Pariser Nächte

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Pariser Nächte
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Elke Bulenda

Pariser Nächte

Ein humorvoller Fantasy-Roman

Impressum

Pariser Nächte

Elke Bulenda

published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

Copyright: © 2013 Elke Bulenda

ISBN 978-3-8442-4778-7

Wenn ich wüsste, was Kunst ist, würde ich es für mich behalten

(Pablo Picasso)

Paris, Hotel Le Meurice.

Das Telefon klingelte. Ein Blick auf meine innere Uhr verriet mir, dass es sieben Uhr in der Frühe war. Und noch eins sagte mir der Blick in meinen Kopf. Meine innere Uhr war verbeult und an ihr hingen noch immer klebrige Reste vom Champagner, der vorangegangenen heißen Nacht. Außerdem quälte mich ein tierischer Kater. Was eine Wirkung dieses kohlensäurehaltigen Getränks war.

Im Normalfall kann ich sogar das elendige Zwergen-Gebräu trinken, ohne dass es mir hinterher schlecht ergeht. Und das will etwas heißen, bei mehr als 80 Umdrehungen. Ich habe schon ziemlich viele Rekorde im 500 Meter Hürden-Saufen errungen. Mit anderen Worten: Völlig besoffen, unversehrt nach Hause zu kommen.

Obwohl ich mir schon zuvor geschworen habe, keinen Champagner mehr zu trinken, bin ich wieder rückfällig geworden.

Aus gutem Grund und einer davon lag neben mir, auf der rechten Seite meines Bettes. Vorsichtig griff ich über die hübsche Blonde und angelte mir den Telefonhörer.

»Ja?«, pöbelte ich in den Hörer.

»Monsieur McClane, voici le réveil. Il est sept heures et je leur souhaite bon matin. Par ailleurs, même un agréable séjour dans notre maison et un temps merveilleux à Paris.« Was für´n Ding? Etwas verwirrt betrachtete ich den sprechenden Knochen in meiner Hand. Allerdings wurde mir jetzt erst bewusst, wo ich mich befand.

»Äh, je suis réveillé!«, knurrte ich und warf den Hörer wieder auf die Gabel.

… Seine blöden Höflichkeiten kann er sich sonst wo hin stecken! Scheiß Paris, scheiß Froschfresser, scheiß frühes Aufstehen!...

Und so etwas sollte Urlaub sein!? Normalerweise wurde ich, wenn ich mich beim Ring befand, immer um sechs geweckt. Von einer aufdringlichen Zwergen-Stimme, die mich dann mit beknackten Zeug voll laberte und entsetzlich gute Laune verbreiten wollte. Jetzt war ich aber nicht in den tiefen Gefilden des Hauptquartiers von Salomons Ring, sondern in einem fünf Sterne Hotel, inmitten von Paris.

Und mal ganz ehrlich unter uns: Eine Stunde länger schlafen ist ja wohl ein Witz, wenn es um Urlaub geht.

Auf der linken Seite des Bettes regte sich ebenfalls etwas. Nachdem ich mich vergewisserte, dass es sich dabei nicht um Barbiel handelte, war ich schon mal überaus erleichtert. Statt eines Engels mit Igel-Frisur, lag eine sehr gutaussehende Brünette zu meiner Linken.

… Verdammt, wo kommt denn die Zweite her? Ach, ja jetzt weiß ich es wieder ...

Schuld hatte an allem wieder einmal Barbiel. Gestern Abend waren wir ein wenig ins Pariser Nachleben eingetaucht. Da Barbiel, trotz seiner vornehmen Zurückhaltung die Damen anlockt wie Motten das Licht, hatten wir das Glück zwei reizende Wesen kennenzulernen. Natürlich sprach die junge Dame unseren Engel zuerst an. Mit von der Partie war noch Brutus, unseren Dämonensuch-Chihuahua. Und als die Hübsche dann die magischen Worte sagte, sie wäre Modell und würde uns gerne ihre Freundin vorstellen, war das Eis gebrochen. Apropos gebrochen.

Als lustiges Quartett (Brutus nicht mitgezählt) zogen wir noch durch diverse Clubs und es wurde eine überaus feuchtfröhliche Nacht. Bis Barbiel auf die Idee kam, noch eine typisch-französische Spezialität zu sich zu nehmen.

