DER ELEGANTE MR. EVANS

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»In bar?«, fragte Mr. Gibbet mit verständlichem Argwohn.

»In bar«, antwortete Educated Evans.

Es stellte sich bei der folgenden Überprüfung heraus, dass er nur 240 Pfund dabei hatte. Die fehlenden 60 Pfund hatte er sich erdacht, denn er war ein hoffnungsloser Optimist.

Schließlich lautete seine Wette 1100 zu 220.

»Sie werden nichts dagegen haben, wenn ich Ihnen einen Scheck über Ihren Gewinn ausstelle?«, fragte Mr. Gibbet. »Ich trage nie eine große Summe bei mir; es ist nicht sehr sicher bei all diesen zwielichtigen Gestalten, die sich auf den Rennplätzen herumtreiben.«

»Ich stimme Ihnen zu«, sagte Educated Evans herzlich und ging auf die Tribüne, sich das Rennen anzusehen.

Es war ein Rennen, das man recht leicht beschreiben kann, bei welchem kein Verlangen nach diesen komplizierten und kniffligen Berechnungen aufkommt, die zu jeder Reportage über ein Rennen gehören.

‚Blue Chuck’ sprang sofort an die Spitze des Feldes, blieb dort während des gesamten Rennens und gewann mit fünf Längen Abstand. Zwei Pferde, die Educated Evans völlig unbekannt waren, wurden Zweiter und Dritter. ‚Smocker’ wurde auf halber Strecke aus dem Rennen genommen.

Educated Evans taumelte von der Tribüne hinüber zum Sattelplatz. Seine einzige, aber sehr schwache Hoffnung war, dass die zwölf Pferde, die vor ‚Smocker’ über die Ziellinie gekommen waren, alle disqualifiziert würden. Aber die Flagge ging hoch und eine mächtige Stimme sang wohlklingend »Alles In Ordnung«.

Mit schweren Schritten schleppte sich Educated Evans zum Zug.

»Der fährt erst in einer Stunde«, sagte ein Bahnbeamter.

»Ich kann warten«, erwiderte Evans sanft.

Sogleich nach dem letzten Rennen kam ein ausnehmend zufrieden dreinschauender Müller auf den Bahnsteig. Er sah Evans und bestieg dasselbe Abteil.

»Hattest du einen schönen Renntag, mein Junge?«, fragte er, »ich schon, und danke nochmals für den Tipp.«

»Überhaupt nicht«, murmelte Evans und sein Ton hörte sich sehr leidend an.

»Man hat versucht, mich auf ‚Smocker’ festzunageln; aber Buchmacher-Pferde sind nichts für mich!«

»Ist das ein Buchmacher-Pferd?«, fragte Evans mit einem leisen Anflug von Interesse.

»Ja, es gehört diesem gewissen Gibbet – der mit Miss Homaster verlobt ist.«

Educated Evans versuchte ein Lächeln.

»Wenn es dir schlecht ist«, sagte der Müller mit Besorgnis in der Stimme, »dann mach besser ein Fenster auf.«

Kapitel 3: Der Coup

Es gab Zeiten, da wurde in den Zeitungen ein gewisser Mr. Yardley als »der Zauberer von Stotford« bezeichnet; manchmal wurde diese Auszeichnung sogar zur »Yardley Verschwörung« ausgeweitet. Nur gelegentlich sprach man ganz einfach von ihm als »Bert Yardley«, aber seine Buchungen bei jedwedem bedeutenden Handicaprennen wurden stets und unveränderlich als das »Geheimnis von Stotford« bezeichnet. Denn niemand wusste so richtig, was Mr. Yardley bis zum Tag des Rennens wirklich vorhatte und für gewöhnlich auch nach dem Rennen; denn es beunruhigte schon ein wenig, dass der Favorit aus seinem Stall gewöhnlich nicht gesetzt war und der Sieger (ebenfalls aus seinem Stall) in der Masse der »hundert zu sieben« anderen startete.

Wenn das ganze Spektakel vorüber und das »Alles in Ordnung« verkündet war, pflegten die Leute immer in kleinen Gruppen am Sattelplatz zusammen zu kommen und sich gegenseitig zu befragen, was dieses Pferd in Nottingham zu suchen hatte und wo die Stewards waren und warum man Mr. Yardley nicht endlich mal die Tür gezeigt hatte. Aber sie sprachen dieses »endlich mal« nicht laut aus.

