Buch lesen: «Offensichtlich hatte Steffi ihren Laptop mit dabei»

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Offensichtlich hatte Steffi ihren Laptop mit dabei

Florian Wintels

Erste Auflage 2021

Alle Rechte vorbehalten

Copyright 2021 by

Lektora GmbH

Schildern 17–19

33098 Paderborn

Tel.: 05251 6886809

Fax: 05251 6886815

www.lektora.de

Covermotiv & -montage: Olivier Kleine, olivierkleine.de

Autorenfoto: Alexandra Lüüs

Lektorat & Layout Inhalt: Lektora GmbH, Denise Bretz

978-3-95461-173-7

Das Vorwort

Ich hatte in meinem Leben schon viele merkwürdige Begegnungen. Einmal, am Bielefelder Hauptbahnhof, bat mich ein Mann um einen Euro. Als ich verneinend und in Eile zur U-Bahn hechtete, rief er mir noch hinterher: »Komm schon, ich brauch nur noch ein Bier!«

Diese Worte trafen mich härter, als erwartet. Was genau wäre passiert, wenn er sein Bier bekommen hätte? Lange, schlaflose Vormittage grübelte ich über diese Frage nach. Zuerst dachte ich daran, dass er vielleicht nur dieses eine Bier davon entfernt war, Dinge, die ihm nie zu vergessen gelangen, zu vergessen.

Möglicherweise war er aber auch nur ein Bier davon entfernt, eine Bewusstseinserweiterung zu erfahren, die es ihm möglich machte, auf philosophischer als auch soziologischer Ebene ein für alle Mal zu erörtern, warum es Leute witzig finden, wenn man sagt, dass es Bielefeld nicht gebe.

Unter Umständen ginge er sogar noch einen Schritt weiter und stellte wissenschaftlich dar, warum Leute glaubten, es sei lustig, wenn SIE das sagen. Lange Zeit beschäftigte mich diese Begegnung.

Lange Zeit geschah in meinem Leben aber auch nichts Merkwürdigeres.

Doch dann kam Steffi.

Allein der Umstand, dass ich in meinem Leben noch nicht ein Wort mit ihr gewechselt oder ihr in die Augen gesehen habe, macht die ganze Sache noch viel merkwürdiger. Es gab aber auch schon vor Steffi Menschen, die mir den Kopf verdreht haben. Als heranwachsender Knabe war ich einmal verliebt in ein Mädchen. Sie hatte wildes braunes Haar, etwas zu große Schneidezähne und schaffte es, mich auf eine Art zu verzaubern, wie es bisher noch keiner gelungen war. Sie war die Erste, der es gelang, mich vergessen zu lassen, dass ich Mädchen eigentlich doof fand. Ich hatte überall Bilder von ihr aufgehängt, trug Pullover ihrer Schule und verkleidete mich an Karneval sogar als ihr bester Freund, nur um ihr nah zu sein. Als meine Eltern mir eines Tages nachdrücklich offenbarten, dass Hermine Granger lediglich eine Figur aus einem Buch sei, riss es mir den Boden unter den kleinen Füßen weg. Ich warf all die Kalender, Poster und Zauberstäbe weg und versprach mir selber hoch und heilig, nie wieder eine Frau so etwas mit mir machen zu lassen. Das klappte allerdings nur etwas mehr als zehn Jahre gut …

Ich hatte auch schon vorher Dinge nicht verstanden. Damals im Matheunterricht: Kurvendiskussionen.

Aber Steffi hatte da ein anderes Kaliber an Unordnung in meinem Kopf hinterlassen!

Das liest sich jetzt natürlich alles sehr verwirrend und mysteriös. Ein guter Freund hat mir mal gesagt, man müsse im Vorwort eines Buches die Leser*innen fesseln und davon überzeugen, dieses weiterlesen zu wollen. Falls das bei euch bis hierhin geklappt hat, möchte ich mich an dieser Stelle kurz beglückwünschen. Sicher fragt ihr euch jetzt, was es denn bloß mit dieser Steffi auf sich hat und was genau ich damit sagen möchte. Vielleicht fragt ihr euch auch, ob der Autor hier dramaturgisch nicht ein wenig übertreibt.

Lasst mich euch versichern, dass ich das nicht tue …

Wir schreiben den 02.06.2019.

