Louba der Spieler

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Kapitel 3





Das Zimmer unterschied sich sehr wesentlich von einer Mietwohnung, wie sie im Londoner Westend üblich ist.



Orient-Teppiche und stickereiverzierte Seidenstoffe lagen verstreut umher, arabische Sitzkissen aus Leder gab es im Überfluß. Neben einer breiten Ottomane stand ein Nargileh, dessen blaßblauer Rauch sich langsam zur Decke emporkräuselte. Die süßlich duftenden Rauchringe einer parfümierten Zigarette, die ein auf dem Fußboden kauerndes Mädchen zwischen den Fingern hielt, vermischten sich damit.



Die einzige Beleuchtung spendete eine grotesk getriebene Bronzelaterne, die an Ketten von der Decke herabhing. Ihr melancholisches, düsteres Licht fiel auf die glänzend schwarzen Haare eines Mannes, der neben der Wasserpfeife hockte. Seine westeuropäische Kleidung wurde durch einen bestickten Kaftan verdeckt. Für das Mädchen, dessen Träume von dem Zauber des Ostens durch die bizarren Effekte um sie herum in Erfüllung gegangen schienen, war er eine Gestalt von echtester Romantik. Sein gebrochenes Englisch paßte zu ihm und erhöhte den Reiz noch erheblich.



»Sie scheinen Kairo schon zu kennen?« bemerkte er eben.



»Nein, nur das wenige, was mir Jimmy von der Stadt erzählt hat. Er wußte immer so interessante Dinge.«



»Aber jetzt sind sie nicht mehr interessant?« fragte Louba.



Sie schnitt eine reizende kleine Grimasse.



»Er sprach bald nur noch über Mord und Totschlag und seinen Polizeidienst - kein Wort mehr von Romantik und Kairo und Bagdad. Lassen wir ihn aus dem Spiel! Wenn ich hier in diesem Zimmer bin, möchte ich vergessen, daß um uns herum London und England liegt. Ich möchte die langweiligen Spießbürger und ihre faden Vergnügungen vergessen und wenigstens für ein paar Stunden in einem Traum leben.«



»Es ist nett von Ihnen, zu erklären, daß ich schöne Träume für Sie mache. Sie bedauern doch unsere Zusammenkünfte nicht? Oder sind Ihnen die kleinen Unannehmlichkeiten, die Sie dabei in Kauf nehmen müssen, zuviel?«



»Mir ist alles egal, wenn ich nur ab und zu ein wenig hierher flüchten kann.«



»Schade, daß Sie dazu jedesmal entfliehen müssen«, murmelte er. »Wäre es nicht viel schöner, wenn Sie die ganze Zeit im Orient leben könnten? Wenn Sie sich nicht durch ein Zimmer mit orientalischen Teppichen und Schnitzereien täuschen lassen müßten, sondern mitten im geheimsten Herzen des Orients selbst wären? Eingetaucht in die Tiefen seiner jahrhundertealten Geheimnisse …«



»Bitte, nicht …! Sie machen mich ganz unglücklich! Das werde ich ja doch nie erleben - und möchte es so gerne.«



»Warum sollen Sie es nicht erleben, Kate? Nur die Fesseln der spießigen Gesellschaft, die Sie selbst verachten, halten Sie zurück!«



»Wer kommt?« unterbrach sie ihn erschrocken und hielt die Zigarette steif von sich weg.



Die Klingel hatte geläutet, und er wandte den Kopf.



»Ich erwarte niemand«, sagte er. »Miller wird schon aufpassen.«



Sein Diener Miller öffnete gerade zwei Herren, die er nicht gut von sich aus abweisen konnte, die Tür. Er bat sie, einen Moment zu warten, während er sie anmeldete.



»Wer ist da?« rief Louba, als der Diener an der Tür klopfte.



Das Mädchen sprang entsetzt auf, als es die Namen hörte.



»Papa und Jimmy! Um Gottes willen - lassen Sie mich weg! Wie komme ich hinaus?«



»Die Treppen können Sie nicht mehr benützen. Bleibt nur das Fenster. Vielleicht ist es besser, ich empfange die Herren erst gar nicht«, beruhigte sie Louba.



