Buch lesen: «Die zweite Frau»
Die zweite Frau
Eugenie Marlitt
Inhaltsverzeichnis
1.
2.
3.
4.
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6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
15.
16.
17.
18.
19.
20.
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22.
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24.
25.
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27.
28.
Impressum
1.
Ueber dem Teich, hoch im blauen Frühlingshimmel, hing lange und unbeweglich ein dunkler Punkt. Das blanke Gewässer wimmelte von Fischen; es lag immer so einsam, und wehrlos da, und die alten, nahe an seinen Spiegel gerückten Baumriesen konnten auch nicht helfen, wenn der graugefiederte Dieb, jäh aus den Lüften herabstürzend, nach Herzenslust das silberschuppige Leben im Wasser würgte. Heute nun traute er sich nicht herab, denn es waren Menschen da, große und kleine, und die kleinen schrieen und jubelten so ungebärdig und warfen im kindischen Vermessen ihre bunten Bälle nach ihm; rastende Pferde wieherten und stampften das Ufergeröll, und durch die Baumwipfel quollen Rauchwolken und fuhren mit zuckenden Armen gen Himmel. Menschenlärm und Rauch – das war nichts für den heimtückisch hereinbrechenden Räuber, nichts für den Segler des kristallenen Aethers; mißmutig zog der Reiher immer weitere Kreise und verschwand zuletzt unter einem gellenden Kinderhurra so spurlos, als sei sein gewichtiger Körper zerblasen und zerstoben.
Am linken Ufer des Teiches lag ein Fischerdörfchen – acht zerstreut umherstehende Häuser, beschattet von vielhundertjährigen Linden, und so niedrig, daß die Strohdächer gerade zwischen den unteren Baumästen auftauchten. Mit ihren Hamen und Netzen an den Wänden, den schmalen Holzbänkchen neben der Thür, und an der Südseite flankiert von Weißdorn und Heckenrosen, hoben sie sich zierlich vom weißen Uferrande. An wuchtige ostfriesische Fischergestalten durfte man dabei freilich nicht denken; auch war es gut, daß der ungeheure Park mit seinen beträchtlichen Waldstrecken die dahinterliegende Residenz vollkommen verdeckte – man glaubte an ländliches Leben und Treiben, bis eine der schmalen Hausthüren aufging.
Hätte der deutsche Fürst gewußt, daß das harmlose Klein-Trianon der glänzenden Königin von Frankreich schließlich den Kopf kosten sollte, so wäre das Fischerdörfchen sicher nie gebaut worden; aber er war nicht prophetischen Geistes gewesen, und so stand die anmutige Nachbildung seit beinahe hundert Jahren am Parkteich – die primitivste Idylle von außen, und im Innern das verwöhnteste Menschenkind umschmeicheln. Der Fuß, an dem der Uferkies hing, trat direkt auf schwellende Teppiche; dicke Seidenstoffe glänzten auf den Polstermöbeln und drapierten die Wände, da und dort unter breiten Spiegelflächen verschwindend. Wenn draußen auch bis zur glücklichen Täuschung mit Armut und Einfachheit kokettiert wurde, an weißgescheuerten Tischen mochte man doch nicht essen, noch weniger aber auf harten Holzbänken vom süßen Spiel ausruhen.
Das Fürstenhaus, dessen einem Sproß das Fischerdörfchen sein Dasein verdankte, hielt seit alten Zeiten fest an dem Brauch, nach welchem jeder Thronerbe in seinem achten Lebensjahre eine Linde pflanzen mußte. Der Wiesengrund am linken Teichufer, das Maienfest genannt, war so zu einer historischen Merkwürdigkeit, zu einer Art Ahnentafel geworden. Selten war wohl einer der gefürsteten Bäume eingegangen – das Maienfest hatte wahre Prachtexemplare aufzuweisen; uralte Recken im eisgrauen Panzer, hielten sie den mächtigen grünen Schild himmelstürmend empor und schützten die Nachgekommenen und die Schwächlinge, denn die waren auch da, trotz der empfangenen Weihe – die Natur läßt sich eben kein Wappen aufnötigen.
