Unbeugsam – ein außergewöhnliches Leben zwischen Ost und West

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Dann flogen Sachen aus den Gitter-Fenstern, Stühle wurden zerschlagen, aus Tischen und Betten entstanden „Rammen“, die unter Schreien gegen die Gittertüren eingesetzt wurden. Der Knast tobte.

Die Beamten verschwanden von den Kontrollpositionen und verschlossen sämtliche Türen im Gefängnis automatisch.

Die Menge tobte noch etwa 45 Minuten, dann gab es wieder Licht, im wahrsten Sinne des Wortes.

In dem Jahr Gefängnis in Italien waren für mich neben dem wöchentlichen Telefongespräch mit meiner Frau das Eintreffen des „großen Briefes“ mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und dem „Spiegel“, von meiner Tochter Ina aus München, die absoluten Höhepunkte. Zweimal im Monat bekam ich diese wunderbare Sendung. Der Beamte schrie meinen Namen auf dem Flur, hörte ich natürlich nicht, Leute holten mich, mit der Information „Post“.

Ich schritt jedes Mal langsam und feierlich zur Ausgabe, der Brief wird geöffnet und kontrolliert, oft studierten die Beamten, was die Zeitungen in Deutschland kosten, dann Übergabe und stolzer Abgang.

Seit ich im August 1961 aus der DDR in den Westen kam, abonnierte ich „FAZ“ und „Spiegel“. Ich war wie „besessen“ von meiner täglichen Information in meinem Leben in Deutschland. Nach meinen langen Dienstreisen las ich nächtelang in Aufarbeitung die Presse. In Kiew und Moskau kannte ich die Stellen, wo ich, zum dreifachen Preis, FAZ und Spiegel selbst kaufen konnte. Diese Informationen bestimmten mein ganzes Leben. In Italien erstmalig ohne jede Information.

Im italienischen TV wenige Informationen und dann natürlich in italienischer Sprache. Für mich war dieser Mangel an Informationen das Schlimmste im Gefängnis. Für das großartige Pressegeschenk bin ich Tochter Ina sehr dankbar.

Der für mich wichtigste Schritt in dem Drama war die Auslieferung nach Deutschland, um in Deutschland Recht und Freiheit zu bekommen. Die zeitlichen Abläufe und die nervliche Belastung durch die juristischen Abläufe zwischen Italien und Deutschland sind für einen normalen deutschen Staatsbürger, der dieses Drama nicht erleben musste, unvorstellbar.

Im Januar 2017 stimmte die italienische Justizministerin meiner Auslieferung nach Deutschland zu. Im März wurde die Staatsanwaltschaft Düsseldorf informiert. Mit Datum 12.4.2017 bekam ich vom Landgericht Düsseldorf eine erstaunliche, aber gute Nachricht, dass Rechtsanwältin Sabrina Buelli, Köln, als Beistand bestellt wurde, weil Zweifel bestehen, ob der Verurteilte seine Rechte selbst hinreichend wahrnehmen kann. Erstaunlich, weil ich Rechtsanwalt Heinz Gerlinger, Dortmund, als meinen Anwalt benannt hatte. Aber sehr gut, wenn das Landgericht eine neue Anwältin beruft, dann gibt es Kontakte und Verbindungen zum Gericht, das kann meine Auslieferung endlich in Bewegung bringen.

Ich habe sofort Frau Buelli geschrieben und eine Antwort bekommen, dass die Sache in Düsseldorf angelaufen ist.

Mit Datum 30. Mai bekam ich die Kopie eines Schreibens der Staatsanwaltschaft Düsseldorf an das Justizministerium in Rom, dass am 5. Mai das Landgericht Düsseldorf erklärt hat, dass das Urteil des Appellationsgerichtes Torino für vollstreckbar erklärt wird.

Zu vollstrecken ist eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren, anerkannt wird der in Italien vollstreckte Teil der Sanktionen.

Was dann folgte, war ein Schock, die deutsche Übersetzung des Urteils von Torino, diese zusammengelogenen Abläufe der Übernahme der kleinen Firma Gessarolli, hatte ich bisher noch niemals gesehen.

Meine Gedanken waren, nur raus aus Italien, völlig egal, welche juristischen Abläufe erforderlich werden, nur nach Deutschland.

