt. Hinter Gardinen rauscht ein Wind, wie Plankton flirrt der Staub. Noch sieht Maro zu, schließt die Tür leise.
Der Lift: hämische Ziffern der Anzeigentafel; ausreichend Strom fließt. Maro drückt auf den Knopf – und es bollert und schlägt, tief unten, bis die Türen aufgleiten. Die Kabine ist verspiegelt, in hundert Größen tritt er ein. Nach oben. Auf Neun steigt Maik hinzu, sein schiefes Grinsen. Na?, fragt der, und Maro nickt. Sie warten, Schulter an Schulter, ohne ein zweites Wort zu sagen.
Im eigenen Zimmer tunkt Maro einen Waschlappen ein, wischt Dreck und das Blut weg. Er legt sein Werkzeug zurück; öffnet den Brotkasten, schneidet Scheiben vom Laib, die er mit Kürbispaste bestreicht; setzt sich und isst, während Wolken an der Küste aufziehen. Es nieselt, dann weichen die Farben, und der Strand saugt sich grau, als ein Guss vorüberfegt.
Und das Meer bricht durchs Fenster, obwohl es nie so hoch steigt; ein Schwall spült den Teppich zur Wand, läuft unter Bett und Kühlschrank hindurch, flutet das ganze Zimmer. Die Scheibe, nach innen gedrückt, segelt auf dem Wasser, sinkt; wieder oben mit Flaschen, Papier, Kerzen, Tellern, und den Schuhen. Loreley, sie schwimmt jetzt, wird von Maro gepackt, der mit starken Zügen an die Oberfläche taucht – gläserne Decke, ein Licht schimmert blau! Geträumt; seine Brust glitschig kalt: wie ein Fisch. Er zieht das Bettlaken weg, horcht in die Schatten.
Früh, ein salziger Nebel. Die Gerüche noch satt: ihre Seife; sie hat geraucht – ist ganz nah bei ihm. Kassandra redet, erzählt und erzählt, aber dumpf, wie hinter Wänden. Blass sind die Küste, das Meer; es knistert am Spülsaum.
Jetzt warte! Ihre Hand nimmt seine Hand. Was rennst du denn so?
Er lässt sie los. Komm.
Das Ölfass, bei Flut auf den Strand geworfen, wo es zwischen den Kieseln festhängt. Maro geht vor, zerrt am Deckel; setzt die Nägel an …
Sie haucht das Wort: Nicht.
Beide schlagen die Hände zur Nase, während sahnige Schlieren abfließen, gräulich; und schillerndes Perlmutt. So, als wäre ein Tier drin gefangen und verwest:
Gott, wie das stinkt.
Eine Woge gleitet über den Sand, und noch eine, länger auslaufend; die Flüssigkeiten vermischen sich, sprudeln und sieden. Maro zieht den Fuß raus. Heiß!
Kassandra an der Wasserlinie, sie winkt ihm zu. Hinter ihr liegen Gewirre aus Algen, aus Kunstfaserseilen und Draht; die Reste von Fangnetzen, Flaschen, Styropor. Fischgräten. Überall Fliegen, krabbeln und schwirren, als sie sich bückt, um eine Scherbe aufzuheben; ihr Pulli rutscht hoch – ihr nackter Rücken; Maro schaut weg.
Sie erklettern glitschige, scharfkantige Felsen, an denen später die Flut emporschlägt. Seepocken kratzen, stechen ein – jeder Schritt, jeder Handgriff tut weh; dann sind sie oben, beobachten Möwen, die Muscheln knacken, nach Salzkäfern graben oder am Himmel ihre Kreise ziehen. Manchmal findet man Bernstein, sagt Kassandra, und er nickt.
Hier ist die Küste grüner, denn Süßwasser tröpfelt ins Erdreich, und es verteilt sich weit: sogar Streifenfarne im Schatten der alten Mauer, die nur bei Sturm mit Gischt bespritzt wird. Kassandra & Maro sitzen da, atmen, blicken zur Küste, umgeben vom Wind. Stille Zeit.
Meerwassergewächshaus – mit geodätischer Kuppel: Kristall, Salz an den Scheiben, vom Rondell eingefasst, dessen Rundgang verrostet; löchrige Bodenbleche. Die Pflanzen hinter Glas, Schnörkel aus Blättern und Stängeln. Luvwärts liegt der Eingang, dort steckt Karton in den Fenstern, fingerdicke, poröse Waben, die faulen, weil sie von Sole durchtränkt sind; an Tagen, wenn heiße Luft nach innen bläst und die Nässe verdunstet, das Klima abkühlt, sich Tropfen an den Scheiben bilden, nachts, und in Sammelbecken fallen: Trinkwasser!
Kassandra, gefolgt von Maro, schlägt den Duschvorhang zurück und geht durch bunte Beete aus Wäschekörben, die voller Erde sind, ein Sickerschlauch an jeder Wurzel: Kartoffeln, Tomaten, Kürbisse und Gurken wachsen prächtig. Auch züchten sie Mais, sogar Tabak, aber nur eine Staude grünt, der Rest ist welk. Kassandra rupft alles heraus, und Dreck prasselt von den Wurzeln; in die Tonne geworfen. Dann neue, schwarze Samen, nicht größer als Mohn; ausgestreut, leicht eingedrückt.
Viel Glück, wünscht Maro, die Hände im Nacken.
Danke! Und streckt ihm die Zunge raus.