Heute, im Monat Mai, war der wichtige Akt für den Erbprinzen Friedrich gekommen. Selbstverständlich feierten der Hof und die loyale Residenz den Tag in der durch das alte Hausgesetz vorgeschriebenen Weise. Sämtliche Kinder der Hoffähigen waren eingeladen; die minder Glücklichen aber, die über keine fünf- und siebenzinkige Krone zu verfügen hatten, fuhren mit ihren Eltern hinaus, zuzusehen, wie ein wirklicher Prinz den Spaten handhabe. Hinter der Wagenburg trieb sich eine Menge Volks auf Weg und Steg herum, und die wilde Jugend hockte auf den Bäumen, unbestritten den vorteilhaftesten Observationsposten.
Das Fest war auch ein zwiefaches. Vor achtzehn Monaten war der Vater des Erbprinzen, der Landesherr, gestorben, und mit dem heutigen Tage erst hatte die schöne Herzogin-Witwe die ungewöhnlich lange festgehaltene tiefe Trauer abgelegt.
Dort stand sie, neben dem bereits gepflanzten Lindenstämmchen. Nicht einen Augenblick blieb man im Zweifel, daß sie die Höchstgebietende sei. Sie war schneeweiß gekleidet; nur im Gürtel hing ihr eine blasse Heckenrose und von dem roten Futter des kleinen Sonnenschirms, mit welchem sie das unbedeckte Haupt beschattete, fiel ein leichter Rosaschein über das Gesicht, über ein feines, sehr kurzes Näschen und üppig geschwungene, wenn auch nur schwach gefärbte Lippen. Die auffallend unregelmäßigen Linien unter mähnenartig sich aufbäumenden schwarzem Haar, der Schatten, der sich zart bläulich um die Augen legte, und jener wachsweiße, unbelebte Teint, bei welchem wir gleichwohl unwillkürlich an große innere Leidenschaftlichkeit denken müsse, verliehen dem Gesicht den Typus der spanischen Kreolin, wenn auch sicher nicht ein Tropfen Blutes jener Rasse durch die Adern der deutschen Fürstin lief.
Sie verfolgte den kreisenden Reiher mit derselben Aufmerksamkeit, wie die Kinderschar, die bei seinem Verschwinden in das jubelnde Hurra ausbrach.
»Du hast wieder nicht mitgeschrieen, Gabriel,« sagte zornig ein kleiner Knabe zu einem größeren, neben ihm stehenden, dessen einfacher, weißer Leinenanzug inmitten der elegant gekleideten Kinder seltsam auffiel.
Der Angeredete schwieg und seine Augen suchten den Boden; das versetzte den Kleinen in Wut.
»Schämst du dich denn gar nicht vor den anderen, elender Junge? ... Auf der Stelle schreist du Hurra! Wir rufen auch mit!« befahl und ermutigte er zugleich.
Der weißgekleidete Knabe wandte angstvoll das Gesicht weg. Er machte Miene, seinen Platz zu verlassen - da hob der Kleine blitzschnell seine Gerte und schlug ihn in das Gesicht.
Die Kinder stoben auseinander – einen Augenblick stand die kleine zornbebende Gestalt allein – ein ideal-schönes Kind in elegantem grünen Samtanzuge, mit prächtigen braunen Locken, ein Bild der Kraft und Vornehmheit; der Erbprinz und sein Bruder samt ihrem kindlichen Gefolge konnten sich mit ihm nicht messen.
Seine Erzieherin kam bleich und erschrocken herbei, aber schon hatte die Herzogin die kleine geballte Hand ergriffen.
»Das war nicht hübsch, Leo,« sagte sie; allein in ihrer Stimme klang kein strafendes Zürnen mit, weit eher eine tiefe Zärtlichkeit.
Der Kleine riß seine Hand ungestüm aus den samtweichen, schmeichelnden Fingern; mit einem scheuen Seitenblicke nach dem Gezüchtigten, der sich eben entfernte, drehte er sich auf dem Absatze herum. »Ach was,« grollte er, »es geschieht ihm ganz recht! Papa kann ihn auch nicht leiden – er sagt immer: ›Diese Memme erschrickt vor ihrer eigenen Stimme.‹«
»Wohl, mein kleiner Trotzkopf; weshalb aber bestehst du dann darauf, daß dieser Gabriel dich stets begleite?« fragte lächelnd die Herzogin.
