Buch lesen: «Zeit für Weiblichkeit»
Titel der englischen Originalausgabe:
Tantric Orgasm for Woman, Destiny Books
Ebook-Ausgabe 2018
Umschlaggestaltung: Silke Bunda Watermeier, www.watermeier.net
Übersetzung: Rajmani H. Müller, Jivana Werner
Copyright© Diana Richardson
Copyright© der Übersetzung, Innenwelt Verlag GmbH
Alle Rechte vorbehalten.
Nachdruck und fotomechanische Wiedergabe, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Innenwelt Verlag GmbH, Köln
eISBN 978-3-947508-08-2
DIANA RICHARDSON
Zeit für Weiblichkeit
DER TANTRISCHE ORGASMUS DER FRAU
Für die Liebe in jeder Frau
Inhalt
Vorwort
1.Das natürliche Orgasmuspotenzial der Frau
2.Orgasmus als spirituelle Erfahrung
3.Einen Orgasmus haben oder orgasmisch sein
4.Die Quelle orgasmischen Seins
5.Die Brüste sind der Schlüssel zum Orgasmus
6.Die Vagina spielt eine sekundäre Rolle
7.Die Klitoris und die Erregung
8.Der Einfluss der Frau auf die Erektion
9.Durch Entspannen zum Orgasmus
10.Liebe und Emotionalität
11.Die Frau als Liebespartnerin in Zeiten der Menstruation, Fruchtbarkeit, Schwangerschaft, Mutterschaft und Menopause
12.Tantrischer Orgasmus und gleichgeschlechtliche Partner
13.Die weibliche Kraft umarmen
Die symptothermale Methode der Fruchtbarkeitsbestimmung
Anhang
Danke!
Meinen aufrichtigen Dank möchte ich den vielen Frauen aussprechen, die im Laufe der Jahre ihre Erfahrungen mit mir teilten und von denen ich eine unschätzbare Menge gelernt habe. Insbesondere bin ich allen jenen Frauen dankbar, die mir die Erlaubnis gaben, ihre persönlichen Worte und Erfahrungsberichte zu verwenden. Dies hat enorm dazu beigetragen, ein wirklichkeitsgetreues Abbild weiblicher Sexualität zu vermitteln, und damit der Liebe.
Ich danke auch den Partnern dieser Frauen, die ich zitieren durfte, denn es waren ihre gemeinsamen Erfahrungen in der Liebe, die diese Beiträge aus erster Hand ermöglicht haben. Ich habe einige Erfahrungsberichte von Männern mitverwendet und danke ihnen, dass sie mir dies erlaubt haben.
Ich verbürge mich für die absolute Authentizität der von mir zitierten persönlichen Beiträge. Der Einfachheit halber und zum Schutz der Privatsphäre habe ich mich dafür entschieden, die einzelnen Personen, von denen die Beiträge stammen, nicht namentlich oder mit Initialen zu nennen.
VORWORT
IM SANSKRIT, DER URALTEN RELIGIÖSEN und klassisch-literarischen Sprache Indiens, steht das Wort Tantra in Verbindung mit Konzepten wie „Fähigkeit zur Erweiterung“ oder „etwas, das sich immer weiter ausdehnt“, aber auch mit Begriffen wie Kontinuum, Gewebe, Kontext und Transformation.1
Tantra lehrt die Bejahung unseres ganzen Seins: Von der Grobstofflichkeit des physischen Körpers bis hin zu den feinstofflichen Dimensionen der Seele. Im Tantra geht es um Energieumwandlung, um die Befreiung des Geistes, um die Verwirklichung unseres höchsten Potenzials.
Die harmonische Vereinigung der Gegensätze gilt als Weg zur Befreiung von der Identifikation mit Körper und Geist sowie zur Befreiung von dem scheinbar endlosen Kreislauf unbewusster Wiedergeburten. Tantra hatte schon vor mehr als fünftausend Jahren begriffen, wofür jetzt die moderne Wissenschaft durch die Erforschung der Chromosomen den Nachweis lieferte: Die Frau ist halb Mann und der Mann ist halb Frau.
Die inneren polaren Gegensätze in ein harmonisches Gleichgewicht zu bringen ist der Weg zur Erlangung unseres vollständigen Potenzials. Durch einen inneren alchemistischen Prozess wird die Frau transformiert, wenn sie bei der sexuellen Vereinigung völlig in ihrer weiblich-rezeptiven Seite aufgeht.
