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DER TOTE KAPITÄN IM WALD - Kostenlose Leseprobe

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DER TOTE KAPITÄN IM WALD - Kostenlose Leseprobe
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Eberhard Weidner

DER TOTE KAPITÄN IM WALD - Kostenlose Leseprobe

Eine Kriminalgeschichte aus Oberbayern

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Inhaltsverzeichnis

Titel

1

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Impressum neobooks

1

»Guten Morgen. Können Sie mir etwas über die Leiche sagen, die man da hinten gefunden hat?«, fragte Kriminalhauptkommissar Franz Schäringer von der Kriminalpolizei Fürstenfeldbruck den ersten uniformierten Kollegen, der ihm über den Weg lief.

Er befand sich in der Nähe der Ortschaft Holzhausen im Bernrieder Wald, einem Forstgebiet südlich von Fürstenfeldbruck, das sich nach Süden bis zur A 96 und beinahe nach Weßling erstreckt. Er wusste zwar, dass es ganz in der Nähe eine Keltenschanze gab – dabei handelt es sich um vor allem im süddeutschen Raum befindliche Reste quadratischer, teilweise rechteckiger Areale mit umlaufendem Wall und Graben –, da er diese schon einmal besucht hatte, viel mehr wusste er allerdings momentan nicht, weder über den Wald, noch über die Leiche, die man hier am frühen Morgen gefunden hatte.

Er hatte seinen Wagen bei den anderen Fahrzeugen zwischen den Bäumen neben dem schmalen Waldweg geparkt und war dann einfach den Geräuschen gefolgt, die ihn wie ein natürliches Navigationsgerät schon zum richtigen Ort führen würden. Er war erst ungefähr zweihundert Meter in den Wald vorgedrungen, der ihm mit jedem Schritt dichter vorkam, und hatte, wenn er nach der Lautstärke der Geräusche ging, schätzungsweise noch einmal so viel vor sich.

»Morgen, Herr Hauptkommissar«, erwiderte der junge Beamte Schäringers Gruß, ehe er seine Frage beantwortete: »Da hinten liegt ein toter Kapitän im Wald.«

»Ein toter was?«

»Kapitän«, wiederholte der Uniformierte, der sich schon abgewandt hatte, um seinen Weg zu den Autos fortzusetzen, sich nun aber wieder Schäringer zuwandte. »Sie wissen schon, Herr Hauptkommissar, so einer wie in Nimm mich mit, Kapitän, auf die Reise.« Den Titel des alten Hans-Albers-Liedes sang er mehr schlecht als recht vor, weil es sowohl an seiner Gesangsstimme als auch an der korrekten Melodie haperte.

»Woher kennen Sie denn Hans Albers? Dafür sind Sie doch viel zu jung.«

»Hans Albert? Nie gehört. Mein Opa singt das Lied ununterbrochen. Er hat Alzheimer und lebt seit Omas Tod im Altersheim.«

Schäringer nickte. »Verstehe. Trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass Sie mich hier auf den Arm nehmen wollen, junger Mann. Das hört sich nämlich ganz so an wie eine dieser modernen Legenden, in der man mitten im Wald angeblich einen ertrunkenen Taucher gefunden haben soll. Steckt da etwa mein Kollege Baum dahinter? Na los! Sie können es ruhig zugeben. Ich verrate es ihm auch nicht.«

Der Polizist sah Schäringer irritiert an und machte unwillkürlich einen Schritt nach hinten, als wäre er sich nicht sicher, ob mit dem Kripobeamten, der ihn um einen halben Kopf überragte, auch wirklich alles in Ordnung war. »Ich weiß zwar nicht, wovon Sie reden, Herr Hauptkommissar, aber da hinten liegt tatsächlich ein toter Kapitän. Ganz aufgedunsen und schwarz im Gesicht, aber trotzdem komplett mit Kapitänsmütze und Uniform. Als wäre er direkt vom Traumschiff gekommen, um im Bernrieder Wald zu sterben.«

Schäringer sah ein, dass der junge Mann ihn wohl wirklich nicht für dumm verkaufen wollte und das, was er sagte, tatsächlich ernst meinte. »Na schön. Auf jeden Fall vielen Dank, Kollege. Und nichts für ungut.«

»Keine Ursache, Herr Hauptkommissar.« Der Uniformierte war sichtlich froh, dass Schäringer ihn nicht länger mit seinen Fragen nervte, denn er wandte sich rasch ab und lief beinahe fluchtartig davon, um von Schäringer wegzukommen und endlich das erledigen zu können, wofür er sich überhaupt auf den Weg gemacht hatte. Vermutlich würde er in Zukunft einen großen Bogen um Schäringer machen, sobald er ihn sah.