»Weil – nun, weil ich's eben so haben will.«
Mit diesem trotzigen Worten warf er seinen Lockenkopf zurück, wandte der Gesellschaft den Rücken, als existiere sie nicht, und verschwand hinter einem der Häuser. Auf weitem Umwege suchte er die dickstämmige Linde zu erreichen, hinter welche sich der Geschlagene zurückgezogen hatte.
Einsam lehnte die weiße Gestalt an dem Baume. Es war ein Knabe von vielleicht dreizehn Jahren, ein tiefmelancholisches Gesicht über feingebauten, geschmeidigen, aber wenig muskelstarken Gliedern. Er hatte sein Taschentuch in das Teichwasser getaucht und drückte es kühlend gegen die linke Wange, während seine zarten Lippen nervös aufzuckten, vielleicht weniger unter dem Schmerze, den ihm der Schlag verursacht, als infolge der inneren Aufregung.
Der kleine Leo umkreiste ihn mehrere Male, wobei er mit seiner Gerte wild in der Luft fuchtelte.
»Thut es s e h r weh?« fragte er plötzlich hart und kurz mit finster gefalteten Brauen und stampfte dem kleinen kräftigen Fuß auf. Gabriel hatte das Tuch weggenommen, um es abermals in das Wasser zu tauchen – ein feurig roter, quer über die Wange laufender Striemen war sichtbar geworden.
»Ach nein,« antwortete der Knabe mit sanfter, unbeschreiblich wohllautender Stimme, »es brennt nur noch ein wenig.«
Im Nu flog die Gerte auf den Boden; mit einem herzzerreißenden Aufschrei schlang der Kleine seine Arme um den Geschlagenen – man hörte seine Zähne aneinanderknirschen.
»Ich bin ein zu schlechter Junge!« stieß er hervor. »Dort liegt meine Gerte, Gabriel; nimm sie und schlage mich auch!«
Die anderen Kinder begafften mit offenem Munde diesen unvorhergesehenen Ausbruch einer tiefen, schmerzlichen Reue. Auch die Herzogin stand in der Nähe; eine seltsame Empfindung mochte sie überwältigen – wie hingerissen zog sie ungestüm das Kind an ihr Herz und bedeckte sein schönes Gesicht mit Küssen.
»Raoul!« flüsterte sie – wie ein Hauch kam der Name von ihren Lippen.
»Ach dummes Zeug!« murrte der Kleine, derb und kräftig sich loswindend. »Raoul heißt ja mein Papa!«
Die marmorweißen Wangen der fürstlichen Frau erröteten in tiefer Glut; sie fuhr empor und blieb einen Moment unbeweglich stehen; dann wandte sie langsam den Kopf und warf einen scheuen, unsichern Blick hinter sich – die Damen, die nahe gestanden, waren unter der Thür des nächsten Häuschens verschwunden.
2.
Von der Residenz her rollte eine Hofequipage; ein Herr saß im Fond, und neben ihm auf dem blauen Seidenpolster lagen die Utensilien zum Krocketspiel. Eben bog der Wagen in die Fahrstraße ein, die am Teiche hinlief, als ein Fußgänger aus dem Dämmerdunkel eines Gehölzes trat. Der Herr im Wagen ließ sofort halten.
»Grüß Gott, Mainau!« rief er herüber. »Na, das nimm mir nicht übel; man hofft mit Schmerzen auf dich, und da kommst du flanieren auf dem größtmöglichen Umwege! ... Die Linde steht längst – hast dem Hause Mainau die stolze Tradition verwirkt, daß deine Hand es war, die den Stamm umspannte, während Friedrich der Einundzwanzigste Erde auf die Wurzeln schaufelte.«
»Man wird dereinst einen Trauerflor über mein Bild hängen müssen.«
Der Herr im Wagen lachte; er öffnete behende mit einer einladenden Handbewegung den Schlag.