Weiß der Teufel, was ihn dabei geritten hat. Engel können, so wie ich als Vampir keine feste Nahrung zu sich nehmen. Aber er schien wie besessen von der Idee zu sein, dass er ein Baguette, belegt mit Salami, Salat und Käse, ohne Weiteres verdrücken könnte. Nun vielleicht glaubte er, er sei seit seiner letzten Begegnung mit dem Erzengel Michael wohl um einiges an Fähigkeiten reicher geworden. Stimmt einerseits. Denn vor den Menschen konnte er seitdem seine Flügel verbergen. Menschen sahen sie einfach nicht. Ich hingegen schon. Aber Engel essen nicht, sondern trinken nur Morgentau, falls sie nicht auch noch das Zwergen-Gebräu vertragen, Champagner oder andere Getränke. So war Barbiel nicht davon abzuhalten, sich mit Brutus gemeinsam in das mächtige Stangenweißbrot zu verbeißen ...

- Um mir anschließend die Ohren voll zu jammern, ihm sei speiübel. Verdammt, wir wollten die Bienen abschleppen und er jammerte. War mal wieder klar, dass er mir mit seinem Eigensinn die Tour vermasseln wollte. Im Hotel angelangt, lief er zitternd und käseweiß auf sein Zimmer und ließ mich mit der weiblichen Begleitung einfach auf freier Flur stehen. Aber, hey, ich bin ein alter Partylöwe und ich spucke weder in ein Glas, noch lasse ich mir die Gelegenheit entgehen, eine schöne Dame glücklich zu machen!

Also nahm ich das Doppelpack auf mein Zimmer, rief den Zimmerservice an, der uns mit ausreichend Champagner versorgte. Ja und an alles Weitere kann ich mich jetzt nicht mehr so genau erinnern. Jedenfalls floss das prickelnde Gesöff in Strömen. Und als Wikinger verstehe ich es, ein richtiges Fest zu feiern. SKAL! Aber jetzt genug erzählt. Es wurde Zeit, endlich aufzustehen. Die Blonde regte sich und sah mich leicht mitgenommen an. Jetzt werde ich nicht auch noch für euch alles auf Französisch erzählen. Der Dame verlangte es nach einem Frühstück. Dabei habe ich nie erwähnt, sie auch noch bei mir frühstücken zu lassen. Lediglich eine heiße Nacht habe ich ihnen versprochen und die haben sie doch wohl gehabt, oder nicht? Sehe ich vielleicht aus wie ein Hotel, oder was?

Madame Brünett verlangte ebenfalls eine Magenfüllung. Nun stand ich vor einem Dilemma. Zuerst wollte ich sie einfach davon jagen. Aber was macht das für einen Eindruck? Nein, Damen müssen pfleglich behandelt werden. Wenn ich ihnen Geld geben würde, wären sie womöglich auch noch beleidigt und behaupteten, sie wären doch keine Prostituierten, oder so. Und woher soll ich als Vampir, wissen was ein verdammtes Frühstück kostet? Also machte ich ihnen einen Vorschlag zur Güte.

»Mädels, ich rufe den Zimmerservice an und werde ein Frühstück für zwei ordern. Tut mir leid, meine Süßen, aber ich muss mich für meinen Job fertig machen. Ihr frühstückt in aller Ruhe und wenn ihr fertig seid, macht ihr die Biege, okay?«

Gesagt, getan. So rief ich den Zimmerservice an und kletterte anschließend aus meinem Liebeslager. - Um gleich eine herumliegende Flasche gegen den Wandschrank zu treten. Vorsichtshalber guckte ich noch unter das Bett. Könnte ja sein, dass sie noch eine Freundin mitgebracht haben. Manchmal verliert man eben allzu schnell den Überblick ...

Aber die Luft war rein, keine unbekannte Dritte unter dem Bett. Dafür jede Menge leere Champagner-Flaschen, der Sektkühler aus dem wir zuletzt tranken und gebrauchte Präservative. Natürlich brauche ich als Vampir weder Furcht vor Ansteckung, noch vor einer auf mich zukommenden Vaterschaftsklage zu haben. Aber man sollte doch schon so rücksichtsvoll sein und nicht bei einem One Night Stand ohne Kondome herum machen. Mein Tipp: Immer eine Lümmeltüte benutzen, klar? Witzig, jetzt weiß ich auch, warum man sie Pariser nennt.