Dieses Buch, mein zweites über Tantra, ist im Wesentlichen eine Erforschung der tantrischen Erfahrung aus der weiblichen Perspektive. Auf den kommenden Seiten will ich versuchen, die wichtige Rolle zu beschreiben, die der weiblich-rezeptiven Energie im sexuellen Austausch zwischen Mann und Frau zukommt. Wenn wir von Sex reden, ist es nicht realistisch, eine klare Trennlinie zwischen weiblich und männlich zu ziehen, denn gerade im Sex gehen diese beiden polaren Energien die engste Verbindung überhaupt ein.
Allerdings gibt es bestimmte Aspekte der Sexualität, die ausschließlich auf die Frau zutreffen, und dieses Wissen ist ohne Frage vorteilhaft, um das sexuelle Erleben – der Frau ebenso wie des Mannes – positiv zu beeinflussen und zu intensivieren. Von diesem Wissen können aber auch Frauen profitieren, die keinen Partner haben, denn es vermittelt ihnen ein neues Gefühl für sich selbst und ihren Körper. In vielen Fällen zieht die Frau durch ihr neu gewonnenes Bewusstsein einen passenden Partner an.
Als Forschende, Lehrende und Schreibende über das Thema Sex bin ich gleichermaßen von Frauen und Männer ermutigt worden, über die Sexualität vom weiblichen Blickwinkel aus zu schreiben. Die Frauen haben mich direkt darauf angesprochen, und obwohl die Männer es mir nicht so offensichtlich zu verstehen gaben, fühlte ich mich indirekt ermutigt: durch ihr Verhalten und durch das, was ich in den letzten zwanzig Jahren von ihnen gelernt habe.
In dieser Zeit haben viele Paare die Making-Love-Seminare für Paare besucht, die ich zusammen mit meinem Partner Raja leite. In diesen Seminaren ereignen sich Tag für Tag wahrhaftige, sehr berührende Wunder. Viele Paare erleben hier wieder die dynamische Liebe, die sie ursprünglich zusammengebracht hatte, und es gelingt ihnen auch nach dem Seminar, in liebevoller Harmonie gemeinsam weiterzugehen.
Aber nicht alle Partnerbeziehungen verlaufen so, und manche Paare haben sich auch getrennt. Nach einer gewissen Zeit entstanden dann neue Beziehungen, und in Folge davon konnte ich in den Seminaren eine erstaunliche und ziemlich unerwartete Beobachtung machen: Männer, die bereits an meinen Gruppen teilgenommen hatten, tauchten plötzlich mit ihren neuen Partnerinnen wieder auf. Es sind die Männer, die wiederkommen, um diese andere Art von Sexualität mit der neuen Partnerin zu leben, weil sich durch diese tantrische Herangehensweise ihre Liebesfähigkeit erhöht. Überraschend war, dass die Frauen nicht so schnell wieder zum Seminar kamen, obwohl sie beim ersten Mal genauso begeistert waren wie ihre damaligen Partner. Erst in jüngster Zeit kommen manche Frauen wieder zum Seminar, mit dem neuen Liebsten im Schlepptau.
Die Tatsache, dass schon eine ganze Reihe von Männern, aber erst wenige Frauen mit neuen Liebespartnern in den Seminaren wieder aufgetaucht sind, hat mir zwei wichtige Einsichten vermittelt: Einerseits, dass wir Frauen offenbar Angst haben, mit unserem Partner über Sex zu reden, und uns scheuen, ihm offen zu sagen, was unser Körper am liebsten mag. Wir scheuen uns, den Partner auf Alternativen zum üblichen Sex aufmerksam zu machen.
Die größte Angst der Frau ist wohl, ihren Partner zu verlieren bzw. für ihn sexuell nicht mehr attraktiv zu sein, wenn sie neue Wege geht. Aber so traurig es ist: Wenn wir Frauen uns mit dem herkömmlichen Sex begnügen – der im Grunde eine Verzerrung männlicher Sexualität darstellt –, geben wir unseren einzigartigen femininen Zauber und unsere weibliche Kraft weg.
