Das Straßburger Münster

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Aus der Reihe: Historisches Europa #62
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Das Straßburger Münster
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Herausgeber

Erik Schreiber

Historisches Deutschland

Georg Dehio

Das Straßburger Münster

ohne Abbildungen

e-book 062

Straßburger Münster

Erscheinungstermin: 01.11.2020

© Saphir im Stahl

Verlag Erik Schreiber

An der Laut 14

64404 Bickenbach

www.saphir-im-stahl.de

Titelbild: Simon Faulhaber

Lektorat: Peter Heller

Vertrieb: neobook

Georg Dehio

Das Straßburger Münster

R. Piper Co. Verlag

München 1922

Es ist mir nicht möglich, vom Straßburger Münster zu reden in der rein ästhetischen Stimmung, wie ich vom Parthenon oder dem Florentiner Dom sprechen würde; nicht möglich, zu vergessen, dass ich zu ihm durch lange Jahre in einem sehr persönlichen Verhältnis gestanden habe. Und ich weiß, dass es für viele, denen dies Heft in die Hand kommen wird, etwas Ähnliches bedeutet ... Ich denke an meinen letzten Besuch in ihm. Es war am 5. Januar 1919, einen Tag bevor ich Straßburg zwangsweise und auf Nimmerwiedersehen verlassen sollte. Ich fand das Münster angefüllt mit französischen Soldaten, weißen und farbigen. In unerschütterlicher Ruhe sahen aus den Fenstergemälden die alten Kaiserbilder herab auf das flanierende Gewimmel. Es zog mich in die Stille der an diesem Wintermorgen noch fast dunklen, kryptenartigen Johanneskapelle, und hier stiegen vor meinem Geiste, die Bilder der Vergangenheit auf die Römer hatten hier ihr Forum gehabt. Ein Bischof aus dem Hause Habsburg, der älteste desselben, den die Geschichte kennt, hatte den Grundstein zum heutigen Münster gelegt. Unter den staufischen Kaisern war es neu erbaut, aber noch nicht vollendet. Aus Ulm kam ein Meister und dann einer aus Köln, um den Turm, ein dritter aus Landshut, um die glänzende Fassade der Laurentiuskapelle zu errichten. Die Reformation wurde gepredigt. Hundertfünfzig Jahre später verriet ein Bischof die Stadt an Ludwig den Vierzehnten. Als das Haupt des Sechzehnten unter der Guillotine fiel, wurde die christliche Kirche in einen Tempel der Vernunft verwandelt, und die Jakobiner gedachten den Turm als ein Denkmal des Aberglaubens abzubrechen. Aber der alte Christengott kehrte zurück. Dann zogen siegreiche deutsche Heere über den Rhein, ein erstes und ein zweites Mal. Ich dachte an meinen ersten Besuch im Oktober 1870 und alle die langen Jahre, in denen ich in ihm aus und ein gegangen war ... Mein letzter Gedanke vor dem Abschied war: Du altersgrauer, schicksalskundiger Münsterbau, welchen Wechsel der menschlichen Dinge wirst du in Zukunft noch mit ansehen? ....

Es war vor dem Kriege die Absicht des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft, dem Münster und seinen Kunstschätzen eine umfassende Darstellung zu widmen. Sie konnte nicht mehr ausgeführt werden. Die vorliegende verfolgt einen bescheideneren und doch heute dringend gewordenen Zweck.

Wir sind durch den Versailler Frieden in die Lage gekommen, dass wir das vollkommenste Bauwerk aus dem schönsten Jahrhundert unserer mittelalterlichen Kunst nicht nur nicht mehr besitzen, sondern auch nicht einmal es sehen dürfen. Für die nächste Generation wird das Strai5burger Münster den Deutschen eine bloße Sage sein. Als Erinnerung für die, die mit ihm zusammengelebt haben, und für die Jüngeren als ein Bild dessen, was nie vergessen werden darf, sind die folgenden Tafeln zusammengestellt. Der Text will nur eine kurze Erläuterung geben. Von den mancherlei noch nicht gelösten Problemen der Baugeschichte berühre ich nur das nötigste.

