Sally - Magierin wider Willen

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Sie sprang auf, um in die Richtung zu stürmen, aus der die Stimmen kamen, besann sich aber dann doch noch eines besseren. Was, wenn es stimmte, was ihr Schnurz und Ziofotta über die Bergtryaden erzählt hatten? Sie sollte erst einmal versuchen, etwas über die herannahenden Personen herauszufinden. Ihre Finger tasteten nach dem Kristall, um sich mit seiner Hilfe den Bergtryaden körperlos zu nähern. Er fühlte sich warm an und ein schwaches Licht pulsierte tief in seinem Innern. Sally schloss ihre Augen und begann sich darauf zu konzentrieren, ihren Körper zu verlassen, um mit ihrem Geist den Herannahenden entgegen zu gehen. Der Kristall wurde immer wärmer in ihrer Hand und begann zu pulsieren. Ruhe breitete sich in Sally aus. Sie versuchte, wie schon die Male zuvor, ihren Geist vom Körper zu trennen, aber es gelang ihr nicht. Stattdessen vernahm sie die Stimmen jetzt deutlich in ihrem Kopf. Es schienen drei weibliche Personen zu sein, die sich zwanglos unterhielten.

“ versucht, dieses Mädchen zu sich zu ziehen, um Besitz von ihr zu ergreifen. Allerdings scheint er langsam alt zu werden, denn plötzlich stürzte die Wand ein und hätte das Mädchen fast erschlagen. Dabei schien sich seine Energie gegen ihn selbst gerichtet zu haben, denn urplötzlich war er verschwunden.”

“Wir sollten versuchen, das Mädchen zu finden. Sie könnte für etwas Abwechslung sorgen. Schon lange hat uns niemand mehr besucht.”

Eigentlich sollte Sally zu Tode erschrocken sein sollen, aber sie fühlte nichts als Neugier.

“Wenn ihr so gut Bescheid über alles wisst, könnt ihr mir ja vielleicht auch helfen, den Fluch des Bösen von mir zu nehmen!”

Sally war über ihre eigenen Worte erschrocken. Sie hatte in Gedanken zu den Bergtryaden gesprochen und augenscheinlich hatten diese sie auch verstanden, denn es wurde plötzlich wieder ganz still.

“Wer bist du?”, hörte sie eine der Drei fragen.

“Das gleiche könnte ich euch fragen!”

Ihre Worte klangen hart und herausfordernd. Sally wunderte sich über sich selbst.

“Wir sind die Wächter zum Reich der Bergtryaden und wachen darüber, dass niemand unbefugt unser Reich betritt.”

“Und ich bin Sally, die Magierin aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, auf dem Weg, die böse Saldera zu bezwingen.”

“Dann warst du es, die den Herrscher über die Unterwelt in seine Schranken verwiesen hat?!”

Sally konnte das Staunen aus den Worten heraushören.

“Natürlich war ich es!”, antwortete sie, ihre kleine Chance erkennend. “Ich habe mich auf den Weg gemacht, euch um einen kleinen Gefallen zu bitten. Wie ihr wisst, hinterlässt der Herrscher der Unterwelt seine Spuren an jedem, den er jemals berührt hat. Ich konnte ihn zwar zurückweisen, aber trotzdem hat er es geschafft, ein Teil des Bösen auf mich zu übertragen. Ich möchte euch bitten, mich von diesem Übel zu befreien, damit ich meine Aufgabe vollenden kann.”

Es herrschte kurzzeitig Stille. Dann antworteten die Bergtryaden:

”Das können wir nicht selbst entscheiden. Wie du sicherlich weißt, ist es noch niemandem gelungen, der jemals in unserem Reich war, es wieder lebend zu verlassen.”

Enttäuschung machte sich in Sally breit.

“Es ist aber bisher auch noch nie eine Magierin in unser Reich gekommen. Wir werden dich mitnehmen, damit du dein Anliegen unserer Königin vortragen kannst. Sie wird dann entscheiden, ob sie dir helfen wird.”

Ein schwacher Hoffnungsschimmer keimte in Sally auf. Vielleicht hatte sie ja doch noch eine Chance. Sie öffnete die Augen und hätte fast vor Schreck aufgeschrieen, als sie direkt vor sich die drei Bergtryaden sah.

Sie blickte in gütige weiße Gesichter mit blonden Haaren. Die schlanken Gestalten waren in weiße Gewänder gekleidet, die wie alles hier, ein mattes Leuchten ausstrahlten.

