DER ELEGANTE MR. EVANS

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Der Sieg selbst war nicht besonders populär. Niemand zweifelte daran, dass es wieder einmal eines von Mulcays berüchtigten »cleveren Geschäften« gewesen war.

Lord Claverley sprach nicht mehr mit ihm, aber der ihm zugeworfene Blick ließ den Trainer erschaudern. Und dann kam Educated Evans in das Blickfeld seiner Lordschaft.

»Sie kommen mir gerade recht«, sagte er und zog die armselige Gestalt aus der Menschenmenge an die Seite.

»Nun erzählen Sie mir alles, was Sie über diese Sache wissen. Warum konnten Sie so sicher sein, dass dieses Pferd gewinnen würde?« Nun war er zunächst gezwungen, sich mit viel auferlegter Geduld Evans’ ausgedehnten Bericht über dessen Können und die letzten Erfolge anzuhören. Danach vernahm er endlich, was der Ratgeber ihm wirklich zu sagen hatte.

»Sie wollen behaupten, er habe dieses Pferd schlecht geredet... von Hereford aus? Sind Sie da sicher?«

»Das kann ich Ihnen in einer halben Stunde sagen, Mylord«, sagte Evans wichtig. »Mein Agent in Hereford – ich unterhalte überall Agenten in diesem Geschäft und Spione in jedem Stall...«

»Nun, und was ist nun mit ihm?«, fragte Lord Claverley ungeduldig und ziemlich verärgert.

Eine halbe Stunde später legte ein verdutzter Evans ein Telegramm in die Hände seiner Lordschaft, auf dem stand:

Dreihundert Telegramme eingereicht,

alle enthalten Wetten für »Amboya«...

»Natürlich kann es so sein, wie Sie sagen, Mr. Challoner«, sagte Evans gleichmütig, »und es ist sehr gut möglich, dass Lakes tatsächlich seinen Stall mit diesem Sieg ausgetrickst hat, wo er doch gar nicht hätte angreifen sollen. Ich behaupte auch nicht, dass ich von Lakes meine Informationen habe; wenn doch, würden Sie es mir gar nicht glauben.«

»Würde ich auch nicht«, antwortete der Müller, »denn dann hättest du gelogen.«

»Sehr wahrscheinlich«, bekannte Educated Evans. »Vielleicht wollte Lakes mit ihm abrechnen, so wie ich auch. Und dann stelle man sich vor, dass dieser verkommene Pferdeschinder die ganze Zeit auf ein anderes Pferd gesetzt hat! Das ist unehrlich, wenn Sie so wollen. Ich nenne das eine ausgesprochene Schlechtigkeit! Aber 50 : 1!

Was für ein Prachtexemplar! Und das alles entsprang meinen eigenen Überlegungen. Von Informationen, die ich mit eigenen Augen gesehen und erkannt habe.«

»Micky Mulcay hat eine Menge Gelde verloren«, sagte der Müller, der ebenfalls seine Informationsquellen besaß, wenn auch ein bisschen verlässlicher als jene, die sein Kumpel zuweilen anzapfte.

»Ich wünschte, er hätte alles verloren«, sagte Educated Evans giftig. »Alles außer 18 Pence – damit kann man sich nämlich überall ein paar Yards von einem guten Strick kaufen.«

Kapitel 7: Die Träumerin

Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass gewisse Clubs in London ein Recht auf Turfgeschäfte gepachtet haben.

»Es kommt im Omph Club eine Liste raus«, weiß eine Sportzeitung; »heute Abend wird im Zimp Club das Cambridgeshire-Programm herauskommen«, weiß eine andere. Der Cheese Club in Camden Town wird gar nicht erst erwähnt und bei der Zusammensetzung seiner Mitglieder wird man sich gut vorstellen können, dass jede beliebige Wette genauso unbedeutend wie vernachlässigbar behandelt wurde.

Und dennoch stimmt dies nicht ganz, denn der Cheese Club stellte in der Sportwelt einen wichtigen Faktor dar. Es gab da gewisse große Wetter im Norden, deren Agenten sich niemals weiter südlich als bis zur Euston Road bewegten; einige berühmte andere machten den Cheese Club zu ihrem Hauptquartier und hielten gleichzeitig ihre Agenten bei den pompöseren Clubs.

Denn der Cheese Club hatte sich zu einem lebendigen Umschlagplatz gemausert und sogar solch große Buchmacher wie Notting und Elgin verschmähten diesen Club nicht, wenn es sich um besonders »heiße Kartoffeln« handelte.

