Schöne Festtage

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„Hmm, ja – Matjes in Mayonnaise oder so, das würde das ewige Knäckebrot wirklich aufwerten. Da kann man nichts machen. Siehst du im Kofferraum noch was?“

„Nein, nur den Reservereifen und die Ketten.“

„Schade.“

Wir breiteten unsere Beute auf dem großen Tisch aus und beschlossen, um neun zu Abend zu essen – Äpfel, Pralinen, Gummibärchen und eine Tüte Chips - und kurz vor zwölf den Sekt aufzumachen. Aber zuerst mussten wir wieder einmal einheizen. Ich stellte zur Feier des Tages mehr Teelichte auf, die konnten die Wärme auch noch steigern.

„He – und ich hab ja ein paar Raketen dabei!“

„Also eigentlich haben wir jetzt alles, was wir brauchen, abgesehen vom Schaumbad und vom Schnitzel.“

„Dusche und Hendl“, widersprach er schon wieder.

„Pass auf“, schlug er dann vor, „wenn die uns am Dienstag hier herausholen – an morgen glaube ich nicht so recht -, dann kehren wir unterwegs ein und schlagen uns den Bauch mit frittiertem Mist so richtig voll.“

„Au ja!“

Der Gedanke munterte mich gewaltig auf. Ich machte es mir mit einem neuen Kaffee und der Zeitung gemütlich, nachdem ich Tarek großzügig den Sportteil überlassen hatte – so was las ich ohnehin nicht. Als ich alles durchhatte, inklusive der mazedonischen Innenpolitik und der Briefe an den Bayernteil, aber ohne die Anzeigen, war es schon fast Zeit fürs Abendessen. Gemeinsam deckten wir den Tisch so schön wie möglich – mit dieser Souvenirsammlung war nicht viel möglich und den Sekt würden wir stilecht aus alten Senfkrügen trinken müssen - machten uns ein bisschen frisch und aßen dann feierlich zuerst Äpfel, Chips und Gummibärchen. Um die weißen stritten wir uns, die gelben hoben wir für eine ganz arge Hungersnot auf. Danach lösten wir unter viel Gezänk das Kreuzworträtsel in der Zeitung und spielten schließlich Karten und futterten dabei die Pralinen. Heute stellte er sich schon intelligenter an, ich konnte ihn nur mit Mühe abhängen – und dann scheiterte ich mehrmals an zwei Runs und einem Set, so dass er an mir vorbei zog und ich schon wieder überlegen musste, wie ich ihn beleidigen konnte. Ach nein, ich sollte es mir verkneifen, sonst nahm er den Sekt in sein Schlafzimmer mit und ich schaute in die Röhre. Und für die Raketen brauchte ich ihn auch. Also stichelte ich nur ganz vorsichtig und nahm die Retourkutschen gelassen hin.

Tatsächlich gewann er und triumphierte schamlos.

„Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn...“, murmelte ich und zählte die Punkte zusammen.

„Nur kein Neid, man muss auch mal einen überlegenen Geist anerkennen.“

„Ha! Hast du überlegen gesagt?“

„Sicher!“

„Auto-Aufräumer!“

„Gehört das zur Weichei-Liste?“

„Hab ich gerade hinzugefügt. Ich muss immer noch an den Matjes denken.“

„Vergiss ihn, den hab ich am Freitag zum Frühstück verspeist, da war er ziemlich notwendig.“

„Glühwein satt?“

„So ähnlich. Es ist übrigens halb zwölf. Wir sollten uns mal einen Platz für die Raketen suchen.“

Draußen schaufelten wir ein bisschen herum – nicht, dass wir noch die Hütte abfackelten – und rammten die ersten Raketen in den fest getrampelten Schnee. Aus der Richtung von Neufinsterbach stiegen schon die ersten Leuchtkugeln auf, zwischen den kahlen Ästen waren sie schwach zu erkennen. Und ein wunderbarer Vollmond hing zwischen den Bäumen. Eine klare Nacht – und eiskalt!

Wir schlüpften in unsere Anoraks und holten die Flasche und die Gläser, außerdem noch einige Teelichte. Alles landete auf dem verschneiten Tisch neben der Haustür. Ich brachte noch schnell das Radio und suchte nach einem Sender, der die Zeit herunterzählte. Noch war überall Partymusik. Da, der ging einigermaßen klar herein! Tarek öffnete die Flasche, ich zündete die Teelichte an. Tolle Stimmung, aber grauenhaft kalt. Die Musik brach ab und man hörte stark angeheiterte Stimmen den Countdown herunterzählen. Tarek schenkte ein. Bei null stießen wir an.

