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Im Hause des Kommerzienrates

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Die Augen des Mädchens flammten auf vor beleidigter Scham und vor Unwillen; sie wandte sich stolz ab, ohne auch nur mit einer Silbe zu antworten.

»Schau, wie sie erhaben aussehen kann, die Kleine!« lachte Flora gezwungen auf – es gelang ihr nicht, ein Gemisch von Ärger und Verlegenheit ganz zu verbergen. »Tut sie doch, als hätte ich an das strengste Amtsgeheimnis mit meiner unschuldigen Ausplauderei gerührt! Ist’s denn ein Verbrechen, wenn man den Wunsch hat, sich zu verheiraten? Geh’, kleine Prüde! Was man in einem vertraulichen Augenblicke bekennt, das muss man auch öffentlich nicht verleugnen.« Sie schob die schneeweißen Finger spielend unter die funkelnden Rubinen und sah schelmisch und vielsagend blinzelnd den Kommerzienrat von der Seite an. »Wahr ist’s, Moritz – das ist in der Tat ein Collier – wie es nur die Frau eines Millionärs tragen kann.«

Bei diesen Worten erhob sich die Präsidentin. Sie raffte mit ungewohnter Hast und unsicheren Fingern Brief und Lorgnette auf und raffte die Mantille über die Schultern, um zu gehen. »Magst Du auch immer streng auf Echtheit halten, bester Moritz«, sagte sie vornehm gelassen; »der Champagner, den wir mittags auf Floras Wohl getrunken haben, war es nicht; er macht mir unerträgliches Kopfweh. Ich muss mich für einige Stunden niederlegen.«

Inmitten des Salons wandte sie sich noch einmal zurück. »Wenn ich mich erholt haben werde, möchte ich Dich um eine Entscheidung bitten«, setzte sie hinzu, indem sie dem Kommerzienrat den Brief hinhielt. »Lies ihn – Du wirst finden müssen, dass die Baronin nicht zum zweiten Mal zurückgewiesen und beleidigt werden darf. Ich habe mich neulich gefügt um des lieben Friedens willen, aber nun bin ich nicht mehr in der Lage, so unverantwortlich nachzugeben. Leute unseres Standes lassen sich denn doch nicht wie Marionetten, je nach Gefallen, dirigieren und wohl gar als unbequem abschütteln. Das bedenke wohl, Moritz!«

Mit kalter Strenge in den Zügen und einem hochmütigen Kopfnicken ging sie hinaus.

19

»Da wirst Du einen schweren Stand haben, Moritz«, sagte Flora nach der Richtung zeigend, wo die Präsidentin verschwunden war. »Die Großmama ist gerüstet und bewehrt bis an die Zähne –«

Der Kommerzienrat lachte hell auf.

»Nun, Du sollst sehen, sie wird nicht einen Zoll breit von dem Terrain, das Du ihr allzu bereitwillig und unumschränkt eingeräumt hast, an eine andere abtreten wollen. Ich habe Dich oft genug gewarnt, sieh Du nun auch zu, wie Du mit ihr fertig wirst!« Sie unterbrach sich plötzlich und erfasste besorgt Brucks Hand. »Sage mir nur um des Himmels willen, was mit Dir ist, Leo?« rief sie leidenschaftlich erregt. »Du kämpfst mit einem inneren Schmerze, den Du mir verbergen möchtest. Magst Du auch andere täuschen, das Auge der Liebe täuschest Du nicht. Hier und hier« – sie fuhr mit ihren weißen Fingern über seine Stirn, die bis an die Haarwurzeln errötete – »sehe ich Linien, die mich ängstigen. Du strengst Dich offenbar zu sehr an. Weißt Du, dass ich mir die Freiheit nehmen und von heute an einen unserer Diener in Deine Stadtwohnung beordern werde, um diese lästigen Spießbürger unerbittlich zurückzuweisen, die Dein ärztliches Wirken kaum noch mit Steinen beworfen haben und nun Dich zugrunde richten mit ihrer Zudringlichkeit?«