Ich hatte jetzt drei Rechtsanwälte, in Viterbo, in Dortmund und in Köln. Man könnte annehmen, diese ausgewählte erfahrene Truppe von Anwälten holt mich hier schnell raus, wo die rechtlichen Abläufe doch geklärt waren. Das ging leider an der Realität der Justiz in zwei Ländern vorbei. Es dauerte jetzt fast zwei Monate, um den Einsatz von Interpol und einen Flug von Rom nach Berlin sicherzustellen.

Zwei Monate mit ständigem Warten auf eine Information ist in dieser Zeit das Schlimmste, man erfährt nichts. Auch der ständige Kontakt zu den drei Anwälten bewegte nichts, ein schlimmes System.

Auch eine Frage an die Gefängnisleitung ruft nur ein Lächeln hervor.

Antwort: „Sie werden erfahren, wann der Flug nach Deutschland stattfinden wird.“

Dann an einem Samstag, 22. Juli, wurde ich in das Zentralbüro „Matricola“ bestellt, ein mir bekannter netter Beamter hat mich vor die Tür gebeten und mir mitgeteilt, am 25.07 geht der Flug nach Berlin.

Ich war so erfreut, emotional, so hochgedreht, dass ich den Beamten umarmte, das ist nun wirklich außergewöhnlich.

Der Polizei-Beamte lachte und sagte, es ist das erste Mal in seinem Berufsleben, dass ihn ein Gefangener umarmt.

Das gab neue Energie, die verbleibenden 2 Tage, mit gesteigertem Training. Ich lief am Montag zum Abschied vom Campo Runde um Runde mit hohem Tempo, als ginge es um einen großen Wettkampf.

Dann am Montag 17 Uhr, meine Sachen im Magazin abgeben, die neue Tasche von Rechtsanwalt Ceccarelli wird für den Transport gepackt. Ich bin sehr dankbar für diese Tasche, denn ich hatte buchstäblich nichts, meine Reisetasche war in der Ukraine, ich hätte einen blauen Plastiksack nehmen müssen.

Am Abend Abschied von meinen Freunden, Senna, Arthur, Askanio.

Es war doch erstaunlich, wie stark man in einem Knast unter den harten Bedingungen zusammenwachsen kann. Wir wollten uns draußen wiedersehen.

Zu meiner großen Überraschung verabschiedeten sich etwa 20 Gefangene persönlich bei mir, viele küssten mich, wie das in vielen Ländern Osteuropas üblich ist. Ich hätte niemals erwartet, wie „populär“ ich in dem Jahr geworden bin.

Eine enge Verbindung hatte ich nur zu meinen drei Freunden, sonst war ich völlig normal, höflich und respektvoll. Viele Leute bewunderten meine sportliche Energie und Ausdauer im Alter.

Überraschend auch, wie mich die Araber, Tunesier, Marokkaner, Algerier verabschiedet haben.

Zu diesen Leuten, zum Teil als Terroristen verurteilt, hatte ich interessanterweise immer ein gutes, respektvolles Verhältnis.

Ganz sicher waren darunter auch echte Terroristen, das kann man den Gesichtern nicht ansehen.

25. Juli 8 Uhr morgens beginnt der Transport. Übernahme der Tasche und meiner persönlichen Akten im Magazin. Wieder vier Mann mit den alten Beretta-Pistolen und ich in Handschellen in den Transporter.

Kurze Zwischenstation auf dem Weg nach Rom, in einem Gefängnis wurde ein Marokkaner „abgegeben“.

Anschließend holten sich die Polizisten in einem Dorf jeder eine Pizza. Das Warten in dem Transporter, gefesselt, ist schlimm, ich wollte zum Flughafen Rom.

Dann am Flughafen Übergabe an Interpol. Wieder die angenehme lockere Atmosphäre, Fesseln sofort weg, Kaffee angeboten, in einer Ecke völlig unbeachtet warten. Dann kamen die beiden italienischen Interpol-Beamten, auch wieder wie auf dem Weg von Bukarest nach Rom, ausgesprochen nette Typen, mit sehr gutem Englisch. Der gleiche Ablauf, bevor die Passagiere in die Maschine kommen, letzte Reihe links am Fenster dann ein Platz frei, ein Beamter, der zweite Beamte neben dem Gang auf der anderen Seite. Wieder elegante Stewardessen in den Farben der Alitalia, Kostüme und rote Handschuhe.

Start, es konnte nichts mehr passieren auf dem Weg nach Deutschland. Noch nie in meinem Leben hatte ich mich so sehr auf die Heimat gefreut.

4. Kapitel

Berlin in Ketten

Empfang in Berlin, Flughafen Tegel, sinnigerweise bin ich von hier im August 1961 in die Freiheit geflogen, diesmal Übergabe an die deutsche Polizei.