»Das geht nicht! Jimmy schöpft sofort Verdacht. Wie kann man durch das Fenster entkommen?«



»Über die Feuerleiter. Allerdings wird die Alarmvorrichtung läuten … Wenn Sie unten ankommen, müssen Sie schnell um die Hinterfront des Hauses herumlaufen, damit Sie niemand sieht. Keine Angst, es wird schon gutgehen.«



Er hatte das Fenster aufgeklinkt und zog wie besessen daran, um es zu öffnen. Alle Kraftanwendung nützte nichts, und er rannte zur Tür, vor der Miller wartete.



»Was ist mit dem Fenster los, Miller?« rief er hinaus.



»Der Riegel, Sir, der Riegel am unteren Rahmen!«



Louba lief zurück zu dem Fenster, vor dem schluchzend das Mädchen stand.



»Ist es nicht doch besser, wenn ich die Herren wegschikke?« flüsterte Louba und riß sich dabei die Finger blutig bei dem vergeblichen Versuch, den verklemmten Riegel zu lockern.



»Nein, nein!« Das Mädchen war völlig kopflos vor Aufregung. »Jimmy sah, wie wir einmal ein paar Worte miteinander wechselten - er wird etwas erraten. Ich muß fort, und wenn wir das Fenster einschlagen müssen!«



Endlich gelang es ihm, den Riegel hochzuziehen und das Fenster aufzustoßen. Ohne ein Wort des Abschieds stieg sie hastig auf den Sims und kletterte in wilder Eile die Feuerleiter hinunter. Die letzten Sprossen übersprang sie, nur einen kurzen Moment schrillte die zur Sicherung gegen Einbrecher dort angebrachte Alarmklingel, dann stand sie auf der Erde und verschwand gleich darauf in der nebligen Dunkelheit des Londoner Abends.



»Miller, lassen Sie die Leute herein«, rief Louba und öffnete die Tür.



Hastig wickelte er sich ein Taschentuch um den verletzten Finger und ging dann den Gästen entgegen.



»Entschuldigen Sie, daß ich Sie so lange warten ließ! Ich war ein wenig eingeschlafen … , aber ich freue mich sehr, Sie zu sehen - treten Sie doch näher.«



Die Besucher schienen etwas anderes erwartet zu haben, und nach ganz kurzer Zeit verabschiedeten sie sich wieder ziemlich verlegen.



Gleich nachdem die Tür zugefallen war, verflog die Höflichkeit auf Loubas Gesicht und machte einem mürrischen Ausdruck Platz. »Miller!«



»Jawohl, Sir«, der Diener erschien sofort.



»Warum war der Fensterriegel so verklemmt? Ich habe mir einen Nagel abgebrochen, bevor ich ihn verschieben konnte.«



»Ich hatte ihn mit dem Hammer festgeschlagen, Sir. Im Hinblick auf die Feuertreppe vor dem Fenster erschien mir das sicherer.«



»Mußten Sie das so machen, daß ich fast das ganze Gebäude aus dem Fundament heben mußte, um das Fenster öffnen zu können?« fragte Louba ärgerlich.



»An einem nebligen Abend wie heute kann man die Wohnung nicht fest genug verschließen, Sir«, entgegnete Miller mit einem schwachen Versuch, die Sache auf die leichte Schulter zu nehmen. Die schlechte Laune seines Herrn wurde dadurch nicht besser.



»Was soll denn das heißen?« rief Louba mißtrauisch.



»Nichts Besonderes«, erwiderte der Diener mit dem unschuldigsten Gesicht der Welt. »Ich meinte nur, daß Sie sich vor Einbrechern schützen sollten.«



Louba knurrte ungeduldig und ging ins Zimmer zurück.



Er blickte aus dem Fenster, verfolgte mit den Augen die schwachen Konturen der Feuertreppe. Allerdings, auf diesem Weg konnte man leicht einbrechen …



Langsam schloß er die Fensterflügel, zog die Vorhänge ganz dicht zu und ging dann zur Zimmermitte - dort blieb er stehen und kaute nachdenklich an einem Finger.



Er war ein vielgehaßter Mann. Es gab Leute … Ach was! Verächtlich zuckte er mit den Schultern.







Kapitel 4





Wenige Tage nach dem Vorfall in Loubas Wohnung unterhielt sich dasselbe Mädchen leise mit einem Mann in weißem Laboratoriumskittel, der ein Reagenzglas in der Hand hielt. Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne fielen durch die Milchglasscheiben des Fensters und warfen einen hellen Fleck auf das unscheinbare, fast häßliche Gesicht des Mannes.