So räumte ich das Schlachtfeld unter dem Bett auf und warf mir einen Bademantel über. Denn ich bin nicht blind und meinem kleinen Sportsfreund verlangte es schon wieder nach Frühsport. Doch dafür hatte ich keine Zeit, auch wenn diese beiden Damen sehr verlockend aussahen. Den Sektkübel stellte ich wieder auf den Servierwagen mit den geleerten Flaschen, und rollten ihn vor die Tür - wo mir auch schon der nächste Wagen mit dem Frühstück der Damen entgegenkam. So wurde kurzerhand ein Wagentausch vorgenommen und das Frühstück an die hungrigen Bettgefährtinnen verfüttert. Dabei gönnte ich mir noch schnell einen Schluck Kaffee, griff in den kleinen Zimmerkühlschrank und angelte mir einen Tetra Pak mit Blutorangensaft heraus. Der Inhalt des Kartons enthält alles andere als Orangensaft, sondern ist eine getarnte Blutkonserve. Sal, der Leiter unserer Organisation achtet auf größte Diskretion. Niemals hätte er zugelassen, dass das Hotelpersonal etwas von meinem Blutdurst mitbekommt. Mit meiner Blutration verschwand ich im Bad, erhitzte sie in der Hand mittels meiner Pyrokinese, bis sie Körpertemperatur erreichte und trinkbar wurde. Ob ich mich in der Nacht schon bei den beiden Mädchen bedient hatte, daran konnte ich mich beim besten Willen nicht erinnern. Jedenfalls musste ich, wenn es der Fall gewesen war, sehr vorsichtig zu Werke gegangen sein. Denn die Bettwäsche war noch immer blütenweiß und wies keinerlei Blutflecken auf.

Nach der Rasur und Dusche legte ich noch etwas Aftershave auf und kleidete mich an. Natürlich muss ich einen extra dicken Spezialspiegel benutzen, Spiegel verabscheuen mich und gehen zu Bruch. Und da Sal davon wusste, stattete er gleich unsere Dienstwagen ebenfalls damit aus. Aber nicht nur auf Spiegel wirke ich abstoßend. In meiner Gegenwart wird die Milch sauer und Schnittblumen welken im Zeitraffer. Schlechtes Karma, was weiß ich.

Bewundernde Blicke wurden mir von den beiden Damen zugeworfen, ich bin nicht gerade klein und schmächtig und mache in einem schwarzen Maßanzug ganz schön etwas her.

Damals diente ich Lord Seraphim und dem Heiligen Ritterorden des Erzengels Michael. Mein Sohn Gungnir fragte mich vor langer Zeit, als er noch ein kleines Kind war, ob ich ein Möbelstück mit zwei Darmausgängen wäre. Sicher war mein Gesichtsausdruck nicht gerade gelassen als ich das vernahm. Sofort fragte ich nach, wieso er auf so eine Vermutung käme. Schulterzuckend antwortet er mir, dass er gehört habe, wie zwei Soldaten sich unterhielten. Einer der Soldaten sagte, als ich mich mit meinen Zwillings-Söhnen näherte: »Still, da kommt der Schrank mit den zwei Arschlöchern.«

 

Äh, Schwamm drüber … So mancher hat einen Anzug im Schrank. Ich dagegen bin ein Schrank in einem Anzug ...

Flugs verschwand ich ins Bad, um mir mein Schulterhalfter anzulegen. Die beiden Grazien mussten schließlich nicht alles spitz kriegen.

Nachdem ich alles beieinander hatte - Papiere, Dienstmarke und Sonnenbrille - verabschiedete ich mich von meinen Betthasen und zog die Zimmertür hinter mir zu. Dann steuerte ich das Zimmer meines Kollegen Barbiel an und klopfte schwungvoll an seine Türe. Schimpfen ertönte von der anderen Seite und die Tür wurde heftig aufgerissen, um einen etwas blassen, aber trotzdem gut gekleideten Barbiel erscheinen zu lassen.

»Oh, Mann! Ragnor, kannst du nicht etwas leiser klopfen? Ich bin nicht taub!«, beschwerte sich der Engel.

»Hey, Barbiel, du siehst wirklich scheiße aus. Wie oft habe ich dich gewarnt, dass du das Baguette nicht essen sollst?«

Wütend funkelte er mich an. »Ich glaube du hast es fünf Mal gesagt.«

Darauf schüttelte ich den Kopf: »Nein, es waren ganze sechs Male, aber du konntest nicht hören. Normalerweise warne ich nur einmal und schlage dann zu. Aber du bist mein Kollege und hattest Glück. Und jetzt pack´ Brutus die alte Trethupe ein, und lass uns losfahren!«

Nochmals kontrollierte Barbiel den Inhalt seiner Taschen und rief Brutus, den er gleich hochnahm und knuddelte. Augenverdrehen meinerseits. Ich kann so ein Getue einfach nicht ausstehen. Voll schwul!

