Das Haus des Schreckens

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»Gut«, erwiderte Abdelghani und beendete das Gespräch mit einem: »Gute Nacht, Mister Gabham!«

Als Gabham auf das Hörersymbol drückte und das Gespräch endgültig beendete, fühlte er sich ein wenig erleichtert. Die Worte des Psychiaters hatten ihn etwas beruhigt. Wenn ihm jemand helfen konnte, da war er sich sicher, war es dieser Mann, und schließlich musste jetzt endlich etwas geschehen. Noch hielt er sich nicht für völlig verrückt, aber lange würde es nicht mehr dauern.



Kapitel 7

G

leich am nächsten Morgen hatte Archibald Gabham den Psychiater Dr. Abubakar Abdelghani aufgesucht. Wie nach jedem Besuch bei dem Mediziner, fühlte er sich auch diesmal wieder deutlich besser, nicht ganz im Vollbesitz seiner Kräfte, aber zumindest sprühte er wieder vor Tatendrang und Energie. Am Abend zuvor war es ihm infolge des Albtraumes nur noch durch Einnahme von Schlaftabletten gelungen, sich zu beruhigen. Kurz darauf war er in einen tiefen traumlosen Schlaf gefallen, aus dem er erst am späten Vormittag des nächsten Tages erwacht war. Völlig entspannt hatte er auf der obligatorischen Liege des Psychiaters gelegen und diesem detailliert berichtet.

Abdelghani, der sich seine Geschichte aufmerksam anhörte, machte sich einige Notizen und führte abschließend eine Hypnosetherapie durch, wie er ihn hatte wissen lassen.

Gabham selbst konnte sich nur schwach an Einzelheiten der Behandlung erinnern. Aber er vertraute Abdelghani, und war sich sicher, dass er ihn so behandelte, wie es für ihn am besten war. Im Augenblick kam es ihm nur darauf an, dass er sich wieder besser fühlte – das allein zählte. Den Tag hatte er in seiner Kanzlei im ›Shard of Glass‹-Tower verbracht. Die Zeit war wie im Flug vergangen. Er hatte das Gefühl, dass die Anspannung der letzten Tage und Wochen von ihm gewichen war. Überhaupt machte es auf die Mitarbeiter den Eindruck, als würde im Chefsessel ein anderer Mensch sitzen.

Um Gabhams Lippen lag ein zufriedenes Lächeln. Er dachte gerade daran, welches Glück er doch hatte, Dr. Abdelghani zu kennen und von ihm behandelt zu werden. Für den erfolgreichen Anwalt war die Welt augenblicklich wieder in Ordnung und die Qualen der vergangenen Nacht vergessen.

Aus seiner guten Laune heraus, hatte er sich für heute ein besonderes Programm zusammengestellt. Des Mittags war er gegen seine sonstige Gepflogenheit ins ›Hutong‹ gegangen, um chinesisch zu essen. Später hatte er sich dann mit einem Klienten außer Haus getroffen, und war anschließend wieder nach Hause gefahren.

Am Abend gönnte er sich einen Salat im ›Boca Di Lupo‹, trank ein Glas Rotwein mit dem Inhaber und begab sich von dort aus, wie so oft, in die ›Copper Box‹-Arena, um sich ein paar Boxkämpfe anzusehen.

Bis dahin war alles gut. Doch dann – wie aus heiterem Himmel – war es mit der Ruhe, die er den ganzen Tag über verspürt hatte, vorbei. Es gelang ihm einfach nicht mehr, sich auf den Fight der beiden Mittelschwergewichtler zu konzentrieren, jegliches Interesse war dahin. Und dabei war der Kampf gar nicht mal so schlecht, wie er fand.

Gabham sah auf seine Uhr. Plötzlich wurde es ihm bewusst, dass er den ganzen Tag über etwas verdrängt hatte.

Die Verabredung!

Warum nur, fragte er sich, habe ich das vergessen? Aber will ich überhaupt hingehen? Einen Dreck werde ich tun, dachte er, warum sollte ich?

Es war gerade einundzwanzig Uhr durch. Zwei Stunden Zeit bis zum Treffen. Genug Zeit, um noch hinzukommen.

