10 Galaktische Abenteuer Box 4

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10 Galaktische Abenteuer Box 4
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GALAKTISCHE

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Internet: www.romantruhe.de

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Produced in Germany.

Inhalt

DIE SPUR DER TOTENSCHIFFE

MOLOCH DES GRAUENS

VOM KÖNIG DER STERNE

AUFBRUCH DER RODERICK AURIGAE

GENETISCHE AUSLESE

WELTRAUM-DÄMONEN

BLUTIG KILLT DIE MISSGEBURT

STAHLFESTUNG EDELWEISS

AM RANDE DER VERNICHTUNG

ALIEN-ARTEFAKTE

DIE SPUR DER TOTENSCHIFFE

Box 4 – Story 1

1.

Christine saß reglos in einem seltsam geformten Schwenksessel vor einer Reihe kleiner Monitoren, Konsolen und Anzeigetafeln, die sie nicht verstand. Ihr Blick war in die Ferne gerichtet, als träumte sie. In Wirklichkeit war es ein Zeichen ihrer tiefen Resignation. Christine hatte aufgehört, begreifen zu wollen, was um sie herum geschah.

Irgendwo im Hintergrund des riesigen, runden Raumes mit den unzähligen fremdartigen Instrumenten und Apparaturen hörte sie Skip. Der Junge schluchzte hemmungslos vor sich hin, und sie konnte ihm nicht helfen. Im Gegenteil. Sie war selbst am Ende, dort, wo die Grenzen des menschlichen Fassungsvermögens lagen.

Wieder richtete sich der Blick der Frau auf die Bildschirme vor ihr, die fast alle das gleiche zeigten.

Wie ein mittelalterlicher Trauerzug, wie eine grausige Prozession trieben die Raumschiffe schweigend durch das Sternenmeer des Weltraums. Christine hatte sich mittlerweile an den Anblick des Alls gewöhnt. Ihr wurde nicht mehr schwindlig, wenn sie zu lange hinsah.

Aber begriffen hatte sie immer noch nicht, was mit ihnen vorging.

Das hoffnungslose Bild in dem großen Schaltraum (Christine hatte keine andere Bezeichnung dafür) hatte auch die letzten Illusionen zerstört. Nur die überall arbeitenden Instrumente, die farbigen Lichter auf den Konsolenbänken und an den Schirmen, schienen zu leben.

Sie waren allein. Unsagbar allein irgendwo weit entfernt von der Erde. Gefangen in einer von vielen hundert großen Walzen, die durch das All trieben, einem unbekannten Ziel entgegen. Es gab keinen Zweifel, dass auch sie sich an Bord einer solchen Walze befanden, wie sie im Licht der Sterne auf den Schirmen trieben.

Die Frau stand auf und machte einen neuen Versuch, Skip zu trösten. Der Junge aus dem kleinen Fischerdorf an der kalifornischen Küste war keine sechzehn Jahre alt. Er zitterte immer noch am ganzen Körper vor Angst. Sie redete auf ihn ein und strich ihm durch das dichte, schwarze Haar. Ebenso wie sie selbst, hatte er nur das an, was sie in der Nacht am Leib gehabt hatten, als sie von dem Ding entführt worden waren.

Die Nacht in der Bucht. Christine vergaß für einen Moment die Umgebung und ließ ihre Gedanken zurückschweifen. Die Nacht war schwül und sternenklar gewesen, und die Leute aus dem Dorf hatten auf ihre eigene Art und Weise gefeiert, mit viel lauter Musik, Tanz und Wein. Christine, die für ein paar Tage der Erholung aus der Welt der großen Städte entflohen war, hatte sich in eine kleine Bucht zurückgezogen, nicht weit vom Dorf entfernt. Die Lichter der Feuer hatten sich im ruhigen Wasser des Ozeans gespiegelt und der Nacht etwas Unvergessliches gegeben.

Die Luft war lau gewesen, und die junge Frau hatte sie in tiefen Atemzügen genossen. Lange hatte sie mit geschlossenen Augen im Sand der Bucht gelegen und ihren Körper vom leichten Wind umspielen lassen, während sie dem Gesang der Mexikaner vom nahen Dorf gelauscht hatte. Niemand kam in einer Nacht wie dieser auf die Idee, früh ins Bett zu steigen.