Sofort wieder Handschellen, bei Interpol gab es eine kurze Zeit von relativer Freiheit, ohne Fesseln mit höflichem Umgang.

Kurzer freundlicher Abschied von den beiden Interpol-Polizei-Beamten und Start in das deutsche neue Leben, mit drei deutschen Polizisten. Ein älterer Hauptkommissar hielt mich trotz Handschellen zusätzlich am Arm fest, ich fragte: „Warum dreifache Sicherheit, Waffen, Handschellen und zusätzliches Festhalten?“ Antwort: „Wir wissen, dass Sie gut rennen können, wir wollen Sie doch behalten!“

Fängt also gut an.

Auf der Wache Flughafen Tegel die Aufnahme mit Foto, Fingerabdrücken, messen der Größe und nackt ausziehen und Kniebeugen, um die geheimsten Löcher auszuleuchten.

Jetzt war ich in Rumänien, Italien und Deutschland mit allen Maßen fest verankert.

Transport zum berühmten Gefängnis Moabit, Ankunft 19.00 Uhr. Aufnahme wieder die bekannte Prozedur, bis nackt ausziehen, aber keine Kniebeugen. Die aufnehmenden Justizbeamten sprachen mich nur mit „Don Resch“ an.

Ich sagte lachend: „So hoch war meine Position bei der italienischen Mafia doch nicht.“

Die Aufnahme blieb locker.

Erste Nacht in Berlin, in einer Zwei-Mann-Zelle, der Typ rauchte ständig und war die halbe Nacht wach mit TV.

Ich war nach dem Transport erschöpft und schlief ganz gut.

Am nächsten Morgen die medizinische Eingangsuntersuchung mit Röntgen.

Das neue Drama in meinem Leben nahm seinen Lauf.

Der verantwortliche Arzt für die Röntgenuntersuchung sagte: „Narben in der Lunge.“

Ich wurde einer jungen Ärztin übergeben, etwa 30 Jahre alt und sehr gut aussehend.

Wenn ich das mit den Kolleginnen in Rumänien vergleiche, die zwei Stühle zum Sitzen benötigten, war ich jetzt im medizinischen Paradies angekommen. Ich fragte die junge Doktorin nach Studium und Ausbildung, Uni Berlin und Charité Berlin.

Wie ist sie nur im Knast in Moabit gelandet?

 

Sie fand keine Lösung für meine Lunge, Weitergabe an eine ebenfalls sehr junge Kollegin. Die Ärztin kam aus Bochum und hat in Düsseldorf Medizin studiert. Große Freude bei mir, jetzt sind wir unter echten Freunden aus dem Ruhrgebiet, sollen wir nicht „Du“ sagen, sie stimmte lachend zu. Jetzt war ich nun echt in der Heimat angekommen, wir redeten viel über Düsseldorf und die Königsallee.

Sie vermutete Wasser in der Lunge, rief den Chefarzt an und fragte mich, ob ich zustimme, zur Untersuchung in das Gefängniskrankenhaus in Plötzensee zu gehen.

Ich war natürlich einverstanden, Gesundheit an erster Stelle.

Wir verabschiedeten uns lachend, Verabredung in Düsseldorf Königsallee zum Kaffee.

Das war die zweite Verabredung mit einem Arzt auf der Kö, nach dem Chefarzt von Viterbo in Italien.

Zurück in die Zelle. Ich muss anerkennen, im Gefängnis Moabit ist alles sehr gut organisiert. Da ich vorher nicht wusste, wie das Ergebnis der Untersuchung im Krankenhaus ausgehen wird, beantragte ich eine Einzelzelle. Verantwortlich war eine nette Beamtin, ging alles sofort in Ordnung. Diese deutsche Schnelligkeit war ich nicht mehr gewöhnt.

Gespräch bei dem sehr guten Sozialarbeiter, Bernd, das lange Gespräch war so gut, dass ich meine Lederjacke, über dem Stuhl hängend, vergessen hatte. Nach 6 Monaten habe ich sie tatsächlich wiederbekommen.

Eine Nacht in der Einzelzelle 338, sehr gut geschlafen, endlich ungestört.

Am nächsten Morgen Transport in das Haftkrankenhaus Plötzensee. Wie immer gefesselt und mit bewaffneten Beamten.