Man konnte schier verrückt werden, wenn ein Pferd im Cheese Club hinauf oder heruntergehandelt wurde und man an großen Renntagen dort Männer antreffen konnte, die auch Wetten von 4000 : 500 annahmen.

Trotz allem gab es wie in jedem anderen Club die verschiedensten Mitglieder. Educated Evans war dort Mitglied; Billy Labock, der letzten Herbst einmal 20.000 zu 20 Pfund wettete, war ebenfalls Mitglied; der sehr ehrenwerte Claud Messinger war auch ein Mitglied – so ziemlich das umstrittenste, das je gelebt hatte.

»Mir scheint«, sagte Educated Evans verzagt, »dass ein solcher Artikel über häusliches Glück und einen harmonischen Ehestand zum St. Nimmerleinstag gehört, mit anderen Worten non est, so etwas existiert nicht, wenn Sie die Sprache verstehen, Mr. Challoner? Und dennoch ist Camden Town voll von glücklichen Paaren.«

Detektiv-Sergeant Challoner knabberte gedankenverloren an seinem Strohhalm.

»Um glücklich verheiratet zu sein, das muss ich zugeben«, fuhr der gebildete Mann fort, »muss man nicht nur so großzügig sein wie ein Pastor bei der Tombola, sondern auch die Geduld eines Job* haben – wo wir gerade von job sprechen, so einer läuft in Gatwick heute Nachmittag – der Junge, der sich um das Pferd kümmert, sagt, es könne stürzen, wieder aufstehen und dann noch gewinnen.«

»Doch nicht ‚Toofick’«? Der Müller war augenblicklich alarmiert.

»Doch, es ist ‚Toofick’ – er ist der sicherste Tipp der Renngeschichte seit der Niederlage von Tishy’. Bedienen Sie sich und denken Sie dabei auch an mich.«

»An wen hast du eigentlich gedacht, als du über den Ehestand diskutiertest?«

Educated Evans fischte einen Zigarrenstummel aus seiner Manteltasche und entzündete ein Streichholz an einem Bein seiner schlecht sitzenden Hosen.

»Frauen mögen ja das Stimmrecht haben, aber sie benutzen es nie«, sagte er. »Es ist ein Geschenk.«

»Wenn du jemanden in Camden Town kennst, der glücklich verheiratet ist«, sagte der Müller bedächtig, »dann würde ich gerne seinen oder ihren Namen erfahren.«

»Ich könnte Hunderte nennen«, antwortete Evans und sein trauriges Gesicht wurde bei dem Gedanken noch betrübter, »Tausende sogar. Dabei rede ich gar nicht von der Glückseligkeit von Turteltauben. Wenn ich ein Paar sehe, die sich verhalten, als seien sie nicht verheiratet, dann sind sie es gewöhnlich auch nicht. Ich spreche aus den Tiefen meiner Erfahrungen und Bildung davon, wie die Dichter es beschreiben. Zwei Gedanken, die aber um ein einziges Pferd kreisen, zwei Herzen, die gemeinsam als eines wetten – Tennyson oder Kipling, da bin ich nicht sicher. Ich hab für die Dichtkunst nicht viel Zeit übrig, was bleibt dann für Gespräche mit Besitzern und Jockeys...«

»Bleiben wir lieber bei den Fakten«, unterbrach der Müller. »Wer ist denn nun glücklich verheiratet in deinem ausgedehnten Kreis von damaligen oder aktuellen Opfern?«

Educated Evans stieß einen Laut des Unwillens aus.

»Würden Sie sagen, dass Mr. Joe Bean glücklich verheiratet ist?«

Der Müller dachte angestrengt nach.

»Bei seiner Frau ist mir nie in den Sinn gekommen, dass sie viel Spaß in ihrem Leben gehabt hat«, sagte er.

»Ich weiß nicht, ob sie trinkt oder nicht«, erwiderte Educated Evans, »und es geht mich auch nichts an, ob sie ausgelassen und übermütig wird – was jeder gebildete Mann als »besoffen« bezeichnen würde. Aber sie ist glücklich. Sie erzählte mir vorige Tage, als Joe krank war, wenn er eines Tages abkratzte, würde sie niemals mehr erhobenen Hauptes durch die Stadt gehen können.«

»Weil sie vergessen hat, die Raten für Joe’s Lebensversicherung zu bezahlen«, antwortete der praktische Müller und kaute weiter nachdenklich auf seinem Strohhalm herum. »Das hat sie wiederum mir erzählt! Sie würde sich das selbst nie vergeben, und dass sie seitdem niemals mehr so sorglos gewesen ist. Wen hast du sonst noch?«

»Mr. und Mrs. Hallam Corbin.« Selbstbewusst und betont sprach Educated Evans den Namen aus. »Sie werden diese Leute nicht kennen, Mr. Challoner; sie gehören einer anderen Klasse an als Sie – haben ein Haus am Ampthill Square. Ich kenne sie, weil sie zu meinen verlässlichen Kunden gehören. Haben einen eigenen Diener und planen den Kauf eines Automobils. Besondere Klasse eben.«

Der Müller schaute seinen Begleiter forschend an.