Ein paar Tage zuvor hatte ich eine Soloshow in Hannover. Das Wetter war fantastisch und trotz dessen erbarmten sich ein paar Figuren, einen Abend lang meinen Geschichten zu lauschen. Die Show lief gut und ein verhältnismäßig großer Teil des Publikums ist sogar zur Zugabe geblieben. Im Anschluss schoss ich ein paar Fotos mit den Fans, trank drei Bierchen und hatte den Abend für mich persönlich unter »gelungen« verbucht. Was ich bei all dem nicht bedachte, war, dass Worte häufig einen größeren Eindruck hinterlassen, als man ursprünglich beabsichtigte. Sie bieten immer auch die Möglichkeit der Überinterpretation. Dahingesagtes wird plötzlich viel größer, als man es eigentliche meinte, und so geschah es, dass ich an einem frühen Juni-Nachmittag mein virtuelles Postfach öffnete und dort eine Mail vorfand. Eine Mail, die mich lange Zeit sprachlos hinterließ. Eine Mail, die sich für immer in mein Gedächtnis brennen sollte, und vor allem eine Mail, ohne welche dieses Buch niemals entstanden wäre.

Ich saß nun also nichtsahnend da, flüchtige Gedanken an die Pläne für den Sommer und neue Projekte im Kopf, eine gewisse Unschuld den Abgründen des menschlichen Handelns gegenüber. Aber all das verschwand relativ schnell, als ich die Mail öffnete …

Die Mail

Sehr geehrter Herr Wintels,

am 31.05. waren ein paar Freundinnen und ich bei Ihrer Show im Kulturzentrum Faust in Hannover. Ich persönlich hatte vor, einen schönen Abend zu genießen, der es offensichtlich auch war, bis Sie erwähnten, dass alles, was wir hören würden, klausurrelevant sei. Ich muss wohl vor lauter Uni-Stress vergessen haben, mich für diese Klausur anzumelden! Zum Glück hatte ich meinen Laptop dabei und konnte dank Ihres Hinweises die komplette Show protokollieren, so gut es eben ging (die Aufzeichnungen befinden sich im Anhang dieser Mail). Nach der Show habe ich zuhause im ganzen Stud.IP nach der Klausur gesucht, um mich noch rechtzeitig anzumelden, konnte aber keinen Hinweis darauf finden. Sicherlich habe ich irgendetwas falsch gemacht. Vielleicht können Sie mir daher noch ein paar Informationen bzgl. der Klausur geben, also wann sie stattfindet und in welchem Modul ich sie mir anrechnen lassen kann.

Mit freundlichen Grüßen,

Stefanie Müller

Die Show 1, 2

(Ansage)

Einen wunderschönen guten Abend, Hannover! Danke, Dankeschön. Bitte beruhigt euch, es geht doch gerade erst los. Danke. Ja, schön, dass ich da bin. Meine Name ist Flori, ich bin heute Abend für euch zuständig im Bereich Entertainment. Kurz zum Ablauf des heutigen Abends: Die Show dauert zwischen zwei und acht Stunden, je nachdem, ob ich einschlafe oder nicht. Eine Pause machen wir in Abhängigkeit davon, ob ich der Gastronomie ihre Einnahmen gönne. Bei Fragen einfach melden, ich nehme aber natürlich niemanden dran. An dieser Stelle möchte ich mich schon einmal bedanken, dass so viele hier erschienen sind. Das ist nicht selbstverständlich. In meiner Heimatstadt hatte ich mal eine Show, bei der es lange so aussah, dass nur neun Leute kommen würden. Meiner Künstlerseele wollte ich das aber nicht zumuten, vor einer einstelligen Besucher*innenzahl aufzutreten, und was soll ich sagen? Am Ende waren es tatsächlich zehn. Der Trick war, dass ich mich einfach dazugezählt habe. Aber heute sind es glücklicherweise ein paar mehr und ich möchte euch ganz herzlich begrüßen zu meiner Show!

Und ich weiß noch ganz genau, wie ich meinen Eltern zum ersten Mal berichten durfte, dass ich jetzt eine eigene Soloshow hätte. Die schauten mich mit strahlenden und leicht angefeuchteten Augen an und fragten: »Was ist das?«

Sobald ich ihnen dann erzählte, dass ich einen ganzen Abend allein auf der Bühne stünde, kippte leider die Stimmung. »Also wir Wintels sind seit jeher bekannt als eine Familie von Teamplayern, seit Jahrhunderten unterstützen wir uns gegenseitig und jetzt kommt der feine Herr und zieht hier sein Soloding durch. Geh bitte raus, Flori. Sofort.«