Denn es ist beim Rennen eigentlich Usus, dass der Trainer hinausgeworfen werden sollte, wenn ein Außenseiter gewinnt. Dennoch, weder Bert Yardley noch Oberst Rogersman oder Mr. Lewis Feltham (die beiden Hauptbesitzer, für die er Pferde trainierte), wurden von den Stewards um Erklärungen gebeten, was sie mit ihren Pferden so unternahmen. Somit lag auf der Hand, dass der Turf reformbedürftig und der regulär besoldete Steward zu einer absoluten Notwendigkeit geworden war.

Mr. Bert Yardley war ein ziemlich jung aussehender Mittdreißiger, der sehr wenig sprach und seine Wetten per Telegraph tätigte. Er bewohnte eine Suite im Midland Hotel, war Mitglied in einem angesehenen und seriösen Club in Pall Mall. Er beschäftigte sich sehr viel mit Lesen, meistens solche Klassiker wie »Das nächste Rennen« und den zigsten Band eines Werkes über Zuchtpferde, und er lockerte seine Studien auf mit leichterer Lektüre wie zum Beispiel den Trainingsberichten der Sportzeitungen – er lachte gerne und herzhaft.

Auch sein schlimmster Feind hätte sich nicht über ihn beschweren können, dass er irgendjemandem Informationen verweigern würde.

»Ich denke mal, meine Pferde haben eine gewisse Chance, also wette ich auch auf sie beide. ‚Tinpot’? Nun, gewiss, er kann gewinnen; Wunder geschehen immer wieder einmal und ich sollte nicht allzu überrascht sein, wenn er eine gute Show abliefert. Aber ich musste ihn letztens zurücknehmen, und als ich Montag mit ihm den Galopp probierte, konnte er es einfach nicht schaffen – und ich konnte ihn nicht dazu bringen, seine echte Leistung abzuliefern. Vielleicht läuft er besser, wenn er etwas selbstbewusster geworden ist, aber er ist und bleibt ein Pferd mit Stimmungsschwankungen. Wenn er nur endlich aus sich heraus ginge, dann würde er auch richtig loslegen.

‚Lampholder’ hingegen bedeutet das reine Glücksspiel, das je ein Zaumzeug gespürt hat. Ein Kämpfer! Er kann hier und überall starten.«

Auf welches Pferd würden Sie nach solch absolut ehrlichen und rückhaltlosen Informationen wetten, die gleichsam aus des Pferdes Maul, also direkt von der Quelle stammen?

‚Lampholder’, natürlich; und ‚Tinpot’ würde gewinnen. Selbst die bezahlten Stewards konnten ‚Lampholder’ nicht zum Sieg verhelfen, auch dann nicht, wenn sie hinter ihm herliefen und ihn anschoben. Und so etwas gehört selbstverständlich nicht zu ihren Aufgaben und Pflichten.

An einem Abend im März zog Mr. Bert Yardley sich zum Abendessen um und entdeckte beim Öffnen seines Koffers, dass seine wertvolle goldene Uhr fehlte. Er rief den Diener, der nichts anderes berichten konnte, als dass sie bei ihrer Abfahrt von Stotford nach Sandown Park noch vorhanden gewesen sei.

»Holen Sie die Polizei«, sagte Mr. Yardley und so kam Detektiv-Sergeant Challoner zu ihm.

Mr. Challoner hörte zu, machte sich ein paar Notizen, stellte einige wenige, sehr wenige Fragen an den Diener und klappte dann sein Notizbuch zu.

»Ich denke, ich kenne die Person«, sagte er und zum Diener gewandt: »Eine große Nase – da sind Sie sicher?«

Der Diener nickte heftig.

»Sehr gut«, sagte der Müller. »Ich werde mein Bestes tun, Mr. Yardley. Ich hoffe, ich werde ebenso Erfolg haben wie ‚Amboy’ im Lincoln Handicap.«

Mr. Yardley lächelte schwach. »Darüber reden wir später«, sagte er.

Der Müller stellte eine oder zwei Nachforschungen an und an diesem Abend kreuzte »Nosey« Boldin auf, dessen Lieblingsbeschäftigung darin bestand, als Telefoninspektor aufzutreten, und in dieser Funktion konnte er bereits viele erfolgreiche Erfahrungen sammeln. Auf dem Weg zum Bahnhof verschaffte sich »Nosey« – den Namen trug er seiner abnormen Nase wegen – Luft mit kräftigen und sehr bissigen Bemerkungen.