»Plagt dich der Teufel, Rüdiger – im Fond?« wehrte der andere in komischer Entrüstung, »Gott sei Dank, noch weicht mir das Zipperlein aus! ... Fahre weiter im stolzen Bewußtsein deiner Mission – hast das vergessene Krocketspiel holen müssen? Beneidenswerter!«
Der Herr sprang auf den Boden, warf den Schlag zu, und während der Wagen weiterfuhr, schlugen die beiden den Fußpfad ein, der durch Buschwerk nach dem Fischerdörfchen lief ... Sie sahen seltsam nebeneinander aus – der im Wagen gekommene klein, beweglich und sehr wohlbeleibt, und sein Begleiter so hoch von Gestalt, daß sein Haupt häufig dem unteren Baumgeäst ausweichen mußte. Der Mann hatte etwas überraschend Blendendes in seiner Erscheinung, in dem ausdrucksvollen Kopf und in allen Gebärden jenes dämonenhaft wirkende Feuer, das eben als sanfte Glut fast elegisch dem Auge entströmt und im nächsten Augenblicke die schlanke, scheinbar weiche Hand zur Faust ballt, um einen verhaßten Gegner zu Boden zu schlagen. Der kleine jähzornige Knabe drüben beim Fischerdörfchen glich ihm Zug um Zug, fast bis zur Lächerlichkeit.
»Gehen wir denn!« sagte Herr von Rüdiger. »Zum Diner kommen wir leider heute nie spät genug ... Brr – Kinderbrei und Puddings in allen erdenklichen Auflagen! ... Eine Strafpredigt brauche ich auch nicht zu fürchten, ich bringe ja dich mit... Apropos, du warst für zwei Tage verreist, wie den Leo der Herzogin sagte?«
»Ich war verreist, Verehrtester.«
Diese lakonische Bestätigung klang zu ironisch und abfertigend für den kleinen Beweglichen – das »Wohin« blieb ihm hinter den Lippen sitzen ... Sie kamen eben an einer Stelle vorüber, wo das Dickicht auseinanderriß und einen Ausblick über den Teich hin gewährte. Man übersah das ganze Dörfchen. Unter den Linden standen weißgedeckte Tafeln; zwischen diesen und einem der Häuser, durch dessen Thür man den fürstlichen Koch in weißer Mütze am Herd beschäftigt sah, liefen Lakaien hin und her – das Diner war in Vorbereitung. Die aufregende Szene, die der kleine Leo veranlaßt, war längst vergessen, man spielte; alles was laufen konnte, spielte mit – graziöse Hofdamen und schlanke Kammerjunker, aber auch alle Kavaliere mit steifen Beinen, ja selbst die dicke, asthmatische Oberhofmeisterexzellenz watschelte händeklatschend durch den Kindertumult.
Die Herzogin war so nahe an das seichte Teichufer getreten, daß man meinte, das Wasser spiele an ihre Füße heran. Wie ein Schwanengefieder schwamm ihr weißes Spiegelbild in der klaren Flut. Einige junge Damen hatten ihr einen Kranz von Waldreben und Blumenglocken gebracht; er lag über ihrer Stirn und ließ lange, grüngefiederte Ranken über die schöne Büste und den Nacken hinab hängen.
»Ophelia!« rief Baron Mainau halblaut mit einer pathetischen Gebärde – ein unbeschreiblicher Sarkasmus lag in seiner Stimme.