»Ach, zum Teufel!«, fluchte er ungewollt. Unwillkürlich drehten sich ein paar Zuschauer, die ihm am nächsten waren, zu ihm um und starrten ihn irritiert an.

Der Gedanke an diese völlig verrückte Verabredung ließ sich einfach nicht mehr verdrängen. Hatte er sich gerade noch vorgenommen, nicht hinzugehen und nicht mehr daran zu denken, war er zwei Minuten später soweit, deswegen aus der Haut zu fahren.

Er wurde zunehmend nervöser. Den ganzen Tag über hatte er kaum geraucht, jetzt war ihm nach einer Zigarette zumute. Er zerrte ein Päckchen Marlboro aus seiner Manteltasche, holte einen Glimmstängel heraus, steckte ihn zwischen seine schmalen Lippen und setzte den Tabak in Brand. Zug um Zug sog er den wohltuenden Rauch ein. Kurz bevor er den Filter erreichte, schnippte er die Kippe von sich. Jetzt fühlte er sich wieder etwas besser. Er verließ die Sporthalle im Stadtteil ›Homerton‹ und machte sich auf den Weg in die ›Stour Road‹. Eine heiße Tasse schwarzen Kaffee und einen ordentlichen Drink, das war es, was er jetzt dringend brauchte, um sich wieder aufzumöbeln. Vor dem ›Formans‹, einem Bar-Restaurant, bekannt für seine ausgezeichneten Fischgerichte, blieb er stehen.

Er öffnete die Schwingtür und trat ein. Sofort empfing ihn eine wohlige einladende Wärme. Das sehr modern eingerichtete Lokal, war mit den wenigen Paaren an den eleganten Tischen, heute nur schwach besetzt. Sie schienen alle vollauf mit sich selbst beschäftigt zu sein und nahmen von ihm keine Notiz.

Der Anwalt entledigte sich seines klassischen Bowlers und legte ihn zusammen mit seinem schwarzen Mantel auf einen Stuhl. Er hatte gerade Platz genommen, als ein Kellner an seinem Tisch erschien.

»Guten Abend, Sir!«, begrüßte ihn der Mann zuvorkommend, den Gabham auf etwa sechs Fuß schätzte. »Wünschen Sie die Karte? Wenn ich Ihnen etwas empfehlen darf? Wir haben heute ein ausgezeichnetes Fischmenü: London Cure smoked Salmon an Weißwein-Soße, dazu gibt es Buchweizen-Blinis.«

Gabham winkte ab.

»Nur einen Scotch, bitte«, erwiderte er. »Einen doppelten, und eine Tasse Kaffee.«

„Sehr wohl, Sir!“, beeilte sich der Kellner mit der Andeutung einer Verbeugung zu bestätigen. „Kommt sofort, Sir!“

Gabham war nach einer Zigarette zumute. Er wartete, bis ihm der Kellner Scotch und Kaffee gebracht hatte, nahm den Scotch und trat auf die Terrasse des Restaurants hinaus. Dort setzte er das Glas an und leerte es in einem Zug. Im gleichen Augenblick spürte er, wie der Alkohol die Kälte aus seinen Gliedern vertrieb, die er eben noch verspürte. Eine weitere Marlboro fand ihren Weg zwischen seine Lippen und er rauchte in hastigen Zügen. Erneut begann er zu frösteln. Ohne Mantel war es einfach zu frisch draußen. Deswegen beeilte er sich, schnell wieder an seinen Tisch zurückzukehren, um sich aufzuwärmen. Prompt wurde es besser. Entspannt lehnte er sich im Schwingsessel zurück. Mit einem Mal war er richtig müde geworden. Wahrscheinlich wäre er sogar eingeschlafen, wenn ihm der Kellner nicht auf die Schulter getippt hätte.

»Sir?«, kam es entschuldigend. »Wir schließen gleich.«

Die Stimme des Kellners ließ ihn zusammenfahren. Mit dem Finger deutete der Mann auf die große Uhr, die hinter der Theke hing.