Am Nachmittag kam eine nette Ärztin, Russin, schon länger in Berlin, und teilte mir mit, Verdacht auf Tuberkulose. Sie kam bereits mit Maske in den Raum und übergab mir Masken, die ich ab sofort zu tragen hatte. Auf meine Frage, warum Diagnose TB, bisher nur Schlussfolgerung aus Wasser in der Lunge, bisher noch keine weiteren Analysen durchgeführt.

Der Tag für eine genaue Untersuchung in der privaten Helios Klinik, außerhalb der Haftanstalt, wird vorbereitet.

Man muss wissen, TB ist in Deutschland eine fast vollständig besiegte Krankheit, mit nur noch etwa 6000 bis 7000 Fällen.

TB war früher in hohem Maße tödlich, heute gibt es sehr sichere Therapien. Ich stand also nun unter dem Verdacht, eine der gefährlichsten, meistens tödlich endenden Krankheiten aus den Gefängnissen in Rumänien oder Italien mitgebracht zu haben. Das Ende meiner Reise durch die Gefängnisse fängt in Berlin also gut an.

Im Krankenhaus Plötzensee, ein schönes Zimmer, abgesichert durch eine Schleuse, Ausblick auf einen Wald.

Es gibt vorgeschriebene Kleidung, Hose und Jacke, Farbe Khaki, T-Shirt grün, weiße Unterhose.

Am ersten Tag, bekam ich von einer sehr netten Schwester die Zeitung das „Neue Deutschland“.

Seit 1961, über 50 Jahre, hatte ich kein „ND“ mehr in der Hand gehalten. Da ich an absolutem Zeitungsmangel gelitten hatte, bin ich dankbar über das ND hergefallen.

Ich bekam weiterhin von der Schwester ND, Berliner Zeitung und sogar die „Zeit“.

Ich erinnere mich noch heute mit großer Dankbarkeit an diese Schwester. Es gab eine weitere Verbindung, sie kam aus Zwickau in Sachsen, nicht weit entfernt von Freiberg, wo ich fünf Jahre an der Bergakademie studiert habe.

Der Vater war Bergmann unter Tage, im Steinkohlebergbau von Zwickau, der in der DDR beim Aufbau eine große Rolle gespielt hatte. Später war der Vater im Uran-Bergbau, der SDAG Wismut in Aue. Die Kumpels der Wismut hatten das Uran für die ersten sowjetischen Atombomben 1949 gefördert.

Wismut aber war auch in den folgenden Jahren die Basis der sowjetischen Atomrüstung.

Nach wenigen Tagen, am Sonntag 30.07., mein 81. Geburtstag, es war der zweite Geburtstag im Knast. Es kam „meine Schwester“ mit einer netten Kollegin, mit Kuchen, Kerze, singend in mein Zimmer. „Happy Birthday“, unglaublich, was es nach drei Tagen alles geben kann. Telefonisch hat mir dann meine wunderbare Frau weinend gratuliert, ich war im Paradies Heimat angekommen.

Die tägliche Freistunde sagte viel aus über die gegenwärtige Berliner Unterwelt, etwa 40 % Russen, die Gespräche konnte ich inhaltlich sehr gut verstehen, sonst Balkan, Tschechen und Polen, kaum ein Deutscher. Durch Viterbo war ich ja einiges gewöhnt, aber diese Situation in Berlin war doch irgendwie überraschend und neu. Einer der Russen sagte scherzhaft: „Was guckst du, Mann, wir haben den Krieg gewonnen.“ Köstlich, das im heutigen Deutschland.

Ich darf natürlich nicht an die täglich vier Freistunden in wunderbarer Sonne in Viterbo denken, wie immer im Leben, man kann nicht alles haben.

Am 2. August 6.30 Uhr morgens, Fahrt in die Helios Klinik Zehlendorf zur Untersuchung. Das sollte mein weiteres Schicksal bestimmen.

Untersuchung der Lunge, CT und unter Vollnarkose Entnahme einer Probe des Wassers in der Lunge.

Interessant die Auseinandersetzung mit den beiden Beamten, vor der Narkose.

Einer der beiden Beamten war mit einer Pistole bewaffnet.

Ich weigerte mich, den Eingriff mit der Handfessel vornehmen zu lassen, mit der man mich durch das Kranlenkhaus schleppte. Die jungen Ärzte waren vernünftig, sie sagten ebenfalls, gefesselt fangen sie nicht mit der Operation an.

Wir einigten uns auf eine Fußfessel, eine Kette hatten sie nicht mitgebracht, mit Plastikband wurden meine Füße gefesselt. Was für ein Wahnsinn, Vollnarkose, gefesselt, daneben bewaffnete Beamte, wie sollte ich weglaufen?

