Die Ruhrpotters - Band V - ,Der Schrott is hot'

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Die Ruhrpotters - Band V - ,Der Schrott is hot'
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Die Ruhrpotters

Ein Jugend - Roman in fünf Bänden

Geschrieben für alle, die sich was trauen

und für die anderen natürlich auch

von Dietrich Bussen

Band V

‚Der Schrott is hot’

Altwarp Deutschland

2017

1. Kapitel

Für Jana fing eine neue Zeitrechnung an. Ab jetzt gab es eine Zeit vor dem Unfall und eine Zeit nach dem Unfall.

X-Jahre davor oder X-Tage danach. So in der Art funktionierte ihr Hirn, wenn sie an irgendwelche Ereignisse dachte. Wenn ihr die Kindergartenaktion einfiel, dann war das ein paar Tage nach dem Unfall.

Manchmal dachte sie, dass es ohne den Unfall alles Andere auch nicht gegeben hätte, oder wenigstens nicht so, wie es dann passierte. Ganz anders eben. Ohne den Scheiß-Unfall.

Weiß nur keiner. Kann man grübeln solange man will, sagte sie sich, wenn solche Gedanken wieder mal in ihrem Kopf kreisten.

Die nächsten Tage verliefen wie das Gegenteil von prickelnd. Langeweile machte sich breit. Mit Jana konnten sie nichts planen, und ohne sie wollte auch keiner. Nur Schlappohr schien sich pudelwohl zu fühlen. Jetzt, wo er nicht mehr gequält wurde, wo er ein kuscheliges Plätzchen am Bett von Oma Schmitz hatte, regelmäßig gestreichelt wurde, die Hausbewohner ihm sogar über alles Mögliche erzählten und ihm immer mal wieder die ein- oder andere Leckerei zusteckten. Für ihn war die ‚Hundewelt‘ wieder in Ordnung. Erst recht, wenn er im Pfarrhausgarten hinter Karnickeln und Mäusen herjagen konnte. Auch beim Gassi gehen gab es nur selten Probleme.

Wie der wieder kuckt, zum Herzerweichen, dachte Oma Schmitz oft, wenn er sich aus seinem Körbchen wieder mal auf ihr Bett geschlichen hatte, und sie so tat, als ob sie nichts bemerkt hätte. Und wenn er dann wohlig vor sich hin knurrte, dachte sie, jetzt fühlt er sich bestimmt so, wie im Hundehimmel, wie bei Anton sozusagen. «Das war nämlich dein Vorgänger», erklärte sie dem Gast an ihrem Fußende. Dann lächelte sie und schlief auch ein.

In den nächsten Tagen hielten sich die Mädchen meistens in ihrem Zimmer auf, außer bei ihrem täglichen Krankenhausbesuch. Edel begleitete Jana dann, wartete aber draußen. Darauf hatten sie sich geeinigt. Jana wollte im Krankenhaus mit ihren Eltern alleine sein. So hilflos, wie sie in ihren Betten lagen, mit den Schläuchen im Gesicht und an den Armen und den Apparaten überall, die blinkten und tickten und manchmal Töne von sich gaben, dass es einem durch alle Glieder fuhr, und man automatisch an Alarm und Notfall denken musste oder irgendwas Sciencefictionmäßiges. So etwas sollten andere nicht mitkriegen, auch nicht ihre Freunde. Damit wollte sie alleine fertig werden, solange es eben ging.

Am vierten Besuchstag war die Besuchszeit längst vorüber. Edel wunderte sich. So lange hatte sie noch nie auf Jana gewartet. Dann spürte sie ein komisches Ziehen im Bauch, dass ihr Angst und Bange wurde, und sie fürchtete, dass es ein schlechtes Zeichen sei, dass es so lange dauerte, dass es jetzt vielleicht passiert sei, dass sie Jana beruhigen müssten, vielleicht sogar mit einer Spritze, und dass sie deshalb nicht herauskäme, weil sie völlig fertig wäre. Sie überlegte, ins Krankenhaus zu gehen und irgendwie rauszukriegen, was dort vor sich ginge. An der Information vielleicht, dachte sie. Aber sie erinnerte sich, dass selbst ihr Vater damit keinen Erfolg gehabt hatte, als er wegen irgendwelcher Beerdigungsgeschichten irgendwas rauskriegen wollte. „Weil er kein Angehöriger sei“.

