Schatten über Adlig-Linkunen

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„Das wissen wir“, beruhigte ihn Bouffier. „Sie nicht und Ihre Kollegen draußen auch nicht. Wir wollen von Ihnen nur erfahren, wie der gestrige Tag verlief und wann Lembert verschwunden ist. Mein Kollege“, er deutete auf Hinrich, „schreibt Ihre Aussage auf, Sie lesen sie durch, unterschreiben und können wieder an Ihre Arbeit gehen. Das ist alles.“

„Jet nich!“, antwortete der Mann.

„Wieso nicht?“, fragte Bouffier erstaunt.

„Kann ich nich, weder lesen noch schreiben.“

Der Polizeileutnant stöhnte leise auf. Dass die Schwierigkeiten schon in banalen Details begannen, hatte er nicht erwartet. Die anderen Anwesenden konnten ein Lächeln nicht unterdrücken. Schließlich gelang es Bouffier doch noch, dem Waldarbeiter eine Aussage zu entlocken. Demnach war Lembert nach der Arbeit nicht mit den anderen nach Hause gegangen, sondern, ohne Auskunft zu geben, verschwunden. Circa ein bis zwei Stunden später war er in der gemeinsamen Hütte erschienen, hatte etwas gegessen und getrunken. Dabei wirkte er ausgesprochen gut gelaunt. Nach circa einer weiteren Stunde ist er wieder fortgegangen, ohne den anderen mitzuteilen wohin. Als er zu später Stunde nicht zurückkam, hat einer von ihnen Peer informiert. „Ist Lembert öfter weggegangen, ohne zu sagen wohin?“, wollte Perloff wissen und fügte hinzu: „Entschuldigen Sie, Herr Bouffier, wenn ich Sie in Ihrem Verhör unterbreche.“

„Ist schon gut, Herr Perloff, die Frage ist ja berechtigt.“

Der Mann antwortete: „Nee, eijentlich nich. So vor n’paar Wochen war er mal von der Arbeit wech, und als wir ihn frachten, sacht er, das jeht uns nix an. Man soll ja über Tote nix Schlechtes sagen, aber komisch war der schon. Wir dachten jestern Abend, der hat auf‘n Jut was mitjehen lassen und macht sich jetzt ausm Staub, deshalb haben wir den Herrn Wildhüter benachrichtigt.“

Die Aussagen der anderen Waldarbeiter waren weitgehend mit der ersten identisch. Bouffier und Hinrich waren nicht wesentlich vorangekommen. „Existiert von den Waldarbeitern so etwas wie eine Personalakte?“, fragte er Perloff. „Ja, aber meistens gibt die nicht viel her. Die Burschen haben oft keine Papiere und wir wissen nicht viel mehr über sie als ihren Namen. Aber ich schau mal nach“, damit ging Perloff ins Büro, um die Akte zu holen. In der Tat konnte Bouffier nicht viel damit anfangen, sie enthielt kaum Angaben. Goldfeld hatte auf einem Blatt handschriftlich vermerkt: „Lembert, Hans, geb. 1855. Beschäftigung auf mehreren Forstbetrieben, Geburtsort unbekannt, macht kräftigen und gesunden Eindruck.“

Nicht einmal der genaue Geburtstag war aufgeführt, das interessierte niemanden und feiern würde ein Waldarbeiter diesen sowieso nicht. Diese Leute waren ein Stück Treibgut der Gesellschaft. Zum Schluss des Papiers stand noch: „Eingestellt im September 1887, Unterschrift: Goldfeld.“

Weitere Zeugen zu befragen, machte keinen Sinn. Es gab offensichtlich keine. Niemand hatte Lembert in den Wald gehen sehen, niemand wusste etwas über sein Vorleben. Der Einzige, der vielleicht etwas über seine letzte Arbeitsstelle gewusst hatte, wäre der verstorbene Goldfeld gewesen. Also beschloss Bouffier, zurück nach Hirschberg zu fahren und zusammen mit Hinrich machte er sich auf den Weg. Als sie alleine auf dem Pferdeschlitten saßen, kramte der Wachtmeister in seinen Taschen und sagte: „Ich habe noch etwas neben der Leiche gefunden.“ Schließlich zog er etwas Glitzerndes aus seiner Hosentasche und hielt es Bouffier entgegen; es war ein Diamantring. „Ich wollte es Ihnen nicht vor allen anderen zeigen, dachte mir, es ist Ihnen lieb, wenn’s zunächst geheim bleibt, Herr Leutnant.“