Henriette starrte die zuversichtliche Sprecherin wie fassungslos an, und der Kommerzienrat räusperte sich und strich wiederholt mit der Hand über sein seines Bärtchen, um einen moquanten Ausdruck zu verbergen, über das Gesicht des Doktors aber, das vorhin allerdings eine unerklärliche, erschreckende Starrheit angenommen hatte, ging jetzt schattenhaft ein schneidendes, bitterverächtliches Lächeln hin. »Das wirst Du nicht tun, Flora«, sagte er rau und sehr gebieterisch. »Jede unbefugte Einmischung in meine Praxis muss ich mir entschieden verbitten – heute und immer. Ich habe übrigens im Interesse eines Schwerkranken, den heftige Gemütsbewegungen geistig und körperlich gebrochen, ein Wort mit Dir zu reden«, wandte er sich an den Kommerzienrat. »Möchtest Du mir wohl eine Besprechung unter vier Augen gestatten?«

»Eines Schwerkranken?« wiederholte der Kommerzienrat nachsinnend. Er runzelte gleich darauf finster die Brauen, und ein harter, widerwilliger Zug entstellte seinen Mund. »Ach ja, ich weiß schon«, sagte er mit einer wegwerfenden Handbewegung; »es ist der wagehalsige Mosje, der Kaufmann Lenz. Der Mensch hat auf die unvernünftigste Weise ins Blaue hinein spekuliert und möchte sich nun mit einem tiefen Griffe in meinen Säckel retten; ich bedanke mich.«

»Willst Du mir dergleichen nicht lieber drüben aussprechen?« fragte der Doktor mit starkem Nachdrucke. »Wir beide sind heute noch die Einzigen, die der Mann in seine furchtbare Lage eingeweiht hat; nicht einmal seine Frau weiß darum –«

»Nun meinetwegen; ich werde ja hören, inwiefern er Dich zum Vermittler gemacht hat, glaube aber schwerlich, dass ich ihm auch nur eine Fingerspitze reichen werde. Es ist eine total verlorene Sache, sag’ ich Dir.« Er zuckte kalt die Achseln; den einst wirklich gutherzigen Mann hatten Glück und Geld unempfindlich gemacht – er war völlig unfähig geworden, sich in eine von qualvollen Sorgen hin- und hergepeitschte Menschenseele hineinzudenken. »Im Übrigen hast Du am allerwenigsten Ursache, Dich seiner anzunehmen, er hat auch einen Stein aufgehoben, um Dich zu bewerfen.«

»Soll das wirklich maßgebend für mich sein?« fragte Bruck ernst über die Schulter, während er sich anschickte, dem Kommerzienrate in das anstoßende Zimmer voranzugehen. – Der Mann der Wissenschaft erschien in diesem Augenblicke hochherrlich und imponierend neben dem jäh errötenden Geldmenschen.

Die drei Schwestern blieben allein. Flora schellte übelgelaunt nach ihrer Jungfer, damit sie die Geschenke des Kommerzienrates wegräume, und Käthe griff nach ihrem Sonnenschirme.

»Willst Du ins Freie, Käthe?« fragte Henriette, die sich wieder in ihren Schaukelstuhl gekauert hatte.

»Es ist heute Arbeitsstunde bei der Tante Diakonus; ich habe mich schon verspätet und muss eilen –« das junge Mädchen verstummte unwillkürlich; Schwester Flora warf einen Karton mit Blumen so heftig in die Korbwanne, welche die Kammerjungfer herbeigeholt hatte, dass ein ganzer Regen zarter, weißer Blütenglocken über die Stoffe hinflog.

»Wie mich dieses Tun und Treiben anekelt, kann ich gar nicht sagen«, rief sie ergrimmt. »Diese Tante, dieses personifizierte Pflichtgefühl, hat meinte heutige Einladung zum Kaffee abgelehnt, weil die kleinen Damen aus unserem verrufensten Stadtviertel beileibe nicht unverrichteter Dinge fortgeschickt werden dürfen, und Fräulein Käthe beeilt sich selbstverständlich aus demselben Grunde, zu der Farce eine ernsthafte Miene voll Pflicht und Tugend zu machen.«