Ich durfte dann den restlichen Abend und die Nacht draußen verbringen, aber ansonsten war es ein sehr schönes Weihnachtsfest. Die damalige Zeit war insgesamt auch eine schwierige. Ich hatte mein Abitur hinter mich gebracht und ich tat mit großer Hingabe das, was alle vernünftigen Menschen tun, die nicht mit wedelndem Abschlusszeugnis in der Hand bereits einen Flieger ans andere Ende der Welt besteigen – nämlich nichts. Ich lag viel rum und hin und wieder duschte ich. Ich war mir zu der Zeit nicht sicher, ob meine Eltern meine damalige Auffassung vom Leben in Gänze teilten, aber es gab Anzeichen, dass nicht. So wurde ich nicht selten am späten Nachmittag geweckt, als mein Vater mir mit dem Staubsaugerrohr immer wieder mit ohrenbedeutendem Lärm gegen die Stirn kloppte. Am Frühstückstisch, der für den Rest der Familie das Abendbrot bedeutete, sah ich dann meine Mutter die Zeitung lesen und unmissverständlich Dinge markieren. Zunächst kreiste sie mit einem dicken Edding die Jobanzeigen ein, später die Wohnungsanzeigen und als sie irgendwann zitternd dicke Kreise um die Todesanzeigen kritzelte, wusste ich, dass meine Zeit gekommen war. Ich musste was tun und ich machte mich auf, die Bühnen dieser Welt zu erobern.

Und ihr fragt euch jetzt vielleicht, was kann uns denn ein junger, gutaussehender, intelligenter, sportlicher, charismatischer, faszinierender, humorvoller und bescheidener junger Mann bloß erzählen? Ich weiß es nicht, einen solchen Mann kenne ich nicht, aber ich kann euch gerne erzählen, womit ich euch heute Abend zu unterhalten gedenke. Mit Gedichten.

Da sich eure Euphorie offenbar in recht überschaubaren Grenzen hält, lasst mich mit ein paar Vorurteilen der Poesie gegenüber aufräumen. Erstaunlich viele Menschen denken: »Gedichte? Ist das nicht das, was ich in der Schule früher so scheiße fand?«

Und ganz genau das ist das Problem. Denn nicht das Gedicht hat dir damals den Deutschunterricht zerstört, sondern seine Analyse. Man musste es an allen Versecken und -enden auseinanderschrauben, hat es seziert und interpretiert, bis es schließlich nur noch ein Haufen Buchstabenasche war, der doch bloß gefallen wollte, und es letztlich niemandem mehr tat. Aber wenn ihr euch zurückerinnert, gab es doch ganz in diesem kleinen Zeitfenster zwischen dem ersten Lesen und der rhetorischen Hinrichtung ganz wunderbare Bilder in euren Köpfen. Erinnert ihr euch noch an Fontanes »John Maynard«?

Die Schwalbe fliegt über den Erie-See,

Gischt schäumt um den Bug wie Flocken von Schnee;

Von Detroit fliegt sie nach Buffalo,

Die Herzen aber sind frei und froh.

Merkt ihr das? Fühlt ihr nicht auch die Gischt in euren Faces? Und sicher könnt ihr mir, dank Goethe, auch folgende Frage beantworten:

Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?

Es ist natürlich der Vater und der macht das nicht alleine.

Übrigens war es meiner Meinung nach auch Fontane, der den Grundstein für Doubletime gelegt hatte. Wer sich den guten Herrn von Ribbeck mal in etwas höherer Geschwindigkeit durchliest, der merkt schnell, dass sich hier womöglich die ein oder andere Sprechsängerin etwas abschaute:

Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,

Ein Birnbaum in seinem Garten stand,

Und kam die goldene Herbstezeit

Und die Birnen leuchteten weit und breit …

Das sind doch ganz fantastische Geschichten, die da in Versform gegossen wurden und nur darauf warten, von uns erlebt zu werden. Das hat mich schon damals fasziniert. Vielleicht lag es daran, dass es das Einzige war, was ich in der Schule wirklich konnte, aber ich beschloss sodann, Dichter zu werden. Auch ich wollte große Geschichten schreiben, mit Reimen und Worten spielen und die Menschen damit begeistern und/oder wahnsinnig machen.

Ich tat eine letzte Analyse, um das große Geheimnis zu lüften, was die großen Werke der Geschichte gemeinsam hatten. Relativ schnell fand ich es heraus: Probleme. Es ging immer um Probleme. John Maynard? Schweres Schiffsunglück. Der Erlkönig? Schweres Pferdeunglück. Herr von Ribbeck? War ein gruseliger alter Mann, der wollte, dass die Kinder an seine Birnen gehen.

Nun war ich aber ein wohlbehütet aufgewachsener Junge vom Land und kannte Probleme bis dato nur aus dem Internet. Ich musste also aktiv werden, meine Situation radikal verschlechtern und mir meine eigenen Probleme konstruieren. Ich zog also nach Paderborn. Ein Ort, an dem auch das erste Gedicht des heutigen Abends spielen soll, welchem ich eine kleine Frage vorwegstellen mag: Sind hier heute Abend Versager*innen anwesend? Falls ja, ist dieser Text für euch.

