Willkommen in Österreich?

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Willkommen in Österreich?
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Ferry Maier / Julia Ortner





WILLKOMMEN in ÖSTERREICH ?



Was wir für Flüchtlinge leisten können und wo Österreich versagt hat















© 2017 Verlagsanstalt Tyrolia, Innsbruck

Umschlaggestaltung: stadthaus 38, Innsbruck

Layout und digitale Gestaltung: Tyrolia-Verlag, Innsbruck

Druck und Bindung: FINIDR, Tschechien

ISBN 978-3-7022-3617-5 (gedrucktes Buch)

ISBN 978-3-7022-3646-5 (E-Book)

E-Mail:

buchverlag@tyrolia.at

 Internet:

www.tyrolia-verlag.at




INHALT





Prolog







KAPITEL 1 EIN JAHR MIT DEM FLÜCHTLINGSKOORDINATOR: POLITISCHE HINTERGRÜNDE UND SCHWIERIGE ENTSCHEIDUNGEN







Ferry Maier







1.1 Mission possible







1.2 Die Kunst des Unmöglichen







1.3 Nur nicht zu viele Wellen







1.4 Die Politik der Angstgefühle







1.5 „Ein Bürgermeister kann durch Haltung prägen“







Julia Ortner im Gespräch mit Ferry Maier







KAPITEL 2 FLÜCHTLINGE ERZÄHLEN VON IHREM LEBEN IN ÖSTERREICH: WAS HEISST ES, FREMD ZU SEIN? UND WAS IST HEIMAT?







2.1 „Wir sind nicht hergekommen, um jemandem etwas wegzunehmen“







Mustafa Albarudi







2.2 In einem anderen Land







Die 37-jährige Syrerin Rojin Ali, aufgezeichnet von Julia Ortner







2.3 „Diese farbigen Augen starren mich so an“







Das Gedicht „Unvaterland“ von Mohammad Ibrahim Rahimi







KAPITEL 3 FLÜCHTLINGSKOORDINATOR CHRISTIAN KONRAD: KEIN BLICK ZURÜCK IM ZORN AUF DAS JAHR DER GROSSEN FLUCHT







„Für Diplomatie bin ich nicht gebaut“







Julia Ortner im Gespräch mit Christian Konrad







KAPITEL 4 EINE FREIWILLIGE HELFERIN, EIN BÜRGERMEISTER, DIE FLUCHTBEWEGUNG UND WIE MAN SIE BEWÄLTIGT HAT: DIE ARBEIT AN DER BASIS







4.1 Das Wunder von Neudörfl







Julia Ortner







4.2 Die Generalin von der Helfer-Front







Julia Ortner







KAPITEL 5 EXPERTEN ÜBER DAS JAHR DER FLUCHT: WAS HABEN WIR GELERNT? WO HABEN WIR VERSAGT? WOMIT MÜSSEN WIR RECHNEN?







5.1 „Wir können nicht die ganze Welt retten“







Julia Ortner im Gespräch mit Gerry Foitik







5.2 „Wir schaffen das, weil wir müssen“







Julia Ortner im Gespräch mit Kilian Kleinschmidt







PROLOG



Am Ende geht es immer um die Flüchtlinge. Oder eigentlich schon zu Beginn jeder Debatte. Egal, ob die heimische Politik über Arbeitslosigkeit, Sozialsysteme oder innere Sicherheit diskutiert, die Angst vor den Fremden überdeckt nahezu jedes Thema. Problemstellungen aller Art diskutiert man seit der großen Fluchtbewegung 2015 vor allem anhand der Flüchtlinge im Land; Sparmaßnahmen im Sozialstaat setzen vorzugsweise bei den Fremden an, wie zuletzt bei der Mindestsicherung. Und wir können uns schon darauf einstellen, dass der nächste Nationalratswahlkampf von diesem Thema dominiert sein wird: Der Umgang mit den Fremden. Mit jenen, die zu uns nach Europa kommen wollen und mit jenen, die schon bei uns leben.



