Wundersame Geschichten II

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Wundersame Geschichten II
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.


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ISBN 978-3-89969-238-9

Copyright © 2020 by PRINCIPAL Verlag, Münster/Westf.

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ISBN 978-3-89969-238-9

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Printed in Germany

Detlev Stäcker






Wundersame Geschichten II




PRINCIPAL VERLAG

Blackie


In Weybridge, einem der kleinen, typisch englischen Orte in der Grafschaft Surrey westlich von London, gibt es außer dem, was in jedem englischen Städtchen zu finden ist – einer alten Kirche, einer Hauptstraße, an der die meisten Geschäfte liegen, einem Village Green für die Cricketspieler und den Häusern im Grünen –, einen besonderen Friedhof für Hunde. Jedermann weiß, dass die Engländer Tierliebhaber sind. Hunde stehen ihnen, wie man durchaus den Eindruck gewinnt, wenn man England näher kennenlernt, emotional von allen Tieren am nächsten. Sie gehören zur Familie, werden oft wie Familienmitglieder behandelt und deswegen auch häufig begraben, wenn sie sterben, und nicht nur beseitigt, wie das sonst meistens der Fall ist.

Dieser Friedhof ist alt, etwas abgelegen zur Themse hin und nicht besonders gepflegt. Es gibt dort keine rechte Aufsicht, wie auf den Friedhöfen für Menschen, wo dafür gesorgt wird, dass die Würde der Toten durch Ordnung und Pflege der Grabstätten gewahrt wird. Aber es gibt auch in den Reihen der Grabstätten für die Hunde von Weybridge etliche, die durch ihre Pflege – manchmal Blumen, Grabsteine oder sogar ein dem Gedenken eines treuen Wegbegleiters gewidmetes Denkmal – auffallen. Die Aufschriften auf den Steinen und Gedenkplatten geben oft beredten Eindruck von Trauer und treuem Gedenken, wenn man sie denn noch lesen kann, so altersverwittert sind manche von ihnen.

Eines der Gräber, die einem auffallen, wenn man durch die Reihen geht, liegt vor einer hohen Hornbeam-Hecke ziemlich am Ende des Platzes. Auf einem mit Efeu begrünten, kleinen, von Steinen eingefassten Platz steht ein weißer Stein, auf dessen polierten Seite die Silhouette eines liegenden Hundes mit erhobenem schlankem Kopf, langem Fang, aufstehenden, spitzen Lauschern und langer, buschiger Rute eingemeißelt und schwarz ausgemalt ist. Das Bild erinnert den, der sich etwas in ägyptischer Mythologie auskennt, an die Abbildungen von ›Anubis‹, der Vorstellung der frühen Ägypter von einem Gott ihres Totenreiches, der nach ihrem Glauben die Toten auf ihrem Weg in das Leben nach dem Tode betreute, für ihre Einbalsamierung und die sonstigen Riten verantwortlich war und ihre Gräber bewachte. Darunter steht in großen Buchstaben ›Blackie‹ und weiter in kleinerer Schrift: ›Warum hast du mich verlassen? Du wirst mir immer fehlen. Amy.‹ Und dann ein fünfzehn Jahre zurückliegendes Datum. Im Grün vor dem Stein steht eine schlanke dunkle Vase mit einer künstlichen Lotosblüte. Der Platz sieht aus, als werde er ständig gepflegt.