Die zweite Einsicht ist viel ermutigender und wird hoffentlich den Frauen Mut machen, sich im sexuellen Bereich stärker durchzusetzen: Die Tatsache, dass die Männer mit ihren neuen Partnerinnen wiederkommen, zeigt eindeutig, dass die Männer, wenn sie erst einmal eine Kostprobe von dieser anderen Form der Sexualität hatten, auf den Geschmack kommen. Aber wie soll der Mann auf den Geschmack kommen, wenn er es noch nie kennengelernt hat? Oft ist also ein Vorgeschmack tantrischer Sexualität notwendig, damit Sehnsucht danach entsteht.
Von Männern, aber auch von Frauen, die noch keine persönlichen Erfahrungen mit Tantra haben, höre ich öfter die Bemerkung: „Tantra scheint doch eher etwas für Frauen zu sein als für Männer!“
Durch meine eigenen Nachforschungen und aufgrund der positiven Reaktionen meiner männlichen Seminarteilnehmer kann ich aber mit aller Bestimmtheit sagen: „Nein, Tantra ist keineswegs nur für Frauen, es ist garantiert was für Männer!“
Tantra ist also nicht etwas, das nur dazu da ist, Frauen glücklich (und die Männer weniger glücklich) zu machen. Und es ist auch keine Taktik, um den Frauen mal für ein Weilchen das Ruder zu überlassen. Jeder Mann, der einmal auf den Geschmack von diesen wundervollen Tiefen und Höhen einer sich ausdehnenden sexuellen Energie gekommen ist, will es unweigerlich wieder erleben! Aber solange wir Frauen den Männern unsere wahre Weiblichkeit vorenthalten – wie und wo und wann sollen sie dann je auf den Geschmack kommen?
Hier und da findet man vielleicht eine Frau, die es auf natürliche Weise versteht, die sexuelle Energie des Mannes beim Sexakt in sich aufzunehmen und nach oben zu kanalisieren, sodass sie mit ihrem Partner eine höhere sexuelle Dimension erlebt. Es ist wichtig zu wissen, dass eine Frau diese Kunst bewusst lernen kann und so den Mann in eine Sphäre sich ausdehnender sexueller Energie mitnimmt – was ihr selbst größere sexuelle Erfüllung bringt. Die Frau hat von Natur aus allein aufgrund ihres weiblichen Geschlechts die Fähigkeit, in diese Sphäre einzutreten. Als rezeptiver Pol der männlich-weiblichen Dynamik kann die Frau nach innen gehen und den Mann mit sich ziehen bzw. mit emporheben. Das ist die Kraft, die ihr von Natur aus gegeben ist. Durch ihre Empfänglichkeit, ihr Mitfließen und ihre Hingabe wird eine solche innere Bewegung möglich.
Umgekehrt ist das nicht unbedingt der Fall. Für den Mann als aktiver Pol ist es im Allgemeinen nicht so einfach, diese Tür zu öffnen und die Frau in sich aufzunehmen. Um dazu in der Lage zu sein, muss der Mann eine große innere Stille und Klarheit über seine wirkliche männliche Autorität haben. Wenn das empfängliche (weibliche) Element nachgibt und das, was ihm entgegenkommt, wirklich aufnimmt, wird aufgrund dieser Empfänglichkeit die dynamische (männliche) Energie aktiviert und kommt ins Fließen. Dadurch kann der Mann auf mühelose und natürliche Weise der Frau in höhere Energiebereiche folgen und wortlos mitfließen – wenn er in der glücklichen Lage ist, auf solch eine rezeptive weibliche Energie zu treffen.
Eine sexuelle Neuorientierung ist notwendig, und sie muss im Wesentlichen von der Frau ausgehen. Diese neue Erziehung in Sachen Sex muss in den Frauen Wurzeln schlagen und sich von ihnen ausgehend in der Gesellschaft verbreiten – über die Ehemänner, Liebhaber, One-Night Stands, über Mütter, die es ihren Töchtern vermitteln, und Väter, die es den Söhnen beibringen. Was es braucht sind Frauen, die anfangen für sich selbst zu sprechen, sich äußern über ihre wirklichen Bedürfnisse und Empfindungen – und dass die Männer diese Botschaften unbedingt beachten. Das höchste Potenzial wirklicher sexueller Erfüllung und Liebe zwischen Frau und Mann liegt auf ihrem gemeinsamen Weg der sexuellen Selbsterforschung.