„Das war auch richtig, Hinrich, aber etwas früher hätten Sie es mir schon sagen können; halten Sie den Schlitten mal an.“ Bouffier nahm den Ring entgegen und schaute ihn sich an. Man brauchte keine Goldschmiederfahrung, um zu erkennen, dass es sich um ein wertvolles Schmuckstück handelte, der Größe und Verzierung nach eindeutig ein Damenring. „Hinrich, wir müssen zurück zum Herrenhaus und die Damen dort fragen, ob er einer von ihnen gehört. Ein solch edles Stück kann sich nur jemand aus besseren Kreisen leisten. Ich könnte meiner Frau jedenfalls nicht einen solchen Ring schenken.“ Er machte eine kurze Denkpause und fuhr dann fort: „Die Vermutung der Kollegen von Lembert, er hätte was auf dem Gut gestohlen und wollte damit abhauen, ist vielleicht gar nicht so falsch. Es könnte sich hierbei um Hehlerware handeln, aber es ist noch nicht so ganz schlüssig.“ Hinrich drehte den Schlitten um und fuhr wieder zurück Richtung Gutshaus und setzte seinerseits den Gedanken seines Chefs fort: „Er hat sich im Wald mit einem Hehler getroffen. Es gab Streit, in dessen Verlauf er erschlagen wurde.“

„Falsch, Hinrich, völlig falsch. Das haben wir doch schon festgestellt: es gab keinen Streit und Lembert wurde hinterrücks erschlagen.“

„Dann wollte der Hehler gar nicht zahlen, hat Lembert erschlagen...“

„Und dann den Ring neben der Leiche liegenlassen“, unterbrach ihn Bouffier, „um so schnell wie möglich abzuhauen: nein Hinrich, so kann’s nicht gewesen sein.“

„Vielleicht hatte er ja mehr als nur diesen Ring und der Hehler hat ihn in der Eile neben dem Toten verloren“, warf Hinrich ein. „Gut“, bestätigte sein Chef, „das ist schon eher möglich, Hinrich, Sie müssen die Waldarbeiter noch mal befragen, während ich ins Herrenhaus gehe. Forschen Sie nach, ob sie bei Lembert einen Beutel oder Ähnliches bemerkt haben, als er die Hütte verließ. Er kann natürlich das Diebesgut am Körper getragen haben, und der Hehler hat den Ring beim Ausplündern der Leiche verloren. Dennoch, fragen Sie nach.“ Als sie am Herrenhaus ankamen, fügte Bouffier noch hinzu: „Versuchen Sie außerdem rauszukriegen, wann sich Lembert und für wie lange er sich seinerzeit von der Arbeit entfernt hatte, kreisen Sie das Datum möglichst genau ein, es könnte der Tag des Diebstahls sein. Und noch etwas Hinrich: Seien Sie einfühlsam; wenn Sie die Leute zu barsch befragen, blocken die ab und Sie erfahren gar nichts.“ Hinrich war über den letzten Satz alles andere als begeistert, ließ es sich aber nicht anmerken. Als ob er nicht wüsste, wie man ein Verhör richtig führen muss.

Bouffier begab sich zum Portal des Herrenhauses und läutete. Der Butler öffnete und war sichtlich erstaunt, den Polizisten zu sehen, begrüßte ihn aber freundlich und ließ ihn eintreten. „Melden Sie mich bitte Herrn oder Frau Kokies, besser erst mal Herrn Kokies.“ Bouffier fiel plötzlich ein, dass es möglicherweise ein Missgeschick ist, eine Dame kurz vor Weihnachten nach einem gestohlenen Ring zu fragen. Es wäre äußerst peinlich, wenn nicht sie das Opfer des Diebstahls wäre, sondern ihr Mann, der ihr diesen Ring zu Weihnachten schenken wollte. Der Polizist musste nicht lange warten, bis er zu Wilhelm-Antonius geführt wurde, der ihn ebenfalls freundlich begrüßte. „Was kann ich für Sie tun? Bitte nehmen Sie doch Platz. Es ist bitterkalt draußen, darf ich Ihnen einen heißen Tee oder Kaffee bringen lassen?“

„Danke, gerne, ein heißer Tee wäre nicht schlecht.“

Kokies läutete dem Butler.

