Von dem Leben und den Meinungen berühmter Philosophen

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Drittes Kapitel
Chilon

1. (68) Chilon, Damagets Sohn, war ein Lakedämonier. Er hat ein elegisches Gedicht von etwa 200 Versen geschrieben. Er sagte, es sei ein Vorzug des Mannes, das Zukünftige nach Vernunftgründen voraussehen zu können. Zu seinem Bruder, der darüber unwillig war, dass er nicht Staatsaufseher geworden, da er es doch geworden, sagte er: Ich kann Unrecht erdulden, du nicht. Er war aber Staatsaufseher um die 55. Olympiade; doch sagt Pamphilas, er sei es in der 56. Olympiade gewesen. Nach Sosikrat soll er der erste Staatsaufseher unter Eythydem gewesen sein und es zuerst eingeführt haben, den Königen Staatsaufseher zur Seite zu setzen. Satyr aber schreibt dieses Lykurgen zu. Er gab, nach Herodots Erzählung, dem zu Olympia opfernden Hippokrat, wie die Kessel von selbst kochten, den Rat, entweder nicht zu heiraten, oder wenn er eine Frau hätte, sich von ihr zu trennen und die Söhne nicht anzuerkennen.

2. (69) Er soll auch den Äsop gefragt haben, was Zeus tue: und dieser soll ihm geantwortet haben: er erniedrigt das Hohe, und erhebt das Niedrige. Als man ihn fragte, worin die Unterrichteten von den Ununterrichteten verschieden wären? sagte er: in guten Hoffnungen. – Was schwer sei? Geheimnisse zu verschweigen, seine Muße gut anzuwenden, und Beleidigungen ertragen zu können. Er gab auch folgende Lehren: Seine Zunge zu beherrschen besonders in fröhlicher Gesellschaft: von seinem nächsten nichts Böses zu sprechen, sonst würde man wieder verdrießliche Dinge zu hören bekommen; niemand zu bedrohen, denn das sei weibisch. (70) Schneller zu unglücklichen Freunden hinzugehen, als zu glücklichen; Bei der Verheiratung auf geringe Kosten zu sehen. Von Toten nichts Übles zu reden. Die Alten zu ehren; auf sich selbst acht zu haben; lieber Schaden zu leiden, als schändlichen Vorteil sich zu verschaffen, denn jenes macht nur einmal, dies aber immerwährenden Kummer; eines Unglücklichen nicht zu spotten: Wenn man Macht habe, herablassend zu sein, damit man von denen, die um uns sind, mehr geehrfürchtet, als knechtisch gefürchtet werde; seinem Hause gut vorstehen zu lernen; der Zunge nicht zu erlauben, dem Verstande vorzueilen; den Zorn zu beherrschen. Die Zukunftserforschung durch gewisse Zeichen nicht anzufeinden; unmögliche Dinge nicht zu begehren. Auf Reisen nicht zu eilen; beim Sprechen nicht mit den Händen zu fechten, denn das sei närrisch; den Gesetzen zu gehorchen; Ruhe zu lieben. (71) Von seinen berühmten Sprüchen hat folgender den meisten Beifall erlangt: An Prüfsteinen wird das Gold geprüft, und sein Wert fällt ins Auge; durchs Gold aber werden die Gesinnungen guter und böser Menschen erprobt.

3. Man sagt auch, dass er, wie er schon ein alter Mann war, gesagt habe: Er sei sich in seinem ganzen Leben keiner Undankbarkeit bewusst, nur eine Handlung mache er sich zum Vorwurf, er habe einmal die Sache eines Freundes entscheiden sollen und sie gesetzmäßig entschieden, habe seinen Freund überredet, von seinem Spruch zu appellieren [= den Spruch anzufechten], um auf diese Art beides, das Gesetz und seinen Freund zu retten.

4. Am berühmtesten wurde er bei den Griechen dadurch, dass er das Schicksal der lakonischen Insel Kythera voraussagte, denn nachdem er ihre Naturbeschaffenheit untersucht hatte, sagte er: Möchte sie nimmer entstanden, oder nach ihrer Entstehung wieder im Meere versunken sein! Und er hatte richtig in die Zukunft geblickt. (72) Der aus Lakedämon flüchtig gewordene Demarat riet nämlich dem Xerxes, bei dieser Insel seine Flotte zusammenzuhalten, und Griechenland wäre erobert worden, wenn ihm Xerxes gefolgt wäre. In dem folgenden Peloponnesischen Kriege unterwarf sich Nikias diese Insel, legte athenische Kriegsvölker in dieselbe, und fügte von da aus den Lakedämoniern sehr viel Übles zu.