“Folge uns!”

Sally hörte zwar die Stimme in ihrem Innern, konnte jedoch nicht ausmachen, welche der drei Gestalten zu ihr sprach. Als sie sich umwandten und losgingen, folgte Sally ihnen gehorsam.

Sie gingen in die Richtung, aus der Sally gerade gekommen war, zweigten dann jedoch mehrfach scheinbar wahllos nach links oder rechts ab und kamen an eine Wendeltreppe, die in die Tiefe führte. Die Stufen waren aus dem Fels gemeißelt, aber so gleichmäßig, dass es ihr leicht fiel, auf ihnen den Bergtryaden zu folgen. Längst schon hatte sie es aufgegeben, die Stufen zu zählen. Sie mussten sich schon weit unter der Erde befinden.

Dann hörte sie ein Wimmern und Schreien, allerdings aus scheinbar weiter Ferne. Je tiefer sie jedoch die Treppe hinab stiegen, um so lauter wurden die Stimmen. Als sie an einer Öffnung vorbei kamen, bemerkte Sally dahinter ein rotes Flackern. Sally blieb stehen und näherte sich der Öffnung. Sie erblickte eine große Höhle, in der zahllose Feuer brannten. Als Sally näher hinsah, bemerkte sie Gestalten, die über den Feuern angekettet waren. Ihr Herz schien stehen zu bleiben. Sie konnte quasi spüren, wie die “Menschen?” dort große Qualen litten. Eine große Wut machte sich in ihr breit. Automatisch ging ihre Hand zum Kristall und umschloss ihn. Er begann zu glühen. Sie versuchte, sich zu konzentrieren, wie schon an der Wand, welche die Höhle von dieser Welt trennte. Doch plötzlich hörte sie die Bergtryaden.

“Tu es nicht, wir würden alle vernichtet werden!”

Erschrocken lockerte sie den Griff um den Kristall und wandte ihren Blick ab von diesem grauenvollen Bild. Die Bergtryaden waren stehen geblieben und starrten Sally aus großen Augen an.

“Du bist ihm einmal entkommen, ein zweites Mal wird es aber nicht geben.” Sie hörte die Worte wie in Trance und drehte sich wieder zu der Öffnung um, konnte aber nur noch die kahle, matt schimmernde Wand entdecken.

Verstört fragte sie die Bergtryaden:

”Was war das? Da war doch gerade noch eine Öffnung, und diese grauenvollen Feuer, und die angeketteten Menschen ”

“Du hast durch deine Anwesenheit für kurze Zeit ein Fenster zum Reich der Unterwelt geöffnet. Wenn der Herrscher über die Unterwelt dies mitbekommt, bist du in großer Gefahr. Es ist bisher noch niemandem gelungen, ihm zu entrinnen, geschweige denn, in sein Reich einzudringen ohne dass er es wollte.”

“Dann lasst uns so schnell wie möglich zu eurer Königin gehen, damit ich diesen Ort wieder verlassen kann!” sagte Sally mit gesenkter Stimme. Jeden Moment glaubte sie, ein Ungeheuer um die Ecke biegen zu sehen, dass sie mit riesigen Klauen greifen und fortschleppen würde.

Vorsichtig machten sie sich dann auch wieder auf den Weg. Schließlich erreichten sie das Ende der Treppe, das in einen langen matt schimmernden Gang endete. In weiter Ferne glaubte sie Stimmen zu hören, Stimmen, die sich langsam zu einem Gesang vereinten. Als sie schließlich um eine Ecke bogen, lag die Höhle der Bergtryaden vor ihnen. Staunend riss Sally ihren Mund auf. “Das also ist euer Reich!”

Von allen Seiten schimmerte es bunt, riesige Stalaktiten hingen von der Decke herab und berührten den Boden. Bei näherem Hinsehen bemerkte Sally, dass in die Stalaktiten eine Treppe eingearbeitet war, die in luftiger Höhe auf einem Podest endete. Sie erkannte jetzt auch eine Tür und Fenster, aus denen einige neugierige Bergtryaden heraus schauten. Da sie sich weit oberhalb des Bodens der Höhle befanden, konnte Sally sie fast ganz überblicken. Gebannt schaute sie dem Treiben dort unten zu und bemerkte dabei nicht, wie sich ihr eine riesige Fledermaus näherte. Wären nicht ihre beiden Begleiterinnen gewesen, die dem Angreifer Einhalt geboten, es wäre um Sally geschehen gewesen. Erschrocken taumelte sie zurück.