* * *

Wie merkwürdig, dachte ich, als ich an einem Frühsommertag bei einem Spaziergang durch Weybridge zufällig auf diesen den Hunden gewidmeten Begräbnisplatz gestoßen war und plötzlich vor dem Gedenkstein für ›Blackie‹ stand. Merkwürdig, weil mir bei der Besichtigung von St. James, der alten Ortskirche und ihres Friedhofs eine Stunde zuvor ein ähnliches Grab mit einem weißen Stein, gleicher Bepflanzung und gleicher Lotosblüte wegen seiner Eigenart und besonderen Pflege aufgefallen war. Da mein Weg zurück wieder an St. James vorbeiführte, suchte ich aus Neugier noch einmal das dortige Grab auf und sah meine Vermutung bestätigt, dass hier die Herrin von Blackie ihre letzte Ruhe gefunden hatte. Auf dem Stein war ihr voller Name verewigt: Amy Burgess. Nach ihren Lebensdaten war sie vor zwei Jahren im Alter von nur 46 Jahren verstorben, offenbar unter unglücklichen Umständen, denn Amy Burgess‘ Lebensdaten folgte die Aufschrift: ›Mit Blackie an ihrer Seite hätte sie ihr Leben nicht so früh vollendet‹. Das bestätigte den Zusammenhang der beiden Gräber.

Während ich über diese Merkwürdigkeit nachdachte, sprach mich jemand von hinten mit einer leisen, etwas brüchigen Stimme an. »Mein Herr, sind Sie vielleicht ein Verwandter oder alter Freund von Amy Burgess?«

Ich war überrascht und sagte im Umdrehen: »Nein, nein, mir sind nur die Ähnlichkeiten zwischen diesem und einem anderen Grab aufgefallen ...«

»Sie meinen das für Blackie auf dem Hundefriedhof, nicht wahr? Das ist kein richtiges Grab, nur ein Gedenkstein.«

Vor mir stand eine ältere Frau mit einem fein geschnittenen Gesicht unter den streng gescheitelten grauen Haaren, die über ihrem dunklen, langen Kleid ein graues Tuch um die Schultern trug und mich aus hellblauen Augen aufmerksam ansah.

»Sie sind ein Fremder?«, stellte sie halb fragend fest, und als ich bestätigend nickte, fuhr sie fort: »Manche, die an diesem Grab stehen bleiben, weil sie sich für Grabinschriften interessieren, rätseln über den Zusatz, der sich auf Blackie bezieht. Die nehmen in der Regel an, dass es sich bei Blackie um einen Mann gehandelt haben muss, der diesen Beinamen wegen einer Besonderheit seines Haupthaares oder Bartes oder sogar wegen eines dunklen Aussehens trug. Und dabei war Blackie nur ein Hund, wenn auch ein ganz besonderer. Bisher bin ich noch niemandem begegnet, dem die Ähnlichkeit der beiden Plätze aufgefallen ist und der darüber nachgedacht hat. Denn wer von den Fremden, die unseren Ort besuchen, findet schon den Weg auf den Hundefriedhof, der sogar den meisten Einheimischen suspekt ist.«

Nach kurzem Nachdenken ergänzte sie: »Das ist ja eigentlich kein Wunder, weil die Beziehung zwischen einem Menschen und einem Hund so höchstpersönlich ist, dass sich weder aufseiten des Menschen und natürlich nicht auf der des Tieres jemand in die Beziehung eingebunden fühlt und an einem Hundebegräbnis Interesse nimmt.«

Halb neugierig geworden fragte ich: »Haben Sie zufällig Amy Burgess und möglicherweise diesen merkwürdigen Hund Blackie gekannt? Gibt es da eine besondere Geschichte, wie es die Inschriften auf den beiden Steinen vermuten lassen?«

»Doch, ja, ich kannte beide recht gut. Ich war die Nachbarin von Amy Burgess, hier in Weybridge. Ich habe damals dafür gesorgt, dass das Grab für Amy nach ihren Wünschen so gestaltet wurde, wie der Platz, den sie mit großem Kummer ihrem Hund Blackie widmete. Sie hat Wochen darüber gegrübelt. Ich habe ihr bei der Anlegung geholfen. Ich kümmere mich seitdem ein bisschen um den alten Hundefriedhof. Der alte Jesse, der das früher tat, lebt seit Langem nicht mehr.«

»Können Sie mir nicht ein bisschen mehr erzählen? Dies klingt nach einer Geschichte abseits des Üblichen.«