Und dann war Skip gekommen, der nette Junge aus dem Dorf, der ihr den Hof gemacht hatte, seitdem sie angekommen war. Er war noch ein Kind, aber der Flirt hatte Christine Spaß gemacht. Skip hatte sich neben sie gelegt und Geschichten erzählt, Geschichten von den Fischern, vom Meer und wilden Festen in Nächten wie dieser. Christine hatte die ganze Zeit über auf eine flammende Liebeserklärung gewartet, aber bevor es dazu hatte kommen können, hatten sie den Lichtschein am Himmel gesehen. Christine hatte zuerst geglaubt, es sei eine Sternschnuppe, aber Skip hatte plötzlich Angst gehabt. Sie hatte sich daran erinnert, dass in den letzten Jahren wieder viel über angebliche UFO-Sichtungen in den Zeitungen gestanden hatte. Sie glaubte nicht daran. Man schrieb das Jahr 1987, und die Menschheit war noch sachlicher, noch materialistischer und nüchterner geworden.

Um sich einen Spaß zu machen, hatte Christine den Jungen so lange aufgezogen, bis er bereit war, mit ihr die hügelige Küste entlangzuwandern, in die Richtung, wo der helle Schein am Horizont verschwunden war. Christine hatte immer noch an eine Sternschnuppe geglaubt und sich königlich über die Naivität der Dorfbewohner amüsiert.

Aber dann standen sie vor der strahlenden Scheibe, jenem flachen Diskus, der in einer Mulde zwischen ein paar bewachsenen Hügeln stand. Als sie davonrennen wollten, war es bereits zu spät. Plötzlich war alles um sie herum in blendend helles Licht getaucht, und dann hatten sie das Bewusstsein verloren.

Als sie wieder zu sich kamen, hatten sie sich hier wiedergefunden, in einem scheinbar endlosen Labyrinth aus leeren und toten Korridoren, Schächten, Treppen und Kabinen. Erst nach einem halben Tag, als sie den Mut gefasst hatten, sich in die metallene, unbegreifliche Welt hinauszuwagen, hatten sie die Zentrale, den großen Schaltraum, in dem sie sich noch immer befanden, entdeckt. Die ganze Zeit über hatten sie Angst davor, plötzlich jenen Wesen gegenüberzustehen, die sie gekidnappt hatten. Aber da war niemand. Das Gefühl, allein zu sein in einem Raumschiff, weit weg von den Menschen und der Erde, war schon schrecklich genug. Sie waren jedoch allem Anschein nach auch die einzigen lebenden Wesen überhaupt an Bord. In halb zerschlissenen Jeans und verwaschenen T-Shirts saßen die Frau und der Junge zwischen Monstren aus Metall und Elektronik und warteten.

Wie viele Decks mochte dieses Schiff besitzen? Die Scheibe, die sie hierher gebracht hatte, war viel zu klein, als dass sie sich in ihr hätten befinden können. Wenn sie aber tatsächlich, und Christine zweifelte nicht daran, in einer der Walzen waren, so kannten sie nur einen minimalen Teil des Schiffes.

Ein jäher Hoffnungsschimmer durchfuhr Christine, als sie daran dachte, dass vielleicht noch andere Menschen in jener Nacht von anderen UFOs entführt worden waren und sich nun irgendwo hier befanden, ebenso allein und hilflos wie sie selbst.

Skip beruhigte sich langsam. Zwar schluchzte er noch leise, aber das Zittern hatte aufgehört.

Schließlich beschlossen die beiden, sich auf die Suche nach eventuellen Mitgefangenen zu machen, anstatt grübelnd hier herumzusitzen.

Sie verließen den Schaltraum und wagten sich auf einen Korridor hinaus, der als einer von sechs in die Zentrale mündete.

Es ist verrückt! fuhr es Christine durch den Sinn, als sie durch kalte und leere Gänge gingen, ohne ein Zeichen von Leben zu finden. Nur hier und da hörten sie das monotone, leise Summen von unbekannten Aggregaten, die irgendwo im Leib der Walze arbeiteten.

Und dann blieb Skip, der vorausging, abrupt vor ein paar in eine Wand eingelassenen Bildschirmen stehen. Es waren kleine Monitoren, die wohl irgendwelche Kontrollfunktionen erfüllten.