»Es ist gleich dreiundzwanzig Uhr«, stellte die Bedienung fest. »Unter der Woche ist bei uns um diese Zeit immer Schluss. Freitags bis sonntags geht es bis um eins.«

Archibald Gabham warf einen Blick auf die Uhr. Der Kellner hatte recht. Es war tatsächlich schon so spät. Wie war das nur möglich? Er hatte das Gefühl, das Restaurant eben erst betreten zu haben und doch war es bereits Viertel vor elf. Außer ihm war auch kein Gast mehr anwesend – die Pärchen waren verschwunden. Ihr Gehen hatte er gar nicht mitbekommen. Der Anwalt war sichtlich verwirrt. Irgendwie kam ihm das plötzlich alles so unwirklich vor.

»Wenn ich bitte abrechnen darf, Sir?«, holte ihn der Kellner in die Wirklichkeit zurück. Er legte den Kassenbon vor ihn auf den Tisch, um deutlich zu machen, dass die Zeche bezahlt werden musste.

Ohne ein Wort starrte Gabham den Kellner an. Der seltsame Blick seines Gegenübers, mit den ausdrucklosen Augen, bewirkte, dass er unwillkürlich einen Schritt zurücktrat. Aber es war nicht nur dieser Blick, der dem Mann Angst einflößte. Auch die Bewegungen seines Gastes hatten plötzlich etwas Unheimliches, ja Unnatürliches, an sich. Es kam ihm vor, als habe Gabham seine Zahlungsaufforderung völlig überhört, denn der hatte sich schon seinen Hut aufgesetzt und war bereits im Begriff zu gehen.

»Aber ... Sir!«, stieß der Kellner zaghaft aus. »Ihre Rechnung, Sir!«

Der Restaurantangestellte glaubte schon, einen Fehler begangen zu haben, denn plötzlich unterbrach Gabham seine Bewegung und drehte sich abrupt zu ihm um. Die Augen des Rechtsanwalts funkelten und dem Kellner verschlug es die Sprache. Die Rechnung war ihm auf einmal völlig unwichtig geworden. Alles was ihn gerade interessierte war, dass der unheimliche Mann so schnell, wie möglich aus dem Restaurant verschwand. Man konnte förmlich sehen, wie die Last von ihm abfiel, als Gabham seinen Weg nach draußen fortsetzte.

Kaum dass der Anwalt auf der Straße war, schlug der Kellner die Tür hinter ihm zu und sperrte direkt ab. Der Schreck steckte ihm noch in den Gliedern, auch wenn die Sache noch einmal gut ausgegangen war.

In den all den Berufsjahren sind mir ja schon so einige skurrile Typen untergekommen, dachte er bei sich, aber dieser Typ war echt die Krönung. Selbst seinen Mantel hat er liegen lassen. Was für eine bizarre Vorstellung ist das gewesen … ob der irgendwelche Drogen zu sich genommen hat? Er schüttelte missbilligend den Kopf. Auf jeden Fall muss sich jemand um ihn kümmern. Vielleicht finden sich ja Papiere in seinem Mantel … und dann soll sich der ›Metropolitan Police Service‹ um ihn kümmern.


Draußen war es kalt, und obwohl Gabham nur mit seinem Hut und ohne Mantel herumlief, fror er nicht. Die Temperatur empfand er gerade richtig – nicht zu warm oder zu kalt. Fast wie in einer dieser lauen Sommernächte, in denen er so gern an der Themse spazieren ging.

 

Seine Hände waren längst rot und steif, seine Wangen bläulich angelaufen und seine Nase glich einer übergroßen Erdbeere.

Gabham spürte es nicht. Unbeirrt setzte er seinen Weg fort. Auch wenn man es ihm nicht ansehen konnte, er hatte große Angst. Alles in ihm sträubte sich, dieser Verabredung zu folgen, und doch befand er sich bereits auf dem Weg zum vereinbarten Treffpunkt. Mechanisch, fast wie fremdgesteuert, trugen ihn seine Beine voran. Er hatte keine Ahnung, wohin er ging. Sein Inneres begehrte auf, sagte ihm, dass diese Begegnung für ihn tödlich enden werde. Doch er war nicht mehr Herr seiner selbst und folgte einfach seinen Beinen.