Dann ich erst recht nich … Ach du heiligs Bächle. Sie sah Jana in der Eingangstür.

Na endlich, dachte sie, und dann, ach du Scheiße, bitte nich, bitte, bitte, nich.

Sie sah, wie Jana sich Tränen aus dem Gesicht wischte, und dann zu den Bänken vor dem Krankenhaus hinüber sah, und dass sie sie endlich auf ihrer Bank entdeckte, ihr zuwinkte und auf sie zulief.

Und während Edel noch, hoffentlich pack ich das, dachte, umarmten sich beide und Jana sagte: «Sonst heul ich eigentlich nie, nichmal, wenn ne Feuernummer schiefgeht. Aber das Scheißwarten und das Durcheinander auf dem Flur und immer irgendwelche Weißkittel, die keine Zeit haben, und meine Eltern, das hat mich irgendwie umgehauen, tränenmäßig.»

Und trotzdem kann die noch lächeln. Is ja irre, dachte Edel. Oder, die is …, die is wirklich durchgedreht, absolut weg, woanders, nich mehr hier.

«Hör mal Jana …» Himmel Arsch, was sag ich denn jetzt? Tut mir leid, sieht‘s schlecht aus?, kannst dich auf uns verlassen, wir sind für dich da schwirrte ihr durch den Kopf. Komm wir setzen uns erstmal, fiel ihr auch noch ein. Auf keinen Fall was mit Tod, das auf keinen Fall, das geht gar nich. Mit dem setzen vielleicht, dachte sie, und dann kann man immer noch …

«Lass uns erstmal auf die Bank», unterbrach Jana Edels Gedanken, «ich bin ganz wackelig.»

Kein Wunder, dachte Edel und rutschte ganz nah an Janas Seite.

«Das Schlimmste war das Warten, echt, unheimlich beschissen. Bis endlich einer kam und», wieder schluchzte sie, «und nicht schon wieder sagte, da musste dich an die oder den wenden. Diesmal war’s der Arzt und der sagte» - wieder blieben ihr die Worte im Halse stecken - «der sagte, dass sie übern Berg wären, ich mir keine Sorgen mehr zu machen bräuchte, und sie würden meine Eltern in den nächsten Tagen aus dem Koma holen, zuerst Mama und dann…», und bevor sie Papa sagen konnte, heulten beide.

«Bescheuert oder?», sagte Jana schließlich. «Heulen hier rum, anstatt Freudentänze zu tanzen.»

«Oder ne Feuernummer, für umsonst, für die Belegschaft hier.» Jetzt hatte sich auch Edel wieder berappelt. «Wenn’s schief geht, hastes auf alle Fälle nich weit.» Sie grinste. «Und jetzt lad ich dich ein», schickte sie hinterher.

«Wohin, ich meine wozu?»

«Was hälste von Eis?»

«Absolut in Ordnung.»

«Na ja», Edel kramte in ihren Taschen, besah sich ihren Fund, zählte: «Drei Euro und ein paar zerquetschte. Fuck, bisschen knapp oder? Dachte, ich hätte …»

«Quatsch», unterbrach Jana, «für die Kantine reicht’s.»

«Hier im Krankenhaus? Nich im Ernst.»

«Wieso nich? Die sind klasse hier, wo die Mama und Papa wieder hinkriegen, nach dem Unfall. Und wenn’s nicht reicht, bargeldmäßig, sag ich, sie sollens mit auf die Rechnung schreiben von Mama und Papa, dafür dass sie mir son Schreck eingejagt haben. Alles klar?»

Und lächeln tut sie auch schon wieder, dachte Edel. Stark, echt stark.

Wieder im Pfarrhaus lagen sich alle, die Arme hatten, in den Armen. Schlappohr wedelte mit dem Schwanz.

Klotz, in Sachen Umarmung noch ungeübt, versuchte es mit Schulterklopfen. Erfolglos.

Nich mal schlecht, dachte er, als Edel, die bei der guten Nachricht zufällig neben ihm stand, ihn als ersten an sich drückte.

Kann man gelten lassen, sagte er sich. Nur bei Oma Schmitz mit ihrem Höckerchen auf dem Rücken. Greif ich drüber oder drunter oder sogar drauf?

- Da musste jetzt durch, hilft alles nix. -

Immer, wenn man’s so richtig nich braucht, funkt die einem dazwischen, diese Extraterroristische. Was soll’s, Oma wird’s schon machen. Bin sicher nich der erste, der da rumfummelt.