Die alte Frau bedachte sich eine Weile. Schließlich willigte sie ein. »Ich habe nie darüber geredet. Wer sollte sich schon dafür interessieren? Sie sind der Erste. Sie müssen aber etwas Geduld mit mir haben, sie braucht ihre Zeit. Ich heiße übrigens Jennifer Conston und bin die Gemeindehelferin von St. James und war, wie bereits erwähnt, für Jahre Nachbarin der Burgess’ hier in Weybridge in der Oak Lane.« Sie wies auf eine Bank zwischen zwei alten Eiben. »Wollen wir uns nicht setzen? Ich kann leider nicht mehr lange stehen.«

Und sie begann mit ihrer ruhigen, etwas brüchig wirkenden Stimme die wundersame Geschichte von einer Frau, deren Leben sich änderte, als sie in einem ›Kennel‹, einem Hundezwinger, in Weybridge einen verlassenen Hund sah und kaufte. Frau Conston unterbrach sich nur einmal für ein paar Minuten, um aus der kleinen Küche in einem Anbau der Kirche zwei Becher mit Tee und ein Schüsselchen mit Shortbread zu holen.

»Zu Hause bei mir hätten wir es bei diesem schönen Wetter eigentlich nicht viel gemütlicher haben können«, sagte sie. Sie redete fast zwei Stunden und war dann immer noch nicht am Ende. Die Zeit wurde mir nicht lang.

* * *

Amy Burgess war die einzige Tochter von Jonathan Burgess, dem pensionierten Oberst eines renommierten Infanterieregiments und seiner Frau Mary, einer geborenen Redcliffe, einer alten adeligen Offiziersfamilie. Amy wurde 1930 in Kairo geboren, als ihr Vater und sein Regiment Dienst in Ägypten taten. Nach dem Ausscheiden des Vaters aus der Armee 1937 kauften die Eltern das Haus in der Oak Lane in Weybridge und wurden unsere Nachbarn. Das arme Mädchen war durch eine frühe Erkrankung an Kinderlähmung stark behindert. Als ich sie kennenlernte, war sie gerade so weit, dass sie mit zwei Krücken wieder laufen gelernt hatte. Das Mädchen tat mir von Herzen leid. Ich war damals Ende zwanzig. Wie oft bin ich mit ihr durch den Garten oder auf dem Village Green spazieren gegangen. Dabei habe ich sie besser kennengelernt und bewundert, mit welcher Energie sie sich bemühte, die Folgen der Krankheit zu überwinden und ihr Handicap zu meistern. Das hat sie ja auch geschafft, jedenfalls so weit, dass sie nach einer gewissen Zeit nur noch einen Handstock brauchte und sich damit mühelos bewegen konnte, wenn sie nicht gerade in schwierige Situationen kam. Davon wird später die Rede sein.

 

Amy wurde zunächst zu Hause unterrichtet, kam, als sie einigermaßen laufen konnte, auf ein ausgezeichnetes Internat im Westen Surreys, nicht weit von Weybridge, wo man auf ihre Behinderung Rücksicht nahm. Sie entwickelte sich geistig hervorragend bis zur Collegereife. Die Weiterbildung auf einem College oder an einer Universität glaubten die Eltern ihrer Tochter jedoch nicht zumuten zu können. Da sie – besonders vonseiten der Mutter – recht vermögend waren, kam es nicht so darauf an, dass sie später ihr Brot als Lehrerin oder in einem anderen Beruf verdiente, der eine Collegeausbildung voraussetzte. Im Übrigen ging es Mrs Burgess zu der Zeit gesundheitlich nicht mehr so gut. Sie wollte ihre Tochter deswegen gern in ihrer Nähe haben. Da die aber selbst darauf bestand, etwas außerhalb des eigenen Haushalts zu tun, schon allein, um sich nicht ganz der Welt zu entfremden, schlug ihr Vater ihr nach einem langen Gespräch mit Geoffrey Merskin, dem Seniorpartner der Anwaltsfirma Merskin & Threadwell in Weybridge, die auch das Familienvermögen verwaltete, vor, sich zur Anwaltsgehilfin ausbilden zu lassen. Mit einer solchen Tätigkeit blieb sie in Weybridge und hatte die Aussicht, eine gewisse Selbstständigkeit zu erreichen. Ein Vorteil, dachten die Eltern, war zudem, dass sie bei einer solchen Ausbildung darüber hinaus die Dinge lernen werde, die ihr als zukünftiger Erbin des Vermögens ihrer Eltern nützlich sein würden. Sie hatten ebenfalls bedacht, dass man in einem so eng befreundeten Unternehmen auf ihre Behinderung Rücksicht nehmen würde. Das alles überzeugte Amy, und sie widmete sich der Ausbildung mit der ihr eigenen Zielstrebigkeit und Energie. Nach zwei Jahren machte sie die vorgeschriebenen Prüfungen mit bestem Erfolg und wurde von Mr Merskin als Anwaltsgehilfin eingestellt und mit zunehmend vertrauensvollen Aufgaben beschäftigt.

