Der Goldkäfer

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Ich untersuchte nun den Totenkopf sorgfältigst. Seine Umrisse waren an der Seite nach dem Rand des Pergaments hin deutlicher als an der anderen Seite. Es war klar, dass die Erwärmung unvollkommen oder ungleichartig gewirkt hatte. Ich zündete daher sofort ein Feuer an und setzte jede Stelle des Pergaments der Einwirkung einer starken Hitze aus. Zunächst war die einzige Folge, dass die schwächeren Linien des Schädels deutlicher wurden. Als ich aber mit meinen Bemühungen fortfuhr, sah ich in einer Ecke des Fetzens, schräg gegenüber dem Fleck, wo der Totenkopf gezeichnet war, eine Figur, die mir zunächst einer Ziege ähnlich zu sein schien. Eine genauere Untersuchung überzeugte mich aber, dass sie ein Böckchen darstellen sollte.“

„Haha!“, rief ich, „ich habe natürlich kein Recht, über Sie zu lachen – anderthalb Millionen sind eine zu ernsthafte Sache, um darüber zu spotten –, aber Sie wollen doch nicht daraus ein drittes Glied in Ihrer Kette machen? Zwischen Piraten und einer Ziege werden Sie schwerlich eine Verbindung finden – Piraten haben, wie Sie wissen, nichts mit Ziegen zu tun. Die scheinen mir mehr für die Landwirtschaft von Interesse zu sein.“

„Aber ich habe doch gerade gesagt, die Figur stellte keine Ziege dar.“

„Nun denn, ein Ziegenböckchen – was mir ziemlich dasselbe zu sein scheint.“

„Ziemlich dasselbe, aber doch nicht ganz“, sagte Legrand. „Vielleicht haben Sie schon einmal von einem Kapitän Kidd gehört, das englische Wort kid bedeutet Böckchen. Jedenfalls kam mir die Figur des Tieres wie eine Art scherzhafter oder hieroglyphischer Unterschrift vor. Ich sage Unterschrift, denn die ganze Stellung auf dem Pergament sah danach aus. Ebenso hatte der Totenkopf schräg gegenüber das Aussehen eines Stempels oder Siegels. Ich war aber bitter enttäuscht, weil alles andere fehlte – nämlich die Hauptsache der vermutlichen Urkunde, der erwartete Text.“

„Sie hofften vermutlich, einen Brief zwischen Stempel und Unterschrift zu finden.“

„Irgend so etwas. Tatsache ist, dass ich ein unbezwingliches Gefühl hatte, irgendein riesengroßes Glück stehe mir bevor. Ich kann eigentlich nicht sagen, warum. Vielleicht war es schließlich mehr ein Wunsch als ein wirklicher Glaube – jedenfalls versichere ich Ihnen, dass Jupiters verrückter Ausspruch, der Käfer sei aus solidem Gold, einen starken Einfluss auf meine Idee ausübte. Und dann diese Folge von seltsamen Zufällen – das war so außerordentlich merkwürdig. Beachten Sie doch das ungewöhnliche Zusammentreffen, dass alle diese Dinge gerade an dem einzigen Tag im Jahr geschahen, als es genügend kalt zum Heizen war, und dass ohne das Hinzukommen des Hundes genau in jenem bestimmten Augenblick ich niemals etwas von dem Totenkopf gewahr geworden und damit auch nie in den Besitz des Schatzes gekommen wäre.“