Das ist die deutsche Justiz, mindestens in Berlin.

11.00 Uhr war die Sache beendet, zwei Stunden auf das Transportfahrzeug warten, 14.00 Uhr war ich wieder in meiner Zelle.

Fünf Tage später war es dann so weit, erneut Transport zum Helios Klinikum „Emil von Behring“, Station 52, geplanter Zeitraum eine Woche.

Der operative Eingriff erfolgte sofort. Das gleiche junge Ärzteteam, diesmal keine neue Diskussion, jetzt bekam ich Ketten an beiden Füßen. Somit war sichergestellt, dass ich während der Operation mit Vollnarkose nicht weglaufe.

Die Beamten konnten die Waffen gesichert am Gürtel in Bereitschaft halten. Was sich da in Berlin abspielt, ist wirklich Wahnsinn. Ist das dem Grünen Justizsenator von Berlin bekannt, was seine Leute an der Front veranstalten?

Die eigentliche Operation dauerte 40 Minuten. Ein Teil des Wassers wurde aus der Lunge abgesaugt und ein Gerät mit Schlauch wurde installiert, das ich bis zum Abgang aus der Helios Klinik ständig am Körper mit den Händen tragen musste. Etwa 0,7 Liter Wasser wurden abgesaugt.

Gegen 14.00 Uhr war ich zurück in meinem neuen Krankenzimmer, das Bewachungsdrama ging weiter. Zwei Beamte, bewaffnet, saßen am Tisch und spielten Karten.

Ich lag mit Ketten am Fuß und Maske im Gesicht im Bett.

Die Beamten waren ohne Maske.

Eine resolute Stationsärztin kommt und räumt auf, das Bewachungskommando flog raus, jetzt vor die Tür.

Ich konnte endlich die Maske abnehmen.

Die erste Nacht war schlimm, starke Schmerzen, Fieber und mit Ketten an das Bett gefesselt.

Die Männer vor der Tür wollten sicher schlafen, sodass die Ketten an jedem Bein die Sicherheit gaben.

Am nächsten Tag kam der Oberarzt, der auch nur mit dem Kopf schütteln konnte, was auf seiner Station abläuft.

Er fragte die Bewacher, ob der Patient mit dem großen und schweren Gerät und einem Schlauch in der Lunge aus der zweiten Etage springen könnte. Keine Antwort.

Der Oberarzt hatte dann die Justizverwaltung angerufen, es gab einen Deal, Ketten weg, dafür blieb die Tür Tag und Nacht geöffnet. Die Beamten hatten 12-Stunden-Schichten, schliefen nachts im Sitzen, dieser Weg wäre theoretisch besser, um zu verschwinden, als aus dem Fenster zu springen.

Die Therapie begann unmittelbar, obwohl noch keine TB-Erreger in irgendeiner Weise gefunden wurden.

Ich schluckte dann 8 Tabletten am Tag, je 2 Tabletten einer Kategorie. Das galt für 8 Wochen der Therapie, dann nur noch 2 Tabletten am Tag für 6 Monate.

Ich konnte jeden Tag, natürlich in Ketten, mit dem Gerät im Arm auf der Station spazieren gehen.

Am 3. Tag kam meine Tochter Pia, die bereits 15 Jahre in Berlin lebte.

Der Besuch war wunderbar.

Im November des Vorjahres hatte Pia mich in Viterbo besucht. Es ist großartig, eine so starke Tochter zu haben.

Interessanterweise lief die Genehmigung für den Besuch in der Helios Klinik völlig unbürokratisch.

Pia kam in die Klinik und durfte sofort zu mir kommen. Natürlich hatten wir beide eine Maske auf, neue Atmosphäre für Vater und Tochter.

Pia kam in der Woche noch einmal in die Helios Klinik.

In der weiteren Zeit im Gefängniskrankenhaus Plötzensee konnte sie zweimal monatlich kommen.

Diese Besuche liefen mit langer Planung und Vorbereitung im Justizsystem ab. Die Besuche von Pia in meiner Zeit in Berlin waren für mich absolute Höhepunkte der Knastzeit.

Wichtiges Datum war der 18.08., wieder im Haftkrankenhaus, kam eine junge Assistenzärztin und teilte mir mit, die Maske kann weg. Nach jetzt zwei Wochen Therapie, vielen speziellen Tests, angelegten Kulturen, Röntgen etc.