»Das kommt vom Wetten bei Pferderennen und auch, wenn man Educated Evans’ tödlichen Fünf-Pfund-Specials hinterher rennt! Lassen Sie sich das eine Warnung sein, Müller!«

»Nun hau mal nicht so auf die Pauke, bitte!«

»Ich habe ihm zehn Tipps bezahlt und einen einzigen Sieger bekommen und das fing mit 11 zu 10 an«, beharrte ‚Nosey’. »Männer wie der treiben andere Leute in das Verbrechen. Es sollte ein Gesetz geben, dass den fünften Verlust zum Verbrechen erklärt! Und nach der achten Niete sollte man ihn aufhängen! Das würde diese Kerle endlich stoppen!«

Der Müller sah zu, wie man seinen »Freund« anklagte und für die Nacht einbuchtete und ging nach Hause schlafen.

Und am nächsten Morgen, als er seine Wohnung zum Frühstück verließ, war Educated Evans die erste Person, die er zu Gesicht bekam. Der gebildete Mann schaute recht unglücklich und ängstlich drein.

»Guten Morgen, Mr. Challoner. Entschuldigen Sie bitte, wenn ich mir die Freiheit nehme, aber ich hörte, dass einer meiner Kunden in Schwierigkeiten ist?«

»Wenn du Nosey meinst, liegst du richtig«, stimmte der Müller zu. »Und weiter, er macht deine Tipps für seine Probleme verantwortlich. Ich kann ihn sehr gut verstehen.«

Educated Evans gab ein Geräusch von sich, das seine Ungeduld ausdrücken sollte, machte ein hochnäsiges Gesicht und streckte seine Hand aus. »’Bolsho’«, sagte er einfach.

»Äh?« Der Müller runzelte argwöhnisch die Stirn. »Du gibst ‚Bolsho’ nicht als Tipp, oder?«

»Jeder meiner echten Kunden bekam ihn von mir: ‚Bolsho’ – keinerlei Befürchtungen«, sagte Evans betont ruhig. »Es folgt ‚Mothegg’ (10 zu 1, um eine Halslänge geschlagen, Pech gehabt), ‚Toffeetown’ (Dritter, 100 zu 8, richtig Pech gehabt), ‚Onesided’, (gewann, 7 zu 1, was für ein Prachtexemplar!), gefolgt von ‚Curds and Whey’, gewann, 11 zu 10 – für den Preis kann ich nichts). Ist das fair?«

»Die Frage ist«, sagte der Müller bedächtig, »hat ‚Nosey’ dein Garantieangebot, also dein berühmtes Special oder auch das Resultat deiner Mitternachtsträume gekauft?«

»Das«, antwortete Evans diplomatisch, »kann ich erst nach einem Blick in meine Bücher sagen. Der Punkt ist der: Wenn ‚Nosey’ eine Kaution braucht, ist dann bei mir alles in Ordnung? Ich will keinen Skandal, und Sie kennen den ’Nosey’. Er müsste eigentlich für ‚Shelfridges’* die Werbetrommel rühren oder Versicherungstricks in der ‚Daily Flail’* veröffentlichen.«

 

‚Noseys’ Hang zu Werbung und Reklame war dem Müller in der Tat wohl bekannt. Er hatte die Marotte, auch beim geringsten Anlass aus einer Maus einen Elefanten zu machen, und sich dabei in den Zeitungen einen Platz zu verschaffen, der sonst nur dem Parlament oder großen Mordfällen eingeräumt wird.

Es war ‚Nosey’, der mit seiner aufschreckenden Behauptung, Essiggurken würden eher zu Verbrechen verleiten als Bier, eine Pressekampagne lostrat, die Monate andauerte.

Als man denselben ‚Nosey’ wegen Hoteldiebstahls anklagte (sein Lieblingsfehltritt), verkündete er, dass Motorbusse die Ursache aller Verrücktheiten seien.

Wichtiger als seine häufigen Missgeschicke war ihm das Anliegen, für irgendjemand eine Vorstellung zu liefern.

Der Fall ‚Nosey’ wurde recht schnell abgehandelt. Lange bevor der Staatsanwalt seinen Beweisantrag beendet hatte, musste er feststellen, dass sein Schicksal besiegelt war.

»Ist über den Mann irgendetwas bekannt?«, fragte der Richter.

Ein Strafgefangener trat behände in den Zeugenstand und gab einen kurzen Abriss von ‚Noseys’ Leben, und ‚Nosey’, der das alles schon kannte, gab sich gelangweilt.

»Gibt es dazu irgendetwas zu sagen?«, fragte der Richter.

‚Nosey’ räusperte sich.

»Ich kann nur sagen, Euer Ehren, dass ich durch die skrupellosen Machenschaften der Tippgeber auf die schiefe Bahn des Diebstahls kam. Ich bin durch Tipps ruiniert worden, und wenn es eine Gerechtigkeit gibt, dann müsste neben mir noch ein anderer hier stehen.«

Im Hintergrund des Gerichtssaales wand sich Educated Evans wie ein Aal.