„Ein gesundes neues Jahrtausend“, kicherte ich und nahm einen großen Schluck.

„So ein blöder Wunsch!“

„Eben, der ist doch gut doof.“

„Ein gutes neues Jahr“, antwortete der Spießer und trank. Dann stellte er sein Glas ab und startete die erste Rakete. Zischend erhob sie sich und ergoss einen Regen von lila Funken in den Himmel. Alle waren lila! Was hatte er sich denn da für ein Sonderangebot aufschwatzen lassen? Ich hielt aber den Mund, um die Stimmung nicht zu versauen - man sollte ein neues Jahrtausend nicht mit einem Krach anfangen.

„Ziemlich viel lila“, meinte er dann selbst zweifelnd.

„Sieht doch hübsch aus. So feministisch!“

„Großer Gott!“ Er warf mir einen angewiderten Blick zu. Hatte ich es doch wieder geschafft!

Er trat zum Tisch und schenkte uns nach. „Auf unsere baldige Rettung!“

Darauf stieß ich gerne an und trank durstig. Er nahm mir das Glas schließlich aus der Hand, stellte es neben seins auf den Tisch und packte mich an den Schultern.

„Wirklich – ein schönes neues Jahr, Nora!“

Dann küsste er mich. Zuerst war ich verblüfft, aber er fühlte sich so warm und fest an, dass sich meine Lippen wie von selbst öffneten und sich meine Hände ohne mein Zutun um seinen Hals schlangen. Er ließ meine Schultern los und drückte mich in Taillenhöhe an sich. Unsere Anoraks knirschten gegeneinander, während seine Zunge in meinen Mund fuhr und ich seinen erforschte. Er schmeckte nach Sekt, ich wahrscheinlich auch. Er stöhnte leise, aber als seine Hände noch tiefer glitten, löste ich mich vorsichtig von ihm.

„Ich wünsche dir auch ein perfektes neues Jahr – alles, was du dir wünschst...“ Ein bisschen verlegen brach ich ab.

Er seufzte. „Du hast Recht – wir sollten uns von dieser Ausnahmesituation nicht hinreißen lassen. Komm, gehen wir rein, es ist saukalt hier draußen.“

Drinnen sahen wir uns beide etwas irritiert an. Ich verstand mich selbst nicht. Er war nicht mein Typ, und er nervte mich fast ununterbrochen. Und er mochte mich doch auch nicht. War das das Einsame-Insel-Syndrom? Aber schon nach zwei Tagen? So notgeil war ich wirklich nicht! Und er – war ihm einfach das übliche Silvesterbussi etwas ausgeufert?

Ich seufzte leise und schenkte mir nach. Dieser Kuss war das Dümmste gewesen, was wir tun konnten. Jetzt sah ich ihn mit ganz anderen Augen und konnte mir den Gedanken nicht verkneifen, wie es mit ihm wohl im Bett wäre. Und seinem glitzernden Blick entnahm ich, dass er Ähnliches dachte. Wir mussten es noch mindestens einen Tag miteinander aushalten, solche Komplikationen konnten wir nicht gebrauchen. Ich sah ihm in die Augen. „Vergiss es“, sagte ich dann leise. „Keine Sorge“, antwortete er genauso leise und räusperte sich. Dann, mit normaler Stimme: „Spielen wir noch was?“

„Gut.“

Nach den ersten Runden hatten wir aber beide keine rechte Lust mehr. Die Flasche war leer, die Pralinenschachtel auch. „Ich glaube, ich gehe ins Bett. Träum was Schönes. Was man in der ersten Nacht des Jahres träumt, geht in diesem Jahr in Erfüllung“, behauptete ich kühn. Ich erfand gerne Bauernregeln und alte Bräuche.

Er nickte, als sei ihm das bekannt. „Du auch! Gute Nacht...“

Ich verzog mich in die Kammer, in der es höchstens noch fünf Grad hatte. Bibbernd schlüpfte ich in mein wallendes Nachthemd und breitete alles andere über der Bettdecke aus, dann putzte ich mir flüchtig die Zähne und fuhr mit einem Wattebausch voll Tonic über mein Gesicht. Ich schlief sofort ein, das war wohl der Sekt auf halb leeren Magen.