Seit der großen Flucht im Herbst 2015 hat sich die Stimmung gegenüber Flüchtlingen auch in Österreich gewandelt. Am Anfang stand die Willkommenskultur – von vielen mitgetragen, von anderen ambivalent empfunden, aber doch stärker als die Ressentiments gegenüber den Menschen auf der Flucht. Nach dem schrecklichen Tod von 71 Flüchtlingen im Schlepper-LKW auf der österreichischen Autobahn Ende August 2015 stand der kollektive Schock. Doch seit den sexuellen Übergriffen der Silvesternacht 2015 in Köln erlebt man mittlerweile vor allem Vorurteile und Verunsicherung, wenn es um Flüchtlinge geht.



Was ist von jener Willkommenskultur geblieben, die wir damals erlebt haben? Wie haben die österreichische Politik, die Verwaltung, die Zivilgesellschaft die Anstrengung der großen Fluchtbewegung bewältigt? Welche Fehler sind uns damals passiert, was haben wir richtig gemacht? Und was können wir aus den bisherigen Erkenntnissen über den Umgang mit Flüchtlingen für die Zukunft lernen?



Das vorliegende Buch bietet Einblicke in Hintergründe und versucht Antworten auf diese Fragen zu geben. Beginnend mit einer detailreichen Dokumentation der Ereignisse in dem Jahr, als Christian Konrad gemeinsam mit Ferry Maier als Flüchtlingskoordinator der Regierung im Einsatz war, über Erzählungen von Flüchtlingen und Interviews mit Experten bis hin zu Geschichten über jene Menschen, die sich an der Basis für Asylwerber engagieren.



Es gibt immer noch viele Menschen, die das tun. Sie bilden die Grundlage der Flüchtlingshilfe und der Integrationsarbeit im Land. Sie springen dort ein, wo die Politik noch zu oft auslässt. Die freiwilligen Helferinnen und Helfer sind es auch, denen Österreich in der Bewältigung der Fluchtbewegung viel zu verdanken hat.



Und sie sorgen dafür, dass die Willkommenskultur nie ganz verloren gehen kann.






KAPITEL 1

EIN JAHR MIT DEM FLÜCHTLINGSKOORDINATOR: POLITISCHE HINTERGRÜNDE UND SCHWIERIGE ENTSCHEIDUNGEN

1.1

MISSION POSSIBLE



Die große Flucht hat uns alle vor neue Herausforderungen gestellt. Gemeinsam mit Christian Konrad habe ich ein Jahr lang versucht, die Bundesregierung bei der Bewältigung der Flucht zu unterstützen – und dabei auch neue Erkenntnisse über das Land, die Politik und seine Menschen gewonnen

.



Ferry Maier



Als Beobachter war man schon lange vor dem Sommer 2015 mit alarmierenden Nachrichten über die Fluchtbewegung konfrontiert, welche die Entwicklungen in Italien, speziell auf der Insel Lampedusa, und in Griechenland schilderten, aber auch mit Berichten über Österreich – und hier vor allem über die Zustände im Flüchtlingslager Traiskirchen. Ich erinnere mich zum Beispiel an den Herbst 2013, als sich vor Lampedusa ein besonders folgenschweres Bootsunglück ereignet hat, bei dem 400 Menschen ertranken. Erschütternde Bilder über ein Auffanglager auf dieser Insel waren zu sehen, im Bericht wurde sogar ein Vergleich mit Bilder aus einstigen Konzentrationslagern gezogen – ein natürlich völlig unpassender Vergleich, aber er zeigt, wie sehr das Thema der Flucht die Emotionen hochgehen lässt.



Im Herbst 2014 gab es immer wieder Berichte über Flüchtlingsdramen im Mittelmeer, auch über die wachsenden Flüchtlingsströme nach Griechenland, vor allem auf die Inseln Lesbos, Samos oder Kos wurde berichtet. Zu dieser Zeit konnten sich viele in Österreich nicht vorstellen, dass wir bald auch mit solchen Entwicklungen in unserem Land konfrontiert sein würden. Zu dieser Zeit, es war Sommer 2014, wurden hundert Flüchtlinge am Westbahnhof in Wien aufgegriffen, einige Tage später weitere Flüchtlinge auf der A4, der Ostautobahn. Bürger blockierten im September 2014 die Semmering-Schnellstraße, um gegen ein Aslywerberheim in Spital am Semmering zu protestieren. Der SPÖ-Bürgermeister von Traiskirchen, Andreas Babler, besuchte seinen damaligen Parteichef und Bundeskanzler, Werner Faymann, um über das überlastete Lager Traiskirchen zu berichten.