«Und zur Feier des Tages eine Grillparty im Garten, gleich morgen», schlug Herr Kantelberg vor. «Was meint ihr? Mit allem Drum und Dran. Lampions und Fackeln und Musik …» - aber bitte nich deine Gesänge, dachte Finn - «und was man sonst noch so macht bei sowas.»

Frau Kantelberg sah Jana, und sie dachte, hier könnte was richtig schief laufen, wenn mein lieber Mann so weiter macht. Sie fragte Jana, was sie davon hielte.

Das fände sie ganz toll, sagte Jana.

Donnerwetter, dachte Frau Kantelberg.

So siehste aber nich aus, wenigstens nich im Gesicht, dachte Finn.

Aber sie fänd es besser, damit noch ein paar Tage zu warten, bis ihre Eltern aus dem Koma seien, und man ganz sicher sein könnte, dass alles gut sei. Dann fände sie das wirklich ganz toll.

Gleich muss die wieder heulen, so wie die kuckt, dachte Edel und sagte: «Komm, wir gehen erstmal nach oben.» Vorsichtshalber schob sie ihr noch ein Taschentuch in die Hand.

2. Kapitel

Dann können wir das mit dem Schrottplatz auch erstmal vergessen, dachte Klotz. Kann man eben nix machen. Irgendwie Kacke.

Trotzdem, einmal im Kopf, bekam er ihn nicht wieder raus, den Schrottplatz.

Eigentlich is mir dieses verkackte Schrottteil ja scheißegal. Is schließlich Onkels Ding. Aber die Sache mit Tante Aische und den Kindern is mir überhaupt nich scheißegal. Wie die Arschlöcher die behandelt haben. Zu dritt in voller Kriegsausrüstung gegen kleine Kinder und ne Frau. Voll mutig, Arschlöcher! Und Onkel will nix unternehmen. Nix, mehr so von gar nix, und bullenmäßig auch Fehlanzeige. Weiß der Henker warum. Dann müssen wir eben. Je schneller desto besser. Aber im Augenblick …?

Solche Gedanken kamen immer wieder, ob er wollte oder nicht.

Und meistens abends, wenn Finn schon eingeschlafen war, überlegte er, wie sie es machen könnten, wie sie es diesen Nazischweinen heimzahlen könnten und zwar so, dass sie es in hundert Jahren nicht vergessen würden.

Aber auch bei ihm: Fehlanzeige. Ergebnis gleich null. Meistens schlief er drüber ein und träumte irgendein wirres Zeug.

Bei sowas is Finn gut, dachte er oft. Aber der fiel aus, wie die anderen auch, weil sie sich an die Abmachung hielten: nicht bevor mit Janas Eltern alles klar ist.

Nich mal Schuleschwänzen kann man, bedauerte er manchmal, wenn sowieso alle frei haben.

Versuchen kann man’s ja mal, dachte er, als er am nächsten Abend im Bett vor sich hin grübelte. Ausnahmsweise, könnte man ja mal … genau, is zwar auch nich der Hit, aber immer noch besser, als hier rumhängen.

 

«Biste noch wach?», schickte er in gedämpfter Stimmlage zu Finns Bett, genauer gesagt zu dessen Rückenansicht.

«Wieso?» Deutlich und hellwach hörte sich Finns Antwort an.

«Nur so.»

«Ach so.» Hinter ach so versuchte Finn es mit auffälligem Gähnen.

Daran musste noch arbeiten, dachte Klotz.

Pause.

«Klasse das mit Janas Eltern», startete Klotz einen neuen Versuch, nachdem er sich mit deutlichen Geräuschen in seinem Bett hin und her gerollt hatte.

«Genau», kam es aus dem anderen Bett.

Das war’s schon wieder? Langsam reicht’s, aber echt, grollte es in Klotz, und er rutschte sich in Sitzstellung.

«Willste nich oder kannste nich oder tuste nur so, Professor, bekannt in Freundeskreisen auch für: spricht gern in ganzen Sätzen. Is irgendwas?»

«Was soll sein?»

«Hör endlich auf mit dem Quatsch Finn. Willste pennen, ja oder oder ja nich?»

«Eigentlich will ich nich drüber reden, mehr nich», sagte Finn, während er sein Kopfkissen zum Rückenpolster zurecht knautschte.