5. Er drückte sich sehr kurz aus; daher nennt der Milesier Aristagoras diese Weise zu sprechen die Chilonische. Branchus war es, der das Branchidische Heiligtum stiftete. Er war schon ein alter Mann um die 52. Olympiade, da der Fabeldichter Äsop in Blüte war. Er starb, wie Hermipp schreibt, zu Pisa, da er seinen Sohn nach erlangtem Siege im Olympischen Faustkampf küsste. Dies Schicksal zog ihm das Übermaß seiner Freude und die Schwäche seines hohen Alters zu, und alle bei dieser feierlichen Versammlung Anwesende erwiesen seiner Leiche alle Ehre. Auch auf diesen Mann haben wir folgendes Epigramm gemacht:

(73) Phosphor Polydeukes, ich danke dir wegen des Sohnes Chilons, dessen Stirn Siegesolive bekränzt. Sank der Vater, da er den kampferprobten Sohn sah, Freudenüberwältigt. Ach! Käme so mir auch der Tod!

Auf seinem Bilde steht folgende Inschrift:

Diesen Chilon erzeugte das speergewaltige Sparta.

Unter den Sieben war er einer der Weisesten stets.

6. Sein Spruch ist: Bürge, willst du Verlust. Auch folgendes Briefchen ist von ihm:

Du widerrätst uns auswärtigen Krieg, so wie du demselben auszuweichen suchst. Ich bin der Meinung dass ein Monarch auch im Innern schlüpfrig steht und preise den Herrscher glücklich, der in seinem Hause natürliches Todes stirbt.

Viertes Kapitel
Pittakus

1. (74) Pittakus, Hyrrads Sohn, war ein Mitylener, Duris nennt seinen Vater einen Thraker. Er hat zugleich mit den Brüdern des Nikäus den lesbischen Gewaltherrscher Melanchrus aus dem Wege geräumt, und da die Athener und Mitylener über das achillische Gebiet Krieg führten, hatte er den Oberbefehl, und gegen ihn der Athener Phryon, der als Pankratiast zu Olympia den Siegespreis erhalten. Er beschloss, sich in einen Zweikampf mit demselben einzulassen, verbarg ein Netz unter dem Schilde, das er unvermerkt zu Phryon herwarf, ihn erlegte und so das Gebiet rettete. Apollodor aber erzählt in seinen Zeitbüchern, dass es in der Folge zwischen den Athenern und Mitylenern zu einem Rechtsstreit wegen dieses Gebiets gekommen, in welchem Periander Richter gewesen, und es den Athenern zugesprochen habe.

2. (75) Die Mitylener ehrten damals den Pittakus sehr und gaben ihre Regierung in seine Hände, die er zehn Jahre behielt und sie, nachdem er die Staatsverfassung wieder in Ordnung gebracht hatte, niederlegte, wonach er noch zehn Jahre gelebt hat. Die Mi­ty­lener wiesen ihm einen Acker an, den er zu einem Heiligtum machte, welches noch jetzt das Pittakische heißt. Sosikrat sagt, dass er nur ein kleines Stück davon abgesondert und gesagt habe: die Hälfte sei mehr als das Ganze. Als Krösus ihm Schätze geben wollte, nahm er sie nicht an und erwiderte: er besitze schon doppelt so viel, als er wünsche, denn er habe seines kinderlosen Bruders Vermögen noch geerbt.

3. (76) Pamphilas aber schreibt im zweiten Buche seiner Denkwürdigkeiten, dass sein Sohn Tyräus, da er zu Kyme bei einem Bartscherer gesessen, durch ein von einem Schmiede geworfenes Beil sei getötet worden. Wie hierauf die Kymeer den Töter [= Verursacher] an Pittakus geschickt und er den Hergang vernommen, habe er denselben mit den Worten losgelassen: Verzeihung ist der Reue vorzuziehen. Heraklit aber sagt, er habe den Alkäus in seine Gewalt bekommen, ihn losgelassen und gesagt: Verzeihung ist besser als Strafe. Er machte das Gesetz, ein Betrunkener, der Verbrechen begehe, solle doppelt gestraft werden, damit keiner sich betränke. Denn es wuchs viel Wein auf der Insel.