Der Versager

Im Quellgebiet der Pader stand ein graues Zelt,

mahnend still und einsam in der ach so lauten Welt.

Feucht und kalt und duftend wie die Falten alter Sofas,

traurig und gemieden, kaum von wachem Geist bewohnbar.

Aus dem Zelt ragte ein Fuß, mit Nägeln, dick und schwarz,

an welchen alles schon versucht, aber jeder Knipser barst.

Darüb’ eine Hose verschliss und unter

dem Gürtel mit Spuren von Bissen von Hunden;

vorne ohne Knopf,

dafür krustend’ Dreck und Schweißgeruch,

die Hosentasche leer

und etwas Vorhaut klemmt im Reißverschluss.

Der Bauch darüber pelzig,

samt Vogelnest im Nabel,

der Herrenbusen hängend

und mit Knoten in den Haaren.

Ein Teint wie ein Schlachtfeld, rasierergeschändet,

die Pickel bereits clerasilresistent.

Ein Mann, gescheitert, dass jedem hier klar,

dort vorne im Zelte, da liegt: der Versager!

Geboren als Kind, das siebte von sechsen,

wurde er stets statt geliebt nur vergessen.

Die Eltern versagten dem Buben das Wissen,

vergaßen, ihn auf eine Schule zu schicken.

Pech in der Liebe und Unglück im Spiel,

auch galt er als verdummt im Dorfe,

denn er hatte tatsächlich beim Kniffeln

mal ne Null geworfen.

Versuchte es mit Sport, um dort als einsamer Recke

beim Springen vom Sprungturm die Freiheit zu schmecken.

Und sprang aus zehn Metern, schien endlich befreit,

und er flog, doch flog leider am Becken vorbei.

Seine Meinung war den Leuten kaum mal gar nichts wert,

denn er setzte beim Hunderennen auf das falsche Pferd.

Er hatte zwei rechte Hände, doch war Linkshänder,

jeder Gedanke, den er dachte, war ein Blindgänger.

Und als an jedem Versuch, das zu ändern, gescheitert,

da wollte er all dem ein Ende bereiten.

Doch selbst das bekam der Knilch nicht hin,

konnt’ stets über den Tag sich retten,

schluckte eine ganze Packung Tic Tacs

anstatt Schlaftabletten.

Am Bahnhof tat er den nächsten, gar blinden Versuch

und er warf sich aufs Gleis, aber hinter den Zug.

Und ein Kind kam, besah sich ihn, wie er dort lag,

verwundet, verachtet und dreckig,

ließ die Eistüte fallen vor Schreck,

zeigte auf ihn und lachte sich scheckig.

Und es lachte so froh über Schaden und Freude,

dass er plötzlich alles vergaß,

er erhob sich vom Boden und langsam,

da keimte in ihm, welche Macht er besaß.

Sein Leiden war anderen Freude,

nun hatte sein mieses Leben den Grund,

er blies sich den Schlick aus der Nase,

nahm den Spieß und drehte ihn um.

Von nun an lief er gegen Straßenschilder,

Tischbeine und Litfaßsäulen,

jedem, dessen Weg er kreuzte, lag er zu Füßen,

er lachte und scheiterte,

machte so weiter, um all diesen Menschen

den Tag zu versüßen.

Er flog in den Urlaub in Dürregegenden,

stetig begleitet von Stürmen und Regen,

dass Felder, vertrocknet,

schon bald in voller Wonn gedieh’n,

und während er erkältet lag,

bei ihm zu Haus die Sonne schien.

Er kandidierte für die AfD als Kanzlerasprirant,

jobbte für die Bundeswehr als Panzerlieferant,

versagt zum Wohle des Volkes in jedem freien Stündchen

und wettete jedes Spiel auf den FC Bayern München.

Er war wie Jesus, nur in scheiße,

ein Lächeln war ihm Lohn genug,

doch die Schulden, sie wuchsen,

man ließ nach ihm suchen

und es drohte Vollzug.

Den Gerichtsprozess verlor er,

wie nicht anders zu erwarten,

und man nahm ihm alles, trotz all der guten Taten.

Seine Bleibe, die Kleidung, man ließ ihm den Schmerz,

und als das Urteil gesprochen, versagte sein Herz.

Er erwachte im Park, es stank und war hässlich,

doch war das jetzt alles, denn alles war weg, bis

er sich aus dem Zelt begab, sich die trübe Welt besah

und all die vielen Leute freute, dass er überwältigt war.