„Aber der eigentliche Grund meines Kommens ist nicht der Genuss heißen Tees, sondern dieser Ring.“ Bouffier hielt das Schmuckstück Kokies entgegen, der es in die Hand nahm und genau betrachtete. „Schönes Kleinod, sehr wertvoll, der Käufer dieses Rings hat Geschmack.“

„Und Geld“, fügte Bouffier hinzu. „Kennen Sie diesen Ring? Besitzt Ihre Frau einen solchen?“

„Ich glaube nicht, aber ich kenne natürlich nicht allen Schmuck meiner Frau.“

„Und was ist mit Ihrer Tochter?“

„Da bin ich mir relativ sicher. Nein, in ihrem Alter besitzt man noch nicht so viel Schmuck. Aber fragen wir die beiden doch mal selbst.“

Als der heiße Tee serviert wurde, bat Kokies das Dienstmädchen, seiner Frau und Maria Bescheid zu sagen. „Was hat es übrigens mit dem Ring auf sich?“

„Es handelt sich wahrscheinlich um Diebesgut, wir wissen aber nicht, wer das Opfer ist.“

„Sie kennen aber den Dieb?“

„Ja, hier kennt die Polizei den Täter und sucht das Opfer, vertauschte Rollen.“

„Hat er etwas mit dem toten Waldarbeiter zu tun, der heute Morgen gefunden wurde? Doepius hat mir davon berichtet.“

„Ja, bei seiner Leiche wurde der Ring gefunden.“

„Was ist eigentlich mit ihm geschehen?“

„Er wurde ermordet, hinterrücks erschlagen.“

Inzwischen waren Friederike und Maria erschienen. Auch sie betrachteten den Ring aufmerksam bis Friederike das Wort ergriff: „Wunderschön, aber mir gehört er leider nicht“, dabei blickte sie Wilhelm-Antonius lächelnd an. „Aha, ein Wink mit dem Zaunpfahl“, erwiderte dieser, ebenfalls lächelnd, „Ich werde es mir merken.“

„Und Sie, Fräulein Maria, haben Sie den Ring schon einmal gesehen, oder gehört er sogar Ihnen?“

„Nein, leider nicht; ein solcher Ring fällt auf, besonders Frauen. Wenn ihn je eine Dame bei einer Gesellschaft getragen hätte, könnten wir uns daran erinnern, nicht wahr, Mama?“ Friederike stimmte dem zu: „Sie müssen wissen, lieber Herr Bouffier, dass viele Damen ihren Schmuck bei gesellschaftlichen Veranstaltungen nicht nur tragen, weil er sie ziert, sondern weil sie bei den anderen Damen Neid und bei deren Ehemännern ein schlechtes Gewissen erzeugen wollen.“

Bouffier lächelte amüsiert, ein bisschen Nachhilfeunterricht über die bessere Gesellschaft war durchaus interessant. Maria fügte hinzu: „Böse Zungen behaupten sogar, Goldschmiede in Berlin statten manche Damen kostengünstig mit wertvollem Schmuck aus, damit die Ehemänner ihrer Konkurrentinnen nach einer Abendgesellschaft scharenweise ihr Geschäft stürmen, um ähnlichen Schmuck zu kaufen.“

Jetzt musste Bouffier sogar laut auflachen, während Kokies schmunzelnd den Kopf schüttelte. „Was meine Tochter so alles weiß!“

 

„Vergiss bitte nicht, ich habe einen Bruder in Berlin, der mich mit Informationen füttert.“

Bouffier spürte, wie sympathisch ihm die Familie Kokies war. Er fühlte sich trotz der widrigen Umstände, die ihn hierher führten, in ihrer Anwesenheit wohl. Außerdem wurde er sich des Vorteils bewusst, den er als Vorgesetzter genoss, die Ermittlungsarbeit einzuteilen. Es war zweifellos erheblich angenehmer, eine Befragung im Herrenhaus bei einer Tasse heißen Tee durchzuführen, als draußen irgendwo im Wald bei bitterer Kälte Arbeiter zu verhören, die obendrein wahrscheinlich nicht besonders motiviert waren, der Polizei Auskünfte zu erteilen. Dennoch war Bouffier mit dem Ergebnis nicht zufrieden. Er war keinen Schritt weitergekommen. Ihre Theorien über den Diebstahl und Hehlerei waren zwar einleuchtend, aber nicht beweisbar. Und sie hatten nicht den geringsten Anhalt dafür, wer der Hehler sein könnte.

Schließlich kam Hinrich von seiner Befragung zurück und sie machten sich auf den Heimweg. Das Ergebnis seiner Arbeit war auch nicht berauschend. „Die vier Waldarbeiter waren keineswegs erfreut, als ich bei ihnen auftauchte. Gott sei Dank hatten sie in der Nähe zu tun, so dass ich keinen weiten Weg zurücklegen musste. Also, einen Beutel oder eine Tasche hatte Lembert nicht bei sich, da waren sich alle vier sicher. Aber eine Waldarbeiter-Jacke hat genug Taschen, um allerlei darin zu verstauen und Schmuck nimmt nicht viel Platz weg. Das genaue Datum, an dem Lembert verschwunden war, wussten die vier beim besten Willen nicht, irgendein Tag im Oktober, aber er war doch ziemlich lange weg, mehrere Stunden. Das hat sie ganz schön geärgert, denn sie mussten seine Arbeit auch noch erledigen.“

