TARZAN UND DER GOLDENE LÖWE

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Zweites Kapitel: Dschadbaljas Erziehung

So kamen Dschadbalja, der goldene Löwe, und Za, die Hündin, mit Tarzan, Jane und Korak heim.

Groß war die Freude über die Heimkehr der drei in den Hütten der Waziri. Nicht nur eine Nacht, nein, viele Nächte lang hielten Tanz und Freudenfest an, bis Tarzan gezwungen war, Einhalt zu gebieten, um sich und seiner Familie wenigstens ein paar Stunden ungestörten Schlummers zu sichern. Die treuen Waziri hatten unter der Anleitung seines nicht minder ergebenen englischen Aufsehers Jervis sowohl Ställe, Koppel und Außenhäuser, wie auch das Innere des Bungalows in peinlichster Ordnung gehalten.

Jervis war zwar in Geschäften der Farm nach Nairobi geritten und kam erst einige Tage nach ihrer Ankunft wieder zur Besitzung zurück. Seine Freude war aber nicht weniger echt als die der Waziri. Stundenlang saß er mit dem Häuptling und den Kriegern zu Füßen des großen Bwana und lauschte den Erzählungen von dem merkwürdigen Lande Pal-ul-don und den Abenteuern, die den dreien während Lady Greystokes Gefangenschaft dort begegnet waren. Er staunte ebenso wie die Waziri über die merkwürdigen Schoßtiere, die sich der Affenmensch mit nach Hause gebracht hatte. Dass Tarzan eine Vorliebe für einen rasselosen einheimischen Köter hatte, war schon merkwürdig genug, aber dass er gar ein Junges seiner Erbfeinde Numa und Sabor als Pflegling annahm, schien fast unglaublich.

Beinahe noch erstaunter waren sie bald über die Art und Weise, wie Tarzan den kleinen Löwen erzog.

Der goldene Löwe und seine Nährmutter hatten zusammen eine Ecke in des Affenmenschen Schlafzimmer, der täglich manche Stunde mit der Erziehung und dem Abrichten des scheckigen kleinen gelben Balles verbrachte – vorläufig war der Kleine voller Spielerei und Anhänglichkeit, aber eines Tages musste ein riesiges wildes Raubtier daraus werden.

Die Zeit verging.

Der goldene Löwe wurde groß, und Tarzan brachte ihm viele Listen und Künste bei – etwas zu ergreifen und herbeizubringen, bis auf ein fast unhörbares Kommandowort regungslos im Verborgenen liegen zu bleiben, sich nach seines Herrn Angabe von Punkt zu Punkt zu schleichen, versteckte Sachen mit dem Geruch zu suchen und herauszuholen. Als dann später Fleischnahrung seiner Ernährungsweise zugefügt wurde, bekam er sein Futter stets in einer Weise, die ein grimmiges Lächeln auf den wilden Lippen der Waziri-Krieger hervorrief. Tarzan hatte nämlich eine menschenähnliche Puppe angefertigt, und das dem Löwen als Nahrung bestimmte Fleisch war immer an den Hals der Puppe gebunden. Niemals änderte der Affenmensch etwas an dieser Art der Fütterung. Auf ein Wort des Affenmenschen kauerte sich dann der goldene Löwe mit dem Bauch bis auf die Erde, Tarzan deutete auf die Puppe und flüsterte nur das eine Wort: fass!

Der Löwe lernte bald, nicht eher an das Fleisch heranzugehen, so hungrig er auch sein mochte, ehe sein Herr nicht dies Wort gesagt hatte. Aber dann schoss er mit einem wilden Knurren pfeilgerade auf das Fleischstück los. Solange er noch kleiner war, war es für ihn nicht so einfach, an der Figur bis zu dem am Hals festgemachten Stück Fleisch hinaufzuklettern, aber je älter und größer er wurde, desto leichter fiel es ihm, den Gegenstand zu erreichen, und zuletzt genügte ein einziger Satz, um ihn ans Ziel zu bringen, die Puppe fiel auf den Rücken und auf ihr saß der junge Löwe, der an der Kehle herumriss.