Nicht viel später starb ihre Mutter, die lange leidend gewesen war, und der alte Oberst blieb mit seiner Tochter und einer ältlichen Haushälterin allein. Als diese aus Altersgründen das Haus verließ, übernahm Amy nach besten Kräften die Versorgung des Haushalts, unterstützt von einer Zugehfrau.

* * *

Ich bin mir bewusst, mein Herr, dass das, was ich Ihnen bisher erzählt habe, bei einem Fremden nicht mehr als ein höfliches Interesse erwecken kann. Aber man muss doch die allgemeinen Umstände und wichtigsten Personen kennen, wenn die Geschichte verständlich sein soll, so wie es kein Bild ohne einen guten Rahmen, keine wohlschmeckende Frucht ohne Schale gibt. Ich komme schon gleich zu den Dingen, die Ihr Interesse geweckt haben.

* * *

Der tägliche Weg zur Arbeit ins Büro der Rechtsanwaltsfirma Merskin & Threadwell an der Church Street in Weybridge führte Amy Burgess durch die Baker Street an der Tierhandlung des alten Wesley McBridle vorbei, in dessen Schaufenster es immer ein paar Vogelkäfige mit den schönsten Vögeln und auch ein paar Aquarien mit tropischen Fischen zu sehen gab. Und da das Futter für die beiden Beos, die Amy zu Hause in einer großen Voliere im Wintergarten hielt, wieder einmal zur Neige ging, betrat Amy auf ihrem Heimweg den Laden an einem späten Nachmittag. Wie üblich bei solcher Gelegenheit kam sie mit dem alten McBridle ins Gespräch, fragte ihn nach neuen Vögeln und ihrer Herkunft und danach, was es in seiner Tierwelt sonst Neues gebe.

»Ach wissen Sie, Amy«, meinte Wesley McBridle, »das Geschäft geht zurzeit recht schleppend. Kein Mensch interessiert sich mehr für exotische Vögel. Nicht mal einen Kanarienvogel habe ich in den letzten vier Monaten verkaufen können. Was mein Geschäft am Laufen hält, ist der ›Kennel‹ hinter dem Haus. Ich habe augenblicklich acht Gäste von Leuten aus dem Ort, die in den Ferien sind. Hören Sie sich nur den Krach an!« Er öffnete die rückwärtige Tür zum Hof. »Ist ja kein Wunder. Die fühlen sich verraten und verkauft. Ich habe schließlich keine Zeit mit den zum Teil doch sehr verwöhnten Tieren zu spielen. Übrigens habe ich auch ein paar Hunde zum Verkauf, die glücklicherweise nicht so einen Krach machen. Ein paar Border-Collie-Welpen und einen jungen Hund, einen Rüden, von einer Rasse, die nicht einmal ich kenne. Ein ganz sonderbares Tier, wie es mir eigentlich noch nie begegnet ist. Er ist sehr ruhig, immer höflich, meldet sich nie, frisst, was er bekommt und sieht einen mit seinen grünen Augen nur an, als sei man Luft. Ich sage Ihnen, ein ganz sonderbares Tier.«