Sie biss sich auf die Lippen und wartete, bis sich die Jungfer entfernt hatte, dann aber erfasste sie Käthe, die eben schweigend das Zimmer verlassen wollte, am Arm und hielt sie zurück. »Nur einen Augenblick Geduld! Ich muss Dir sagen, dass Du mich durch Dein Gebaren in eine Rolle drängst, die ich auf die Dauer unmöglich durchführen kann – bis zum September ist eine lange Zeit. Was liegt näher, als dass die Tante von der Braut ihres Neffen dieselbe heroische Selbstüberwindung verlangt, wie sie das Muster von Schwester an den Tag legt? – Ich soll die ungewaschenen Kinderfinger zwischen die meinen nehmen und lammgeduldig Masche um Masche von den Nadeln heben, bis solch ein vernagelter Taglöhnerkopf die Manipulation des Strickens begriffen hat. Ich soll nötigenfalls schmutzige Gesichter waschen, wirre Zöpfe strählen und stundenlang mit den unappetitlichen Menschenkindern Ringelreihe spielen – ich hab’s versucht – brr! Und wenn ich darauf hin mein Mitwirken unterlasse, da geschieht es, dass ich durch die Ohrenbläsereien der guten Tante in Brucks Augen zu einem wahren Ungeheuer gestempelt werde, das – unweiblich und herzlos – die süße Kinderwelt nicht liebt. Aus diesem Grunde verbiete ich Dir nochmals, ein- für allemal diese Art Verkehr im Hause meines Bräutigams, kraft meines guten Rechtes – hörst Du?«

»Ich höre, werde aber nichts desto weniger tun, was mir mein eigenes Gewissen nicht verbietet«, versetzte Käthe fest und ruhig und schob mit einer energischen Gebärde die Hand der Schwester von ihrem Arm. »Deinem guten Recht, das Du übrigens selbst missachtet und in meiner Gegenwart als überlästig ausgeboten hast –«

»Ja wohl, ja wohl!« rief Henriette dazwischen – sie stand plötzlich neben Käthe, und ihre Augen funkelten in unversöhnlichem Hass die übermütige Schwester an.

»Also diesem Recht trete ich in keiner Weise nahe, dessen bin ich mir bewusst«, fuhr Käthe fort. »Schlimm aber steht es um Dich, wenn Du in jeder menschenwürdigen Handlung anderer ein feindliches Element siehst, das Deine Stellung gefährdet –«

»Gefährdet?« wiederholte Flora unter spöttischem Gelächter die Hände zusammenschlagend. »Liebste, weiseste aller Moralpredigerinnen, das ist ein kleiner Irrtum. Eine Liebesleidenschaft, die sich das alles bieten lässt, was ich mit gutem Vorbedacht als Feuerprobe über Bruck verhängt hatte, kann durch nichts mehr auf Erden gefährdet werden.«

»Traurig genug!« murmelte Henriette mit heiserer, fast erstickter Stimme und zornig geballten Händen. »Ich muss mir immer wieder Brucks männliche Festigkeit in seinem ganzen sonstigen Verhalten und Auftreten ins Gedächtnis zurückrufen, um ihn nicht als – Schwächling zu verurteilen.«

»Es handelt sich eben nur um die Spanne Brautzeit bis zum September«, fuhr Flora fort, Henriettens Einwurf mit spöttischem Achselzucken einfach übergehend, »und es ist nichts anderes, als ein höfliches Zugeständnis meinerseits, der Alten gegenüber; ich wünsche mich mit ihr zu vertragen. In L…..g ändert sich freilich alles; da fallen dergleichen Rücksichten von selbst weg, und was Bruck betrifft, so wird er in den ersten Wochen unserer Ehe einsehen, dass eine Frau, wie sie die Tante für ihn wünscht, nicht nur eine beschämende Last, sondern geradezu eine Unmöglichkeit für ihn sein würde. Dann erst kann er meinen Wert vollkommen erkennen, wenn der Salonverkehr seines Hauses, dem ich präsidiere, den rechten Lüstre über seine hervorragende Stellung wirft; wenn er mich stets in gewohnter Eleganz und Sicherheit auf meinem Posten findet, ohne dass mein Fernhalten von Hauswesen und Kinderstube pekuniäre Opfer seinerseits fordert. Ich habe bereits alles berechnet; nach Abzug meiner Toiletten- und Nadelgelder bleibt wir von meinen Revenuen so viel übrig, dass ich den Gehalt einer perfekten Köchin, der Wirtschaftsmamsell, der Kinderfrau und der Gouvernante aus meiner eigenen Tasche bezahlen kann.«

 