»Ich kenne sie ebenfalls«, sagte er kurz angebunden.

»Glücklich verheiratet sind sie? So so.«

Educated Evans hatte das Ehepaar Hallam Corbin im Zuge einer Publicity-Kampagne kennengelernt, die er selbst in die Wege geleitet hatte. Sie bestand aus einer vierzeiligen Annonce am Fuße einer Zeitungsspalte in allen gängigen Sportgazetten:

Bekannter Handelsagent, mit führenden Rennställen vertraut, möchte gerne mit einigen zuverlässigen Sportsleuten von untadeliger Integrität Kontakt aufnehmen. Nur gebildete Leute angenehm.

In der Folge hatte er mit einigen höchst unerwarteten Personen Kontakt erhalten, unter denen sich auch Mr. Hallam Corbin befand. Darüber hinaus war es recht erstaunlich, dass das Pferd, welches Educated Evans, dieser bekannte Handelsagent, an solch zuverlässige Sportsleute mit untadeliger Integrität verschickte, im Spaziergang mit 6 : 1 gewann; und als die Wetten von einigen hundert »Untadeligen« mit 10 Shilling angekündigt wurden, machte er einen Gewinn von 60 Pfund. Er hätte eigentlich 600 bekommen müssen, aber Wetter sind oft nicht ehrlich – noch nicht einmal so ehrlich wie Tippgeber.

Unter denen, die sich ehrenhaft verhielten (Mr. Evans’ eigener Ausdruck) befanden sich die Hallam Corbins. Sie schickten ihm einen Fünfer, das entsprach mehr, als ihm zustand, und baten ihn zu einem Abendessen nach 375 Ampthill Square, eine Auszeichnung, an die er in seinen wildesten Träumen nicht zu denken gewagt hätte. Denn Ampthill Square ist mehr als respektabel – es ist eine Erste-Klasse-Adresse. Leute, die dort wohnen, sind reich, haben Ländereien und brauchen sich um das tägliche Brot keinerlei Sorgen zu machen. Einige von ihnen – eigentlich sind es viele – haben Automobile, tragen Abend-kleidung selbst in den eigenen vier Wänden, auch wenn keine Besucher zu erwarten sind.

 

Educated Evans kannte Ampthill Square seit seiner frühesten Jugend. In Sommertagen war er Sonntagabends mit und auch ohne eine junge Dame hindurch spaziert – keinen Gedanken hatte er daran verschwendet, dass er eingeladen würde, durch jene Haustür zu gehen – und auch noch zum Abendessen! Obwohl das Dinner wohl mehr Mittagessen genannt wurde.

Mr. Corbin war von sehr kräftiger Statur, mit bläulichen Tränensäcken unter den Augen. Mrs. Hallam war ebenfalls ziemlich stämmig und mädchenhaft dazu, stets voller Schwung und Elan.

Man hätte sich niemals vorstellen können, dass sie älter als 54 sei; gleichzeitig konnte man sich aber auch nicht vorstellen, sie sei jünger – und da wäre Mrs. Corbin ernsthaft verärgert gewesen, hätte sie je von so einem Gedanken erfahren.

Educated Evans kleidete sich mit ungewohnter Sorgfalt an. Wegen diesem Anlass entfernte er jetzt das Bündel Zeitungen, welches permanent seine Manteltasche aufbauschte; er trug eine pink und graue Krawatte und einen Stehkragen, der ihm jedes Mal in den Hals einschnitt, wenn er den Kopf drehte.

Ein adrett und gut aussehendes Dienstmädchen öffnete ihm die Tür und er wurde in einen Salon von überraschender Pracht geleitet. Ein Spiegel, der bestimmt mehrere Pfund wert war, ein Teppich von unübertrefflichem Luxus, vergoldete Sessel und kleine Sofas, große und wertvolle Palmen standen auf Sockeln, die man nicht für einen Fünfer kaufen konnte, reiche Samtvorhänge und auf dem Kaminsims eine verwirrende Golduhr, deren Zeiger auf halb sieben deuteten (Evans wusste nicht, ob morgens oder abends) und von zwei Frauenfiguren – Rücken an Rücken gelehnt – überragt wurden, die ganz offensichtlich direkt aus dem Bad gekommen waren und ihre Morgenmäntel verlegt hatten. All diese Dinge nahm Educated Evans mit einem Blick in sich auf.

