Frau und Weltreise

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Hallo Zukunft, bitte kommen

Was für ein Luxus. Ich genehmige mir selbst, darüber nachzudenken, wo es mit mir hingehen soll, kann, darf. Das ist doch glatt ein Fest. Wann gibt’s das schon mal? Meinen Gedanken freien Lauf lassen. Ohne Leine und Beißkorb. Die Möglichkeiten sprudeln lassen, als wären sie ein frisch ausbrechender Vulkan. Schon merkwürdig. Noch ist alles beim Alten. Und doch ist alles anders. Ich freue mich auf das, was vor mir liegt. Ohne eine Ahnung davon zu haben. Allein der Gedanke daran lässt mich ein paar klitzekleine Millimeter weit über dem Boden schweben. Mich immer wieder neu zu erfinden scheint eines meiner Geheimrezepte zu sein, die ich mir selbst zubereite, derer ich mir bisher trotzdem nicht bewusst war. Welche Bedeutung es für mich hat, in den von uns selbst entwickelten Strukturen unserer eigenen Firma meine eigene Rolle alle paar Jahre zu wandeln. Hin zu dem, was mich zieht, anzieht, interessiert, beschäftigt und begeistert.

Als Fotografin fing ich einmal an. Voll gepackt mit Leidenschaft habe ich fotografiert. Alles, was mir vor die Linse kam – Mode, Maschinen, Glaskannen und Mikrochips. Ich hatte mein eigenes Studio, zwei Lehrlinge, später Mitarbeiter. Tag und Nacht, Nacht und Tag stand ich im Studio, trug meine Generatoren durch die Gegend, habe Hintergründe auf- und wieder abgebaut. Schwerlasttransporter und Feinsinn in einem. Nach Jahren kam die Beratung dazu. Sie schlich sich durch irgendeinen Seiteneingang herein. Kam, um zu bleiben. So wurde die Nacht zum Tag des Bildes und der Tag voll mit Meetings. Konzepte, Konzepte. Strategiepapier hier, Prozessbegleitung da. Erst allein, später im Team. Der Beratungszweig wuchs, schlüpfte aus den Kinderschuhen raus in stattliche High Heels. Die Fotografie gab ich ab. Nicht auf. Sie blieb meine Herzensangelegenheit, mein Rückzug. Das Medium meines Ausdrucks. Ganz für mich allein. Ohne, dass ein Kunde mir noch einmal quergrätschen konnte. Zur Beraterin und Personalverantwortlichen gesellte sich später die Kommunikationstrainerin dazu. Echt gut zu wissen, wie ich das hinbekomme, heterogene Gruppen zu führen, Workshops zu moderieren, einzelne Personen in ihren Kommunikationsfähigkeiten voranzubringen und selbst haufenweise dazuzulernen. Hat Spaß gemacht, in den vergangenen Jahren. Doch da wartet noch was. Das merke ich, jetzt, wenn ich mir großmütig erlaube, darüber nachzudenken. Mich zieht es weg von Gruppen, den großen Getrieben und schweren Maschinen hin zu den ganz individuellen Menschen und ihren ureigenen Systemen. Denen, die vorn dran stehen. Das Sagen haben, wenn sie was zu sagen haben. Und sich manchmal nicht sicher sind, was sie sagen wollen.

Seit Jahren bin ich selbst in Führungsverantwortung. Ich weiß, wie sich das anfühlt. Kenne die klare Luft da oben und den rauen Wind, der dort weht. Je mehr ich darüber nachdenke, umso deutlicher wird mir, dass ich es für mich selbst in der Zukunft wieder klein und fein sehe. Das große Rad habe ich geschwungen. Das ist ein alter Hut für mich. Zu beweisen gibt es da nichts mehr. Spannender, und aus meiner Sicht sinnstiftend, brauchbar und von Nöten erscheint mir, Führung darin zu unterstützen, Entscheidungen bewusst und durchdacht zu fällen. Einen Ort des neutralen Austausches zu bieten. Begleitung in schwerwiegenden Fragestellungen auf Augenhöhe zu ermöglichen. Denke ich daran, wird mir innerlich wohl. Ich sehe da etwas, was mit mir und meiner Zukunft zu tun haben könnte.