Auf einigen wechselten sich verwirrende Zahlengruppen und fremde Zeichen ab, andere zeigten Bilder von weiteren Abteilungen des Schiffes. Gänge und enge Korridore, Schächte und Kabinen.

Christine sah, was den Jungen stutzig gemacht hatte. Einer der kleinen Schirme zeigte einen Gang wie den, auf dem sie sich befanden. Der Winkel war so gewählt, dass sie kein Ende erkennen konnten.

Und mitten auf dem Monitor war das Etwas zu sehen, das nicht hierher gehörte. Es lag auf dem Boden des Ganges.

„Ein Hut!“, entfuhr es Christine. Es dauerte eine Weile, bis sie begriff, aber es gab nicht den geringsten Zweifel: Mitten auf dem Boden des unbekannten Ganges lag ein alter, zerknautschter Hut, der entweder achtlos zurückgelassen war oder den jemand verloren hatte.

Das aber bedeutete, dass es außer ihnen tatsächlich noch jemand an Bord gab. Und dieser Jemand war ein Mensch wie sie.

„Wir müssen versuchen, ihn zu finden“, sagte Christine und legte einen Arm um die Schulter des Jungen. Aber sie machte sich nichts vor: Sie hatten keine Ahnung, auf welchem Deck sich der Hut und damit der Unbekannte befand.

 

Die Schächte! Sie mussten die einzelnen, übereinander liegenden Decks miteinander verbinden. Aber wie gelangten sie hinauf oder zu tieferen Etagen des Schiffes? Sie hatten bereits einmal vor einem der Schächte gestanden, aber keine Vorrichtung gefunden, die einem Aufzug glich.

Christine sah sich um.

Einer plötzlichen Eingebung folgend, nahm sie Skip beim Arm und kehrte mit ihm in den Schaltraum zurück. Irgendwo musste sich ein Schema oder ein Plan, eine Anzeige oder ein sonstiger Hinweis darauf finden lassen, wie dieses Unikum aus Metall gebaut war und wie sie in die anderen Decks gelangen konnten.

Ein kurzer Blick auf die Monitorgalerie zeigte ihnen, dass sich nichts am Bild des Weltraums geändert hatte. Sie hatten es nicht wirklich erwartet, aber eine irrationale Hoffnung, dass dies alles eine phantastische Illusion war, ein teuflisches Spiel ihrer Sinne, war immer noch da.

Als Christine sich den verschiedenen Skalen neben den Schirmen zuwandte, hörten sie das schnell anschwellende Summen.

*

„Der alte Idiot ist weg!“, fluchte der Mann, der eben die Kabine betreten hatte. Er setzte sich auf die Kante einer Sitzgelegenheit. „Einfach weg! Er scheint auf eigene Faust losgezogen zu sein!“

Der andere schüttelte den Kopf. Er saß an einem ovalen Tisch und fertigte ein paar primitive Skizzen an. Ebenso wie der Eingetretene trug er die Kombination der amerikanischen Luftwaffe.

„Er wird zurückkommen“, sagte er. „Er wird nicht so leichtsinnig sein, in die oberen Decks zu steigen.“

„Er ist verrückt, Chris! Ich glaube, er denkt immer noch, dass wir uns irgendwo in einem Hochhaus auf der Erde befinden. Er bleibt an jedem Schaltbrett stehen und tut so, als würde er etwas davon verstehen! Er glotzt in jeden Monitor, in jede Linse wie in einen Spiegel!“

„Er ist alt, Harry!“

Der mit „Harry“ Angesprochene war ein etwa vierzig Jahre alter Mann mit den Rangabzeichen eines Majors. Sein voller Name lautete Harry Vanderbuilt.

Christopher Reed war ebenfalls Major der US-Luftwaffe. Zusammen mit Vanderbuilt hatte er sich auf einem Routineflug befunden, als der Diskus über ihnen aufgetaucht war.

Reed winkte Vanderbuilt zu sich heran und schob ihm einen der seltsamen Stühle hin, die überall in der Kabine verteilt herumstanden.

Der Raum machte in allem den Eindruck, als sei er speziell für Besucher eingerichtet worden. Reed hatte sich schon mehrmals gefragt, ob es überall in dem Schiff so aussah. Wenn die Einrichtung überall gleich war, ließ sich daraus einiges über die Körperform der Besatzung schließen. Auch die Tastaturen und Instrumente im zentralen Schaltraum dieses Decks schienen für menschliche Hände gemacht zu sein.