«Ich muss eben immer dran denken», sagte er dann doch. «Also nich immer von ständig, verstehste?»

«Nee», stellte Klotz fest.

«Jetzt immer, seit ich im Bett liege, geht mir das nicht aus dem Kopf.»

«Was?»

«Wenn meinen Eltern das passieren würde, und die würden es nich mehr packen, und die gäb es dann nich mehr, wenigstens nich richtig, nur noch als Tote. Ich hab die eben richtig gesehen, aufem Bett, nebeneinander mit gefalteten Händen, und jeder hatte ein Kreuz in der Hand. Ich wollte schon runter gehen und kucken … Du weißt doch, wie das mit meinen Träumen is.»

Ach du Scheiße, dachte Klotz, und aussehen tut er, wien Albino vor ner weißen Wand.

«Haste denn überhaupt schon geschlafen?»

«Nich so richtig.»

Volltreffer, dachte Klotz. «Also kannste auch nich richtig geträumt haben. Wenigstens nicht einen von deinen Qualitätsträumen mit Passiert-demnächst-Garantie, verstehste? Kannste also vergessen, achtundneunzig pro, verlass dich drauf. Ich weiß, wovon ich rede. Vorm Einschlafen hat man sowas schon mal, echt, kenn ich, hab ich auch.»

«Echt?»

Hat der etwa gemerkt, dass ich geschwindelt …? Quatsch. Weiter machen, befahl er sich.

«Wie bereits erwähnt, Herr Professor, achtundneunzig pro. Also, wisch weg, war nix.»

«Wie bei Mathe-Ratte, wenn ein gewisser Klaus-Dieter Öztürk, bekannt auch als Klotz, an der Tafel Strichmännchen statt Zahlen produziert?»

«Vorsicht, vergiss nich, ich bin der Stärkere», warnte Klotz.

«Und ich habe Heimvorteil», konterte Finn.

Und Grinsen klappt auch schon wieder, stellte Klotz fest.

- Gut gemacht Klotz, alle Achtung –

Manchmal, dachte er, liegt dieses … dieses Außerterramäuschen gar nich so verkehrt.

Auch auf seinem Gesicht grinste es jetzt.

«Mal was Anderes Kumpel. Die Mädels marschieren doch jeden Tag ins Krankenhaus.»

«Gut beobachtet.»

«Was hältst du davon, wenn wir ausnahmsweise…»

«Mitgehen?», unterbrach Finn. «Is nich, die wollen lieber alleine.»

»Was sagt Lady Chatterly, deine über alles geliebte Deutschlehrerin, wenn man einen nich ausreden lässt, na?»

«Schon klar. Also, was is Sache?»

«Wie wär’s mit einem kleinen Türchen, oder deutlicher einem Fahrradtürchen.»

«Und wohin das kleine Türchen?»

«Morgen is Markt. Da is immer was los. Und mein Vater freut sich, wenn er seinen Sohn auch mal wieder sieht.»

«Sicher?»

«Armleuchter.»

«Im Prinzip nich übel. Fahrräder haben wir im Schuppen. Zwar nich die neuesten Modelle, aber für die Tour wird’s reichen.»

3. Kapitel

«Die sind noch zugelassen, ich meine für den normalen deutschen Straßenverkehr? Leck mich am Arsch», staunte Klotz, nachdem Finn am nächsten Morgen die Tür zum Fahrradschuppen geöffnet hatte.

Hoffentlich sieht uns keiner, dachte Klotz.«Wie wär’s mit Verpflegung, falls die Teile da auseinanderfallen und das Ganze ne Wanderung wird, ne längere. Ich mein ja nur», schob er nach, als er auf Finns Gesicht sowas in der Richtung von fuck you erkannte.

«Quatsch nich. Wo geht’s lang?»

«Na gut, Allah sei uns gnädig. Und wie heißt deiner, vorsichtshalber?»

«Gott, wie sonst. Meistens mit lieber davor.»

«Okay, dann der auch.»

«Gleich is Zieleinlauf», rief Klotz, als er Finn überholte. «Die letzte Ampel da vorne. Dann haben wir’s.»

«Und wieder mal rot. Die xte Ampel, immer, bei uns, rot», ärgerte sich Finn. «Wie wär’s mal mit ner Grünen Welle statt regelmäßig roter Schwelle für …»

«Scheiße, ich hab’s, ich hab’s, leck mich am Arsch», schrie Klotz plötzlich in Finns Gemaule. Beide standen vor der Ampel, beide sahen sich an, Finn schickte Fragezeichen zu seinem Freund, und beide übersahen, dass sich inzwischen die Ampelfarbe zu ihren Gunsten geändert hatte.

