Buch lesen: «Эликсиры Сатаны. Уровень 2 / Die Elixiere des Teufels»
Ernst Theodor Amadeus Hoffmann
DIE ELIXIERE DES TEUFELS
Дизайн обложки А. И. Орловой
© Алешина П. Д., адаптация текста, коммент., упражнения и словарь, 2023
© ООО «Издательство АСТ», 2023
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Vorwort des Herausgebers
Gern möchte ich dich, günstiger Leser! unter jenen dunklen Platanen führen, wo ich die seltsame Geschichte des Bruders Medardus zum ersten Male las. Du würdest dich mit mir auf dieselbe steinerne Bank setzen. Du würdest, so wie ich, recht sehnsüchtig nach den blauen Bergen schauen.
Aber nun wendest du dich um und erblickest kaum zwanzig Schritte hinter uns ein gotisches Gebäude, dessen Portal reich mit Statuen verziert ist. – Durch die dunklen Zweige der Platanen schauen dich Heiligenbilder recht mit klaren, lebendigen Augen an. Es sind die frischen Freskogemälde. Ernste Männer wandeln schweigend durch die Laubgänge des Gartens. Sind denn die Heiligenbilder lebendig worden und herabgestiegen von den hohen Simsen?1 Dich umwehen die geheimnisvollen Schauer der wunderbaren Sagen und Legenden. Und willig magst du daran glauben. In dieser Stimmung liest du die Geschichte des Medardus, und wohl magst du auch dann die sonderbaren Visionen des Mönchs für mehr halten als für das regellose Spiel der erhitzten Einbildungskraft.
Da du, günstiger Leser! soeben Heiligenbilder, ein Kloster und Mönche geschaut hast, so darf ich kaum hinzufügen, dass es der herrliche Garten des Kapuzinerklosters in B. war, in den ich dich geführt habe.
Als ich mich einst in diesem Kloster einige Tage aufhielt, zeigte mir der ehrwürdige Prior die von dem Bruder Medardus nachgelassene, im Archiv aufbewahrte Papiere als eine Merkwürdigkeit. Nur mit Mühe überwand ich des Priors Bedenken, sie mir mitzuteilen. Eigentlich, meinte der Alte, hätten diese Papiere verbrannt werden sollen2. Nicht ohne Furcht, du stimmst der Meinung des Priors zu, gebe ich dir, günstiger Leser! Entschließest du dich aber, mit dem Medardus, als seist du sein treuer Gefährte, durch finstre Kreuzgänge und Zellen3 – durch die bunte Welt zu ziehen und mit ihm das Schauerliche, Entsetzliche, Tolle, Possenhafte seines Lebens zu ertragen.
Nachdem ich die Papiere des Kapuziners Medardus recht durchgelesen. Das war mir schwer genug, da der Selige eine sehr kleine, unleserliche mönchische Handschrift geschrieben hat. Es war mir auch, als das, was wir Traum und Einbildung nennen, wohl die symbolische Erkenntnis des geheimen Fadens. Er zieht sich durch unser Leben. Vielleicht geht es dir, günstiger Leser! wie mir, und das wünschte ich denn aus erheblichen Gründen echt herzlich.
Erster Teil
Erster Abschnitt
Die Jahre der Kindheit und das Klosterleben
Nie hat mir meine Mutter gesagt, in welchen Verhältnissen mein Vater in der Welt lebte. Ich rufe mir aber alles das ins Gedächtnis zurück, was sie mir schon in meiner Jugend von ihm erzählte. So muss ich wohl glauben, dass es ein mit tiefen Kenntnissen begabter, lebenskluger Mann war. Eben aus diesen Erzählungen und einzelnen Äußerungen meiner Mutter weiß ich, dass meine Eltern von einem bequemen Leben in die drückendste, bitterste Armut herabsanken. Mein Vater war einst durch den Satan verlockt und beging eine Todsünde. In späten Jahren hat er sie als die Gnade Gottes erleuchtet. Er wollte auf einer Pilgerreise nach der heiligen Linde im weit entfernten kalten Preußen. – Auf der beschwerlichen Wanderung dahin fühlte meine Mutter nach mehreren Jahren der Ehe zum erstenmal, dass diese nicht unfruchtbar bleiben wurde, wie mein Vater befürchtet. Trotz seiner Not war er sehr froh, dass er jetzt eine Vision hatte, in der der heilige Bernhard ihm Trost und Vergebung durch die Geburt eines Sohnes zusicherte.
