Von Selbst zu Selbst

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Die Anfänge der Beziehung

Wenn in den ersten ein oder zwei Sitzungen genügend Zeit ist, sollte man sich nach dem Anfang der Beziehung erkundigen. Wie hat das Paar sich kennengelernt, was am anderen hat sie angezogen, wie war es, miteinander auszugehen und sich zu verlieben? Oft entspannen beide sich dann und erinnern sich daran, wieso sie zusammen sind. Außerdem löst es die wichtige Frage aus: Was ist eigentlich mit uns passiert? Das Gespräch darüber könnte man wie folgt einleiten.

Susan und Marco

»Erzählen Sie mir doch mal, wie Sie sich kennengelernt haben und was sie aneinander angezogen hat!«

Die beiden lächeln sich an.

»Willst du anfangen?«, fragt Susan.

»Ich weiß noch, wie ich Susan zum ersten Mal gesehen habe«, erzählt Marco. »Ich war richtig überwältigt. Damals hat sie im Sommerlager einen Lauf organisiert, an dem ich teilgenommen habe. Sie war nicht nur kompetent, sondern hat auch noch toll ausgesehen. Aber als ich versucht habe, sie auf mich aufmerksam zu machen, hat sie mich völlig ignoriert.«

»Ich war doch total mit der Organisation beschäftigt! Außerdem war ich verschwitzt, dreckig und erschöpft. Überhaupt nicht sexy.«

»O doch, total sexy«, sagt Marco.

»Und wie ging es weiter?«, fragte ich.

»Er hat sich bei einer Freundin meine Telefonnummer besorgt«, berichtet Susan. »Ich habe mich gar nicht an ihn erinnert, aber diese Freundin hatte mich schon angerufen und mir gesagt, ich soll unbedingt mit ihm ausgehen. Deshalb habe ich das getan!«

»Und?«, frage ich.

»Er war toll. Warmherzig, lustig, charmant.«

»Wie ist es, sich daran zu erinnern?«, fragte ich.

»Schön«, sagt Susan.

»Traurig«, sagt Marco.

Dem Paar die Konzepte von IFIO vorstellen

Während wir zuhören, wie die beiden ihre Geschichte erzählen und ihre Absichten, Visionen und Ziele erforschen, führen wir langsam die grundlegenden Konzepte des IFIO-Modells ein, und zeigen auf, wie unser Gehirn in einer Beziehung funktioniert. Dabei reagieren manche Paare eher skeptisch, während andere mit der Vorstellung, dass der menschliche Geist aus vielen unterschiedlichen Teilen besteht, sofort etwas anfangen können. Es beruhigt sie zu hören, dass wir alle Verbundenheit brauchen, dass Bedürftigkeit jedoch Verletzlichkeit hervorruft, was oft zu Frustration führt.

Unser Ziel ist es, dass die beiden sich zunehmend von ihren Teilen lösen, damit sie ihre Probleme mit mehr Objektivität und Mitgefühl angehen können. Da ein bisschen Erklärung viel bewirkt, ist es am Anfang womöglich am wichtigsten, ihnen die Sprache der Teile zu vermitteln. Aussagen wie Ich nehme wahr, dass ein Teil von Ihnen X empfindet, ein anderer Teil hingegen Y macht die beiden darauf aufmerksam, dass sie solche Teile in sich tragen. Das ist der erste Schritt in dem relativ langen Prozess zu lernen, wie man sich von Teilen löst (zu einer ausführlichen Beschreibung dieses Vorgangs siehe Anhang 1). Von diesem Thema war bereits die Rede, und es wird uns auch weiter beschäftigen.

Wenn eine Klientin oder ein Klient sich gegen die Vorstellung sperrt, dass unsere Teile Gefühle haben, darf man sich nicht entmutigen lassen. Es ist völlig in Ordnung, nach einer individuell akzeptablen Ausdrucksweise zu suchen. Zum Beispiel können wir von Aspekten des Selbst, inneren Stimmen oder von Gedanken, Körperempfindungen und Gefühlen sprechen. Es kommt alles infrage, was den beiden dabei hilft, ihr inneres Erleben zu erkunden und neue Vorstellungen zu akzeptieren.

Susan und Marco

»Sie bestehen beide aus vielen verschiedenen Teilen – wie wir alle. Und genau wie Sie beide nicht immer einer Meinung sind, stimmen auch Ihre Teile nicht immer überein. Ich will mal erklären, was ich damit meine. Sie fühlen sich doch beide ab und zu in der Defensive, oder?« Susan und Marco nicken. »Versetzen Sie sich bitte in die letzte Situation hinein, als das so war, heute vielleicht, und sagen Sie mir, wenn Sie so weit sind ... Also, was passiert gerade in Ihrem Körper?«

Nach einem Augenblick sagt Susan: »Mein Bauch fühlt sich angespannt an.«

»Marco?«, frage ich.

