Rechtswissenschaftliches Arbeiten

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I. Deckblatt

Jeder juristisch-wissenschaftlichen Arbeit wird ein Deckblatt vorangestellt. Es enthält Vor- und Nachnamen, Anschrift und Matrikelnummer des Verfassers sowie die Angabe des Studiengangs und des Fachsemesters. Darüber hinaus ist der Titel der Lehrveranstaltung mit dem oder den Namen des oder der Lehrenden aufzuführen.[134] |37|Sowohl bei juristischen Falllösungen als auch bei Themenarbeiten ist jeweils der Titel der Arbeit zu nennen. Darüber hinaus können je nach Universität, Studiengang oder Dozent weitere Angaben gefordert sein.

II. Sachverhalt und Aufgabenstellung

Bei Hausarbeiten zur juristischen Falllösung folgt dem Deckblatt eine Wiedergabe des Sachverhalts sowie der Aufgabenstellung. Eine Anpassung des Textformats an das Gesamtschriftbild der Arbeit ist sinnvoll. Offensichtliche Defizite des Aufgabentexts (z.B. Tippfehler) dürfen korrigiert werden. Sinnvollerweise ist die Änderung kenntlich zu machen (z.B. in einer Fußnote). Im Zweifel sollte Rücksprache mit dem Betreuer gehalten werden. Sonstige inhaltliche Änderungen sind allerdings zu unterlassen. Insbesondere sind die Tatsachen des Sachverhalts beizubehalten.

III. Gliederung

Bei juristischen Falllösungen ergeben sich die Gliederung des Aufgabentexts und die Überschriften und Zwischenüberschriften zwingend aus der Abfolge der juristischen Prüfungsschritte im Gutachten. Bereits ein Blick in die Gliederung kann bei juristischen Falllösungen darum Hinweise auf die Qualität einer Arbeit, insbesondere auf die Gewichtung der einzelnen Fragen liefern.

Bei Themenarbeiten ist die Gliederungsstruktur weniger streng vorgegeben. Dennoch zeigt sich auch für Themenarbeiten am Aufbau häufig die Qualität der Bearbeitung. Insoweit gilt ein Grundsatz der Übersichtlichkeit, der Verständlichkeit und der logischen Stringenz. Die Gliederung muss zunächst einen Überblick über den Grundriss des Themas und die Abfolge der Bearbeitung liefern.[135] Darüber hinaus muss die Gliederung logisch stimmig und verständlich sein.[136] Die Überschriften müssen in der Gliederung mit denen des Textes übereinstimmen, diese dürfen nicht voneinander abweichen. Jede eingeführte Gliederungsebene muss im Text aufgenommen werden.[137] Schließlich ist es erstrebenswert, dass sich die Abfolge der behandelten Aspekte und die Entwicklung der Lösung der Bearbeitung aus der Gliederung entnehmen lässt.

Microsoft Word oder Open Office enthalten eine Funktion zur Erstellung eines automatischen Inhaltverzeichnisses. Dies beschleunigt die Erstellung und erleichtert die Gestaltung einer ansehnlichen Gliederung. Mit Hilfe der Aktualisierungsfunktion können spätere Änderungen zudem ohne großen Aufwand umgesetzt werden.

|38|1. Juristische Falllösungen
a) Gliederungspunkte und Überschriften

In Falllösungen findet die Abfolge der juristischen Prüfungsschritte im Gutachten eine Entsprechung in den Überschriften und damit im Aufbau und in den Gliederungspunkten der Bearbeitung. Die einzelnen Gliederungspunkte orientieren sich in zunehmender Segmentierung an den verschiedenen Sachverhaltsabschnitten (z.B. Ausgangsfall und Abwandlung), den Ansprüchen verschiedener Beteiligter (z.B. Ansprüche des A gegen B, Ansprüche des A gegen C) und den einzelnen Ansprüchen und Anspruchsgrundlagen (z.B. Anspruch auf Herausgabe nach § 985 BGB). Auch innerhalb der einzelnen Anspruchsgrundlagen kann und muss in aller Regel eine weitere Untergliederung vorgenommen werden (z.B. Eigentum des A, Recht zum Besitz des B). Selbst innerhalb der einzelnen Tatbestandsmerkmale sind nochmalige Untergliederungen möglich (z.B. Eigentumserwerb des A, Gutgläubiger Eigentumserwerb des B). Eine allzu feinteilige Auffächerung der einzelnen Diskussionspunkte ist allerdings aus Gründen der Übersichtlichkeit und Verständlichkeit zu vermeiden. Eine noch feingliedrigere Auffächerung als in nachfolgendem Ausschnitt aus der Musterhausarbeit wird nur selten benötigt:

1 Ansprüche K gegen VAnspruch auf Übereignung des Bienenvolkes aus § 433 Abs. 1 BGBAnspruch entstandenAnspruch erloschen: UnmöglichkeitErgebnisSchadensersatz wegen Unmöglichkeit (§§ 280, 283 BGB)SchuldverhältnisBefreiung von der LeistungspflichtVertretenmüssenErgebnisAnspruch auf Ersatzherausgabe (§§ 285, 963 BGB)SchuldverhältnisBefreiung von der Leistungspflicht (§ 275 BGB)Erlangung eines Ersatzes oder ErsatzanspruchsKausalitätIdentität oder KongruenzRechtsfolge

2 Ansprüche V gegen KAnspruch auf Zahlung des Kaufpreises (§ 433 Abs. 2 BGB)KaufvertragUnmöglichkeit der Leistung, §§ 275, 326 BGBErgebnis

3 Anspruch K gegen I gem. § 749 Abs. 1 BGBGemeinschaftTeilung in Natur, § 752 BGBTeilung durch Verkauf, § 753 BGBErgebnis

|39|Abb. 4: Auszugsweise Auffächerung der Diskussionspunkte aus der Musterhausarbeit

In jedem Fall untersagt ist eine Überschriftenbildung im Sinne von „Obersatz“, „Definition“ und „Subsumtion“.[138] Bei dieser Abfolge von Prüfungspunkten handelt es sich gerade nicht um Gliederungspunkte einer Falllösung, sondern um die universelle methodische Mikrostruktur eines jeden juristischen Gutachtens (dazu unten § 6 II.). Die juristische Methodik dient insoweit einer konsistenten und nachvollziehbaren Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen und sichert für die Falllösung im Gutachten aber auch und insbesondere in der Rechtsanwendung ein hohes Maß an Nachprüfbarkeit. Nur bei nachprüfbaren Methoden kann im Nachgang eine Richtigkeitskontrolle stattfinden; dies gilt für die juristische Prüfung ebenso wie für die Kontrolle durch höhere Instanzen. Als Quintessenz der juristischen Prüfung und Rechtsanwendungsmethoden bleibt die Abfolge von Obersatz, Definition und Subsumtion zwingend unerwähnt. Eine Übernahme in die Überschriften würde zu unsinniger Wiederholung des immer wieder gleichen Prüfungsablaufs führen.

b) Sachverhalt und Fallfrage

Das für eine juristische Hausarbeit zu erstellende Gutachten muss von der gestellten Fallfrage oder den gestellten Fallfragen ausgehen. Eine Erörterung von Fragen, die von der Aufgabenstellung nicht umfasst sind, ist zu unterlassen. Typischerweise ist die Fallfrage einer juristischen Hausarbeit auf das Bestehen von Ansprüchen (vgl. § 194 BGB) der Beteiligten gerichtet. Die Aufgabenstellung kann auf konkrete Ansprüche oder Anspruchsgruppen gerichtet sein. Konkret könnte es z.B. im Einstiegsfall um folgende Frage gehen:

Kann K von V die Übergabe und Übereignung des Bienenvolkes verlangen?