Eine christliche Gemeinde bestand in Straßburg schon in der letzten Zeit der Römerherrschaft. Die Alemannen und Franken siedelten sich in der östlichen Vorstadt, zu beiden Seiten der heutigen Langstraße an, während die alte Stadt innerhalb der römischen Mauern verödete. In der Vorstadt haben wir die älteste bischöfliche Kathedralkirche zu suchen. Sie ging bei einem Überfall des Herzogs Hermann von Schwaben im Jahre 1002 zugrunde. Bischof Werner wählte für den Neubau, zu dem der Grundstein 1015 gelegt wurde, einen freien Platz (vermutlich das alte Forum) innerhalb des römischen Kastells. Sein Nachfolger Wilhelm (1028- 1047), ein Urenkel Kaiser Ottos des Großen und Oheim Kaiser Konrads 11., setzte den Bau fort und hat ihn wohl im wesentlichen vollendet. Von diesem ältesten Bau sind nur geringe Mauerteile der Krypta erhalten. Doch kennen wir den Grundriss. Die von J. Knauth nach den Ausgrabungsergebnissen aufgezeichnete Rekonstruktion darf im wesentlichen für gesichert gelten. Sie beweist zunächst, dass der heute bestehende (im 12.u. 13.Jahrh. erneuerte) Bau die Grundlinie des Urbaus beibehalten hat. Mithin war das Straßburger Münster um die Zeit seiner Entstehung die größte deutsche Kirche und wurde auch von keiner französischen übertroffen. Eine sehr bedeutende monumentale Absicht spricht sich in der Anordnung aus. Die Längsachse der Kirche ist auf das damals noch stehende römische Stadttor (in der Mitte der heutigen Krämergasse) gerichtet gewesen; zwischen diesem und der Kirchenfront lag ein tiefer offener Vorhof. Also eine an die karolingische Klosterkirche Lorsch (zwischen Rhein und Odenwald) erinnernde Situation. Die Kirchenfront zeigte eine in drei Arkaden sich öffnende Vorhalle, flankiert von zwei in der Achse der Seitenschiffe liegenden Türmen. Zum ersten Mal in Deutschland ist dieser für die ganze spätere Entwicklung so wichtige Baugedanke hier klar ausgesprochen. Wenn ich früher vermutet habe, das Muster könne auf das Vorbild der burgundischen Klosterkirche Cluny zurückgehen, so ist es durch die jüngsten Forschungen (von G. V. Lücken) zweifelhaft geworden, ob Cluny damals schon Doppeltürme besaß. Dadurch wird der Straßburger Fall noch interessanter, wenn auch nicht klarer. Soviel lässt sich doch sagen, dass Straßburg in der Ausbildung des doppeltürmigen Fassadensystems in Südwestdeutschland eine wichtige Rolle gespielt hat.

Im 12. Jahrhundert wurde das Münster durch mehrere Brände — es sind ihrer zwischen 1130 und 1176 fünf überliefert — wo nicht zerstört, so doch schwer zerrüttet. Nach dem letzten begann in langsamer Bauführung die Erneuerung des Chors und Querschiffs, währenddessen im Langhaus die frühromanische Basilika bis 1250 in Benutzung blieb. In den Ostteilen wurde der altertümliche Grundriss des mit seinen Flügeln weit ausladenden Querschiffs und des ohne Zwischenglied unmittelbar sich anschließenden Chorhaupts beibehalten. Ein neu hinzutretender Programmpunkt war die Verlegung der Domherrenwohnungen an die Ostseite der Kirche. An anderen Orten haben schon in romanischer Zeit die Domherren sich abgesonderte Häuser gebaut, in Straßburg aber hielt man an dem Gedanken der Klausur fest. Dieser Domherrenpalast scheint mit Opulenz ausgeführt worden zu sein und trug wohl mit die Schuld daran, dass der Neubau der Kirche so langsam fortschritt. Die jüngere Zeit hat hier alles verändert, nur in dem geräumigen Hof zwischen dem heutigen Priesterseminar und dem Lyzeum erkennt man noch ungefähr die alte Lage. Ferner an der ungewöhnlichen Gestaltung der Außenseite der Kirche auf der Ostseite. Sie musste mit den Grundlinien des Kreuzgangs in Einklang gebracht werden. Daher die geradlinige Ummantelung der Chorapsis und zu beiden Seiten derselben die Anlage von Durchgangshallen, die zugleich als Kapellen dienten: im Süden Andreaskapelle, im Norden Johanneskapelle; über der ersten die Schatzkammer, über der zweiten der Kapitelsaal.