Kapitel 8

G

abham wusste nicht, wie lange er so gelaufen war. Irgendetwas Unbekanntes drängte ihn, anzuhalten. Vor sich sah er ein größeres Haus, dessen Baustil für ihn so gar nicht in dieses Jahrhundert passte. Zwar kamen ihm die Gegend und auch das villenähnliche Haus bekannt vor, dennoch war er sich unsicher, je in seinem Leben einmal hier gewesen zu sein.

Langsam ging er auf das Haus zu. Vor der Eingangstür blieb er stehen. Die schwere Tür stand einladend offen.

Gabham schwitzte. Er meinte, eine, ihm wohlbekannte Stimme vernommen zu haben, die seinen Namen rief, doch sicher war er sich nicht. Er zuckte leicht zusammen.

»Archie!«

Da!

Gerade eben wieder!

»Archie!!«

Ganz deutlich konnte er die Stimme hören, die ihn in einem sonoren Singsang lockte!

»Komm schon, Archie! Nur hereinspaziert! … Ich habe doch gewusst, dass man sich auf Dich verlassen kann. Komm nur! Ich habe Dich schon erwartet!«

Alles in Gabham sträubte sich dagegen, das Haus zu betreten. Aber er schaffte es nicht, gegen den Zwang der Stimme anzukommen.

Gleich darauf stand er in der Vorhalle. Ängstlich sah er sich nach seinem geheimnisvollen Gastgeber um, doch den konnte er nirgends entdecken. Er fragte sich, was für ein abartiges Spiel man mit ihm trieb?

Plötzlich drang ein durchdringendes Geräusch an sein Ohr. Die massive Eichentür hinter ihm begann, sich ganz langsam zu schließen. Schließlich fiel sie mit einem lauten Krachen ins Schloss. Das unheimliche Knarren und Quietschen der Scharniere jagte Gabham einen eisigen Schauer über den Rücken. Kaum hatte sich die Tür geschlossen wurde ihm bewusst, wo er sich befand.

Diesen Ort kannte er gut!

Viel zu gut!

Er kannte ihn aus seinen Albträumen!

Aus diesen verdammten, sich laufend wiederholenden Angstträumen!

Sofort wollte er aufschreien, aber es kam ihm kein Laut über die Lippen. Auch an ein Weglaufen war nicht zu denken, denn seine Beine bewegten sich nicht einen Inch von der Stelle. Sie waren schwer wie Blei und schienen am Boden angenagelt zu sein. Entsetzen packte ihn, als ihm klar wurde, dass es kein Entkommen für ihn gab. Er konnte nicht schreien, nicht weglaufen, und selbst wenn er es gekonnt hätte, die Holztür war zu und niemals hätte er sie öffnen können.

Er kam nicht weiter dazu, über seine aussichtslose Lage nachzudenken, denn in diesem Augenblick vernahm er ein Geräusch hinter seinem Rücken. Ja, da war etwas, er hatte sich nicht verhört.

Ganz langsam drehte er sich herum. In dem Halbdunkel des Raumes erkannte er das metallische Sägeblatt, welches er nur zu oft schon in seinen Träumen gesehen hatte. Das Licht des Vollmondes, das durch ein Fenster hereinfiel, erzeugte einen blinkenden Schein auf dem kalten tödlichen Stahl, der ihn blendete. Schützend legte er seine Hände vor das Gesicht.

»Nein!«, schrie Gabham verzweifelt. »Nein, bitte ... nicht!«

Seine verzweifelten, flehenden Worte wurden von den Wänden der leeren Vorhalle zurückgeworfen und verhallten ungehört. Dann bemerkte er einen Schatten über eine Wand huschen. Er erfasste sofort dessen Bedeutung. Aus irgendeinem verrückten Grund fiel ihm ein Zitat von Johannes Mandakuni ein: »Ungewiss ist der Tag des Todes, unbekannt der Austritt aus der Welt. Wie Geburtswehen überfällt er dich und du findest keine Zeit zur Reue und zur Buße.« Weiter kam er nicht mehr, denn die Kettensäge sprang an. Das kreischende Geräusch dröhnte in seinen Ohren.

Panik stieg in ihm auf. Er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Jedes zielgerichtete und zweckmäßige Handeln war ihm unmöglich geworden.