»Was hast du denn mit den Damen gemacht, nachdem ich einen so unrühmlichen Abgang hatte?«, fragte er und drückte auf den Lift-Knopf.

»Ich habe sie mit auf mein Zimmer genommen«, war meine lakonische Antwort.

»Was? Alle beide?« Barbiels Augen waren so groß wie die Scheinwerfer eines Mittelklasse-Wagens.

»Jepp, zu zweit ist man ein Paar, aber zu dritt ist es eine Party. Außerdem kann ich mich immer sehr schlecht entscheiden. Milch oder Kaffee? Warum nicht einen Caffé Latte daraus machen? …«, grinste ich in mich hinein, was bei meinem Kollegen Kopfschütteln auslöste.

»Du bist unmöglich!«

»Hey, ich war zweieinhalb Monate im Bau und wäre da beinahe nie mehr wieder herausgekommen. Da habe ich natürlich einen gewissen Nachholbedarf.«

Mein Handy spielte Beethovens Sechste. Sobald ich die Melodie erkannte, drückte ich das Gespräch einfach weg. Vor der Tür angekommen, bestiegen wir unseren Dienstwagen. Einen Renault Koleos. Eigentlich mag ich keine französischen Autos, aber dieser Wagen war annehmbar. Verglichen mit der Ente, die ich mal fahren musste, war dieser Wagen der reinste Luxus. Obwohl ich keine SUV leiden kann. Groß und klobig bin ich schon selbst. Deshalb bevorzuge ich weitestgehend elegante Fahrzeuge. Aber da es sich bei dem SUV um ein reines Dienstfahrzeug handelte, das wir als angebliche Interpol-Agenten fuhren, mussten wir eben nehmen was man uns gab.

»Was machen Dracon und Silent Blobb?«, fragte ich neugierig.

Eigentlich wollte ich vor der Abfahrt noch einmal nach ihnen gesehen haben, doch wir waren ohnehin schon spät dran.

»Sie schliefen noch, als ich in der Frühe mit dem Hund draußen war und anschließend Dracon besuchte. Die ganze Nacht haben sie sich in den Katakomben herumgetrieben, da Blobb unbedingt die Kanalisation sehen wollte.«

»Mir scheint, da habe ich wohl von uns allen die angenehmste Nacht gehabt«, grinste ich. »Vor allem, was körperliche Ausscheidungen betrifft.«

Dabei warf ich Barbiel einen hämischen Blick zu, den er geflissentlich ignorierte.

»Dracon will Blobb heute seiner Mutter vorstellen. Zum Glück war gestern unser Verbindungsmann da, der ihm diese neue Maskierungstechnik gezeigt hat«, bemerkte der dunkle Engel.

Unser Dracon ist ein waschechter Halbdrache und sieht nicht gerade sehr menschlich aus. In so einer Großstadt wie Paris kann er unmöglich unter die Leute, nicht ohne aufzufallen. Dem wurde Abhilfe geschaffen. Und unseren Blobb, der ein knochenloses, der Konsistenz von Götterspeise ähnliches Wesen ist, kann man bequem in jede Form pressen. So konnte Dracon seinen Freund in einer Tasche, oder Rucksack überall mit hinnehmen. Um diese beiden brauchte ich mir schon mal keinen Kopf zu machen. Es sei denn, ihnen fiel ein, eine Bank auszurauben.

Da der Weg vom Hotel zum Louvre nicht weit war, blieben wir noch etwas im Wagen sitzen, um die Lage zu peilen. Was mich sehr wunderte waren die uniformierte Polizisten, die immer noch vor Ort waren. Eigentlich sollte die örtliche Polizei längst von diesem Fall abgezogen worden sein. Wir sollten ihnen noch etwas Zeit geben, um den Tatort zu räumen. Mein Beifahrer kam auf ein mir ziemlich unangenehmes Thema zu sprechen.

»Ragnor, wir haben schon Mitte Juli, in drei Wochen hast du Geburtstag. Was wünscht du dir eigentlich von uns?«

… Nein, jetzt fing er damit wieder an!...

Mein Smartphone ließ die Klospülung rauschen, als Signal dafür, dass ich eine SMS bekommen hatte.

Grimmig sah ich zum Engel. »Ich wünsche mir von dir, dass es so etwas wie spontane Selbstentzündung gibt, und du der lebende Beweis dafür bist! Nein, noch besser ... Nimm einen anderen Nachnamen an, okay?«

Sehr zu meinem Erstaunen hatte sich Barbiel gestern im Hotel mit seinem Nachnamen eingetragen, den ich zuvor noch gar nicht kannte. Und ratet mal wie er heißt? - Er heißt Marx!

