Katharina die Große inkl. Hörbuch

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Kapitel 3

Eine deutsche Braut für den Zarenthron

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Der Abschied verlief unter Tränen, doch er war unaufschiebbar: Bereits zehn Tage später brachen Sophie und ihre Mutter auf, zunächst mit dem Ziel Berlin. Sie reisten inkognito als Gräfin Reinbeck und Tochter. Auch Friedrich II. wollte Sophie, für die er sich verwendet hatte, nicht nur persönlich kennenlernen, sondern auch sicher gehen, dass von dieser Prinzessin keine Gefahr für Preußen ausgehen würde. Die Gelegenheit eines persönlichen Gesprächs bot sich anlässlich eines Soupers in der Redoute des Opernhauses. Der König hatte Sophies ehrgeizige Mutter ausmanövriert, die nur immer sich in den Mittelpunkt rückte, und sie an den Tisch seiner Frau gesetzt. Mit diesem strategischen Zug erreichte er, dass Sophie an seinen Tisch kam. Sogar direkt neben sich ließ er die Vierzehnjährige sitzen. Das erfüllte sie einerseits mit einem kaum zu verhehlenden Stolz, andererseits war sie dadurch eingeschüchtert. Der damals Einunddreißigjährige hatte eine traumatische Kindheit und Jugend hinter sich – er wurde vom eigenen Vater tyrannisiert, gemaßregelt, geprügelt und bestraft, hatte die Hinrichtung seines engsten Freundes miterleben müssen und war selbst in Haft gekommen. Es war der eigene Vater, der ihm Liebe, Vertrauen und Glauben brutal aus dem Leib geprügelt hatte. Es hatte ihn hart gemacht, unnachgiebig, schonungslos gegenüber sich selbst.


Flötenkonzert Friedrichs des Großen, König von Preußen (1740-1786) in Sanssouci. Gemälde, Adolph von Menzel (1815-1905)

Er war ein Verächter alles Verweichlichten und Weichen und hielt Frauen lieber auf Distanz, was für eine Vierzehnjährige den Umgang mit ihm nicht leicht machte. Und doch war er auch ein Schöngeist, Musiker und Literat. Die Unterhaltung thematisierte die Oper, die Komödie, Poesie und Tanz. Er gab sich sichtlich Mühe, das Kind an seiner Seite mit Themen zu unterhalten, zu denen es auch etwas beitragen konnte. Seine Ausführungen waren sachlich, doch geistreich. Unzweifelhaft war er ein Kenner. Seine etwas unbeholfenen Komplimente an das schüchterne Mädchen radierte die spätere Zarin Katharina wieder aus ihren Memoiren. Sie fühlte sich davon peinlich berührt.


Tafelrunde bei Friedrich II. in Sanssouci. Gemälde, Adolph von Menzel (1815-1905)

Am 16. Januar 1744 fuhr die kleine Reisegesellschaft weiter. In Schwedt an der Oder traf Sophie noch einmal auf ihren Vater. Besorgt gab er ihr Ratschläge mit auf den Weg, unter anderen den, ihren lutherischen Glauben auch im orthodoxen Russland beizubehalten. Es war das letzte Mal in ihrem Leben, dass sie ihren Vater sehen sollte.

Der Landweg nach Russland, für den sie sich entschieden hatten, war schlecht ausgebaut, eine Poststraße, die vor allem im Winter selten befahren wurde: Matsch, Schneeregen und tiefe Spurrillen hatten sie aufgeweicht. Schnee lag keiner, weshalb sie mit der Kutsche fahren mussten. Übernachten konnten sie nur an den Stationsgebäuden. Es war so kalt, dass sie Kopf und Gesicht mit wollenen Tüchern schützten, so dass nur noch die Augen zu sehen waren. Mit jedem Kilometer wurden sie nicht nur durchgerüttelt, sondern bekamen schmerzhafte Frostbeulen, deren Juckreiz mitunter unerträglich war. Doch auch die Nächte auf den Stationen erwiesen sich als Albtraum: Es gab kein einziges beheiztes Zimmer, in das sich die übermüdeten Reisenden hätten zurückziehen können. Einzig der Wirtsraum war beheizt. Doch dort hauste bereits die Wirtsfamilie mit allem, was vor der Kälte Schutz gesucht hatte: Männer aus dem Dorf, schmutzverkrustete Kinder, die sich mit Hunden, Hühnern und Schweinen auf dem Boden wälzten. Überall lagen Matratzen, aus der Wiege greinte der jüngste Nachwuchs, bierselige Kehlen grölten über einem Kartenspiel. Sie ließen sich jede eine Bank inmitten des Wirtszimmers stellen, versuchten Schlaf zu finden, sich zu wärmen, während sie begafft wurden wie exotische Tiere.