Ein Dressurstück war dabei, das von allen anderen am schwierigsten beizubringen gewesen war, und es ist zweifelhaft, ob irgendein anderer als Tarzan, der von Tieren unter Tieren aufgezogen war, imstande gewesen wäre, die wilde Blutgier des Raubtieres zu dämpfen und dessen angeborene Instinkte dem Willen seines Herrn und Meisters dienstbar zu machen. Wochen und Monate geduldiger Bemühungen waren nötig, um diese einzelne Anforderung an die Dressur des Löwen zu erreichen. Auf das Wort »such« musste er einen angegebenen Gegenstand ausfindig machen und zu seinem Herrn bringen. Selbst wenn es die Puppe mit dem an die Kehle gebundenen Stück Fleisch war, durfte er dabei weder das Fleisch anrühren, noch die Puppe oder den anderen Gegenstand beschädigen, den er zu holen hatte; er musste alles vorsichtig zu Tarzans Füßen legen. Mit der Zeit lernte er es einsehen, dass er seiner Belohnung dafür, meist einer doppelten Portion Fleisch, stets sicher war.

Lady Greystoke und Korak waren oft gespannte Zuschauer dieser Erziehung des goldenen Löwen, obgleich die erstere ihrer Verwunderung darüber Ausdruck gab, wozu diese mühselige Abrichtung des kleinen Löwen gut sein sollte; sie äußerte sogar Bedenken, ob diese Art der Erziehung auch klug war.

»Was kannst du denn nur um alles in der Welt mit solch einer Bestie anfangen, wenn sie ausgewachsen ist?«, fragte sie. »Er verspricht wohl, einmal ein mächtiger Numa zu werden. Da er an die Menschen gewöhnt ist, wird er nicht die geringste Scheu vor ihnen haben, und nachdem er bisher sein Fressen stets an der Kehle einer Puppe gefunden hat, wird er später an der Kehle lebender Menschen danach suchen.«

»Er wird nur das fressen, was ich ihn zu fressen heiße«, erwiderte der Affenmensch.

»Du willst ihm doch hoffentlich nicht lauter Menschen zu fressen geben?«, fragte sie lachend.

»Er wird niemals Menschen fressen.«

»Aber wie kannst du das denn verhindern, wenn du ihn von klein auf lehrst, immer Menschen zu fressen?«

»Jane, ich fürchte, dass entweder du die Intelligenz eines Löwen stark unterschätzest, oder dass ich sie viel zu hoch einschätze. Wenn deine Annahme richtig ist, dann steht mir der schwerste Teil der Aufgabe noch bevor, aber wenn ich recht habe, dann ist er in Wirklichkeit bereits getan. Doch wir können einen kleinen Versuch anstellen und wollen sehen, wer von uns beiden recht hat. Wir wollen einmal Dschadbalja heute Nachmittag mit uns auf die Ebene hinausnehmen. Wild gibt es genug, da wird es für uns nicht schwierig sein, festzustellen, wieviel Gewalt ich eigentlich nach alledem über meinen jungen Numa habe.«

»Hundert Pfund wette ich«, sagte Korak lachend, »dass er tun wird, was ihm gerade am besten gefällt, sobald er erst warmes Blut geschmeckt hat.«

»Diese Wette halte ich, mein Junge«, sagte sein Vater. »Ich denke, ich werde dir und deiner Mutter heute etwas zeigen, was weder ihr noch andere im Traume für möglich halten.«

»Lord Greystoke, der beste Dresseur der Welt!«, rief Jane, und Tarzan stimmte in ihr Gelächter mit ein.

»Es handelt sich hier nicht um Dressur«, sagte er dann. »Mein Arbeitsplan wäre für jeden anderen als mich unmöglich. Ich will euch einmal an einem Beispiel deutlich machen, was ich meine. Zu euch kommt irgendein Wesen, dass ihr hasst, was ihr instinktiv und von Geburt an als euren Todfeind anseht. Ihr fürchtet euch vor ihm. Ihr könntet kein Wort von dem, was er spricht, verstehen. Endlich paukt er durch manchmal sogar rohe Mittel eurem Gehirn seine Wünsche ein. Ihr mögt wohl tun, was er von euch verlangt, aber tut ihr es im Geiste selbstloser Ergebenheit? Nein, ihr tut es unter Zwang, und ihr hasst das Wesen, das euch seinen Willen aufzwingt. Im selben Augenblick, in dem ihr glaubt, dazu imstande zu sein, würdet ihr ihm den Gehorsam verweigern, ja, ihr würdet euch gegen ihn wenden und ihn vernichten. Nun zum andern Falle: Einer kommt zu euch, den ihr gut kennt; er ist euer Freund, euer Beschützer. Er versteht und spricht eure Sprache. Er hat euch ernährt, hat durch Güte und Schutz euer Vertrauen gewonnen, und endlich verlangt er, ihr sollt etwas für ihn tun. Weigert ihr euch? Nein, ihr gehorcht mit Freuden. So wird mir mein goldener Löwe gehorchen.«

»Solange es ihm in seinen Kram passt«, setzte Korak hinzu.