Meine Reaktion ließ nicht lange auf sich warten, als er mir seinen Namen verriet. »Was? Wieso heißt du Marx?«

»Eigentlich wollte ich mich Engels nennen, doch das fand ich ein wenig abgedroschen, also entschied ich mich für Marx«, meinte er darauf.

»Sagte dieser Marx nicht, Religion sei Opium für das Volk? Was sagt der große Boss da oben dazu? Verrate bloß niemandem deinen Nachnamen, sonst werden wir im Ring nur noch die "Marx Brothers" genannt. Herrgott nochmal! Wie kann man sich nur so einen dämlichen Namen aussuchen?!«, pöbelte ich ungehalten.

Schulterzucken war Barbiels einzige Reaktion.

»Was soll´s, du heißt schließlich McClane. Das ist auch nicht unbedingt ein normaler Name.«

Darauf pikte ich ihm den Zeigefinger in die Brust. »Hör mal, Bärbel, ich lasse mich lieber mit einem Haufen kampfwütiger Highlander in Verbindung bringen, als mit durchgeknallten Anarcho-Komikern!«

Nun saßen wir hier im Auto und diskutierten wieder über seinen blöden Namen.

»Ich weiß gar nicht, was du an meinem Namen auszusetzen hast. Und wieso willst du nicht deinen Geburtstag feiern?«, fragte er leicht düpiert.

»Verdammt, das fragst du noch? Als der Zeitpunkt meiner Geburt heranrückte, befand sich unsere ganze Nordmanns-Siedlung in heller Aufruhr. Bei der Geburt blieb ich mit meinem riesigen Schädel im Geburtskanal stecken und brachte meine Mutter beinahe damit um. Weiß der Teufel wie mich die Heilerin da herausbekommen hat. Aber ich ahnte wohl schon, dass diese Welt ein verdammter Haufen Scheiße ist und wollte mich anschließend mit meiner eigenen Nabelschnur strangulieren.«

Engelchen machte ein betroffenes Gesicht.

»Oh, das tut mir leid. Aber sei doch nicht immer so negativ.«

»Zieh nicht so einen Flunsch, es war ja nicht deine Geburt. Jedenfalls war meine Mutter eine zierliche Person und mein Vater ein wahrer Koloss, da konnte man sich schon ausrechnen, dass die Entbindung nicht so leicht werden würde. Und später, als ich schon etwas größer war, erzählte mir mein Vater, er habe zu Odin gebetet und diesem für meine geglückte Geburt sein Auge gegeben. Mann! Ich hatte jedes Mal ein schlechtes Gewissen, wenn ich meinen einäugigen Vater sah. Als ich dann auf See war, kamen wir in eine Stadt, in der die Kunst der Glasbläserei in Blüte stand. Dort besorgte ich für meinen Erzeuger ein Glasauge. Leider war er nicht vor Ort und so mussten wir es Pi mal Daumen anfertigen lassen.«

Der Engel an meiner Seite nickte verständnisvoll und signalisierte mir weiterzuerzählen.

»Stolz präsentierte ich meinem Vater das Glasauge und er setzte es sich ein. Kein schöner Anblick, kann ich dir sagen. Leider war das Ding wohl etwas zu klein für seinen Schädel. So kam es öfter vor, dass ihm dieses vermaledeite Glasauge aus dem Gesicht fiel. Was bei uns sofort eine Panikattacke auslöste und alle Nordmänner unter den Tisch zwang, um es wieder einzufangen.«

Leicht verunsichert blickte Barbiel zu mir herüber. »Und deshalb willst du keinen Geburtstag feiern?«

Kopfschütteln meinerseits. »Nein, aber ich dachte, das wäre eine schöne Geschichte. Obacht! Das dicke Ende kommt noch. Später erfuhr ich ganz beiläufig, dass ich nicht der Grund für das verlorene Auge meines Vaters war. Es wurde ihm schon vorher bei einem Kampf ausgeschlagen.«

»Oh!«, meinte der Engel.

»Ja, oh!«, brummte ich.

»Und deshalb willst du keinen Geburtstag feiern?«, bohrte er weiter.

»Nein, aber versuch du mal 1211 Kerzen auf eine Torte zu bekommen ...«

Leicht dümmlich kratzte er sich am Kopf. »Du hast recht, das könnte ein echtes Problem werden.«

Wir stiegen aus und betrachteten den Louvre.