„Aber fahren Sie fort – ich vergehe vor Ungeduld.“

„Also, Sie haben natürlich auch gehört von den vielen Geschichten, von den tausend unbestimmten Gerüchten über Geld, das irgendwo an der atlantischen Küste von Kidd und seinen Spießgesellen vergraben worden sei. Irgendwie mussten diese Gerüchte natürlich ihren Grund haben. Und wenn sie sich so lange und so hartnäckig hielten, so lag das nur daran, dass der vergrabene Schatz eben immer noch in der Erde lag. Hätte Kidd seine Beute nur für eine Zeit vergraben und sie nachher wieder geholt, so würden die Gerüchte nicht in der bestimmten Form bis auf uns gekommen sein. Sie wollen auch beachten, dass die Geschichten nur von Goldsuchern, aber nie von Geldfindern erzählten. Hätte der Pirat sein Geld wiederbekommen, dann wäre die Geschichte zu Ende gewesen. Mir schien es, als ob irgendein Zufall – vielleicht der Verlust eines Schriftstückes, das den Ort bezeichnete – ihn der Möglichkeit beraubte, sie wiederzufinden. Dieser Zufall war seinen Anhängern, die sonst vielleicht niemals etwas von dem vergrabenen Schatz erfahren hätten, bekannt geworden und ihre natürlich fruchtlosen Versuche, ihn zu finden, hatten dann erst die Erzählungen veranlasst, die jetzt so große Verbreitung gewonnen haben. Haben Sie je etwas davon gehört, dass irgendein Schatz von Bedeutung an der Küste ausgegraben wurde?“

„Nie.“

„Aber es ist bekannt, dass Kidd ungeheure Schätze angesammelt hat. Ich hielt es daher für sicher, dass sie noch in der Erde lagen, und Sie werden schwerlich sehr erstaunt sein, wenn ich Ihnen erzähle, dass ich eine Hoffnung fühlte, die fast zur Gewissheit stieg, das so seltsam gefundene Pergament enthielte den verlorenen Bericht über die Schatzstelle.“

„Aber wie gingen Sie weiter vor?“

„Ich hielt das Pergament wieder ans Feuer, nachdem ich die Hitze verstärkt hatte, aber es erschien nichts. Dann kam mir der Gedanke, der Schmutzüberzug könnte etwas mit diesem Versagen zu tun haben, und ich reinigte das Pergament vorsichtig, indem ich warmes Wasser darübergoss. Hierauf legte ich es mit dem Schädel nach unten auf eine Pfanne von Eisenblech und setzte diese auf ein Holzkohlenfeuer. Nach einigen Minuten, als die Pfanne gehörig heiß geworden war, nahm ich den Fetzen heraus und fand ihn zu meiner unaussprechlichen Freude an verschiedenen Stellen mit Schriftzeichen bedeckt, die mir in Linien angeordnet zu sein schienen. Wieder legte ich ihn in die Pfanne und ließ ihn dort noch eine Minute liegen. Als ich ihn dann abnahm, war er ganz so, wie Sie ihn jetzt sehen.“

Damit übergab mir Legrand das Pergament zur Besichtigung, nachdem er es wieder erhitzt hatte. Zwischen dem Totenkopf und der Ziege befanden sich in roter Tinte die folgenden, ungeschickt geschriebenen Schriftzeichen:


„Aber“, sagte ich, indem ich ihm den Zettel zurückgab, „ich bin noch genauso im Dunkeln wie vorher. Wenn man mir alle Edelsteine von Golkonda für die Lösung des Rätsels aussetzte, ich wäre sicherlich nicht imstande, sie zu gewinnen.“

„Und doch“, meinte Legrand, „ist die Lösung keineswegs so schwierig, wie Sie sich bei der ersten flüchtigen Betrachtung der Zeichen vielleicht einreden. Diese Zeichen bilden, wie jeder sofort errät, eine Geheimschrift, das heißt, sie verbergen einen Sinn. Aber nach allem, was von Kidd bekannt ist, konnte ich mir nicht vorstellen, dass er imstande gewesen, eine sehr versteckte Chiffreschrift zu erfinden. Ich schloss daher sofort, dass dies eine ganz einfache Art sei – allerdings eine solche, die für den schlichten Verstand eines Seemanns ohne Schlüssel absolut unlösbar sei.“

„Und Sie haben die Lösung wirklich gefunden?“

„Mit Leichtigkeit. Ich habe andere gelöst, die zehntausendmal schwieriger waren. Durch Zufälligkeiten und eine gewisse Veranlagung bin ich dahin gekommen, mich für solche Rätsel zu interessieren, und ich glaube nicht, dass menschlicher Scharfsinn ein Rätsel erdenken kann, das nicht menschlicher Scharfsinn, wenn er richtig angewendet wird, wieder auflöst. Wirklich, nachdem ich die Schriftzeichen erst in einen lesbaren Zustand gebracht hatte, machte ich mir wegen der Entzifferung der Bedeutung keine Sorgen mehr.