»Ich habe eine Frau«, fuhr ‚Nosey’ fort, »wie man sie nur einmal im Leben findet. Ich habe zwei liebe kleine Kinder und ich bitte Euer Ehren zu bedenken, wie ich wegen der Pferderennen und der Wetten und wegen dieses Tippgebers in Versuchung geriet.«

»Sechs Monate Zwangsarbeit«, sagte der Richter, ohne aufzuschauen.

Auf der Straße vor dem Gerichtsgebäude wartete Mr. Evans geduldig, bis der Müller erschien.

»’Nosey’ hat in seinem Leben niemals mehr als einen Shilling für die Wette auf ein Pferd gehabt«, sagte er bitter, »und er hat Schulden! Mir wird das Brot durch Verleumdungen und Verdrehungen vom Mund weg-genommen; glauben Sie, Mr. Challoner, das kommt alles in die Zeitung?«

»Bestimmt«, sagte der Müller erheitert und Educated Evans stöhnte auf.

»Dieser Mann ist schlimmer als Lucreature Burgia*, die berühmte Giftmischerin«, sagte er, »über die Shakespeare ein Stück geschrieben hat. Er ist eine wahre Schlange. Und glauben Sie doch nicht, ich hätte ihm den Tipp mit ‚Penwiper’ für das Manchester-Rennen im November gegeben! Ebenso wenig hat er mich jemals gefragt, ob ich vielleicht Geld brauche! Mr. Challoner, ich bitte Sie!«

Challoner drehte sich weg und gab es auf.

»Es war dieser Yardley, oder? Ich meine, der Trainer?«

Der Müller schaute ihn vorwurfsvoll an.

»Es kann sein, dass ich allmählich alt werde und mein Gedächtnis nachlässt«, sagte er, »aber ich meine mich zu erinnern, dass du mir letztens den Tipp mit ‚Tellmark’ gegeben hast; dabei erwähntest du, ein persönlicher Freund von Mr. Yardley zu sein. Und die Art und Weise, wie er darauf bestanden haben soll, dass du ihn an etlichen Wochenenden besuchst, nanntest du ein öffentliches Ärgernis.«

Educated Evans zuckte nicht einmal mit der Wimper.

»Das war sein Bruder«, sagte er.

»Dann muss er gelogen haben, als er mir sagte, er habe gar keinen Bruder«, erwiderte der Müller.

»Sie haben sich gestritten«, antwortete Educated Evans unbekümmert. »Tatsächlich hat keiner jemals den Namen des anderen in den Mund genommen. Sehr traurig, wenn Brüder sich streiten, Mr. Challoner. Ich habe mein Bestes versucht, sie wieder zu versöhnen – aber was soll’s! Über ‚Amboya’ hat er kein Wort verloren, stimmt’s?«

»Er sagte nichts, was ich dir erzählen könnte«, war die unbefriedigende Antwort; damit ließ er Evans zurück, sich Mittel und Wege zu überlegen, wie er mit dem Zauberer von Stotford näheren Kontakt aufnehmen könnte.

Was Publicity anging, wurden alle seine Befürchtungen wahr. Eine Abendzeitung titelte:

Durch Tippgeber ruiniert

Ein vormals erfolgreicher Kaufmann muss wegen Diebstahls ins Gefängnis.

Und ein Morgenblatt mag stellvertretend für den Rest der anderen Zeitungen erwähnt werden:

Tippgeber verantwortlich

Die Pest des Turf vernichtet ein Zuhause

Detective-Sergeant Challoneer sprach im Midland Hotel vor, wo er auf Mr. Yardley traf.

»Nein, danke sehr, Sir.« Der Müller blieb fest. Er vergaß nie, dass er als Schuljunge in dem Ruderboot saß, das gegen Eton gewonnen hatte. Auch sonst war er in mancherlei Beziehung etwas eigen.

Also steckte Mr. Yardley den vorbereiteten Fünfer wieder in seine Tasche.

»Ich setze einen Zehner auf alles, was mir gerade einfällt«, sagte er. »Übrigens, wer ist dieser Tippgeber- dieser Kerl, den der Gefangene meinte?«

Der Müller lächelte.

»Educated Evans«, sagte er und fügte eine Beschreibung hinzu. Mr. Yardley nickte.