»Wusstest du, dass der Name Louvre vom lateinischen Luperia abgeleitet ist? Das bedeutet so viel wie Wolfsbau«, bemerkte der Flattermann.

»Ist mir egal! Wenn ich einen Wolf sehe, schlage ich ihn tot. Mir geht diese Schmiererei und das ganze elendige Gesocks am Arsch vorbei!«, blaffte ich.

»War für mich klar, dass du keinen Picasso von deinem Hintern unterscheiden kannst«, grinste er.

»Doch, mein Hintern ist symmetrisch, du Horst!«, grunzte ich.

»Hör auf zu meckern und tritt nicht in die Pyramide.«

Da wir einen Parkausweis besaßen, der uns als Interpol-Agenten kennzeichnete, parkte ich mitten im Hof. Man muss schließlich nicht weiter laufen als nötig. Da der Trakt in dem sich der Tatort befand für das Publikum gesperrt war, liefen viele Touristen leicht verunsichert zum gelben Absperrband, guckten blöde und machten wieder kehrt.

Ein kleiner Junge, schätzungsweise zehn Jahre alt, rempelte Barbiel und Brutus an, murmelte ein »Pardon, Monsieur«, und entfernte sich raschen Schrittes.

»Was für ein netter, kleiner Junge« meinte Engelchen. »Hey, Ragnor, wo willst du hin?«, fragte mein Kollege leicht irritiert. Derweil folgte ich dem Burschen, der, nachdem er sich umsah, in einen zügigen Laufschritt verfiel.

»Bleib stehen, du Borscht!« setzte ich ihm nach.

Vampire sind ziemlich schnell und bald darauf hatte ich das kleine Würstchen am Kragen gepackt und wollte es kräftig schütteln. Da ich Kinder wirklich mag, ersparte ich ihm dieses Schicksal. Edgar Allan Poe schrieb einmal: Kinder sind wie Schnitzel. Je mehr man sie klopft, desto zarter werden sie. Also Hände weg von Kindern, klar? Sie sollen schließlich keine Weicheier werden! Sie könnten so einen Hass auf denjenigen entwickeln, der sie misshandelt hat, dass sie eines Tages zurückschlagen. Kinder bleiben nicht für immer klein. Denkt daran!

»Was wollen Sie von mir?«, fragte er entsetzt.

»Die Börsennachrichten!«

»Hey, Monsieur, kaufen Sie sich eine Zeitung, ich kenne die Börsennachrichten nicht!«, beharrte er.

»Doch! Ich will Nachricht darüber, wo die Börse meines Kollegen geblieben ist. Entweder du rückst sie freiwillig raus, oder ich schüttle dich über Kopf aus. Und wer weiß, was da noch alles zum Vorschein kommt!«, berichtigte ich ihn.

Leicht deprimiert händigte er mir die Brieftasche aus.

»Na, warum nicht gleich so? Und jetzt mach einen Abgang, bevor ich dich zu den Uniformierten bringe!«

Das ließ sich der kleine Langfinger nicht zweimal sagen und suchte das Weite. Als ich dem unwissenden Engel die Börse zurückbrachte, machte er ein erstauntes Gesicht.

»Na, so was! Dabei machte der Kleine einen wirklich netten Eindruck.«

»Ja, ja. Du und deine Eindrücke. Er ist jetzt schon ein verkommener Lumpenkerl! So klein, aber hat es faustdick hinter den Ohren. Man sollte meinen, die Diebe hätten inzwischen ein paar andere Maschen drauf«, brummte ich wissend. Mit einem Blick auf seine Uhr von Patek Philippe (er steht auf so einen Scheiß!), meinte er: »Wir sollten zum Kurator, wir sind schon viel zu spät dran.«

Da ich wusste, dass Barbiel wusste, wo es lang ging, schleppelte ich ihm einfach hinterher. Den Kuratoren, Monsieur Antoine Dupin, konnte ich schon von Weitem ausmachen. Er zeichnete sich durch seine Nervosität aus, die ihn wie einen Hamster im Rad rotieren ließ. Die Begrüßung gestaltete sich etwas seltsam, als sich Barbiel fast einen radebrechenden Wortschwall ab rang. Der Kerl hat wirklich arge Probleme mit seinem Vokabular. Also übernahm ich das Gespräch, als ich sah, dass dem Engel die Schweißperlen auf die Stirn traten. Der Kurator schien überhaupt nicht überrascht zu sein, einen Riesen mit dunkelroten, bis über die Schulter langen Dreadlocks vor sich stehen zu sehen, und dessen Partner, mit einen kleinen Hund auf dem Arm.