4. Er sagte ferner: Es ist schwer, fürtrefflich zu sein.

Dieses Spruchs erwähnt auch Simonides in der Zeile:

Pittakus spricht, ein Guter wahrhaft zu werden, ist sehr schwer.

(77) Auch Platon erwähnt dessen im Protagoras. Der Notwendigkeit können selbst Götter nicht widerstehen. Die Regierung zeigt den Mann. Als man ihn fragte, was das beste sei, erwiderte er: das Gegenwärtige gut verrichten. Als Krösus ihn fragte; welche Herrschaft die größte sei; erwiderte er: die des bunten Holzes; womit er auf die Gesetze deutete. Er sagte ferner, man müsse siegen ohne Blut. Als Phokäer sagte, man müsse einen strebsamen nützlichen Mann suchen, antwortete er: wenn du ihn noch so sehr suchst, wirst du ihn doch nicht finden. Als man ihn fragte; welches ist das Angenehmste; sagte er, die Zeit. Unsichtbar ist die Zukunft, zuverlässig die Erde, unzuverlässig das Meer. (78) Er sagte auch: ein verständiger Mann müsse vor dem Unglück Vorsicht gebrauchen, dass es nicht erfolge, ein herzhafter Mann aber müsse es zu nützen suchen, wenn es erfolgt sei. Was du tun willst, das sag’ nicht vorher, denn man wird dich auslachen, wenn’s nicht glückt. Wirf niemand sein Unglück vor; fürchte die Nemesis. Was dir anvertraut wird, das gib zurück. Rede nicht schlecht von deinem Freunde, ja nicht einmal von deinem Feinde. Übe dich in der Gottesfurcht. Liebe die Bescheidenheit. Halte auf Wahrheit, Treue, Erfahrung, Rechtschaffenheit, Freundschaft, und Sorgsamkeit.

5. Von seinen berühmten Sprüchen sind folgende vorzüglich geschätzt:

Nimm den Bogen und den pfeilbergenden Köcher,

Schreite auf den Bösewicht los;

Denn niemals redet durch den Mund Treues die Zunge,

Wenn zwiespältigen Geist das Herz besitzt.

(79) Er hat auch 600 elegische Verse geschrieben und in ungebundener Rede über die Gesetze an seine Mitbürger.

6. Er blühte vorzüglich in der 42. Olympiade und starb unter Aristomenes im dritten Jahre der 52. Olympiade, schon über 70 Jahre alt. Auf seinem Grabmal liest man die Inschrift:

Hier begrub die heilige Lesbos ihren Sohn,

Pittakus, weinend auf ihn zärtliche Tränen herab.

Sein Spruch war: Nimm die Zeit in Acht!

7. Es ist noch ein anderer Pittakus ein Gesetzgeber gewesen, wie Faborin im ersten Buche der Denkwürdigkeiten, und Demetrius von den Gleichnamigen, schreiben, welcher auch der Kleine genannt wurde.

 

8. Der Weise soll seinem Jünglinge, der ihn ums Heiraten fragte und seinen Rat verlangte, gesagt haben, wie wir in Kallimachs Epigrammen lesen:

(80) Als ein Atarnit den mitylenischen Weisen Pittakus, einst den Sohn des Hyrradius, fragt: Lieber Greis, ich werde gereizt zu doppelter Heirat, Eine Jungfrau gleicht meinem Vermögen und Stamm, Einer steh’ ich selbst nach. Ich bitte nun, sage mir, welche Führ ich als bess’re davon hin zu Hymens Altar? So der Jüngling. Er hob des Greises schützenden Stab auf, Diese, sprach er, sieh an, jener Stimme vernimm. Kinder schwangen sich hier in schnellgewirbelten Kreisen, Gleich an Gleich gefasst, auf dem Dreiweg umher. Folge den Spuren derselben, sprach er, und trat ihnen näher; Gleich an Gleich gestellt! schrieen die Knaben sich zu. Dieses merkte der Fremdling, und zog vom größeren Hause Sich bedächtig zurück, von den Knaben gewarnt, Wählete die nach Stamm und Gütern ihm ähnliche Jungfrau. Folge Dion, ihm nach, wähle, welche dir gleicht!