Im vorliegenden Fall, wie in allen Fällen von Geheimschriften, war die erste Frage die nach der Sprache, in der sie geschrieben war. Denn die Art der Lösung hängt – wenigstens bei einfachen Chiffren – ganz von dem Charakter der betreffenden Sprache ab. Im Allgemeinen bleibt einem hier nichts übrig, als so lange zu probieren – wobei man sich von der größeren Wahrscheinlichkeit leiten lässt –, bis man die richtige gefunden hat. Bei dieser Geheimschrift nun wurde alle Schwierigkeit behoben durch die Unterschrift. Der Wortwitz auf Kidd ist nur in englischer Sprache möglich. Wäre dies nicht gewesen, dann hätte ich meine Versuche in Spanisch oder Französisch begonnen, weil das die wahrscheinlichsten Sprachen sind, in der ein Pirat an der spanischen Küste ein solches Geheimnis niedergeschrieben hätte. So aber schloss ich, die Geheimschrift sei englisch.

Sie sehen, dass es zwischen den einzelnen Wörtern keine Zwischenräume gibt. Hätte es solche gegeben, dann wäre die ganze Aufgabe sehr leicht gewesen. Ich hätte dann mit einer Sammlung und Untersuchung der kürzeren Worte begonnen, und wenn ich dann auf ein Wort mit einem einzelnen Buchstaben (das englische a oder I zum Beispiel) gestoßen wäre, dann hätte ich die Lösung bereits für gesichert gehalten. Da es aber keine Zwischenräume gab, musste ich mir zunächst die häufigsten und die seltensten Buchstaben heraussuchen. Indem ich sie alle zählte, kam ich zu folgender Tabelle:


Nun ist im Englischen das e der häufigste Buchstabe. Dann kommen der Reihenfolge nach: a o i d h n r s t u y c f g l m w b k p q x z. Das e überragt die anderen aber so sehr, dass es selten einen einigermaßen langen Satz gibt, in dem es nicht durch seine Häufigkeit auffällt.

Wir haben also hier schon von vornherein eine Grundlage, die mehr ist als ein bloßes Raten. Natürlich ist es klar, dass eine solche Tabelle im Allgemeinen sehr nützlich sein kann – bei dieser bestimmten Geheimschrift werden wir aber nur wenig Gebrauch von ihr machen. Da das häufigste Zeichen 8 ist, wollen wir mit der Annahme beginnen, dass es den Buchstaben e bezeichnet. Zur größeren Sicherheit werden wir noch untersuchen, ob diese 8 öfters verdoppelt vorkommt, denn im Englischen ist das doppelte e sehr häufig, besonders in Wörtern wie meet, fleet, seen, been, agree und so fort. In diesem Fall kommt es nicht weniger als fünfmal doppelt vor, obgleich das Kryptogramm nur kurz ist.

Also wir nehmen an, 8 bedeutet e. Nun ist von allen Wörtern der englischen Sprache das the das häufigste. Untersuchen wir also, ob sich die gleiche Wiederholung von drei Zeichen findet, deren letztes eine 8 ist. Wenn wir solche Zeichen finden, dann bedeuten sie höchstwahrscheinlich the. Und wirklich finden wir nicht weniger als siebenmal eine solche Zusammenstellung, es sind die Zeichen ;48. Wir können daher annehmen, dass ; ein t, 4 ein h und 8 ein e bedeutet. Dieses Letztere steht nun fest, wir haben also schon einen großen Schritt gemacht.