Auf der Reise nach Lincoln übernachtete er in London und langweilte sich ein bisschen. Er hatte den ‚Racing Calendar’ gelesen, von der Rennliste des laufenden Jahres angefangen bis zur letzten Seite mit dem aktuellen Hindernisrennen. Er hatte geistig die überraschenden Qualitäten von Zuchthengsten verarbeitet, die für 48 und 1 Guineas (ca. 1000 Shilling = ca. 50 Pfund; d.Ü.) versorgt und gepflegt werden und die Liste der Vertragsstrafen von Aaron bis Znosberg hätte er fast schon auswendig hersagen können. Er sehnte sich sehr nach Abwechslung, als endlich ein Hotelpage ihm eine Visitenkarte brachte.

Es handelte sich um eine große Karte, geschmackvoll umbrämt mit pinkfarbenen und grünen Rosen. Hinter seinem goldenen Rand standen diese Worte gedruckt:

J. T. E V A N S

(besser bekannt als »Educated Evans«!)

In der Welt führender Turfratgeber und Renn-Experte

c/o Jockey Club, Newmarket, oder direkt:

81 Bayham Mews, S.W. 1

«Der Mann, der den Tipp für ‘Braxted’ gab!!

Was für ein Prachtexemplar!« siehe PRESSE

Mr. Yardley las den Text und blieb bei den Druckfehlern hängen.

»Page, bringen Sie den Gentleman hinauf«, sagte er.

So trat Educated Evans vor ihn, in würdiger Pose und vor allem entschlossen.

»Ich hoffe, Sie finden mein Geschäft wichtig genug, dass Sie mein Eindringen entschuldigen können.« Mit dieser Einleitung einzutreten hatte er sich vorgenommen.

»Nehmen Sie Platz, Mr. Evans«, sagte Yardley und Educated Evans legte seinen Hut unter den Stuhl und setzte sich.

»Ich denke viel über die Dinge nach in der Abgeschiedenheit meiner Höhle...«, begann Evans nach einem anfänglichen Hüsteln.

»So sind Sie auch noch ein Löwenbändiger?«, fragte der Zauberer von Stotford interessiert.

»Nun, mit dem Wort ‚Höhle’ oder ‚Bau’ meinte ich natürlich mein Arbeitszimmer«, sagte Evans würdevoll. »Um nicht wie die Katze um den heißen Brei zu laufen, wie ein bekanntes Sprichwort sagt, ich habe da von einem Coop gehört.«

»Ein – was?«

»Ein Coop«, sagte Evans

»Also ein Hühnerstall?«, fragte der Zauberer verwirrt.

»Es ist ein französisches Wort und bedeutet Betrug«, sagte Evans.

»Oh, ich verstehe. ‚Coup’ – es wird ‚Ku’ ausgesprochen, Mr. Evans.«

Educated Evans runzelte die Stirn.

»Das ist Jahre her, seit ich in Paris war«, sagte er; »und ich nehme an, dass sich die Bedeutung geändert hat. Es hieß doch immer coop, aber diese Franzosen murksen ständig mit den Wörtern herum.«

»Und wer ist nun mit diesem Betrug beschäftigt?« fragte der Trainer höflich, indem er die alte französische Bedeutung von ‚coup’ übernahm.

»Higgson.«

Educated Evans sprach das Wort absichtlich mit deutlicher Betonung aus. Hinter Higgson verbarg sich ein weiterer geheimnisvoller Trainer. Auch seine Pferde gewannen immer dann, wenn man es am wenigstens erwartete. Und nach einem solchen Sieg versammelten sich immer kleine Grüppchen von Leuten am Sattelplatz und fragten sich gegenseitig, wo die Stewards ihre Augen gehabt hatten und warum man Higgson nicht hinausgeworfen hatte.

»Sie interessieren mich«, sagte der Trainer von ‚Amboy’. »Meinen Sie, dass er mit ‚St. Kats’ gewinnen wird?«

Evans nickte mit noch größerem Nachdruck.

»Ich halte es für meine Pflicht, Ihnen das zu sagen«, sagte er.

»Meine Informationen«, und mit diesen Worten dämpfte er seine Stimme zu einem Flüstern und blickte zur Tür, ob sie auch geschlossen war, »stammen von dem Jungen, der sich um dieses Pferd kümmert!«

»Du meine Güte!«, sagte Mr. Yardley.

»Ich habe überall meine Gewährsleute«, erzählte Evans geheimnisvoll. »Mein Mann in Stockbridge schickte mir heute Morgen einen Brief (den darf ich Ihnen nicht zeigen), über ein Pferd in diesem Rennen für Zweijährige. Es wird mit aufgestellten Ohren gewinnen.«

Mr. Yardley betrachtete ihn mit halb geschlossenen Augen.

»Mit gespitzten Ohren?«, wiederholte er, sichtlich beeindruckt. »Hat man auch seine Ohren trainiert? Außergewöhnlich! Aber warum sind Sie gekommen, mir etwas über Higgson’s Pferd zu erzählen?«

Educated Evans beugte sich vertraulich vor.