Mitten in der Nacht schreckte ich hoch. Was hatte ich denn da für einen Schwachsinn geträumt? Tarek kam drin vor, ein großer Garten, eine Hochzeit – aber den Zusammenhang konnte ich nicht mehr herstellen, ich hatte nur lose Bilder. Grummelnd drehte ich mich um, stopfte alles Wärmende wieder fest und schlief weiter. Tarek kam nicht mehr vor, aber ich hatte plötzlich eine winzige Katze, die ich mit der Flasche großziehen musste – und dabei war ich doch allergisch gegen Katzenhaare! Und Windeln trug das kleine Biest auch noch. Sogar im Traum überlegte ich noch, warum ich kein Katzenklo aufstellte, und entwickelte eine abstruse Begründung dafür.

Als ich wieder aufwachte, schüttelte ich den Kopf. Was für ein Blödsinn! Eine Katze mit Windeln! War sie inkontinent? Gab´s das bei jungen Tieren schon? Tarek fragen, der war doch Biologe. Neun Uhr... Das Zimmer war unerträglich kalt und ich war stark in Versuchung, mich überhaupt nicht zu waschen, sondern mich unter der Bettdecke anzuziehen. Nix! Ich rief mich energisch zur Ordnung: Ungewaschen würde ich mich nur unbehaglich fühlen. Und vielleicht stand mir noch eine Nacht hier bevor...

Das Wasser biss wie Eis auf der Haut, aber ich blieb tapfer und schrubbte mich ziemlich gründlich, dann suchte ich nach meinem vorletzten frischen T-Shirt und frischer Wäsche. Die Thermohose musste schon wieder dran glauben, die anderen Jeans waren mir zu dünn. Ein dünner Pullover und darüber ein dickerer, dazu einen Schal, zwei Paar Socken und die Stiefel. Langsam ließ das Zähneklappern nach, und ich konnte meine Haare bürsten und flechten. Der Pickel war weg, wahrscheinlich ausgehungert. Ich cremte mich dünn ein und ging dann hinaus, um Kaffee zu kochen.

Das Feuer war aus. Ich entfachte es neu mit dem Sportteil und opferte auch noch die Inserate, um es schneller zum Brennen zu bringen. Wie viel Holz hatten wir noch im Schuppen? Draußen war es strahlend schön, aber beißend kalt. Der Schnee funkelte in der Sonne, der Himmel war knallblau, und die Raketenreste in ihrem Himbeerton wirkten auf dem zertrampelten Schnee richtig geschmackvoll. Noch zwölf Scheite, sechs für jetzt, sechs für später, für heute Abend...

Drei Scheite schichtete ich noch in den Kamin, das reichte zunächst, fand ich. Dann packte ich doch mein Strickzeug aus, im Moment war es wirklich hell genug, und arbeitete weiter an einem Prachtstück aus silbernem Seidengarn mit einem aufwendigen Lochmuster. Ich schaffte zwanzig Reihen, dann frühstückte ich einen weiteren Müsliriegel - nachgerade konnte ich das Zeug nicht mehr sehen – und strickte wieder munter weiter. Schließlich legte ich das Strickzeug beiseite und überlegte, ob ich schon einmal alleine bis zur Biegung gehen sollte, um zu gucken, ob sich schon etwas rührte. Ich könnte auch die anderen aus ihrem Neujahrsschlaf reißen, malte ich mir bösartig aus. Bevor ich zu einer Entscheidung kam, tappte Tarek herein und trank gierig einen Becher Kaffee.

 

„Kater?“

„Nur ein bisschen Durst. Guten Morgen übrigens.“

„Morgen. Und, was hast du geträumt?“

Er warf mir einen schwer deutbaren Blick zu. „Von dir.“

„Details!“

„Lieber nicht, es sind Damen anwesend. Und du?“

„Wieso – oh!“ So ein altes Ferkel!

„Männer träumen eben nicht originell. Bei mir kam eine kleine Katze vor, die ich mit der Flasche großziehen musste. Und seltsamerweise trug sie Windeln. Leider weiß ich nicht mehr, warum eine Kiste Katzenstreu nicht in Frage kam. Gibt es das? Inkontinenz bei jungen Tieren? Du bist doch Biologe?“

„Ich hab jedenfalls noch nie davon gehört. Hm, dann wollen wir den Traum mal deuten, ja?“

„Im Freudschen Sinne? Bloß nicht!“

„Nein, nur logisch. Flasche und Windeln – das deutet eher auf ein Baby hin. Du hörst wohl deine biologische Uhr schon ticken? Soll doch bei Frauen in deinem Alter öfter vorkommen.“ Ich stand auf, um mir neuen Kaffee zu nehmen und trat ihm dabei fest gegen das Schienbein.