Eine Fallfrage kann zudem schlicht auf die „Rechtslage“ ausgerichtet sein. In diesem Fall sind die denkbaren und nach der Fallgestaltung sinnvollen Kombinationen an „Anspruchspaarungen“ zu prüfen. Das bedeutet, dass zwar grundsätzlich alle denkbaren Konstellationen von Ansprüchen zwischen den Beteiligten zu prüfen sind. Allerdings ist eine sinnvolle Abgrenzung zwischen relevanten und irrelevanten Rechtsbeziehungen vorzunehmen. Diese Abgrenzung ergibt sich sowohl aus den Sachverhaltsangaben als auch aus dem Ergebnis einer hypothetischen Prüfung des jeweiligen Anspruchs. Das bedeutet, dass einige Ansprüche zwar bei der Falllösung geprüft |40|werden, sie aber in der Endfassung des Gutachtens nicht auftauchen, weil sie irrelevant sind. Das kann z.B. der Fall sein, wenn ein Anspruch offensichtlich nicht besteht.

In der Konstellation des Eingangsfalles etwa wäre es unnötig, einen Anspruch des K gegen V auf Schadensersatz wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung gem. § 826 BGB auch nur anzusprechen. Ein solcher Anspruch scheidet offensichtlich sowohl mangels Vorsatzes als auch mangels Sittenwidrigkeit aus.

Besondere Formen einer Fallfrage bleiben hinter einer Anspruchsprüfung zurück. Dies ist der Fall, wenn ein Rechtsstatus geklärt werden soll. So kann z.B. nach der dinglichen Rechtslage gefragt werden („Wer ist Eigentümer?“).[139] Ebenso können Handlungsoptionen der Beteiligten thematisiert werden.

Im Eingangsfall haben sich die Bienenschwärme vereinigt. Dadurch sind I und zunächst V gem. § 963 BGB zu gleichen Teilen Miteigentümer gem. § 741 BGB an dem großen Schwarm geworden. Die Übergabe und Übereignung eines eigenen Schwarms an K ist unmöglich geworden. K könnte daraufhin den Rücktritt erklären. Er könnte aber auch seinen Anspruch auf Übertragung des Miteigentumsanteils, dem sog. stellvertretenden commodum gem. § 285 BGB, geltend machen. Sobald V dem K seinen Miteigentumsanteil übertragen hat, hat dieser weiterhin die Option, gegenüber I die Auflösung der Gemeinschaft gem. §§ 749, 753 BGB zu verlangen.

c) Struktur der Anspruchsprüfung („Wer will was von wem woraus?“)

Die Methode der Anspruchsprüfung wird regelmäßig in der Faustformel „Wer will was von wem woraus?“ formuliert.[140] Aus diesem Merksatz lässt sich – für jede Konstellation wiederholend – eine eingängige Struktur der Fallprüfung formulieren. Zunächst stellt sich die Frage nach dem Anspruchsinhaber und dem oder den Anspruchsverpflichteten. Dabei ist stets in Zwei-Personen-Verhältnissen zu prüfen („wer“ von „wem“).

Kann (Wer?) K (Von wem?) von V (Was?) die Übergabe und Übereignung des Bienenvolkes (Woraus?) aus dem Kaufvertrag aus Oktober 2014 verlangen?

Oder in einen Obersatz umgewandelt:

|41|K könnte gegen V einen Anspruch auf Übergabe und Übereignung des Bienenvolkes aus dem Kaufvertrag gem. § 433 I 1 BGB haben.

Innerhalb des jeweiligen Zwei-Personen-Verhältnisses ist nach dem Anspruchsziel (dem „Was“) zu fragen. Auch das Anspruchsziel ergibt sich unmittelbar aus dem Sachverhalt. Typische Anspruchsziele sind etwa die Kaufpreiszahlung, die Herausgabe einer Sache oder die Übereignung und Übergabe einer gekauften Sache. Ebenso kann es um Ansprüche auf Unterlassung oder Schadensersatz gehen.

 

Die Frage nach dem „Woraus“ richtet sich auf die Grundlage des jeweiligen Anspruchsziels. Hier ist diejenige Rechtsvorschrift aufzufinden, die dem Anspruchsteller das erwünschte Ziel vermittelt. Je nach Fallkonstellation können auch mehrere Anspruchsgrundlagen für das gleiche Anspruchsziel bestehen. Dies ist häufig bei Ansprüchen auf Zahlung von Schadensersatz der Fall. Hier können sowohl vertragliche als auch außervertragliche, insbesondere deliktische Anspruchsgrundlagen zur Anwendung kommen.