In der heiligen Linde erkrankte mein Vater. Er starb entsündigt und getröstet in demselben Augenblick, als ich geboren wurde. – Mit dem ersten Bewusstsein dämmern in mir die lieblichen ilder von dem Kloster und von der herrlichen Kirche in der heiligen Linde auf.
Mich umrauscht noch der dunkle Wald. Noch sehe ich mitten in der Kirche, auf welche die Engel das wundertätige Bild der heiligen Jungfrau niedersetzten. Noch lächeln mich die bunten Gestalten der Engel – der Heiligen – von den Wänden, von, der Decke der Kirche an! – Die Erzählungen meiner Mutter von dem wundervollen Kloster sind so in mein Innres gedrungen, dass ich glaubte, ich habe alles selbst gesehen, selbst erfahren. Unerachtet ist es unmöglich, dass meine Mutter nach anderthalb Jahren die heilige Stätte verließ. – Es scheint mir, dass ich selbst einmal eine wunderbare Figur eines ernsten Mannes in einer verlassenen Kirche gesehen habe. Es ist eben der fremde Maler gewesen, der in uralter Zeit erschien. Niemand konnte seine Sprache verstehen. Er malte mit kunstgeübter Hand in gar kurzer Zeit die Kirche auf das herrlichste aus. Ich erinnere mich auch an den alten, seltsam gekleideten Pilger, der mich oft an meinen Armen trug. Er suchte im Wald nach allen möglichen bunten Moosen und Steinen und spielte mit mir. Ich glaube natürlich, dass sein lebendiges Bild nur aus der Beschreibung meiner Mutter im Inneren entstand. Er brachte einmal einen fremden, wunderschönen Knaben mit, der mit mir von gleichem Alter war. Wir saßen im Gras. Ich schenkte ihm alle meine bunten Steine. Meine Mutter saß neben uns auf einer steinernen Bank. Der Alte schaute mit mildem Ernst unseren kindischen Spielen zu. Da traten einige Jünglinge aus dem Gebüsch. Einer von ihnen rief lachend:
»Sieh da! Eine heilige Familie, das ist etwas für meine Mappe!«
Er zog wirklich Papier und Krayon hervor und schickte sich an, uns zu zeichnen. Da erhob der alte Pilger sein Haupt und rief zornig:
»Elender Spötter, du willst ein Künstler sein, und in deinem Innern brannte nie die Flamme des Glaubens und der Liebe. Aber deine Werke werden tot und starr bleiben wie du selbst. Du wirst wie ein Verstoßener in einsamer Leere verzweifeln und untergehen in deiner eignen Armseligkeit.«
Die Jünglinge waren los. – Der alte Pilger sagte zu meiner Mutter:
»Euer Sohn ist mit vielen Gaben herrlich ausgestattet. Aber die Sünde des Vaters kocht und gärt in seinem Blut. Er kann sich zum wackern Kämpen für den Glauben aufschwingen. Lass ihn geistlich werden!«
Meine Mutter konnte nicht genug sagen, welchen tiefen Eindruck die Worte des Pilgers auf sie gemacht haben. Meine Erinnerungen aus selbst gemachter Erfahrung heben von dem Zeitpunkt an, als meine Mutter auf der Heimreise in das Zisterzienser-Nonnenkloster gekommen war. Die Zeit von der Begebenheit mit dem alten Pilger bis zu dem Moment, als mich meine Mutter zum erstenmal zur Äbtissin brachte, macht eine völlige Lücke. Ich finde mich erst wieder, als die Mutter meinen Anzug besserte und ordnete. Endlich stieg ich an der Hand meiner Mutter die breiten steinernen Treppen herauf und trat in das hohe, gewölbte, mit heiligen Bildern ausgeschmückte Zimmer. Da fanden wir die Fürstin. Es war eine große, majestätische schöne Frau. Sie sah mich mit einem ernsten, bis ins Innerste dringenden Blick an und fragte:
»Ist das Euer Sohn?«
Ihre Stimme, ihr ganzes Ansehen – alles wirkte so auf mich, dass ich, von dem Gefühl eines inneren Grauens ergriffen, bitterlich weinte. Da sprach die Fürstin:
»Was ist dir, Kleiner, fürchtest du dich vor mir? Wie heißt Euer Sohn, liebe Frau?«
»Franz.«
Da rief die Fürstin mit der tiefsten Wehmut:
»Franziskus!«
Sie hob mich auf und drückte mich heftig an sich. Aber in dem Augenblick preßte mir ein jäher Schmerz, den ich am Halse fühlte, einen starken Schrei aus, so dass die Fürstin mich losließ. Die Fürstin ließ das nicht zu. Es fand sich, dass das diamantne Kreuz, welches die Fürstin auf der Brust trug, mich am Hals so stark beschädigt hat, dass die Stelle ganz rot und mit Blut unterlaufen war.