„Der Schmuck stammt nicht aus dieser Gegend, Hinrich, denn sonst läge in unserem Revier eine Anzeige vor. Kein Mensch lässt sich um ein halbes Vermögen bestehlen und geht dann nicht zur Polizei. Auch wenn sich Lembert mehrere Stunden von der Arbeit entfernt hat, reicht die Zeit kaum, um weiter weg einen Diebstahl oder gar einen Raubüberfall auf einen Goldschmied zu begehen. Lembert muss den Schmuck schon besessen haben, als er im September hier seine Arbeit antrat. Möglicherweise hat er ihn irgendwo hier in der Nähe deponiert und ihn an dem bewussten Tag aus dem Versteck geholt.“

„Danach habe ich die drei übrigens auch gefragt“, sagte Hinrich nicht ohne Stolz, „aber sie haben nichts bemerkt. Ich bin vorhin noch kurz in die Hütte der Waldarbeiter gegangen und habe Lemberts Spind durchsucht, aber nichts Besonderes gefunden bis auf dieses.“ Er hielt Bouffier ein abgegriffenes Foto mit dem Portrait einer jungen Frau hin. Sie war nur noch undeutlich zu erkennen, aber man erkannte noch, dass sie recht hübsch war. „Mensch Hinrich, das haben Sie prima gemacht! Das ist immerhin ein kleiner Anhaltspunkt, sozusagen ein Blick durchs Schlüsselloch in die Vergangenheit des Toten. Vielleicht lässt sich damit etwas anfangen.“ Hinrich schien förmlich zu wachsen unter dem Lob seines Chefs. Dann fügte Bouffier hinzu: „Morgen werden wir unser Telefon benutzen und alle anliegenden Polizeireviere anrufen, um nach Diebstahlanzeigen bezüglich Schmuckstücken zu fragen. Außerdem werden wir die Kollegen bitten, uns jede Schmuckhehlerei in ihrem Revier mitzuteilen.“ Mit ‚wir‘ meinte Bouffier eigentlich Hinrich und dieser war sich dessen auch bewusst. Das Telefonieren war eine zeitaufwändige und umständliche Angelegenheit. Hinrich würde damit sicher den ganzen Tag beschäftigt sein.

Am nächsten Morgen suchte Bouffier Dr. Markowski auf, in der Hoffnung, dieser könne ihm nach der Untersuchung des Leichnams noch etwas Neues berichten. Doch sein Bericht brachte ihn nicht weiter.

„Ich habe keine weiteren Diagnosen stellen können, die Todesursache ist eine Schädelfraktur mit akuter Hirnblutung; wie gesagt, der Mann war sofort tot. Ansonsten weist der Körper keine Verletzungszeichen auf. Ich werde Ihnen einen schriftlichen Befund verfassen.“

„Danke, Doktor, Sie haben uns sehr geholfen“, sagte Bouffier und unterrichtete den Arzt über den neusten Stand der Ermittlungen.

„Hinrich ist gerade dabei, mit dem Telefon bei anderen Revieren nach Schmuckdiebstählen zu fragen, vielleicht bekommen wir so eine Spur.“

„Warum denn in die Ferne schweifen, lieber Bouffier. Fragen Sie doch mal unseren Hirschburger Goldschmied Anton Gaupel nach dem Ring. Zeigen Sie ihm das Stück, möglicherweise stammt es ja aus seiner Werkstatt.“

Bouffier verdrehte die Augen und sagte: „Wieso bin ich nicht auch darauf gekommen? Natürlich! Sie sind gut, Doktor, Sie sollten zu uns kommen.“

„Nein danke, Ihre Patienten sind meist üble Burschen, da sind mir meine schon lieber.“

Bouffier machte sich sofort mit dem Ring auf den Weg zu Gaupel. Sein Geschäft lag in einer kleinen, aber belebten Gasse. Als er den Laden betrat, klingelte ein Türglöckchen und ein älterer, recht kleiner Herr kam aus einem hinteren Raum herbeigeeilt und fragte: „Was kann ich für Sie tun, der Herr, suchen Sie etwas zu Weihnachten für die gnädige Frau?“

Daran hatte Bouffier noch gar nicht gedacht. Es wäre keine schlechte Idee, sich nach einem kleinen Schmuckstück für Elisabeth umzusehen. Außerdem müsste er dann nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen und sich als Polizist zu erkennen geben. „Ja, aber allzu teuer sollte es nicht sein.“