„Au!“

„Das war für die biologische Uhr. Ich bin weder so alt noch so besessen von Nachwuchs. Lieber die Chefredaktion!“

„Ja – du gestehst dir diesen Wunsch nicht ein, deshalb wurde im Traum eine Katze daraus, ein Katzenbaby. Dein Unterbewusstsein sperrt sich.“

„Du Hobbypsychologe – gehört das zum Grundkurs Verhaltensforschung?“

Er lachte und trank seinen Kaffee aus, dann packte er den alten Schokoriegel aus und brach ihn in der Mitte durch.

„Hier! Viel verstehe ich nicht von Traumdeutung – aber das war ja wirklich nicht schwer.“

So ein Schwachsinn – Kinder! Vielleicht in fünf Jahren... Und von wem überhaupt? Ich kannte nur furchtbare Kerle. Wenn der ganze Haufen beieinander war, den ich durch Silke und Karen kannte, wuselten außerdem genug Kinder herum. Und meine Kolleginnen – die würden den Teufel tun, dann wäre es ja mit den Partys vorbei. Wieso beschäftigte mich diese Idee überhaupt? Weil Neujahr war?

„Komm, gehen wir gucken, ob sich was rührt!“, schlug ich vor, und Tarek griff nach seinem Anorak.

Vor der Tür blinzelte er und setzte eine Sonnenbrille auf.

„Toller Tag, so kann das neue Jahr ruhig anfangen. Hast du keine Brille? Das Glitzern kann gefährlich sein, die Netzhaut -“

Schnell setzte ich die Sonnenbrille auf, bevor er mir noch einen Biolehrervortrag hielt, und stapfte energisch zum Beginn der Straße. Wir schritten vergnügt aus, wirklich ein herrliches Wetter, und gelangten zur Schneemauer. Mit vereinten Kräften traten wir einige Stufen in die Mauer, so dass wir wenigstens darüber hinwegspähen konnten.

„Da unten ist was Gelbes – sieht nach einem Bauhoffahrzeug aus“, berichtete ich Tarek, der mich stützte, und sprang wieder auf den Boden. Ein Aufjaulen bestätigte das.

„Genau – eine Kettensäge, die schaffen die Bäume weg. Na, wenn sie noch eine Stunde für den Baum da unten brauchen, jetzt ist es zehn... Lagen noch mehr Bäume auf dem Weg?“

„Zwei. Ziemliche Trümmer.“

„Elf – zwölf – eins, zwei Stunden für die Mauer, drei – morgen früh, würde ich sagen. Bevor die alles weggeschafft haben, ist es wieder dunkel. Und die Leute sind sicher auch schon müde.“

„Aber morgen früh sitze ich ab acht mit gepacktem Koffer und freigelegtem Auto da und warte!“, kündigte ich an.

Er tippte mir auf die Nase. „Was glaubst du, was ich morgen tue? Vergiss die Schnitzelorgie nicht!“

„Wie könnte ich! Ich hab so Hunger!“

Wir stiegen den Berg wieder hinauf und kehrten in die warme Hütte zurück. „Noch acht Müsliriegel, gelbe Gummibärchen, ein Packet Knäcke, eine Tüte Chips und ein Schrumpelapfel. Wünschen gnädige Frau einen Menüvorschlag?“

„Teilen wir uns den Apfel, ja?“

Er schnitt ihn mit dem Taschenmesser durch und reichte mir die Hälfte. Ich aß gierig und nagte den Butzen so sorgfältig ab wie noch nie im Leben.

„Warum sagst du immer gnädige Frau und euer Gnaden?“

„Bist du nicht was Besseres?“

Ich schaute dumm. „Inwiefern? Du bist doch der Akademiker!“

„Aber du bist adelig!“

„Ja und? Bin ich deshalb irgendwie anders? Nur weil mein Nachname aus zwei Worten besteht?“

„Wohl nicht. Was bist du eigentlich?“

„Bitte?“

„Na, eine Komtesse oder eine Baronesse oder was?“

„Jetzt pack mal deine Märchenbücher weg. Gar nichts. Ich glaube, die Familie wurde von Kaiser Wilhelm geadelt. Mein Ururopa war vorher Kommerzienrat. Das von kam den Kaiser wahrscheinlich billiger als eine Steuerermäßigung. Warum fasziniert dich das so?“

„Lebt man dann irgendwie anders?“

„Ich weiß nicht. Mein einer Bruder züchtet Pferde, auf dem Gut meiner Eltern, der andere ist Anwalt, da kommt das von ganz gut auf dem Kanzleischild. Und Pullis entwerfen, Artikel schreiben und Shootings organisieren könnte ich auch so. Ich lasse das von ohnehin meistens weg.“

„Musst du dann eines Tages einen Adeligen heiraten?“ Ich verschluckte mich fast an meinem Rest Kaffee.