Das Auffinden der in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen bildet häufig die wesentliche Hürde bei der Bearbeitung von juristischen Hausarbeiten. Zwar sind Gesetzgeber in Zivilrechtsjurisdiktionen – auch und vor allem in Deutschland – seit jeher bemüht, die Rechtsnormen innerhalb einzelner Gesetze systematisch zu ordnen. Dies erleichtert das Auffinden der relevanten Anspruchsgrundlagen erheblich. Je nach Fallfrage kann die in Betracht kommende Rechtsnorm auch evident sein. Ist dies nicht der Fall, gilt es, sich an den einschlägigen Katalog von Normen „heranzufragen“:[141]

a) Stehen dem K gegen V Ansprüche aus dem Kaufvertrag zu?

In diesem Fall erschöpfen sich die möglichen Anspruchsnormen in den Vorschriften der §§ 433ff. BGB. Also in erster Linie Übergabe und Übereignung der Kaufsache (Bienenvolk) aus § 433 I 1 BGB. Nachrangig sekundäre Ansprüche wie etwa Nacherfüllung, Rücktritt, Minderung oder Schadensersatz nach Maßgabe der §§ 437ff. BGB.

b) Wie ist die Rechtslage?

In diesem Fall sind wie bei a) zunächst die spezielleren Ansprüche aus dem Kaufvertrag zu prüfen. Da die Aufgabenstellung hier weiter gefasst ist, erschöpft sich die Prüfung allerdings insoweit nicht. Zu prüfen ist zudem etwa der Anspruch auf Herausgabe des Ersatzes gem. § 285 BGB oder deliktische Ansprüche wie etwa aus § 823 BGB oder § 826 BGB. Auch wenn diese letztlich nicht im Gutachten auftauchen, müssen sie zumindest gedanklich geprüft werden.

|42|d) Rangfolge und Verhältnis der Anspruchsgrundlagen

Eine juristische Falllösung erfordert grundsätzlich die Befassung mit allen in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen. Aufgrund der Systematik des Bürgerlichen Gesetzbuches ist bei der Falllösung eine bestimmte Prüfungsreihenfolge sinnvoll, wenn nicht sogar zwingend einzuhalten.[142] Befolgt man einige Grundregeln, ist zum einen ein systematisch-konsistenter Aufbau der Fallprüfung sichergestellt. Zum anderen besteht die Gewähr, keine relevanten Rechtsprobleme (z.B. Anspruchsgrundlagen, Einwendungen oder Einreden) zu übersehen. Vereinfacht lässt sich der Ablauf einer Fallprüfung im Zivilrecht mit zwei Faustregeln begründen und verinnerlichen. Dies ist zum einen die Fünf-Schritte-Regel (dazu sogleich unter (1)) sowie zum anderen – in der Fallprüfung eine Ebene darunter – die Drei-Stufen-Regel, auch „Juristischer Dreiklang“[143] genannt (dazu nachfolgend unter e)).

aa) Anspruchsgruppen (Fünf-Schritte-Regel)

Die Fünf-Schritte-Regel bezieht sich auf den Umgang mit und die Reihenfolge der in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen. Die Struktur des deutschen Privatrechts und die Systematik des Bürgerlichen Gesetzbuches geben hier eine Aufteilung in fünf große Anspruchsgruppen vor.

Ansprüche aus Vertrag sind bei der Falllösung stets an erster Stelle zu prüfen. Wenn sich aus einem konkreten Vertrag Ansprüche ergeben, sind diese individuell und im Verhältnis zu den gesetzlichen Ansprüchen immer vorrangig. Darüber hinaus ist die Frage des Bestehens oder Nichtbestehens eines Vertrages zwischen den Parteien für die anderen Anspruchsgruppen regelmäßig vorentscheidend. So kann z.B. das Bestehen eines Vertrages einer Partei ein Recht zum Besitz im Sinne des § 986 BGB geben und einen dinglichen Herausgabeanspruch ausschließen. Zudem kann die Prüfung eines Anspruchs aus Geschäftsführung ohne Auftrag bei Bestehen eines Vertrages knappgehalten werden. Das Tatbestandsmerkmal „ohne Auftrag“ kann nämlich grundsätzlich nicht erfüllt sein, wenn zwischen Geschäftsherrn und Geschäftsführer ein entsprechender Vertrag besteht.[144] Ebenso kann ein Vertrag die Rechtswidrigkeit einer Handlung ausschließen, wenn hiermit eine Einwilligung in die Verletzung von Rechtsgütern verbunden ist. In diesem Fall bestehen keine Ansprüche aus Delikt.[145] Vor allem Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung können schließlich dem Grunde nach nur bei Nichtbestehen eines Vertrages existieren. Nur dann ist das Tatbestandsmerkmal „ohne Rechtsgrund“ gegeben.[146]