Amy, die für alles, was zum Tierreich gehört, Interesse hatte, wenn man einmal von Spinnen und Kriechtieren absah, trat neugierig durch die Tür. Im ersten Zwinger in der langen Reihe des Kennels lag auf dem sauberen, mit Sägespänen bestreuten Boden ihr zugewandt ein großer, schlanker Hund mit glänzend schwarzem Fell und buschiger Rute. Der Kopf mit einem ziemlich langen Fang und großen, aufgestellten spitzen Ohren, lag auf den Vorderläufen. Die weiten grünen Augen sahen ruhig in die Welt. Man hatte den Eindruck, als wenn sie nicht wahrnahmen, dass gerade zwei Menschen vor dem Zwinger aufgetaucht waren. Die Rute blieb ruhig und auch die Ohren spielten nicht.

»Was für ein schönes Tier«, dachte Amy und hockte sich vor den Zwinger, um den Hund besser betrachten zu können. Zunächst änderte sich nichts, er sah durch sie hindurch in eine andere Welt. Amy machte ein paar begütigende Geräusche und sagte dann ruhig: »Es ist schade, dass du nicht mit mir reden kannst und offenbar auch nicht willst. Du bist ein schönes Tier und ich bewundere dich.«

Es war, als wenn der Hund sie verstanden habe. Obwohl er sich nicht regte, hatte Amy das deutliche Gefühl, dass sich der Fokus seiner Augen änderte, er sich auf sie einstellte und sie zur Kenntnis nahm. Die Augen schienen sogar größer zu werden und sich den Weg in ihre Augen zu suchen, ehe er sie schloss.

Amy stand auf und wandte sich Wesley McBridle zu.

»Ein recht außergewöhnlicher Hund. Sie wissen nicht von welcher Rasse? Wo haben Sie ihn eigentlich her?«

»Keine Ahnung, welche Rasse; ich habe in meinen Hundebüchern nachgesehen und nichts gefunden; jedenfalls keine Züchtung aus unserem europäischen Bereich, andererseits kann es keine Zufallskreuzung sein, was wir ›Promenadenmischung‹ nennen. Dafür ist er – wie soll ich es nennen? – zu edel. Das sieht man doch gleich. Ein junger Mann hat ihn mir vor ein paar Wochen gebracht und fast geschenkt. Er hatte den Hund aus Ägypten mitgebracht, wo er als Soldat stationiert war. Er konnte ihn nicht mehr halten, weil er einen Job in Übersee angenommen hatte und ihn nicht mitnehmen wollte. Im Übrigen sagte er mir, dass er mit dem Hund nicht richtig fertig geworden sei. Er habe nie eine Beziehung zu ihm aufbauen können.«

Inzwischen standen die beiden wieder im Laden und Amy bezahlte das Vogelfutter.

»Wären Sie vielleicht an dem Hund interessiert, Amy?«, wollte Wesley McBridle wissen, und man merkte, dass ihn die Frage einige Überwindung gekostet hatte.

»Ich? Oje, was soll ich mit so einem Riesen, Mr McBridle? So schön und irgendwie merkwürdig das Tier ist, ich habe genug mit meinen Beos zu tun. Wo soll der Hund denn bei uns bleiben? Glauben Sie nicht, dass mein Vater sich bedanken würde, wenn ich ihm so einen Koloss ins Haus holen und seiner Aufsicht überantworten würde, wenn ich nicht da bin? Und ich habe den Verdacht, dass unsere Hilfe sofort kündigen wird, wenn ich mit ihm ankomme. Nein, nein. Kein Gedanke. Wer soll denn für ihn sorgen?« Und damit verabschiedete sie sich.