„An was haben Sie gedacht, der Herr; ein Ring, eine Kette, ein Armband?“

Behände holte der alte Mann mehrere Schmuckschaukästen aus verschiedenen Schubläden und stellte sie auf den Verkaufstisch. Er zeigte ihm mehrere Schmuckstücke und nannte Gottseidank gleich den Preis zu jedem einzelnen, denn Bouffier wäre es peinlich gewesen, danach zu fragen. Schließlich entschied er sich für ein Silberkettchen, mit einem Amulett, das für seinen Geldbeutel erschwinglich war. „Wünschen Sie eine Gravur auf das Amulett? Kostet nichts extra, Sie können die Kette dann aber erst in zwei Tagen holen.“

„Ja, gerne. Ist die Inschrift: ‚In Liebe Peter‘ möglich?“

„Selbstverständlich, der Herr, aber ich muss Sie bitten, die Kette schon jetzt zu bezahlen. Ich kann sie ja mit der Gravur nicht mehr verkaufen, verstehen Sie?“

Ihm war das Misstrauen sichtlich peinlich, aber Bouffier verstand ihn gut. „Das geht in Ordnung. Sie sind Herr Anton Gaupel, nicht wahr?“

„Ja der bin ich, Goldschmiedemeister und Uhrmacher seit 40 Jahren.“

„Mein Name ist Bouffier, Polizeileutnant.“

Bei der Nennung seines Titels zuckte Gaupel sichtlich zusammen und zeigte ein erschrecktes Gesicht

„Was will die Polizei von mir?“

„Nur eine Auskunft, Herr Gaupel.“ Bouffier zog den Ring aus der Tasche und reichte ihn dem Goldschmied. Dieser nahm ihn entgegen und warf einen Blick darauf. „Kennen Sie diesen Ring? Ist er sogar aus Ihrer Werkstatt?“

„Nein ist er nicht, schönes Stück, aber nicht von mir“, sagte Gaupel und gab ihn Bouffier wieder zurück. Für dessen Empfinden hatte sich der Goldschmied den Ring zu oberflächlich angesehen.

„Sind Sie ganz sicher, wollen Sie ihn sich noch einmal genauer ansehen?“

„Ja, ganz sicher. Ist etwas nicht mit ihm in Ordnung?“

„Doch, doch, alles in Ordnung.“

Er verspürte keine Lust, dem Goldschmied, die Hintergründe zu erläutern, zahlte seine Kette und verabschiedete sich mit den Worten: „Dann bis in zwei Tagen!“, und verließ das Geschäft. Draußen angekommen war sein erster Gedanke: „Der Mann lügt, der hat den Ring sofort wiedererkannt. In was für ein Wespennest habe ich da gestochen?“ Er warf noch einen Blick durchs Schaufenster, aber Gaupel war schon wieder nach hinten in seine Werkstatt verschwunden. „Den nehme ich mir in zwei Tagen noch einmal vor“, murmelte Peter. Er machte sich auf den Weg zum Polizeirevier. Besonders eilig hatte er es nicht. Es dämmerte schon und der Spaziergang durch die weihnachtlich geschmückten und verschneiten Straßen Hirschburgs machte ihm Spaß. Es herrschte reges Treiben und alle paar Meter boten Straßenjungen irgendwelche Kramwaren feil: Zündhölzer, Haarspangen, Schnürsenkel und anderes. Als er so dahin schlenderte, klopfte ihm jemand von hinten auf die Schulter. Bouffier drehte sich um und rief erstaunt aus: „Mein Gott Hannes! Was machst du denn hier?“

„Klingt nicht besonders erfreut, lieber Peter.“

„Natürlich freue ich mich, aber ich habe dich in Berlin gewähnt.“

„Ich bin gerade in Hirschburg angekommen, in zwei Tagen ist unsere Weihnachtsfeier. Du und Elisabeth seid auch eingeladen.“

„Ja, wir werden kommen. Hast du’s eilig, nach Adlig-Linkunen zu fahren, oder können wir noch in ein Café gehen und uns ein bisschen aufwärmen?“

„Dazu muss die Zeit sein, Peter.“

Sie suchten sich ein gemütliches Kaffeehaus und wurden beim Betreten sofort freundlich vom Ober begrüßt. Als künftiger Herr auf Adlig-Linkunen war Hannes allseits bekannt. Nach dem Ablegen ihrer Mäntel bekamen sie einen schönen Tisch zugewiesen. Am Nachbartisch saß eine Gruppe junger Damen, die sichtlich Mühe hatten, ihre Blicke nicht zu den beiden zu richten, und Hannes nickte ihnen lächelnd zu.

„Ich habe dir eine Menge zu erzählen“, begann Bouffier das Gespräch.