»Lasst mich noch einen Schritt weiter gehen«, sagte der Affenmensch. »Was, wenn dies Wesen, das ihr liebt und dem ihr gehorcht, die Macht hat, euch zu strafen, ja unter Umständen zu töten, falls das nötig wird, um seine Befehle zu erzwingen? Wie steht es dann um euren Gehorsam?«

»Wir werden ja sehen«, sagte Korak, »wie leicht mir der goldene Löwe hundert Pfund einbringt.«

Am gleichen Nachmittag ritten sie auf die Ebene hinaus, während sich Dschadbalja dicht hinter Tarzans Pferd hielt. In einiger Entfernung vom Bungalow stiegen sie bei einer kleinen Baumhecke vom Pferde und schritten vorsichtig auf eine Senke zu, in der sich gewöhnlich Antilopen fanden. Jetzt kamen sie verstohlen an das dichte Gestrüpp, das den Rand der Senke auf einer Seite einfasste. So kamen sie an, Tarzan, Jane und Korak, und dicht neben Tarzan der goldene Löwe – vier Dschungelgänger –, aber Dschadbalja, der Löwe, war von den vieren der am wenigsten erfahrene. Leise krochen sie durch das Gestrüpp, kaum dass ein Blatt dabei raschelte, bis sie endlich unten in der Senke eine kleine, friedlich grasende Antilopenherde erblickten. Ein alter Bock stand ihnen am nächsten, und diesen machte Tarzan auf irgendeine geheimnisvolle Art Dschadbalja kenntlich.

»Fass«, flüsterte er, und der goldene Löwe brummte kaum hörbar, als Antwort, dass er den Befehl verstanden hatte.

Verstohlen bahnte er sich durch das Buschwerk seinen Weg. Die Antilope äste ahnungslos weiter. Der Abstand, der den Löwen von seiner Beute trennte, war für einen erfolgreichen Ansprung noch zu groß, deshalb wartete Dschadbalja im Busch verborgen, bis die Antilope beim Grasen näherkam oder ihm den Rücken zukehrte. Von den vieren, die den grasenden Pflanzenfresser beobachteten, ließ keiner einen Laut hören, und kein Anzeichen verriet, dass das Tier eine Ahnung von der ihm drohenden, nahen Gefahr hatte. Langsam kam der alte Bock näher auf Dschadbalja zu. Fast unmerklich bereitete sich der Löwe zum Sprunge vor. Die einzige sichtbare Bewegung war das Zucken seiner Schwanzspitze. Dann, wie ein Pfeil von der Sehne, schnellte er im Zeitraum eines Augenblicks vom Zustand voller Unbeweglichkeit in schreckenerregende Schnelligkeit. Er war beinahe auf dem Bock, ehe dieser überhaupt nur die Nähe der Gefahr merkte, und dann war es längst zu spät, denn die Antilope hatte sich kaum herumgeworfen, als der Löwe auch schon auf der Hinterhand hochstieg und sie packte, während die übrige Herde in kopfloser Flucht davonstürzte.

 

»Jetzt werden wir ja sehen«, sagte Korak.

»Er wird mir die Antilope bringen«, sagte Tarzan zuversichtlich.

Der goldene Löwe zögerte einen Augenblick und stand knurrend über dem Körper seiner Beute. Dann packte er sie am Rücken und schleppte sie in dem auf eine Seite gedrehten Rachen nebenher über den Boden, während er sich langsam auf den Rückweg zu Tarzan machte. Er zerrte die erbeutete Antilope durch das Gestrüpp, bis er sie seinem Herrn vor die Füße gelegt hatte. Dann stand er vor ihm und sah dem Affenmenschen mit einem Ausdruck ins Gesicht, der sich nicht anders denn als Stolz auf seine Leistung und Bitte um Anerkennung deuten ließ.

Tarzan streichelte ihm den Kopf, sprach ihm mit leiser Stimme zu und lobte ihn. Dann zog er sein Jagdmesser, schnitt der Antilope die Halsschlagader durch und ließ den Körper ausbluten. Jane und Korak standen dicht dabei und passten auf Dschadbalja auf; was würde der Löwe tun, wenn ihm der Geruch des frischen, warmen Blutes in die Nüstern kam? Dieser schnüffelte und knurrte erst, dann fletschte er die Zähne und sah die drei böse an. Der Affenmensch schob ihn mit der flachen Hand zurück, da knurrte der Löwe wieder bösartig und schnappte nach ihm.