Dann kam Mr. Corbin herein und streckte beide Hände zu ihm hin.

»Mein lieber Evans«, sagte er, »ich bin erfreut, dass Sie gekommen sind. Meine Frau wird auch sehr froh sein.«

»Das ist sehr freundlich von Ihnen«, sagte Evans hüstelnd, ein wenig gehemmt wegen seiner pink-grauen Krawatte, die Mr. Corbin einigermaßen verwirrt musterte. »Ich muss sagen, ich bin nicht so sehr ein Mann der Society, obwohl auch solche Kontakte vorkommen, mit hochklassigen Trainern und Jockeys und Stallbesitzern und was nicht sonst noch alles, ich bin schon ein bisschen herumgekommen. Ich sage immer«, sagte der gebildete Mann, »ein hoher gesellschaftlicher Rang ist zwar gut und schön, aber Bildung und Intelligenz gehen mir über alles. Eine Menge Leute, die mit steifem Kragen und Zylinderhut herumlaufen, haben oft nicht die geringste Ahnung von physikalischer Geographie, Etymologie, Syntax oder Prosody (Silbenmessungslehre, d.Ü.) Wenn man sie auf Geschichte anspricht, sind ihre Köpfe leer, wenn Sie diesen Ausdruck gestatten.«

»Gewiss, gewiss«, sagte Mr. Corbin, der an dem soeben genossenen Bildungsunterricht keinerlei Interesse zeigte. »Hier ist meine liebe Frau.«

Seine »liebe Frau« rauschte in diesem Augenblick in den Raum und begrüßte Educated Evans mit übertriebener Heftigkeit. Im Gegensatz zu dem ersichtlichen und nahezu sagenhaften Reichtum der Corbins wurde das Lunch nicht auf goldenen Tellern serviert, ebenso wenig gab es zwölf Gänge. Mr. Corbin verzehrte ein Kotelett, Mrs. Corbin zog ein Schnitzel vor, Evans, der es für unhöflich empfand, bei anderen Leuten zu essen, begnügte sich mit ein paar Erbsen.

Nach dem Lunch lüftete Mr. Corbin das Geheimnis der Einladung. »Wir haben über Sie diskutiert«, eröffnete er nüchtern und sachlich, als er seinen Teller wegschob und Evans seine Zigarrenkiste anbot.

»Wie Sie möglicherweise wissen, Mr. Evans, ist meine Frau Hellseherin.«

Evans nickte höflich.

»Obwohl ich kein Mann mit Familie bin«, sagte er, »freut mich das. Ich meine jedermann sollte ein bis zwei Kinder...«

»Mit dem Ausdruck«, beeilte sich Mr. Corbin zu erklären, »meine ich, dass meine Frau hellseherische Fähigkeiten besitzt – sie hat Visionen aus dem Geisterreich.«

»Ach, du lieber Himmel!«, machte Evans, tief beeindruckt.

»Sie hat die Macht«, fuhr Mr. Corbin ernst fort, »ihren Geist ins Unendliche schweifen zu lassen und nach Belieben durch die Ebenen des vergeistigten Nichts zu wandern!«

»Großer Gott!«, sagte Evans und schob seinen Stuhl ein wenig von dieser beunruhigenden Dame weg.

»Sie steht in täglicher Verbindung mit Napoleon, Julius Cäsar, Alexander dem Großen – Sie haben sicher von diesen berühmten Leuten gehört.«

Ein leichtes Lächeln erhellte Evans’ gedrückte Stimmung.

»Ich habe ein Faible für Geschichte«, gab er zu. »Geben Sie mir ein Geschichtsbuch und ich beiße mich für Stunden darin fest. Solly Joel hatte ein Pferd namens ‚Napoleon’, aber selbstverständlich bin ich zu gebildet, um Sie jetzt falsch zu verstehen. Sie beziehen sich auf den berühmten französischen König, der einmal sagte ‚Auf! Wachen! Drauf auf sie!’ in den Tagen der weithin berühmten Französischen Revolution...«

»Genau«, erwiderte Mr. Corbin, ein wenig verwirrt. »Genau. Nun, meine Liebe«, wendete er sich seiner Frau zu, »willst du es vielleicht unserem Freund mitteilen?«

Er entschuldigte sich und verließ den Raum. Mrs. Corbin lächelte süßlich, mit huldvoller Gebärde.