“Du scheinst nicht gerade an deinem Leben zu hängen”, sagte eine der Bergtryaden, “Warum sonst stellst du dich als lebendes Futter für unsere Wächter zur Verfügung.”

Sally hatte sich noch immer nicht wieder ganz in der Gewalt, sah aber jetzt, dass der Wächter immer noch in einiger Entfernung von ihnen kreiste und sie genau beobachtete. Es war eine ca. zwei Meter große Fledermaus, die behäbig mit den Flügeln schlug. Sally konnte deren Schlag bereits hören. In einiger Entfernung, in Nähe der Decke sah sie nun auch weitere dieser Wächter kreisen, wahrscheinlich weitere Zugänge bewachend.

“Entschuldigt bitte, aber ich habe mich in eurer Obhut einfach sicher gefühlt”, brachte Sally mit leicht zitternder Stimme hervor.

“Nein, wir müssen uns entschuldigen, wir hätten dich warnen müssen. Aber es kommt auch nicht alle Tage vor, dass wir Besuch bekommen. Aber nun lasst uns hinuntergehen, unsere Königin erwartet uns bereits.”

Sally ersparte es sich zu fragen, woher man von ihrer Ankunft wusste, sie hatte schon so viel Merkwürdiges erlebt, dass sie dies schon als normal ansah.

Langsam stiegen sie die Stufen hinab. Links und rechts der Treppe kamen Sally die kuriosesten Dinge zu Gesicht. Da tummelten sich maulwurfsgroße Geschöpfe auf einem abgesteckten Teil des Bodens und waren unablässig damit beschäftigt, die Erde aufzuwühlen und hinter sich zu schmeißen. Auf einem anderen Teil wuchsen die sonderbarsten Pflanzen, mit grün leuchtenden Blättern und tomatenförmigem Stiel. Dazwischen schlängelte sich ein kleines Rinnsaal, welches scheinbar dazu diente, die Pflanzen ständig mit Wasser zu versorgen. Auf einem anderen abgesteckten Teil waren ein paar Bergtryaden damit beschäftigt, die Früchte anzuschneiden, um den austretenden Saft mit einem kleinen Gefäß aufzufangen. Wo immer man aber auch vorbeikam, überall begegnete man ihnen freundlich.

Schließlich erreichten sie den Boden der Höhle und begaben sich auf direktem Wege, vorbei an Stalagmiten, zur Mitte der Ansiedlung, wo sich der größte von ihnen erhob. Je näher sie ihm kamen, umso mehr Einzelheiten konnte Sally nun auch an ihm ausmachen. Es war ein wunderschönes Exemplar, in allen Farben des Regenbogens leuchtend und mit unzähligen Mustern und Bildern verziert.

 

Es waren aber nicht einfach nur Bilder, diese Bilder schienen eine Geschichte zu erzählen. Wenn man sie ansah, schien man in eine andere Welt abzutauchen, selbst zu erleben, was sie einem erzählen wollten. Schließlich erreichten sie die Tür, an der sie schon von einer weiteren Bergtryade erwartet wurden.

“Wo bleibt ihr denn nur? Unsere Königin wartet schon ganz ungeduldig auf euren Bericht!”

Sie ergriff Sallys Hand und zerrte sie hinter sich in den Stalagmiten. Ganz überrascht ließ sie sich mitziehen, blickte sich aber hilfesuchend zu ihren zwei Begleiterinnen um, die nun in geringem Abstand folgten. Als sich Sally wieder umdrehte, blieb sie vor Staunen so plötzlich stehen, dass ihre Hand der Führerin entglitt und diese ins Stolpern geriet.

An den Wänden rings um waren in leuchtenden Farben die verschiedensten Geschichten dargestellt. Da fand sie die großen Fledermäuse in Luftkämpfe mit anderen kleineren Kreaturen verstrickt, Bergtryaden, die mit Lanzen auf gehörnte Ungeheuer losgingen, aber auch die kleinen maulwurfsähnlichen Tiere, wie sie auf den Feldern rumwuselten und das Unterste zu Oberst umkehrten.

Je länger sie ein Bild anschaute, umso mehr Details konnte sie darin erkennen. Schließlich wurde sie aus ihren Betrachtungen durch eine helle wohlklingende Stimme gerissen.

“Wenn du dort noch lange stehen bleibst, wirst du eines der nächsten Wandbilder werden, dann kann selbst ich dich nicht mehr vom Fluch des Herrschers der Unterwelt befreien.”