Die Ärztin sagte inoffiziell: „Wir wissen beide, dass Sie nichts haben.“

Das blieb bis zum Ende der Krankenhauszeit, niemals wurden Tuberkulose-Bakterien gefunden. Ich kann nur sagen „gut so“.

Alle Maßnahmen waren aus Haftungsgründen erforderlich, wenn eventuell eine schwere Krankheit auftreten sollte.

In etwa 4 Wochen Berlin hatte ich tatsächlich mit 11 Ärzten Kontakt. Diese unglaubliche Anzahl hatte ich vorher in meinem gesamten langen Leben nicht. Die Gespräche waren abwechslungsreich, aber schlimmer waren zehnmalige Röntgenuntersuchungen in diesen Wochen, die Wirkung der Röntgenstrahlen war sicher nicht gut.

Der operative Eingriff an meiner Lunge hatte mich an Kraft und Kondition erheblich zurückgeworfen. Das merkte ich an der Gymnastik, die ich von einer guten Physiotherapeutin jeden Tag verordnet bekam. Nach einer Woche begann das Training auf dem stationären Fahrrad, mit 20 Minuten bis zu einer Stunde langsam steigernd.

In einem Gespräch mit dem sympathischen Oberarzt unserer Station bestätigte er lakonisch, der OP-Eingriff in die Lunge, mit 40 Minuten „Herumwühlen“ (wörtlich) in der Lunge, ist wirklich sehr hart.

Zwei internationale Ereignisse, die ich aus Zeitungen und TV erfahren habe, hatten mich sehr beeindruckt.

Am 24. August, ein erneutes verheerendes Erdbeben in Italien, in Amatrische, etwa 50 km von Viterbo entfernt, 299 Tote.

Das Gefängnis in Viterbo wird gewackelt haben.

Ein nicht so starkes Erdbeben hatte ich selbst erlebt. Die Beamten verschwinden einfach, im Notfall würde niemand die Zellen und Türen der Flure öffnen, alles könnte zusammenstürzen.

Gut, dass ich weg war.

Am gleichen Tag, der Tag der Unabhängigkeit der Ukraine. Mit großer Parade auf dem Chreschtschatik.

Ich sah im TV die Parade, mit dem Gefühl 25Jahre Tätigkeit in der Ukraine. Besonders gefiel mir die marschierende Abteilung der US-Army, das war das beste Signal an Putin.

In einer sehr guten Rede hat Präsident Poroshenko hervorgehoben, dass nach wie vor das große Ziel der Ukraine ist, in die Nato und die Europäische Union aufgenommen zu werden.

Nur dieser Weg kann eine moderne europäische Ukraine sichern, wie bisher in 25 Jahren werde ich persönlich diesen Weg mit aller Kraft begleiten.

Ein sehr wichtiger Schritt für meine Zeit in Berlin begann am 1. September. Ich konnte jetzt in der Sportgruppe trainieren, 2-mal in der Woche, jeweils 1 ½ Stunden. Entscheidend war der Sportlehrer Armin, großartiger Typ, Sportler durch und durch und ein sehr erfahrener Sportlehrer für die spezielle Situation in einem Gefängniskrankenhaus. Armin, in Ostberlin aufgewachsen, studierte Sport an der Humboldt Universität in Berlin und war in seiner aktiven Zeit Triathlet.

Im Sommer 1989, mit seiner damaligen Freundin und deren kleinem Kind über Ungarn mit der großen Welle nach Österreich gegangen, dann wieder in Westberlin im Lager gelandet. Die Zeit im Lager beschreibt Armin als nicht gut, aber das dauerte nicht mehr lange, dann kam die Freiheit.

Für mich war nicht nur das Training sehr gut, wir konnten 30 Minuten auf dem Hof laufen, dann eine Stunde an der Hantel und Geräten Krafttraining, sondern die Gespräche mit dem Sportlehrer waren für mich nach der langen Zeit ohne einen vernünftigen deutschen Gesprächspartner außerordentlich wichtig.

 

Armin kannte die Situation in Ost und West, wie ich persönlich auch, das waren sehr gute Ansatzpunkte aus dem Leben beider fanatischer Sportler. Persönlich hatte es Armin schwer getroffen, das Knie war kaputt. Nach drei Operationen noch immer nicht wieder voll belastungsfähig.

Der Sport und die Besuche meiner Tochter Pia waren für mich die entscheidenden Faktoren, für das Durchhalten in der speziellen Situation, gleichzeitig Gefängnis und Krankenhaus.