„Dann schieß mal los, mein Lieber, oder sollte man so etwas einem Polizisten lieber nicht sagen?“

Peter lachte und berichtete Hannes in aller Ausführlichkeit über seinen neusten Fall. Dieser stellte immer Zwischenfragen und zeigte sich äußerst interessiert. „Nun, was hältst du von der ganzen Sache?“, beendete Bouffier seinen Bericht.

„Hört sich alles furchtbar kompliziert an. Ich beneide dich nicht um deine Arbeit. Klingt nach einem Hehlerring, auf den du da gestoßen bist. Aber dass Anton Gaupel darin verwickelt sein soll, erstaunt mich doch sehr. Er hat einen ausgesprochenen guten Leumund, betreibt sein Geschäft schon seit einer Ewigkeit und hat sich nie etwas zu Schulden kommen lassen.“

„Vielleicht ist er ja nur in etwas hineingezogen worden. Wenn ich meine Kette abhole, werde ich ihn in die Mangel nehmen.“

„Wäre es gegen die Vorschriften, wenn ich dich dabei begleite? Ich kenne den Mann, das könnte vielleicht hilfreich sein.“

Natürlich wusste Hannes sehr wohl, dass ein Polizist keinen Unbeteiligten zu einem Verhör mitnehmen durfte.

„Ich ernenne dich hiermit zum juristischen Berater der Hirschburger Polizei. Wie wär’s mit dem Titel: ‚Polizeiadvokat‘?“, erwiderte Bouffier augenzwinkernd. Er zog seine Uhr aus der Tasche und stellte entsetzt fest, wie spät es schon ist. „Du liebe Güte, der arme Hinrich sitzt im Büro und wartet sicher schon sehnlichst auf mich!“

„Muss Liebe schön sein“, antwortete Hannes, worauf ihm Bouffier einen leicht Schubs mit dem Ellenbogen in die Seite gab. Beim Verlassen des Cafés verneigte sich Hannes leicht zum Nachbartisch und sagte: „Auf Wiedersehen, die Damen, ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.“

Diese erwiderten errötend und mit unterdrücktem Kichern seinen Gruß.

„Du alter Charmeur“, flüsterte Peter ihm zu.

Nach dem Abschied von Hannes, eilte er jetzt mit großen Schritten zum Revier. Dort angekommen, fand er einen deutlich erschöpften Gustav Hinrich vor. Der Hauptwachtmeister war den ganzen Tag mit dem Telefon beschäftigt gewesen und hatte Bouffier überhaupt nicht vermisst. Als dieser die Amtsstube betrat, hatte er gerade sein letztes Telefonat getätigt. „Guten Abend, Herr Leutnant. Ich habe Ihnen eine Menge zu berichten.“

„Ich auch Hinrich, aber ich glaube, das meiste verschieben wir angesichts der vorgerückten Stunde auf morgen.“

„Wenn Sie es wünschen, Herr Leutnant. Bin auch, wenn ich das bemerken darf, ziemlich erschöpft.“

„Dann erzählen Sie mir nur das Wichtigste in aller Kürze.“ Hinrich war sichtlich erleichtert, dass sein Arbeitstag jetzt zum Ende ging. „Ich habe den ganzen Tag mit Gott und der Welt telefoniert, so viele neue Kollegen bei der Polizei habe ich noch nie kennengelernt.“

„Kennengelernt ist etwas übertrieben, Hinrich, Sie haben mit Ihnen gesprochen, gesehen haben Sie sie nicht.“

„Wie dem auch sei; es hat an verschiedenen Orten Schmuckdiebstähle gegeben, ein Goldschmied wurde sogar überfallen, aber auf keines der Diebesgüter passt die Beschreibung unseres Rings. Ich habe bis nach Königsberg zum Polizeipräsidium telefoniert.“

„Sehr fleißig Hinrich, sehr fleißig, wenn ich Sie nicht hätte, würde hier gar nichts laufen.“

„Allein bis der Fernruf nach Königsberg zustande kam, kostete mich eine Stunde und dann war die Verbindung so schlecht, dass ich nur die Hälfte verstanden hab. Aber eine wichtige Meldung hab ich mitgekriegt. Jetzt halten Sie sich fest oder setzen sich hin Chef“, Hinrich machte eine bedeutungsvolle Pause. „Lembert ist in Königsberg bekannt.“ Jetzt musste Bouffier sich tatsächlich hinsetzen, bevor Hinrich fortfuhr: „Na ja, bekannt ist vielleicht übertrieben, aber vor Jahren wurde er wegen Diebstahls angezeigt, und raten Sie mal, was er geklaut hat?“

 

„Schmuck?“

„Richtig, irgend ’ne Kette oder so was. Habhaft wurden sie seiner aber nicht, er galt seit damals als flüchtig. Die können ihren Fall jetzt abschließen. Sie wollten uns ihre Ermittlungsakte zuschicken.“