Sein Begleiter fuhr herum. »Nun bitte ich mir's aber aus – das ist doch wieder einmal die reine Komödie, Mainau!« rief er ganz empört. »Das verfängt wohl bei den Damen, die wie die Lämmer vor dir zittern, bei mir aber nicht.« Er steckte die Hände in die Seitentaschen seines leichten Ueberziehers, zog die Schultern in die Höhe und begann verschmitzt lächelnd: »Es war einmal eine wunderschöne, aber arme Prinzessin und ein glänzender, junger Kavalier. Die beiden liebten sich, und die Prinzessin wollte die Durchlaucht an den Nagel hängen und eine Frau Baronin werden –« einen Moment hielt er inne, und sein schelmischer Seitenblick streifte den Begleiter; er sah aber nicht, wie der schöne Mann erblaßte, wie er mit zusammengebissenen Zähnen so glühend in das Dickicht starrte, als solle das junge Laub versengen. Er fuhr harmlos fort: »Da kam der Vetter der Prinzessin, der Regierende, und begehrte ihre schöne Hand. Die schönen, schwarzen Augen vergossen bittere Thränen, schließlich siegte aber doch das stolze Fürstenblut über die Liebesleidenschaft, und die Prinzessin ließ es geschehen, daß man ihr die Herzogskrone auf die prächtigen, dunklen Locken setzte ... Hand aufs Herz, Mainau,« unterbrach er sich lebhaft, »wer mochte ihr das damals verdenken? Höchstens die Sentimentalen!«
Mainau legte die Hand nicht aufs Herz, er erwiderte auch nichts – zornig knickte er einen jungen Zweig ab, der so keck gewesen war, seine Wange zu berühren, und schleuderte ihn von sich.
»Wie mag ihr heute das Herz klopfen!« sagte Rüdiger nach einer kurzen Pause – er wollte sichtlich das interessante Thema um keinen Preis fallen lassen. »Die Witwentrauer ist zu Ende; dem Fürstenstolz ist genügt für alle Zeiten, denn die Herzogin ist und bleibt die Mutter des Regierenden – du bist auch deiner Ehefesseln ledig. Alles fügt sich wundervoll ... und jetzt willst du mir weismachen – na wer's glaubt! ... Wir wissen, was sich heute ereignen wird –«
»Schlauköpfe, die ihr seid!« sagte Baron Mainau mit verstellter Bewunderung. Bei diesen Worten traten sie hinaus auf den freien Platz, wo die Wagen standen. Sie gerieten zwischen das Menschengetümmel und hielten sich deshalb mehr auf dem schmalen Uferweg.
»He, Bursche, bist du toll?« rief Mainau plötzlich und nahm einen halbwüchsigen, kräftigen Betteljungen, der in höchst gefährlicher Position auf einem über dem Wasserspiegel schwankenden Ast schaukelte, beim Kragen; er schüttelte ihn einigemal tüchtig wie einen nassen Pudel und stellte ihn auf die Füße. »Eine kleine Wäsche könnte deinem Pelz nicht schaden, mein Junge,« lachte er und klopfte seine sauber behandschuhten Hände gegeneinander, »ich bezweifle aber, daß du schwimmen kannst.«
»Pfui, er war sehr schmutzig, der Bengel!« sagte Rüdiger sich schüttelnd.
»Das war er. Ich kann dich auch versichern, daß ich mich auf dergleichen Berührungen durchaus nicht kapriziere – das sind so rasche, plebejische Sünden der Hand, um welche die Seele nicht weiß. – Ja, da hast du's nun wieder – wir haben noch manchen Schritt bis zu jenem erhabenen Moment, wo auch unsere Körpermasse so aristokratisch durchdrungen ist, daß ihr ein solcher Mißgriff unmöglich wird – wie? Meinst du nicht?«
Rüdiger wandte sich ärgerlich ab; er beschleunigte aber auch zugleich seine Schritte. »Deine Heldenthat ist drüben auf dem Maienfest gesehen worden,« sagte er hastig. »Vorwärts, Mainau! Die Herzogin verläßt ihren Platz ... Und da kommt auch schon dein wilder Junge!«
Der kleine Leo umrannte den Teich und lief stürmisch auf den Papa zu. Baron Mainau bog sich einen Augenblick liebkosend über sein Kind und nahm weiterschreitend die kleine Hand in seine Linke.
Während man auf dem Maienfest weiterspielte, kam die Herzogin, von mehreren Herren und Damen des Hofes begleitet, langsam wandelnd daher ... Sie hatte auch den schwebenden Gang, die unnachahmlich graziöse Geschmeidigkeit der Kreolin ... Ja, die schwere, düstere Witwentracht war abgestreift, wie die häßliche Puppe von dem hellbeschwingten Schmetterling. Dem Anstand, der Konvenienz war genügt worden bis auf die äußersten Anforderungen – nun endlich durfte auch das Glück kommen, nun durften die Flammen der Leidenschaft rückhaltlos aus den Augen brechen, wie in diesem Moment.