«Das grüne Licht vor euch sagt euch nix, oder?», erkundigte sich ein Verkehrsteilnehmer im Rennfahrerdress, dem sie den Weg versperrten. «Vorschlag, mit euren Karren zum nächsten Schrottplatz, aber schieben, is für alle das Beste, und jetzt das Ganze in subito{1}.»

Finn winkte entschuldigend, und Klotz dachte, mit dem Schrottplatz is was dran.

«Und nu rück raus», sagte Finn, als sie wieder nebeneinander fuhren, «von wegen deiner Nummer eben: ich hab’s, ich hab’s.»

«Gleich, wenn wir da sind. Wirst schon sehen.»

Wenn man nich dran denkt, is es auf einmal da, ging ihm durch den Kopf. Komisch.

Aber, denken is eben auch sone Sache. Hab ich immer schon geahnt. Nehm wir nur mal Finn. Die Highlights denkt der auch nich, die träumt der. Na ja, is eben nochmal was Spezielles.

«Die Räder am besten an den Baum da», schlug Klotz vor, «außer Sichtweite.»

«Von wem?»

«Meinem Vater. Der findet sofort irgendwelche Arbeiten, verstehste?»

«Alles klar. Warte, eben noch abschließen.»

Warum eigentlich, dachte Klotz, vielleicht erbarmt sich ja einer und wir sind die Schrotteile endlich …

«Verdammt, kein Schlüssel, vergessen oder verloren oder sonstwas. Und jetzt?», platzte Finn in Klotz‘ Gedanken.

«Keine Sorge, Alter, die klaut keiner, die nich», beruhigte er Finn. Leider, dachte er.

«Und nu, deine Erscheinung?» sie hatten sich auf der nächsten freien Bank niedergelassen.

«Erscheinung?, ich? Is doch dein Spezialgebiet», wehrte Klotz ab.

«Eben an der Ampel, tu nich so.»

Ach das. Das sei keine Erscheinung gewesen, sondern das Ergebnis harter Arbeit, kopfmäßig, klärte er Finn auf.

Stimmt zwar nich so ganz, oder auch absolut nich, dachte er, aber ab und zu mal …

«Wir - also auch ich - arbeiten für - und jetzt musst du ganz stark sein - für die Schule.»

«Das heißt korrekt - nur so nebenbei - für die Schwulen, mit ‚w‘ und ‚n‘ am Ende. Und wieso ausgerechnet für …»

«Ich sagte nicht Schwule, sondern Schule, ohne ‚w‘ und ‚n‘ am Ende, Finn. Kapikko?»

«Nee.»

«Wieso nee?»

«Überleg doch mal: du und Schule und dann auch noch arbeiten? Geht nich, absolument pas{2}.

Lern du erstma richtig deutsch. Absülemonpa, son Quatsch, grummelte es in Klotz. Du glaubst doch, erklärte Finn weiter, dass die den Korb für Basketball vergessen haben vor dem, was wir Tafel nennen, und dass dieses Brett, bei dem alle anderen - wie gesagt - an eine Tafel glauben, viel zu groß ist und viel zu niedrig hängt für dein behämmertes Basketball. Und dann wäre da noch die Sache mit den Leuten, die sich meistens vor dieser … dieser Basketballtafel aufhalten, von uns auch Lehrer genannt. Die hast du doch zu deinen persönlichen Feinden erklärt.»

«Aber hallo, mit dem Korb und dem Basketball, wär doch der Hit, echt. Und das mit den Lehrern …, wenn ich da an …», er grinste, «an …»

«Na gut», räumte Finn ein, «außer Labor-Leo und vielleicht Lady Chatterly. Das war’s dann schon. Ich könnte auch noch Hausaufgaben und Schwänzen … Aber mal nebenbei, warum das Ganze?»

«Is ja gut Finn. Machst hier Aufstand, nur wegen Schule und arbeiten. Wart’s ab.

Erst in Ruhe kucken, dann abschreiben, meine Devise. Verstehste?»

War echt ein bisschen blöd, so auf den Putz zu hauen, dachte Finn.

«Aber klar doch, alter Abkucker. Dann lass mal kucken oder auch hören», bot er an.