Erschrocken drehte sich Sally um und blickte direkt in die Augen der Königin der Bergtryaden.

“Oh, Entschuldigung ich meine, Eure Majestät ich ähm ”

“Es ist ja noch schlimmer, als man mir berichtet hat”, sagte die Königin. “Man hat mich ja schon vorgewarnt, dass du ein wenig stotterst, aber das übertrifft dann doch meine Erwartungen.”

Zorn über sich selbst stieg in Sally hoch und trieb ihr die Schamesröte ins Gesicht, aber sie konnte sich gerade noch einmal bremsen, nicht sofort wieder unüberlegt loszustottern.

“Ihr wisst bereits, was passiert ist?”, fragte nun Sally ihrerseits und versuchte eine Verbeugung, die etwas unbeholfen aussah.

“Oh, bitte nicht solche Förmlichkeiten, ich bin Belonia. Die Elfen haben mir von dir berichtet und von dem, was du vorhast. Aber wie konntest du nur so vom Weg abkommen. Man sagte mir, dass du auf direktem Weg zu Saldera seist, um gegen sie zu kämpfen, stattdessen aber legst du dich mit dem Herrscher der Unterwelt an.”

“Es stimmt, wir waren auf direktem Weg zu Saldera und suchten Unterschlupf in einer Höhle, um die Nacht dort zu verbringen. Leider hat uns meine Neugierde dann in diese schlimme Lage gebracht.”

Stück für Stück erzählte Sally nun was ihr und ihren Kameraden widerfahren war. Alle hörten gebannt zu und unterbrachen sie nicht ein einziges Mal. Dann, als sie geendet hatte, erhob sich Belonia und wandte sich an ihre Begleiterinnen.

“Schnell, sucht die Gefährten von Sally, damit ihnen nichts geschieht und bringt sie unversehrt hierher, ich werde mich in der Zwischenzeit um Sally kümmern und versuchen, sie von diesem Bann zu befreien.”

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, drehten sich ihre Begleiterinnen um und verließen den Stalagmitenpalast, um Schnurz und Ziofotta zu suchen.

Dann wandte sie sich zu Sally um und sagte:

“Komm Sally, folge mir. Wir haben nicht sehr viel Zeit, um dich von diesem Bann zu befreien. Ich hoffe, dass es noch nicht zu spät ist.”

Sie verschwand nebenan und Sally folgte ihr gehorsam. Sie fand sich in einem Raum wieder, der schlicht eingerichtet war. Keine Verzierungen an der Wand, keine Bilder, Tische oder Stühle. Nur auf dem Boden, in der Mitte des Raumes, waren sonderbare Zeichen zu sehen, die in einem großen Kreis angeordnet waren.

“Lege dich in diesen Kreis und schließe die Augen.” sagte Belonia zu Sally. “Denke an etwas schönes, was dir Freude macht.”

Sally tat, wie ihr geheißen. Als sie auf dem Boden lag, begann Belonia leise zu singen, in fremdartigen rhythmischen Tonfolgen, immer lauter werdend. Ihre Worte nahmen beschwörenden Charakter an. Sally spürte, wie eine Wärme vom Erdboden ausging und sich in ihrem Körper auszubreiten begann. Sie spürte auch, wie sich diese Wärme in ihrem betroffenen Arm auszubreiten versuchte. In kleinen Schüben drang die wohlige Wärme immer weiter vor, doch plötzlich kam sie zum Stillstand, verharrte einige Augenblicke und wurde dann durch die innere Kälte wieder zurückgedrängt.

Sofort verblassten die Gedanken, denen sich Sally hingegeben hatte. Sie spielte in ihrem Garten, schaukelte dort auf der Schaukel, die ihr Vater eigenhändig für sie gebaut hatte und beobachtete, wie eine Katze vergeblich versuchte, einen Vogel zu fangen, der sich in der Nähe auf einem Ast niedergelassen hatte und einen wunderschönen Gesang startete.

Als sie die Augen öffnete, blickte sie in das traurige Gesicht Belonias. Tränen rannen aus ihren Augen und sie erblickte eine Spur von Hoffnungslosigkeit. “Es ist zu spät, seine Macht ist schon zu groß über dich geworden. Meine Kraft reicht nicht aus, ihn aus dir zu vertreiben. Ich fürchte, er wird schon bald über dich gebieten.”