„Sag mal, was liest du eigentlich? Courths-Mahler? Natürlich nicht, meine Eltern mischen sich nie in meine Angelegenheiten ein. Ich könnte auch mit einem Alternativen im Wendland leben und zehn kleine Castorkämpfer großziehen – ohne Trauschein – und sie wären nicht sauer. Ehre der Familie oder so? Wirklich nicht!“

„Hätte ja sein können. Ich kannte in meiner Schulzeit mal eine, die blieb praktisch immer in ihren Kreisen.“

„Schön blöde, da war es sicher erzlangweilig.“

„Das war sie selbst auch“, bekannte er und grinste etwas schief. Wir spielten den Nachmittag über wieder verbissen Trivial Pursuit. Dieses Mal gewann ich, aber auch nur knapp. Ich versuchte danach noch ein bisschen zu stricken, aber für das komplizierte Muster war es nicht mehr hell genug. Ich fröstelte und legte noch etwas Holz nach.

„Sieben Scheite haben wir noch – und hinter dem Küchenschrank habe ich noch ein paar Spanholzkisten gefunden, die verheizen wir auch, ja?“

Ich war einverstanden. „Wenn du die Zeitung durchhast, nehmen wir sie zum Anzünden. Mir graust so vor heute Nacht, in der Kammer wird es täglich kälter.“

„Bei mir schließt das Fenster nicht richtig“, jammerte er.

„Und meins ist nicht dicht“, trumpfte ich auf.

„Und wer ist jetzt ärmer dran?“, feixte er. Ich knuffte ihn gegen den Arm.

„Wir sind bescheuert“, stellte er dann fest.

„Ist das was Neues?“

„Warum schlafen wir in diesen eisigen Kammern? Wir könnten den ganzen Kram doch auch hier vors Feuer zerren, Matratzen, Bettzeug und so weiter. Dann hätten wir wenigstens die Restwärme. Und der Raum ist nicht so ausgekühlt.“

Das klang eigentlich ziemlich schlau. Ein bisschen zanken könnte man sich dann auch noch, und wenn dem anderen die ultimative gemeine Antwort eingefallen ist, stellt man sich einfach schlafend, so dass er nie weiß, ob der Geistesblitz überhaupt gewürdigt wurde, überlegte ich mir erfreut.

„Aber erst gehen wir noch mal gucken, wie weit die Leute gekommen sind, ja?“

In der Dämmerung kletterten wir wieder über den Schneewall und die Baumwurzel und guckten nochmal über die Mauer. Die war unübersehbar noch da, aber die Bäume waren aus dem Weg geschafft, und ein großer Schneeräumer war direkt hinter der Mauer abgestellt. Morgen früh...

Zufrieden stapften wir zurück, spielten noch ein bisschen und räumten dann den Platz vor dem Kamin frei.

„Ich hab Hunger“, jammerte Tarek.

„Sag bloß? Du kannst die gelben Gummibärchen haben – und Knäckebrot. Und die letzten Chips teilen wir uns.“

Einträchtig futterten wir die Chips und stellten so viele Teelichte auf, dass der Raum schon von daher fast lauwarm wurde. „Wieso heißt du eigentlich Tarek?“, wollte ich dann wissen.

„Ich komme aus dem Bayerwald, da ist das häufiger. Meine Mutter ist Tschechin.“

Ich nickte. „Habt ihr einen Hof?“

„Wie kommst du denn darauf?“

War das schon wieder falsch?

„Ich dachte nur, das ist doch eine eher bäuerliche Gegend, und du wirkst so naturverbunden...“

„Voll daneben, Nora, wie immer. Mein Vater ist der stellvertretende Leiter der örtlichen Kreissparkasse, und meine Mutter ist Hausfrau. Meine beiden älteren Schwestern sind verheiratet, kinderreich und berufstätig, und keiner von uns kann eine Kuh melken. Du etwa?“

Ha! „Ich schon.“

„Du Stadtpflanze?“

„Ich mag ja eine Stadtpflanze sein“, entgegnete ich mit dem letzten Rest Würde, „aber ich bin auf dem Land aufgewachsen. Und meine Eltern halten zwar keine Kühe, aber die Nachbarn schon. Und da hab ich´s gelernt.“

„Respekt! Wo auf dem Land?“

„Auf halbem Weg zwischen Leisenberg und München, bei Geresing.“

„Kenn ich nicht“, musste er zugeben.