Hey, das wäre doch echt eine Vision. Ich nutze die Zeit für mich zu einer Ausbildung und entwickle gleichzeitig einen Nachfolger in meinem derzeitigen Job und Verantwortungsfeld, meiner Stellung und Position. Gut wäre, wenn wir das neue System vor unserem Reisestart auch schon leben könnten. Damit dann nicht alles so Knall auf Fall passiert. Das hieße, ich würde in kleinen Schritten aus dem heraustreten, was mich momentan beruflich ausmacht. Könnte vor unserer Reise schon mal ausprobieren, wie sich mein neuer Job anfühlt, und hätte danach meine bunte, wohlig duftende Blumenwiese, ein Feld, auf dem ich niemanden vertreiben müsste, das ich ganz für mich beackern kann. Ohne, dass die gesamte Maschinerie zum Stehen kommt. Wie verrückt ist das denn? Ich habe eine Idee, ein Gefühl, wo es für mich hingehen kann. Alles noch Zukunftsmusik. Und keine Ahnung, was wirklich daraus werden wird. Doch mein Gedanke ist klar. Eine Vorstellung davon, wo ich die Ausbildung machen könnte, habe ich auch schon. Mich hält kaum noch etwas still. Ich habe ein eigenwillig scharf gezeichnetes Bild von mir. Ich, in sieben Jahren. Ich werde Business-Coach! Coach für Menschen in Führung.


Messen ermessen

Für alles gibt es ja offenbar Messen. Große, kleine, bekannte, erfolgreiche, aufsteigende Messen an allen möglichen Plätzen der Welt. Die Menschen wollen sich zeigen. Und das, was sie auf dem Kasten haben. Einst wohl um kirchliche Feiertage rankend, den Schutzheiligen ansprechend. Aus diesen frühen Tagen um das Jahr Sechshundert n. Chr. leitet sich der Begriffe „Messe“ ab. Sein Urahne war das lateinische Wort „missa“, welches so viel wie „Aussendung“ bedeutet. Später rückten Verkehrsknotenpunkte in das Zentrum der Aufmerksamkeit. Man traf sich dort, wo Nord auf Süd und Ost auf West stießen, um Waren und Wissen auszutauschen und Handel miteinander zu treiben. Und heute? Gibt da noch jemand sein Wissen preis oder geht es nur ums (Ver-)Kaufen? Oder ums Gesehenwerden und Dabeisein?

Wissen, Erfahrungen, Ideen – das ist das, was mich reizt. Ich fühle mich meilenweit entfernt von jedweder Ahnung, wie man eine so große Reise angehen könnte. Mich mal unter das Volk zu mischen, um zuzuhören, finde ich irgendwie einen reizvollen Gedanken. Wir haben von Bad Kissingen gehört. Die Messe dort scheint uns zu entsprechen. Bei allem Nebel, der um uns wabert, wenn es um die Reise geht, hilft es zu sehen, was andere tun. Eines ist uns beiden schon heute klar. Wir wollen auf dem Landweg reisen. Nicht von Flughafen zu Flughafen hüpfen, sondern uns geländegängig auf entlegenen Pisten durch die Landschaften und Länder bewegen. Da, wo wir das ursprüngliche Leben vermuten. Möchten erfahren, wie Natürlichkeit schmeckt und die Einsamkeit, das Sich-Selbst-Begegnen und das mit Menschen auf unserem Weg. Riesige Ebenen sehe ich vor mir. Kein Baum, kein Strauch, keine Stadt, nur Weite.