Nun ist Numa flink, flink ist auch Bara, der Hirsch, aber Affentarzan war wie der Blitz. So rasch und kräftig schlug er zu, dass Dschadbalja auch schon im selben Augenblick auf den Rücken fiel, als er seinen Herrn anknurrte. Er kam schnell wieder auf die Beine und nun standen die beiden und sahen einander an.

»Leg dich«, befahl der Affenmensch. »Leg dich, Dschadbalja.« Seine Stimme war leise, aber fest. Der Löwe zögerte noch einen Augenblick, dann legte er sich auf dies Befehlswort nieder, wie es ihm Affentarzan beigebracht hatte. Tarzan drehte sich um und hob den Körper der Antilope auf seine Schulter.

»Komm«, sagte er zu Dschadbalja. »Bei Fuß!« Und ohne noch einen Blick auf das Raubtier zu tun, ging er zu den Pferden.

»Das hätte mir eigentlich klar sein können«, sagte Korak, »dann hätte ich mir meine hundert Pfund erspart.«

»Natürlich hättest du es wissen können!«, lachte seine Mutter.

Drittes Kapitel: Eine geheimnisvolle Sitzung

In einem Londoner Gasthaus von eher zweifelhaftem Ruf saß eine überelegante junge Dame beim Essen. Sie fiel weniger durch ihr hübsches Gesicht und ihre schlanke Gestalt auf als durch die Erscheinung ihres Begleiters, eines riesigen und wohlgebauten Mannes Mitte der Zwanziger, der einen so üppigen Bart trug, dass es aussah, als ob er dahinter im Hinterhalt liege.

Die beiden waren tief im Gespräch, und man merkte, dass die Unterhaltung gelegentlich zu erhitzten Auseinandersetzungen führte.

»Ich sage dir«, erklärte der Mann, »ich sehe nicht ein, wozu wir die anderen brauchen. Warum sollen sie einen Anteil haben – weshalb in sechs Teile gehen lassen, was du und ich allein haben können?«

»Es gehört Geld dazu, um den Plan durchzuführen«, erwiderte sie, und du hast so wenig wie ich. Sie haben es aber und werden uns damit den Rücken decken – mir für das, was ich weiß, dir für deine Erscheinung und deine Kräfte. Zwei Jahre lang haben sie nach dir gesucht, Esteban, und nun, da sie dich endlich gefunden haben, möchte ich nicht in deinen Stiefeln stehen, wenn du sie sitzen lässt. Jetzt, wo du alle Einzelheiten des Planes kennst, würden sie dir heute noch die Gurgel durchschneiden, wenn sie dächten, sie brauchten dich nicht mehr. Aber wenn du den Versuch machen willst, sie um ihren Gewinn zu bringen – sie machte eine Pause und schloss dann achselzuckend: Nein, mein Lieber, mein Leben ist mir zu lieb, als dass ich mich mit dir auf so etwas einließe!«

»Aber Flora, du lieferst alle Angaben und ich nehme alle Wagnisse auf mich – warum sollen wir nicht mehr als ein Sechstel davontragen.«

»Sprich doch selbst mit ihnen darüber«, sagte das Mädchen achselzuckend, »aber wenn du auf meinen Rat hören willst, dann sei zufrieden mit dem, was dir angeboten ist. Ich habe für meinen Teil nicht nur die Angaben, ohne die sie nichts unternehmen können, ich habe noch obendrein dich gefunden, und doch verlange ich nicht mehr – ich muss mit meinem Sechstel ganz zufrieden sein. Aber du kannst mir glauben, wenn du die Sache nicht vermasselst, dann würde nur ein Sechstel von dem, was du herausholst, für uns alle zusammen schon bis an unser Lebensende genug sein, selbst wenn wir alle eines natürlichen Todes sterben.«

Der Mann schien keineswegs überzeugt zu sein, und das junge Weib hatte das Gefühl, dass bei ihm Vorsicht am Platze war. Sie wusste eigentlich recht wenig von ihm und hatte ihn persönlich erst ein paarmal gesehen, seit sie ihn etwa zwei Monate vorher zum ersten Male auf der Leinwand eines Londoner Lichtspielhauses entdeckt hatte, als sein Konterfei die Rolle eines römischen Soldaten in der Garde der Prätorianer spielte.