»Ich muß schelten, Baron Mainau,« sagte sie mit etwas unsicherer Stimme. »Sie haben mich eben sehr erschreckt durch Ihre rettende That und dann – kommen Sie doch allzu spät.«
Er hielt den Hut in der Rechten und verbeugte sich tief. Der Sonnenschein spielte über den braungelockten, rätselvollen Kopf hin, vor welchem die Damen »wie die Lämmer« zitterten.
»Ich würde mit Freund Rüdiger versichern, daß ich sehr unglücklich sei,« versetzte er, »allein Eure Hoheit werden mir das sicher nicht mehr glauben, wenn ich sage, wo ich mich verspätet habe.«
Die Herzogin richtete ihre Augen groß und befremdet auf sein Gesicht – es war ein wenig bleich geworden, aber sein Blick, dieser selten zu ergründende Blick funkelte ihr in einer Art von wildem Triumph entgegen. Ihre Hand fuhr unwillkürlich nach dem Herzen – die kleine, blasse Rose im Gürtel knickte ab und fiel unbemerkt zu den Füßen des schönen Mannes.
Er wartete umsonst auf eine Frage der fürstlichen Frau – sie schwieg, wie es schien, in atemloser Erwartung. Mit einem ehrerbietigen Kopfneigen fuhr er nach einer augenblicklichen Pause fort: »Ich war in Rudisdorf bei meiner Tante Trachenberg und erlaube mir, Euer Hoheit anzuzeigen, daß ich mich daselbst mit Juliane Gräfin Trachenberg verlobt habe.«
Die Umgebung stand wie versteinert – wer von ihnen hätte den Mut finden können, dieses momentane furchtbare Schweigen mit einem Laute zu unterbrechen, oder gar einen indiskreten Blick auf das Antlitz der Herzogin zu werfen, die entgeistert die blutlosen Lippen aufeinanderpreßte? ... Nur ihre Nichte, die junge Prinzessin Helene, lachte unbefangen und mutwillig auf. »Welche Idee, Baron Mainau, eine Frau zu heiraten, die Juliane heißt! ... Juliane! ... Puh – eine Urgroßmutter, mit der Brille auf der Nase!«
Er stimmte ein in das heitere Lachen – wie klang das melodisch und harmlos! ... Das war die Rettung! Die Herzogin lächelte auch mit todesblassen Lippen. Sie sagte dem Bräutigam einige Worte mit so viel Ruhe und vornehmer Haltung, wie nur je eine Souveränin einen Untergebenen beglückwünscht hat.
»Meine Damen,« wandte sie sich darauf leicht und ungezwungen an eine Gruppe junger Mädchen, »ich bedaure, Ihren reizenden Schmuck ablegen zu müssen – der Kranz drückt mich an den Schläfen. Ich muß mich für einen Augenblick zurückziehen, um die Blumen zu entfernen ... Auf Wiedersehen beim Diner!«
Sie wies die Begleitung der Hofdame zurück, welche ihr behilflich sein wollte, und trat in ein Haus, dessen Thür sie hinter sich schloß.
Lilienweiß war ja ihr Gesicht zu allen Zeiten, und die berühmt schönen Augen hatten so oft jenen heißen Glanz, der an das fiebernde Blut des Südländers denken läßt – sie hatte wie immer gütig lächelnd und grüßend gewinkt und war wie eine schwebende Fee hinter der Thür verschwunden ... Niemand sah, daß sie drinnen sofort wie eine vom Sturm niedergerissene Tanne auf den teppichbelegten Boden hinschlug, daß sie, wahnwitzig auflachend, den Kranz aus dem Haare riß und in wildem thränenlosen Schmerz die feinen Nägel in die seidene Wanddraperie krallte ... Und dazu nur eine kurze, streng zugemessene Spanne Zeit, um die Qual austoben zu lassen – dann mußten diese verzerrten Lippen wieder lächeln und alle die Hofschranzen draußen glauben machen, daß das kochende Blut friedlich und leidenschaftslos in den Adern kreise.