Bad Kissingen also. Da findet, laut glühender Erzählungen, jährlich im Mai die größte Offroad-Messe Europas statt. Bisher war mir diese Messe kein Begriff, doch so ist das halt. Kaum hat man einen neuen Floh im Ohr, eröffnet sich förmlich eine andere Welt, scheine ich mit neuen Augen zu schauen. Gereist sind wir schon immer viel. Auf eigene Faust sowieso und mit einem allradbetriebenen Fahrzeug durchs Gelände zu holpern, ist uns schon lange eine Freude. Die Wüsten der Welt sind unsere Kraftorte. Immer wieder zieht es uns dorthin, wo die Dünen sich bis zum Horizont aufschwingen, der stürmende Sand unseren Beinen ein Peeling schenkt, das Leben nicht gemacht zu sein scheint für diese Unendlichkeit des großen Nichts. Unser beider Herzen gehen auf, verbinden sich und schlagen im harmonischen Takt miteinander, wenn wir uns erinnern, an unsere Reisen durch die Wüsten. Doch das, was wir jetzt vorhaben, scheint mir, rein schon von der Dimension der Zeit her, eine andere Nummer zu sein. Vielleicht auch nicht. Vielleicht übertreibe ich und sehe das alles viel zu dramatisch. Wie dem auch sei. Ich brauche ein erstes Gefühl und eine Ahnung davon, wie andere so einen Trip angehen. Also, aufs Wochenende gewartet, Kinder geschnappt und los gehts nach Bad Kissingen. Der Weg dahin, gesäumt von haufenweise umgebauten Geländewagen. Sie kommen uns entgegen, überholen uns locker. Für die scheint das alles ein alter Hut zu sein. Routiniert latschen die Leute später im Gänsemarsch durch den Schlamm. Wahrscheinlich gehört das zum Konzept der Messe. Ich habe bequeme Schuhe an, doch die Grobstolligsten sind das nun auch wieder nicht. „Well equipped“ ist was anderes. Trotzdem fahre ich eine Runde mit dem ausgedienten Militärgefährt MAN Kat 2 über Stock und Stein und kann mich an dem Gefühl kaum sattfreuen, was ich beim Kurvenfahren empfinde, da ich direkt auf der Lenkachse sitze. Das Fahrzeug dreht sich quasi unter mir.

Einen Outdoor-Grill erwerben wir und Hängemattenschlafsäcke für unsere Kinder. Wirklich näher gekommen bin ich in meiner Vorstellung, wie eine Jahres-Reise durch die Welt auf dem Landweg funktionieren kann, nicht. Doch wer weiß. Für irgendwas ist alles gut. Ein erster Schritt war das. So viel ist meiner Innerlichkeit klar. Ich bin wie angeknipst. Der Strom fließt.


Mit mir oder ohne mich?

Natürlich weiß unsere Familie, insbesondere unsere Kinder, von unserem Vorhaben. Es ist uns von Anfang an wichtig, dass alle die gleiche Chance haben, in den Gedanken hineinzuwachsen, ihn mittragen und mitentwickeln können und nicht davon überrannt zu werden. Apropos überrannt. Wenn sich jemand überrannt fühlt, dann bin ich das. Sten und ich, wir sitzen wieder und wieder beisammen, um an unserem Traumkonstrukt zu basteln. Bei allem, was sich da vor meinem geistigen Auge auftut, ist eines klar: Es liegt in weiter Ferne, da unsere Kinder noch zur Schule gehen und ich mir eine Abreise zu keinem anderen Zeitpunkt auch nur im Leisesten vorstellen könnte, als dem, wenn alle drei die Schule beendet haben würden und beginnen auf ihren eigenen Beinen zu stehen. Bis ich in diesen Tagen mitbekomme, dass Sten anderen von unserem Vorhaben erzählt. So weit, so gut. Doch als ich höre, dass er davon redet, die Reise in den nächsten fünf Jahren antreten zu wollen, platzt mir komplett die Hutschnur meines nicht vorhandenen Huts. Nicht an diesem Abend. Nicht im Gespräch mit Unbeteiligten. Doch später zu Hause. Ich stelle ihn vor die unmissverständliche Wahl: Entweder im Jahr 2015 und mit mir, oder früher, doch dann garantiert ohne mich.