Über Danzig, Königsberg und das kurische Haff gelangten sie schließlich binnen drei Wochen bis nach Riga, wo sie vom dortigen Magistrat offiziell begrüßt wurden: Riga war die Grenze zum Zarenreich12. Fortan galt für Sophie eine andere Zeitrechnung: In Russland rechnete man nach dem julianischen Kalender, den Peter der Große eingeführt hatte. Mit einem Mal war es elf Tage früher. In städtischen Karossen ging es über die zugefrorene Düna. Die Zobel, die die Zarin ihnen zur Begrüßung hatte schicken lassen, sollten sie dringend benötigen, denn es war klirrend kalt. Und nun lag so viel Schnee, dass sie die weitere Fahrt bis Sankt Petersburg in Schlitten zurücklegen mussten. Sophie staunte nicht schlecht: sie war noch nie in einem solch’ prachtvoll ausgestatteten Schlitten gereist. Er konnte nur der Zarin persönlich gehören! Gut ausgepolstert mit Decken und Fellen, konnte man in dessen hölzernem Verschlag allerdings nur liegen. Ratlos stand sie vor dem Gefährt und wusste nicht, wie sie hineinkommen sollte. Der Kammerherr erklärte es ihr: „Il faut enjamber; enjamber donc!“13 Sie beherrschte perfekt Französisch, schließlich war es die Umgangssprache an den Höfen Europas, aber was der Kammerherr da faselte, klang in ihren Ohren derart komisch, dass sie sich vor Lachen kaum noch halten konnte: Die Beine sollte sie werfen? Schließlich wollte es ihr doch gelingen. Auch ihre Mutter kam in diesem Gefährt zu liegen. Sie freuten sich an den gewärmten Ziegelsteinen, die ihre eiskalten Füße wieder auftauten und dann ging es in halsbrecherischer Fahrt, gezogen von zehn Pferden - immer zwei in einer Reihe – weiter. Begleitet wurden sie von Kürassieren, einer Abteilung des livländischen Regiments und weiteren Schlitten. Es ging durch Estland und schließlich nach Kernrussland, einer kargen Ödnis aus Schnee und Eis, entgrenzt bis ins scheinbar Endlose. Wie aus dem Nichts tauchte eines Tages ein schwarzer Schlitten auf. Soldaten eskortierten das düstere Gefährt. Es hatte die Anmutung eines Sargs. Wer mochte darin sitzen? Die Insassen ließen sich nicht ausmachen, selbst die Fenster waren mit schwarzen Tüchern verhangen. Sie konnten nicht ahnen, dass darin der abgesetzte Kindzar Iwan abtransportiert wurde, den man nun von seinen Eltern getrennt hatte. Ihn erwartete lebenslange Haft unter unmenschlichen Bedingungen in der Festung Schlüsselburg, ein Umstand, der ihn allmählich dem Wahnsinn verfallen lassen würde. Sophie fröstelte. Dieses Land barg dunkle Geheimnisse.

Endlich kam ein Dorf in Sichtweite. Sophie kratzte das Eis von dem kleinen Fenster ihres Schlittens und spähte hinaus. Wie Schatten kauerten armselige Holzhütten in der bleiern grauen Landschaft, gespenstisch und unwirklich. Vor ihnen hatten Leibeigene Feuer angezündet, um sich die halb erfrorenen Hände zu wärmen. Ihre aus Fellresten und Lumpen genähte Kleidung ließ ahnen, wie wenig sie gegen die beißende Kälte Schutz bieten mochte. Ausdruckslose Gesichter, steingrau und dumpf, starrten den Schlitten und ihrer Eskorte aus erloschenen Augen nach.

Kapitel 4

Russland

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Am 3. Februar 1744 hatte die Reisegesellschaft schließlich ihr erstes Ziel im russischen Reich erreicht: Sankt Petersburg. Peter der Große hatte die Stadt an der Ostsee erbauen lassen, direkt am Mündungsarm der Newa.


Die Peter-Paul-Kathedrale, entworfen 1712 von dem Tessiner Architekten Domenico Trezzini im Auftrag Peters des Großen. Nach Peters Tod im Jahr 1725 wurde die Kathedrale die letzte Ruhestätte der Zaren.