»Armer Franz«, sprach die Fürstin, »ich habe dir weh getan, aber wir wollen doch noch gute Freunde werden.«
Eine Schwester brachte Zuckerwerk und süßen Wein. Ich naschte tapfer von den Süßigkeiten, die mir die Frau, selbst in den Mund steckte. Als ich einige Tropfen des süßen Getränks gekostet, kehrte mein munterer Sinn zurück.
Ich lachte und schwatzte zum größten Vergnügen der Äbtissin und der Schwester, die im Zimmer geblieben. Noch ist es mir unerklärlich, wie meine Mutter darauf verfiel, mich aufzufordern, der Fürstin von den schönen, herrlichen Dingen meines Geburtsortes zu erzählen. Die Fürstin, selbst meine Mutter, blickten mich voll Erstaunen an. Aber je mehr ich sprach, desto höher stieg meine Begeisterung. Die Fürstin fragte:
»Sage mir, liebes Kind, woher weißt du denn das alles?«
Da antwortete ich, dass der schöne wunderbare Knabe, den einst ein fremder Pilgersmann mitgebracht hat mir alle Bilder in der Kirche erklärt.
Man läutete zur Vesper, die Schwester hatte eine Menge Zuckerwerk in eine Tüte gepackt. Die Äbtissin stand auf und sagte zu meiner Mutter:
»Ich sehe Euern Sohn als meinen Zögling an, liebe Frau! Ich will von nun an für ihn sorgen.«
Meine Mutter konnte vor Wehmut nicht sprechen. Sie küsste die Hände der Fürstin. Die Fürstin kam uns nach, hob mich nochmals auf, sorgfältig das Kreuz beiseite schiebend.
»Franziskus! Bleib fromm und gut!«
Ich war im Innersten bewegt und musste auch weinen, ohne eigentlich zu wissen warum.
Durch die Unterstützung der Äbtissin gewann der kleine Haushalt meiner Mutter bald ein besseres Ansehen. Die Not hatte ein Ende, ich ging besser gekleidet und genoß den Unterricht des Pfarrers, dem ich zugleich als Chorknabe diente.
Der Pfarrer war die Güte selbst, er fesselte meinen lebhaften Geist. Er formte seinen Unterricht so nach meiner Sinnesart, dass ich Freude daran fand und schnelle Fortschritte machte. – Meine Mutter liebte ich über alles. Aber die Fürstin verehrte ich wie eine Heilige, und es war ein feierlicher Tag für mich, wenn ich sie sehen durfte. Jedes ihrer Worte blieb tief in meiner Seele. – Aber der herrlichste Tag, auf den ich mich wochenlang freute, an den ich niemals ohne inneres Entzücken denken konnte, war das Fest des heiligen Bernardus. Er ist der Heilige der Zisterzienser. Schon den Tag vorher strömten aus der benachbarten Stadt eine Menge Menschen herbei und lagerten sich auf der großen blumigen Wiese, so dass das frohe Getümmel Tag und Nacht nicht aufhörte. Ich erinnere mich nicht, dass die Witterung in der günstigen Jahreszeit (der Bernardustag fällt in den August) dem Fest jemals ungünstig war.
Der Bischof selbst hielt an dem Bernardustag in der Kirche des Klosters, bedient von der untern Geistlichkeit des Hochstifts, das feierliche Hochamt.
Ich gedenke lebhaft eines Gloria, da die Fürstin eben diese Komposition vor allen ändern liebte. – Wenn der Bischof das Gloria intonierte und nun die mächtigen Töne des Chors daher brausten: Gloria in excelsis deo! Ich versank in das hinbrütende Staunen der begeisterten Andacht. In dem duftenden Wald ertönten die holden Engelsstimmen. Der wunderbare Knabe trat wie aus hohen Lilienbüschen mir entgegen und fragte mich lächelnd:
»Wo warst du denn so lange, Franziskus? – ich habe viele schöne bunte Blumen. Ich will sie dir alle schenken, wenn du bei mir bleibst und mich liebst.«
Nach dem Hochamt hielten die Nonnen, unter dem Vortritt der Äbtissin eine feierliche Prozession durch die Gänge des Klosters und durch die Kirche. Es war die triumphierende Kirche selbst. Nach beendigtem Gottesdienst wurde die Geistlichkeit sowie die Kapelle des Bischofs in einem großen Saal des Klosters bewirtet. Mehrere Freunde des Klosters, Offizianten, Kaufleute aus der Stadt, nahmen an dem Mahl teil. Ich durfte, weil mich der Konzertmeister des Bischofs liebgewonnen, auch dabeisein. Allerlei lustige Erzählungen, Spaße und Schwanke wechselten unter dem lauten Gelächter der Gäste bis der Abend hereinbrach und die Wagen zur Heimfahrt bereitstanden.