Abends beim Abendessen mit ihrem Vater beschrieb sie ihm das Erlebnis. Der alte Herr schmunzelte zunächst, besann sich dann und fragte seine Tochter: »Hm, Wesley hat keine Ahnung, welcher Rasse der Hund angehört? Und er kommt aus Ägypten? Beschreibe mir den Vierbeiner einmal genauer.«

Als Amy das getan hatte, wiegte der alte Offizier nachdenklich seinen Kopf hin und her. »Ich habe Köter, die etwa so aussahen, wie von dir beschrieben, gelegentlich in Ägypten gesehen. In einigen Gegenden des Landes, besonders am oberen Nil, wurden sie sogar verehrt. Man sah in ihnen das Abbild eines ihrer früheren Götter. Die Fellachen wurden richtig aufsässig, wenn man einen dieser Hunde schlecht behandelte. Es ist ja komisch, dass du mich mit dieser Geschichte an lange vergangene Dinge erinnerst. Wir hatten einen Leutnant im Regiment, der sich eines Tages einen solchen Hund anschaffte und später erklärte, dass der Hund wie ein Mensch gewesen sei und ihn verlassen habe, weil er, der Leutnant, ihn nicht verstanden habe. Was für ein Nonsens! Ich habe den Leutnant ermahnt.«

Am nächsten Nachmittag hielt Amy abermals vor Wesley McBridles Tierhandlung, zögerte einen Moment und ging dann entschlossen in das Geschäft. Der Ladeninhaber zog die Augenbrauen hoch.

»Sie brauchen bestimmt kein Futter mehr für die Beos?«

»Nein, ich möchte noch einmal den Hund nebenan sehen.«

Sie stand erneut vor dem Zwinger, in dem der schwarze Hund in gleicher Ruhestellung lag. Als sich Amy vor den Zwinger hockte und ihm in die grünen Augen sah, merkte sie den Unterschied. Der Hund erkannte sie. Es kam wieder zu einer Art Verbindung ohne Worte über den Blick. Diesmal schloss er seine Augen nicht. Es gab auch eine andere Veränderung: Seine Rute klopfte wedelnd zweimal auf den Boden, für jeden, der Hunde kennt, ein Zeichen, der Begrüßung.

Amy war gerührt. Sie hatte das unbestimmte Gefühl, als wolle er ihr etwas mitteilen, wie etwa, dass er Vertrauen zu ihr habe, und schalt sich gleichzeitig für ihre Gefühlsduselei.

»Haben Sie eine Ahnung, wie alt das Tier ist, Mr McBridle?«

»Nicht genau, Miss Amy. Der junge Mann erzählte mir, er habe ihn als Welpen gekauft, und da er nur zwei Jahre in Ägypten war und den Hund nicht gleich gekauft haben wird, dürfte er nicht viel älter als zwei, vielleicht drei Jahre sein. Übrigens: Gesund ist er jedenfalls. Ich habe ihn, bevor ich ihn übernahm, vom Veterinär untersuchen lassen.«

»Und hat er einen Namen?«

»Der junge Mann rief ihn ›Black‹, also Schwarz, und erklärte, er habe ihn wegen seiner Fellfarbe so genannt. Ein bisschen einfallslos, wie ich finde. Ich kann nicht sagen, ob der Hund selbst den Namen akzeptiert hat. Bei mir hat er nie darauf reagiert. Aber er hat sowieso auf keine Ansprache reagiert, sondern immer nur sein Futter genommen, sich ein bisschen Bewegung verschafft und sonst so dagelegen wie jetzt.«

Als Amy mit ihrem Vater beim Abendbrot saß, kam sie erneut auf den Hund zu sprechen.

»Wenn dir danach ist, Amy, kauf dir den Hund. Ich habe nichts dagegen. Ich mag Tiere. Sprich nur alles mit unserer Hilfe ab, damit er gut versorgt ist, und sage mir, wo du seinen Schlafplatz einrichtest, damit ich nicht über ihn stolpern muss.«

Er lächelte gutmütig.