|43|Zur Gruppe der vertraglichen Ansprüche gehören z.B. Ansprüche auf Erfüllung. Beim Kaufvertrag umfasst dies den Anspruch des Käufers auf Übereignung und Übergabe der Kaufsache (§ 433 Abs. 1 BGB) und den Anspruch des Verkäufers auf Zahlung des Kaufpreises sowie Abnahme (§ 433 Abs. 2 BGB). Weitere Ansprüche in der Gruppe der „vertraglichen Ansprüche“ sind Ansprüche auf Gewährleistung (z.B. Nacherfüllung nach § 439 BGB), auf Schadensersatz aus Pflichtverletzung (§ 280 BGB), auf Aufwendungsersatz (§ 284 BGB), Ersatzherausgabe (§ 285 BGB), und aus Verzug (§§ 286ff. BGB). Auch eine Verletzung von Nebenpflichten nach § 241 Abs. 2 BGB kann zu einem „vertraglichen“ Schadensersatzanspruch führen.

Als zweite zu prüfende Anspruchsgruppe sind sogenannte vertragsähnliche oder quasivertragliche Ansprüche zu prüfen. In diese Kategorie fallen z.B. Ansprüche aus § 179 BGB und aus culpa in contrahendo (§§ 280, 311 BGB). Zudem sind Ansprüche beider Seiten aus Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677ff. BGB) in die Gruppe der quasivertraglichen Ansprüche einzuordnen.

In der dritten Anspruchsgruppe finden sich dingliche, gegebenenfalls auch familien- und erbrechtliche Ansprüche. Umfasst sind insbesondere Herausgabeansprüche (z.B. §§ 861ff., 985, 1007, 1065, 1227 BGB). Ebenso als „dinglich“ einzuordnen sind Ansprüche auf Beseitigung und Unterlassung nach § 1004 BGB.

Die letzten beiden Anspruchsgruppen – hinsichtlich der Reihenfolge besteht keine stringente Vorgabe – sind deliktische Ansprüche und Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung. Für deliktische Ansprüche ist allerdings das Konkurrenzverhältnis zu den dinglichen Ansprüchen im Eigentümer-Besitzer-Verhältnis zu klären (§§ 989ff. BGB).[147] Zur Gruppe der deliktischen Ansprüche gehören neben den Ansprüchen aus den §§ 823ff. BGB auch Ansprüche aus Gefährdungshaftung, so z.B. § 833 Satz 1 BGB, § 1 Abs. 1 ProdHaftG und § 7 Abs. 1 StVG.

Bei Ansprüchen aus ungerechtfertigter Bereicherung (sog. Kondiktionsansprüche) geht es um den Ausgleich einer ungerechtfertigten weil rechtsgrundlosen Vermögensverschiebung zwischen den Beteiligten. Die einzelnen Ansprüche finden sich in den §§ 812ff. BGB.

bb) Konkurrenzen

Häufig sind auf einen Sachverhalt und im Rahmen einer Fallfrage die Voraussetzungen mehrerer Anspruchsgrundlagen erfüllt. Dann stellt sich die Frage nach dem Verhältnis der Anspruchsgrundlagen zueinander. Für das Zivilrecht stellt sich diese Frage – anders als etwa im STrafrecht – meist in der einfachen Variante mit lediglich zwei möglichen Alternativen: entweder schließen sich die Normen in ihrer Anwendung aus (verdrängende Konkurrenz) oder sie sind nebeneinander anwendbar (kumulative Konkurrenz).[148]