Sechzehn Jahre war ich alt geworden, als der Pfarrer erklärte, dass ich nun vorbereitet genug war, die höheren theologischen Studien in dem Seminar der benachbarten Stadt zu beginnen. Ich habe mich nämlich ganz für den geistlichen Stand entschieden. Das erfüllte meine Mutter mit der innigsten Freude erfüllt sah. Durch meinen Entschluss glaubte sie erst die Seele meines Vaters entsühnt und von der Qual ewiger Verdammnis errettet4.
Es ist ja auch gewiss, dass dem Schmerz der Trennung jede Spanne außerhalb dem Kreise der Lieben der weitesten Entfernung gleich dünkt.
Der herrliche Klostergarten mit der Aussicht in die Gebirge hinein schien mir jedesmal, wenn ich in den langen Alleen wandelte in neuer Schönheit zu erglänzen. – Gerade in diesem Garten traf ich den Prior Leonardus, als ich zum erstenmal das Kloster besuchte, um mein Empfehlungsschreiben von der Äbtissin abzugeben. – Die dem Prior eigne Freundlichkeit wurde noch erhöht, als er den Brief las. Er wusste so viel Anziehendes von der herrlichen Frau, die er schon in frühen Jahren in Rom kennengelernt, dass er schon im ersten Augenblick mich ganz an sich zog. Er war von den Brüdern umgeben, und man durchblickte bald das ganze Verhältnis des Priors mit den Mönchen: die Ruhe und Heiterkeit des Geistes verbreitete sich über alle Brüder. Man sah nirgends eine Spur des Missmuts oder jener feindlichen, ins Innere zehrenden Verschlossenheit, die man sonst wohl auf den Gesichtern der Mönche wahrnimmt5.
Ohne die strengen Regeln des Ordens zu beachten, wurden religiöse Rituale dem Prior Leonard gewidmet. Man braucht mehr einen Geist als die asketische Umkehr der Sünde, die in der menschlichen Natur wohnt. Selbst eine schickliche Verbindung mit der Welt wollte der Prior Leonardus herstellen, die für die Brüder nicht anders als heilsam sein konnte. Reichliche Spenden machten es möglich, an gewissen Tagen die Freunde und Beschützer des Klosters in dem Refektorium zu bewirten. Dann wurde in der Mitte des Speisesaals eine lange Tafel gedeckt, an deren oberem Ende der Prior Leonardus bei den Gästen saß.
Dagegen gewannen die Mönche an Lebensumsicht und Weisheit, da die Kunde in ihnen Betrachtungen mancherlei Art erweckte. Ohne dem Irdischen einen falschen Wert zu verleihen, mussten sie die Notwendigkeit einer Strahlenbrechung des geistigen Prinzips anerkennen. Über alle hocherhaben rücksichts der geistigen und wissenschaftlichen Ausbildung, stand der Prior Leonardus. Er sprach mit Fertigkeit und Eleganz das Italienische und Französische, und seiner besonderen Gewandtheit wegen hat man ihn in früherer Zeit zu wichtigen Missionen gebraucht.
Mit der Welt versöhnt hat er irdischen gelebt, doch sich bald über das Irdische erhoben wurde. Diese ungewöhnlichen Tendenzen des Klosterlebens hat Leonardus in Italien aufgefasst.
Leonardus gewann mich lieb, er unterrichtete mich im Italienischen und Französischen. Beinahe die ganze Zeit verbrachte ich im Kapuzinerkloster. Und ich spürte, wie immer mehr meine Neigung zunahm, mich einkleiden zu lassen. Ich eröffnete dem Prior meinen Wunsch.
Einst hat der Prior viel Merkwürdiges mit mir gesprochen über das profane Leben. – Ich fühlte mich erglühen. – Der Konzertmeister hatte eine Schwester, nicht schön, aber doch, in der höchsten Blüte stand. Es war ein reizendes Mädchen. Sie hatte die schönsten Arme, den schönsten Busen in Form und Kolorit.