Termin für den Besuch von Pia, jeweils 14.00 oder 15.00 Uhr, war lange vorher geplant, nach ihrem Terminkalender und dem Besuchsplan im Gefängnis.

Ich stand am Fenster im dritten Stock und wartete. Rufen durfte ich nicht, wir winkten und Pia ging mit ihren großen sportlichen Schritten durch die Gefängnistüren.

183 cm groß und ein Leben lang eine sehr gute Sportlerin, in der Jugend moderner Fünfkampf, Reiten, Fechten, Schießen, Schwimmen und Laufen, sind einzeln als großes Hobby aus dieser Zeit geblieben.

In Berlin ist sie heute für Bio Kosmetik in einer führenden Position tätig. Im Urlaub fliegt sie durch die Welt.

Mir hat sehr gut gefallen, dass Pia mit dem Pferd durch den Ural, Richtung Sibirien, geritten ist. Ansonsten von Vietnam bis zur Mongolei, einfach alles. Zur Erinnerung an die Zeit, als der Vater für Pia noch eine größere Rolle spielte, sind für mich zwei Erlebnisse besonders in Erinnerung geblieben. Als Studentin an der Uni Saarbrücken hat sie Fallschirmspringen erlernt, acht Absprünge aus der Cesna, nach der Ausbildung – hervorragend. Sie hatte nie darüber gesprochen, nur nach Abschluss der Ausbildung im Fallschirmspringen hat sie mir die Unterlagen gezeigt.

Die zweite Erinnerung, Köln 1990. Pia studierte inzwischen an der Uni Köln, Betriebswirtschaft. Ich hatte einen Termin beim WDR, Vorführung der Filme, die über mich für zwei Sendungen im Abendprogramm 20.15 gedreht waren.

Ich fragte Pia, ob sie mir den Weg zum WDR zeigen kann, also Treffen, Pia auf ihrem Rennrad, ich im Porsche hinter meiner sehr schnellen Tochter, die langen Haare flogen fast waagerecht, so tobten wir durch Köln zum WDR. Das Mädchen auf dem Rennrad und hinter ihr ein Porsche 911.

Die Filme waren übrigens sehr gut.

Bei den zweimal monatlichen Besuchen in Plötzensee standen nur 30 Minuten zur Verfügung. Diszipliniert der Ablauf, Aufgaben für Rechtsanwalt Gerlinger, Situation unserer Familie und das Leben von Pia in Berlin. Ging natürlich unglaublich schnell vorüber, war aber extrem wichtig für mich.

Eine sehr interessante Episode ereignete sich zur Bundestagswahl im September 2017.

Als ein in Italien verurteilter Gefangener war mein Wahlrecht in Deutschland nicht angetastet. Wie vorgeschrieben, stellte ich den Antrag mit allen auszufüllenden Unterlagen.

Dann hörte ich wochenlang nichts mehr. Im Vertrauen auf die deutsche Justiz unternahm ich auch nichts mehr.

Als in der Woche vor der Wahl nichts passierte, wurde ich langsam unruhig.

Ich schrieb an den Wahlbevollmächtigten des Gefängnisses.

Keine Antwort.

Am 19.09. schrieb ich erneut an den Wahlbevollmächtigten, diesmal mit der Drohung einer Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Berlin, gegen den Bevollmächtigten selbst und den Grünen Justizsenator von Berlin.

Diesmal ging alles schnell. Der Wahlbevollmächtigte persönlich brachte mir die Briefwahlunterlagen, am Donnerstag vor der Wahl, und entschuldigte sich.

Ich wählte sofort und gab die Unterlagen direkt wieder mit.

Warum das alles, weiß ich nicht.

Schlamperei, normale Bürokratie, oder sollten die Knackis nicht wählen, ich bekam keine Erklärung.

Ein weiteres Ereignis im September 2017 beeindruckte mich, das Manöver „Westen“ der russischen Armee in Bjelo Russland mit Stoßrichtung auf Polen und Litauen.

Offizielle Teilnahme von 12.700 Mann.

Allerdings standen an der russischen Grenze 100.000 Mann in Bereitschaft und waren an dem Manöver beteiligt.

Hintergrund der Übung war der Durchbruch exakt zwischen Polen und Litauen, direkt auf Kaliningrad (Königsberg), um die Verbindung auf dem Landweg zu dem russischen Territorium von dem ehemaligen Ostpreußen herzustellen.