Nichtsdestotrotz kann die Frau auch ohne bewusste Mitwirkung des Mannes viel bewirken. Sex ist uns so nahe wie nur irgendetwas, Sex erreicht, berührt und verändert jede einzelne Zelle unseres Körpers. Durch das Erforschen unserer Sexualität können wir – jenseits aller gesellschaftlichen Fassaden und Konventionen, hinter denen wir für gewöhnlich unser tieferes sexuelles Selbst verbergen – entdecken, wer wir in Wirklichkeit sind.
Die Quelle meiner tantrischen Inspiration und Unterweisung ist Osho, mein spiritueller Meister. Osho lehrt Meditation nicht als bloße Übung, sondern als Lebensweise. Er ist ein Mystiker, der die zeitlose Weisheit des Ostens auf die drängenden Fragen anwendet, mit denen Männer und Frauen in unserer heutigen Zeit konfrontiert sind. Er spricht vom Streben nach Harmonie, Ganzheit und Liebe, das den Kern sämtlicher religiöser und spiritueller Traditionen bildet, und beleuchtet für uns die Essenz von Christentum, Hassidismus, Buddhismus, Sufismus, Tantra, Tao, Yoga und Zen.
Es fehlen mir die Worte, um meiner großen Dankbarkeit Ausdruck zu verleihen – für seinen tief gehenden, anhaltenden Einfluss auf mein Leben. Oshos Interpretationen der alten tantrischen Schriften stellen eine herausragende, umfangreiche Sammlung von Wissen und Erkenntnis dar, die mir glücklicherweise zugänglich gewesen ist, seit ich Mitte zwanzig war.
Tantra ist jenseits aller Techniken. Es ist ein tiefgreifender Weg der Selbstentdeckung und Selbsttransformation, ein alchemistischer Umwandlungsprozess der Basisenergien in höhere, spirituelle Erscheinungsformen verwandelt. Auf diesem Weg kann zwar manche Technik benutzt werden, aber das Geheimnis von Tantra besteht darin, unser sexuell Unbewusstes ins volle Licht der Bewusstheit zu bringen.
„Tantra ist die Umwandlung von Sex in Liebe – durch Bewusstheit“, sagt Osho. Das bedeutet, dass es unendlich viel wichtiger ist, wie wir etwas tun, als was wir tun.
Es ist mir eine Ehre, einige Kostproben von Oshos tantrischen Inspirationen hier und da in dieses Buch einzustreuen. Vielleicht mag es die Leserin und den Leser interessieren, dass Oshos Worte, die hier als schriftliche Texte wiedergegeben sind, ursprünglich in spontanen mündlichen Vorträgen völlig aus dem Stegreif und ohne jede Vorbereitung in Zusammenkünften mit Schülern und einem interessierten Publikum in Indien übermittelt wurden. Erst später wurden sie in Buchform veröffentlicht. Ich möchte betonen, dass die in diesem Buch wiedergegebenen Zitate nur eine sehr kleine, von mir getroffene Auswahl darstellen. Sie repräsentieren in keiner Weise die enorme Bandbreite und außergewöhnliche Vielfalt und Tiefe von Oshos spirituellen Einsichten in die menschliche Natur.
OSHO ÜBER SEX
In meinem Namen sind (bisher) fast vierhundert Bücher erschienen. Von all diesen Büchern handelt nur ein einziges Buch von Sex, und auch in diesem geht es nicht wirklich um Sex. Vielmehr geht es darum, wie Sex transzendiert werden kann, wie man die sexuelle Energie in einen sublimierten Zustand überführen kann – denn sie ist unsere Grundenergie, sie kann Leben hervorbringen… Aber nur dem Menschen ist es Vorbehalten, Wesen und Qualität der sexuellen Energie zu verändern. Der Name dieses Buches lautet „Vom Sex zum kosmischen Bewusstsein“* – aber keiner verliert ein Wort über das kosmische Bewusstsein. Doch darum geht es in diesem Buch, um das kosmische Bewusstsein. Sex ist nur der Anfang – dort, wo alle sind.