Bei dieser Gelegenheit gaben ihm lediglich seine heldenhafte Größe und sein vollendeter Wuchs ein Anrecht auf Beachtung, denn seine Rolle war nur klein, und zweifellos war von all den Tausenden, die ihn auf der silbern schimmernden Fläche sahen, Flora Hawkens die einzige, die ein mehr als vorübergehendes Interesse an ihm nahm, und auch ihre Aufmerksamkeit wurde nicht durch seine schauspielerischen Fähigkeiten, sondern dadurch erweckt, dass sie mit ihren Spießgesellen seit zwei Jahren nach gerade dem Typus suchte, den Esteban Miranda so wunderbar genau verkörperte. Ihn dann wirklich in Person aufzufinden, schien immer noch schwer genug zu fallen, aber nach einem Monat scheinbar zwecklosen Suchens entdeckte sie ihn schließlich unter einem Dutzend müßiger Komparsen im Atelier einer kleineren Londoner Filmgesellschaft. Sie bedurfte weiter keines Mittels als ihres guten Aussehens, um seine Bekanntschaft zu machen, und während sie diese zur Vertraulichkeit reifen ließ«, sagte sie ihm mit keinem Worte, was sie mit ihm zusammenbrachte.

Dass er ein Spanier aus augenscheinlich gutem Hause war, merkte sie. Dass er gewissenlos war, ließ sich aus der Raschheit schließen, mit der er sich bereit erklärte, an dem etwas dunklen Unternehmen teilzunehmen, dessen Grundzüge Floras Hirn entworfen hatte, während die Einzelheiten später von ihr und ihren vier Helfershelfern zusammen ausgesonnen worden waren.

Da sie wusste, dass er gewissenlos war, war sie sich auch darüber klar, dass er daran verhindert werden musste, aus verfrühter Kenntnis ihres Planes Vorteil zu ziehen, obgleich er dessen Einzelheiten eines Tages doch erfahren musste. Den Schlüssel zum Ganzen hatte sie bis zum gegenwärtigen Augenblick noch vollkommen für sich behalten, und keinem ihrer vier Genossen anvertraut.

Einige Zeitlang saßen sie schweigend da und spielten mit den leeren Gläsern, aus denen sie getrunken hatten. Als sie plötzlich aufsah, fand sie seinen Blick auf sich gerichtet und bemerkte einen Ausdruck in seinen Augen, dessen Bedeutung auch eine weniger raffinierte Frau als Flora Hawkes leicht hätte deuten können.

»Du kannst mich zu allem bringen, was du willst, Flora«, sagte er, »denn wenn ich mit dir zusammen bin, dann vergesse ich das Geld und denke nur noch an jene andere Belohnung, die du mir stets verweigerst, die ich mir aber eines Tages doch gewinnen werde.«

»Liebe und Geschäft passen schlecht zusammen«, erwiderte das Mädchen. »Warte bis wir in unserem Vorhaben Erfolg gehabt haben, Esteban, dann können wir von Liebe reden.«

»Du liebst mich nicht«, flüsterte er heiser. »Ich weiß es – ich habe es gesehen – dass dich jeder der anderen liebt. Das ist der Grund, weshalb ich sie alle hassen könnte. Aber wenn ich denken müsste, dass du einen von ihnen wieder liebst, dann würde ich ihm das Herz aus dem Leibe reißen. Manchmal dachte ich schon, du liebtest einen davon – mal den, mal einen anderen. Du bist viel zu intim mit ihnen, Flora. Ich habe zugesehen, wie dir John Peebles die Hände gedrückt hat, als er glaubte, es bemerkte keiner, und wenn Dick Throck mit dir tanzt, dann drückt er dich viel zu eng an sich, und ihr tanzt Wange an Wange. Ich sage dir, Flora, ich schätze das nicht, und eines schönen Tages vergesse ich alles von dem Golde und denke nur noch an dich, und dann geschieht ein Unglück und es sind nicht mehr so viele, um die Goldbarren, die ich aus Afrika holen muss, zu teilen. Und was Bluber und Kraski betrifft, so sind sie beinahe ebenso schlimm. Vielleicht ist sogar Kraski der Schlimmste von allen, denn der Kerl sieht gut aus und mir passt die Art nicht, mit der du ihn verliebt anguckst.«

»Ist das etwa Ihre Sache, Señor Miranda, wen ich mir zum Freunde wähle, oder wie ich meine Freunde behandle oder wie sie mich behandeln? Ich möchte Ihnen denn doch klarmachen, dass ich diese Herren seit Jahren kenne, während ich mit Ihnen erst seit ein paar Wochen bekannt bin, und wenn irgendjemand ein Recht dazu hätte, mir mein Benehmen vorzuschreiben, was, Gott sei Dank, nicht der Fall ist, dann wäre es eher einer von ihnen als Sie!«

Seine Augen blitzten grimmig.