(81) Er scheint dies recht überdacht gesagt zu haben, denn er hatte selbst eine Frau von edlerem Geschlecht, eine Schwester Drakons Penthils Sohns, die sich mit hochmütigem Stolz gegen ihn betrug.

9. Alkäus nennt ihn Sarapodes und Sarapus, weil er breite Füße hatte, und einen Fuß nachschleppte: Cheiropodes, weil er aufgerissene wunde Füße hatte: Gaures, weil er sich ohne Ursache brüstete: Physkon und Gastron, weil er dickbäuchig war; desgleichen Zophodorpedes wegen seines schwachen Gesichts; Agasyrtus endlich, weil er nachlässig und unreinlich war. Seine Leibesübung war, Weizen zu mahlen, wie der Philosoph Klearch schreibt.

10. Folgendes Briefchen ist von ihm:

Pittakus an Krösus.

Du lädst mich ein, nach Lydien zu kommen um deine Glückseligkeit zu sehen. Aber auch ungesehen bin ich überzeugt, dass der Sohn des Alyattes der goldreichste der Könige ist. Und das könnte ich nicht stärker werden, wenn ich auch zu dir nach Sardes hinkäme. Gold habe ich nicht nötig, sondern ich bin bei dem, was ich habe, vergnügt, welches für mich und für meine Freunde zureicht. Doch werde ich kommen, um als Gast deines Umgangs zu genießen.

Fünftes Kapitel
Bias

1. (82) Bias, Teutams Sohn, war von Priene. Satyr gibt ihm den Vorzug unter den Sieben. Einige nennen ihn einen Reichen, Duris aber sagt, er sei ein Beiwohner gewesen. Phanodik erzählt, er habe kriegsgefangene Messenierinnen losgekauft, sie als seine Töchter behandelt, ihnen eine Aussteuer noch dazu geschenkt,und sie ihren Eltern nach Messene wieder zugeschickt. Als in der Folge, wie bereits erzählt worden, zu Athen der Dreifuß von den Fischern aufgefischt wurde, worauf sich die Inschrift befand: dem Weisen! sind, wie Satyr sagt, diese Mädchen, oder nach andern, zu welchen Phanodik gehört, ihre Väter in die Volksversammlung gegangen und haben Bias für den Weisen erklärt, indem sie erzählt, was er für sie getan hatte: worauf ihm der Dreifuß zugeschickt worden. Bias aber sagte, wie er ihn sah, nur Apollon ist weise, und nahm ihn nicht an.

2. (83) Einige sagen dagegen, er habe ihn dem Herakles geweiht, weil er aus Theben herstammte, von wo eine Kolonie nach Priene ausgewandert war: dies behauptet auch Phanodik. Man erzählt auch noch, wie Alyattes Priene belagerte, habe Bias zwei Maultiere gemästet und sie ins Lager hinaus getrieben. Als der König diese gesehen, sei er bestürzt geworden, dass sich der Wohlstand der Stadt noch sogar in dem Vieh zeige, und dies habe ihn zu einem Vergleich geneigt gemacht, weswegen er einen Abgeordneten hineingeschickt. Bias habe nun große Sandhaufen aufhäufen, sie oben mit Getreide beschütten lassen und dem Manne gezeigt. Wie Alyattes dies erfahren, habe der König mit den Prienern Friede gemacht und hierauf zu Bias geschickt, dass er zu ihm kommen möchte, der ihm sagen lassen: ich rate dem Alyattes, Zwiebeln zu essen, das heißt, zu weinen.

3. (84) Man sagt auch von ihm, dass er ein starker Redner vor Gericht gewesen, aber seiner Stärke im Vortrage sich nur in guten Sachen bedient habe. Hierauf deutet auch der Aleirier Demodik, wenn er sagt, wenn du richten sollst, so sprich einen Prienischen Spruch; und Hipponax in den Worten: hier ist besser gesprochen, als Bias der Priener urteilte.

4. Er starb auf folgende Weise: Er war schon in hohem Alter, wie er im Gericht für jemand geredet hatte und legte nach Endigung seiner Rede seinen Kopf an den Busen seines Tochtersohns. Nachdem nun auch sein Gegner geredet und die Richter für den von Bias verteidigten gesprochen hatten, fand man beim Auseinandergehen des Gerichts ihn tot am Busen seines Enkels.