Im Herbst 2014 präsentierte Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz von der ÖVP seine Kampagne „#stolzdrauf“ und sagte, „jeder, der hier wohnt, soll sich heimisch fühlen“. Kurz erklärte auch, dass es in Österreich viele Zuwanderer gebe, die sich noch nicht heimisch fühlten, denen es aber auch nicht leicht gemacht werde, weil wir zu wenig „Willkommenskultur“ im Land hätten. Die Willkommenskultur, ein Begriff, der uns noch lange begleiten sollte.



In der Debatte um die Entlastung des überfüllten Flüchtlingslagers Traiskirchen im Sommer 2014 ärgerte sich der damalige schwarze niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll öffentlich über das Verhalten des roten Verteidigungsministers Gerald Klug, der bei der Forderung nach einer Öffnung von Kasernen für Flüchtlinge zunächst einmal verhalten reagiert hatte: Es sei „unfassbar“, mit welcher „Nonchalance“ der sozialdemokratische Ressortchef Klug die schwarze Innenministerin Johanna Mikl-Leitner links liegen gelassen hätte. Pröll verfügte kurz darauf einen Aufnahmestopp für Traiskirchen. Von Mai bis Dezember 2015 brachte die Diakonie rund 350 Gefährdungsmeldungen wegen Kindeswohlgefährdung und schwerer Vernachlässigung in Traiskirchen ein – in dieser Zeit war die Zahl der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge im Lager exorbitant hoch.

 



Aufgrund dieser und ähnlicher Nachrichten entstand bei mir der Eindruck, dass vieles rund um die Fluchtbewegung ziemlich unkoordiniert ablief, ein gewisser Koordinationsbedarf innerhalb der Bundesregierung war auch in meinem Freundes- und Bekanntenkreis immer wieder Thema. Darüber sprach ich im Juli 2015 mit Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, der mir erzählte, dass er diese Frage auch schon mit Bundeskanzler Werner Faymann diskutiert habe. Damals gab ich Mitterlehner den Tipp, doch einmal mit Christian Konrad darüber zu sprechen. Nach einen Gespräch mit diesem und der internen Abstimmung mit dem Bundeskanzler konnte Reinhold Mitterlehner im ORF-Sommergespräch 2015 Christian Konrad als Flüchtlingskoordinator vorschlagen.





Ein Lager im Chaos



Konrad und ich waren der Meinung, dass wir so schnell wie möglich nach Traiskirchen fahren müssten, um uns selbst ein Bild von der Lage zu machen. Also machten wir uns zwei Tage später, am 27. August, auf den Weg – wobei mir schon klar war, dass dort niemand auf uns wartete und wir wahrscheinlich auch nicht willkommen sein würden. Innenministerin Mikl-Leitner hatte uns davon abgeraten. Ich rief Klaus Schwertner, den Generalsekretär der Wiener Caritas, und Gerry Foitik, den Bundesrettungskommandanten des Roten Kreuzes, an, die ich damals beide noch nicht persönlich kannte. Ich fragte sie, ob sie uns nach Traiskirchen begleiten wollten.



Am 27. August besuchten wir also das Erstaufnahmezentrum Traiskirchen. Zu diesem Zeitpunkt waren etwa 4900 Menschen im Lager, davon 1600 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Das Wetter war schön, die Kinder spielten im Freien. Dennoch war offensichtlich, dass die Kapazitäten dieses Systems weit überschritten waren. Beim Rundgang mit den Verantwortlichen vor Ort stellten wir fest: Es gab zu wenig medizinische Versorgung und nur mangelhafte sanitäre Einrichtungen, die Aufnahme und Verteilung von Sachspenden war ein einziges Chaos.