Diese durch ein zwangsrekrutiertes, riesiges Heer an Leibeigenen aus dem Nichts erbaute Stadt war gerade einmal vierzig Jahre alt, als Sophie eintraf. Peter, für den Moskau immer das Alte, Rückwärtsgerichtete und Archaische seines Reichs verkörpert hatte, machte Sankt Petersburg 1712 zur Hauptstadt und ließ die Stadt zwangsbesiedeln. Man brachte Sophie und ihre Mutter in den Winterpalast, damals noch ein nach Entwürfen des Tessiner Architekten Domenico Trezzini erbautes Gebäude.


Der Pavillonsaal, einer der Prunkräume im Winterpalast von Sankt Petersburg. Damals war er noch ganz in Gold und aus weißem Marmor. In ihm befindet sich auch die berühmte Pfauenuhr des Engländers James Cox, die einmal Potemkin gehört hatte.

Elisabeth würde es allerdings bald zugunsten eines noch viel prunkvolleren Palastes abreißen lassen: Diese türkisweiß barocke Pracht am Ufer der Newa – ein Entwurf von Elisabeths Haupthofarchitekten, dem Italiener Bartolomeo Rastrelli – raubt noch heute Besuchern den Atem, erst recht wenn sie den Palast betreten: Vergoldete Decken und Türen, feinste Stickereien, so zart wie Engelshaar, und Tausende bunter Edelsteine strahlen ihnen dann aus den Prunksälen entgegen. Zudem beherbergt der Winterpalast heute die Eremitage, eines der bedeutendsten Museen mit einer der weltweit größten Kunstsammlungen.


Der heutige Winterpalast von der Newa aus gesehen.

 

Sophie bekam in Sankt Petersburg einen ersten Vorgeschmack auf den unermesslichen Reichtum, den Luxus, die Verschwendungssucht und den Prunk der Zaren. Natürlich war das Kind leicht zu verführen durch den schier unglaublichen Dressurakt mit vierzehn Elefanten, einem Geschenk des Schahs von Persien. Und auch ihrer eitlen Mutter wurde derart geschmeichelt, dass sie sich „wie eine Königin“ vorkam. Nach den Strapazen der Reise musste ihnen Sankt Petersburg wie ein exotischer Traum erscheinen. Doch es war nicht das Wunderland, sondern das Reich der Zaren. Gottgleich und absolut herrschten diese über ein endloses Land, in dem allerdings nur etwa fünfzehn Millionen Menschen lebten. Der Großteil davon bestand aus Leibeigenen, die vollkommen entrechtet waren. Wer in Landstrichen siedelte, die wenig mehr außer Ackerbau und Viehzucht boten, wurde für die Arbeit in der Landwirtschaft eingesetzt und dort bis zur Erschöpfung ausgebeutet. Mehr Glück hatte der, dessen Besitzer kulturell versiert war und ihn in seinem jeweiligen Talent förderte. Dann wurde er in handwerklichen wie auch kunsthandwerklichen Berufen, in Musik, Kunst und Literatur sowie für die Bühne in Schauspiel, Bühnenbau und -technik ausgebildet. Sie alle aber waren der Willkür ihres Herrn ausgesetzt: Ohne richterlichen Beschluss durfte dieser mit ihnen verfahren, wie er wollte - sie waren sein Eigentum. Jederzeit waren sie darum grausamen Strafen, Misshandlungen und Prügel ausgesetzt oder mit ihrem Verkauf oder dem ihrer Kinder bedroht – eine Besonderheit der russischen Leibeigenschaft, die damit in die Nähe der Sklaverei rückte. Den unermesslichen Prunk und Reichtum der Paläste hatte das Heer der namenlosen leibeigenen Künstler zu einem Hungerlohn erschaffen. Dies waren die Grundpfeiler dieser Pracht, die Sophie auf der Reise durch die unermesslichen Weiten Russlands stets auch begegneten.