Sie sah bei den letzten Worten auf ihre glänzenden, rosenfarbenen Nägel, dann wandte sie mit einer langsamen stolzen Bewegung den Kopf seitwärts – der deckenhohe Spiegel warf ihre Gestalt zurück, diese blendende Erscheinung, bei deren Anblick man sich allerdings unmöglich denken konnte, dass sie je in trauter Häuslichkeit einen kleinen Liebling auf den Knien wiegen, am Krankenbettchen Märchen erzählen und in der Kinderstube das sein werde, was die treue Mutter sein soll, das tröstende Licht, das keine Nacht aufkommen lässt, die höchste Instanz, die mit einem Kusse jeden Streit schlichtet, die unermüdlich stützende Hand, an der das Kind geistig und physisch laufen lernt.

Und ihr Blick irrte wie schönheitstrunken weiter und blieb vergleichend an dem weißgekleideten Mädchen hängen, hinter welchem die blausamtene Portiere niederfiel. Von diesem Grunde hoben sich die jugendlich schwellenden Glieder, die unvergleichliche Schönheit der Gesichtsfarben unter der dicken Flechtenkrone, die im reinsten Perlmutterweiß schwimmenden dunklen Augensterne herrlich ab, und wenn die schöne Flora in ihrem Gesamtausdrucke das wissende Weib repräsentierte, das bereits tief in das Leben geschaut hat, so stand da neben ihr ein jungfräulich keuscher Schwan in naiver Unschuld und fleckenloser Seelenreinheit. Vielleicht missfiel ihr das. Sie lächelte das Spiegelbild spöttisch an und nickte hinüber.

»Ja, ja, meine Kleine, so veilchenhaft bescheiden wirst Du nicht immer bleiben, und die häuslichen Bestrebungen, zu denen Dich die Lukas in so unvernünftig übertriebener Weise erzogen, sind bei Dir ebenso wenig am Platze, wie bei meiner künftigen Lebensstellung. Moritz wird Dir nie das unharmonische Geklingel mit dem wirtschaftlichen Schlüsselbunde gestatten – darauf verlasse Dich, und wenn er Dir galanter Weise sogar zehnmal einen Geflügelhof in Aussicht stellt! Gerade er mit seinem neugebackenen Adel wird in Bezug auf die etikettengemäß weißen, geschonten Hände seiner Frau penible sein, wie kaum unser Allerdurchlauchtigster.«

Käthe war längst errötend aus dem Bereiche des Spiegels getreten. »Das mag Moritz halten, wie er will. Was geht das mich an?« fragte sie in halbgewendeter Stellung, aber die Augen groß und verwundert auf das Gesicht der Schwester richtend.

»Aber ich bitte Dich, Flora, wie kannst Du so taktlos sein. Moritz in so unumwundener Weise vorzugreifen?« rief Henriette erschreckt; sie fixierte mit einem besorgten, verlegenen Seitenblick Käthes Gesichtsausdruck.

»Ach was, er kann mir nur dankbar sein, wenn ich ihm den Weg ein wenig glatt und eben mache. Und glaubst Du denn, ich spräche da etwas aus, das Käthe nicht selbst längst wüsste? Es gibt kein Mädchen über fünfzehn Jahre, das nicht mit den Fühlfäden des Sehnens und Wünschens unausgesetzt sondierte und sofort wie durch einen elektrischen Schlag fühlte, wenn ein Männerherz sich ihm zuneigt. Die das nicht zugeben, sind entweder zu dumm oder raffinierte Koketten.« Sie maß wieder ihr Spiegelbild vom Kopfe bis zu den Fußspitzen und zog die Löckchen tiefer in die Stirn. »Wer vorhin Augen gehabt hat, zu sehen, wie unsere Kleine sich vertrauensvoll und hingebend anzuschmiegen weiß, der kann nicht mehr fehlgehen – gelt, Käthe, Du verstehst mich?« Jetzt lächelte sie mit frivol blinzelnden Augen unter dem hochgehobenen Arme weg die junge Schwester an.

»Nein, ich verstehe Dich nicht«, versetzte das Mädchen mit stockendem Atem; ein undefinierbares Gemisch von heftigem Widerwillen und böser Vorahnung stieg in ihr auf und machte sie ängstlich.