»Weil Sie mir so manchen Dienst erwiesen haben, Sir«, sagte er, »und jetzt möchte ich ein Gleiches tun. Ich habe die Informationen. Ich könnte meinen Mund halten und selbst Millionen verdienen. Ich habe 9000 Kunden, die mir die Wetten bezahlen – aber was bedeutet Geld?«

»Wie wahr«, murmelte Mr. Yardley mit einem Nicken.

»Vielen Dank, Mr. Evans. ‚St. Kats’, glaube ich, sagten Sie?

Nun werde ich mich für Ihre Freundlichkeit mit einem Tipp revanchieren.«

Educated Evans hielt den Atem an. Sein erstaunlich dreister Plan hatte funktioniert.

»Wechseln Sie Ihren Drucker«, sagte Mr. Yardley und erhob sich. »Er hat keine Ahnung von Rechtschreibung. Gute Nacht.«

Evans entfernte sich mit versteinerter Miene und tiefem Groll im Herzen.

Mr. Yardley lief die Treppe hinunter hinter ihm her, sah die armselige Gestalt um die Ecke biegen und so etwas wie Mitleid regte sich in ihm. Schon bald hatte er den gebildeten Mann eingeholt.

»Sie bestehen nur aus Bluff und Schwindel«, sagte er gutgelaunt. »Aber ich gebe Ihnen ein bisschen, ein kleines bisschen auf ‚Amboy’«.

Noch bevor Evans sich dem Wohltäter zu Füßen werfen konnte, war er gegangen.

Der folgende Tag fand einen sehr beschäftigten Educated Evans. Den ganzen Tag über drehte Miss Higgs, die berühmte Sekretärin von der Great College Street, ihren Roneo-Vervielfältiger; und mit jeder Umdrehung des Zylinders, untermalt durch ein Rattern und Klicken, spuckte er den leidenschaftlichen Appell aus, den Educated Evans an Jung und Alt seiner Kundschaft richtete. Er scheute sich nicht, die Wortwahl anderer Werbetexter zu kopieren.

Sie wollen die besten Sieger – ich habe sie!

Wetten Sie mit Evans! Eines Tages – warum nicht jetzt?

Ich habe den Sieger des Lincoln-Rennens!

Was für ein Prachtexemplar!

Was für ein schönes Pferd!

Was für ein schönes Pferd!

Vertraulich! Direkt vom Trainer!

Das ist der Coup der Saison. Bedienen Sie sich!

Niederlage unmöglich!

Dieser bewegende Appell erging an 840 Kunden (das Porto allein kostete schon 35 Shilling).

Am Nachmittag des Rennens schlenderte Educated Evans selbstbewusst bis zum Ende der Tottenham Court Road und wartete dort auf den »Star«. Als die Zeitung endlich geliefert wurde, öffnete er sie mit einem stillen Lächeln. Er lächelte auch noch, als er las.

Tenpenny, 1.

St. Kats, 2.

Ella Glass 3.

Alle Teilnehmer kamen ins Ziel.

‚Tenpenny? – Nie von dem gehört«, wiederholte er verwirrt und zog die Mittagsausgabe aus der Tasche. ‚Tenpenny’ war als zweifelhafter Kandidat markiert.

Er wurde trainiert von – Yardley.

Für einen Augenblick kamen seine Gefühle in Wallung.

»Dieser Mann gehört hinausgeworfen«, sagte er dumpf und schleppte sich auf wehen Füßen zurück zum Stallhof.

Am Morgen kam ein Brief aus Lincoln.

»Sehr geehrter Mr. Evans,

Was halten Sie von meinem Coop?

 

Mit freundlichen Grüßen, H. Yardley.

Ein angefügtes P.S. lautete:

Anbei noch ein Fünfer für Sie. Ihr Unternehmen hat ihn sich verdient.«

Evans öffnete vorsichtig den Scheck und schüttelte den Kopf.

»Im Grunde«, sagte er schließlich dem heimlich jubilierenden Müller, »können die Kunden nicht erwarten, dass sie jedes Mal gewinnen – ein Turfratgeber hat ein Anrecht auf seine eigenen Coops.«

‚Tenpenny’ startete mit 25 zu 1.

Kapitel 4: Der Spitzel

Samstagnacht in der High Street, Camden Town, die Lichter leuchteten und die Klingel der Straßenbahn hörte sich irgendwie traurig an. An beinahe jedem gasbeleuchteten Stand hielt sich eine Gruppe von trübseligen Zweiflern auf, wohl wissend, dass ein Einkäufer zu dieser späten Stunde nicht unbedingt positiv auf ihr Marktgeschrei reagiert.