Er gab sich offensichtlich den Anschein, mit dem Reagenzglas beschäftigt zu sein. Das Mädchen selbst stand gegen die halboffene Tür gelehnt und flüsterte hastig.



»Verstehen Sie doch, es ist besser, wenn Sie jetzt gehen«, sagte er, ohne den Kopf zu wenden. »Wir dürfen nicht im Gespräch miteinander ertappt werden.«



»Natürlich nicht - aber ich fürchte, er hat uns schon vorher miteinander sprechen sehen.«



Ein Geräusch hinter ihr ließ sie erschrecken und sich umdrehen. Sie blickte in die ernsten, gütigen Augen gerade des Mannes, von dem sie am wenigsten hier gesehen werden wollte.



»Oh, Papa … Ich hörte dich gar nicht kommen. Gerade wollte ich nach dir schauen«, stammelte sie. »Willst du nicht eine Tasse Tee trinken, bevor du wieder zu arbeiten anfängst?«



»Natürlich, Kate, gerne!«



Er wechselte ein paar Worte mit seinem Assistenten und ging dann mit dem Mädchen in die Wohnung hinauf.



»Ich dachte immer, du machst dir nichts aus Barry«, bemerkte er nach einer Weile, als sie am Tisch saßen.



»Zuerst war er mir auch unangenehm«, antwortete sie. »Aber ich glaube, ich habe nur seine Art mißverstanden.«



»Kann sein … Er muß hier noch eine ganze Menge lernen, wenn er auch ein guter Arbeiter ist. Pünktlich ist er gerade nicht.«



Nachdenklich runzelte er die Stirn. Sein Zweifel an der Redlichkeit Charles Berrys wuchs ständig. Wertvolle Instrumente waren seit dem Eintritt Berrys aus dem Laboratorium verschwunden.



Am nächsten Morgen stand Kate früh auf und schrieb einen Brief, den sie dann in ihre Handtasche steckte. Beim Fortgehen traf sie die Haushälterin.



»Miss Kate, gehen Sie schon aus?« wunderte sich die Frau. »Vor dem Frühstück?«



»Ja, ich muß. Ich gehe nach Covent Garden, um Blumen einzukaufen - dann treffe ich eine Freundin. Vielleicht bleibe ich sogar über Mittag weg«, gab sie zur Antwort und huschte aus der Tür.



»Na, sie macht ja öfters so komische Sachen«, brummte die Frau und blickte ihr nach.



Am Abend brachte die Post den Brief, den das Mädchen geschrieben hatte, bevor es weggegangen war. Der Umschlag trug den Poststempel Dover.

 



Charles Berry kam an diesem Tag nicht zum Dienst und wurde auch nie wieder im Hause seines Arbeitgebers gesehen. Nachforschungen nach ihm hatten keinen Erfolg.



Kate war indessen längst über alle Berge. Sie hatte Charles Berry, mit dem sie sich zuletzt ganz gut verstanden hatte, fast vergessen. Bei ihr war Emil Louba, der ihren Hang zur Romantik geschickt ausgenutzt hatte und dem sie bis hierher nach Kairo gefolgt war. Sie saßen jetzt nebeneinander auf einem der flachen Dächer und blickten auf das Labyrinth der engen Straßen hinab.



»Ich kann es kaum glauben, daß das alles echt ist!« rief Kate.



»Es ist echt, ganz echt«, erwiderte er stolz. »Du hast den grauen Alltag hinter dir gelassen und beginnst jetzt zu leben. Ich wußte, daß wir eines Tages zusammen hier sein würden.«



»Wie konntest du das denn wissen …?«



»Ich wollte dich hierherbringen, und was ich will, setze ich durch. Ich wollte dich von diesem Burschen fortholen …, und ich habe es fertiggebracht.«



»Meinst du Jimmy?«



»Ja.«



Er stieß das Wort bösartig hervor.



»Mein Gott, du sagst das in einem Ton, als ob du ihn geradezu haßtest. Jimmy hat dir doch noch nie etwas zu Leide getan.«



Er lachte leise und zuckte mit den Schultern.



Etwas später am Abend, als es kühler geworden war, gingen sie noch ein wenig im Bazar spazieren. Kate ließ sich ganz gefangennehmen von all den Merkwürdigkeiten. Selbst der schmierigste Bettler erschien ihr romantisch und ausgesprochen orientalisch.



Besonders das Feilschen hatte es ihr angetan. Diese orientalische Methode des Kaufens und Verkaufens fand sie reizend.