„Kennt keiner, denk dir nichts. Und ich möchte da auch nicht mehr leben. Für Kinder ist es toll, vom Schulweg mal abgesehen, aber jetzt ist mir die City doch lieber.“

„Wo wohnst du eigentlich in der Stadt?“

„Avenariusgasse, hinter dem Theater.“

„Sicher ein cooles Loft“, murmelte er.

„Blödsinn, eine stinknormale Dreizimmerwohnung – naja, eher dreieinhalb. Mit Balkon.“

„Für so spießig hätte ich dich gar nicht gehalten.“

Diese Ratte! Ich legte den Kopf schief. „Darf ich raten? Du siehst nach Reihenhaus aus, also wohnst du wahrscheinlich in einer umgebauten Tankstelle oder in einem Luxusappartement.“

„Alles falsch. Nora, du lernst es nicht mehr. Holzhäuschen mit Obstgarten, an der äußeren Kirchfeldener Landstraße. Wieso Reihenhaus?“

„Ordentlich, frische Luft, ein Biologe muss einen Garten haben...“

„Wieso ordentlich?“

„Weil du dein Auto aufgeräumt hast.“

„Das ist nur, weil ich Beamter bin. Und zu den Kreativen wie dir gehört die rollende Müllkippe.“

„Also du hast genauso viele Klischees im Kopf wie ich. Dann brauchst du gar nicht so überlegen zu tun!“

„Ich bin überlegen. Ich bin ein Mann!“

„Du meinst, du hast ein größeres Hirn?“, fragte ich gefährlich ruhig.

„Klar!“ Er trank seinen Kaffee und beobachtete mich gelassen.

„Und ein Ochse hat ein noch größeres Hirn. Was sagt dir das?“

„Dass man verschiedene Gattungen nicht vergleichen kann.“

„Oh, du – du blöder Macho!“

Er lachte schallend. „Nora, krieg dich wieder ein, ich wollte dich doch nur ärgern. Die Sache mit dem physiologischen Schwachsinn des Weibes stammt seit heute aus dem vorletzten Jahrhundert, niemand glaubt das mehr. Nur du!“

Er duckte sich, als ich ihm einen Müsliriegel ins Gesicht warf. Dann fischte er ihn aus dem leeren Spülbecken, packte ihn aus und aß ihn. „Danke übrigens, ich hatte sowieso noch Hunger.“ Diesem Kerl war nicht beizukommen!

Er löste sich von der Küchenspüle. „Komm, räumen wir unsere Betten vor den Kamin, ja?“

Gemeinsam zerrten wir die klumpigen Matratzen aus den Betten und warfen sie vor den Kamin, das Bettzeug hinterher. Ich bugsierte meine direkt vor das Feuer. „He – und ich?“ Tarek schaute empört.

„Du kannst dahinter schlafen.“

„Aber da ist es viel kälter! Rück zur Seite, dann kann ich daneben.“

Ich zerrte ein bisschen herum, aber nebeneinander waren beide Matratzen nur noch am Rand des warmen Bereichs.

„Mist!“ Ratlos betrachtete ich mir das unbefriedigende Arrangement.

„Und wenn wir sie aufeinander stapeln?“

Ich sah ihn verächtlich an. „Wozu soll das gut sein?“

„Dann ist es von unten wärmer und wir wären beide nahe am Feuer. Zick nicht rum, Nora, ich tu dir schon nichts.“

Ich zog eine Augenbraue hoch. „Wenn du nicht willst, meine ich“, fügte er dann hinzu und grinste ein bisschen schief.

Die Idee hatte etwas für sich. „Dann hätten wir beide auch zwei Decken“, überlegte ich. „Wenn du deine Pfoten bei dir behältst – gut, machen wir es so.“

 

Also stapelten wir die Matratzen aufeinander und arrangierten das Bettzeug. Ich höhnte ein bisschen über seine Janosch-Bettwäsche: „Wie alt bist du eigentlich?“

„Jünger als du – aber ich steh auf ältere Frauen“, fügte er freundlich hinzu.

Ich warf ihm das Kissen an den Kopf. „Sicher hast du auch Plüschpantoffeln mit Bugs Bunny drauf?“

„Bugs Bunny? Der muss vor meiner Zeit gewesen sein...“ Ich gab es auf und verzog mich ins Schlafzimmer. Tareks Versprechungen traute ich genauso wenig wie meiner eigenen Standhaftigkeit, also wusch ich mich gründlich und schlüpfte in meine Flanellrobe und den Frotteebademantel. Aber vögeln würde ich nicht mit ihm, nahm ich mir vor, nur ein bisschen schmusen, damit uns warm wurde. Und anfangen musste schon er!