Seit vier Tagen befanden sich die beiden Männer an Bord dieses Dinges, aber sie hatten bisher vergeblich nach einer Besatzung gesucht. Es schien, als sei das Schiff ausgestorben.

„Sieh her“, forderte Reed seinen Kameraden auf und deutete auf die Skizze. „Dies hier ist unser Deck, soweit wir es kennen. Ich schätze den Durchmesser auf etwa 150 Meter.“

„Du bist also sicher, dass wir uns an Bord einer solchen Walze befinden wie …“ Er machte eine Geste mit der rechten Hand und deutete über die Schulter. „… da draußen?“

„Absolut, Harry. Das UFO, das über uns auftauchte, hatte nie und nimmer diese Ausmaße. Ich schätze, dass es sich um ein Beiboot handelte.“

„Ein Zubringer, der die Passagiere abholt?“, versuchte Vanderbuilt zu scherzen, aber er brachte kein richtiges Lachen zustande.

Keiner der beiden Männer machte sich Illusionen über ihre Situation. Nicht mehr, seitdem sie die Bildschirme in dem Zentralraum des Decks gesehen hatten.

„Gehen wir davon aus, dass wir uns an Bord einer der Walzen befinden. Dann dürfte dieses Deck eines von vielen sein, und ich schätze, dass die oberen für uns von Interesse sind. Ich glaube nicht, dass wir unten noch etwas finden – außer Maschinen und Generatoren.“

Vanderbuilt und Reed wussten, dass in Wirklichkeit die Schächte den „normalen“ Zustand verkörperten. Innerhalb des luftleeren Weltraums gab es keine Gravitation, nur Schwerelosigkeit. Das wirklich Unfassbare war die Gravitation im Schiff. Irgendwo musste ein Generator sie künstlich erzeugen. Dass sie gerade der Schwerkraft entsprach, die die Menschen gewohnt waren, deutete auf ein weiteres Mosaiksteinchen im großen Rätsel um die Besatzung des Raumers hin.

Wer waren ihre Entführer? Jeder kannte die Spekulationen über die UFOs. Gerade in den letzten Jahren hatte die Diskussion in nie gekannter Stärke eingesetzt. Vanderbuilt wusste ebenso wie Reed, dass Unmengen von Akten und einwandfreien Beweisen für die Existenz der Außerirdischen, die die Erde besuchten, in den Panzerschränken der Armee und des Sicherheitsdiensts lagen.

Wieso entsprach die Atmosphäre an Bord des Schiffes genau der irdischen? Wieso war die Temperatur so wie auf der Erde? Die Erklärung, dass irgendwelche Fremdrassigen die Verhältnisse an Bord auf die Belange der Menschen abgestimmt hatten, akzeptierte keiner der Männer.

Reed stieß Vanderbuilt an und riss ihn aus den Gedanken.

„Wir müssen also nach oben“, erklärte er. „Nur dort können wir erwarten, Hinweise auf unser Ziel und die Besatzung zu finden.“

„Ich weiß nicht recht“, warf Vanderbuilt ein. Dann setzte er sich und machte eine verzweifelte Geste mit beiden Armen. „Was für einen Sinn hat das eigentlich noch? Chris, glaubst du im Ernst, dass wir noch einmal die Erde zu sehen bekommen? Wie schnell mögen wir fliegen? Wir sind doch schon längst in der Zukunft! Du kennst die Theorien besser als ich, du liest doch diese Bücher, dieses utopische Zeug!“

„Eben!“, sagte Reed. „Und deshalb gebe ich nicht auf, bis ich nicht alles versucht habe, herauszubekommen, wem wir unsere Entführung zu verdanken haben. Noch haben wir Luft, und für ein paar Tage reichen die Nahrungskonzentrate, auch wenn wir den Alten mit durchfüttern müssen. Ich …“ Er machte eine Pause, als er das leise Summen hörte. Auch Vanderbuilt schien zu lauschen.

Dann schwoll das Geräusch an. Zugleich begann der Boden unter den Füßen der Menschen zu zittern.

Und dann drehte sich alles um sie herum. Die Umgebung verschwamm und löste sich auf.