(85) Die Stadt ließ ihn ehrenvoll begraben und setzte ihm die Inschrift:

Dieser Stein im Boden des hochberühmten Priene

Deckt Bias, er war seines Ioniens Ruhm.

Die unsrige lautet so:

Bias schlummert hier, den furchtlos führte zu Hades

Hermes, schneebelockt glänzte die Stirne des Mannes.

Für den Freund hat er zum Richter geredet, da beugt’ er

An den Enkel das Haupt, schlummernd seligen Schlaf.

5. Über Ionien hat er in 2000 Versen geschrieben, welches die beste Art und Weise sei, das Glück des Landes zu befördern. Von seinen gepriesenen Sprüchen bemerke ich hier folgende:

Sei den Bürgern allen gefällig, bei denen du wohnst.

Dies gewährt dir Gunst, wenn ein hochmütiges Wesen

Oftmals schädlichen Nachteil erzeugt, den alle erblicken.

(86) Auch folgende: Stark geboren werden, ist Sache der Natur, aber dem Vaterlande zum Nutzen reden zu können, ist Sache des Geistes und der Klugheit. Überfluss an Gütern haben viele oft durch glückliche Zufälle; der aber ist unglücklich, der Unglück nicht tragen kann. Es ist eine Krankheit der Seele, das Unmögliche zu wünschen, und an Unglücksfälle anderer gar nicht zu denken. Als man ihn fragte, was schwer sei, sagte er: Umwandlung des Glücks in Unglück edelmütig zu ertragen. Als er mit gottlosen Leuten auf einem Schiffe war, das einen Sturm litt, und diese die Götter anriefen, sagte er: Schweigt still, dass sie nicht gewahr werden, dass Ihr hier seid im Schiff! Als ihn ein gottloser Mensch fragte: was denn wohl Gottesfurcht sei, schwieg er still; und auf dessen Frage nach der Ursache seines Schweigens erwiderte er: ich schweige still, weil du nach einer Sache fragst, die dich nichts angeht. (87) Als man ihn fragte: was dem Menschen süß sei, sagte er: die Hoffnung. Es ist leichter, über Feinde Richter zu sein, denn über Freunde, denn man wird sich einen der Freunde notwendig zum Feinde machen, aber einen der Feinde zum Freunde bekommen. Auf die Frage, welche Sache dem Menschen Vergnügen mache, sagte er: Gewinn. Man muss das Leben so messen, sagte er, als ob man lange und kurz leben könne, und man muss so lieben, dass man wieder hassen könne: denn die meisten sind böse. Auch folgenden Rat erteilte er: Geh langsam an das, was du tun willst, hast du es aber einmal angefangen, so halte fest dabei aus bis ans Ende. Sprich nicht schnell, denn das verrät Torheit. Liebe die Klugheit. (88) Sprich von den Göttern wie sie sind. Einen unwürdigen Menschen lobe nicht, weil er reich ist. Nimm, was dir geboten wird, ja nichts mit Gewalt. Was du Gutes tust, das rechne den Göttern an. Als Reisegeld von der Jugend ins Alter verschaffe dir Weisheit, denn dieses Gut ist dir sicherer als alles Übrige.

6. Hipponax erwähnt, wie bereits angeführt ist, auch des Bias, und der schwer zu befriedigende Heraklit lobt ihn ebenfalls sehr, indem er schreibt: In Priene lebte Bias, Teutams Sohn, der berühmter ist als die anderen. Die Priener haben ihm ein Heiligtum geweiht, das Teutameion genannt. Sein Spruch war: Die meisten sind böse.

Sechstes Kapitel
Kleobul

1. (89) Kleobul, Euagoras Sohn, war ein Lindäer, oder nach Duris, ein Karier. Einige führen sein Geschlecht bis zu Herakles hinauf. Er zeichnete sich durch Weisheit und Schönheit aus. Er kannte auch die ägyptische Philosophie. Er hatte eine Tochter, Kleobuline, die in Hexametern Rätsel dichtete, welcher Kratin in einem gleichnamigen Drama erwähnt, das er die Kleobulinen betitelt hat. Er soll auch den von Danaus erbauten Athenäentempel wieder neu ausgebaut haben.