Weitere drei Tage einer strapaziösen Reise standen Sophie und ihrer Mutter nach diesem Zwischenstopp bevor, denn das eigentliche Ziel war Moskau. Am 9. Februar 1744 trafen sie ein. Gerade rechtzeitig, denn nach dem julianischen Kalender war der nächste Tag der Geburtstag des Großfürsten Peter. Die Mutter berichtete umgehend an Friedrich II: „Man muss eine eiserne Gesundheit haben, um die Beschwerden der Reise und die Ermüdung der Hofetikette zu ertragen. Meine Tochter ist in dieser Beziehung glücklicher als ich. Ihre Jugend hält sie aufrecht. Gleich den jungen Soldaten, welche die Gefahr verachten, genießt sie das Großartige, das sie umgibt.“ Vom Prunk Sankt Petersburgs geblendet, musste ihnen die alte russische Hauptstadt wie ein verschlafenes Nest vorgekommen sein. Durch die angeordnete Zwangsumsiedlung nach Sankt Petersburg war Moskau verwaist, von den Herrschenden missachtet und seinem baulichen Verfall preisgegeben worden. Erst Zarin Elisabeth würde das Bauverbot Peters des Großen wieder aufheben, der verfügt hatte, dass Bauten aus Stein ausschließlich in Sankt Petersburg gebaut werden durften. Überall in Moskau standen darum bescheidene Holzhütten rund um die Backsteinmauern des Kreml, der alten Stadtbefestigung aus dem Mittelalter. Der Blick verfing sich in verwinkelten Gässchen, in denen Kühe, Schafe und Schweine sich weitgehend frei bewegen durften – eine bäuerliche Sitte, die Peter der Große für Sankt Petersburg mit Nachdruck unterbunden hatte. Es stank übrigens auch gewaltig in diesen ländlichen Ecken. Der heimliche Wunsch Peters, Moskau möge abbrennen, sollte sich eines Tages tatsächlich erfüllen: 1812 verbrannten zwei Drittel der Stadt – der Einzug Napoleons veranlasste die Russen zur Taktik der verbrannten Erde.

Kapitel 5

Zwischen den Fronten

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Noch war Sophie nicht offiziell mit Peter verlobt, darum musste sich alles heimlich und möglichst von der Öffentlichkeit unbemerkt abspielen. Eine protestantische deutsche Prinzessin mochte die Favoritin der Zarin sein, jedoch nicht der traditionellen Mächte im Land. So waren der einflussreiche russische Vizekanzler Bestuschew und der Erzbischof von Nowgorod gegen diese Partie. Überhaupt Bestuschew, Graf Bestuschew!


Alexei Graf Bestuschew-Rjumin (1693-1768), Gemälde, unbekannter Maler

Der preußische König Friedrich II. hatte ihn zu seinem persönlichen Feind erklärt! Dieser hatte es nämlich gewagt, sich gegen die preußische Expansionspolitik zu stellen. Vor etwas mehr als drei Jahren war Friedrich II. ohne jegliche Vorwarnung mit seinen preußischen Truppen von Brandenburg nach Schlesien einmarschiert und hatte sich einen großen Teil davon einverleibt – Teile des heutigen Polens und Tschechiens. Doch Schlesien gehörte damals zu Österreich. Die florierende Textilindustrie hatte das Land reich und damit attraktiv gemacht. Noch weitaus attraktiver dürfte seine strategische Lage gewesen sein: Schlesien war das Tor zum Osten. Bestuschew fürchtete die preußische Aggression, nicht zuletzt sah er in diesem Streben um die Vorherrschaft auf deutschem Boden auch eine Gefahr für Russland. Darum richtete er sein Augenmerk lieber auf das katholische Wien. Denn das einst so mächtige Habsburger Reich war nun altersschwach geworden, weshalb von diesem Staat bestimmt nichts zu befürchten war. Dort kämpfte die sechsundzwanzigjährige Maria Theresia nicht nur verzweifelt im österreichischen Erbfolgekrieg um den Thron, sondern musste erneute Übergriffe des landhungrigen Preußen abwehren. Längst hatte der preußische König und brillante Feldherr seine Hand auch nach dem ihr noch verbliebenen restlichen Teil Schlesiens ausgestreckt. Damit war der Krieg gefährlich bis an die russische Grenze herangetragen worden. In dieser Zeit konnte man leicht zwischen die Fronten geraten, wusste man nicht, wer welchem Lager zugehörig war und wem die russische Zarin die größere Gunst erweisen würde.