 

Wochenlanges Schweigen zu diesem Fakt ist die Reaktion. Bis ich an meinem Geburtstag eine kleine Wüstenlandschaft aufgebaut finde, mit allen möglichen gezeichneten und aufgeklebten Reiseassoziationen. Doch das eigentlich Entscheidende ist eine kleine Stelle, die auf eine Beschriftung wartete. Darüber steht: „Den Starttermin bestimmst du!“ Was habe ich mich gefreut! Ich empfinde das Geschenk als so liebevoll und spüre, dass es ab nun unsere gemeinsame Reise wird. Habe sofort und augenblicklich fett und unmissverständlich die Ziffern 2, 0, 1 und 5 auf die kleine freie Fläche geschrieben. Da steht sie nun und harrt der Dinge, die da hoffentlich kommen.


Geldberg

Unsere Reise, unser Traum, unser, unser, unser. Und doch auch meins. Meins, wenn es um die Frage geht, wie will ich mein Leben finanzieren, dann, wenn ich für ein Jahr kein Geld verdienen werde? Klar, ich könnte mich hinsetzen und einfach abwarten. Doch das ist nicht mein Ding. Bin nicht die „mitreisende Ehefrau“. Es ist Stens Reise und es ist meine Reise. Mit allem was dazu gehört. Verantwortung übernehmen, sie tragen, austragen und spüren. Auf den Schultern. Mal die Last des Gewichts. Dann wieder den Stolz, der daraus erwächst, es selbst in meinen Händen zu halten. So viele reden davon, sich „so etwas nicht leisten zu können“. Und klar, das stimmt. Doch eines weiß ich. Möglich wäre ein solches Vorhaben für weitaus mehr Menschen, als die, die vorgeben, es aus finanzieller Sicht nicht stemmen zu können.

Ich glaube, es ist oft einfach eine Frage des eigenen Wollens. Will ich mich wirklich so weit umorientieren, um auf ein solches Vorhaben hinzusteuern? Will ich sparen? Will ich meinen Lebensschwerpunkt verlagern? Brenne ich so weit, dass die Hitze der mich tragenden Flammen ausreicht, Unwägbarkeiten aus dem Weg zu schaffen? Oder habe ich einfach andere Pläne? Dann ist alles gut. In mir jedenfalls habe ich einen Hebel umgelegt. Meine Gedanken kreisen um die Machbarkeiten, Möglichkeiten, Notwendigkeiten. Es ist, als begäbe ich mich auf einen Flug im freien Fall und bin gleichzeitig darauf bedacht, den Boden zu präparieren. An allen möglichen Stellen. Nicht wissend, wo ich eventuell einmal hart aufschlagen werde. Eines dieser Bodenhaftungs-Wiesenstücke ist mein neu gefasster Plan, ab jetzt zu sparen. Jeden Monat, ganz konsequent. Da ist sie wieder, die Planerin, die sich selbst an die Hand nimmt und ganz sicher weiß, dass sie ihre Reise nur antreten wird, wenn sie sich die auch ganz persönlich leisten kann. Für mich ist es mein Mich-Selbst-Identifizieren mit dem großen Vorhaben. Anderes zurückstellen, Wertigkeiten umsortieren, kritisch auf das schauen, wofür das Geld im Alltag in alle möglichen Richtungen fließt. Zweihundertfünfzig Euro, das ist mein Versprechen an mich selbst, lege ich ab jetzt Monat für Monat zur Seite. Das erinnert mich, an die Machbarkeit der Idee. Das zeigt mir selbst, wie ernst ich es meine, eines Tages auf Reisen zu gehen.



Mein kleiner gelber Koffer

Vorfreude liegt am weichen Boden meines Koffers. Stolz packe ich seitlich dazu, mir selbst ein solches Vorhaben in mein Leben zu schreiben. Ich spüre schon heute, dass ich noch ’ne Mut-Tüte als Vorrat brauche. Doch die Leichtigkeit überwiegt, die den Hohlraum im Koffer ausfüllt, ihn rundherum beulen lässt und trotzdem schweben.