»Ich weiß nicht recht.«

»Das ist in Ordnung«, sage ich. »Hören Sie denn, was Sie zu sich selbst sagen?«

»Sie hat unrecht«, sagt Marco.

»Gut. Und Sie, Susan?«

»Was für ein Trottel.«

»Konzentrieren Sie sich jetzt auf diese Worte und das dazugehörige Gefühl. Sie können die Augen schließen, wenn es Ihnen dann leichter fällt. Was will dieser Teil von Ihnen?«

»Mein Ärger will, dass Marco was erwidert«, sagt Susan.

»Weshalb?«, frage ich.

»Weil ich wissen will, dass er zuhört.«

»Ihr verärgerter Teil will, dass Marco Ihnen zuhört?«, frage ich nach.

»Genau.«

»Und wie funktioniert das?«

»Nicht besonders gut.«

»Wenn ich Ihnen helfen könnte, so miteinander umzugehen, dass Sie sich eher gehört fühlen«, sage ich, wohl wissend, dass ich eine rhetorische Frage stelle, »wären Sie dann daran interessiert?«

Der Begriff des Selbst

Die Vorstellung, dass es ein Selbst mit einer bestimmten Energie gibt, ist am Anfang unter Umständen schwerer zu begreifen als das Konzept der Teile, weil die Selbst-Energie oft kaum vorhanden ist, wenn Teile sich im Konflikt befinden. Außerdem können unsere Ansichten über das Selbst auch im Widerspruch zu bestimmten religiösen oder spirituellen Überzeugungen stehen. Daher führe ich die Vorstellung, dass wir ein Selbst haben, langsam ein. Ich verwende entweder die Ausdrucksweise des Paares an oder geläufige Synonyme für Freundlichkeit und Mitgefühl, zum Beispiel offenherzig sein und weicher werden. Wenn in der ersten Sitzung genug Zeit dafür ist, sage ich in etwa Folgendes:

»Ich würde Ihnen gern etwas erzählen, was ich glaube. Dadurch erfahren Sie auch ein bisschen mehr darüber, wie ich vorgehe. Also, ich glaube, dass alle Menschen den Wunsch haben, innerlich zu wachsen. Außerdem glaube ich, dass wir im Kern unbeschädigt sind und starke innere Ressourcen haben. Das soll nicht heißen, dass Sie beide nicht leiden. Ich weiß, dass Sie das tun. Aber es heißt, dass Sie die Fähigkeit haben, sich mit den Ressourcen des Herzens Ihren eigenen Verletzungen und denen Ihres Gegenübers zuzuwenden, Ihren Verletzungen und auch Ihrer Wut, Verwirrung und Verzweiflung. Deshalb werde ich Sie gelegentlich auf verschiedene Weise bitten, vom Herzen aus zu sprechen oder zuzuhören.«

Wie streiten die beiden? Bitten sie um Vergebung?

Gern erkundige ich mich bei dem Paar auch früh danach, wie es mit Konflikten in der Beziehung umgeht und ob den beiden klar ist, was an ihrem Verhalten die andere Person frustriert oder verletzt. Dadurch erhalte ich Informationen darüber, wie bewusst das Verhalten der beiden ist und wie gut sie aufeinander abgestimmt sind. Die Frage danach, ob sie um Vergebung bitten, liefert mir Informationen über Verletzungen, die ungeheilt bleiben, und über die Fähigkeit des Paares, etwas wiedergutzumachen und zu vergeben.

Susan und Marco

»Mich würde interessieren, wie Sie streiten«, sage ich zu Marco und Susan.

»Wir werden wütend«, erwidert Susan. »Eigentlich will keiner von uns gerne nachgeben, aber normalerweise zieht Marco sich zuerst aus dem Gespräch zurück.«

Ich sehe Marco an, der sagt: »Da hat sie recht.«

»Sind Sie sich bewusst, welches Verhalten dem anderen am meisten wehtut?«, frage ich.

»Ich glaube, am schlimmsten ist es für Susan, wenn ich mich abwende«, sagt Marco.

Susan nickt. »Und ich glaube, am meisten ist Marco verletzt, wenn ich missbilligend schweige.« Marco nickt.

»Und wie bitten Sie einander um Vergebung?«, frage ich beide.