 

Aber nach dem Bestimmen eines einzelnen Wortes sind wir auch imstande, zugleich etwas sehr Weitgehendes zu bestimmen, nämlich verschiedene Endungen und Anfänge von anderen Wörtern. Sehen wir uns zum Beispiel die Stelle an, wo die Kombination ;48 zum vorletzten Mal vorkommt – kurz vor dem Ende der Geheimschrift. Wir wissen, dass das unmittelbar folgende ; der Beginn eines Wortes ist, und von den sechs Zeichen, die dem the folgen, kennen wir nicht weniger als fünf. Schreiben wir die Zeichen in den Buchstaben hin, die sie bedeuten, wobei der Zwischenraum den unbekannten Buchstaben bedeutet:

t eeth.

Hier können wir sofort das th abtrennen, da es keinen Teil des Wortes bilden kann, das mit t beginnt, denn wenn wir auch das ganze Alphabet durchprobieren, so finden wir doch kein hier passendes Wort mit einem th am Ende. Es bleibt uns also nur:

t ee

und wenn wir auch hier wieder das Alphabet durchgehen, dann kommen wir zu dem Wort tree als der einzig möglichen Lösung. Damit gewinnen wir einen weiteren Buchstaben, das durch (dargestellte r, mit den nebeneinanderstehenden Wörtern the tree. Etwas hinter diesen Wörtern sehen wir wieder die Zusammenstellung ;48 und verwenden sie jetzt als Endung für das unmittelbar Vorhergehende. Wir haben dann, nach Einsetzung der uns schon bekannten Buchstaben, die Folge:

the tree thr5?3h the.

Jetzt brauchen wir nur an der Stelle der noch unbekannten Zeichen freien Raum oder Punkte zu setzen. Wir lesen dann:

the tree thr…h the

und das Wort through springt uns von selbst ins Auge. Damit haben wir aber schon wieder drei Buchstaben gefunden, nämlich o, u und g, die durch X, ? und 3 bezeichnet sind.

Wenn wir nun die Geheimschrift aufs neue nach Kombinationen bekannter Zeichen durchsuchen, dann finden wir nicht weit vom Beginn die Zusammenstellung 83(88 oder egree, die nur zu dem Wort degree führen kann und uns den durch + bezeichneten Buchstaben d gibt.

Vier Buchstaben hinter dem Wort degree bemerken wir die Zusammenstellung ;46(;88*. Übersetzen wir wieder die bekannten Zeichen und lassen wir für das Unbekannte einen Punkt, dann lesen wir:

th . rtee .

und wissen sofort, dass es sich nur um das Wort thirteen handeln kann, wodurch wieder zwei Buchstaben, nämlich die durch 6 und * bezeichneten i und n ermittelt sind.

Wenden wir uns jetzt zum Beginn, so finden wir die Zusammenstellung 53XX+. Da 3XX+ good bedeutet, kann der erste Buchstabe nur ein a sein, und die ersten zwei Worte lauten also: A good.

Es wird nun Zeit, das bisher Gefundene in eine Tabellenform zu bringen, um Verwirrung zu vermeiden. Die Tabelle lautet:

5 = a

4 = h

( = r

+ = d

6 = i

; = t

8 = e

* = n

? = u

3 = g

X = o

Wir haben nunmehr also nicht weniger als elf der wichtigsten Buchstaben, und es ist unnötig, mit den Einzelheiten der Lösung fortzufahren. Ich habe genug gesagt, um Sie zu überzeugen, dass Geheimschriften dieser Art leicht zu lösen sind, und ich habe Ihnen die Methode einer solchen Lösung gezeigt. Das vorliegende Kryptogramm gehört übrigens zu der leichtesten Art, die ich kenne, und es bleibt mir jetzt nur übrig, Ihnen die vollständige Übersetzung der Zeichen auf dem Pergament zu geben. Sie lautet:

A good glass in the bishop’s hostel in the devil’s seat forty-one degrees and thirteen minutes northeast and by north main branch seventh limb east side shoot from the left eye of the death’s-head a bee-line from the tree through the shot fifty feet out.