Christian Konrad telefonierte noch an Ort und Stelle mit den Verantwortlichen des Bauunternehmens Strabag, um bis zum Wochenende drei Sanitärcontainer zu organisieren. Gerry Foitik versprach uns mobile Spitalseinheiten des Roten Kreuzes und die Errichtung eines mobilen Feldspitals. Doch die für das Lager zuständigen Beamten des Innenministeriums reagierten ziemlich zurückhaltend: So ein Feldspital könne man nicht einfach aufstellen, da brauche man alle Arten von Genehmigungen. Man hatte geradezu den Eindruck, sie wollten das abwehren, weil ohnehin alles bestens sei. Das hat uns angesichts der medizinischen Versorgung im Lager schwer schockiert, für kranke Menschen mit Infektionskrankheiten gab es beispielsweise keinerlei stationäre Betreuung, nur ambulante Behandlung. Wir holten dann die Zustimmung des Bezirkshauptmannes ein, und damit war der Weg frei für die Errichtung dieses mobilen Spitals mit 40 Betten. Das war eine erste Kostprobe davon, wie engagiert manche Beamte in einer derartigen Situation agieren.



Schwierigkeiten gab es anfangs auch bei der Organisation von Sachspenden, obwohl es eine Zusage von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner gegenüber den NGOs gab, dass man dabei helfen wolle. Allerdings waren die Beamten nicht im Stande, eine Halle für die Spenden anzumieten. Diese Halle war notwendig, um die Abgabe der Sachspenden in Traiskirchen zu koordinieren, um die Spenden zu sortieren, allenfalls zu reinigen und für die Verteilung vorzubereiten. Wir sprachen bereits am Tag nach unserem ersten Besuch in Traiskirchen mit dem Vermieter einer Halle, der den Mietvertrag drei Tage später dem Ministerium überreichte, weshalb ich dachte, dass das Gebäude danach schnell übernommen werden könnte. Doch es dauerte fünf Wochen, bis der zuständige Beamte den Vertrag unterzeichnete.





Das System Traiskirchen



In Traiskirchen machten wir die Bekanntschaft mit Vertretern der ORS – eine österreichische Tochter eines Schweizer Unternehmens, der ORS Service AG. Die ORS ist seit 2012 für die Organisation des Erstaufnahmezentrums zuständig. Ich wollte mir die Vereinbarung zwischen dem Innenministerium und der ORS ansehen, aber diese wird unter Verschluss gehalten. Man hat den Eindruck, dass die Beamten diese Vereinbarung schützen und kein Interesse daran haben, dass irgendwer davon erfährt. Daher weiß man nicht, was in diesem Rahmenvertrag genau geregelt wird. Und das führt dazu, dass in manchen Fällen der Eindruck entsteht, niemand wäre wirklich zuständig.



Interessant bei den ersten Gesprächen mit der ORS war auch die Aussage, man hätte ohnehin schon aufgezeigt, dass die im Rahmenvertrag vereinbarten Kapazitäten in Traiskirchen weit überschritten worden seien und somit die zugesagten Leistungen nicht erbracht werden konnten. Die Lagerleitung hat die Überbelegung also einfach zur Kenntnis genommen und sich angesichts der zweifellos dramatischen Situation dem Schicksal gefügt, so auf die Art: Da kann man halt nichts machen. Mittlerweile wissen wir, dass die ORS 2015 im Vergleich zu den Vorjahren einen dreifachen Umsatz von mehr als 66 Millionen erreichte und dass ihr Gewinn 2015 bei 2,5 Millionen lag – eine Verdoppelung zum Vorjahr. Die ORS hat also gutes Geld verdient, während das Lager auch dank der Hilfe von vielen Freiwilligen funktioniert hat.