»Überhaupt nicht«, antwortet Susan. »Das ist ein Teil des Problems, glaube ich. Wir schließen einen Streit nie ab. Ich habe den Eindruck, dass sich deshalb im Lauf der Zeit allerhand Gefühle angestaut haben.«

Die Herkunftsfamilie

Ein weiteres wichtiges Thema ist die Herkunftsfamilie. Manche Paare haben nie darüber nachgedacht, was sie in ihrer Kindheit und Jugend über Beziehungen gelernt haben. Haben die Eltern gestritten? Falls ja, wie haben sie das getan? Haben sie Meinungsverschiedenheiten gelöst? Was haben die beiden in der Kindheit sonst noch gesehen und gelernt? Die Antworten auf diese Fragen bringen sie dazu, neugierig darauf zu sein, wie sie beeinflusst wurden. Uns wiederum vermitteln sie ein besseres Verständnis dafür, welche Ursprünge die Beziehungsdynamik hat.

Susan und Marco

»Was haben Sie von Ihren Eltern über Konflikte gelernt?«, frage ich.

Susan und Marco sehen sich wissend an.

»Ich habe gelernt, den Kopf einzuziehen und abzuhauen«, sagt Marco. »Warte nicht ab, was da gerade läuft – bloß weg hier!«

»Und meine Eltern haben vor uns Kindern einfach nicht gestritten«, sagt Susan.

»Irgendwelche Vorbilder, wie man um Vergebung bittet?«, frage ich.

»Tja«, sagt Susan lachend, »da wir keinen Streit erlebt haben, haben wir auch nicht erlebt, wie jemand sich entschuldigt hat.«

»Und ich kann mich nicht dran erinnern«, sagt Marco.

»Leuchtet es Ihnen ein, dass alle Paare bestimmte Methoden brauchen, um Konflikte hinter sich zu bringen und um Vergebung zu bitten?«, frage ich.

 

Übliche Stressfaktoren, unglückliche Umstände, Fehlverhalten

Informationen über äußere Umstände, darunter Kinder und die erweiterte Familie, sind wichtige Aspekte. Vieles hat Einfluss auf das Paar gehabt, sowohl in normalen Lebensphasen als auch bei Ereignissen, über die es keine Kontrolle hatte. Sind Kinder gerade dabei, das Elternhaus zu verlassen? Ziehen betagte Eltern ein oder liegen sie im Sterben? Hat jemand seine Arbeit verloren? Vielleicht gibt es auch Unterschiede in der Libido, vielleicht hat eine der beiden Personen eine Affäre, eine affektive Störung, eine traumatische Vergangenheit oder Suchtprobleme. Da viele Paare nicht von sich aus über heikle Dinge sprechen, wenn wir nicht aus therapeutischer Sicht nachfragen, ist es wichtig, den beiden klarzumachen, dass wir über alles sprechen können. Explosivere Themen wie Wut und Geheimnisse werden in späteren Kapiteln behandelt.

Susan und Marco

»Ich würde Ihnen gerne ein paar Fragen stellen«, fange ich an. »Möchten Sie sich mit Ihrer sexuellen Beziehung beschäftigen?«

Susan und Marco sehen sich an.

»Tja, Susan ist mit unserem Sexualleben nicht besonders zufrieden«, sagt Marco. »Ich weiß, dass viele Leute mit so was Probleme haben. Aber es ist peinlich, darüber zu sprechen, und ich kann mir nicht vorstellen, das zu tun, wenn jemand anders dabei ist.«

Eine Weile herrscht Schweigen. Dann sagt Susan: »Früher ist es uns total gut damit gegangen, aber jetzt kommt es mir vor, als hätte Marco einfach kein Interesse mehr daran, und wir können nicht darüber sprechen, ohne uns zu streiten. Mir würde es also helfen.«

»Wenn wir uns besser kennenlernen, wird Ihr Umgang miteinander sich ändern und außerdem werden Sie sich wohler mit mir fühlen«, sage ich. »Dann werde ich Ihnen helfen, Ihre sexuelle Beziehung zu erforschen und zu verstehen, was Sie beide brauchen, um wieder zueinander zu finden.«

Marco blickt aus dem Fenster. Susan nickt.

»Irgendwelche weiteren Stressfaktoren?«, frage ich. »Krankheiten, Depression, betagte Eltern, Probleme mit den Kindern? Hatte einer von Ihnen eine Affäre?«

Wenn eine der beiden Personen sich entscheidet, schon in der ersten Sitzung eine Affäre einzugestehen, kann das sowohl für die andere Person als auch für uns in der therapeutischen Rolle extrem schmerzhaft und schwierig sein. Da wir jedoch im Hier und Jetzt arbeiten, gehen wir jede Situation, die sich ergibt, direkt und mit so viel Selbst-Führung wie irgend möglich an. Nach meiner Erfahrung kommt es nur selten zu so etwas, aber wenn doch, müssen wir schnell unser eigenes System beruhigen, um präsent und offen für die Gefühle des Paares zu sein.

