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Die Psychologie der Erbtante

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Die Psychologie der Erbtante
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Einleitung

Nicht der Drang, in das Heer literarischer Erzeugnisse einen neuen Rekruten einzustellen, war die Anregung zu diesem Buche, sondern das unabweisbare Bedürfnis, einen Stein zu dem Bau zu fügen, an dessen Aufrichtung die Philosophen und Theologen, die Dichter und Denker seit Menschengedenken ihr Bestes gaben. Die Frage nach der Unsterblichkeit der Dinge und Menschen, deren Beantwortung man getrost die Erkenntnis als solche nennen dürfte, ist von so einschneidender Bedeutung für das wirtschaftliche, soziale, psychische und physische Leben des Individuums und der Völker — handelt sie doch im letzten Grunde von deren Sein oder Nichtsein —, daß ich glaubte, meine partiellen Beobachtungen auf diesem Gebiete, welche immerhin geeignet erscheinen, die Frage ihrer Lösung näher zu bringen, der Menschheit nicht vorenthalten zu sollen. Kein Geringerer als Gotthold Ephraim Lessing war es, der in einem seiner tiefgründigen Epigramme einen bemerkenswerten Beitrag zum Nachweis der Unsterblichkeit lieferte. Er singt von einem Jungfernstifte:

 
Denkt, wie gesund die Luft, wie rein
Sie um dies Jungfernstift muß sein;
Seit Menschen sich besinnen,
Starb keine Jungfer drinnen.
 

Aber weiß dieser Dichter nur den Insassen dieses einen Hauses die köstliche Eigenschaft der Unsterblichkeit nachzurühmen, so gehe ich einen gewaltigen Schritt weiter, indem ich im vorliegenden Buche den Nachweis liefere, daß es eine ganze Gattung von Menschen gibt, welche gefeit ist gegen Klappermanns Würgehand: die Erbtanten. Das Problem ist zu wichtig, seine Erörterung zu ernsthaft, als daß ich mich damit aufhalten könnte, in langstieliger Polemik meine Erforschung denen begreiflich zu machen, die in Skepsis und Nörgelsucht befangen ihre Ohren vor allem Ungewöhnlichen, Umwälzenden mit Watte zustopfen. Knapp und schlagend wie die Behauptung: Die Erbtante ist unsterblich! sei meine Beweisführung. An 25 Beispielen mag die Welt ermessen, ob meine Wahrnehmung bedeutungsvoll, ob meine Rückschlüsse berechtigt sind. Lang waren die Dispute, schwer die Erwägungen, in welcher Form und unter welcher Flagge meine epochemachende Entdeckung in die Welt hinaus sollte. Besonders der Titel des Buches bereitete mir viel Sorge und Kopfzerbrechen.

Psychologie oder Physiologie? — das war die Frage. Schon wollte ich mich für die letztere Bezeichnung entscheiden.

Denn ist nicht das Sterben und noch viel mehr das Nichtsterben ein physiologischer Vorgang? Jedoch die Erwägung, daß sich gerade bei der Erbtante des Nichtsterben viel eher als eine Charaktereigenschaft, als ein seelischer Defekt darstellt, behielt endlich die Oberhand, und die Aufzählung der 25 Beispielstanten gibt mir das Recht, mein Buch »Die Psychologie der Erbtante« zu nennen. Eine weitere Schwierigkeit trat bei der Anordnung der Tanten in den Weg. Sicher wäre es gerecht gewesen, die Damen der Anziennität nach aufmarschieren zu lassen. Aber erstens war es mir trotz aller ungescheuten Bemühungen nicht möglich, das Alter der meisten derselben mit Sicherheit festzustellen, dann auch wäre es wenig höflich und nicht gerade rücksichtsvoll gewesen, alte, längst vergessene und begrabene Eifersüchteleien dadurch wieder aufzurühren, daß ich hier vor aller Öffentlichkeit den Mangel an Jugendlichkeit bei einer Tante noch mehr hervortreten lassen sollte als bei der andern. Die alphabetische Reihenfolge allein dürfte mich vor Anfeindungen von allen Seiten sichern und eine objektive Würdigung der 25 Tatbestände ermöglichen.

Ich denke mit der Herausgabe dieses Buches einem tiefempfundenen Bedürfnis unserer Zeit, endlich Licht zu werfen in das Mysterium des Erbtanten-Erdenwallens, Rechnung zu tragen; ich denke all denen, die immer von neuem auf das Erblassen dieser oder jener Tante hoffen und sich immer von neuem über das Fehlschlagen ihrer Hoffnungen wundern, ein für alle Male den Star gestochen und nachgewiesen zu haben, wie töricht und unbedacht jener junge Mann handelte, der einst in einem Lokalblatte annoncierte: 3 gewöhnliche Tanten gegen eine Erbtante einzutauschen.

Allen gewöhnlichen Taten aber glaube ich dadurch zu ihrem guten Recht verholfen zu haben, daß ich sie als den Erbtanten gleichberechtigte Mitglieder der menschlichen Gesellschaft öffentlich anerkenne, jener Damen, welche ihr Titel zu einer wandelnden Vorspiegelung falscher Tatsachen stempelt.