Die „Siebener Lage“



Am selben Tag, an dem Christian Konrad und ich zum ersten Mal in Traiskirchen waren, also am 27. August 2015, fand man 71 tote Flüchtlinge in einem auf der A4 bei Parndorf im Burgenland abgestellten Schlepper-LKW. Diese schreckliche Begebenheit überschattete nicht nur die Westbalkan-Konferenz, die Kanzler Faymann ebenfalls genau an diesem Tag in Wien abgehalten hat – sie prägte die gesamte nächste Zeit. In den Tagen darauf kontaktierten Christian Konrad und ich eine Reihe von Persönlichkeiten, mit denen wir in Folge zusammenarbeiten sollten: Landeshauptleute, Minister, die Präsidenten des Gemeinde- und des Städtebunds, die Vertreter der Sozialpartner. Und gleichzeitig suchten wir das Gespräch mit NGOs, Kirchen, Landesflüchtlingskoordinatoren, gewerblichen und genossenschaftlichen Wohnbauträgern oder Immobilienverantwortlichen der Bundesstellen. Das erste Ziel: möglichst schnell Quartiere für die Menschen beschaffen.



Wer so einen Auftrag übernimmt, gewinnt ganz neue Einblicke in die Entscheidungsstrukturen des Landes. Konrad und ich waren nach einigen Tagen auch bei der so genannten „Siebener Lage“ zu Gast. Das war jenes Gremium, das versuchte, eine Art Krisenstab zu organisieren und die Abläufe zwischen Verteidigungs-, Innen- und Sozialministerium, den NGOs oder den Bundesbahnen zu koordinieren.



Schon der Raum dieser Zusammenkunft im Innenministerium war bemerkenswert. Er hatte einen bunkerähnlichen Charme. Es waren überwiegend Beamte anwesend, Vertreter von NGOs und den ÖBB, insgesamt etwa 40 Personen. Ein Krisenstab mit 40 Leuten – da darf man annehmen, dass das nicht effizient ist. Das Grundproblem war: Dort wurde aus den unterschiedlichen Bereichen berichtet, aber es konnte nichts entschieden werden. Der Führungsstab durfte quasi nur Bitten äußern, und das erscheint doch eigenartig. Jeder Feuerwehrhauptmann kann bei Hochwasser Baumaschinen von Bauunternehmen übernehmen, die Innenministerin aber konnte in dieser humanitären Notlage nur um Unterstützung ersuchen.



In unserer ersten Sitzung kam es gleich zu einer Szene, die zeigte, wie Bürokratie funktionieren kann: Der zuständige Beamte berichtete, dass es im Lager Traiskirchen in den letzten Tagen zu sehr unliebsamen Vorkommnissen gekommen sei, weil „betriebsfremde Objekte auf nicht fundamentiertem Grund ohne Baugenehmigung errichtet wurden“. Aus diesem Grund müsste man „diese betriebsfremden Objekte wiederum verbringen“, sagte er. Es ging dabei um die drei Sanitärcontainer, die wir am Wochenende dort hatten aufstellen lassen.





Die Angst der Beamten



Bei der Beamtenschaft war in der ersten Phase unserer Tätigkeit eine gewisse Irritation spürbar. Es war ihnen unangenehm, dass da jemand von außen kommt, um mitzuhelfen, die Dinge in den Griff zu bekommen. Wir hatten den Eindruck, dass viele Beamte ziemlich passiv agierten, sie wollten offenbar nicht verantwortlich gemacht werden können. Sie fürchteten sich wohl vor Anzeigen wegen Amtsmissbrauchs, Untreue oder vor Amtshaftungsklagen.



Sicher sind auch einige Gesetze, die in den letzten Jahren beschlossen wurden, in manchen Fällen eine Bremse für die Beamten: Bevor man sich in irgendeiner Form in das Risiko begibt, versucht man eher, nichts zu machen oder die Dinge wegzuschieben. Das war sehr oft zu beobachten, und nach diesem Muster wurden in Traiskirchen Entscheidungen an die ORS delegiert und so in irgendeiner Form gelöst. Ob dort dann human und mit guter Qualität gearbeitet wurde, ist eine andere Frage.



Und wir konnten beobachten, dass besonders manche Beamte des Innen- und des Finanzministeriums ein tiefes Misstrauen gegenüber NGOs hegen: Sie hatten immer den Verdacht, dass die NGOs ungeachtet ihrer statutarischen Gemeinnützigkeit lediglich Geld verdienen wollten.