«Also, geht doch. Aufklärung der Schrottplatzsache, darum geht’s. Als erstes: Klärung der örtlichen Verhältnisse. Was liegt wo? Was is in dem Schuppen los? Gibt es Verstecke zum Beobachten?, Fluchtwege und all sowas. Klar?»

Finn nickte.

«Aber dafür müssen wir erstmal aufs Gelände, ohne dass der Onkel stutzig wird. Der will das ja alles nich, weil er Schiss bis zum Geht-nich-mehr hat. Und jetzt kommt die Schule ins Spiel und mein genialer Plan. Kurzfassung: Wegen längerem Unterrichtsausfall geben die Schulen - also auch unsere - ihren Schülern Hausaufgaben auf. Schüler dürfen Einzelarbeit oder Gruppenarbeit wählen. Was wählen wir, na, was meinste?, spuck’s aus …»

«Einzelarbeit natürlich», bot Finn mit breitem Grinsen an. Und bevor Klotz zu groben Beleidigungen ausholen konnte, ergänzte er: «Wer dumm fragt … Auch alles klar?»

Klotz atmete tief durch. «Ich dachte schon … Also weiter. Jetzt kommt nämlich erst der eigentliche Hammer. Die Aufgabe, weshalb wir unbedingt auf das Gelände müssen, lautet: Beschreibe einen Beruf oder einen Betrieb, der in deiner Familie oder bei deinen Freunden vorkommt. Sowas in der Art. Das erzählen wir jedenfalls Onkel Schrotti. Und dass wir dafür sogar ein paar Tage richtig mit malochen würden auf dem Platz und im Haus, damit wir ja nix Falsches schreiben, und auch Tante Aische was davon hätte. Mädchen ins Haus, wir aufem Platz. Klasse, oder?»

«Kann man drüber reden, eventuell, vielleicht …»

«Nur nich loben», maulte Klotz.

«Im Ernst, nich übel. Und das haste alles bei Rot an der Ampel …?»

«Bisschen Grün war auch dabei», sagte Klotz.

«Stimmt», sagte Finn, und sie machten den Handabschlag.

«Und jetzt zu ‚Öztürks Vitaminzentrale - Obst und Gemüse aus Nah und Fern‘. Verpflegung schnorren. Dahinten das Schild, unser Stand, vom Feinsten, behauptet mein Vater wenigstens.»

Vater Öztürk bediente gerade Kunden, als sie ankamen. Stolz stellte er seinen Sohn vor und dessen Freund und dass die gerade recht kämen zum helfen.

Ach du Kacke, dachte Klotz.

«Und dann noch freiwillig», wunderte sich eine Kundin. «Wenn ich da an meinen denke. Dem muss ich Fußfesseln anlegen, dass er nich abhaut.»

Kein Wunder, bei dem Drachen, dachte Finn.

«Ihr könnt schon mal die leeren Kisten ins Auto packen», schlug Vater Öztürk mit listigem Lächeln vor. «Habt Glück, sind heute nich viele.»

Die beiden sahen sich an, zuckten mit den Schultern und machten sich an die Arbeit.

«Die können se mir mal ausleihen, sone Prachtexemplare. Nix für Ungut. Bis nächstens, tschüsskes.»

«Nich in diesem Leben», murmelte Klotz.

«Für’s helfen.» Vater Öztürk drückte seinem Sohn nach getaner Arbeit einen Zehner in die Hand. «Und fahrt vorsichtig, bei dem Verkehr.»

«Sowieso», rief Klotz. «Cola mit Pommes Schranke?», fragte er Finn.

«Aber immer.» Finn strahlte. «Endlich mal was Ungesundes.»

Wieder auf der Bank genossen sie das Ungesunde.

«So kann man’s aushalten», bemerkte Finn.

«Ebenso, prost. Kuck mal, die scharfe Schnitte dahinten.»

«Scharfe Pommes sind mir lieber im Augenblick», brummte Finn.

Klotz wandte sich zu Finn: «Und wie wär’s mit beides?»

«Mit beidem Klotz, wir sagen auch schon mal mit beidem, mit m wie Mama.»

Klotz verengte seine Augen zu schmalen Sehschlitzen, schärfte seinen Blick, dass man automatisch an Rasiermesser dachte, und während Finn schon: «Friede mein Freund, Friede», bettelte, drohte Klotz ihm ein qualvolles Ende durch sehr, sehr langsames Erwürgen an.