An einer Straßenecke hörte eine dichtgedrängte Menschenmenge wie hypnotisiert einem winzigen, aber faszinierenden Redner zu. Bekleidet war er mit einem rotvioletten Rennjacket über einer voluminösen, aber recht eng gegürteten Reithose.

»...habe ich Ihnen nicht gesagt, dass ‚Benny Eyes’ nicht für das ‚City and Suburban Handicap’ taugt? Habe ich Ihnen nicht gesagt, nicht auf ‚Sommerband’ im ‚Metropolitan’ zu setzen? Habe ich Ihnen nicht letzte Woche an genau dieser Stelle gesagt, und ich bin gewillt, 1000 Pfund dem Temperance Hospital zu stiften, wenn es nicht so war, dass ‚Proud Alec’ auch nach einem Sturz noch das ‚Great Surrey Handicap’ gewinnen könnte? Habe ich nicht...«

Jemand aus der Zuhörerschaft drängte sich seufzend durch die Menge hinaus, stieß dabei gegen einen ruhig aussehenden, breitschultrigen Mann, der an einem Strohhalm kaute und intensiv zuhörte.

»Guten Abend, Mr. Challoner«, sagte Educated Evans.

»N’Abend, Evans,« sagte der Müller. »Sie wollen sich ein paar Tipps holen?«

Ein verächtliches, dennoch fasst mitleidiges Lächeln umspielte die Lippen des gebildeten Evans.

»Von dem?«, fragte er. »Kaufen Sie denn auch Kriminalromane, wie sie in der Zeitung stehen, um dadurch Ihre Polizeiarbeit zu erlernen? Nein, Mr. Challoner – ich stand dort als unparteiischer Beobachter, der die unteren Klassen studierte, mit ihren Begierden und ihrer Leichtgläubigkeit, die mich zu Tränen rührten. Ich würde Holley nie schlagen – ich kenne den Mann. Er nimmt meine Tipps auf und dann geht er hin und verkauft sie an die Leute. Ich beklage mich nicht, solange er nicht meinen Namen benutzt. Aber wenn er sich beim nächsten Mal öffentlich hinstellt und will Educated Evans’ Fünf-Pfund-Specials für vier Pence verkaufen, dann verklage ich ihn.«

Der Müller hatte sich bereits halb abgewendet, als nach einer Sekunde des Zögerns Educated Evans wieder an seiner Seite auftauchte. »Sie haben doch nichts dagegen, Mr. Challoner?«

»Nicht im geringsten, Evans. Wenn ich einen Bekannten treffe, kann ich ihm immer noch erzählen, ich nähme dich zur Wache mit.« Evans zuckte zusammen.

»Tut es deinem Herzen nicht wohl, all diese Leute um dich herum zu sehen, wie sie wieder auf die Beine kommen, wie jeder mit ehrlicher Arbeit sein Geld verdient?«

Evans schniefte. »Sie kennen Ihren eigenen Job am besten«, sagte er sybillinisch.

»Vielleicht sind sie nicht alle bodenständig mit Schwielen an den Händen«, gab der Müller zu; und dann kam ein vertrautes Gesicht in sein Blickfeld.

»Wenn meine Augen mich nicht im Stich lassen, dann sah ich da soeben den alten Solly Risk – wie lange ist der schon wieder draußen?«

Educated Evans wusste es nicht.

»Die Gewohnheiten der kriminellen Kreise«, sagte er, »sind für mich böhmische Dörfer, wie Sokrates schon zu Julius Cäsar sagte*, dem weltbekannten Italiener. Sie werden eingesperrt, kommen wieder raus, kein Mensch weiß es. Solly ist für mich so weit weg wie der berühmte afrikanische* Fluss, der Amazonas, von Stanley im Jahre 1743 entdeckt*. Aber man kann auch zu weit entfernt sein und ‚snouts’ sind nun einmal ‚snouts’...«

»Snouts?«, sagte der Müller, völlig verwirrt, »was ist denn ein snout?«

»Das ist ein Ausdruck, der in der unteren Klasse verwendet wird, und ich kann sehr gut verstehen, dass Sie ihn noch nie gehört haben«, sagte Evans höflich.

»Wenn du mit diesem vulgären Ausdruck eine Person meinst, welche die Polizei mit Informationen über kriminelle Aktivitäten versorgt«, sagte der Müller, der viel besser als Evans die Funktionen eines V-Mannes kannte, »dann muss ich dir sagen, dass man Solly nach klarer Beweislage eingesperrt hat. Bist du arg erkältet, Evans?«

Dies sagte er, weil Evans schon wieder schnaufen musste.