Tante Amalia

Sie war im Grunde ihres Herzens eine gute Frau. Außerdem hatte sie viel — manche sagten: sehr viel — Geld und war mindestens 25 Jahre älter, als sie jedem erzählte, der es wissen wollte. Konnte es da wundernehmen, daß Tante Amalia von ihren Neffen — deren hatte sie drei: Hans, Ferdinand und Eberhard — und von ihren Nichten — vier an der Zahl: Charlotte, Anni, Else und Paula — vergöttert wurde?

Zu ihrem Vermögen war Tante Amalia erst gekommen, als sie schon längst Witwe war. Ihr Mann, Onkel Theodor, war ein braver Kürschner gewesen, der dadurch, daß er im Sommer Pelze wusch und gegen entsprechende Bezahlung in Verwahrung nahm und im Winter die elegante Welt mit neuen Wärmehüllen versah, sich und die trotz aller Bemühungen kinderlose Tante Amalia recht und schlecht ernährte. Zum letzten Weihnachten, das er erlebte, hatte er seiner teuren Ehehälfte ein Los einer Pferdelotterie geschenkt, und nachdem dies mit dem ersten Gewinn gezogen war und er noch die Freude gehabt hatte, den Verkauf des so in ihren Besitz geratenen Viergespanns für dreitausend Mark zu vermitteln, war er gestorben. Tante Amalia aber nahm von dem Geld so viel ab, wie sie zu seinem Begräbnis und zum Ankauf eines Viertel-Loses der sächsischen Staatslotterie brauchte, und legte das übrige auf Zinsen in die Bank der Firma Truggold & Co., eingetr. G.m.b.H.

Das sächsische Los kam wieder heraus, und Tante Amalia kaufte sich ein neues. Dieses Mal ein halbes Los in der thüringischen Lotterie. Auch das ward gezogen, und so ging es weiter. Sie spielte schließlich 26 ganze Staatslose der Lotterien deutscher Vaterländer, und ihr unerhörtes Glück setzte sie schon bald in den Stand, sich zur Ruhe zu setzen, von den Zinsen ihres gewonnen Vermögens, die ihr die Firma Truggold & Co., eingetr. G. m. b. H. monatlich auszahlte, zu leben und von der Eigenschaft einer gewöhnlichen Tante in die einer Erbtante ihrer drei Neffen und vier Nichten aufzurücken.

Diese sieben Erben hatten inzwischen eine Versicherung auf Gegenseitigkeit geschlossen, indem sie sich untereinander verlobten. Hans verlobte sich mit Paula, Ferdinand mit Anni, und Eberhard mit Else. Die älteste Nichte, Charlotte, aber blieb unverlobt. Sie sollte ihren Anteil an Tante Amalias Erbschaft für sich allein haben, um selbst eine glückliche Erbtante ihrer Neffen und Nichten zu werden.

Eines Abends saßen die sieben Erbschaftsaktionäre beisammen, und Charlotte las aus der Zeitung vor — unter »Lokales«. Plötzlich schrie sie auf. Da stand etwas Furchtbares: Der Inhaber des Bankhauses Truggold & Co., eingetr. G. m. b. H., Moses Truggold, war unter Hinterlassung eines Defizits von 6 Millionen Mark und unter Mitnahme einer jungen Zirkusdame ausgerückt. Die »Compagnie« hatte den Konkurs angemeldet.

Die sieben Erben stürzten entsetzt zu Tante Amalia, damit diese noch retten sollte, was zu retten war. Sie kamen zu spät.

Tante Amalia war keine Erbtante mehr. Sie saß auf einem Stuhle, den Oberkörper vorgeneigt, und auf ihrem Schoß lag das Zeitungsblatt mit der traurigen Botschaft vom Zusammenbruch der Firma Truggold & Co., eingetr. G. m. b. H.

Als aber die Neffen und Nichten sie mit Fragen bestürmten, erhielten sie keine Antwort. Tante Amalia war tot. Der Schlag hatte sie gerührt.

Die Versicherung der sieben auf Gegenseitigkeit löste sich auf. Charlotte aber gab die Hoffnung auf, durch Erbschaft selbst zur Erbtante zu werden. Sie verlegte sich daher, wie einstens die Verewigte, aufs Lotteriespielen.

Tante Berthchen

Jeden Nachmittag um 3 Uhr nahm Tante Berthchen die grüne Gießkanne vom Nagel, hing sich ihren roten türkischen Schal über und ging auf den Kirchhof, dem sie seit nunmehr 23 Jahren der Bequemlichkeit halber gegenüberwohnte. Dort bog sie in die fünfte Gräberreihe ein und setzte sich auf die Bank, die beim sechzehnten Hügel stand, unter dem seit 24 Jahren ihr Gatte, der pensionierte Steuererheber Biefke, ruhte.