Eines Morgens, als ich zum Konzertmeister gehen wollte, überraschte ich die Schwester im leichten Morgenanzug, mit beinahe ganz entblößter Brust. Schnell warf sie zwar das Tuch über, aber doch schon zu viel hatten meine gierigen Blicke erhascht. Ich konnte kein Wort sprechen. Meine Brust war krampfhaft zusammengepresst und wollte zerspringen. Jetzt bei der verfänglichen Frage des Priors sah ich des Konzertmeisters Schwester mit entblößtem Busen vor mir stehen. Ich fühlte den warmen Hauch ihres Atems, den Druck ihrer Hand – meine innere Angst stieg mit jedem Moment. Leonardus sah mich mit einem gewissen ironischen Lächeln an, vor dem ich erbebte. Ich konnte seinen Blick nicht ertragen, ich schlug die Augen nieder, da klopfte mich der Prior auf die glühenden Wangen und sprach:
»Ich sehe, mein Sohn, dass Sie mich gefasst haben und dass es noch gut mit Ihnen steht. Der Herr bewahrt Sie vor der Verführung der Welt. Die Genüsse sind von kurzer Dauer.«
Ein Abend sollte diesen zweifelhaften Zustand entscheiden. Der Konzertmeister hat mich zu einer musikalischen Unterhaltung eingeladen. Außer seiner Schwester waren noch mehrere Frauenzimmer, und dieses steigerte die Befangenheit, die mir schon bei der Schwester allein den Atem versetzte. Sie war sehr reizend gekleidet, sie kam mir schöner als je vor. – Das sah eins von den Frauenzimmern, die ging zu des Konzertmeisters Schwester und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Nun schauten sie beide auf mich und lachten höhnisch! – Ich war wie vernichtet, ein Eisstrom goß sich durch mein Inneres. Ich war im Begriff, mich durch das Fenster zu stürzen. Zum Glück verhinderten mich die Eisenstäbe daran, mein Zustand war in der Tat entsetzlich.
Eine innere Scham, die ich nicht überwinden konnte, hielt mich zurück, ihm die Wahrheit zu sagen. Dagegen erzählte ich ihm mit dem Feuer die wunderbaren Begebenheiten meiner Kinderjahre. Leonardus hörte mich ruhig an, und ohne gerade gegen meine Visionen Zweifel vorzubringen, schien er doch sie nicht sonderlich zu beachten. Leonardus sprach sanft lächelnd:
»Mein Sohn, der Unglaube ist der ärgste Aberglaube«, und fing ein anderes Gespräch von fremden, gleichgültigen Dingen an.
Meine Mutter schrieb mir, dass der weltgeistliche Stand mir nicht genügen, sondern dass ich das Klosterleben erwählen werde. Auch die Fürstin war mit meinem Vorhaben ganz einverstanden. Beide sah ich noch einmal vor meiner Einkleidung und sehr bald erfolgte. Ich nahm auf Veranlassung der Vision meiner Mutter den Klosternamen Medardus an.
»Worüber erfreuest du dich so, mein Bruder?« fragte Cyrillus.
»Soll ich denn nicht froh sein, wenn ich der Welt und ihrem Tand entsage?« antwortete ich.
Doch dies war die letzte Anwandlung irdischer Selbstsucht.
Schon fünf Jahre war ich im Kloster, als nach der Verordnung des Priors mir der Bruder Cyrillus die Aufsicht über die reiche Reliquienkammer des Klosters übergeben sollte. Der Bruder Cyrillus machte mich mit jedem Stück sowie mit den Dokumenten bekannt. Er stand rücksichts der geistigen Ausbildung unserm Prior an der Seite.