Später kam ich zu dem Schluss, dass die teilweise berechtigte Kritik der NGOs an aktuellen Entwicklungen diese Aversion bei der Behördenvertretern ausgelöst haben könnte. Ich erinnere mich daran, wie mich der Wiener Flüchtlingskoordinator Peter Hacker im Herbst 2015 informierte, dass sich das Innenministerium für die Gesundenuntersuchung der Flüchtlinge als nicht zuständig erklärt hatte. Die damalige Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser von der SPÖ lud daraufhin zu einem klärenden Gespräch ein. Als klar war, dass die Zuständigkeit für Gesundenuntersuchungen von Flüchtlingen im Innenministerium lag, meinte der zuständige Sektionschef, dass er diese Leistung europaweit ausschreiben müsse. So etwas hätte Monate gedauert. Zum Glück sprang der eigentlich nicht zuständige Sektionschef im Gesundheitministerium ein und übernahm die Auftragserteilung. Zwei Beamte, zwei Arten der Arbeitsauffassung. Diese Erstuntersuchung wurde dann im ehemaligen Kurier-Haus in der Lindengasse eingerichtet. So habe ich sehr kompetente Beamte kennengelernt, leider aber auch andere, bei denen eine Kombination aus Angst, einer „Dienst nach Vorschrift“-Mentalität und Dilettantismus erkennbar war. Sehr erfreulich für uns war jedenfalls die Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen der ausgelagerten Bundesdienststellen BIG, ASFINAG, Bundesforste und ÖBB.








Credit: Kurier/Franz Gruber



Zu Fuß auf der Autobahn: Flüchtlinge am Stadtrand von Budapest am 4. September 2015



Später haben wir rund um das Thema der gemeinnützigen Arbeit von Flüchtlingen auch die Möglichkeit einer Haftpflicht- und einer Unfallversicherung diskutiert. Ein Beamter meinte dazu tatsächlich, im Fall einer Versicherung würde es wohl auf einmal viele einbeinige und einarmige Flüchtlinge geben.





Tage ohne Grenzen



In jenen Tagen ab dem 5. September 2015, als die Grenzen zwischen Österreich und Deutschland offen waren, kamen täglich 5000 bis 10 000 Menschen aus Ungarn zu uns. Damals entstand bei manchen der Eindruck: Hier kommen unkontrolliert Flüchtlinge, warum hat man das alles nicht besser organisieren können? Im Rückblick wissen wir, dass im Jahr 2015 bis zu diesen Septembertagen 160 000 Flüchtlinge über Ungarn gekommen waren. Und zu dieser Zeit erlebten Christian Konrad und ich in der täglichen Praxis, wie immens wichtig die Rolle der NGOs war, etwa am Grenzübergang Nickelsdorf.



Dort stellte vor allem das Rote Kreuz die notwendigsten Maßnahmen sicher, damit die ankommenden Flüchtlinge versorgt wurden. Ich glaube auch, dass die Polizeiverantwortlichen im Burgenland die Lage anfänglich falsch eingeschätzt haben. Auf den Straßen wurden Grenzkontrollen eingeführt, was zu 50 Kilometer langen Staus führte, während die Flüchtlinge mit der Bahn an die Grenze gebracht wurden und von dort zu Fuß nach Österreich kamen – das führte zu jenen Bildern, die den Ruf nach Grenzschutz und Kontrolle laut werden ließen. Bei mir entstand der Eindruck, dass die burgenländischen Behörden versucht haben, die Flüchtlinge einfach nach Wien weiterzuschicken – auf welche Art auch immer.

 



Wer diese Tage in Nickelsdorf erlebt hat, kann jenen, die an die Errichtung von Zäunen als Lösung dachten, nur Ahnungslosigkeit vorwerfen. Die Tausenden, die in jenen Tagen an die österreichische Grenze kamen – großteils in von der ungarischen Regierung bereitgestellten Bussen und Zügen –, hätten sich nicht ohne Gewalt aufhalten lassen. Und auch so wäre schon damals in Nickelsdorf ohne die NGOs und die vielen privaten Helfer eine katastrophale Situation entstanden – ohne das Know-how und die Kompetenz dieser Organisationen, wie man mit einer so großen Zahl an ankommenden Menschen, die seit Tagen ohne richtige Verpflegung auf der Flucht