»Sie werden sicherlich von uns denken, wir seien sehr gewinnsüchtig, lieber Mr. Evans«, sagte sie, und bevor Educated Evans sich zu einer passenden Antwort entschließen konnte, fuhr sie fort, »aber mein lieber Gatte meint, er könnte mit meinen Träumen Geld verdienen.«

»Mit Ihren Träumen, Madam?«

Sie nickte.

»Ich träume die Namen von Siegern«, sagte sie schlicht.

»Zweimal, oft auch dreimal in der Woche, träume ich Siegernamen. Ich sehe Nummern, die in einem Rahmen hochgehalten werden, Farben, wie sie majestätisch am Stock wehen, ich höre Stimmen, die rufen: ‚Der und der hat gewonnen!’«

»Du liebe Zeit!«, sagte Evans und fragte sich im Stillen, warum Mr. Corbin unter diesen Gegebenheiten auf sein Fünf-Pfund-Special abonniert war. Als habe sie seinen Gedanken erraten, fuhr sie fort: »Ich nehme an, Sie fragen sich nun, warum wir um Ihren cleveren Rat ersuchen?

Mr. Evans, der Grund ist, dass wir unser großes Glück einfach nicht glauben konnten und wir einfach eine Bestätigung unserer Träume haben mussten und das durch den gescheitesten Turfratgeber, den es gibt!«

Evans räusperte sich.

In diesem Moment kam Mr. Corbin zurück und nahm das Gespräch freundlich, aber äußerst bestimmt wieder an sich.

»Nun, Evans, alter Junge, was halten Sie für den besten Weg, die Gabe meiner Frau zu verwerten? Sie hatte letzte Nacht einen außergewöhnlichen Traum – sah ein Pferd in Gatwick gewinnen. Ein Pferd mit Namen ‚Too Thick’. Wir haben das gesamte Programmheft durchstöbert; aber ein Pferd mit diesem Namen ist nicht aufgeführt.«

»Toofick!«, sagte Educated Evans, zitternd vor Aufregung. »Und er ist ein todsicherer Tipp! Das Pferd könnte stürzen und aufstehen und danach immer noch gewinnen!«

»Wirklich!«, meinte Mr. Corbin. »Wie dumm von mir! Und sie träumte, dass ‚Lazy Loo’ Zweiter wurde und ‚Mugpoint’ Dritter. Das ist das Erstaunliche bei ihren Träumen. Das Problem also ist, Mr. Evans, meine liebe Gattin möchte absolut nicht in dieses Wettbusiness einsteigen. Sie meint, es gehöre sich nicht für eine Frau.«

»Exakt«, sagte Evans. »das verstehe ich vollkommen.«

In Wahrheit verstand er überhaupt nichts.

»Worüber ich nun schon lange nachdenke ist, ob nicht jemand auf die Pferde setzen könnte, die meine Frau träumt – mit großen und äh, großzügigen Beträgen. Die Frage ist, wo könnte das geschehen?«

»Der Cheese«, meinte Evans prompt.

Mr. Corbin zog verwirrt die Augenbrauen zusammen.

»Der Cheese – Sie meinen doch nicht den Cheshire Cheese?«, fragte er.

»Sie haben noch nie vom Cheese gehört?«, forschte Evans, beinahe schockiert. »Nun, Sie können es sogar von Ihrer hinteren Wendeltreppe aus sehen!«

Daraufhin nötigte Mr. Corbin seinen Gast in einen nobel eingerichteten Raum im hinteren Bereich des Hauses und hier war der Blick zwischen zwei anderen Häusern hindurch frei auf die schicklich-anständige »Bibliothek« des Cheese-Clubs mit seinen roten Vorhängen. Den Begriff »Bibliothek« hatte man gewählt wegen seiner Einrichtung mit vier Fernschreibern, einer Anschlagtafel und einem nahezu vollständigen Satz von Ruff’s Führer durch den Turf.

»So, so!«, gab Hallam Corbin erstaunt von sich. »Ich hatte keine Ahnung, dass dies ein Wettclub sei. So, so! Sind Ihre Augen gut, Mr. Evans?«

Einen Augenblick lang war Evans sprachlos.

»Meine Augen«, entgegnete er emphatisch, »könnten zwei Jockeys erkennen, wie sie sich aus einer Meile Entfernung zuwinken, ich bin extrem scharfsichtig.«

»Ausgezeichnet«, murmelte der andere und führte sie wieder zurück in den Ess-Salon. Mrs. Hallam Corbin war verschwunden.