Bei den letzten Worten war es Belonia unmöglich, Sally länger anzuschauen. Sie hatte ihr Möglichstes versucht, war bis an die Grenzen ihrer Kraft gegangen, musste dann aber doch aufgeben, um nicht selbst verzehrt zu werden.

Trotz machte sich nun in Sally breit.

“Ich bin nicht bereit, mich diesem Herrscher der Unterwelt kampflos zu ergeben. Schon einmal habe ich es geschafft, ihm zu entkommen.”

Eine Idee keimte in Sally auf.

“Bitte Belonia, versuch es noch einmal, ich werde versuchen, dich diesmal zu unterstützen, vielleicht schaffen wir es gemeinsam.”

Fragend blickte Belonia sie an, nickte dann aber traurig und setzte erneut zu singen an. Sally aber streckte ihre noch gesunde Hand zum Kristall aus und umschloss ihn fest. Schon spürte sie seine Wärme. Sie konzentrierte sich fest auf den Kristall, im Unterbewusstsein immer dem Rhythmus Belonias folgend. Sally merkte, wie sich die Wärme nun viel schneller auszubreiten begann. Schon spürte sie den halben Arm wieder. Das Flackern war bereits zu einem intensiven Leuchten geworden. Die Kälte wurde immer mehr zurückgedrängt. Schließlich war es soweit, mit einem letzten Aufbäumen schoss die Wärme bis in ihre Fingerspitzen und ein kühler Luftzug entwich aus dem Zimmer.

Völlig erschöpft öffnete Sally die Augen und bemerkte, wie Belonia zusammenbrach. Ein Schrei des Entsetzens rief die Bergtryade zu Hilfe, die sie im Palast in Empfang genommen hatte. Schnell eilte diese zur Königin und beugte sich über sie.

“Was ist mit ihr?”, fragte besorgt Sally. “Ist ihr etwas passiert?”.

Sanft strich sie ihr das Haar aus dem Gesicht und wandte sich Sally zu: “Keine Angst, Belonia ist sehr stark. Sie lebt noch und wird bald wieder zu sich kommen.”

Vorsichtig nahmen die beiden die Bewustlose auf und trugen sie in einen Nebenraum, wo sie sie auf eine Art Couch legten. Die Bergtryade eilte aus dem Zimmer, um kurz darauf mit einem Gefäß zurückzukehren, in dem sich eine dunkle Flüssigkeit befand. Behutsam öffnete sie Belonias Mund und ließ ein wenig der Flüssigkeit hineinlaufen. Kaum benetzte die Flüssigkeit ihren Mund, ließ sie ein leises Stöhnen vernehmen. Nachdem sie dann den ersten kleinen Schluck getrunken hatte, öffnete sie ganz langsam die Augen.

“Es tut mir leid, ich habe versagt”, kam es traurig über ihre Lippen.

“Aber nein!”, stieß nun freudig Sally hervor. “Sieh nur, ich kann wieder meine Finger bewegen und die Kälte ist auch vollkommen verschwunden. Du hast mich geheilt!”

Sally beugte sich zu ihr hinab und umarmte sie.

“Wenn du mich noch länger so drückst, werde ich die Erste sein, die du besiegt hast”, scherzte sie.

Verschämt löste sich Sally und trat einen Schritt zurück.

“Entschuldige bitte, aber meine Freude war so groß, dass ich nicht anders konnte.”

“Ist schon gut, ich freu mich ja genauso für dich. Aber wie hast du das nur gemacht? Ich spürte auf einmal das Hundertfache meiner Kraft in dir aufsteigen und dann wurde ich ohnmächtig.”

“Das muss der Kristall gewesen sein, den mir die Elfen gegeben haben. Ich habe ihn fest umschlossen und an nichts anderes gedacht, als diese Kälte aus mir zu vertreiben.”

“Was ja auch wunderbar geklappt hat”, antwortete Belonia. “Aber dann hättest du ja meine Hilfe gar nicht gebraucht, du bist mächtiger als ich.”

“Aber nein!”, beeilte sich Sally zu sagen. “Ich hätte doch gar nicht gewusst, wie ich den Zauber bannen sollte. Das mit dem Kristall war reiner Zufall. Warum er so stark auf mich reagiert weiß ich auch nicht. Das ist auch schon den Elfen aufgefallen.”