 

»Monsieur Dupin, meinen Kollege Special Agent Marx wollte sagen, dass er sehr erfreut ist, Sie kennenzulernen; mein Name ist Special Agent McClane. Zuerst eine Frage. Warum sind hier noch jede Menge Polizisten vor Ort? Ich dachte, die Sache wäre klar und wir übernehmen den Fall.«

Herr Dupin ... Ja, ich bin zu faul, ständig "Monsieur " zu sagen. Denn eigentlich wissen wir, um wen es sich dabei handelt, oder?...

Also, Dupin wischte sich nervös mit einem Taschentuch über die Stirn und startete seine Konversation, indem er dazu Hand und Fuß gebrauchte. Verdammt, wieso müssen die Franzmänner beim Reden immer so herum hampeln?

»Mir ist auch völlig unklar, wieso sich hier noch diese Menge an Polizisten aufhält. Dabei hatte man mir hundertprozentige Diskretion zugesagt. Ebenfalls wurde mir zugesichert, dass der Museumsbetrieb reibungslos laufen würde. Und nun das! Es wird ein sehr schlechtes Licht auf unser Museum werfen! Meine Herren, gehen wir hinein.«

Es gelang mir kaum, diesen nervösen Kerl im Auge zu behalten. Junge, Junge, was hat der genommen? Pure Energie?

»Monsieur Dupin, geben wir den lokalen Polizisten noch etwas Zeit, den Unfallort zu räumen. Sie könnten uns währenddessen ein wenig die Örtlichkeiten zeigen und uns erzählen, was Sie beobachtet haben.«

Meinem Tucken-Engel warf ich ein paar giftige Blicke zu. Mit ihm würde ich später noch das ein oder andere Wörtchen zu reden haben.

Der Kurator führte uns durch die verschiedenen Räume des Louvre. Bei Odin! Hätte ich geahnt, dass es in so eine Latscherei ausarten würde, hätte ich Jogging-Schuhe mitgebracht. Zum Glück war das Museum für das Publikum noch nicht geöffnet. So hatten wir die Möglichkeit einen unverstellten Blick auf diverse Kunstwerke zu werfen.

»Dass der Belphegor sich hier schon mal sehen lassen hat, war uns ja allen bekannt.« Wieder wischte sich Dupin die Stirn. »Doch sobald ihn jemand zu Gesicht bekam, verschwand er schnell wieder. Er machte auf uns alle immer einen sehr schüchternen Eindruck. Eher etwas verloren. Lediglich die schöne Kunst sah er sich immer gerne an. Doch in letzter Zeit schien mit Belly, - so nennen wir ihn liebevoll - etwas Seltsames vorzugehen. Der Nachtwächter erzählte, dass sich unser Geist schimpfend und wild gestikulierend durch die neue Ausstellung bewegte.«

… Und wieder das Taschentuch. Es war schon ganz ... durchgeschwitzt … Brrr.

Mein Hirn lief auf Hochtouren. Weil ich von Barbiel nicht die geringste Hilfe zu erwarten hatte, geriet ich jetzt schon ins Schlingern. Wir blieben vor der Mona Lisa stehen. »Ist sie nicht anbetungswürdig?«, fragte uns Dupin auffordernd.

Na ja, anbetungswürdig finde ich sie nicht gerade, doch blieb mir nichts anderes übrig als zu nicken.

… Unter uns: Für mich sieht Mona Lisa eher etwas langweilig aus. Sie hat eindeutig drei gravierende Makel: Wurstfinger, fettige Haare - und das Schlimmste: Ich frage mich, was sie mit ihren verdammten Augenbrauen gemacht hat. War sie dem Herdfeuer zu nahe gekommen? Im ernst, ich verstehe einfach nicht, wieso sich Frauen die Augenbrauen abrasieren. Um hinterher Stunden lang vorm Spiegel zu stehen und sich selbst wieder neue ins Gesicht zu malen? Diese Versuche erinnern mich immer wieder an verrückte Wissenschaftler, die Körperteile an den seltsamsten Stellen annähen. Kein Wunder, dass viele Mona Lisa als geheimnisvoll bezeichnen. Wenn ihr die Brauen fehlen, kann man ihren Gesichtsausdruck nur sehr schlecht interpretieren. Jetzt könnte ich von Körpersprache und Mikroausdrücken anfangen, aber das ist jetzt ein wenig zu komplex. Wenn wir schon ehrlich miteinander sind: Wenn mir die Mona im realen Leben über den Weg laufen würde, würde ich sie auch nicht von der Bettkante werfen. Höchstens ein Bein links, das andere rechts. Vorausgesetzt sie behält ihre Finger bei sich, wäscht sich die Haare und malt sich nicht die Augenbrauen in ihre erste Stirnquerfalte ...