Der Weltraum, in dem noch vor Sekunden einige hundert Walzen ihre schweigende Bahn gezogen hatten, war leer.

2.

Eine knappe Woche, nachdem eine neue Welle von angeblichen UFO-Sichtungen für Schlagzeilen gesorgt hatte, kämpften in einem vollkommen von der Außenwelt isolierten Armeehospital hoch qualifizierte Ärzte um das Leben von zwei Frauen.

„Es ist zum Verzweifeln!“, sagte einer der Mediziner, die gerade aus den Desinfektionskammern gekommen waren, zu den wartenden Beobachtern. „Wir sind machtlos. Sie sterben uns unter den Händen weg!“

„Das gleiche wie immer?“, fragte einer der Besucher, die auf ihren Uniformen die Marke trugen, die sie zum Betreten der unterirdischen Station legitimierte.

Der Mann im weißen Kittel nickte. „Sehen Sie selbst!“ Dann drückte er auf ein paar Tasten auf einem Schaltbrett, und ein Projektionsschirm leuchtete auf. Die Besucher sahen das Bild der beiden Kranken.

„Es fängt erst richtig an“, erklärte der Arzt. „Die Rötung der Haut und der Juckreiz stehen am Beginn. Dann treten die ersten Deformierungen auf, als nächstes kommt der Wahnsinn. Die von dem Virus befallenen Opfer sterben als ausgebrannte Wracks. Sie spüren den Tod nicht mehr – es ist nicht einmal mehr eine Erlösung.“

„Wie lange?“

Der Arzt sah den Frager an und zuckte mit den Schultern. „Das ist eine der Sachen, die wir nie begreifen werden. Einmal haben die Opfer es nach einer Woche hinter sich, manchmal dauert es mehr als einen Monat. Die Erreger scheinen insofern kleine Unterschiede aufzuweisen. Das Krankheitsbild als solches ist aber immer gleich.“

„Es sind die ersten Fälle, seitdem wir wieder Besuch bekommen“, stellte einer der Armeevertreter fest. „Hoffen wir, dass es die einzigen bleiben.“

„Das wäre gegen die Wahrscheinlichkeit“, gab der Arzt zurück. Der Besucher nickte finster.

Wie alle anderen in der unterirdischen Station irgendwo in der Wüste Neu Mexikos wusste er über viele Dinge Bescheid, die kein Normalsterblicher auch nur ahnte. Die letzte UFO-Welle vor fast 50 Jahren hatte mehr als 200 Tote gefordert. Menschen, die mit den Flugscheiben in Berührung gekommen und nicht verschleppt worden waren. Es war schon mehr als ein Wunder, dass man sie rechtzeitig entdeckt und isoliert hatte. Meist waren es Piloten gewesen. Nur einmal hatte es eine Sekundärinfektion gegeben.

Und nun schien es, als stünde der Menschheit ähnliches bevor wie vor 50 Jahren. Die Technik und die Mittel, eine Verbreitung der Seuche zu verhindern, waren verbessert worden, aber es genügte ein einziger Infizierter, der irgendwo unentdeckt geblieben war, um die Katastrophe auszulösen.

„Wie lange wird es noch dauern?“, fragte der Sprecher der Armeedelegation.

„Schwer zu sagen. Ich schätze, dass sie in drei, vier Tagen anfangen werden, durchzudrehen. Für sie ist dann alles vorüber. Für uns fängt in dem Moment das Schlimmste an.“

„Wollen wir hoffen, dass es die einzigen bleiben“, wünschte der Mann in der Uniform und verabschiedete sich. Während die Besucher die Station verließen, arbeiteten überall in den Labors die Wissenschaftler und Mediziner daran, dem tückischen Virus, das nicht von der Erde stammte, beizukommen.

Weder sie noch die Militärs, die in diesen Momenten in einem Helikopter nach Nordwesten flogen, ahnten etwas von den beiden Farmerskindern, die verstört und fast erblindet nach Hause kamen und ihren Eltern wirres Zeug erzählten über eine in helles Licht getauchte Scheibe, die angeblich auf dem Weg von der Schule über ihnen geschwebt hatte und dann plötzlich vor ihnen gewesen sei.