»Meine Frau legt sich nach dem Lunch immer ein wenig hin. Dann erscheinen ihr auch die besten Träume. Das ist mir jetzt peinlich, Mr. Evans, weil sie selten einen Siegernamen träumt, bis kurz vor dem Rennen. Es muss Gedankenübertragung sein – ein psychisches Phänomen, das bis jetzt die größten Experten in Erstaunen versetzt hat. Wenn ich doch nur einen guten Bekannten in dem – wie nannten Sie den Club?«

»Cheese«, sagte Evans.

»Wenn ich doch nur einen Freund drüben hätte, dem ich das geträumte Pferd signalisieren könnte. Mann, wir könnten ein Vermögen machen!«

Evans dachte nach.

»Es wäre machbar«, sagte er. »Aber wie?«

»Lassen Sie mich nachdenken«, sagte Mr. Corbin; und Evans verhielt sich ruhig, während das leistungsfähige Gehirn des Mr. Hallam Corbin in Gang kam. »Ich hab es«, sagte er schließlich. »Ich nehme eine Anzahl von großen Karten, mit Zahlen versehen. Jeden Morgen gebe ich Ihnen ein Programm und jedes Pferd erhält eine Nummer. Wenn wir den Club sehen können, kann man uns auch von dort sehen – obwohl, mein lieber Evans, natürlich niemand von der Hellsichtigkeit meiner lieben Gattin wissen darf. Wenn Sie die Nummer erblickt haben, wetten Sie auf das Pferd und erhalten zehn Prozent des Gewinns.«

Educated Evans verließ Ampthill Square mit einem dicken Bündel von 20-Pfund-Noten und dem Gefühl, als wandele er ebenfalls auf jenen vergeistigten Ebenen, die der Mrs. Corbin so vertraut waren wie die High Street in Camden Town.

Als erstes kaufte er sich eine Zeitung und als er das Ergebnis ihres »Arbeitsessens« las, schnappte er nach Luft. ‚Too Thick’ hatte gewonnen, ‚Lazy Loo’ war Zweiter geworden und ‚Mugpoint’ Dritter! Exakt wie die lächelnde Dame geträumt hatte! Und sie hatte es vorher nicht wissen können, denn sie war die gesamte Zeit mit ihm zusammen gewesen.

Selbst Buchmacher, die Educated Evans kannten und ihn als verlässliche Gewinnquelle respektierten, zögerten, ein paar Tage später seine Wette für ‚Lamma’ von 200 : 80 Pfund anzunehmen, bis Evans ihnen das Geld präsentierte. Die Wette war kaum geschlossen, als der Ticker schon das ‚off’ ausspuckte. Und ‚Lamma’ gewann. Am nächsten Tag setzte er 300 : 90 Pfund auf ‚Kinky’. Er gewann.

Am folgenden Dienstag, nach einigen unbedeutenden Verlusten (»Sie sollten nicht jeden Tag auf Gewinner setzen«, sagte der praktisch denkende Mr. Corbin, »oder man nimmt Sie nicht mehr an«), nahm er in einem Verkaufsrennen in Hurst 200 : 50 Pfund für ‚Kellerman’ und da fand es ein bestimmter Wetter für an der Zeit, einen Teil seiner Wette am Telefon bekannt zu geben, bevor das bekannte »off« signalisiert wurde.

»Man erzählt sich, dass du für dich selbst wettest, Evans«, sagte der Müller, als er ihn an jenem Nachmittag nach dem Rennen traf, »und dass du eine Menge Geld dabei verdienst.«

»Nein, keine Menge«, erwiderte Evans mit leidvollem Augenaufschlag. »Es reicht gerade, den berühmten Wolf von der Schafherde abzuhalten. Geld bedeutet mir gar nichts«, sagte er. »Ich denke immer an den berühmten König Morpheous*. Alles, was er mit seinen Pfoten berührte, verwandelte sich in Gold und Silber, deswegen hatte er Zahnfüllungen und jedermann dachte, er sei Amerikaner.«

Detektiv-Sergeant Challoner zog nachdenk-lich an seiner Pfeife.

»Woher bekommst du deine Informationen, Evans?«, fragte er ruhig. »Von den Engeln?«

 

»Von dem Jungen, der die Pferde betreut«, antwortete Evans trocken.

Am selben Abend hatte er ein Gespräch mit Mr. Hallam Corbin, der ihm Geld schuldete, wobei Mr. Corbin sich recht kurz angebunden und keineswegs zugänglich zeigte.