“Das kann nur bedeuten, dass du wirklich die Auserwählte bist. Du musst lernen, deine Fähigkeiten zu erkennen und diese gezielt zu nutzen. Dann haben wir eine Chance, gegen Saldera zu gewinnen. Aber nun lass uns erst mal etwas Essen gehen, du musst ja schon ganz ausgehungert sein und ich brauche auch dringend eine Stärkung. Ich hoffe, dass man deine Gefährten schon in Kürze zu uns bringen wird. Ihnen wird selbstverständlich die gleiche Gastfreundschaft, wie auch dir gewährt.”

Mit diesen Worten entfernte sich Belonia in Richtung einer Wendeltreppe und winkte, ihr zu folgen. Gehorsam schloss sie sich ihr an.

Die Treppe war mit einem Teppich ausgelegt, so dass das Gehen keine Geräusche machte und man auch nicht Gefahr lief, auszurutschen. Sally konnte sich an einem Geländer festhalten und entlang der gesamten Treppe waren weitere Szenen in Form von Bildern auf der Wand verewigt. Alle wirkten so plastisch, als wären sie lebendig.

Oben angekommen traten sie in einen großen Raum, in dessen Mitte ein großer Tisch mit vierzehn Stühlen stand. Der Tisch war mit einer Vielzahl von Speisen gedeckt.

“Dies ist der Raum, in dem ich zusammen mit den Elfen Versammlungen abhalte, wo wir Schlachtpläne schmieden oder auch uns einfach nur einmal jährlich zum Erfahrungsaustausch treffen.”

Sally ging langsam um den Tisch herum, jeden Stuhl an der Lehne ehrfurchtsvoll berührend, und blieb schließlich am Stuhl stehen, der dem Fenster am nächsten stand. Als sie hinausblickte, konnte sie die ganze Stadt überblicken.

Sie sah in weiter Ferne die Fledermäuse kreisen und die Bergtryaden auf den Feldern arbeiten. Sie sah auch noch weitere Eingänge, die dem glichen, aus dem sie in die Stadt hinunter gekommen war. Dann bemerkte sie an einem Eingang ein bisschen Trubel. Beim näheren Hinsehen dachte sie, die Gestalt Ziofottas auszumachen.

“Du hast gute Augen”, sagte da hinter ihr Belonia. “Es sind deine Gefährten, sie werden gerade zu uns geleitet. Lass uns schon einmal Platz nehmen, sie werden gleich bei uns sein.”

Belonia deutete auf einen der Stühle und nahm selbst an einer der Stirnseiten des ovalen Tisches Platz.

“Erzähl mir doch bitte mehr von dem Ort, von dem du kommst”, bat Belonia. “Man hat mir berichtet, du seiest durch blanke Willenskraft zu uns gekommen. Du musst große Zauberkräfte in dir tragen, wenn du dies vermagst.”

Sally wurde etwas unwohl zumute, fasste sich dann aber schnell und begann zu berichten:

”Es stimmt, dass ich von einer anderen Welt komme und ja, es stimmt auch, dass ich eigentlich nicht weiß, wie ich zu euch gekommen bin. Ich lag auf meinem Bett und habe geträumt und dann ist es einfach passiert, ich erwachte auf der Wiese, wo ich Elmona kennen gelernt habe.”

“Kennen gelernt ist gut”, bemerkte Belonia, “du hast ihr immerhin das Leben gerettet!”

“Aber das ist doch unabsichtlich geschehen, wenn ich auch zugeben muss, dass ich es in dem Moment sowieso versucht hätte, in dem ich erkannt hätte, dass es sich nicht um ein Insekt handelt, um das sich die Vögel streiten.”

“Vielleicht ist es ja diese Unbedarftheit, die dir letztendlich zum Sieg über Saldera verhelfen wird. Es haben schon viele vor dir versucht, aber alle sind bisher gescheitert und wurden versklavt, haben dadurch die Macht Salderas immer mehr gestärkt.”

Plötzlich hörte Sally Schritte aus der Richtung der Treppe und als sie sich umdrehte, erkannte sie Schnurz und Ziofotta, die ängstlich ihre Köpfe um die Ecke steckten. Nun konnte sie keine Macht der Welt mehr auf ihrem Stuhl halten. Sie sprang auf und stürmte ihren Freunden entgegen. Fast hätte sie Ziofotta umgerannt, so groß war ihre Freude, sie unbeschadet wiederzusehen. Sie umarmte sie herzlich und beugte sich anschließend liebevoll zu Schnurz herunter.

 

“Ich dachte schon, du würdest mich zu Tode trampeln.”