Er versuchte erneut zu schreien, aber die Angst schnürte ihm sprichwörtlich die Kehle zu. Nur ein abgehacktes Krächzen kam über seine Lippen.

Schon sauste das schwere Gerät erbarmungslos auf ihn zu!

Er spürte den unbeschreiblichen Schmerz als die scharfen Sägezähne, der rasend schnell umlaufenden Kette, seinen Kopf trafen …

Gleich darauf schwanden ihm die Sinne …

Die Welt um ihn herum wich der Schwärze einer erlösenden Bewusstlosigkeit …

… seinen Aufprall auf dem harten Boden spürte er nicht mehr.



Kapitel 9

D

etective Chief Inspector Isaac Blake saß erneut an seinem Schreibtisch im Yard und blätterte in einem Stapel Akten. Was anderes konnte er im Augenblick nicht tun. Über den gesamten Tisch waren Ordner und Aktenbündel ausgebreitet. Er hatte sich alle Unterlagen aus dem Archiv kommen lassen, von denen er sich auch nur im Entferntesten erhoffte, dass sie ihm in irgendeiner Weise weiterhelfen konnten. Insgeheim wünschte er sich, in all diesen Papieren einen Hinweis auf ähnliche, früher verübte Verbrechen zu finden – irgendeinen Anhaltspunkt, der ihn auf die richtige Spur brachte. Den überwiegenden Teil der Unterlagen hatte er inzwischen durchgesehen, aber etwas, das für ihn wirklich von Bedeutung hätte sein können, war nicht dabei gewesen.

Missmutig darüber klappte er den vor ihm liegenden Aktendeckel zu. Er war abgespannt und müde – ihm brannten die Augen. Die letzten sechsunddreißig Stunden hatte er ein wahres Mammutprogramm absolviert. Aktuell tendierte der Energiestatus seiner inneren Batterie gegen Null. Seine Konzentration war schlicht dahin. Erschöpft lehnte er sich in seinem Schreibtischsessel zurück, legte entspannt die Beine auf eine Ecke der Tischplatte und steckte sich eine Zigarette an. Unzufrieden mit sich selbst, trotz intensiver Arbeit kein Stück weitergekommen zu sein, blies er den blauen Rauch gegen die Zimmerdecke. Das Denken fiel ihm schwer. Alles was er jetzt brauchte, waren ein paar Stunden Schlaf. Entschlossen leerte er seine Tasse Kaffee, drückte die Zigarette nach ein paar Zügen im Aschenbecher aus und verließ das Büro. Im Vorzimmer nahm er seinen Mantel von der Garderobe und schlüpfte hinein.

»Wird auch Zeit, dass Sie eine Pause machen«, bemerkte Laureen Marshall fürsorglich. »Ich hoffe doch, dass Sie auch wirklich nach Hause fahren!« Sie hatte ihre Hand etwas angehoben und drohte leicht mit dem Zeigefinger. Ein verschmitztes Lächeln umspielte ihre Mundwinkel.

»Versprochen!«, schmunzelte er, gegen ein aufkommendes Gähnen ankämpfend.

Mit schleppenden Schritten verließ er das Büro, durchquerte den Flur und fuhr mit dem Fahrstuhl nach unten. Im Untergeschoss, auf dem Weg zu seinem Wagen, traf er auf Cyril McGinnis, der ihm mit einer überdimensionalen Fastfood-Tüte einer Burgerkette entgegenkam.

»Darf ich fragen, wo es hingeht?«, erkundigte er sich.

»Du darfst«, entgegnete Blake. »Mir brennen die Augen … denke, ein wenig Augenpflege ist jetzt angebracht. Ich brauche dringend eine Mütze voll Schlaf. Außerdem höre ich meine Badewanne laut nach mir rufen.«

»Du solltest diesem Ruf folgen! Hast du mal an deinem Hemd gerochen? … Du lockst schon Schakale an!«, grinste McGinnis. Spöttelnd fügte er hinzu: »Lass Dich auf Deinem schweren Gang durch nichts aufhalten.«

Damit war er an ihm vorbei und im Fahrstuhl verschwunden. Blake, der gedanklich schon entspannt in seiner Wanne saß, hatte die letzten Worte seines Kollegen nur noch bruchstückhaft mitbekommen.