Auch sein Verhalten Mrs. Corbin gegenüber entsprach überhaupt nicht Evans’ Vorstellungen von häuslichem Frieden.

»Ich habe Ihnen gesagt, Sie sollten 50 Pfund auf das Pferd setzen, das Mrs. Corbin geträumt hat«, schnaubte Mr. Corbin. »Sie aber sagen, Sie hätten nur 1 Pfund gesetzt. Und ich hörte davon, dass Sie 200 : 50 von Bill Oxford erhalten hätten – fangen Sie bloß nicht an, mich zu beschummeln!«

»Sie betrügen?«, sagte Evans gekränkt. »Wie kommen Sie nur auf solch einen Gedanken?! Na schön, wenn ich mich Mrs. Corbin’s Träumen gegenüber nicht korrekt verhalten habe, sollte ich eigentlich von einem ihrer Ausflüge beeindruckt sein...«

»Die Sache ist die, Mr. Evans«, begann Mrs. Corbin mit Schärfe in der Stimme; »unsere Ausgaben sind recht heftig...«

»Du hältst jetzt die Klappe!«, fauchte ihr Mann; und es begann in Educated Evans zu dämmern, dass die beiden nicht so glücklich verheiratet schienen, wie es sein sollte.

»Machen Sie das nie wieder, Evans«, sagte Mr. Corbin und überreichte ihm die zehn Pfund, die Evans als Agent noch zustanden.

Als Evans am nächsten Tag für das 15 Uhr-Rennen eine Wette für ‚Hazam Pasha’ in Höhe von 150 : 30 Pfund anbot, wurde sie abgelehnt.

»Ich weiß nicht, wie du den Ticker überlistest, Evans«, sagte der Haupt-Buchmacher nicht unfreundlich, »aber irgendwie kriegst du das hin. Und ich kann mir deine Wette nicht leisten.«

Bald darauf verließ Evans den Club und traf den Müller wartend vor der Tür an.

»Was ist Nummer 6 auf deiner Liste?«, fragte der Müller.

Evans beteuerte ehrliches Erstaunen.

»Jetzt höre einmal auf den Rat eines alten Kämpfers«, sagte der Müller. »Lass die Corbins in ihrem eigenen Saft schmoren. Ich beobachte schon die ganze Zeit die Rückseite ihres Hauses und ich sah die Nummer, die am Fenster hochgehalten wurde – 6. Und du hast sie auch gesehen. Es ist also nicht der Ticker, denn er wird von ihnen überlistet.«

Evans beschattete seine Augen und schaute zum Dach hinauf und dort sah er etwas nie vorher Beobachtetes – eine Drahtlitze zwischen zwei Schornsteinkappen. Hinter dem Haus der Corbins (das sie möbliert gemietet hatten), gab es einen Stall, und in Mr. Corbin’s Wagenschuppen stand ein großes und ziemlich altes Automobil, dessen Blenden stets zugezogen waren, wenn es durch die Tore eines Rennplatzes fuhr, den man mit seiner Anwesenheit beehrte. Und oben drauf stand etwas, das wie ein Drahtbügel aussah.

Sergeant Challoner inspizierte das Auto in der Nacht, nachdem er mit einem Nachschlüssel die Garage geöffnet hatte. Das Innere war noch warm von der Hitze der Röhrenlampen. Ein Sitz war entfernt worden und bestimmte Instrumente und Batterien füllten das Innere fast vollständig aus.

Mr. Corbin hatte gerade sein Dinner beendet, als der Müller vorsprach.

»Ich lade Sie hiermit vor, weil Sie im Besitz einer drahtlosen Übermittlungsmöglichkeit sind, ohne die entsprechende Lizenz des GPO zu besitzen«, sagte der Müller. »Ich könnte Sie festnehmen wegen Absprache zum Betrug, aber das mache ich nicht. Sie und Ihre Spießgesellen haben drahtlos Ergebnisse von Rennen übermittelt und damit ein Vermögen verdient.« Mr. Corbin starrte den Officer an.

»Ich hätte ein Vermögen gemacht, wenn dieser rattengesichtige Ratgeber mich nicht hereingelegt hätte!«, schnappte er.

»Es gibt keine Ehrlichkeit mehr auf dieser Welt«, seufzte Evans, als er von den Neuigkeiten hörte. »Lädt der Kerl mich zu einer Party ein, damit ich bei einem Schwindel mitmache. Es ist widerlich!«

»Du kannst dein Gewissen erleichtern, indem du deine erschwindelten Gewinne dem Temperance Hospital vermachst«, schlug der Müller vor.