„Donnerwetter, das sind wirklich Neuigkeiten. Heute sind wir ein ganzes Stück weitergekommen, Hinrich. Ich war beim Hirschburger Goldschmied Anton Gaupel und habe ihm den Ring gezeigt. Er behauptet, ihn nie gesehen zu haben, aber ich glaube, er lügt. In den nächsten Tagen werde ich ihn noch einmal aufsuchen. Er macht nicht den Eindruck eines guten Lügners und einer zweiten Befragung wird er vielleicht nicht standhalten.“

„Meinen Sie, Herr Leutnant, wir sind auf einen Hehlerring gestoßen?“

„Möglich. Wenn ja, sind Lembert und Gaupel wahrscheinlich nur kleine Rädchen in einem größeren Getriebe. So, nun lassen Sie uns aber nach Hause gehen und ein bisschen Ruhe genießen.“

Mit diesen Worten erhob sich Bouffier und verließ die Amtsstube, um zu seiner Wohnung zu gehen.

Dort angekommen, begrüßte ihn Elisabeth erfreut und meinte: „du bist aber heute spät dran, Peter, hast du so viel Arbeit?“ Bouffier hatte Elisabeth am Vortag von seinem neusten Fall berichtet. Er empfand es als wohltuend, mit ihr über seine Arbeit zu reden und hatte auch schon so manch guten Ratschlag von ihr erhalten. In der gemütlichen Küche ihrer kleinen Wohnung brannte noch der Herd, und Elisabeth hatte ihm einen Topf mit Gulasch warm gehalten. Während sie gemeinsam zu Abend aßen, erzählte er von seinem Tag, wobei er aufpassen musste, das Weihnachtsgeschenk für Elisabeth nicht zu verraten, als die Rede auf Anton Gaupel kam. „Wir vermuten, dass wir auf den Rand eines Hehlerringes gestoßen sind, zumal Lembert vor Jahren einschlägig angezeigt wurde. Wir müssen jetzt einen Weg zum Kern finden, und dabei hoffe ich auf die Vernehmung Gaupels.“

„Dieser Anton Gaupel“, sagte Elisabeth, „hat einen sehr guten Ruf. Es ist schwer vorstellbar, dass er in irgendwelche Verbrechen verwickelt ist.“

„Er wäre nicht der erste ehrbare Mann, der sich wegen zusätzlicher Gewinne mit unehrlichen Geschäften abgeben würde“, gab Peter zu bedenken. Sie machten beide eine kurze Sprechpause, bis Elisabeth das Wort ergriff: „Hast du eigentlich schon einmal daran gedacht, dass sich alles ganz anders abgespielt hat?“

„Natürlich, mehr als nur einmal. Wir sind ja auch am Anfang von einem Streit unter den Waldarbeitern ausgegangen, aber das hat gar nichts ergeben.“

„Sag mal, was hatte der Wildhüter... wie heißt er?“ - „Peer“ -

„Ja, Peer, was hatte der denn so früh im Wald zu suchen?“

„Nun, es ist nicht ungewöhnlich, wenn ein Wildhüter in der Nacht oder am frühen Morgen im Wald auf der Pirsch ist. Und nicht nur nach Wild, sondern auch nach Wilderern. In den masurischen Wäldern werden mehr Tiere von Wilderern als von offiziellen Jägern geschossen.“

„Aber unsere Wälder sind riesig, wieso trifft Peer genau an die Stelle, wo der Ermordete liegt?“

Darauf wusste Peter nichts Überzeugendes zu antworten. „Zufall? Aber du hast Recht, nach den genauen Umständen, wie er die Leiche gefunden hat, haben wir noch nicht gefragt. Das werde ich morgen gleich nachholen. - Übermorgen findet übrigens die Weihnachtsfeier auf Adlig-Linkunen statt, hast du daran gedacht?“

„Ich denke ständig daran, vor allem, was ich anziehen soll.“

„Du siehst immer gut aus, egal was du angezogen hast.“

„Na gut, dann begleite ich dich in einer Kittelschürze.“

Peter zog lächelnd die Augenbrauen hoch und meinte: „Soll das ein diskreter Hinweis darauf sein, dass du dringend ein neues Kleid brauchst?“

„Nein, es war nur ein Scherz; wo soll ich, in Gottes Namen, in zwei Tagen ein neues Kleid herbekommen? Aber du musst dir morgen Nachmittag etwas Zeit nehmen, damit ich dir meine Garderobe vorführen und danach entscheiden kann, in welcher Kostümierung ich zur Weihnachtsfeier gehen werde.“