Es gibt Methoden, wie diese Energie zum Aufsteigen gebracht werden kann, und im Osten hat sich seit mindestens zehntausend Jahren dafür eine spezielle Wissenschaft entwickelt: Tantra. Der Westen kennt keine Parallele zu einer solchen Wissenschaft. Seit zehntausend Jahren hat es Menschen gegeben, die damit experimentiert haben, sexuelle Energie in Spiritualität umzuwandeln, und herauszufinden, wie Sexualität zu Spiritualität werden kann. Dass es möglich ist, wurde jenseits allen Zweifels bewiesen. Tausende von Menschen haben eine solche Transformation erfahren. Es scheint, dass Tantra als Wissenschaft früher oder später auf der ganzen Welt Anerkennung finden wird. Die Menschen leiden an allen möglichen Perversionen. Nur deshalb reden die Leute ständig von Sex – als würde darin meine ganze Arbeit bestehen, als würde ich vierundzwanzig Stunden am Tag nur über Sex reden. Das Problem ist ihre eigene unterdrückte Sexualität.
Mein ganzes Bemühen geht dahin, eure Sexualität zu einem natürlichen, akzeptierten Phänomen zu machen, damit nichts unterdrückt zu werden braucht. Dann braucht ihr keine Pornografie; dann braucht nichts unterdrückt zu werden, dann träumt ihr auch nicht vom Sex.
Dann kann diese Energie umgewandelt werden. Es gibt brauchbare Methoden, mit deren Hilfe dieselbe Energie, die neues Leben auf die Welt bringt, euch selbst ein neues Leben geben kann. Das ist das ganze Thema dieses Buches. Aber niemanden interessiert dieses Thema, und niemanden interessiert es, weshalb ich darüber sprach. Allein das Wort Sex im Titel … das reicht! Das Buch ist nicht für Sex. Tatsächlich ist es das einzige existierende Buch, das gegen den Sex ist, aber seltsam … Dieses Buch sagt, dass es einen Weg gibt, den Sex zu transzendieren, über den Sex hinauszugelangen – denn das bedeutet „Vom Sex zum kosmischen Bewusstsein“.
Ihr seid noch auf der Stufe des Sex, obwohl ihr schon auf der Stufe des kosmischen Bewusstseins sein könntet. Der Weg ist einfach: Sex muss zu einem Teil eures religiösen Lebens werden; er sollte euch heilig sein. Sexualität sollte nichts Obszönes, Pornografisches sein und sie sollte nicht verurteilt und unterdrückt, sondern voller Ehrfurcht gewürdigt werden, denn schließlich sind wir daraus geboren. Sie ist unsere Lebensquelle. Und die Lebensquelle zu verurteilen bedeutet, alles zu verurteilen. Sex sollte auf immer höhere Stufen gehoben werden, bis zu seinem höchsten Gipfel. Und dieser höchste Gipfel ist Samadhi, kosmisches Bewusstsein.
Osho, Sex – Das missverstandene Geschenk
* Dies ist der Originaltitel des englischen Buches „From Sex to Superconsciousness“, das mittlerweile in Deutsch unter dem Titel „Sex – Das missverstandene Geschenk“ publiziert ist.
1. Kapitel
Das natürliche Orgasmuspotenzial der Frau
JEDE FRAU AUF DIESER WELT IST mit der Fähigkeit geboren worden, die Ekstase des Orgasmus zu erleben. Mutter Natur hat in ihrer unbeirrbaren Weisheit den weiblichen Körper in besonderer Weise ausgestattet, um diese Erfahrung zu machen. Alle Frauen haben das Potenzial, ihre Sexualität voll und ganz zu leben – als bewusste, lenkende Kraft. Und obwohl die Natur dies aufrichtig für uns vorgesehen haben mag, können im realen Leben nur wenige Frauen von sich sagen, dass sie in der Lage sind, ihre orgasmischen Erfahrungen selbst zu steuern. Stattdessen bleibt der Orgasmus für die meisten Frauen eine ziemlich unberechenbare Angelegenheit, die sich hin und wieder einstellt und mehr auf einer gelungenen Orchestrierung zu beruhen scheint als auf der intimen Kenntnis unserer inneren Beschaffenheit. Die Liebe wird so zu einer Erfahrung mit ständigen Höhen und Tiefen. Sie scheint nie lange bei uns zu bleiben, ist launisch wie der Wind – heute hier, morgen da. Viele Frauen, in deren Leben die Liebe fehlt, leiden unsagbar darunter und erleben häufig Zustände akuter Depression und Verzweiflung.