Strategisch gesehen, die drei baltischen Länder Litauen, Lettland und Estland nicht nur direkt aus östlicher Richtung anzugreifen, sondern von Süden, von der kürzesten Verbindungslinie von Russland nach Ostpreußen, aufzurollen.

Aus strategischer russischer Sicht genau der militärische Schlag, wie an den Militärakademien der Sowjetunion und Russlands aus den Erfahrungen des 2. Weltkriegs immer gelehrt wurde.

Nach dieser militärischen Drohkulisse im September war das Manöver der Nato im Oktober 2018 in Norwegen mit 50.000 Soldaten die richtige Antwort.

Die Nato kann mit allen Mitteln, in kürzester Zeit, zurückschlagen, bei Bedrohung einer der Mitgliedsländer in unmittelbarer Nähe zu Russland.

Deutschland stellte mit 10.000 Soldaten, neben USA und Norwegen, das größte Kontingent.

Für mich persönlich ein sehr gutes Gefühl, meine Panzerbrigade Münster ist mit 4000 Mann beteiligt.

In dieser Panzerbrigade wurde ich 1977 in Münster Oberleutnant der Reserve.

Noch wesentlich wichtiger war unmittelbar nach dem russischen Manöver „Westen“ die erste große Übung „Dragon 17“ in Polen und dem nicht Nato-Mitglied Ukraine mit 17.000 Soldaten. Panzertruppen und Luftwaffe aus USA, England, Deutschland und der Ukraine, das war historisch.

Das war das erste große militärische Signal an Präsident Putin, einen Durchmarsch von der Ostukraine nach Kiew wird es niemals geben.

Das Leben geht weiter in Berlin, eine Stunde am Tag auf dem Hof, jeweils die zweite Hälfte entspannter und angenehmer, nur etwa 50 % der Leute gehen noch in der Runde.

Die Hauptbeschäftigung für mich, Lesen und Fernsehen, 15 Stunden am Tag. Es gab eine kleine Bibliothek auf der Etage. In einem Schrank standen Bücher frei zur Verfügung.

Mit großem Interesse studierte ich „Marx“ achthundertneunzig Seiten, erschienen im Dietz Verlag Berlin Ost, 1982, geschrieben in der Sowjetunion.

Ich lernte im Gefängnis mehr über Karl Marx als in der Grund- und Oberschule in der DDR und dem Studium in der DDR, wo Maximums-Leninismus das immer wiederkehrende Grundstudium war. Das Buch hatte mich „gefangen“. Ich habe die fast 900 Seiten förmlich verschlungen.

Das hatte ich auch nicht erwartet, was mich im Knast noch so erreichen wird.

Das zweite wichtige Buch gab mir der Chefarzt, ein Buch über das Leben von Käthe Kollwitz. Ich besuchte vier Jahre die Käthe-Kollwitz-Oberschule in Merseburg, allerdings für das Leben dieser großen Künstlerin habe ich mich nie interessiert.

Nur Sport, Segelfliegen und Motorrad Geländefahren waren mein Leben in der Oberschule.

Käthe Kollwitz war nie Mitglied der kommunistischen Partei.

Die große Popularität in der DDR kam durch die enorme Rolle, die Käthe Kollwitz in der Sowjetunion gespielt hat. In den 20er- und 30er-Jahren gab es große Ausstellungen von Käthe Kollwitz in Moskau, Leningrad und Kasan.

1927 war Käthe Kollwitz einmal persönlich in der Sowjetunion. Vater, Bruder und Ehemann von Käthe Kollwitz waren übrigens treue Mitglieder der SPD.

Das alles war neu für mich.

Es gab noch ein Buch, das mich in der Zeit in Berlin gefesselt hat, „Bismarck Gespräche von der Entlassung bis zum Tod“, faszinierend, was ich über Bismarck noch erfahren konnte, nach den sehr guten Büchern, die ich bisher über Bismarck gelesen hatte.

Nach 8 Wochen hatte ich in Berlin den ersten persönlichen Kontakt auf dem Hof, außerhalb dieser Stunde am Tag und dem Sport gab es keine Möglichkeit, ein Gespräch zu führen.

In Italien gab es die Möglichkeit für persönliche Kontakte über 8 Stunden am Tag, Freistunde, Sport, aufgeschlossene Zellen auf der Etage.

Ich sah auf dem Hof einen durchtrainierten Jungen, der auf einem Tor der inneren Abgrenzung, waagerecht ausgestreckt, wie auf einem Barren oder im Zirkus trainierte.

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