Als Amy am dritten Tag erneut bei Wesley McBrides Kennel vorsprach, wusste der, dass er gewonnen hatte. Er begleitete sie zum Zwinger. Und als Amy sich vor dem Zwinger hinhockte und dem Hund in seine grünen Augen sah, da geschah das Unerwartete: Der Hund stand auf, ging auf Amy zu und bellte einmal kurz mit einem tiefen, klaren Laut, als wenn er sagen wollte: »Ich habe schon auf dich gewartet.«

So kam das jedenfalls bei Amy an. Sie bezahlte Wesley drei Pfund und erstand zusätzlich eine Hundeliege, ein Halsband mit Leine und ließ sich Instruktionen für die Fütterung geben. Als Wesley den Zwinger öffnete, kam der Hund von sich aus heraus und sah zu Amy auf, als wollte er sie auffordern, mit ihm zu gehen.

Er ließ sich geduldig das Halsband anlegen und folgte ihr bei Fuß nach Hause. Verschiedene Menschen drehten sich nach ihr und dem neuen Gefährten um. Ein merkwürdiges Paar, dachten sie.

»Ich habe den Hund gekauft, Papa!«, rief sie ihrem Vater zu, als sie nach Hause kam. Der Hund sah mit höflichem Respekt zu dem alten Herrn auf.

»Ich habe mir das schon gedacht, mein Kind. Ein wirklich schönes Tier, ein bisschen groß für meinen Geschmack, aber offenbar ruhig und gut abgerichtet. Wenn ich ihn so sehe, dann kann ich nur bestätigen, dass er den Hunden gleicht, die ich damals am oberen Nil gelegentlich gesehen habe. Vielleicht ist es ja ganz gut, dass wir einen Wächter im Haus haben. Die Einbrecher werden frecher und frecher. Und dieses Tier scheint geeignet zu sein, sie abzuschrecken. Wir werden ja sehen.«

Amy kniete sich vor ihren neuen Mitbewohner, der sie aufmerksam ansah und murmelte: »Nun gehörst du hierher. Dein ehemaliges Herrchen hat dir den Namen Black gegeben hat. Heißt du Black?«

Der Hund legte seinen Kopf etwas schief, sah sie unverwandt an, bellte wie zur Bestätigung kurz auf und wedelte freundlich mit seiner Rute.

»Auf den Namen scheint er zu reagieren«, dachte Amy und streichelte seinen Hals.

 

»Ich möchte dich lieber ›Blackie‹ nennen. Das klingt zwar etwas wie ein Kosename, den ein so würdevoller Hund wie du vielleicht nicht verdient, aber er geht mir leichter von der Zunge.«

Der Hund quittierte diese Ansprache mit einem weiteren leisen Laut.

»Und nun zeige ich dir, wie wir wohnen.«

Sie ging mit ihm durch das Haus, ohne das Esszimmer und die Schlafzimmer zu betreten. Er folgte ihr in den Garten, wo er einen Moment im Rhododendrongebüsch verschwand, um sein Geschäft zu erledigen. Sie zeigte ihm seinen Liegeplatz im Haus vor der Gartentür und gab ihm sein Futter. Später ging sie etwas bänglich nach oben in ihr Schlafzimmer und hoffte nur, dass mit dem Hund alles gut gehen würde.

Als sie am nächsten Morgen die Tür zu ihrem Zimmer öffnete, lag Blackie vor der Schwelle und sah zu ihr auf. Er folgte ihr wie ein Schatten nach unten und legte sich auf sein Bett vor der rückwärtigen Tür, während sie das Frühstück vorbereitete, ohne sie aus den Augen zu lassen.

Mr Merskin hatte zunächst die Stirn etwas kraus gezogen, als Amy die Bitte vortrug, ihren neuen Hund mit in die Kanzlei bringen zu dürfen. Da sich Amy für dessen Ruhe und Gehorsam verbürgte, überhaupt selten mit einem Anliegen kam, sah er ein, dass ein Hund für die behinderte Amy eine Hilfe sein würde. So gab er seine Zustimmung, zumal Amy in einem gesonderten Raum ohne Publikumsverkehr arbeitete. Trotzdem hätte er wahrscheinlich sofort Nein gesagt, wenn er vorher gewusst hätte, wie groß Blackie war.