Währenddem stand Baron Mainau, seinen Knaben an der Hand, am Ufer und beobachtete, scheinbar amüsiert, den Tumult bei der Wagenburg. Man hatte ihn beglückwünscht; aber es war wie eine Lähmung über die gesamte Hofgesellschaft gekommen – er sah sich sehr rasch allein. Da stand plötzlich Rüdiger an seiner Seite.
»Eine furchtbare Rache! Eine eklatante Revanche!« murmelte der Kleine – in seiner Stimme bebte noch eine Schwingung des Schreckens. »Brr – ich sage mit Gretchen: ›Heinrich, mir graut vor dir!‹ ... Gott steh' mir bei! Sah man je einen Menschen, der seinem gekränkten Mannesstolze so grausam, so raffiniert, so unversöhnlich ein Opfer hinschlachtete, wie du eben gethan? ... Du bist tollkühn, entsetzlich –«
»Weil ich in nicht ganz gewöhnlicher Form, zur geeigneten Zeit erklärt habe: ›Nun will ich nicht?‹ ... Glaubt ihr, ich werde mich heiraten lassen?«
Der kleine Bewegliche sah ihn eingeschüchtert von der Seite an – dieser sonst so formvollendete Mainau war doch manchmal zu rauh, um nicht zu sagen grob. »Mein Trost dabei ist, daß du unter den grausamen Maßregeln deines unbändigen Stolzes selbst schwer leidest,« sagte er nach einem kurzen Schweigen, doch fast trotzig.
»Du wirst mir zugeben, daß ich das einzig und allein mit mir auszumachen habe.«
»Mein Gott, ja! ... Aber nun – was nun weiter?«
»Was weiter?« lachte Mainau. »Eine Hochzeit, Rüdiger.«
»Wahrhaftig? ... Du hast ja nie in diesem Rudisdorf verkehrt – ich weiß es ganz genau ... Also eine schleunigst acquirierte Braut aus dem Almanach de Gotha?«
»Erraten, Freund.«
»Hm – von erlauchtem Geschlecht ist sie, aber, aber – Rudisdorf ist, wie man weiß, jetzt – verödet ... Wie sieht sie denn aus?«
»Guter Rüdiger, sie ist eine Hopfenstange von zwanzig Jahren mit rotem Haar und niedergeschlagenen Augen – mehr weiß ich auch nicht. Ihr Spiegel wird das besser wissen ... Bah, was liegt daran? ... Ich brauche weder eine schöne, noch eine reiche Frau; nur tugendhaft muß sie sein – sie darf mich nicht inkommodieren durch Handlungen, für die ich mit einstehen müßte – du kennst ja meine Ansichten über die Ehe.«
Jenes stolz grausame Lächeln, das vorhin die Herzogin erbleichen gemacht, zuckte wieder über sein Gesicht hin – offenbar in der Erinnerung an die »eklatante Revanche«.
»Was bleibt mir übrig?« sagte er nach kurzem Schweigen mit frivoler Leichtigkeit. »Der Onkel hat mir Leos Hofmeister Knall und Fall fortgejagt, weil er nachts im Bette las und konsequent knarrende Stiefel trug, und die Erzieherin hat die üble Gewohnheit, entsetzlich zu schielen und im Vorübergehen Konfekt von den Platten zu naschen – sie ist unmöglich. Ich aber will in der Kürze nach dem Orient gehen, ergo – brauche ich eine Frau daheim ... In sechs Wochen vermähle ich mich – willst du mein Trauzeuge sein?«
Der Kleine trippelte von einem Fuß auf den anderen. »Was will ich denn machen? Ich muß wohl,« versetzte er endlich halb zornig, halb lachend; »denn von denen dort« – er deutete nach einer Gruppe flüsternder und herüberschielender Kavaliere – »geht dir keiner mit – darauf kannst du dich verlassen.«
»Du, Gabriel,« sagte gleich darauf der kleine Leo aufgeregt zu dem weißgekleideten Knaben, »die neue Mama, die kommt, ist eine Hopfenstange – hat der Papa gesagt – und rote Haare hat sie wie unser Küchenmädchen ... Ich kann sie nicht leiden; ich will sie nicht haben – ich schlage mit der Gerte nach ihr, wenn sie kommt.«