So kämpfte im anderen Lager der eloquente französische Ex-Botschafter Marquis de la Chétardie um die Zarin, der inzwischen als Privatmann mit eindeutigen politischen Ambitionen in Russland unterwegs war. Er hatte sich als Steigbügelhalter während ihres Staatsstreichs bewährt und wähnte sich nun der lebenslangen Dankbarkeit der Zarin sicher. Auch war es ihm gelungen, den Leibarzt der Zarin, Graf Lestocq, auf seine Seite zu ziehen. Sie traten vehement für eine Allianz Russlands mit Frankreich ein. Diese wiederum hielt Bestuschew für völlig ausgeschlossen. Sein Wunschpartner Österreich war schließlich seit dem 16. Jahrhundert schon aus reiner Tradition der Erzfeind Frankreichs. Und dann liebäugelte Frankreich auch noch mit dem preußischen König. Bestuschew stand wie eine Festung gegen diese Allianz. Der Marquis und Graf Lestocq hatten darum den Plan gefasst, Bestuschew von seinem Sockel zu stürzen. Es war Friedrich II., der Johanna von Zerbst persönlich aufgetragen hatte, sich der Seite der Herren de la Chétardie und Lestocq anzuschließen. Er würde auch mit Geld nachhelfen, sollte Bestuschew nicht freiwillig weichen. Was der junge Preußenkönig sich dabei gedacht haben mag, die politisch naive und völlig unerfahrene einunddreißigjährige Fürstin in das Auge des Taifuns zu setzen – der grimmige Bestuschew war bekannt als intrigant und gefährlich – bleibt ein Rätsel. Johanna von Zerbst war eine glühende Verehrerin Friedrichs II., darum war ihr die besondere Aufgabe, nicht jedoch die Gefahr bewusst.

Sophie und ihre Mutter Johanna mussten den Einbruch der Dunkelheit abwarten, ehe sie mit ihren Schlitten am vereinbarten Ort eintreffen konnten: Die Zarin hatte sie an den Ostrand der Stadt bestellt, in den Annenhofpalast, einem hölzernen Bauwerk in barockem Stil, das wenige Jahre später abbrennen sollte. Kaum in ihren Gemächern, gesellte sich Großfürst Peter in Begleitung seines Hofstaates zu ihnen. Er war voller Ungeduld, und meinte, die letzten Stunden seien so unerträglich gewesen, dass er ihnen am liebsten entgegengeeilt wäre. Sophie betrachtete ihn verstohlen. Seine dürre und schmächtige Gestalt mit den schlaksigen Gliedmaßen erinnerten an ein Fohlen, das noch nicht geschlechtsreif war. Er ähnelte in nichts den strammen Offizieren der Leibgarde der Kaiserin, die sie in Sankt Petersburg zu sehen bekommen hatte. Das waren doch prächtige Hengste gewesen! Diese Soldaten in ihren unverwechselbaren grünroten Paradeuniformen der Preobraschenskij'schen Regimenter hatten Elisabeth auf den Thron geholfen. Sie waren berüchtigt und ihrer Kaiserin treu ergeben. Zudem irritierten sie Peters weit auseinanderstehende Augen in dem schmalen und blassen Gesicht. Da er den Blick nie ruhig halten konnte, wusste sie nie, wann er sie traf. Bemerkte er, dass sie ihn heimlich taxierte, würde ihm dies ihr unschickliches Betragen offenbaren. Sie senkte kurz den Blick, um ihre Beobachtung augenblicklich fortzusetzen. Er hatte eine schlanke, wenngleich zu lang geratene Nase. Sie setzte sich prominent gegen die zurückweichenden Wangen ab. Obwohl seine Lippen schön geschwungen waren, blieb sein Mund nichtssagend. Dennoch redete sie sich ein, ihn „ganz hübsch“ zu finden, doch ihr wahres Interesse galt der Zarin selbst.

Kapitel 6

Zarin Elisabeth

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Diese hatte sie zu einer Audienz geladen. Auf der Schwelle zu ihrem Paradeschlafzimmer trat sie ihr entgegen. Sophie war überwältigt von ihrer Schönheit, ebenso wie von ihrem majestätischen Auftreten. Dieses wurde noch durch ihre Beleibtheit und ihren ungeheuer üppigen Busen14 unterstrichen.


Elisabeth Petrowna, Zarin von Rußland (1741–62) in Zarskoje Selo. Illustration, 1905, von Jewgeni Jewgenjewitsch Lancerai (Lansere) (1875–1946).