»So ein Heuchler bin ich nun auch wieder nicht«, erwiderte Evans.

Kapitel 8: Ein Pferd als Spende

Der Mensch mag über Nacht berühmt werden können; aber ein guter Ruf lässt sich nur viel langsamer aufbauen. Mr. Evans verdiente sich den begehrten Namensvorsatz »gebildet« auch nicht in einem Tag oder einer Woche, auch nicht in einem Jahr. Seine Bildung war das Ergebnis von Jahren und hinter seinem Titel verbarg sich ein komplettes Lexikon, mit dem er selbst sich intensiv befasste und dann großzügig die Welt daran teilhaben ließ.

Auf der Bühne einer Londoner Musikhalle stand einmal eine Enzyklopädie in Menschengestalt, der unmittelbar, prompt und akkurat jedwede Frage beantwortete, die ihm aus dem Publikum zugerufen wurde.

Wenn jemand also das genaue Datum des Großen Feuers in London nicht wusste oder welches Pferd das Derby in 1875 gewonnen hatte, beschaffte man sich Zutritt zu der Musikhalle, wo dieser Allwissende auftrat und rief oder schrie seine Frage hinaus und jeglicher Zweifel war binnen Kurzem beseitigt.

Educated Evans hatte nie im Glanz des Rampenlichts gestanden, wohl aber in eleganter Haltung an der Bar des »White Hart«; die Beine lässig gekreuzt, ein Ellbogen ruhte auf der zinkbeschichteten Theke, wickelte er hin und wieder eine Wette ab, hielt geschichtliche Ansprachen und korrigierte Missverständnisse.

Des Weiteren verfasste er Mahnbriefe an hartnäckige Gläubiger, so wie er auch warnende Briefe an unbotmäßige Nachbarn abfasste (nicht an seine eigenen, sondern an Nachbarn von denjenigen, die seine Dienste gesucht hatten); und er hatte Verteidigungsreden vorbereitet, um sie von der Anklagebank aus vorzulesen. Solche Reden begannen stets und ständig mit den Worten: »Hohes Gericht und verehrte Geschworenen, hier steht vor Ihnen ein armer und hart arbeitender Mann, der von bösen falschen Freunden vom rechten Weg abgebracht wurde.«

Diese Art der Verteidigung trieb Evans bereits die Tränen in die Augen, während er sie noch schriftlich fixierte, ebenso war das Schluchzen des unglücklichen Gefangenen zu hören, der es zu lesen bekam; die Wirkung bei Richter und Jury war jedoch von eher unbedeutender Natur und ließ leider sehr zu wünschen übrig.

Am Tage nach einer solchen Verteidigung vor der Anklagebank im OLD BAILEY, wo es um den Fall eines »Simmy« Joiner gegangen war, spazierte Evans niedergeschlagen die Hampstead Road entlang; er tröstete sich mit intensivem Nachdenken über seinen eigenen Wohlstand, als er plötzlich Inspektor Pine begegnete.

»Guten Morgen, Evans«, sagte der alte Inspektor freundlich und Evans schreckte aus seinen Träumereien hoch.

»Guten Morgen, Sir«, beeilte er sich zu antworten. »Ich dachte gerade darüber nach, ob ich nicht zu der Versammlung der »Bruderschaft« gegen sollte. Ich fühle da so etwas wie ein Bedürfnis nach ein wenig Religion, wenn ich diesen Ausdruck gebrauchen darf.«

Inspektor Pine schüttelte traurig den Kopf. Er war, wie bereits beschrieben, ein echter Christ und trug Verantwortung in einer bestimmten sozialen Bewegung, die ein wenig von geistigen Werten in die Herzen und Seelen der kleinen und armen Wetter bringen wollte.

»Ich fürchte, wir werden dich nicht dort sehen, Evans«, sagte er; »morgen findet unser Geschenke-Tag statt.«

Evans’ Raubtierinstinkte waren sofort alarmiert.

»Ich werde kommen, Sir«, sagte er voller Respekt, »obwohl es nicht wegen des Geschenkes ist. Ich bin gewillt, alles anzunehmen, was Sie mir geben wollen, weil es eine gute Sache ist...«

»Da liegst du falsch, Evans«, meinte der Inspektor sanft. »Bei der morgigen Versammlung werden wir Geschenke annehmen. Geld oder auch Gegenstände, die zu einem guten Zweck verkauft werden können, auch für unsere große Aufgabe bei den Pferderennen. Wir würden sogar einen Teil deiner unrechtmäßigen Gewinne annehmen.«

In den Augen des gebildeten Mannes erlosch jedes Interesse.