»Komm, Käthe, wir wollen gehen«, sagte Henriette und schlang ihren Arm um die Hüften der großen, schlanken Schwester, um sie nach der Tür zu ziehen. »Ich leide ein solch indiskretes Verhör nicht«, setzte sie, zornig mit dem Fuße stampfend, hinzu.

»Bah, echauffiere Dich nicht, Henriette!« lachte Flora. Sie reichte Käthe das Etui mit dem Geschmeide hin. »Hier, Kleine, Du wirst doch die Steine nicht in dem offenen Salon liegen lassen, wo die Dienerschaft aus- und eingeht?«

Käthe legte unwillkürlich und naiv wie ein Kind die Rechte, in welche der Schmuck gedrückt werden sollte, auf den Rücken. »Mag doch Moritz sie wieder an sich nehmen«, sagte sie kurz und bestimmt. »Deine Großmama hat darin ganz Recht – es ist ein unpassendes Geschenk; an meinen Hals gehört ein solcher Schmuck nicht.«

»Und an diese gutgespielte Unbefangenheit soll ich glauben?« rief Flora ärgerlich und wie gelangweilt. »Geh’! Einem so großen, vierschrötigen Mädchen steht die kindische Ziererei nun einmal nicht an. Da liegt er noch, der Spitzenschal, den Moritz der Großmama mitgebracht hat – sie verschmäht ihn; sie ist empfindlicher als Deine Schwestern, die es selbstverständlich finden, dass Dein Geschenk alles, was er hier für uns ausgebreitet hat, an innerem Werte mindestens vierfach aufwiegt – und über das Warum dieser Auszeichnung wolltest Du allein im Unklaren sein? Mache Dich nicht lächerlich! Hörst Tag für Tag das Hantieren drüben im Pavillon – alle im Hause, bis auf die aus- und eingehenden Handwerker hinab, wissen, dass die Wohnung für die Großmama hergerichtet wird, damit die junge Frau Kommerzienrätin in diese brillanten Räume einziehen kann – nun, kleine Unschuld, soll ich noch deutlicher werden?«

Bis dahin hatte das junge Mädchen regungslos gestanden und mit zurückgehaltenem Atem und aufdämmerndem Verständnis die Redewendungen der Schwester so erschreckten Auges verfolgt, als sehe sie eine buntschillernde, gefährliche Schlange allmählich sich entringeln. Nun aber irrte ein stolzes Lächeln um ihre blassgewordenen Lippen. »Bemühe Dich nicht – ich habe Dich endlich verstanden«, sagte sie bitter – dem Metallklang ihrer Stimme hörte man den inneren Schrecken an – »Du hast es weit klüger angefangen, als Deine Großmama, mir den ferneren Aufenthalt in diesem Hause unmöglich zu machen.«

»Käthe!« schrie Henriette auf. »Nein, darin irrst Du. Flora ist wie immer entsetzlich rücksichtslos gewesen, aber böse gemeint waren ihre Anspielungen sicher nicht.« Sie schmiegte sich eng an die Schwester an und sah ihr zärtlich in das Gesicht. »Und wenn auch, weshalb sollten Dich denn derartige Neckereien aus dem Hause treiben, Käthe?« fragte sie halb ängstlich und zögernd in schmeichelndem Flüstertone. »Bist Du wirklich so ahnungslos der Liebe gegenüber geblieben, die Dir so unzweideutig gezeigt wird? Sieh, ich habe jetzt oft den heißen Wunsch zu sterben, wenn es aber wahr würde, dass Du als Herrin hier, in unserem väterlichen Heim, einzögest, dann –«

Käthe wand sich ungestüm aus den zarten Armen, die sie umstrickten. »Niemals!« rief sie, den Kopf heftig schüttelnd, zornig, erbittert, wie es nur ein stolzes, plötzlich in allen seinen Tiefen unsanft und schonungslos aufgerütteltes Mädchengemüt sein kann.