Die 75 Jahre, die der Ausbau der Ostteile in Anspruch nahm, sind in der Baukunst eine Zeit der Gärung. Einwölbung war von Anfang an beabsichtigt. Zuerst waren dabei die am Münster von Basel nach lombardischen und burgundischen Vorbildern gewonnenen Erfahrungen maßgebend. Nach und nach gelangte man auch zur Kenntnis der in Nordfrankreich entwickelten (heute „gotisch" genannten) Konstruktionsformen, einer Kenntnis, die anfänglich nur eine sehr ungefähre war, erst in den zwischen 1240 und 1250 ausgeführten oberen Teilen des südlichen Kreuzarmes eine vollständige, aber noch immer mit Zurückhaltung ausgeübte wurde. Mindestens dreimal wechselten die Projekte. Genauer ihnen nachzugehen, kann hier nicht der Ort sein. Der Längenschnitt durch die Kreuzarme und die Vierung (mit der Blickrichtung nach Westen) veranschaulicht zur Genüge die Unruhe und gelegentliche Ratlosigkeit der Bauführung. Dieser Riß gibt außerdem Auskunft darüber, wie man im ersten Mertel des 13. Jahrhunderts das Langhaus sich dachte: es ist ein Querschnitt von außerordentlich breit gelagerten, bewusst schwerfälligen Verhältnissen. Dreht sich der Beschauer nach Osten um, so erblickt er die Apsis des Chors, in seiner majestätischen Wucht ein wahrhaft großer, aber ganz ungotischer Eindruck. Durch die Verlängerung der Krypta bis an die Grenze der Vierung gegen das Langhaus wurde die räumliche Einheit des Querschiffs zerschnitten, doch sind die damit geschaffenen perspektivischen Durchblicke — an sich zwar nicht der Zweck der Anordnung — nicht ohne eigenartigen Reiz. Große Schwierigkeiten machte der noch unfreien Wölbekunst die Eindeckung der Kreuzarme. Unsere Zeichnung lässt die Schwankungen der Bauabsicht ahnen. Die Lösung war die, dass in die Mitte des Raums ein runder Freipfeiler gestellt wurde. Die Lösung in dem zuerst ausgeführten Nordkreuz ist einigermaßen ungeschlacht. Im Südkreuz aber entsprang der Not der wahrhaft glänzende Einfall, den Pfeiler durch eine besondere Behandlung zum Mittelpunkt des Interesses zu machen, für das Auge wie für den inneren Sinn, indem ein dreifacher Kranz von Statuen sich um ihn schlang. - Die Querschiffsfassaden sind weder untereinander gleich noch an sich einheitlich. Einen modernen Architekten muss die naive Sicherheit des Stilgefühls mit Neid erfüllen, mit der die gotischen Elemente in die romanische Grundvorstellung aufgenommen wurden: nicht als fremde Eindringlinge erscheinen sie, sondern als jüngere Geschwister. Die gewaltigen Strebepfeiler an den Ecken sind eingestandenermaßen eine bloße Hilfskonstruktion. Was wir heute nicht mehr sehen, ist das Pyramidendach über der Vierungskuppel. Es hat ursprünglich die Baumasse nur mäßig überragt. Nach der gotischen Überhöhung des Langhauses muss es sehr gedrückt ausgesehen haben. Wahrscheinlich wurde es schon durch den großen Dachbrand von 1298 zerstört. Der gotische Ersatzbau, ein in reichsten Maßwerkformen aufgelöstes Oktogon mit Faltendach und spitzem Dachreiter, bestand bis zu einem neuen Brande im 18. Jahrhundert. Der nun folgende formlose Notbau machte nach 1870 der heute bestehenden neuromanischen Komposition Platz, die das Gleichgewicht der Massen wiederherzustellen suchte.

 

Um 1250 war endlich der Ostbau zur Aufnahme des Chordienstes bereit und damit die Möglichkeit gegeben, das längst baufällige Langhaus abzubrechen. Man ging eiligst an seine Erneuerung. Am 7. September 1275 wurden die Gewölbe geschlossen. Im Gegensatz zu der unziemlich langsamen Bauführung der Ostteile ist dies die schnellste, die wir aus dem Mittelalter kennen. Das Langhaus ist das Haus der Laiengemeinde. Von dieser ging der Baueifer aus, und wir dürfen annehmen, dass sie auch den größten Teil der Kosten trug. Damals wurde zwischen den Bürgern und dem Bischof ein blutiger Kampf um die Stadtfreiheit ausgefochten. Die Bürger siegten. Sie hofften auf eine Stütze bei Kaiser und Reich. Ein Denkmal dieser Stimmungen ist die Reihe der Glasfenster des nördlichen Seitenschiffs. Ihr Gegenstand — ein vollkommen ungewöhnlicher, da sonst nur die Gestalten von Heiligen im Gotteshause zugelassen wurden — sind die Idealbilder der 28 deutschen Könige, die man bis zum Jahre 1 275 zählte. Später wurden an der Fassade gekrönte Reiterbilder aufgerichtet; die französische Revolution hat sie zerstört; nach älterer Überlieferung soll eines von ihnen Rudolf von Habsburg dargestellt haben.

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