Frierend kam ich in den Wohnraum zurück. Tarek war verschwunden; sicher warf er sich in einen Frotteeschlafanzug mit Diddl-Muster, überlegte ich hämisch, als ich die Teelichte auf dem Metalltablett arrangierte, damit uns damit kein Malheur passieren konnte, und das Feuer noch ein bisschen schürte. Dann sicherte ich mir schnell die Bettseite, die näher am Feuer lag, und breitete den Bademantel über den Deckenberg.

Schnell wurde mir einigermaßen warm. Das hätten wir wirklich schon früher haben können, dachte ich schläfrig.

„Das hätte ich mir denken können“, murrte Tarek hinter mir, „dass du dir den besseren Platz schnappst. Dann muss ich eben näher rücken!“ Er schlüpfte hinter mich und stopfte die Decken wieder fest. Ich grunzte wohlig. Von vorne das Feuer, von hinten er - seine Körperwärme war recht angenehm. Auch der Arm, der fest um meine Taille lag. Ich döste weg und war schon fast eingeschlafen, als ich seinen Mund auf meinem Nacken spürte, warm und weich. Seine Zungenspitze liebkoste meinen Hals, und ich konnte ein leises Stöhnen nicht unterdrücken.

Der Griff seiner Hand wurde etwas fester, dann wanderte sie ein bisschen höher und umschloss über dem Nachthemd meine Brust. Gemein, wie sollte man solchen Berührungen widerstehen können? Ich kuschelte mich ein wenig enger an ihn und konzentrierte mich darauf, dass ich doch eigentlich schlafen wollte. Was ich aber an meinem flanellbedeckten Hinterteil spürte, machte mich sofort wieder hellwach. Tarek war ja außerordentlich animiert, wie es schien!

Langsam glitt seine Hand tiefer und zupfte an meinem Nachthemd herum, schob sich schließlich unter den Saum und arbeitete sich wieder nach oben. Fest und warm, kräftige Finger... Ich zitterte, als ich mir überlegte, wo ich diese Finger überall spüren wollte. Ich hob mich ein bisschen an und zerrte das Nachthemd etwas nach oben.

„Danke“, murmelte er leise in mein Ohr, nahm meine Hand und legte sie auf seine Schlafanzughose. O ja, sehr beeindruckend. Vorsichtig begann ich ihn durch den Stoff hindurch zu streicheln, während seine Hand meine nun nackte Brust umfasste und sein Daumen sich daran machte, meine Brustwarze zu reizen. Köstlich!

Ohne etwas zu sehen – außerdem hatte ich die Augen geschlossen, als sei ich gar nicht da – versuchte ich, die Knöpfe seiner Hose zu öffnen. Er half mir schnell, so dass ich ihn ohne den störenden Stoff liebkosen konnte. Dann schob sich seine Hand vorsichtig zwischen meine Beine und streichelte mich.

„Sag mir, wenn du das nicht willst“, flüsterte er heiser.

„Du merkst doch, dass das gelogen wäre“, antwortete ich patzig.

Er lachte leise. „Allerdings...“ Plötzlich ließ er mich los und setzte sich auf. Ich spürte die Kälte an meiner Rückseite.

„Was hast du?“

Statt zu antworten, zog er mich ebenfalls hoch und küsste mich dann heftig. Unsere Zungen umkreisten einander gierig. Dann löste er sich wieder von mir und sah mich an, ohne etwas zu sagen. Ich starrte zurück. Er sollte es sagen – und er tat es auch. „Ich will dich“, flüsterte er und starrte mich weiter an.

Ich schluckte. Irgendwie konnte ich nicht atmen, wenn er mich so ansah. Dann streckte ich die Hand aus, zog den Gummi aus seinen Haaren und fuhr durch seine Locken. Als ich seinen Kopf richtig umfasst hatte, zog ich ihn heftig an mich und küsste ihn erneut. Er ging begeistert darauf ein, aber dann riss er sich wieder los. „Heißt das ja?“

Ich nickte.

Er zog mir das Nachthemd über den Kopf und betrachtete meine Brüste. „Wunderschön...“

Seine Lippen schlossen sich um meine Brustwarze und ich spürte, wie meine Erregung anstieg. Die Kälte nahm ich nur noch am Rande wahr. Vielleicht war es hier auch wirklich wärmer...