Jedes Schmunzeln, das er säte,

kam nun hundertfach zurück

als Menschen mit Geschenken,

die ihm dankten für ihr Glück,

um sich ihm, ob was er tat, belohnend zu zeigen,

und heut nennt er ne kleine Wohnung sein Eigen.

Zwar fehlen ihm Wasser und Strom,

trotzdem hatte sich alles gelohnt.

Und wenn es euch einmal schlecht geht

und ihr wisst nicht so recht

eures Weges und was nun zu machen?

Macht einfach was richtig, richtig Dummes ...3

Und vielleicht bringt ihr ja Menschen zum Lachen.

(Ansage)

Bei meinen Shows ist es mir ein großes Anliegen, dass das Publikum nicht beunruhigend schlechter gelaunt den Raum verlässt, als es ihn betreten hat. Darum möchte ich euch mit jedem Text zumindest etwas mitgeben, an dem ihr euch ein bisschen erfreuen könnt. Leider ist das beim eben gehörten Text mit einer kleinen Hausaufgabe verbunden, die ihr aber erst dann machen müsst, wenn ihr sie für nötig erachtet.

Bei der Hausaufgabe geht es darum, dass ihr einmal über eure negativste Eigenschaft nachdenkt und versucht, dieser etwas Positives abzugewinnen. Das kann manchmal Wunder bewirken und ich möchte euch ein kleines Beispiel nennen:

Ich hatte damals in der Schule einen Mitschüler, der war sehr beliebt und freundlich und genoss großes Ansehen in unseren Herzen und auch denen der Lehrer. Das war eine verwirrende und äußerst seltene Kombination! Trotzdem plagte diesen jungen Mann ein Leid, welches wahrscheinlich den meisten Menschen relativ unwichtig erscheint: Er war sehr unsportlich. Das lag nicht an mangelnder Kondition oder Einsatzbereitschaft. Man konnte ihn in den verschiedensten Sportarten aufstellen und wusste, dass er stets alles gab. Der Grund dafür, dass man es nicht tat, war, dass er überhaupt nicht fangen konnte. Er konnte einfach nicht fangen. Das äußerte sich nicht nur im Sportunterricht. Was auch immer man ihm zuwarf, es fand zuverlässig den Weg nach weiter unten, als ursprünglich geplant. Egal, ob Stifte, Snacks oder Mitschüler. Vor allem letztere wollten nach einiger Zeit nicht mehr geworfen werden, was sehr schade war, da ich sehr gerne Mitschüler durch die Gegend warf.

Unser damaliger Sportlehrer hatte stets alle Hände voll damit zu tun, ihm Aufgaben zuzuweisen, um ihn nicht durchfallen lassen zu müssen. So war er oft beim Völkerball die Mittellinie, beim Handball der Pfosten und beim Speerwerfen der Speer. Letzteres geschah auf meinen Hinweis hin, da ich endlich mal wieder einen Mitschüler werfen wollte. Das ging lange gut, aber irgendwann muss ihm aufgefallen sein, just nachdem er meine starken Hände zu einer Reise durch die Lüfte verließ, dass er mit der Gesamtsituation doch relativ unzufrieden war, und obwohl er nicht fangen konnte, fing er an, Trübsal zu blasen. Weil er aber einen tiefen Platz in unser aller Herzen hatte, zerbrach es uns eben jene. Ich beschloss, ihn mit einem Besuch in einer Diskothek zu überraschen.

Mit den Ausweisen unserer Großeltern bewaffnet zogen wir los, auf unseren Fahrrädern vorbei an den Häusern der Stadt, dann an den Türstehern, die nicht verwundert waren, dass eine große Gruppe wie 16-Jährige aussehender 70-Jähriger an ihnen vorbeistürmte, und auch an all den Sorgen, die wir spätestens im Kassenbereich hinter uns ließen. Da ich aber ein kleines Partyanimal bin, kam es nach kurzer Zeit zu einer brenzligen Situation. Meinen Tanzstil könnte man als unachtsam und ausschweifend bezeichnen und so begab es sich, dass ich versehentlich einem sehr großen und sehr muskulösen Typen mit meiner Ferse ins Auge trat. Plötzlich stand er vor mir. Er war so groß, dass ich so weit nach oben blicken musste, dass mich die Sonne blendete, obwohl es nachts war und wir uns in einem geschlossenen Raum befanden. Dem Ausdruck nach, den ich auf seinem weit entfernten Gesicht erahnen konnte, war er gewillt, mir das Atmen abzugewöhnen.

Der kostenlose Auszug ist beendet.