«Und außerdem, wo is se denn, deine scharfe Schnitte?»

«Na an dem Baum … Tatsache, weg is se. Wahrscheinlich geflüchtet, als se dich gesehen hat.»

Er sah nochmal an den Bäumen entlang, die den Marktplatz begrenzten, stutzte und dachte, irgendwas is anders als eben, auch ohne die Schnitte.

 

Er schickte nochmal prüfende Blicke zu jedem Baum und sagte: «Finn, siehst du auch das, was ich nicht sehe.»

«Schon wieder ne scharfe Schnitte, oder was?»

«Mehr oder was.»

«Is ja gut Klotz.»

«Is ja gut Klotz, is ja gut Klotz. Kuck dir doch mal die Bäume an, und zwar genau an, mein ich.»

«Na schön: erster Baum, zweiter Baum, dritter Baum …» Er kam bis neun, sagte: «Alle durch, und?»

«Nix aufgefallen?»

«Nee.»

«Dann versuch’s nochmal mit Baum Nummer fünf.»

«Nur wenne dann die Klappe hälst.»

«Versprochen.»

«Also: eins, zwei, drei, vier fünf … fünf?, is das nich der Baum …, ach du Scheiße, das glaub ich jetzt nich. Das gibt’s doch gar nich.»

«Sieht ganz so aus, dass doch. Echt Finn, achtundneunzig pro, futsch arividertschibumsda, über alle Berge. Wir sagen auch schon mal: geklaut.»

«Wer klaut denn sowas?»

«Rost auf Rädern? Schwachos, wer denn sonst.»

«Und wie erklär ich das meinem Vater? Der poliert den Rost doch noch regelmäßig und träumt dabei von irgendwelchen Wanderfahrten mit den Pfadfindern - „als ich in deinem Alter war“, - Originalton. Verstehste? Die Teile sind Museum, unverlierbar, heilig.»

«Die Rostlauben?»

«Die Rostlauben.»

«Und wenn er ganz gut drauf ist, erzählt er auch noch von den ersten Ausfahrten mit meiner Mutter auf den Teilen und kriegt ganz glänzende Augen. Und dann sagt meine Mutter meistens verträumt vor sich hin: „ach ja, das waren noch Zeiten“.

Und jetz sind se weg, sone Scheiße.»

«Wer, die Zeiten?»

«Ha, ha, voll witzig.»

Son Aufstand wegen soner Schrottis, dachte Klotz.

«Und jetz?»

Klotz antwortete mit irgendeinem Brummton und betrachtete im Übrigen angestrengt seine Füße.

Finn machte Fingerübungen.

Beide dachten.

«Ich glaube, ich habe heute meinen Super-Tag», gab Klotz plötzlich von sich. «Man nennt es auch einen Lauf. Du verstehen?»

«Quasel nich, lass laufen. Ohne Leerlauf, wenn’s geht. Du auch verstehen?»

«Nee. Dieses komische Wort Leerlauf wär für mich jetzt neu, absolut.»

«Egal, rück raus, gib Gummi, lass jucken.»

Der fängt ja an, richtig normal zu reden, wunderte sich Klotz. Hoffentlich nichts Ernstes.

«Du musst deinen Eltern nämlich verklickern», erklärte er, «dass ihre Oldies bei jeder Fahrradkontrolle sofort einkassiert worden wären, und zwar wegen - sagen wir mal - wegen absoluter Höchstgefährdung von Mensch und Material. Klasse oder? Und dann noch, au ja: verantwortungslos. Verantwortungslos kommt immer bestens, im Sinne von was habt ihr euch nur dabei gedacht? Erzählen die uns doch immer. Bestrafung und Bußgeld kannste auch noch erwähnen, wenn se einen auf hart machen, und dass bis jetzt alle mächtig Schwein gehabt hätten, die sich mit den Teilen auf die Straße gewagt hätten, und dass man den Schwachos eigentlich dankbar sein müsste, dass sie einem die Arbeit abgenommen hätten, und dir im Grunde auch, dass du die Schlüssel vergessen hast. Allah sei Dank, kannste auch noch hinterherschicken, oder lieber Gott, kommt bei deinem Vater wahrscheinlich besser. Na, bin ich gut oder bin ich sehr gut?» Klotz grinste sein Siegergrinsen.

«Zum Abschlagen reicht’s», sagte Finn und hielt Klotz die Hand hin.