2. Er hat Lieder und Rätsel, an 3000 Verse stark, geschrieben. Einige sagen auch, dass folgende Inschrift auf Midas ihn zum Verfasser habe:

Eine kupferne Jungfrau, bedeck’ ich hier Midas’ Begräbnis; Solang’ Wasser noch fließt, solang’ Bäume noch blüh’n,(90) Solang’ noch die Sonne neu aufgeht, silbern der Mond scheint, Solang’ rauschet der Strom, brandet am Ufer das Meer, Bleib’ ich immer auf diesem von Tränen beströmten Grabe, Sage dem Wanderer: Hie deck’ ich Midas Gebein!

Man führt auch folgendes Zeugnis aus einem Lied des Simonides an:

Welcher denkenden Geistes lobt

Kleobulus, Bewohner von Lindos,

Der stets rieselnden Flüssen,

Und den Blumen des Lenzes,

Der dem Feuerglanz der Sonne

Und dem Golde des Monds,

Der den Strudeln des Ozeans

Säulen vorzieht von Stein?

Steht nicht alles nach den Göttern?

Malmen Stein nicht sterbliche Hände?

Torengedanken hat er geredet!

Dieses Epigramm kann nicht von Homer sein, der viele Jahre vor Midas gelebt haben soll.

3. In Pamphilas Denkwürdigkeiten findet man auch folgendes Rätsel von ihm:

(91) Vater ist einer. Der Söhne sind zwölf. Ein jeder von diesen hat der Söhne dreißig gezeugt, von Doppelgestalten, Weiß das Angesicht einiger, schwarz der übrigen. Alle Sind Unsterbliche, doch gegeben dem Tode zum Raube. Es ist das Jahr.

4. Von seinen bekannten Sprüchen sind folgende die vorzüglichsten: Torheit ist der meisten Sterblichen Anteil und Überfluss an Geschwätz: aber die Zeit ist hinreichend. Denke das Rühmliche. Sei kein leichtsinniger Undankbarer. Er sagte auch: man muss die Mädchen verheiraten, wenn sie den Jahren nach Jungfrauen, der Klugheit nach Weiber sind; womit er zu verstehen gab, man müsse auch Mädchen unterrichten lassen. Einem Freunde, sagte er, muss man Gutes tun, damit er noch mehr Freund werde, einem Feinde aber, um ihn zum Freunde zu machen; so sei man gegen den Tadel der Freunde und Nachstellungen gesichert. (92) Ferner: Wenn man aus dem Haus geht, muss man erst bedenken, was man tun will, und wenn man nach Hause zurückgekommen, muss man untersuchen, was man getan hat. Er riet ferner, den Leib zu üben; mehr zu hören als zu sprechen; lieber lernbegierig als unwissend zu sein; die Zunge Gutes reden zu lassen; ein Vertrauter der Tugend und mit dem Laster fremd zu sein; Ungerechtigkeit zu meiden; dem Staat das Beste zu raten; Herr über sinnliche Vergnügen zu sein; nichts mit Gewalt zu tun; die Kinder unterrichten zu lassen; Feindschaft aufzugeben; der Frau nicht zu schmeicheln, noch mit ihr zu zanken, wenn andere Leute zugegen sind, denn das erste zeige Unverstand, das andere Tollheit; einen betrunkenen Bedienten nicht zu strafen, denn das sehe einem Betrunkenen ähnlich; sich nach seinem Stande zu verheiraten, denn wenn man eine vornehmere Frau nähme, bekomme man die Verwandten zu Beherrschern; (93) Spöttern keinen Beifall zuzulächeln, denn dies ziehe uns den Hass des Verspotteten zu. Im Glück sei nicht übermütig, und im Unglück nicht kleinmütig. Den Wechsel des Glücks suche mit Edelsinn zu tragen.

5. Er starb als 70jähriger Greis, und hat die Grabschrift:

Einen weisen Man begrub die trauernde Heimat Lindos,

Die stolze Stadt am Meer: Kleobul, ihren Sohn.

6. Sein Spruch war: Die Mittelstraße ist die beste.

An Solon schrieb er folgenden Brief:

Kleobul an Solon.

Du hast zwar viele Freunde und allwärts ein Haus. Ich glaube indes doch, dass Solon am liebsten in Lindus, wo Volksfreiheit ist, wohnen würde; dazu ist Lindus eine Insel in der See, die von Pisistrat nichts zu fürchten hat. Es würden auch von allen Orten her deine Freunde zu dir kommen.