Als Faustregel kann formuliert werden, dass eine kumulative Anwendung der Regelfall, eine verdrängende Konkurrenz die Ausnahme ist. In jedem Fall sind |44|Anwendungsfragen im Sinne eines konkurrierenden Ausschlusses aber stets vorweg zu prüfen. Die juristische Falllösung verlangt keine Prüfung von Anspruchsgrundlagen, die z.B. aufgrund einer spezielleren Norm nicht anwendbar sind.[149]

Bei Verfügung eines Nichtberechtigten (Abwandlung des Bienenfalles) über das Eigentum ist § 816 Abs. 1 BGB die lex specialis zu § 812 Abs. 1 BGB. Allerdings bleiben die Ansprüche nach §§ 687, 823ff. BGB grundsätzlich anwendbar.[150]

e) Prüfung der einzelnen Anspruchsgrundlagen (Drei-Stufen-Regel)

Bei der Drei-Stufen-Regel, auch „Juristischer Dreiklang“[151] genannt, handelt es sich um das folgende Prüfungsschema, welches innerhalb einer jeden einzelnen Anspruchsgrundlage zumindest gedanklich immer zu prüfen ist.

Drei-Stufen-Regel:

1 Ist der Anspruch entstanden?

2 Ist der Anspruch wieder erloschen?

3 Ist der Anspruch (noch) durchsetzbar?

Zunächst ist nach der Entstehung des Anspruchs zu fragen. Ist ein Anspruch erst gar nicht entstanden, erübrigt sich eine weitere Prüfung. Die Prüfungsstufe der „Entstehung“ umfasst alle Tatbestandsmerkmale der jeweiligen Anspruchsgrundlage. Beim Anspruch auf Kaufpreiszahlung nach § 433 Abs. 2 BGB ist darum das Bestehen eines Kaufvertrages zu prüfen. Einzelne Stufen dieser Prüfung umfassen das Angebot und die Annahme sowie die Frage der Wirksamkeit des Vertragsschlusses unter dem Blickwinkel sogenannter rechtshindernder Einwendungen. Eine rechtshindernde Einwendung ist z.B. bei Minderjährigkeit eines Vertragsschließenden gegeben (§§ 104ff. BGB). Auch bei rückwirkenden Einwendungen, so z.B. bei der Anfechtung nach §§ 119ff. BGB handelt es sich – aufgrund der ex tunc-Wirkung (vgl. § 142 Abs. 2 BGB) – wohl um rechtshindernde Einwendungen.

Ist der Anspruch entstanden, ist die Prüfung noch nicht zu Ende. Ein Anspruch kann auch wieder erlöschen. Dies ist dann der Fall, wenn eine sogenannte rechtsvernichtende Einwendung besteht. Die in der Praxis häufigste Einwendung dieser Art ist die Erfüllung (§ 362 BGB). Daneben kommen aber auch die Aufrechnung (§§ 387ff. BGB), die Unmöglichkeit (§ 275 BGB), ein Widerruf (vgl. §§ 355ff. BGB) oder Rücktritt (§ 346 BGB) sowie eine Vereinbarung der Parteien über einen Erlass (§ 397 BGB) in Betracht. Bei Abtretung (§§ 398ff. BGB) oder einer Schuldübernahme (§§ 414ff. BGB) verändert sich die persönliche Zuordnung des Anspruchs ebenfalls jeweils so |45|gravierend, dass von einer rechtsvernichtenden Einwendung gesprochen werden kann.

Doch auch, wenn ein Anspruch entstanden und nicht erloschen ist, kann dieser nicht durchsetzbar sein. Das klassische Beispiel hierfür ist die Einrede der Verjährung (§§ 194ff. BGB). Aber auch Leistungsverweigerungsrechte nach §§ 320 und 273 BGB hemmen die Durchsetzbarkeit zumindest vorübergehend. Für das Verständnis wichtig ist es, sich vor Augen zu führen, dass diese Einreden – im Gegensatz zu den rechtsvernichtenden Einwendungen – den Bestand des Anspruchs an sich nicht beeinträchtigen. Dieser besteht weiterhin. Der Anspruchsinhaber kann seine Forderung nur nicht mehr durchsetzen. Daher nennt man diese Einwendungen rechtshemmend.