Schnurz brachte nur mühsam die Worte hervor und wenn man genau hinsah konnte man bemerken, das eine kleine Träne aus seinem Auge quoll. Sally aber überhörte den Unterton und nahm Schnurz liebevoll in die Hände, um ihn an ihrer Wange zu liebkosen.

“Wenn du so weitermachst, werde ich erstickt sein, bevor du uns auch nur annähernd erzählen kannst, wie du es geschafft hast, die Bergtryaden auf deine Seite zu bringen.”

Schnurz versuchte seine Gefühle zu überspielen, aber Sally bemerkte wie nah es auch ihm ging, dass ihr Irrweg durch die Stollen der Unterwelt zu einem glücklichen Ende geführt hatte.

“Wollt ihr dort den ganzen Tag herumstehen oder stellst du mir vielleicht deine Gefährten vor?”, fragte Belonia mit einem verschmitzten Lächeln.

“Entschuldige bitte, ich war so überglücklich, meine Freunde wieder zu sehen, dass ich ganz vergaß, sie dir vorzustellen.”

Sally machte ihre Freunde mit Belonia bekannt und alle setzten sich an den Tisch, Schnurz natürlich direkt neben Sallys Teller, darauf wartend, die besten Happen von ihr zu bekommen. Belonia duldete dieses Verhalten, kannte sie doch die Beschützer der Elfen sehr gut.

Nachdem Sally ihren Freunden berichtet hatte, was ihr geschehen war, ergriff Belonia das Wort.

“Liebe Sally, wie du sicherlich gehört hast, ist es bisher noch niemanden gelungen, wieder aus unserem Reich zurückzukehren.”

Alle hielten bei diesen Worten den Atem an.

“Nun, ich muss dir sagen, dass dies nicht ganz der Wahrheit entspricht. Wir treffen uns regelmäßig geheim mit den Elfen und haben das Abkommen getroffen, dass sie verbreiten sollen, dass es bisher noch niemandem gelungen ist, das Reich der Bergtryaden zu verlassen. Wir haben früher häufig aus allen Teilen des Landes Besuch bekommen und trieben regen Handel. Dann tauchte Saldera auf und schloss ein Packt mit dem Herrscher der Unterwelt. Wir wissen nicht, was sie ihm versprach, aber als Gegenleistung nahm er diejenigen, die uns besuchen wollten gefangen und versklavte sie. Die Seele der Gefangenen aber schenkte er Saldera. Du hast ja selbst einige von ihnen leiden sehen, als man dich zu uns gebracht hatte. Obwohl man bemerkte, dass nicht mehr alle Besucher wieder zurückkamen, schickte man immer wieder neue Händler zu uns.

Daraufhin beschlossen wir einen kleinen Trick anzuwenden. Wir ließen durch die Elfen verbreiten, dass wir Bergtryaden selbst die Leute, die zu uns kommen gefangen halten und sie nicht wieder gehen lassen. Waren die Leute vorher bereit, jedes Risiko auf sich zu nehmen, uns zu besuchen, vermieden sie es von nun an, dachten sie doch, sie wären hier nicht mehr willkommen.

So sehr es uns auch schmerzte, wir mussten einfach zu diesem Mittel greifen. Seitdem leben wir hier in Abgeschiedenheit, ohne das es jemals wieder jemand versucht hat, uns zu besuchen. Ihr müsst mir versprechen, dass, solange Saldera nicht besiegt ist, diese Legende aufrechterhalten bleibt. Es wäre der sichere Tod für viele gutmütige Leute, die es nur gut mit uns meinten und uns helfen wollten.

Aber lasst uns nun über unser weiteres Vorgehen beratschlagen. Ich war ziemlich überrascht, über was für eine Macht du zusammen mit dem Kristall gebietest. Als wir den Kristall in alten Geheimfächern entdeckten, wusste niemand etwas mit ihm anzufangen. Jahrzehntelang diente er nur als Tischschmuck, bis Montanella, du bist ihr bestimmt vorgestellt worden, Fähigkeiten entdeckte, die bisher niemand bemerkt hatte. Viele Elfen versuchten immer wieder, dem Kristall weitere Geheimnisse zu entlocken, aber niemandem ist es bisher gelungen. Dir ist es als Erste gelungen, solche Energien freizusetzen und damit selbst dem Herrscher der Unterwelt zu trotzen.”

“Aber ich weiß doch noch nicht einmal genau, wie ich das gemacht habe”, versuchte Sally zu widersprechen.