Der herbeigerufene Arzt versprach, einen Spezialisten anzufordern. Alles, was er im Augenblick für die Kinder tun konnte, war, ihnen eine Kalziumspritze und ein Beruhigungsmittel zu geben.

Irgendeine Allergie, erklärte er den Eltern.

3.

Christine drückte beide Hände gegen die Schläfen, um den bohrenden Schmerz zu lindern.

Als sie sich nach Skip umsah, stellte sie fest, dass der Junge verschwunden war. Sie stand auf, und sofort begann es in ihrem Kopf wieder wild zu hämmern.

Sie suchte jeden Winkel des Schaltraums ab, aber Skip war fort.

Christine zitterte am ganzen Körper und ließ sich in einen der Schwenksessel fallen.

Ihr Blick fiel auf die Bildschirme, die den Weltraum zeigten. Da gab es keine Sterne mehr, nur grenzenlose Schwärze und die dahintreibenden Walzen.

Diesmal war das Bild noch gespenstischer. Das Licht der Sterne war gewichen, und die Walzen schienen von innen heraus zu glühen. Überall war eine einzige große Leere. Nur im unteren rechten Winkel des Schirmes schimmerte etwas milchigweiß.

Christine hatte sich nie ausführlich mit Astronomie beschäftigt, aber sie wusste auch so, dass das, was verschwommen in den Bildwinkel hineinragte, der Spiralarm einer Galaxis war.

Und irgendetwas sagte ihr, dass es ihre Galaxis war.

Christine richtete sich auf und zwang sich zur Ruhe. Sie musste Skip finden. Wahrscheinlich war der Junge in einem Anfall von Panik auf einen der Gänge hinausgerannt und irrte jetzt ziellos in der Gegend herum. Aber wo?

Christine beschloss, den Korridor zu untersuchen, durch den sie hereingekommen waren. Vielleicht hatte Skip in seiner Angst den Raum gesucht, in dem sie erwacht waren.

Als sie sich zu dem entsprechenden Ausgang in Bewegung setzte, glaubte sie für einen kurzen Augenblick das verrunzelte Gesicht eines alten, verwahrlost wirkenden Mannes auf einem der Kontrollmonitoren an der Instrumentensäule in der Mitte des Raumes zu sehen. Ein verrückt grinsendes Gesicht mit Augen, die ihr einen Schauer über den Rücken jagten. Als sie zum zweiten Mal hinblickte, war das Gesicht verschwunden. Christine redete sich ein, dass ihre Nerven ihr Streiche spielten.

 

Trotzdem musste sie an den Hut denken. Ein Blick auf den entsprechenden Kontrollschirm zeigte ihr, dass er immer noch auf dem Gangboden lag.

Sie musste Skip finden. Es war nicht nur die Angst vor dem Alleinsein. Christine gestand sich ein, dass sie irgendwie an dem Jungen hing. Wie eine Schwester an ihrem kleinen Bruder, und sie hatte das Gefühl, ihn beschützen zu müssen.

Christine wusste, dass dieser Gedanke lächerlich war angesichts ihrer Situation.

Als sie den Gang betrat, kratzte sie sich im Nacken. Irgendetwas juckte.

*

„Mach keine Witze!“ Reed zeigte Vanderbuilt mit einer bezeichnenden Handbewegung, was er von der Spekulation hielt, das Ziel des Raumers könnte im intergalaktischen Raum liegen.

Sie befanden sich im zentralen Schaltraum ihres Decks, um sich über ihre Position zu informieren. Im Laufe der Tage war es ihnen gelungen, einige Mechanismen zu begreifen. So konnten sie unter anderem die Einstellung auf den Außenmonitoren regulieren. Auf einem der Schirme stand groß die Milchstraße.

„Sie können also mit Überlicht fliegen“, stellte Reed fest. „Ich bin sicher, dass wir ohnmächtig wurden, als die Schiffe in den anderen Raum eintauchten, der ihnen diese Fortbewegung gestattet. Sie müssen in regelmäßigen Abständen Überlichtetappen einlegen. Ich frage mich, woher sie kommen.“

„Mich interessiert mehr, wohin sie fliegen. Und ob wir's noch erleben werden.“

„Wir müssen die oberen Decks untersuchen, Harry, es hilft nichts. Wenn wir Aufschluss über unser Ziel und über die Besatzung haben wollen, müssen wir hoch. Unter uns sind Maschinenräume, und ich nehme an, dass sich dort die Hangars für die Beiboote befinden, die …“

„Beiboote?“ Vanderbuilt verzog das Gesicht wie nach einem schlechten Witz.