»Als Turfratgeber und Englands führende Autorität in Sportangelegenheiten«, sagte Evans, »bin ich vollauf mit mir selbst beschäftigt, ohne mich um anderer Leute Geschäfte kümmern zu können. Ich werde nichts sagen gegen Ginger Vennett...«

Der Müller hielt an und fixierte seinen Begleiter mit einem seltsamen Blick. »Schlage dir das aus dem Kopf, dass Ginger ein snout sein soll«, sagte er. »Er ist ein hart arbeitender junger Mann – arbeitet mehr als sein Vermieter.«

»Oder seine Vermieterin«, vermutete Evans und dieses Mal war sein Schnaufen furchtbar laut.

»Ich weiß nichts über seine Vermieterin, außer dass sie gut aussieht, hart arbeitet und eigentlich für Lee zu gut ist«, sagte der Müller und Educated Evans lachte dumpf.

»Genau wie Cleopatra, deren berühmte Nadel wir heute noch bewundern können«, sagte er. »Oder so wie Lewdcreature Burgia*, die berühmte Frau von Heinrich VIII.*, die ihn vergiften wollte, indem sie ihm kochendes Blei in das Ohr einflösste*. Oder wie B.(Bloody; d.Ü.) Mary, die die unschuldigen Prinzen in dem berühmten Tower von London ermordete* im Jahre...«

»Wir wollen jetzt nicht alte Geschichten aufrühren«, bat der Müller. »Hast du in letzter Zeit etwas von Lee gesehen? Man sagt mir, er sei wieder ins Pferdemetier eingestiegen?«

Das war eine tödliche Beleidigung, die er Educated Evans damit antat, und niemand wusste das besser als der Müller selbst. Er war tatsächlich dabei, Evans zum Schwatzen zu überreden!

»Sie überraschen mich, Mr. Challoner«, sagte Evans, zutiefst verletzt, und der Müller lachte und ging weiter.

Jedermann liebte »Modder« Lee – den man so nannte, weil er im betrunkenen Zustand die Angewohnheit hatte, die Schlacht am Modder-Fluss (an der er teilgenommen hatte) zu beschreiben. Dabei stellte er die Frontlinie dar, indem er seinen Finger in das nächstbeste Bierglas steckte und dann die Flusslinie auf die Theke malte. Er war ein guter Kerl, ein ruhiger, unauffälliger Bürger, ein mehr als treuer Ehemann und Vater zu der ganz schön zänkischen Xanthippe, die er in einem Augenblick geistiger Umnachtung geheiratet hatte.

Seine einzige Schwäche waren Pferdegeschirre. Der Anblick eines solchen Geschirrs setzte sein Blut in Wallung und ließ ihn allerhand ungesetzliche Dinge tun. Er hatte Karren gestohlen, war mit den Pferden davongegangen und hatte sie an Ort und Stelle genau vor der Nase ihrer Besitzer verkauft, aber das Geschirr war seine Spezialität.

»Es ist ein Hobby«, erzählte er seinem Untermieter, einem großen, gut aussehenden und hitzköpfigen jungen Mann, der für seinen Lebensunterhalt nichts weiter tat, als auf ein paar unsichere Pferde zu wetten und dem Buchmacher nachzulaufen. Er arbeitete normalerweise für eine Firma von Handelsagenten im West End, bis eines Tages unrentable Papiere auftauchten und man entdeckte, dass er auf telegraphischem Wege bei der ehrenwerten italienischen Gesellschaft schnelle Ergebnisse erzielte.

Er war einmal ein Kunde von Educated Evans gewesen; aber nach einem Streit, ob er einen Tipp (die Wette zu 5 sh.) erhalten hatte oder nicht, hatte Educated Evans ihn aus seiner Kundenliste gestrichen. Und dies gab Ginger Anlass zu großem Ärger, denn er setzte immer noch ein geradezu unnatürliches Vertrauen in die Voraussicht des gebildeten Mannes.

»Ich weiß mehr über Pferdegeschirre«, sagte Modder Lee stolz, »als irgendjemand anders in dem Metier. Ich kann die High Street entlanggehen und den Preis von jedem Set nennen, das ich finde, und ich wette, ich bin keine fünf Shilling davon entfernt.«

Eines Nachts brach man in den Stall von Holloway’s Versorgungslagern ein und danach fehlte ein Satz Pony-Geschirre. Zwei Nächte später kam ein dringender Anruf aus Lifton Mews. Ein Satz Gurtwerk für Kutschen, persönliches Eigentum von Lord Lifton, war verschwunden....