»Ich nicht«, sagt Susan. »Was ist mit dir, Marco?« Sie sieht ihn an.

»Nichts dergleichen«, sagt er. »Und wir haben absichtlich keine Kinder bekommen. Wir haben beide sehr fordernde Berufe, die wir lieben, und haben uns bewusst dafür entschieden statt für Kinder.«

»Gibt es beruflichen Stress?«, frage ich.

»Ja. Wir stehen beide extrem unter Druck.«

Am Ende der Sitzung

Am Ende einer Sitzung lasse ich immer etwas Zeit dafür, über den Kern dessen nachzudenken, was ich gehört habe, und um zu erklären, wie ich dem Paar helfen könnte.

»Bevor wir heute aufhören«, sage ich, »will ich Ihnen ein paar Dinge sagen. Ich nehme einen Wunsch danach wahr, anders miteinander umzugehen, und ich nehme wahr, dass bestimmte Teile von Ihnen wenig Vertrauen in Ihre Fähigkeit haben, solche Veränderungen zustande zu bringen. Meine Aufgabe ist es, Ihnen zu vermitteln, wie Sie anders miteinander kommunizieren können, damit einerseits Raum dafür bleibt, unterschiedliche Bedürfnisse zu verhandeln, und damit Sie andererseits wieder die Verbindung zueinander herstellen können, die Sie vermissen. Zu diesem Zweck bin ich auch dafür da, eine Umgebung zu schaffen, in der Ihre beschützenden Teile sich sicher genug fühlen, ihre Waffen abzulegen. Mit etwas Zeit und intensiver Arbeit kann Ihr Umgang miteinander sich ändern, da bin ich mir ziemlich sicher.«

THERAPEUTISCHE TIPPS

 Stellen Sie sich einen Moment vor, wie Sie eine andere Richtung vorgeben, wenn Klientin oder Klient in einer der ersten Sitzungen mit hoffnungslosen, wütenden Teilen verschmolzen ist.

 Spüren Sie in Ihren Körper hinein.Welchen Impuls haben Sie?Wie fühlen Sie sich?Was hören Sie sich zu sich selbst sagen?Was tun Sie?

 Bei unangenehmen Interaktionen ruhig zu bleiben, erfordert Selbstwahrnehmung und die Fähigkeit, sich schnell von den eigenen Teilen zu lösen, damit man ihnen Mitgefühl und Fürsorge zukommen lassen kann.

Zusammenfassung

Die obigen Ausschnitte aus einer Therapiesitzung demonstrieren einige der Fragen, die ich stelle, um herauszufinden, ob äußere Zwänge, Druck auf einen oder beide Personen oder irgendwelche schweren Vertrauensbrüche vorhanden sind. Allgemein gesagt, sammle ich Informationen, während ich zu den nächsten Schritten weitergehe, wie in späteren Kapiteln deutlich werden wird. Man braucht viele Sitzungen, um die gesamte Geschichte eines Paares kennenzulernen, um zu erfahren, womit die beiden kämpfen und welche Dynamik sie am dringendsten ändern wollen. Manchmal kommen später Geheimnisse oder heikle Erfahrungen zum Vorschein, aber egal, ob früh oder spät, es ist entscheidend, im Selbst zu bleiben, um mit unerwarteten Dingen umgehen und entsprechend reagieren zu können.

Alle erwähnten Themen können in einer langen ersten Sitzung oder im Laufe mehrerer Sitzungen zur Sprache kommen. Manche tauchen jedoch vielleicht nie auf. Manche Paare wollen erst einmal Bericht erstatten, andere fangen sofort an, an ihren Problemen zu arbeiten. Folgen Sie einfach dem, was das Paar vorgibt, und halten Sie mit ihm Schritt. Nach meiner Erfahrung bemühen die meisten Paare sich in der ersten Sitzung, ruhig und gefasst zu bleiben. So wütend oder frustriert die beiden auch sein mögen, sie wollen sich hilfreich verhalten und sind bereit, starke Emotionen lange genug zurückzuhalten, um ihre Situation und ihre Probleme zu beschreiben. Indem wir spiegeln, was sie sagen, indem wir eine Verbindung zu ihnen herstellen, einen sicheren Raum schaffen und die Möglichkeit zur Veränderung anbieten, unterstützen wir sie bei der maßgeblichen Aufgabe, ihr vegetatives Nervensystem zu beruhigen. Wir sollten nämlich so schnell wie möglich eine Alternative zu dem Muster entwickeln, entweder der Reaktion des sympathischen Nervensystems zu folgen (Kampf oder Flucht) oder jener des Parasympathikus (krampfhaft auf die Bremse treten und erstarren).