»Es ist, wie ich es mir gedacht habe!«, rief er. »Du liebst einen von ihnen. Er erhob sich halb und lehnte sich drohend über den Tisch zu ihr hinüber. Lass mich einfach herausfinden, wer es ist, dann reiße ich ihn in Stücke!« Er fuhr sich mit den Fingern durch das lange schwarze Haar. Ein Licht flammte in seinen Augen, das dem Mädchen einen kalten Schauder im Herz verursachte. Er sah aus wie ein zeitweilig seiner Vernunft Beraubter.

»Komm, komm, Esteban«, flüsterte sie weich, »es ist keinen Grund dafür, dass du dich wegen nichts in eine solch tobsüchtige Wut hineinarbeiten solltest. Ich habe ja gar nicht gesagt, dass ich einen von ihnen liebe, und ebenso wenig habe ich gesagt, dass ich dich nicht liebe, aber ich bin an diese Art Werbung nicht gewöhnt. Vielleicht lieben eure spanischen Señoritas das, aber ich bin ein englisches Mädchen, und wenn du mich wirklich liebst, dann behandle mich so, wie mich ein englischer Anbeter behandeln würde.«

»Du hast ja wohl nicht gesagt, dass du einen von diesen anderen liebst – nein, aber andererseits hast du auch nicht erklärt, dass du keinen von ihnen liebst – sag mir, Flora, welcher von ihnen ist es, den du liebst?«

Seine Augen glühten immer noch und seine riesige Gestalt zitterte vor unterdrückter Leidenschaft.

»Ich liebe keinen von ihnen, Esteban«, erwiderte sie, »ebenso wenig wie ich einstweilen dich lieben werde. Aber ich könnte es, Esteban, soviel kann ich dir sagen. Ich könnte dich lieben, Esteban, wie ich keinen anderen lieben könnte, aber ich lasse es nicht soweit kommen, ehe du nicht zurück bist und wir freie Bahn haben, zu leben, wo und wie wir wollen. Dann, vielleicht – aber selbst für diesen Fall gebe ich kein bindendes Versprechen.«

»Es wäre besser, du gäbst dieses Versprechen«, sagte er immer noch mürrisch, obgleich augenscheinlich etwas besänftigt.

»Still«, warnte sie, »da kommen sie gerade. Zeit wird es ja, sie kommen eine volle halbe Stunde zu spät.«

Der Mann folgte ihrem Blick mit den Augen und die beiden erwarteten die vier Männer, die eben das Speisehaus betraten. Zwei davon waren offenbar Engländer – dicke, vollfleischige Kerle aus dem unteren Mittelstand, denen man auf den ersten Blick den ehemaligen Preisboxer ansah. Der dritte, Adolph Bluber, war ein untersetzter, fetter Holländer, mit kugelrundem, rotem Gesicht und einem feisten Nacken. Der letzte, der Jüngste, sah am besten aus. Sein glattes Gesicht, die helle Farbe und die großen dunklen Augen hätten allein schon genügend Gründe für die Eifersucht Mirandas abgegeben, aber dazu kam noch ein Schopf lockigen, braunen Haares, die Gestalt eines griechischen Gottes und die Grazie eines russischen Tänzers, der Carl Kraski auch in der Tat war, wenn er nämlich Lust hatte, mehr zu sein als nur Spitzbube.

»Bier«, rief Peebles, der auf den Tisch schlug, um die Aufmerksamkeit des Kellners auf sich zu lenken. »Bier her!«

Zunächst sprachen sie über zufällige Nebensächlichkeiten. Aber sobald sich der Kellner zurückgezogen hatte, tranken sie Flora zu, denn mit dieser Zeremonie begannen sie stets, zum Zeichen, dass es ernst wurde.

»So«, rief Peebles, und schlug mit seiner fleischigen Faust auf den Tisch, »da sind wir also; so ist es. Alles haben wir, Flora – die Pläne, das Geld und Señor Miranda – wir sind fix und fertig, mein Schätzchen, nun raus mit deinem Teil.«

 

»Wieviel Geld habt ihr?«, fragte Flora. »Wenn ihr nicht genug für die Durchführung habt, brauchen wir gar nicht erst anzufangen.«

Peebles wendete sich zu Bluber. »Da«, sagte er, mit einem Wurstfinger auf ihn deutend, »da sitzt der geschätzte Schatzmeister. Der kann dir sagen, wieviel wir haben, der fette Holländer.«

Bluber lächelte ölig und rieb seine fetten Hände. »Na schön, Miss Flora«, sagte er, »wieviel denken Sie wohl, dass wir haben müssen?«

»Mindestens zweitausend Pfund, wenn wir sicher gehen wollen«, erwiderte sie rasch.