Reed nickte. „Die Dinger, die uns hierher gebracht haben, die Diskusse. Die Walzen sind mindestens 150 Meter breit und vielleicht einen Kilometer lang, Harry! Rechne dir aus, wie viele der Scheiben hier reinpassen.“

„Und du glaubst, dass wir oben etwas finden?“

„Wo sonst? Wenn das Schiff eine lebende Besatzung hat, ist sie irgendwo dort.“

„Wenn!“ Vanderbuilt lachte bitter auf. „Glaubst du noch daran, Chris?“

„Ehrlich gesagt, bezweifle ich es. Alles hier wirkt wie … wie auf einem Totenschiff! Manchmal komme ich mir vor wie in einem riesigen, metallenen Sarg. Verdammt, dieses verfluchte Jucken!“ Reed kratzte sich am Hals und im Nacken.

„Du auch?“, erkundigte sich Vanderbuilt. „Bei mir fängt's auch schon an. Was sind das für Flecken an deinem Hals?“

Reed blickte seinen Freund betroffen an. Dann winkte er ab. „Wir müssen nach oben. Der Alte macht mir Sorgen. Wer weiß, was er anstellt, wenn er weiter allein herumstreicht.“

Sie machten sich auf den Weg zum nächsten Antigravschacht.

„Alles funktioniert wie von unsichtbarer Hand gesteuert“, sagte Vanderbuilt, bevor sie in den Schacht stiegen und sich nach oben tragen ließen. „Ich gäbe einiges dafür, wenn ich wüsste, wie alt dieser Kasten ist.“

Reed gab keine Antwort mehr. Selbst wenn er versucht hätte, das Alter der Geisterflotte zu schätzen, wäre er nicht annähernd an die Wirklichkeit herangekommen.

*

Skip stand mit offenem Mund vor der Wand und betrachtete staunend die Bilder. Eigentlich waren es eher in die Wand eingearbeitete Reliefs, aber das fiel Skip kaum auf.

Dies war schon der dritte Raum, den er durch die offen stehende, ovale Tür betreten hatte. Überall standen bequeme Sitzgelegenheiten um große, runde Tische herum. Der Raum erinnerte Skip an eine gemütliche Bar in seinem Dorf. Es waren keine Einzelbilder, sondern ganze Bildfolgen, immer fünf Szenen untereinander angeordnet, und sie zeigten Menschen, Tiere und immer wieder diese Männer in den seltsamen Anzügen. Skip schien fast sicher, dass solche Männer einmal mit diesen Schiffen geflogen waren.

Die Bilder, vor denen Skip jetzt stand, waren anders als die bisher gesehenen. Die dunklen Farben stimmten ihn traurig. Außerdem war die Bildfolge nicht zu Ende geführt. Der Künstler hatte anscheinend mitten in der Arbeit aufgehört.

Das oberste Bild zeigte zwei der Männer, wie er sie oft in den Anzügen gesehen hatte, aber diesmal waren sie nackt. Auch auf dem zweiten Bild waren sie da, aber sie hatten überall rote Flecken auf dem Körper. Aus den kleinen Flecken wurden große Fladen, die den Körper auf dem dritten Bild überzogen, und die Gliedmaßen waren an einigen Stellen seltsam verformt.

Auf dem vierten Bild schließlich konnte er kaum etwas erkennen. Es war nicht mehr fertiggestellt worden.

Der Fischerjunge von der kalifornischen Küste verließ den Raum, um in den nächsten zu treten, zu dem die Tür offen stand. Er dachte nicht weiter über die unvollendete Bildfolge nach.

Als er dann wieder auf dem kahlen Gang stand, fiel ihm plötzlich ein, weshalb er eigentlich den Schacht verlassen und den Gang betreten hatte.

Das Lachen!

Als er in dem großen Schaltraum spürte, wie ihm langsam schwindlig wurde, war er losgerannt und hatte sich voller Panik in einen der Schächte gestürzt. Christine hatte nichts davon gemerkt, wahrscheinlich war sie ebenfalls von dem Taumel erfasst worden.