»Sollten denn, lieber Bruder Cyrillus«, sagte ich, »alle diese Dinge wahrhaftig das sein, wofür man sie ausgibt? Sollte auch hier nicht die betrügerische Habsucht manches untergeschoben haben, was nun als wahre Reliquie dieses oder jenes Heiligen gilt?6«
Dem Bruder Cyrillus entging diese Wirkung seiner Rede nicht. Er fuhr nun fort, mit größerem Eifer und mit sprechender Innigkeit mir die Sammlung Stück vor Stück zu erklären. Endlich nahm er aus einem wohlverschlossenen Schranke ein Kistchen heraus und sagte:
»Hierinnen, lieber Bruder Medardus! ist die geheimnisvollste, wunderbarste Reliquie enthalten, die unser Kloster besitzt. Solange ich im Kloster bin, hat dieses Kistchen niemand in der Hand gehabt als der Prior und ich. Ich kann die Kiste nicht ohne inneren Schauer anrühren. – Das, was darinnen enthalten, stammt unmittelbar von dem Widersacher her, aus jener Zeit, als er noch sichtlich gegen das Heil der Menschen kämpfen konnte.«
Dir ist das Leben des heiligen Antonius zur Genüge bekannt. Du weißt, dass er in die Wüste zog, um sich von allem Irdischen zu entfernen, um seine Seele ganz dem Göttlichen zuzuwenden. Der Widersacher verfolgte ihn und trat ihm oft sichtlich in den Weg, um ihn in seinen frommen Betrachtungen zu stören. So kam es denn, dass der heilige Antonius einmal in der Abenddämmerung eine finstere Gestalt wahrnahm, die auf ihn zuschritt. In der Nähe erblickte er zu seinem Erstaunen, dass aus den Löchern des zerrissenen Mantels Flaschenhälse hervorguckten. Es war der Widersacher, der in diesem seltsamen Aufzug ihn höhnisch anlächelte. Er fragte, ob er nicht von den Elixieren kosten konnte. Der heilige Antonius war nicht mehr imstande, sich auf irgendeinen Kampf einzulassen. Er fragte ihn, warum er denn so viele Flaschen und auf solche besondere Weise bei sich trug. Da antwortete der Widersacher:
»Siehe, wenn mir ein Mensch begegnet, so schaut er mich verwundert an. Unter so vielen Elixieren findet er ja wohl eins, was ihm recht mundet, und er säuft die ganze Flasche aus und wird trunken und ergibt sich mir7.
So weit steht das in allen Legenden. – In diesem Kistchen befindet sich nun aus dem Nachlass des heiligen Antonius eine solche Flasche mit einem Teufelselixier. Die Dokumente sind so authentisch und genau, dass wenigstens daran, dass die Flasche wirklich nach dem Tod des heiligen Antonius unter seinen Sachen gefunden wurde, kaum zu zweifeln ist. Übrigens kann ich versichern, lieber Bruder Medardus! dass, so oft ich die Flasche berühre, mich ein unerklärliches inneres Grauen anwandelt. Ich spüre ganz seltsamen Duft, der mich betäubt und zugleich eine innere Unruhe des Geistes. Dir, lieber Bruder Medardus, der du noch so jung bist, der du noch alles in glänzenderen, lebhafteren Farben erblickst, der du noch wie ein tapferer, aber unerfahrner Krieger zwar rüstig im Kampf, aber vielleicht zu kühn, deiner Stärke zu sehr vertraust, rate ich, das Kistchen öffnete man niemals oder wenigstens erst nach Jahren.«
Der Bruder Cyrillus verschloß die geheimnisvolle Kiste wieder in den Schrank und übergab mir den Schlüsselbund. Als Cyrillus mich verlassen hat, übersah ich noch einmal die mir anvertrauten Heiligtümer, dann löste ich aber das Schlüsselchen ab und versteckte es tief unter meinen Skripturen im Schreibpulte.
Der Heiligentag kam heran, die Kirche war besetzter als gewöhnlich. – Am Anfang blieb ich meiner Handschrift getreu. Leonardus sagte mir nachher, dass ich mit zitternder Stimme gesprochen habe. Bald aber war es, als strahle der glühende Funke himmlischer Begeisterung durch mein Inneres. Ein religiöser Wahn hat die Stadt ergriffen, alles strömte bei irgendeinem Anlass, auch an gewöhnlichen Wochentagen, nach dem Kloster, um den Bruder Medardus zu sehen, zu sprechen.
Da keimte in mir der Gedanke auf, ich bin ein besonders Erkorner des Himmels.