»Oh, oh«, rief Bluber aus. »Aber das ist ein Haufen Geld – zwei – tausend – Pfund! Oh! Oh!«

Das Mädchen machte eine missvergnügte Gebärde. »Ich habe euch von Anfang an gesagt, dass ich mit einer Bande von Geizkragen nichts zu tun haben will. Ich sage euch, wenn ihr nicht Geld genug habt, um das Ding anständig durchzuführen, gebe ich euch weder die Karte noch die Angaben, und ohne die könnt ihr niemals die Gewölbe erreichen. Wenn nur die Hälfte von dem wahr ist, was ich habe erzählen hören, dann steckt genug Gold drin, um unsere ganze, hübsche, kleine Insel hier zu kaufen. Ihr könnt ruhig hingehen und euer Geld hinauswerfen, aber bei mir müsst ihr erst mal beweisen, dass ihr wenigstens zweitausend Pfund zum Ausgeben habt, ehe ich die Angaben herausrücke, die euch zu den reichsten Leuten der Welt machen.«

»Er hat das Geld durchaus«, sagte Peebles, komm endlich zur Sache.

»Möglich, dass er es hat, aber ich will es erst sehen«, erwiderte das Mädchen.

»Was denken Sie sich?«, schrie Bluber. »Schlepp ich vielleicht all das Geld immer in meiner Tasche?

»Kannst du nicht sein Ehrenwort dafür nehmen?«, brummte Throck.

»Ihr seid nette Brüder«, erwiderte sie. »Ehrenwort! Mir so was zuzumuten! Aber meinetwegen, ich will Carl beim Wort nehmen. Wenn er mir versichert, dass ihr es habt, und dass es zur Deckung aller für unsere Unternehmung nötigen Unkosten gezahlt werden kann und wird, dann will ich ihm Glauben schenken.«

Peebles und Throck machten finstere Gesichter und Mirandas Augen zogen sich zu zwei schmalen, boshaften Schlitzen zusammen, als er seinen Blick auf den Russen richtete. Bluber war ganz und gar nicht betroffen. Kraski dagegen lachte so selbstzufrieden, dass des Spaniers Blut in zornige Wallung geriet.

»Bluber hat das Geld, Flora«, sagte er. »Jeder von uns hat seinen Anteil eingezahlt. Wir wollen Bluber zum Kassierer machen, weil wir wissen, dass er den armseligsten Pfennig ausquetscht, bis er schreit, ehe er ihn auslässt. Wir haben die Sache jetzt so geplant, dass wir paarweise von London abreisen.«

Er zog eine Karte aus der Tasche, die er entfaltete und vor sich auf den Tisch legte. Mit seinem Finger deutete er auf einen mit einem Kreuz bezeichneten Punkt. »Hier wollen wir uns wieder treffen und unsere Ausrüstung zusammenstellen. Bluber und Miranda gehen zuerst, dann kommen Peebles und Throck. Um die Zeit, wenn du und ich ankommen, wird alles bereit sein, um unmittelbar nach dem Inneren zu ziehen, wo wir, abseits vom begangenen Weg und unserem Ziel so nahe als möglich, ein festes Lager aufschlagen. Miranda wird sich inzwischen mit seinem Backenbart die Zeit vertreiben, bis er soweit ist, um den letzten Akt dieses langen Stückes zu spielen. Soweit ich weiß, ist er ja gut auf seine Rolle eingespielt und kann den Betreffenden vollendet darstellen.«

»Soll das heißen«, fragte Miranda, dessen zorniges Stirnrunzeln seine sanfte Stimme Lügen strafte, »dass Sie mit Miss Hawkes allein reisen?«

»Jawohl«, erwiderte der Russe, »wenn Sie nicht schwer von Begriff sind.«

Der Spanier erhob sich hinter dem Tisch und lehnte sich drohend über ihn, Kraski entgegen. Das Mädchen, das ihm zunächst stand, packte ihn am Rock.

»Genug davon!«, sagte sie und zerrte ihn auf seinen Stuhl zurück. »Wir haben schon zu viel davon zwischen euch gehabt. Wenn noch mehr vorfällt, lasse ich euch alle sitzen und suche mir passendere Gefährten für meine Unternehmung.«

»Jawohl, schließt sie aus; so sind wir! So ist es!«, rief Peebles kriegerisch.