„Einverstanden“, sagte Peter, ging zu Elisabeth und nahm sie zärtlich in die Arme. Er fing an, sich an der Schnürung ihres Kleides zu schaffen zu machen und sagte: „Mit dem Ausziehen können wir ja heute schon anfangen.“

Am nächsten Morgen begab sich Bouffier recht früh ins Revier, um mit Hinrich das weitere Vorgehen zu besprechen. Nach der Unterredung beschloss Peter, dass sie zunächst nach Adlig-Linkunen fahren und den Wildhüter Peer noch einmal vernehmen sollten. Dass dies die Idee seiner Frau war, verschwieg er dem Wachtmeister. „Meinen Sie, er hat noch wichtige Beobachtungen gemacht, die er uns nicht genannt hat? Oder halten Sie ihn womöglich für verdächtig?“

„Verdächtig wäre vielleicht übertrieben, aber wieso hat Peer ihn dort gefunden? Ist er wirklich nur aus Zufall praktisch über ihn gestolpert? Wir müssen das auf jeden Fall abklären.“

Hinrich nickte nur mit dem Kopf und gab keinen weiteren Kommentar ab. Ob er die Meinung seines Chefs teilte oder nur aus Loyalität schwieg, war ihm nicht anzumerken. Dank der modernen Einrichtung des Telefons waren sie in der Lage, ihren Besuch anzukündigen und darum zu bitten, dass man Peer zum Verwalterhaus kommen lassen sollte. Dies würde ihnen viel Zeit ersparen, da man nach dem Wildhüter nicht erst suchen musste, wenn sie in Adlig-Linkunen eintrafen. Und so fanden sie ihn dann auch schon wartend vor, als sie das Verwalterhaus betraten. Peer war sichtlich beunruhigt und wirkte sehr blass.

„Herr Peer“, begann Bouffier ganz förmlich, „wir haben noch ein paar Fragen bezüglich des Auffindens des Ermordeten.“ Man sah diesem an, wie die Angst ihn beschlich. Außer Peer und den Polizisten war noch Perloff anwesend. Sie begaben sich in das Büro des Verwalters und setzten sich so, dass Peer Bouffier und Hinrich gegenübersaßen. Nur Perloff blieb stehen und meinte: „Wenn meine Anwesenheit nicht vonnöten ist, brauche ich ja nicht hier zu bleiben.“

„Nein, Herr Perloff, gehen Sie ruhig Ihrer Arbeit nach, Sie haben sicherlich Besseres zu tun, als uns zuzuhören“, entgegnete ihm Bouffier freundlich lächelnd. Als Perloff den Raum verlassen hatte, wandte sich der Polizeileutnant Peer zu: „Wir fragen uns, warum Sie ausgerechnet zu dieser Stelle im Wald gegangen sind, wo der Tote lag?“

„Das war Zufall, Herr Leutnant, reiner Zufall.“

„Aber man konnte die Leiche nur aus direkter Nähe sehen. Sie müssen praktisch darüber gestolpert sein.“

„Eigentlich war nicht ich es, der den Toten entdeckt hat, sondern mein Hund. Er rannte plötzlich dorthin und schlug an. Da hab ich nachgeschaut und den Toten gesehen.“

‚Den können wir schlecht verhören‘, dachte Bouffier, sprach es aber nicht aus. Er versuchte, sich an die Fußspuren Peers zu erinnern. Diese hatte Hinrich natürlich nicht untersucht, da es zunächst keinen Verdacht gegen ihn gab. Jetzt waren die Spuren längst verwischt, aber die Schuhgröße kannte man noch feststellen. Bouffier fuhr fort: „Wir wissen immer noch nicht den Grund Ihres Aufenthaltes an diesem Ort.“

„Ich bin durch den Wald gestreift und zufällig dort vorbeigekommen. Wollen Sie damit andeuten, dass ich wusste, wo der Tote lag?“ Peer schaute abwechselnd Bouffier und Hinrich an, und als diese nicht antworteten, fuhr er fort: „Soll das etwa heißen, dass sie mich sogar verdächtigen, den Halunken erschlagen zu haben?“ Im selben Moment ärgerte er sich über seine Wortwahl ‚Halunke‘ und biss sich auf die Lippe. Bouffier wählte mit voller Absicht eine einschüchternde Verhörmethode; er wollte Peer in die Enge treiben in der Hoffnung, dass der sich verplappert, falls er tatsächlich der Täter war. „Wie viel Paar Schuhe, die Sie im Winter tragen können, besitzen Sie?“, fragte er ihn. Dieser schaute ihn fassungslos an, Schweißperlen traten auf seine Stirn. „Nun, antworten Sie, Herr Peer!“

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