Es war mir nun gewiss, dass der alte Pilgram in der heiligen Linde der heilige Joseph, der wunderbare Knabe aber das Jesuskind selbst gewesen, das in mir den Heiligen begrüßt hat. Leonardus wurde sichtlich kälter gegen mich. Er vermied, mit mir ohne Zeugen zu sprechen, aber endlich brach er los:
»Nicht verhehlen kann ich es dir, lieber Bruder Medardus, dass du seit einiger Zeit durch dein ganzes Betragen mir Mißfallen erregst. – Es ist etwas in deine Seele gekommen, das dich dem Leben in frommer Einfalt abwendig macht. In deinen Reden herrscht ein feindliches Dunkel. – Lass mich offenherzig sein! – Du trägst in diesem Augenblick die Schuld unseres sündigen Ursprungs! – Der Beifall nach jeder Anreizung lüsterne Welt gezollt, hat dich geblendet. Du siehst dich selbst in einer Gestalt, die nicht dein eigen, sondern ein Trugbild ist, welches dich in den verderblichen Abgrund lockt. Gehe in dich, Medardus! – entsage dem Wahn, der dich betört – ich glaube ihn zu kennen! – schon jetzt ist dir die Ruhe des Gemüts entflohen. – Lass dich warnen, weiche aus dem Feinde, der dir nachstellt. – Sei wieder der gutmütige Jüngling, den ich mit ganzer Seele liebte.«
Tränen quollen aus den Augen des Priors, als er dies sprach. – Aber nur feindselig waren seine Worte in mein Innres gedrungen. Stumm blieb ich vom innern Groll ergriffen bei den Zusammenkünften der Mönche. Je mehr ich mich nun von Leonardus und den Brüdern entfernte, mit desto stärkeren Banden wusste ich die Menge an mich zu ziehen. Am Tage des heiligen Antonius war die Kirche so gedrängt voll, dass man die Türen weit öffnen musste. Nie habe ich kräftiger, feuriger, eindringender gesprochen. Da fiel in der Kirche mein umherschweifender Blick auf einen langen, hageren Mann, der sich an einen Eckpfeiler lehnte. Er hat auf seltsame, fremde Weise einen dunkelvioletten Mantel umgeworfen. Sein Gesicht war leichenblass, aber der Blick der großen, schwarzen, stieren Augen fuhr wie ein glühender Dolchstich durch meine Brust. Mich durchbebte ein unheimliches, grauenhaftes Gefühl. Die ganze Gestalt hatte etwas Furchtbares – Entsetzliches! – Ja! – Es war der unbekannte Maler aus der heiligen Linde. Ich fühlte mich wie von eiskalten, grausigen Fäusten gepackt. Da schrie ich auf in der Höllenangst wahnsinniger Verzweiflung:
»Ha Verruchter! hebe dich weg! – hebe dich weg – denn ich bin es selbst! – ich bin der heilige Antonius!«
Als ich aus dem bewußtlosen Zustand wieder erwachte, befand ich mich auf meinem Lager. Der Bruder Cyrillus saß neben mir. Das schreckliche Bild des Unbekannten stand mir noch lebhaft vor Augen. Aber je mehr der Bruder Cyrillus, dem ich alles erzählte. Er wollte mich überzeugen, dass es nur ein Gaukelbild meiner erhitzten Phantasie war. Ich fühlte bittre Reue und Scham über mein Betragen auf der Kanzel. Niemand erblickte übrigens den Mann im violetten Mantel. Der Prior Leonardus verbreitete nach seiner anerkannten Gutmütigkeit auf das eifrigste überall, wie es nur der Anfall einer hitzigen Krankheit war. Wirklich war ich auch noch krank, als ich nach mehreren Wochen wieder in das gewöhnliche klösterliche Leben eintrat. Dennoch unternahm ich es, wieder die Kanzel zu besteigen. Aber ich war von der entsetzlichen bleichen Gestalt verfolgt. Meine Predigten waren gewöhnlich – steif – zerstückelt.
Nach einiger Zeit begab es sich, dass ein junger Graf und seine Hofmeister unser Kloster besuchte und die vielfachen Merkwürdigkeiten sehen wollte. Ich musste die Reliquienkammer aufschließen. Wir traten hinein, als der Prior abgerufen wurde. Ich blieb mit den Fremden allein. Der Graf ergoss sich in allerlei witzigen Anmerkungen und Einfällen über den komischen Teufel.
»Haben Sie an leichtsinnigen Weltmenschen kein Ärgernis, ehrwürdiger Herr! – Sein Sie überzeugt, dass wir beide, ich und mein Graf, die Heiligen als herrliche, von der Religion hoch begeisterte Menschen verehren.«
Unter diesen Worten hat der Hofmeister den Schieber des Kistchens schnell aufgeschoben und die schwarze, sonderbar geformte Flasche herausgenommen. Es verbreitete sich wirklich, wie der Bruder Cyrillus es mir gesagt, ein starker Duft.
»Ei«, rief der Graf, »ich wette, dass das Elixier des Teufels weiter nichts ist als herrlicher echter Syrakuser.«
»Ganz gewiss«, erwiderte der Hofmeister, »und stammt die Flasche wirklich aus dem Nachlass des heiligen Antonius, so geht es Ihnen, ehrwürdiger Herr!«
Stärker stieg der Duft aus der Flasche und wallte durch das Zimmer. Der Hofmeister kostete zuerst und rief begeistert:
»Herrlicher – herrlicher Syrakuser! In der Tat, der Weinkeller des heiligen Antonius war nicht übel, und machte der Teufel seinen Kellermeister, so meinte er es mit dem heiligen Mann nicht so böse. Kosten Sie, Graf!«
Der Graf tat es. Ich verweigerte es standhaft und verschloß die Flasche wieder in ihr Behältnis.