Als Therapeutin oder Therapeut haben wir natürlich alle unseren eigenen Stil und unsere eigene Methode, uns mit einem neuen Paar vertraut zu machen. Bei jeder therapeutischen Unternehmung entsteht ein einzigartiges Mini-System aus dem Paar und Therapeutin oder Therapeut, in dem alle Beteiligten unweigerlich einen bestimmten Gesprächs- und Umgangsstil entwickeln. Daher möchte ich Ihnen nicht vorschlagen, Ihre Vorgehensweise zu ändern, außer sie steht in direktem Konflikt zum Konzept von IFIO. Behalten Sie Ihren Werkzeugkasten bei! Vorrangiges Ziel muss es immer sein, in Verbindung mit unseren eigenen Teilen zu bleiben und uns auf das innere System von Klientin oder Klient einzustimmen.

Phase 2


Der Fluss der Mitte und seine Strudel
Kreisläufe entdecken

In diesem Kapitel geht es um eine Methode, die ich schon früh einsetze und während der ganzen Behandlung wiederaufnehme, wenn es nötig ist. Sie wird als Tracking bezeichnet und ist ein wirkungsvolles Instrument, das von den Pionieren der Familientherapie entwickelt wurde, um Verhaltensmuster zu erforschen (Minuchin und Fishman 1992). Richard Schwartz hat es für die Beobachtung innerer Abläufe adaptiert. Indem wir die interpersonelle und intrapersonelle Interaktion des Paares aufdecken, helfen wir den beiden, sich von ihren Teilen zu lösen und wahrzunehmen, dass ihr Verhalten mehr mit unbefriedigten Bedürfnissen (vor allem nach Sicherheit, Verbundenheit und Liebe) zu tun hat als mit den Inhalten, die sie bei ihren Auseinandersetzungen ständig wiederholen. Demonstriert wird auf den folgenden Seiten außerdem, wie ich am Anfang der Therapie mit Zielen umgehe. Wenn beide darauf ausgerichtet sind, sich gegenseitig zu ändern, mache ich ihnen klar, dass es bei unserem Prozess nie darum gehen wird, die eine der beiden Personen zu ändern, damit die andere so bleiben kann, wie sie ist.

Wieso »Tracking«?

In IFIO lösen wir keine Probleme, wir unterstützen das Paar vielmehr darin, die Kompetenz zu entwickeln, Probleme gut zu lösen. Daher richtet sich unser Interesse auf die Motivation, nicht auf den Inhalt. Wir wollen das Paar davon abbringen, sich auf die Inhalte ihres Streits zu konzen-trieren, damit sie neugierig darauf werden, was dem Streit zugrunde liegt. Deshalb gehört es in IFIO zu den ersten Schritten, Verhaltensweisen aufzuspüren und zu beobachten, die durch starke Emotionen hervorgerufen werden. Das wirkt beruhigend auf das Paar, es macht sich wiederholende Muster deutlich und hilft uns, die verletzlichen verbannten Teile zu erkennen, deren Gefühle das problematische Verhalten auslösen.

Negative Kreisläufe

In unangenehmen Situationen haben wir alle unsere bevorzugten Reaktionsmuster. Unsere beschützenden Teile ziehen sich eventuell zurück, sie argumentieren, unterwerfen sich, erklären, greifen zum Mobiltelefon, toben oder lösen irgendwelche anderen Verhaltensweisen aus, die uns vom emotionalen Schmerz ablenken und diesen verringern sollen. Als negativen Kreislauf bezeichnen wir hier ein zu erwartendes Interaktionsmuster, das unabhängig von Inhalt und Ergebnis der Interaktion wiederholt wird. Natürlich wirken negative Kreisläufe destruktiv und erschöpfend. Sie aufzudecken, unterbricht das betreffende Verhalten und bringt oft zum ersten Mal die Hoffnungen des beschützenden und die Bedürfnisse des verbannten Teils zum Vorschein. Während der Behandlung kommen wir wiederholt auf diese Methode zurück, um zu verdeutlichen, inwiefern das zugrunde liegende Motiv für den Kreislauf von größerer Bedeutung ist als der Inhalt der Streitereien. Unser Ziel ist es, dass beide Personen eine Kehrtwende vollziehen und sich der Selbsterforschung widmen. Das heißt, sie sollen den Fokus nach innen richten statt auf die andere Person, vor allem am Anfang.

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