Dagegen nahm sie alles übel, was irgendwie englisch aussah. Den Herrn, dem man den Engländer von weitem ansah und der sie am Ärmel zupfte, als Louba einen Augenblick mit einem Händler in dessen hintere Verkaufsräume verschwand, bedachte sie mit einem sehr unfreundlichen Blick.



»Verzeihen Sie, brauchen Sie vielleicht irgendwelche Hilfe?« fragte der Mann etwas verlegen und zugleich eifrig. »Sie scheinen ganz allein hier zu sein - nur mit Louba. Wir sind weit entfernt von England, und …«



»Wir sind zwar weit genug von England entfernt, aber das ist noch lange kein Grund zur Aufdringlichkeit«, versetzte Kate zornig. »Ich kenne Sie ja gar nicht.«



»Das stimmt. Dafür kenne ich Louba, und Sie sehen nicht gerade so aus, als ob er die richtige Gesellschaft für Sie wäre.«



»Ich kenne ihn gut genug, um seine - Freundschaft zu schätzen«, sagte sie und wandte sich empört ab.



»Natürlich, ich bin ein Fremder für Sie«, entgegnete er ruhig. »Und ich kann Sie nicht darum bitten, mir zu vertrauen. Dennoch möchte ich Ihnen raten - fahren Sie so schnell wie möglich nach Hause. Ganz egal, was Sie dort erwartet; verlassen Sie Louba, solange Sie noch was vom Leben erwarten.«



Bevor sie antworten konnte, trat er schnell einen Schritt zurück, versteckte sich hinter einem Stapel von Teppichen und war im nächsten Augenblick in einer der schmalen Gassen, die vom Hauptbazar abzweigten, verschwunden.



Loubas Anblick hatte ihn verscheucht. Der war eben mit dem Ladeninhaber vor die Tür getreten und schaute einem Kunden nach, der mit einem Gegenstand unter dem Arm durch das Menschengewühl rannte.



»Interessant«, bemerkte Louba, als er wieder bei Kate war. »Für einen wertlosen Plunder hat der Mann da einen lächerlich hohen Preis gezahlt und macht sich jetzt davon, als hätte er Angst, daß ihm jemand seinen Schatz abjagt.«



»Was war es denn?« fragte Kate.



»Ein Kästchen, mit Glasperlen und farbigem Glas verziert.«



Seine Brauen zogen sich zusammen. Falls etwas zu gewinnen war, dann sah er es nicht gerne, wenn ein anderer der Gewinner war.



»Hm«, sagte er nach einer Weile. »Ich hätte gerne gewußt, was diese Sache zu bedeuten hat.«



Kate war auf dem Heimweg bei weitem nicht so aufgeräumt wie vorher beim Aufbruch. Der Zwischenfall mit dem englischen Herrn hatte den Glanz ihres romantischen Abenteuers erheblich getrübt.



Die Sonne ging unter, als sie den niedrigen Hügel hinaufstiegen; beim Zurückschauen sah die Stadt schmutzig und öde aus.



Sie schmiegte sich enger an Louba.



Mit noch größerer Begierde als sonst lauschte sie seinen extravaganten Komplimenten und hielt nun desto leidenschaftlicher an ihrem romantischen Traum fest, weil ein kühler Hauch der Wirklichkeit sie gestreift hatte.



Sie lächelte, als sie den eingezäunten Garten des Hauses auf dem Hügel erreichten. Dann blieb sie plötzlich erschrocken stehen - drei Schritte vor ihr ging Charles Berry vorbei und sah sie an.



Sie schauderte und lehnte sich an Louba, als sie den Haß in den Augen Berrys gewahrte. Hatte er die Zurücksetzung nicht vergessen? - War er ihr bis hierher gefolgt?



Es fröstelte sie.



»Gehen wir hinein, komm«, sagte sie zu Louba. »Mir ist kalt.«







Kapitel 5





»Liebe Kate, ich weiß mir kein größeres Vergnügen, als dich mit meinen vielen Fehlern zu verschonen! Wenn es mir nicht gelingt - rege dich nicht darüber auf. Ich bitte dich inständig!«



Abgestumpft und fast gleichgültig schaute sie ihn an. Sein hämisches Lächeln, sein frecher Blick, selbst die offene Verachtung in seinen Augen konnten sie längst nicht mehr aufregen.