Die Fremden verließen das Kloster. Aber als ich einsam in meiner Zelle saß, konnte ich mir selbst ein gewisses innres Wohlbehagen nicht ableugnen.
»Wie«, dachte ich, »wenn das wunderbare Getränk mit geistiger Kraft dein Inneres stärkte, ja die erloschene Flamme entzünden konnte?«
Ich stand vom Lager auf und schlich wie ein Gespenst mit der Lampe durch die Kirche nach der Reliquienkammer. Ich schloß den Schrank auf, ich ergriff das Kistchen, die Flasche, bald habe ich einen kräftigen Zug getan! Glut strömte durch meine Adern und erfüllte mich mit dem Gefühl unbeschreiblichen Wohlseins – ich trank noch einmal, und die Lust eines neuen, herrlichen Lebens ging mir auf! – Schnell verschloß ich das leere Kistchen in den Schrank, eilte rasch mit der wohltätigen Flasche nach meiner Zelle und stellte sie in mein Schreibepult.
Ich erbebte unwillkürlich. Ich hatte keine Ruhe bis der Morgen heiter anbrach. Leonardus, die Brüder bemerkten meine Veränderung. Statt dass ich sonst, in mich verschlossen, kein Wort sprach, war ich heiter und lebendig. Ich bestand darauf, am nächsten heiligen Tag wieder zu predigen, und es wurde mir vergönnt. Kurz vorher genoß ich von dem wunderbaren Wein. Nie habe ich darauf feuriger, salbungsreicher, eindringender gesprochen.
Meine Mutter schien einen heimlichen Gram in sich zu tragen. Sie gab mir ein kleines Billett von der Fürstin, das ich erst im Kloster öffnen sollte. Kaum war ich in meiner Zelle, als ich zu meinem Erstaunen folgendes las:
»Du hast mich, mein lieber Sohn (denn noch will ich Dich so nennen), durch die Rede, die Du in der Kirche unseres Klosters hieltest, in die tiefste Betrübnis gesetzt.«
Das Morgenlicht brach in farbechten Strahlen durch die bunten Fenster der Klosterkirche. Einsam und in tiefe Gedanken versunken, saß ich im Beichtstuhl. Da rauschte es in meiner Nähe, und ich erblickte ein großes, schlankes Frauenzimmer, auf fremdartige Weise gekleidet, einen Schleier über das Gesicht gehängt. Ich fühlte ihren glühenden Atem, noch ehe sie sprach! Jedes ihrer Worte griff in meine Brust. Diese Liebe war um so sündlicher, als den Geliebten heilige Bande auf ewig fesselten.
Ein Altar in unserer Kirche war der heiligen Rosalia geweiht und ihr herrliches Bild in dem Moment gemalt, als sie den Märtyrertod erleidet.
Ich beschloß, in die Stadt umzuziehen, bis ich sie gefunden habe. Ich dachte nicht daran, wie schwer, ja wie unmöglich dies vielleicht sein werde, ja, wie ich vielleicht nicht einen einzigen Tag außerhalb der Mauern leben kann. Der letzte Tag, den ich noch im Kloster zubringen wollte, war endlich herangekommen.
Schon war es Abend, als der Prior mich ganz unerwartet zu sich rief. Ich erbebte, denn nichts glaubte ich, als dass er von meinem heimlichen Anschlage etwas bemerkt hat. Leonardus empfing mich mit ungewöhnlichem Ernst, ja mit einer imponierenden Würde.
»Bruder Medardus«, fing er an, »dein unsinniges Betragen zerreißt unser ruhiges Beisammensein. Ja es wirkt zerstörend auf die Heiterkeit und Gemütlichkeit. – Vielleicht ist aber auch irgendein feindliches Ereignis, das dich betroffen, daran schuld. Du kannst mich jetzt dein Geheimnis um einen Teil meiner Ruhe bringen, die ich im heitern Alter über alles schätze. Du hast oftmals, vorzüglich bei dem Altar der heiligen Rosalia, durch entsetzliche Reden, nicht nur den Brüdern, sondern auch Fremden, die sich zufällig in der Kirche befanden. Ich kann dich daher nach der Klosterzucht hart strafen, doch will ich dies nicht tun, da vielleicht irgendeine böse Macht – der Widersacher selbst, dem du nicht genugsam widerstanden, an deiner Verirrung schuld ist. – Ich schaue tief in deine Seele! – Du willst ins Freie!«