Kurz sah er auf und lächelte, dann riss er sich den Schlafanzug vom Leib und schob sich über mich. Ich zog die Decken wieder über uns, während sein Kopf tiefer glitt und seine Zunge vorsichtig in mich eindrang.

„Komm wieder zu mir“, murmelte ich und er gehorchte. Während unsere Münder sich ineinander vergruben, konnte ich ihn vorsichtig streicheln, bis er tief aufstöhnte, ohne sich von mir zu lösen, und mit einem Knie meine Beine auseinander schob. Ich hob die Hüften etwas an, so dass er leicht in mich eindringen konnte. Fast sofort fanden wir einen gemeinsamen Rhythmus und ich seufzte glücklich. Hier gehörte er jetzt hin, da war ich mir ganz sicher. Seine langen Locken kitzelten mein Gesicht und meine Brüste, als er sich über mir bewegte und langsam schneller wurde. Mein Keuchen klang mir selbst laut in den Ohren, als ich spürte, wie der Orgasmus näher kam und mich schließlich erreichte. Ich schrie leise auf und sackte glücklich zurück, als ich die Erlösung spürte, und mit einem kehligen Stöhnen fiel er auf mich. Ich spürte, wie er sich in mich ergoss und umarmte ihn fest.

Nach einem Moment zog er sich vorsichtig zurück, küsste mich und fragte:

„Ist dir noch kalt?“

Ich kicherte. „Absolut nicht!“

„Sehr gut. Dann schlaf jetzt.“

Er drehte mich um, so dass er sich wieder von hinten an mich schmiegte, und hielt mich eisern fest. Die beiden Decken über uns, das Kaminfeuer vor uns, die langsam erlöschenden Teelichte auf dem Tisch – ich fror wirklich nicht mehr und döste langsam ein. Ich spürte noch im Halbschlaf, wie seine Hand erneut versuchte, meine Beine auseinander zu schieben. Verschlafen tat ich ihm den Gefallen und nickte halb ein. Erst als er ganz behutsam in mich hinein glitt, wachte ich wieder auf und passte mich träge seinem Rhythmus an. Seine Finger sorgten dabei dafür, dass mein Vergnügen genau so groß war wie seins. Nahezu stumm – offiziell schliefen wir ja wohl beide – kamen wir zum Höhepunkt und dann pennte ich endgültig ein.

Ich wachte auf, weil draußen eine Kettensäge arbeitete. Sofort schoss ich hoch, griff hastig nach meinem Nachthemd und rannte ins Bad, um mich flüchtig zu waschen. Dann zog ich mich mit fliegenden Fingern an und packte meinen gesamten Kram unordentlich in den Koffer. Zum letzten Mal schürte ich das Feuer, mit dem letzten Scheit, das noch dalag, und setzte Kaffeewasser auf. Mein Gepäck stellte ich neben die Tür, dann schlüpfte ich aus dem Haus, um zu gucken, wie weit unsere Retter schon waren. Die halb durchgegrabene Mauer stand noch, aber dahinter erhob sich gerade in freundlichem Gelb die Schaufel einer Planierraupe. Herrlicher Anblick!

Ich warf mein Gepäck ins Auto, sah auf die Uhr – halb zehn – und rannte wieder in die Hütte.

„Tarek! Tarek, wach auf, sie machen die Straße frei!“

Ich rüttelte ihn verzweifelt. Schließlich öffnete er die Augen und zog meinen Kopf zu sich herunter. Ich löste mich hastig wieder von seinem Kuss und spürte, wie mein Gesicht glühte.

„Los, zieh dich an und pack deine Sachen, sie sind bald da!“ Was hatte ich heute Nacht nur getan? Warum hatte ich mit diesem - diesem – ach, was wusste denn ich? – geschlafen? Das hatte doch überhaupt keine Zukunft! Bestimmt sah er das ganz genauso.

Ich wuselte aufgeregt durch die Hütte und sammelte den Abfall ein. Tarek stand stumm auf, nahm seinen Schlafanzug unter den Arm und wanderte in seine Kammer. Binnen kurzem stand er mit seiner Reisetasche wieder da, nach Rasierwasser und Zahncreme duftend. Ich reichte ihm wie üblich einen Kaffee.

„Danke“, sagte er tonlos und trank. Dann sah er auf und fixierte mich. Ich wandte mich ab und räumte weiter auf. Er hielt mich am Arm fest. „Nora? Bleib doch mal stehen!“