»So – also niemals?« wiederholte Flora sarkastisch. »Vielleicht ist Dir die Partie nicht vornehm genug – wie? Wartest wohl auf irgendeinen verschuldeten Grafen oder Prinzen, der moderner Weise nicht das Dornröschen selbst, sondern ihre Geldsäcke aus dem Zauberbanne erlöst? Ei nun, die Jetztzeit ist ja nicht arm an solchen Ehen! Wie aber die unglückliche Mitgabe, die Frau, dabei fährt, weiß man auch. … Willst Du immer wieder hören, dass Dein Großvater hinter den Müllerpferden hergegangen und Deine Großmutter barfuß gelaufen ist, dann heirate nur in eine solche adelsstolze Familie! Übrigens möchte ich wirklich wissen, was Du an Moritz auszusetzen hast, oder vielmehr, was Dich berechtigt, seine Hand zurückzuweisen. Du bist allerdings sehr reich, aber was es für einen bedenklichen Haken dabeihat, wissen wir. Du hast viel Jugendfrische, allein schön bist Du nicht, meine Kleine, und was Dein Talent betrifft, mit welchem Du allerdings in günstigen Momenten zu brillieren verstehst, so ist das ein von ehrgeizigen Lehrern künstlich angefachtes Geistesfünkchen, das sehr schnell wieder erlöschen wird, sobald das fette Honorar aufhört.«

»Flora!« unterbrach sie Henriette empört.

»Schweig’! Ich rede jetzt in Deinem Interesse«, sagte Flora, mit einer kräftigen Handbewegung die schwache Gestalt der Kranken bei Seite schiebend. »Oder möchtest Du Moritz leidenschaftlicher verliebt in Dich sehen, als er sich gibt, Käthe? Liebes Kind, er ist ein gereifter Mann, der über das Heldenspielen in einem Backfischroman längst hinaus ist. Es fragt sich überhaupt, ob Du je um Deiner selbst willen gewählt wirst – bei solchen kleinen Millionärinnen kann man das nie wissen. … Ich begreife Dich nicht. Du hast Dich bis zu diesem Augenblicke auf die Krankenpflegerin kapriziert, wie kaum eine aussichtslose alte Jungfer, weil – es eigentlich von keiner Seite gewünscht wurde, und nun, da Henriette ihre ganze fernere Existenz an Dein Bleiben im Hause knüpft, willst Du gehen? Ich für meine Person würde auch ruhiger in der Ferne sein, wenn ich unsere Schwester unter Deinen pflegenden Händen wüsste, und was Bruck anbelangt – nun, Du hast Dich allerdings eben wieder überzeugen müssen, wie wenig sympathisch Du ihm bist, armes Kind; er will lieber den ungezogenen Schreihals, den Job Brandau, in seinen vier Wänden dulden, als Dein häusliches Schalten und Walten, aber ich weiß trotz alledem gewiss, dass er seine Patientin, die er schließlich doch hier ihrem Schicksale überlassen muss, Dir am liebsten übergibt, an der sie mit Liebe hängt.«

Henriette lehnte mit kreideweißen Wangen an der Wand – sie war keines Wortes fähig, so tief erbitterten sie die unbeschreibliche Nonchalance, der beispiellose Übermut, mit welchem Flora alles, was die Schwesterherzen demütigen musste, an das Licht zerrte. Käthe jedoch hatte ihre äußere Fassung vollkommen wiedergewonnen.

»Darüber werden wir Zwei uns allein verständigen, Henriette«, sagte sie ganz ruhig, aber die Lippen, welche die Stirn der Kranken küssend berührten, die Finger, die sich mit innigem Druck um ihre Hand legten, waren kalt wie Eis. »Du gehst doch wohl jetzt hinauf in Dein Zimmer;« sie sah nach ihrer Uhr, »es ist Zeit, dass Du Deine Tropfen nimmst. Ich komme bald zurück.«

Sie ging hinaus, ohne noch einen Blick auf Flora zu werfen.

»Eingebildetes Ding! Ich glaube gar, sie nimmt es auch noch übel, dass man sie nicht für die erste Schönheit erklärt und dass nicht auch Männer wie Bruck an ihrem Siegeswagen ziehen«, sagte die schöne Dame mit sarkastisch zuckenden Mundwinkeln, und während Henriette schweigend ihr Geschenk und die Kapsel mit dem Rubinschmucke forttrug, schritt sie, eine Melodie trällernd, nach dem Zimmer, in welches sich die beiden Herren zurückgezogen, und klopfte ungeniert mit dem Finger an, weil es, wie sie durch die Türspalte hinüberrief, sehr ungalant sei, »das Geburtstagskind« heute allein zu lassen.