ZWEI JAHRE VORHER.



Abenteuerdurstig

Wir wollen uns üben in dem wirklichen Aufgehen und Wahrnehmen des Augenblicks. Im Ausweiten dessen, was im Jetzt geschieht. Ohne den Moment einzuengen durch ein immerwährendes Erinnern an das Vergangene und Springen nach vorn in die Zukunft. So, als wollten wir dort immer mal nachsehen, ob es uns dann da auch noch gibt. Quasi als eigene Security. Permanent um uns selber kreiselnd, nach allen Seiten Ausschau haltend, nur nicht wahrnehmen, was unter den eigenen Füßen gerade vor sich geht. Das Erinnern mit in den Augenblick zu holen, als etwas, was wir bewusst tun. Und auch die Zukunft als Vorfreude mit einzuladen, in unserem „Jetzt“- Platz zu nehmen, kann viel frische Energie freisetzen. So ging es mir, als ich vor fünf Jahren dem Gedanken in mir Raum gab, zwölf Monate lang zu reisen. Allein dieser Gedanke hat mich beflügelt. Das Gefühl, dass ich zu jeder Zeit meines Lebens Dinge tun möchte, die mich begeistern und herausfordern, war so ein Moment, in dem ich mich selbst hätte umarmen mögen.

Nicht in der Vorstellung zu leben, auf ewig das Gleiche zu tun, jahrein, jahraus, sondern dann, wenn es sich anbietet, wenn es gehen könnte und die Möglichkeit besteht, wieder auf neue Art meine Geschicke in die Hand zu nehmen, hat mich froh gemacht. Ich war glücklich darüber, mit mir zu sein.

Ich bin ein visueller Mensch und so kommen mir sofort Bilder in den Kopf, stelle ich mir etwas vor. Ich sehe mich auf einer endlosen, staubigen Piste stehen, an weiten, warmen Wassern sitzen, zurückgezogen lebende Menschen in entlegenen Dörfern treffen, mit ihnen Tee trinken und mich über Gesten mit ihnen verständigen. Die Bilder sind klar, in kräftigen Farben, leuchtend und scharf gezeichnet. In den letzten Jahren haben allein diese Bilder ausgereicht, mich ruhig und doch freudvoll zu stimmen. Allein deshalb, weil es ein sicheres Gefühl in mir gab, diesen puren Gedanken auch tatsächlich für mich Realität werden zu lassen.

Diese nach trockenem Staub duftenden, klingenden Bilder erzeugen Erwartungen, weil sie schon fast so klar sind, als seien es reale eigene Erlebnisse. Die Bilder treiben mich an, schenken mir Kraft und Energie, wenn es mal gleichförmig und eintönig zu sein scheint. Ich lese alles, was ich über das Langzeit-Reisen finden kann, ich sammle Informationen. Das läuft einfach nebenher. Über Monate hinweg.

Für mich selbst spürbar und sichtbar zu sein. In diesem Sinne vielleicht etwas zu hinterlassen. Keine Ahnung, warum ich dieses Streben nach dem habe, was mich überdauert. Kann es nicht einfach genug sein, dass ich da bin und irgendwann da war? Sind wir so wichtig? Nehmen wir uns zu wichtig?

Ich fahre es einfach mal runter auf die Vorfreude, die meinem Alltag Schwung gibt, ihn farbiger erscheinen lässt und mich ein wenig nährt, wenn ich Lebenshunger verspüre.


Suche suchen

Orientierung, was interessiert mich, worin bin ich gut, wo will ich hin, welche Länder, welche Themen, allein oder zu zweit, was Bekanntes, was Neues, auf welche Art reisen? Ideale verwirklichen? Was sind überhaupt meine Ideale, Werte, Visionen? Wie will ich reisen? Was ist mir wichtig?