Also auf Deutsch: ‚Ein gutes Glas in Bischofs Hotel im Teufelssitz einundvierzig Grad und dreizehn Minuten nordnordöstlich Hauptast siebter Zweig Ostseite Schuss durch das linke Auge des Totenkopfs Luftlinie von dem Baum über den Schuss fünfzig Fuß hinaus‘.“

„Aber“, sagte ich, „das Rätsel scheint mir noch gerade so dunkel zu sein wie vorher. Wie ist es möglich, aus dem Wortgemenge einen Sinn herauszufinden? Was bedeuten Teufelssitz, Bischofs Hotel, Totenkopf?“

„Ich gestehe“, erwiderte Legrand, „dass die Sache nicht so ganz einfach erscheint, wenn man sie oberflächlich betrachtet. Mein erstes Bestreben war, das Ganze im Sinne des Geheimschreibers in natürliche Abschnitte zu zerlegen.“

„Das heißt, es zu interpunktieren?“

„Wenigstens etwas Ähnliches wollte ich.“

„Aber wie war denn das möglich?“

„Ich überlegte, dass der Schreiber die Wörter absichtlich ohne Zwischenräume nebeneinandergestellt hatte, um die Schwierigkeit der Lösung zu vergrößern. Nun wird ein nicht allzu scharfsinniger Mann beim Verfolgen einer solchen Sache leicht des Guten zu viel tun. Wenn er daher an eine Stelle kam, wo er dem Sinne nach eine Pause machen oder einen Punkt hinsetzen sollte, dann konnte er leicht sich verleiten lassen, die Zeichen hier besonders dicht hintereinander zu setzen. Wenn Sie jetzt das Manuskript noch einmal betrachten, dann werden Sie leicht solche Fülle von unnötig zusammengedrängten Zeichen finden. Ich handelte nach dieser Idee und machte folgende Einteilung: ‚Ein gutes Glas in Bischofs Hotel im Teufelssitz – einundvierzig Grad und dreizehn Minuten – nordnordöstlich – Hauptast siebter Zweig Ostseite – Schuss durch das linke Auge des Totenkopfs – Luftlinie von dem Baum über den Schuss fünfzig Fuß hinaus‘.“

„Selbst diese Einteilung“, sagte ich, „lässt mich noch im Dunkeln.“

„Sie ließ mich auch im Dunkeln“, antwortete Legrand, „wenigstens einige Tage lang. Ich erkundigte mich inzwischen fleißig nach einem Gebäude in der Umgegend der Sullivansinsel, das den Namen Bischofs Hotel trug. Ich erhielt aber keine Auskunft über die Sache und war schon dabei, den Umkreis meines Forschens mehr auszudehnen und dabei systematischer vorzugehen, als es mir eines Morgens plötzlich durch den Kopf fuhr, dass dieses bishop’s hostel sich vielleicht auf eine alte Familie namens Bessop beziehen könnte, die in jetzt vergessenen Zeiten etwa vier Meilen nördlich von der Insel einen herrschaftlichen Wohnsitz gehabt hatte. Ich ging daher zu der Pflanzung hinüber und begann dort die älteren Neger auszufragen. Schließlich sagte mir eine der ältesten Frauen, sie habe von einem Platz namens Bessop’s Castle gehört und könnte mich dorthin führen. Es sei aber weder ein Schloss noch ein Hotel, sondern ein hoher Felsen.

Ich erbot mich, sie für ihre Bemühung reichlich zu bezahlen, und nach einigem Zögern stimmte sie zu, mich nach dem Ort zu begleiten. Wir fanden ihn ohne große Schwierigkeit und als ich sie entlassen hatte, begann ich den Platz zu untersuchen. Das ‚Castle‘ bestand aus einer unregelmäßigen Ansammlung von Klippen und Felsen, und von den Letzteren war einer, der durch seine Höhe, durch seine abgesonderte Lage und seine ungewöhnliche Form auffiel. Ich kletterte auf seinen Gipfel, war aber dann ganz ratlos, was ich weiter tun sollte.