Mit halboffenem Mund wartete sie auf die Fortsetzung seiner Rede. Der Spott in seinem Ton, seine gehobene Laune bedeuteten nichts Gutes. Das wußte sie aus bitterer Erfahrung.



»Ich habe das Mißgeschick, dir schon seit einiger Zeit zu mißfallen«, fuhr er endlich fort. »Das quält mich …, und ich will unbedingt dein Glück vor meinem eigenen berücksichtigen.«



Er zündete sich sorgfältig eine Zigarre an und warf das Streichholz in den dunklen Garten hinaus.



Im Zimmer war kein Licht. Sie standen sich in dem matten gelben Schein gegenüber, der durch die Glasscheibe der Tür fiel.



Sie war eben aus den hellerleuchteten Räumen geflohen, in denen Louba sein altes Geschäft betrieb - sich auf Kosten anderer Leute zu bereichern. In diesem kleinen Zimmer auf der Rückseite des Lokals saß sie abends gewöhnlich stundenlang.



»Hast du vorhin wirklich den jungen Amerikaner beim Spiel betrogen?« fragte sie.



»Sei nicht so zimperlich, liebste Kate«, versetzte er höhnisch. »Dein Verhalten war - zum mindesten unbesonnen und hätte zweifellos Folgen gehabt, wenn ich nicht so geschickt reagiert hätte. Im übrigen - sei lieber ruhig … Du bist mir nicht einmal im Geschäft eine Hilfe! Dabei habe ich dich aus lauter Rücksicht auf deine gute Erziehung nicht einmal gebeten, im Kabarett als Tänzerin aufzutreten. Ich habe nicht mehr und nicht weniger von dir verlangt, als daß du an den Spieltischen präsidierst und möglichst hübsch aussiehst.«



Gelangweilt zog er die Schultern in die Höhe.



»Vielleicht kannst du tatsächlich nichts dafür, daß du nicht mehr hübsch bist - aber das ist noch lange kein Grund, meine Kundschaft mit deinem unfreundlichen Gesicht anzuöden.«



»Nun, und weiter …?« fragte sie. Es war ihr klar, daß dies alles nur die Einleitung war.



»Da ich dich nicht mehr glücklich machen kann, habe ich beschlossen, dich an jemand abzutreten, der es bestimmt fertigbringt.«



»Abtreten … mich …?« Sie lehnte sich weit vor. Ihr weißes Gesicht zeichnete sich im Lichtschimmer, der durch die Tür fiel, scharf gegen die Dunkelheit des Zimmers ab.



Er hob die Hand.



»Nur keine Mißverständnisse, Kate! Ich spreche von einem Gatten für dich, und ich werde höchstpersönlich dafür sorgen, daß die Ehe glücklich wird.«



Sie griff sich an den Hals, konnte aber keine Worte hervorbringen.



»Keine Angst, keine Angst - ein alter Freund von dir … Charles Berry ist der Glückliche. Du liebst ihn doch, wie?« fragte Louba im sanftesten Tonfall und mit verstecktem Spott.



»Ich soll Charles Berry heiraten?« Sie rang nach Atem. »Niemals!«



»Doch, liebe Kate. Du heiratest ihn bestimmt - weil ich es will!«



»Und ich will es nicht!«



»Das sagst du mir, sozusagen deinem Vormund? Wie könnte ich je wieder nach England zurückkehren, wenn ich dich unbeschützt hier lassen müßte? Glaubst du, ich hätte kein Gewissen?«



Die Situation bereitete ihm ein köstliches Vergnügen. Aber bevor er fortfahren konnte, wurde die Tür hinter ihnen aufgerissen, und ein Mann stürzte herein.



»Louba, sind Sie hier?« fragte eine heisere Stimme.



»Ja. Wer sind Sie?«



»Vacilesco. - Verstecken Sie etwas für mich, Louba! Nur so lange, bis ich meine Verfolger los bin …«



Er brach ab und lauschte. Vom Gang her hörte man Schritte.



»Sie sind mir schon auf den Fersen! Hier, verstecken Sie dies - ich beteilige Sie am Erlös, Louba!«



Er drückte Louba etwas in die Hand, sprang auf das niedrige Fensterbrett, von dort in den Garten und rannte in Richtung der Gartenmauer davon.



Louba konnte den Gegenstand eben noch blitzschnell unter dem nächsten Kissen verstecken, als die Tür von neuem aufflog.



»Was ist denn schon wieder los? Wer seid Ihr?« herrschte er die Eindringlinge an und drehte den Lichtschalter.