Knoten. Fragen. Wirrwarr. Selbstgespräche. Es wird konkreter. Ich spüre es.

Wir wollen zu zweit reisen, Sten und ich. Wir wälzen das Internet, um herauszufinden, wohin andere reisten und wie. Wir lesen, schicken uns Links hin und her. Schwelgen und träumen und sind manchmal enttäuscht von den Vorstellungen des jeweils anderen. Ich möchte mit der Sonne fahren, Sten ihr entgegen. Ich will Menschen begegnen, Sten endlos leeren Landschaften.

Suche und Entscheidung ist Findung, Positionierung, Abgrenzung, Einigung und Fokussierung, auch Einengung. Wir nähern uns wechselseitig an. Ich bewege mich in Stens Himmelsrichtung, er sich in meine Gedankenebene. Wir sind uns einig, dass wir Länder bereisen wollen, die wir nicht unbedingt auf unserer Jahresendentspannungsurlaubsliste stehen haben. Es soll eine Reise sein, kein Urlaub. Es soll uns fordern und herausfordern. Überfordern? Wer weiß? Das sagt sich jetzt so schön. Noch sind ja ein paar Jahre Zeit bis zum Knall aus der Startpistole. Und, ja, wir wollen allein reisen. Jahr und Tag sind wir von Menschengruppen und damit von Gruppendynamik umgeben. Uns ist klar, welche Dynamik es bekommen kann, wenn wir 365 Tage und Nächte zu zweit sind. Auch das ist Gruppendynamik. In jedwede Richtung. Entweder verstehen wir uns auf und nach der Reise so gut wie nie zuvor, oder gar nicht. Irgendwas Weichgespültes dazwischen gibt es nicht. Dazu kennen wir uns zu gut. Dazu ist ein Jahr zu lang. Das ist uns beiden mehr als klar.

Ich möchte Zeit für mich haben beim Unterwegssein. Ich will zur Ruhe kommen, um mich selbst zu hören. Keine Ahnung, was es sein wird, was ich dann höre. Doch ich will mir wenigstens die Chance geben, es zu mögen. Die Möglichkeit, Dinge anders anzugehen oder gleich ganz andere Dinge zu tun als bisher. Als es mir der Lauf der Tage, der Wochen, der Monate und Jahre bisher vorgibt. Ich möchte mit verschiedenen Optionen im Gepäck losfahren und auf dem Weg entscheiden, was ich tue und lasse oder durch anderes ersetze. Ich glaube, dass gerade das „Lassen“ entscheidend und hilfreich sein wird. Noch hab ich keinen Schimmer, wie das gehen soll, doch ich habe den Verdacht, dass das Erkunden dieses Terrains die weiteste Reise sein wird. Die, die ich mit mir selbst antrete.


Hilfe! Notfall!

Mit verbunden Augen sitze ich am Steuer. Unter mir Räder, die rollen. Ein Motor, der läuft. Und einen Sten neben mir, der konfuse Satzfetzen von sich gibt. „Gleich kommts, mach langsam, Vorsicht, jetzt hm, ja, was soll ich sagen …“ Ich versuche, mich auf Stens Worte einzulassen, und merke doch, wie ich innerlich brodele und eigentlich in Sekundenschnelle am Kochen bin.

„Wie bitte soll ich mich auf diese Wischiwaschi-Aussagen verlassen können?“, knalle ich ihm an den Kopf, während ich mir das Tuch von den Augen reiße. „Mir immerzu vorwerfen, ich würde zu ungenaue Anweisungen geben. Und selbst?“ Es ist die reine Katastrophe. Und wir beide mittendrin in unserem Konflikt, den Steffen, unser Freund aus Senftenberg, schon lange aufgestöbert hat.