Während ich noch grübelte, fiel mein Blick auf einen schmalen Vorsprung an der Ostseite des Felsens, vielleicht einen Meter unter dem Gipfel, auf dem ich stand. Der Vorsprung war vielleicht achtzehn Zoll breit und einen Fuß lang, und eine Nische gerade über ihm im Felsen gab ihm eine flüchtige Ähnlichkeit mit einem jener rundlehnigen Stühle, wie sie unsere Vorfahren besaßen. Ich zweifelte nicht, dass dies hier der Teufelssitz sei, auf den das Manuskript anspielte, und glaubte nun die völlige Lösung des Rätsels erfassen zu können. Ich wusste, dass das ‚gute Glas‘ sich nur auf ein Fernglas beziehen konnte, denn Seeleute gebrauchen das Wort Glas selten in einem anderen Sinne. Ich begriff sofort, dass hier ein Fernrohr nötig war, um damit einen ganz bestimmten Punkt, von dem man nicht abgehen durfte, festzulegen. Auch zweifelte ich nicht, dass die Ausdrücke ‚einundvierzig Grad und dreizehn Minuten‘ ebenso wie das ‚nordnordöstlich‘ als Richtungsangaben für das Glas bestimmt waren. Sehr erregt durch diese Entdeckung eilte ich nach Hause, verschaffte mir ein Fernrohr und kehrte nach dem Felsen zurück.

Ich ließ mich auf den Vorsprung herab und fand, dass man nur in einer ganz bestimmten Art darauf sitzen konnte. Diese Tatsache bestärkte mich in meiner Vermutung und ich versuchte nun, das Glas zu gebrauchen. Natürlich konnten sich die ‚einundvierzig Grad und dreizehn Minuten‘ nur auf die Erhebung über den sichtbaren Horizont beziehen, da die Seitenrichtung deutlich durch das Wort ‚nordnordöstlich‘ bezeichnet war. Diese letztere Richtung legte ich durch einen Taschenkompass fest, dann richtete ich das Glas, so gut ich es konnte, ungefähr auf eine Erhebung von einundvierzig Grad und bewegte es langsam aufwärts und abwärts, bis sich meine Aufmerksamkeit auf eine kreisförmige Öffnung im Laubwerk eines mächtigen Baumes lenkte, der alle anderen Bäume in der Gegend durch seine Größe überragte. Mitten in der Öffnung bemerkte ich einen weißen Fleck, konnte aber anfangs durchaus nicht erkennen, was das war. Als ich aber das Fernrohr genau einstellte und nochmals hinsah, bemerkte ich, dass es ein menschlicher Schädel war.

Nach dieser Entdeckung war ich zuversichtlich überzeugt, das Rätsel gelöst zu haben, denn der Ausdruck ‚Hauptast siebter Zweig Ostseite‘ konnte sich nur auf die Stelle beziehen, wo der Schädel am Baum befestigt war, während der ‚Schuss durch das linke Auge des Totenkopfs‘ auch nur eine Deutung in Bezug auf die Suche nach dem vergrabenen Schatz zuließ. Ich begriff, dass die Bestimmung war, eine Kugel durch das linke Auge des Schädels fallen zu lassen, und dass die Luftlinie, also eine gerade Linie, die von dem nächsten Punkt des Stammes über den ‚Schuss‘ – oder den Ort, wohin die Kugel gefallen war – auf eine Entfernung von fünfzig Fuß verlängert wurde, zu einem bestimmten Ort führen würde, von dem ich es immerhin für möglich hielt, dass dort ein wertvoller Schatz begraben war.“