Zu Skips Erstaunen war er nicht gefallen, sondern langsam nach oben geschwebt. Bevor er endgültig ohnmächtig wurde, war es ihm gelungen, den Schacht zu verlassen. Er befand sich mindestens drei Decks über Christine.

Als er unter Schmerzen erwacht war, hatte er das Lachen gehört – ein meckerndes Lachen wie von einer alten Ziege. Es war von oben gekommen, also hatte er erneut den Schacht betreten und sich noch weiter hoch tragen lassen. Dann hatte er den Hut auf einem der Gänge gesehen. Skip war ausgestiegen, und kurz darauf war das Lachen erneut da.

Überall hatte der Junge geöffnete Türen gefunden und war in die Kabinen gestiegen. Die Bilder an den Wänden hatten ihn das Lachen vergessen lassen, aber jetzt war es wieder da.

Skip ging weiter in den Gang hinein, der plötzlich endete. Aber da war direkt vor ihm noch eine Öffnung, und dahinter musste sich der Lacher verbergen. Die große Tür war von innen nur angelehnt.

Skip griff nach dem Metall, aber bevor er die Tür aufreißen konnte, wurde sie von innen bewegt. Ein verrunzeltes, altes Gesicht erschien, und ein dürrer Körper schob sich auf den Gang. Noch nie hatte Skip einen so zerlumpten Menschen gesehen.

„Tot“, sagte der Alte mit knarrender Stimme, wobei Skip ein paar vereinzelte Zähne zwischen den Bartstoppeln und den aufgeplatzten Lippen erkennen konnte.

„Alle tot!“ Der Alte grinste und zeigte mit einer Hand auf den Türspalt.

*

Christopher Reed bückte sich und hob den alten Hut auf.

„Er scheint hier zu sein“, stellte Vanderbuilt fest.

„Jedenfalls war er es“, meinte Reed. „Sehen wir uns den Gang an.“

Wenig später erreichten sie die ersten offenen Einstiege in große, saalartige Räume. Sie brauchten nicht viel Phantasie, um sich auszumalen, dass dies einmal die Aufenthaltsräume der mysteriösen Besatzung gewesen waren.

Es gab keinen Zweifel mehr: Irgendwann einmal mussten sich Hunderte von Raumfahrern an Bord des Schiffes befunden haben. Wo aber waren diese jetzt? Und warum hatte man sie selbst hierher gebracht? Irgendein Sinn musste doch hinter dem Ganzen stecken!

Sie kamen nicht dazu, den Raum mit dem unvollständigen Relief zu. betreten, der ihnen vielleicht eine Antwort hätte geben können, denn plötzlich stand der Alte vor ihnen und neben ihm ein Junge, der am ganzen Leib zitterte.

„Alle sind sie … tot“, kam es aus dem Mund des Alten, als Reed ihn fragend ansah. Die Augen des Alten leuchteten irr. Immer wieder zeigte er auf das Ende des gekrümmten Ganges.

„Wer ist tot?“, fragte Vanderbuilt ärgerlich, während er sich um den Jungen kümmerte. „Wer sind ,sie'?“

„Alle tot!“, wiederholte der Alte. Vanderbuilt nahm den Jungen in die Arme, der bei den Worten zusammenzuckte und zu zittern begann.

Reed gab seinem Freund ein Zeichen, auf die beiden aufzupassen. Dann ging er zum Ende des Korridors und stieß die Tür nach innen auf.

Der fahle Schein des vom Gang einfallenden Lichtes genügte, um Reed erkennen zu lassen, was den Boden des saalartigen Raumes, der größer war als alle bisher gesehenen, bedeckte.

Hunderte von menschlichen Mumien lagen da, und Reed hatte das Gefühl, aus vielen toten Augen zugleich angestarrt zu werden. Er hielt sich am Rahmen des Einstiegs fest und übergab sich.

4.

„Ein Königreich für eine Flasche Whisky!“, sagte Vanderbuilt und zog eine Grimasse. Sie befanden sich in dem Hauptschaltraum eines der unteren Decks des unbekannten Schiffes, das nicht mehr ganz so unbekannt war. Zumindest wussten sie nun, dass sie die einzigen lebenden Wesen an Bord waren. Sie teilten sich das Schiff mit einigen hundert Toten.