Aber wirklich beeindruckte sie durch ihr ebenmäßig schönes Gesicht. In ihren Memoiren beschreibt Katharina die damals Vierunddreißigjährige rückblickend: „Sie trug an diesem Tage einen gewaltigen Reifrock, wie sie es liebte, wenn sie große Toilette machte […]. Ihr Kleid war aus Silberbrokat mit Goldtressen besetzt; sie trug eine schwarze Feder auf dem Kopfe, die seitwärts gerade aufgesteckt war, und viele Diamanten in einer Frisur aus eigenem Haar.“15

Sophie hatte für diese Audienz ein glatt anliegendes Kleid ohne Reifrock aus rosa Moiré mit Silber gewählt. Angesichts der prachtvollen Kleidung der Zarin, wurde ihr schnell bewusst, dass sie wie eine armselige Bittstellerin wirken musste: Sie hatte drei bis vier Kleider mitgebracht, ein Dutzend Hemden, Strümpfe und Taschentücher. Weiter nichts. Selbst die Bettwäsche hatte sie sich von ihrer Mutter leihen müssen, da sie noch keine eigene besaß. Wirklich bescheiden, vergleicht man dies mit der Garderobe Elisabeths. Nach ihrem Tod zählte man ihre kostbaren Prunkkleider: es waren 15.000.

Am nächsten Tag wurden sie zum sechzehnten Geburtstag des Großfürsten geladen. Für beide überraschend, verlieh die Kaiserin ihnen den Orden der Heiligen Katharina in einer ergreifenden Feier. Graf Razumowski trug die Abzeichen auf einem vergoldeten Teller, ehe sie ihnen von den Hofdamen angeheftet wurden. Die Mutter, geblendet von so viel Ehrbezeugung, ließ sich leicht korrumpieren. Ihr war klar: ihre Tochter, die sie anfangs nicht zu schätzen gewusst hatte, war am Ende ihre größte Trumpfkarte. Danach erschien Peter oft bei Sophie. Er lud sie und ihre Mutter zum Kartenspiel ein und wurde Sophie gegenüber immer redseliger. Sichtlich genoss er es, endlich wieder einmal in seiner Muttersprache Deutsch sprechen zu können. Doch er sah in Sophie, die es nie gewagt hätte, ihn in seinem Redefluss zu unterbrechen, auch eine Kameradin, eine Gleichgesinnte, die schon alleine wegen der Verwandtschaft seine erlittene Einsamkeit in Russland mit ihm teilen würde. Sein noch immer kindliches Interesse galt Spielsachen und Soldaten. Er vertraute ihr Geheimnisse an, die man einer Frau nicht zumutet, vielleicht noch nicht einmal einem männlichen Kameraden. Doch Sophie musste dafür herhalten. Sie ertrug es still.

Denn sie hatte sich damals drei Ziele gesetzt:

Erstens, dem Großherzog zu gefallen;

zweitens, der Kaiserin zu gefallen;

drittens, dem russischen Volk zu gefallen.

Doch spätestens als Peter ihr kumpanenhaft seine Verliebtheit in eine vom Hof verwiesene Hofdame gestand und ihr zugleich klarmachte, dass er sie nur heirate, weil seine Tante es wünsche, wurde ihr klar, dass sie keinerlei Zuneigung erwarten konnte und er sie nur aus Pflicht seiner Tante gegenüber, der allmächtigen Zarin, zur Frau nehmen würde. Dagegen fügte Sophie sich nicht aus einem Pflichtgefühl heraus den Forderungen der Zarin, sondern aus reinem Kalkül. Sie wusste, dass der Weg zum Thron nicht über Peter sondern über die Zarin ging. „In Wahrheit lag mir an der russischen Krone mehr als an seiner Person16, gestand sie in ihren Memoiren. Darum erkannte sie in der tiefen Gläubigkeit Elisabeths auch deren innige Verbundenheit mit dem russischen Volk. So ließ sie sich bereitwillig von dem Archimandriten Simon Teodorskij im orthodoxen Glauben unterrichten. Auch nahm sie Unterricht in Russisch, was so manch’ anderen sicher schon alleine wegen der kyrillischen Schrift abgeschreckt hätte. Doch sprachbegabt wie sie war, lernte sie leicht. Der rasche Lernfortschritt war jedoch an Höchstleistungen gebunden: Sie blieb nachts lange wach und saß oft stundenlang in dem zugigen Zimmer über ihren Büchern. Selbst den strengen Fastenregeln der Zarin während der Fastenzeit unterwarf sie sich bereitwillig: Pilze und eingelegte Gurken standen in der ersten und letzten der vier Fastenwochen auf dem kargen Speiseplan17 Während Peter sich heimlich Fleisch bringen ließ, hielt Sophie sich streng an die Regeln. Mit all dem eroberte sie das Herz der Zarin.

 
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