„Ihr müsst lernen, euch aufeinander verlassen zu können. Sonst landet ihr ständig im Chaos miteinander“, hat er uns vor Wochen mit auf den Weg gegeben, als wir ein Wochenende lang Fahrtraining im Senftenberger Tagebaugebiet hinter uns hatten. Alles schön und gut. Wir wissen, dass wir da ein Thema haben. Doch wie angehen? Wir täten es, wenn uns eine Idee käme.

Mit Steffen steht diese Idee vor der Tür. Oder besser, sie sitzt am Telefon. „Ich mache mit euch ein Vertrauenstraining im Fahren und in der Ersten Hilfe“, reicht er uns sein Angebot auf dem Silbertablett durchs Funktelefon. Wir greifen mit vier Händen sofort zu, finden einen freien Termin und uns wenig später in Steffens Händen wieder. Der alte Psychologe. Was hat er nur, dass wir IHM beide vollkommen vertrauen? Und was haben wir, dass wir es wechselseitig dem anderen anscheinend verwehren? Zeit zum Nachdenken bleibt nicht. Steffen ist unser Mann der Tat.

 

„Hört auf, sinnlos freundlich zu tun“, ist einer seiner ersten Sätze. „Freundlich könnt ihr hinterher zueinander sein, wenn ihr geschafft habt, was ansteht.“ Der Abhang, das tiefe Loch, die Schräge, der schmale Steg, der weiche Boden. Immer wieder führt er uns in Situationen, bei denen wir beide unsere festen Aufgaben bekommen. Mal fahre ich, mal Sten. Dann gibt es meine Ansagen oder es hagelt seine Anweisungen. Funktionieren ist was anderes. Wir stellen uns an wie bockige Kinder. Wir nölen, sind gestresst und zickig. Ungenau in den Formulierungen. Unzufrieden und wenig geduldig. Bis wir aufhören damit und versuchen, Steffens Art nachzuahmen.

„Du hast noch einen Meter, noch fünfzig Zentimeter. Stopp“, „Vor uns liegt eine Steigung. Bis zu ihrem Beginn sind es fünf Meter. Ich zähle bei fünf beginnend rückwärts. Lenkrad gerade halten, nicht einschlagen. Rechts und links sind jeweils nur dreißig Zentimeter Platz. Doch alles fester Boden“ – „Wenn ich sage Halt, dann sofort stoppen“ geben wir uns allmählich klarere Anweisungen. Während der andere gerade die Augen beim Fahren verbunden hat oder einfach nicht sehen kann, was hinter unserem Fahrzeug los ist. Ob wir es wahrhaben wollen oder nicht. Wir nehmen langsam Hürde für Hürde. Hören uns zu, versetzen uns in den anderen hinein. Wie ein gemeinsamer Tanz, einer Art Choreographie gleich, beginnen wir, uns Halt zu geben, bringen uns voran auf sicheren Boden. Nachts das Einweisen und Fahren in einen engen Parkplatz vorbei an tiefhängenden Hausecken und spitzen Metallteilen flutscht, als hätte es nie andere Szenen zwischen uns gegeben. Da ist der Transport des anderen als vermeintlich Schwerverletzter bei unserem nächsten Training mit Steffen fast ein Kinderspiel. Lustig ist es überhaupt nicht, uns bewusst zu machen, dass es passieren kann, den anderen schwer verletzt irgendwo in der Pampa bergen zu müssen. Doch gut ist, das einmal unter Steffens ruhigen Worten zu durchdenken. Was wäre wenn und was ist dann zu tun? Wie schaffe ich es, Stens Körper irgendwohin zu heben, wenn alle seine Muskeln schlaff und nur Gewicht sind, doch mir keine Hilfe bieten?

Mir ist schlecht und schwindelig. Ich spüre, dass das eine meiner größten Ängste ist, wenn ich an unsere geplante Tour denke. Bitte, bitte lass es nicht geschehen, dass ich ihn jemals aus einer so schwierigen Situation befreien muss. Bitte! Und Danke! Danke Steffen. Du bist ein Kracher. Ein toller Freund, der weiß, worauf es ankommt. Wenn es darauf ankommt.


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