“Es kommt nicht nur darauf an, dass man weiß, wie man den Kristall einsetzen muss, entscheidend ist, dass du die Kraft besitzt, seine Energien freizusetzen und diese Kraft besitzt du augenscheinlich.”

Alle hatten gebannt Belonia zugehört, man hätte eine Stecknadel herunterfallen gehört, so ruhig war es nach den letzten Worten geworden.

“Man hat dir bestimmt von der alten Legende erzählt, die besagt, dass eine große Magierin reinen Herzens kommen und uns vom Bann der bösen Saldera befreien wird. Ich glaube fest daran, dass du diese Magierin bist.

Denke immer daran, man kann den Zauber des Kristalls nicht erzwingen. Nur wenn der Wunsch aus freiem Herzen mit dem Ziel Gutes zu tun kommt, wird der Zauber freigesetzt und du wirst unbesiegbar sein. Aber begehe nicht den Fehler, den Saldera begangen hat.

Wenn es auch den Anschein hat, dass du unbesiegbar bist, zu schnell könnte das Böse Macht über dich erlangen und sich deine Macht zu eigens machen und dann sind wir alle verloren. Versuche niemals, den Kristall gegen Unschuldige zu gebrauchen, es würde dein Verderben sein.”

“Dann sollten wir so schnell wie möglich versuchen, wieder auf unseren Weg zurückzukehren”, warf Sally ein. “Durch den Herrscher der Unterwelt haben wir eine Menge Zeit verloren. Kannst du uns den Weg nach draußen zeigen?”

Hoffnungsvoll blickten Sally und ihre Gefährten Belonia an.

“Das ist nicht so einfach”, antwortete Belonia. Wir dürfen uns nicht in die Angelegenheiten des Herrschers der Unterwelt einmischen, dafür lässt er uns in Ruhe. Dein Glück war, dass du mit Hilfe des Kristalls den Weg zu uns gefunden hast, aber wir werden einen Weg finden, euch den Weg nach draußen zu zeigen.”

Mit diesen Worten endete der offizielle Teil und es begann ein reger Austausch von Informationen. Insbesondere Sally musste immer wieder von ihrer eigenen Welt erzählen, die so fremdartig und unbegreiflich für alle anderen Anwesenden war, dass sie sich selber manchmal wie eine Magierin vorkam. Dabei waren Sachen wie Telefonieren oder Elektrizität noch die am einfachsten zu erklärenden Dinge, die trotzdem niemand verstand. Nichtsdestotrotz war es ein unterhaltsamer Abend, den alle genossen.

Zu fortgeschrittener Stunde brachte man Sally und ihre Freunde in vorbereitete Quartiere, die sich selbstverständlich auch in Stalagmiten befanden.

Nachdem sich Sally gewaschen und ein eigens für sie bereitgelegtes Nachtgewand angezogen hatte, legte sie sich ins Bett und war von einem auf den anderen Moment eingeschlafen. Sie fühlte sich so sicher in der Obhut der Bergtryaden, dass sie mit keinem Gedanken an irgendeine Gefahr dachte.

Schon kurz nachdem sie eingeschlafen war, begann sie zu träumen. Sie saß auf einem riesigen Drachen, der immer wieder Feuer spie, um angreifende schwarze Geier zu vernichten. Aber für jeden besiegten Geier kamen zwei neue hinzu. Der Kampf schien aussichtslos. Schon war sie von hunderten von Geiern umringt und es wurden immer mehr. Sie konnte den Himmel nicht mehr erkennen und es breitete sich Schwärze rund um sie aus. Dann erschien ihr das Gesicht Salderas zu einer grässlichen Grimasse verzogen. Sie rief ihr irgendetwas zu, was Sally nicht verstehen konnte. Verzweifelt versuchte sie ihren Kristall zu ergreifen, dieser entglitt ihr aber, als der Drache eine enge Kurve flog und sie sich hastig festhalten musste.

Sofort stürzten sich einige Geier auf den Kristall. Einer von ihnen packte ihn mit dem Schnabel und brachte ihn direkt zu Saldera, die schon gierig beide Hände nach ihm ausstreckte. Vergeblich versuchte der Drache, sich einen Weg durch die Angreifer zu bahnen. Dann wurde sie von der Seite von einem doppelt so großen Tier attackiert und verlor das Gleichgewicht. Sie stürzte vom Drachen, hinab in die Tiefe, hinein in einen riesigen Ozean. Sally rang nach Luft, hatte aber ganz schnell den Mund voller Wasser und musste husten.

Weitere Bücher von diesem Autor