Kate erblickte drei ziemlich finstere Gesellen, von denen der eine hastig hervorstieß:



»Hier kam jemand herein … Wo ist er?«



Louba zeigte wortlos nach dem Garten, und ohne auf weitere Erklärungen zu warten, schwangen sich die Männer durch das Fenster und waren gleich darauf in der Dunkelheit verschwunden.



»Du bleibst hier und gibst auf das Ding acht!« befahl Louba der zitternden Frau. Dann folgte er den Männern. Aus Teilhaberschaften hatte er sich noch nie viel gemacht …



Vorsichtig eilte er dem Laut der Schritte nach, die er deutlich vor sich auf dem kiesbestreuten Gartenweg hörte.



Kurz vor der hohen Mauer, die den parkartigen Garten des Hauses umgab, erreichten die Verfolger ihr Opfer. Louba kauerte sich in den Schatten eines Gebüsches.



Er sah die miteinander ringenden Gestalten, hörte das Schurren der Füße, das Keuchen … Dann plötzlich ein halberstickter Schrei und - Stille …



Scharf spähend unterschied er, wie die drei sich an dem am Boden liegenden Mann zu schaffen machten, nach kurzer Zeit aufstanden, einen Moment beratschlagten und dann in der dem Loubaschen Hause entgegengesetzten Richtung davonliefen.



Nach ein oder zwei Minuten schlich er zu der stillen, an der Erde liegenden Gestalt und untersuchte sie kurz.



Mit leisen Schritten kehrte er dann zum Haus zurück.



Kate saß noch so da, wie er sie verlassen hatte.



»Was ist passiert?« fragte sie schnell, durch die vielsagende Art, mit der er seine Hände und seine Kleider auf Blutflecken untersuchte, erschreckt.



»Ich fürchte, die Burschen haben Vacilesco erstochen. Aber das geht uns nichts an - verstehst du? Wir wissen von nichts!« entgegnete er drohend. »Daß du mir ja keinen Fehler machst, Kate!«



Er schloß die Fenster und zog die Vorhänge zu, bevor er seine Beute unter dem Kissen hervorholte und untersuchte.



Es war ein mit bunten Glasperlen aller Art verziertes Holzkästchen. In der Mitte einiger zu Ornamenten verschlungener Perlenreihen trug es jeweils ein paar Simili-Edelsteine.



Erwartungsvoll klappte er den Deckel auf und war enttäuscht, als er es leer fand.



»Vacilesco ist anscheinend zu spät damit fortgerannt«, brummte er zynisch. »Sonderbar …«



Das Kästchen war innen mit weißem Seidenstoff ausgeschlagen, nur der Boden war wie auf der Außenseite mit Glasperlen und farbigem Glas belegt. Als er seine Finger darübergleiten ließ, entdeckte er zufällig eine Feder, durch die der falsche Boden sich öffnen ließ.



Einen Moment grinste er vergnügt, aber schon der nächste Blick zeigte ihm, daß auch der Raum darunter leer war.



Stirnrunzelnd überlegte er eine Weile … Dann zuckte er gleichgültig mit den Schultern.



»Na, Vacilesco hat dafür gezahlt - nicht ich!«



Er stellte das Kästchen auf den Tisch und nahm sich eine Zigarre.



»Du wolltest mir vorhin etwas mitteilen«, sagte Kate und beobachtete ihn scharf. »Was soll das heißen: ich soll Charles Berry heiraten?«



»Genau das soll es heißen, und nichts anderes. Wir trennen uns, du und ich; aber zuerst verheirate ich dich. Der zweite Stock von Braymore House in London, wo du so angenehme Stunden verbracht hast, gehört noch mir - ich werde bald dorthin zurückkehren. Aus Gründen, die du nicht erraten kannst, ist es mir lieb, dich als Frau Berry hierzulassen.«

 



»Ist das dein Ernst …? Das ist doch selbst für dich fast zu schmutzig und gemein!« stieß sie hervor.



»Schmutzig? Gemein? So eine Undankbarkeit! Denk nur daran, wie ich dich hätte sitzenlassen können! Ja …«



Er brach plötzlich ab, als seine Augen zufällig auf das Kästchen fielen.



»Jetzt weiß ich es wieder!« rief er triumphierend. »Ich habe das Ding schon einmal gesehen. Ja, ja - es war …«



»Ich will nichts davon hören!« sc