Schäringer blickte dem jungen Kollegen noch eine Weile nachdenklich hinterher, ehe er sich schulterzuckend abwandte und weiterstapfte. Äste und Zweige zerbrachen geräuschvoll unter seinen Sohlen. Mitten im Wald klang das manchmal so laut wie ein Schuss. Er orientierte sich weiterhin ausschließlich an den Geräuschen, die die Leute machten, die vor ihm am Tatort eingetroffen waren – Stimmen, Gelächter über einen makabren Scherz und knirschende Schritte –, und die immer lauter wurden, je näher er dem Fundort inmitten der hohen Tannen kam.

Da es keinen ausgetretenen Pfad gab, dem er folgen konnte, suchte sich Schäringer seinen eigenen Weg zwischen den Stämmen hindurch, die hier so dicht standen, dass sie ihm noch immer den Blick auf den Tatort verwehrten. Er schlängelte sich zwischen den Bäumen hindurch und musste sich gelegentlich sogar ducken, um mit seinen imposanten ein Meter neunzig nicht gegen einen tief hängenden Ast zu stoßen. Schäringer war nicht nur groß, sondern auch sehr schlank, was ihn noch größer wirken ließ. Obwohl er schon 57 Jahre alt war, hatte er nur wenig Grau in seinem dichten, aschblonden Haar. Da er erst vor zwei Tagen beim Frisör gewesen war, waren die Haare momentan sogar für seine Begriffe verhältnismäßig kurz. Die frische, morgendliche Luft, die hier unter den Bäumen noch zwei bis drei Grad kühler war, fühlte sich an den Stellen, die vor Kurzem von längerem Haar bedeckt gewesen waren, noch immer ungewohnt an und ließ ihn gelegentlich frösteln.

Da Schäringer ein flottes Tempo angeschlagen hatte, um endlich zu den Kollegen zu kommen, kam er ins Schnaufen. Wie schon so oft in letzter Zeit nahm er sich auch bei dieser Gelegenheit wieder vor, endlich mal etwas für seine Kondition zu tun, mit der es nicht mehr zum Besten stand. Allerdings wusste er, dass es vermutlich bei der Absichtserklärung bleiben würde. Trotz der Kühle traten ihm feine Schweißperlen auf die Stirn. Er hob die Hand, nestelte am Kragen seines weißen Hemds und lockerte die rot-schwarz gestreifte Krawatte ein bisschen. Er ging langsamer, denn er wollte nicht den ganzen Tag in einem schwarzen, 2-teiligen Anzug herumlaufen, den er schon in aller Herrgottsfrühe durchgeschwitzt hatte.

Als er den nächsten Baumstamm umrundete, sah er endlich das rot-weiße Band, mit dem der Bereich um den Fundort der Leiche großräumig abgesperrt worden war. Das Absperrband war um vier Stämme gewickelt worden und bildete auf diese Weise einen rechteckigen Bereich, der Schäringer unwillkürlich an einen Boxring denken ließ. In einer Ecke des Rings stellte er sich die ermittelnden Beamten, allen voran er selbst, vor und in der gegenüberliegenden den oder die Täter. Und diese hatten bereits den ersten Schlag gelandet und einen Punktgewinn erzielt, indem sie die Leiche an diesem Ort deponiert und die Polizei damit vor zahlreiche Rätsel gestellt hatten.

Aber halt!, ermahnte sich Schäringer. Nicht so schnell! Schließlich war noch gar nicht erwiesen, dass es sich hier tatsächlich um einen Mord handelte. Nach den wenigen bisherigen Erkenntnissen, die man ihm vor einer halben Stunde am Telefon übermittelt hatte, als er noch immer Rasierschaum auf einer Hälfte seines Gesichts gehabt hatte, waren die Todesumstände unklar. Ein unnatürlicher Tod konnte deshalb nicht ausgeschlossen werden. Sobald er am Tatort war, die Leiche – den Kapitän!, ergänzte er in Gedanken – gesehen und mit dem Gerichtsmediziner und den Kollegen von der Spurensicherung gesprochen hatte, würde er mehr wissen und erfahren, ob er und Kriminalkommissar Lutz Baum einen neuen Fall hatten.