Zwei Minuten später ließ er sich in die Polster seines, auf Hochglanz polierten, schwarzen Austin Healey fallen und steuerte den Oldtimer auf direktem Weg nach Hause. Per Fernbedienung öffnete er das elektrische Doppeltor seiner Garage und fuhr sein ›Pig‹ hinein. Den Spitznamen hatte der Austin von der Liebhaberszene erhalten, weil er dazu neigte, schnell mit dem Heck auszubrechen. Der Wagen war deshalb ziemlich unberechenbar, schwer auf der Straße zu halten und verlangte stets die volle Aufmerksamkeit des Fahrers.

Aber nichtsdestotrotz liebte er dieses Auto. Und bis vor kurzem verbrachte er jede freie Minute damit, es zu hegen und zu pflegen. Doch dann war sie in sein Leben getreten.

Kimberly!

Dieses feengleiche Wesen mit ihren Augen, so blau, wie die kristallklaren Seen der schottischen Highlands, wo sie herstammte.

Die Garage war leer. Der rote Ford Mustang GT seiner Verlobten stand nicht an seinem Platz.

Schade, dachte er, nur zu gern hätte ich dich jetzt in den Arm genommen.

»Du hast vermutlich in der Uni zu tun«, murmelte er halblaut beim Aussteigen vor sich hin.

Kimberly Kincaid hatte Literaturwissenschaft studiert und arbeite regelmäßig als Gastdozentin an verschiedenen Universitäten in England und ihrer schottischen Heimat. Entsprechend war sie häufig unterwegs und zumeist gleich für mehrere Tage abwesend. In manchen Monaten sahen sie sich kaum. Umso mehr genoss er jede freie Stunde, die er mit ihr gemeinsam verbringen konnte.

Durch die Garage gelangte er unmittelbar in den Flur seines Hauses im Stadtteil ›Mayfair‹. Blake ging zunächst ins Bad, ließ Wasser in die große Eckbadewanne einlaufen und begab sich im Anschluss ins Schlafzimmer. Seine schwer an MS erkrankte Schwester, die im Obergeschoss wohnte, wusste er in den guten Händen eines Teams aus erfahrenen Pflegekräften, von denen er jede einzelne schon seit vielen Jahren kannte.

Er schloss das gekippte Fenster und ließ die Jalousie halb herunter. Aus dem Wandschrank nahm er sich einen frischen Pyjama. Eigentlich war er ein echter Nacktschläfer, aber seit Personal im Haus war, waren Schlafanzüge zu einer leidigen Pflicht geworden. Nachdem er schon einmal das Bettzeug aufgedeckt hatte, huschte er zurück ins Bad. Inzwischen war die Wanne ausreichend gefüllt. Er testete kurz mit einer Hand die Temperatur. Sie war genau richtig. Blake knöpfte sein Hemd auf, knüllte es zusammen und warf es in einen Wäschekorb – gleiches tat er mit den übrigen Sachen.

Dabei fiel sein Blick auf Kimberlys Bluse darin. Er nahm sie heraus und presste sie lächelnd an sein Gesicht. Ein wohliger Geruch kam ihm entgegen. Die Unaufdringlichkeit von ›Jill Sander No. 4‹, Kimberlys Lieblingsparfüm, und ihrem eigenen Duft. So sanft und so weiblich.

Seufzend warf er die Bluse zurück, bevor er in die Wanne stieg. Er stützte sich mit den Händen ab und ließ sich sanft in das warme Wasser hineingleiten.

Dann schloss er die Augen und rief sich Kimberlys zarte Gestalt vor Augen.

Wenn sie schon nicht zugegen ist, dann möchte ich wenigstens ein wenig von ihr Träumen, dachte er lächelnd.

Nach einer gefühlten halben Stunde verließ er die Wanne. Das Bad hatte ihm gut getan. Er schlüpfte in seinen Schlafanzug, machte noch einen Abstecher in die Küche, wo er sich einen fingerbreiten Scotch gönnte. Danach war es Zeit für eine Mütze Schlaf. Kaum hatte er sich eingekuschelt, fand er sich auch schon im Land der Träume wieder.


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