»John hat recht«, sagte Throck in seinem rollenden Bass, »und ich setze auf ihn. Flora hat auch recht, auf sie setze ich auch. Und wenn noch welche was wollen, verflucht, wenn ich nicht ein paar von euch geschniegelten Burschen verdresche.« Dabei sah er erst Miranda und dann Kraski an.

»Nun«, besänftigte Bluber, »wollen wir uns alle die Hand schütteln und gute Freunde sein.«

»Richtig«, rief Peebles, »das ist ein Wort. Gib ihm die Hand, Esteban. Komm, Carl, begrab das Kriegsbeil. Unsere Sache können wir nicht mit Zwist anfangen. So ist es!«

Der Russe, der sich seiner Stellung bei Flora sicher war und deshalb großmütige Empfindungen hegte, streckte über den Tisch weg dem Spanier seine Hand entgegen. Esteban zögerte noch einen Augenblick.

»Komm, Mann, nimm sie!«, knurrte Throck, oder du kannst wieder an dein Geschäft als Statist gehen, verflucht noch einmal, und wir suchen uns einen anderen für deine Arbeit und zum Kippe machen.

Plötzlich erhellte ein liebenswürdiges Lächeln das finstere Gesicht des Spaniers. Er streckte rasch seine Hand aus und fasste die Kraskis. »Du musst schon entschuldigen«, sagte er, »ich bin eben heißblütig, aber es hat nichts auf sich. Miss Hawkes hat recht, wir müssen alle gut Freund sein. Hier ist meine Hand darauf, Kraski.«

»Schon recht«, sagte Kraski, »und mir sollte es leid tun, wenn ich dich gekränkt hätte.« Er vergaß aber, dass der andere ein Schauspieler war. Hätte er ihm tatsächlich ins Herz blicken können, dann würde ihm bange geworden sein.

»Und nun, wo wir alle gute Freunde sind«, sagte Bluber mit salbungsvollem Händereiben, »warum sollen wir nicht alles gleich genau festlegen? Miss Flora, Sie geben mir die Karte und die Angaben, und wir fahren sofort ab.«

»Carl, gib mir einen Bleistift«, sagte das Mädchen. Als ihr der Mann diesen gereicht hatte, suchte sie auf der Karte in einiger Entfernung landeinwärts von dem mit einem Kreuz bezeichneten Fleck eine Stelle, um die sie einen dünnen Kreis malte. »So, das ist der Kreis«, sagte sie. »Wenn wir dort alle wieder zusammen sind, bekommt ihr die nötigen Angaben, aber nicht früher.«

Bluber hob die Hände zum Himmel. »Oho! Miss Flora, was denken Sie denn? Ich werde zweitausend Pfund ausgeben und die Katze im Sack kaufen? Oh, oh! Das können Sie nicht von uns verlangen. Wir müssen alles sehen, wir müssen alles wissen, ehe wir auch nur einen Pfennig ausgeben.«

»Jawohl, so sind wir und so ist es!«, brüllte John Peebles, mit der Faust auf den Tisch schlagend.

Das Mädchen erhob sich gemächlich. »Oh, auch recht. Wenn ihr so denkt, können wir ebenso gut die ganze Sache auf sich beruhen lassen.«

»Halt, halt, Miss Flora«, rief Bluber, der eilig aufsprang. »Sein sie nicht gleich gekränkt. Sehen se nicht, wie es ist? Zweitausend Pfund is ein Haufen Geld, und wir sind tüchtige Geschäftsleute. Wir können doch nicht alles das ausgeben, ohne was dafür zu haben.«

»Das verlange ich gar nicht«, erwiderte das Mädchen schnippisch. »Aber ihr müsst mir vertrauen. Denn wenn ich euch alle Angaben mache, rückt ihr aus und stellt mich kalt.«

»Aber, Miss Flora, wir sind doch keine Ganefs«, beteuerte der Holländer. »Nicht eine Minute denken wir daran, Sie zu täuschen.«

»Ihr seid alle keine Engel, weder du, Bluber, noch die anderen«, entgegnete das Mädchen. »Wenn ihr mit der Sache vorwärts kommen wollt, dann müsst ihr euch nach mir richten, und ich will beim Endlauf dabei sein, damit ich kriege, was mir zusteht. Bis heute habt ihr mein Wort dafür genommen, dass ich die Gelegenheit weiß, und nun müsst ihr es auch für den Rest des Weges ebenso halten oder ich ziehe alle Wetten wieder ab.«