Diese unglückliche Situation ist zum großen Teil auf mangelnde Kenntnis des weiblichen Körpers und des Wesens der weiblichen Energie zurückzuführen. Den Frauen fehlt einfach das Wissen, wie sie einen orgasmischen Zustand willentlich herbeiführen und das göttliche Geschenk des Orgasmus zu einem festen Bestandteil ihres Lebens machen können. In diesem Wissensvakuum fehlen Frauen intime und fachliche Informationen über sich selbst. Infolge dieser Naivität in Bezug auf ihren Körper, handeln sie oft unbewusst gegen ihr eigenes, besseres Interesse – im Leben, in der Liebe und beim Sex.
Kürzlich hat ein Mann, der mit seiner Frau an einem meiner Paarseminare teilgenommen hatte, am Ende der Gruppe seine Erfahrungen mit folgenden Worten zusammengefasst: „Es ist einfach unfassbar! Da habe ich mich nun fünfunddreißig Jahre lang bemüht ein wirklich guter Liebhaber zu werden, um jetzt hier innerhalb von einer Woche zu entdecken, dass alles, von dem ich dachte, es würde eine Frau anmachen, in Wirklichkeit genau das Gegenteil bewirkt.“
Seine Beobachtung war richtig. Ich selbst habe festgestellt, dass bei fast allem, was die Leute über Sex denken und reden, genau das Gegenteil für mich zutrifft. In der Summe haben all diese irrigen Vorstellungen über Sex zur Folge, dass Frauen generell mit ihrem Sexualleben alles andere als glücklich sind und es aus den unterschiedlichsten Gründen für ziemlich unbefriedigend halten. Das mag vielleicht am Anfang einer sexuellen Beziehung noch nicht so zutreffen, aber wenn man den Erzählungen vieler Frauen Glauben schenkt, wird nach einer gewissen Zeit die Unzufriedenheit zur Regel. Der Körper beginnt sich mehr und mehr zu verschließen. Enttäuschung, Unlust und allgemeines Desinteresse am Sex machen sich breit. Für manche Frauen vollzieht sich dieser Umschwung innerhalb von wenigen Monaten, bei anderen kann es Jahre dauern. Wie schnell diese Veränderung vor sich geht, ist weniger bedeutsam als die Tatsache, dass dieser Rückzug aus der Sexualität bei den Frauen so weit verbreitet ist.
Wenn die Frau ihren Körper nicht kennt und nicht weiß, wie sie ihre weibliche Energie ausdehnen kann, wird sie beim Sex automatisch nur reduzierte, begrenzte Erfahrungen machen können – und damit auch in der Liebe! Und wenn diese Realität auf die Frau zutrifft, trifft sie natürlich auch für den Mann zu. Wenn die Frau sexuell auf Sparflamme lebt und liebt, wird auch ihr männlicher Partner (dessen Energie die weibliche als polar entgegengesetzte Kraft ergänzt) sich nur auf diesem minimalen Niveau bewegen.
Der sexuelle Notstand zeigt sich bei vielen Frauen durch ihre enormen Schwierigkeiten, einen Orgasmus zu haben. Wie oft haben Frauen mir ihre Befürchtungen anvertraut, dass mit ihnen grundsätzlich etwas nicht stimmen könne, weil sie überhaupt nie zum Orgasmus kommen. Oder sie machen sich Sorgen, weil sie oft eine Stunde oder länger brauchen, bis sie zur Penetration ein wirkliches Ja in sich fühlen. Oder sie berichten, dass der Sex mit der Zeit jede Anziehung für sie verloren habe, wohl aber die Sehnsucht nach Zärtlichkeit und Intimität geblieben sei.
Wenn uns solche negativen Gedanken durch den Kopf gehen, können alte, nie ausgedrückte Gefühle von „Nichts-wert-sein“ und Unzulänglichkeit hochkommen; und schnell untergräbt die Unsicherheit die Freude unseres liebenden Herzens. Für die Frau kann sexuelle Unzufriedenheit zur akzeptierten, ja geradezu erwarteten Regel werden. In Frauenzeitschriften findet man ständig Ratschläge für besseren Sex und über den weiblichen Orgasmus – Hinweise und Tipps für die Frauen, wie sie leichter einen Orgasmus bekommen können. Solche Artikel sprechen zwar offen über sexuelle Themen (was in unseren Alltagsgesprächen eine Seltenheit ist) und geben deshalb so mancher Frau für eine gewisse Zeit etwas Trost und Erleichterung. Aber diese Ratschläge berühren, wenn überhaupt, nur die Oberfläche eines viel tiefer gehenden Bereiches unserer Sexualität, der für uns alle existent ist. Die in diesen Zeitschriften gegebenen Antworten verdeutlichen den herrschenden Mangel an konkreten, stimmigen Informationen über den weiblichen Körper. Wann haben wir denn zuletzt etwas wirklich Neues und Inspirierendes zu diesem Thema gehört? Etwas, das funktioniert? Etwas, das sich richtig anhört und richtig anfühlt? Etwas, das im Körper, im Herzen und in der Seele der Frau Resonanz findet?