Nachdem Tante Berthchen sich ein Tränlein aus der gelben Runzel gewischt hatte, die ihr von der Grube, welche einst Augenbraue hieß, bis zum Mundwinkel führte, entnahm sie der rechten Tasche ihres grauschwarzen Kleiderrocks einen Strickstrumpf, der linken eine Tüte mit Schokoladenplätzchen, spannte bei Regenwetter den violettpunktierten Regenschirm auf, den sie hierzu täglich auf der Bank liegen ließ, und begann zu stricken, zu lutschen und zu denken.

Ja, Tante Berthchen dachte, dachte viel und tief und hörte nicht auf zu denken, bis ihr die Augen zufielen und bis dann um Punkt 6 Uhr der alte Kirchhofsaufseher kam und sie weckte.

Worüber aber Tante Berthchen so tief und viel nachdachte, das war wichtig genug. Sie hatte nämlich im Laufe ihrer Witwenjahre ein Kapital von beinahe 30.000 Mark gespart und hatte bis jetzt noch immer kein Testament gemacht, obgleich sie schon ganz genau wußte, was mit dem Gelde geschehen sollte. 20.000 Mark sollte ihr einziger naher Anverwandter, ihr Neffe Emil bekommen, dem, wenn sie testamentlos sterben würde, der ganze Nachlaß zufiele. Aber das übrige sollte eine Biefke-Stiftung werden, aus der alle Steuern gezahlt werden sollten, die die Kundschaft des verewigten Steuererhebers Biefke alljährlich zu entrichten hatte. Zwar lebten ja nur noch wenige von denen, die der Selige dereinst regelmäßig erleichterte. Aber einer war darunter, der hatte ein so großes Einkommen, daß er jedes Jahr allein mehr als die 350 Mark an die Staatskasse abführte, die ihr Stiftungskapital Zinsen tragen würde. Wenn der tot wäre, dann würde es reichen, und Tante Berthchen beschloß daher, kein Testament zu machen, ehe nicht der Fabrikbesitzer Lehmeyer seine Augen zugemacht hätte. Da jedoch Herr Lehmeyer erst 65 Jahre zählte und kräftig und rüstig war, während Tante Berthchen selber 79 Jahre zählte und vor Altersschwäche schon bedenklich mit den Kinnbacken wackelte, so sagten die Leute, die von ihrem Warten auf Herrn Lehmeyers Tod wußten, sie sei wunderlich. Ihr Neffe Emil aber schrieb in sein Tagebuch: »Ich habe jetzt als Comis bei Eduard Bindemann ein Einkommen von 3.000 Mark jährlich. Die brauche ich zum Leben. Wenn Tante Berthchen, wie sie beabsichtigt, mich in ihrem Testament mit 20.000Mk. bedenkt, so werfen diese 700 Mk. Zinsen außerdem ab. Dann könnte ich ein klein bißchen besser leben. Stirbt sie aber, ohne ein Testament gemacht zu haben, und ich erhalte die ganzen 30.000 Mark, so macht mich mein Chef zu seinem Kompagnon, und ich bekomme die Hälfte des Geschäftseinkommens. Damit kann ich heiraten.«

 

So rechnete Emil. Und da er gern heiraten wollte, so lag ihm sehr daran zu verhüten, daß Tante Berthchen nicht etwa doch noch ein Testament machte. Er kannte aber ihre Gewohnheiten, und auf diese Kenntnis baute er einen bösartigen Plan auf, zu dessen Ausführung er an einem regnerischen Herbsttage schritt. Am frühen Morgen begab er sich an das Grab Onkel Biefkes, ergriff Tante Berthchens violett-punktierten Regenschirm, der wie immer an der Bank lehnte, und schlich mit dieser Beute davon.

Mittags setzte ein feiner Dauerregen ein, und als Tante Berthchen am Nachmittag kam, wischte sie sich das obligate Tränlein aus der gelben Runzel, entnahm der rechten Tasche ihres Rockes den Strickstrumpf, der linken die Schokoladenplätzchen und wollte dann ihren Schirm aufspannen. Da sie ihn nicht fand, fiel sie vor Schreck um. Als man sie nach Haus gebracht hatte und zur Linken ihres Bettes der Pastor mit einem Gebetbuch, zur Rechten der Notar mit einem Protokoll saß, die sie schleunigst hatte rufen lassen, da dachte sie nur noch an ihr Testament. Aber sie hatte bei dem Schrecken über den gestohlenen Regenschirm einen Teil ihres Verstandes verloren, und als der Notar sie fragte, wer denn nun ihre Erbschaft antreten sollte, dachte sie nur daran, daß Emil nicht alles haben sollte, und hauchte nur: »Emil nicht!« — Mehr bekam sie trotz aller Mühe nicht heraus. Der Notar schrieb daher, daß Tante Berthchen ihren Neffen Emil enterbe, und da er nicht von ihr erfahren konnte, wer an seine Stelle treten sollte, und auch ihre Kräfte immer mehr abnahmen, ließ er sie darunter ihren Namen setzen, was ihr mit Hilfe des Pastors noch grade gelang.

Sie starb. Angesichts der Enterbung ihres einzigen Verwandten kam Vater Staat und strich wohlgefällig schmunzelnd die 30.000 Mark ein. Der böse Emil aber hatte das Nachsehen und den Regenschirm.