»Monsieur Dupin, wie kam es zu dem Unglück, weswegen wir jetzt die Ermittlungen übernehmen?«, fragte ich den Kurator, um wieder den Faden aufzunehmen.

»Ja, das ist wirklich seltsam. Denn eine Augenzeugin will gesehen haben, wie der Belphegor die alte Dame die Treppe hinunter gestoßen hat. Dabei ist doch unser Belly zuvor noch nie handgreiflich geworden.«

Das war in der Tat sehr seltsam. Ein Wesen, das vorher vor den Menschen floh, wurde plötzlich aggressiv und griff an.

»Können Sie sich erklären, was diesen Angriff ausgelöst haben könnte?«, hakte ich nach.

»Nein, es war der erste Ausstellungstag unserer neuen, aktuellen Ausstellung. Die Dame war sozusagen eine Stammkundin und jeden Tag hier. Das gehört, Pardon, das gehörte schon zu ihrem Tagesablauf.«

Sehr merkwürdig. Vielleicht war der Dämon eifersüchtig auf die Dame? Aber es ist nun mal unsere Aufgabe Licht ins Dunkel zu bringen. Um etwas Zuversicht zu signalisieren, zückte ich mein kleines Notizbuch und schrieb mir alle Fakten auf. Ob ich sie hinterher wieder entziffern konnte, stand in den Sternen. Meine Handschrift ist fürchterlich. Von mir beschriebene Blätter machen den Eindruck, als wäre eine Horde Wildsäue über das Papier galoppiert.

»Ist Ihnen noch etwas Außergewöhnliches aufgefallen?«, fragte ich.

»Ja, eins ist schon sonderbar ... «

Dupin konnte einfach nicht mit diesem schrecklichen Gewische aufhören.

»Der Belphegor war sonst immer nur ein Schemen, doch diesmal war er voll und ganz aus Materie. Die Augenzeugin weiß nicht, dass es sich um den Belphegor handelt, sie beschrieb ihn als einen Mann mit langem Mantel, das Gesicht von einem Hut verdeckt. Aber ich weiß, es war der Belphegor.«

Barbiel wurde hellhörig. Blieb für ihn zu hoffen, dass er die Sprache besser verstand, als diese aus seinem Hirn hervor zu holen und ordentliche Sätze daraus zu bauen. Zumindest sah Brutus aus, als hätte er alles im Griff. Kluger Hund.

Dupin bekam eine Karte von mir in die Hand gedrückt.

»Wenn Ihnen noch etwas Wichtiges einfällt, rufen Sie mich an. Wir werden uns um die Polizisten kümmern, damit der Betrieb hier nicht aufgehalten wird. Auch werden wir Tag und Nacht das gesamte Gebäude beobachten. Niemand wird bemerken, dass wir hier sind.«

Wie Simon, unser Team Coach, uns auftrug, würden wir uns ab morgen, inkognito als Touristen verkleidet unter die Leute begeben. So sah es der Plan vor. Dabei hätten wir alles im Griff und würden die Besucher des Museums nicht beunruhigen. Nur nicht auffallen, lautet die Devise.

Dupin nickte und gab uns einen Plan des gesamten Gebäudes. Den besagten Tatort markiert er mit einem Kreuz. Die Stirn wischend verabschiedete er sich, und hampelte davon.

… Mann! Wenn der nicht aufpasst, wird ihn sein Bluthochdruck noch umbringen. Dann kann sich Monsieur Dupin zu seinen Ausstellungstücken gesellen - In einem offenen Sarg ...

Inzwischen waren wir in der ägyptischen Abteilung und mir wurde wieder ein wenig wohler. Wieso kann ich mir nicht erklären, aber bei Porträtmalereien werde ich das dumme Gefühl nicht los, ständig beobachtet zu werden. Ob es nun das "Selbstbildnis mit Eryngium" ist, oder "Gabrielle d’Estrées und eine ihrer Schwestern", (obwohl ich das Bild sehr witzig finde, weil Gabrielle ihrer Schwester in den Nippel kneift und die Gouvernante im Hintergrund von dieser Gemeinheit nichts mitbekommt!) trotzdem habe ich das Gefühl, nicht ich starre das Bild an, sondern das Bild mich.