Wahr ist: Dein Körper ist fähig tiefe und intensive, erfüllende Orgasmen zu erleben. Der Schlüssel liegt darin, nach innen zu gehen und die physischen Empfindungen im eigenen Körper wahrzunehmen – ohne zu urteilen. Sammle Informationen über die Reaktionen deines Körpers.
Was fühlst du, wenn du mit deinem Partner Sex hast?
Was spürst du, wenn du mit dir Sex hast?
Was genießt du?
Was irritiert dich?
Was hinterlässt in dir ein Gefühl tiefer Enttäuschung?
Vergiss nicht: Solange du ehrlich bleibst, wirst du sehen, dass Gefühle immer wahr sind. Kein Gefühl kann jemals „falsch“ sein. Zum Beispiel, wenn dein Partner in höchster Erregung plötzlich total in Fahrt kommt und immer härter und schneller auf seinen Höhepunkt zusteuert (der sogenannte „Presslufthammer“) … Fühlst du dich dann unsichtbar, im Stich gelassen, von einer Woge der Enttäuschung überrollt, weil er gleich wieder fix und fertig sein wird, während du selbst noch nicht einmal angefangen hast, warm zu werden?
Oder wenn dein pflichtbewusster Partner das Gefühl hat, zuerst dich befriedigen zu müssen, bevor er sich selber Befriedigung verschafft, und sich nun abmüht, dich durch Stimulieren der Klitoris zum Orgasmus zu bringen. Und weil er so bemüht ist, alles „richtig“ zu machen, bringst du es nicht übers Herz, ihn zu kritisieren. Aber eigentlich reibt er doch zu fest, oder zu schnell? Oder du bist zu trocken? Stehst du dann unter Leistungsdruck und hast das Gefühl, du müsstest dich beeilen und endlich den Höhepunkt erreichen, damit er endlich zur „Sache“ kommen kann – zur Penetration und Ejakulation?
Machst du dir Sorgen, es könnte ihn langweilen, wenn er dich stimuliert? Oder wird dir plötzlich selber langweilig? Gehst du manchmal aus deinem Körper raus und schreibst in Gedanken deinen Einkaufszettel? Oder fällt dir plötzlich ein, dass du deinem Jüngsten für den morgigen Schulausflug noch ein paar Brote schmieren musst? Oder steigst du auf irgendeine andere Weise aus deinem physischen Körper aus, etwa indem du dich in eine heiße sexuelle Fantasie hineinsteigerst, um zum Höhepunkt zu kommen? Oder hast du eigentlich schon das Interesse verloren, machst aber trotzdem weiter mit deiner Fantasie, nur weil dein Partner sonst enttäuscht wäre und sich nicht gut fühlen würde, wenn er es nicht schafft, dich zum Orgasmus zu bringen? Und täuschst du gelegentlich sogar einen Orgasmus vor, nur um die ganze leidige Sache endlich hinter dich zu bringen?
Damit bist du nicht allein. Leider kennen heutzutage die meisten Frauen einige oder alle dieser Gefühlszustände aus eigener Erfahrung. Aber all diese Vorstellungen lassen eine essenzielle Wahrheit außen vor: dass dein Körper absolut dazu imstande ist, einen tiefen, anhaltenden, total erfüllenden orgasmischen Zustand zu erleben.