„Alles dies“, sagte ich, „ist außerordentlich klar und bei allem Scharfsinn in der Idee doch einfach und verständlich. Aber was taten Sie, als Sie Bischofs Hotel verlassen hatten?“

„Nachdem ich sorgfältig die Lage des Baumes festgestellt hatte, begab ich mich nach Hause. Sobald ich aber den Teufelssitz verließ, verschwand die runde Öffnung, und ich konnte nachher nirgendwo mehr eine Spur davon entdecken, so sehr ich mich auch drehte. Was mir das Scharfsinnigste an der ganzen Sache zu sein scheint, ist die Tatsache, die ich durch eine Reihe von Versuchen feststellte, dass die erwähnte runde Öffnung von keinem erreichbaren Punkt sonst zu sehen war, außer von dem schmalen Vorsprung an der Felsenwand.

Auf diesem Ausflug nach Bischofs Hotel war ich von Jupiter begleitet worden, der ohne Zweifel seit ein paar Wochen die Zerstreutheit in meinem Benehmen beobachtet hatte und sich besondere Mühe gab, mich nicht allein zu lassen. Aber am nächsten Tag stand ich sehr früh auf und es gelang mir, ihm zu entwischen, worauf ich in das Bergland ging, um den Baum zu suchen. Nach vielen Bemühungen fand ich ihn. Als ich abends zurückkam, wollte mich mein Diener verprügeln. Was dann weiter geschah, wissen Sie ja so gut wie ich.“

„Ich vermute“, sagte ich, „dass Sie bei unserer ersten Grabung die richtige Stelle verfehlten, weil Jupiter in seiner Stupidität den Käfer statt durch das linke durch das rechte Auge fallen ließ.“

„Natürlich. Dieser Irrtum ergab bei dem ‚Schuss‘ einen Unterschied von zwei und einem halben Zoll, was wenig ausgemacht hätte, wenn der Schatz unter diesem Fleck begraben gewesen wäre. Aber durch die Verlängerung der Linie um fünfzig Fuß führte uns der anfänglich kleine Irrtum weit vom Ziele ab. Hätte nicht in mir die Überzeugung, dass der Schatz dort irgendwo begraben gewesen, so fest gesessen, dann wäre wohl unsere ganze Arbeit vergebens gewesen.“

„Aber Ihr schwülstiges Reden und die Art, wie Sie den Käfer herumschwangen – wie seltsam war das! Ich zweifelte nicht daran, dass Sie wahnsinnig seien. Und warum bestanden Sie denn darauf, den Käfer durch das Schädelauge fallen zu lassen statt einer Kugel?“

„Offen gestanden, weil mich Ihr unverkennbarer Zweifel an meiner geistigen Gesundheit ärgerte. Ich beschloss deshalb, Sie auf meine Art ein wenig durch eine kleine Mystifizierung zu bestrafen. Deshalb schwang ich den Käfer und ließ ihn auch deshalb durch den Schädel fallen. Ihre Bemerkung über sein großes Gewicht hatte mich auf die letztere Idee gebracht.“

 

„Nun ja, ich verstehe. Und jetzt gibt es nur noch eins, was mir rätselhaft ist. Was sollen wir über die beiden Skelette denken, die wir in der Höhlung gefunden haben?“

„Das ist eine Frage, die ich ebenso wenig beantworten kann wie Sie. Doch scheint mir nur eine wahrscheinliche Erklärung möglich, obgleich ich nicht gern an eine solche Grausamkeit, wie man sie danach annehmen müsste, glauben will. Es ist klar, dass Kidd – wenn Kidd, woran ich nicht zweifle, den Schatz vergraben hat – bei seiner Arbeit Hilfe gehabt haben muss. Aber als diese Arbeit vorbei war, hat er es vielleicht für klug gehalten, alle Zeugen davon zu beseitigen. Vielleicht genügten ein paar Schläge mit einer Hacke, während die Gehilfen in der Grube arbeiteten, vielleicht waren auch ein Dutzend nötig – wer kann das wissen?“