Der nahm das Angebot an und sagte wieder mit Blick auf seine Schuhe: «Da wäre noch ne Kleinigkeit … Unser Bares haben wir verprasst», er zeigte auf Coladosen und Pommesschalen, «und wenn wir heute noch dein Elternhaus, also unsere Sammelunterkunft …»

«Schon klar«, unterbrach Finn. «Fahrgeld, sponsormäßig?»

Klotz nickte.

«Dann zeig mal, was du drauf hast. Wenne mich fragst, ich sehe nur eine Möglichkeit.»

Wortlos richtete er seinen Blick auf ‚Öztürks Vitaminzentrale‘.

Klotz‘ Hinweis, er habe doch eben erst …, entgegnete Finn, dass sie natürlich auch sammeln gehen könnten. Sammeldosen hätten sie ja zur Not. Oder aber laufen, mehr so im Sinne von wandern, bei der Entfernung.

«Also auf ein Neues», brummte Klotz, vergrub seine Hände in den Hosentaschen und schlenderte möglichst gelangweilt in Richtung ‚Öztürks Vitaminzentrale‘.

Kaum is er weg, schon is er wieder da, dachte Finn, als Klotz nach wenigen Minuten wieder auftauchte.

Man nennt es auch bummeln, dachte er. Sieger sehen irgendwie anders aus.

«Und? Sammeln angesagt?»

«Puuh, ich sag mal so. Ich hab meinem Vater erklärt, was passiert is, also dir passiert is - natürlich zum ersten Mal in tausend Jahren, logisch -. Dass dein Vater, wenn er das erfährt, total traurig is, und deine Mutter erst recht. Oder aber, dass er vielleicht total ausrastet, je nach dem. Dass du total fertig bist, nervlich, verstehste, und jetzt auch noch zu Fuß nach Hause, weil wir seinen Schein schon ausgegeben hätten … Und dann - und jetzt pass gut auf, wie man sowas macht - hab ich ihm untergejubelt, dass wir ihm auch noch helfen könnten beim Einräumen oder so, auch wenn du schon ziemlich am Ende … Da hat er mich gar nich mehr ausreden lassen, in seine Hosentasche gegriffen und mir das hier», er öffnete seine rechte Hand, «in meine Hosentasche geschoben. Und dann hat er noch gesagt, dass du immer bei uns willkommen bist, falls du wegen der Sache zuhause Schwierigkeiten kriegst, im Sinne von rausgeschmissen wirst, oder so. Von wegen ausrasten, verstehste? Du wärst schließlich der Retter seines Sohnes. He Finn, was ich hier in Händen halte, ist ein Euro-Zwanziger, kein Spielgeld, so wie du kuckst. Das reicht fürn Taxi, Alter.»

«Darüber soll ich mich jetzt freuen, oder was?»

«Aber heftig, was denn sonst?»

«Dass du deinem Vater son Schwachsinn über mich und meinem Vater erzählt hast? Dass die mich vielleicht rausschmeißen?»

«Ach Finn, ich weiß auch nich. Du bist doch sonst nich so schwer von kanapee. Sieh das doch mal so: entscheidend ist das Ergebnis, so wie bei der Klassenarbeit, was drunter steht, die Note eben. Ob mit oder ohne mogeln, ist doch scheißegel. Hauptsache, die Note stimmt. Deshalb nennt man das hier auch in Fachkreisen» - er wedelte mit dem Geldschein - «eine, na?, richtig: eine Banknote. Genial, oder? So, und wie die in mein Händchen gekommen ist, interessiert doch keine Sau. Oder hat dich schon mal eine Verkäuferin an der Kasse gefragt, wieso und weshalb und woher überhaupt du die Kohle hast? Na ja, dich vielleicht, weil du noch son bisschen mickrig aus der Wäsche …»

«Is ja gut», unterbrach Finn. «Trotzdem …»

«Nix trotzdem. Taxi oder Bus?»

Der wird nochmal Vertreter oder Banker, ging Finn durch den Kopf. Oder, wenn’s ganz schlimm kommt, Politi…»

«Was jetzt», fuhr Klotz in Finns Gedanken, «beförderungstechnisch.»

«Was wohl. Heli natürlich.»

«Auch gut, alte Grinsebacke», seufzte Klotz, «dann eben Bus», und er versuchte sich an den Trick mit dem Schwarzfahren von neulich zu erinnern.