Der Orgasmus ist aber kein Ziel, das wir erreichen, indem wir darauf losgehen – wenn wir das Richtige machen oder das Richtige denken. Vielmehr ist der Orgasmus ein Seinszustand, der sich auf ganz natürliche Weise einstellt, wenn wir uns beim Sex mehr entspannen. Durch Entspannung öffnet sich die Frau für ihr inneres Erleben und holt das Zentrum ihrer Aufmerksamkeit nach innen, zu sich selbst zurück. Dadurch kann sich das exquisite Zusammenspiel der männlich-aktiven und weiblichrezeptiven Energien entfalten und für beide, Mann und Frau, zu einer länger andauernden, lustvollen Erfahrung aufblühen. Jetzt könntest du die berechtigte Frage stellen: „Wenn das wahr ist, wieso wissen dann nicht mehr Menschen darüber Bescheid? Warum ist sexuelle Unzufriedenheit für so viele Frauen eher die Regel statt die Ausnahme?“
Man könnte es so beantworten: Wir Menschen bleiben, wenn es um unsere wahre sexuelle Natur geht, unwissentlich kurzsichtig. Wir haben keine Ahnung von unserem höheren Potenzial, und wie wir Zugang zu ihm bekommen. So wie die Dinge stehen, sind wir bei der üblichen Art, wie Sex praktiziert wird, weder körperlich noch seelisch sensibel, offen und empfänglich genug, um eine höhere sexuelle Erfahrungsebene einzuladen – beziehungsweise uns von der göttlichen Energie berühren zu lassen, was eine präzisere Beschreibung wäre. Eigentlich sind wir die Gastgeber und das Göttliche ist unser Gast, aber damit das Göttliche in uns eintreten kann, muss erst der Raum dafür geschaffen werden.
Die heute allgemein akzeptierte Ansicht über „normalen“ Sex hält die Frauen in Abhängigkeit von einer männlich geprägten Sexualität. Diese lässt dem ebenso wichtigen weiblich-rezeptiven Gegenpol keinen Raum, sich sexuell so auszudrücken, wie es dem weiblichen Wesen und der weiblichen Energie entspricht. Die gängige männlich orientierte Vorgehensweise ist geprägt von einem nach außen gerichteten, nach Erregung heischenden sexuellen Verhalten, durch das die ureigensten weiblichen Qualitäten förmlich an die Wand gedrückt und „platt gewalzt“ werden. Durch den üblichen Sexstil wird der Same von Unzufriedenheit und sexuellen Fehlfunktionen fest eingepflanzt – und zwar in beide Geschlechter! Im Grunde sind es gerade die weiblichen, empfindsamen Qualitäten (sofern sie nicht durch kulturelle Fehlleitung deformiert sind), die das Eintreten eines orgasmischen Zustandes bei Frau und Mann ermöglichen. Dazu muss die Frau körperlich mehr in ihrer Mitte ruhen und sich entspannen, damit sie die echte männliche Kraft in sich aufnehmen, sie umwandeln und durch ihre weiblich-rezeptive Kraft auf eine höhere Ebene heben kann.
Heutzutage unterstützen viele Frauen unwissentlich, oft aber auch wissentlich, die Dominanz des Mannes im sexuellen Verhalten. Viele Frauen berichten von häufig schmerzhaften Erfahrungen während und nach dem Geschlechtsverkehr, die sie aber stillschweigend über sich ergehen lassen, um den Partner zufrieden zu stellen. Zahllose Frauen nehmen es als unvermeidlich hin, dass Sex für sie eine grobe, aggressive Erfahrung ohne jeden Ausdruck von Zärtlichkeit und Liebe bedeutet. Ich erinnere mich, wie mir während eines Seminars eine Frau erzählte, sie hätte keine Ahnung gehabt, dass Sex so behutsam und sanft sein kann. Oft machen wir Frauen bei dem allgemein üblichen „Geschlechtsverkehr“ auch einfach deshalb mit, weil „man es schon immer so gemacht hat“ und es uns deswegen inzwischen völlig „normal“ vorkommt. Wir haben einfach keine Ahnung, dass man es auch ganz anders machen könnte.
Infolge der unbewussten gesellschaftlichen Konditionierung der Frau treten die ureigensten weiblichen Qualitäten häufig deformiert in Erscheinung:
. Aus Weichheit wird Schwäche
. Aus Rezeptivität passive Resignation.
. Aus Fürsorglichkeit Bevormundung.
. Aus der Schönheit der Hingabe Unterwürfigkeit.
. Einfühlungsvermögen wird zu klebriger Anhänglichkeit.
. Die Fähigkeit zu geduldigem Abwarten maskiert sich als Trägheit.