Beide lachen.
An der Zufahrt zum Hotel steht die Tankstelle verlassen, alte Plaketten; aber unten, im Boden, liegen große Tonnen vergraben: einst Benzin, jetzt Wasser darin. Maro nimmt die Zapfpistole von einer Gabel und füllt zwei Kanister voll, die er mit sich trägt, treppauf; gibt dann doch einen an Kassandra ab, die das Gewicht etliche Stufen hochschleppt – zur Frühstücksterrasse; setzt sich an den Tisch. Ist das schwer, keucht sie, eine Hand an der Stirn.
Früher gab’s fließend Wasser, sagt Maro, während er den Behälter neben ihr abstellt. Meint die alte Lina.
Tatsächlich?
Oh ja.
Die erzählt viel, wenn der Tag lang ist.
Ich glaube ihr.
Ein Kanister an der Tür, den zweiten schleift Maro zur Nasszelle, wo er ihn gegen einen leeren austauscht; den Schlauch draufschraubt, die Pumpe testet: Trübes Wasser klatscht ins Becken. Er nickt zufrieden.
Fertig?, fragt sie draußen im Gang, schattige Wange.
Hast du Hunger; durstig?
Ich will rauchen, jetzt komm.
Das Aroma im Raum: alter Stoff, warmes Holz. Aus einem Ohrensessel, aus der Lehne, quillt das Polster wie Pilzschwamm. Heizplatten, und der Toaster; Kassandra drückt die Taste runter, wartet kurz, ehe sie am Glühdraht ihre Zigarette ansteckt. Willst du bleiben?
Klar, sagt er. Nimmt das schöne Opernglas, das auf einer Truhe liegt. Kann ich‘s haben?
Geliehen, ja. Lächelnd tritt sie ans Fenster – ein Rauchfaden, der verweht; und das Meer in ihren Augen, die Wolken und der Strand; sie blinzelt versonnen. Lass uns was spielen.
Und was?
Keine Ahnung. Und dreht sich um, dass die Glut des Tabaks flackert; feine Schwaden ringeln zum Balkon, ein Korbstuhl, eine Markise, farbenreich, aber mürbe. In rissigen Tassen blüht Wildkraut.
Erzähl mir lieber diese Geschichte vom –
Ha! Ich habe eine neue für dich. Sie heißt: Die Wolkenfabrik.
Maro lässt sich in den Sessel fallen. Woher?
Ausgedacht, sie grinst.
Na, da bin ich doch gespannt.
Was soll das denn bitte heißen‽
Jetzt grinst auch er. Schon gut, fang an.
Und sie erzählt ihm ein Märchen von Dampfmaschinen, Titanen; von den Trägern, Werkern und Suchern – und vom weisen Lauscher, zu dem allein die Wolkenfabrik sprach.
Ich liebe das, sagt Maro im Sessel räkelnd, als würde man auf Worten mitreisen.
Machst du dich etwa lustig‽, fragt Kassandra und schnippt die Zigarette vom Balkon. Späte Sonne. Sie kneift ein Auge zu, während sie den Kopf neigt; ihn verschlagen prüft.
Nein, gar nicht! Maro steht auf. War auch sehr hübsch. Nur habe ich nicht kapiert, wieso der sein Zahnrad am Ende nicht einfach loslässt …
Das soll ich dir jetzt erklären?
Ja bitte.
Vergiss es, knurrt sie, schmunzelt dann. Dafür ist er halt einfach zu stolz; klar so weit?
Er zuckt die Schultern. Weiß nicht so recht.
Der Sand überall; er liegt in den Schuhen, in Regalen, zwischen Buchseiten; er klebt auf der Haut, an T-Shirts, am Lippenstift fest. Danke, sagt Maro; belegte Stimme.
Kassandra, sie will zum Nebenraum, hält inne. Was meinst du?
Ich bin gern bei dir.
Das weiß ich doch, sagt sie – und öffnet die Tür; gleich ein Geruch wie von Tomaten, bitterherb, typisch für Nachtschattengewächse, und Jod; leicht pelzig, vergoren, verfault. Auf Kordel gefädelter Tabak, manche Blätter sind eingerollt, verschimmelt oder von Mehltau befallen. Die meisten sepiagelb. Sie zupft eins davon ab, schneidet die Mittelrippe weg, zerbröselt den Rest im Spülbecken; wäscht ihn mit Wasser aus dem Kanister, ehe sie den braunen Klumpen in ein Küchentuch einschlägt, ausdrückt; danach auf der Fensterbank zum Trocknen auslegt.
Unter der Flickenmarkise – buntes Licht, das durch den Stoff einfällt, am Geländer und auf ihren Händen spielt. Seitab, metertief unten, liegt ein abgedeckter Swimmingpool mit frisch gechlortem Regenwasser; östlich Tennisplätze, auf denen Korn angebaut wird. Den Blick zur Küste fragt Kassandra: Bist du glücklich?
Die Sonne versinkt, Farben verblassen. Noch glimmert der Schaum, dann Dämmerung, entseelt und leer.
Reingehen?
Sie nickt. Langsam wird’s kühl.
Er folgt ihr zurück, wo sie in den Schubladen nach Kerzen kramt, eine findet: Hell blüht die Flamme auf. Im Schatten, auf dem Bett, sind ihre Augen wie Tonkugeln. Was willst du von mir?
Der kostenlose Auszug ist beendet.