Als Amy zum ersten Mal mit Blackie in die Kanzlei kam, gab es fast einen Aufstand. Selbst Mr Merskin bekam einen Schrecken, mochte dann seine Zusage aber nicht mehr zurücknehmen. Drei Tage später hatten sich alle an Amys Begleiter gewöhnt und fingen an, das schöne Tier, das so ruhig und wie selbstverständlich mit Amy erschien, ihr nicht von der Seite wich und tagsüber kaum wahrnehmbar auf einer Decke in ihrem Büro lag, nicht nur zu akzeptieren, sondern zu mögen und mit Respekt zu behandeln. Obwohl mancher der Mitarbeiter der Kanzlei wohl gern einmal den Hund gestreichelt hätte, weil Engländer Tierliebhaber sind, ließen sie das doch lieber sein. Der Hund hatte so eine Art, einen dermaßen abweisend anzusehen, dass man sich nicht traute, ihn anzufassen. Dabei hörte man von ihm kein Knurren oder gar Bellen, andererseits konnte man ebenso wenig ein freundliches Wedeln mit der langen Rute erwarten. Nur wenn Amy in ihr Zimmer zurückkam, hob Blackie sein Haupt von den Vorderläufen hoch und klopfte wie zur Begrüßung zweimal mit der Rute. Wie anders dann seine grünen Augen blickten.

Amy und ihr Vater merkten bald, was für ein außergewöhnliches Tier zu ihnen ins Haus gekommen war. Es war nicht nur mit den Sinnen eines Hundes, bei dem bekanntlich vor allem der Geruchssinn viel tausendmal besser ist als der der Menschen, und mit einem Gehör und einem Sehen im Dunkeln ausgestattet, das die Fähigkeiten eines Menschen unglaublich übersteigt, er hatte auch die Kraft eines Löwen, und wie es den Burgess’ schien, den Verstand eines intelligenten Menschen. Es gab eine Besonderheit an ihm. Amy hatte schon, als sie ihn kaufte, gemerkt, dass Blackie kaum spielerische Neigungen hatte, sondern trotz seiner Jugend sehr erwachsen wirkte. Es kam nie vor, dass er ausgelassen auf dem Rasen herumtollte, kläffte, und man ihm die Freude am Leben und Spielen anmerkte. Er war stets ruhig und ausgeglichen, fast würdevoll in seiner Haltung und höflich, wie Amy fand.

Immer wieder setzte Blackie sie und ihren Vater mit seinen Fähigkeiten in Erstaunen. Am Klang ihrer Worte und bestimmten Gesten schien Blackie ihre Wünsche aufzunehmen. Nach nur wenigen Tagen war ihm klar, dass die Schlafräume und das Esszimmer ›off limits‹ für ihn waren. Er überschritt nie die Schwellen, sondern lag allenfalls auf der Schwelle, sein Haupt auf den Vorderläufen, wenn er Amy zusah, was sie machte. In allem, was er tat, wie er sich benahm, war klar, dass ihr seine Loyalität gehörte. Er war ihr bald eine Art Paladin, eine Mischung von Beschützer, Begleiter und Freund, ohne in dieser Rolle das Geringste seiner eigenen eindrucksvollen Persönlichkeit einzubüßen.

Amy musste den Hund nach kurzer Zeit auf der Straße nicht mehr anleinen. Er gehorchte ihr aufs Wort, ging ohne weitere Kommandos bei Fuß, kreuzte mit ihr die Straßen, wobei er die Gefahren, die von Fahrzeugen ausgingen, offenbar bald einzuschätzen wusste. Er machte Amy, die gelegentlich in Gedanken war, sogar mehr als einmal durch kurzes Bellen auf ein näher kommendes Auto aufmerksam. Er schien instinktiv zu wissen, wann eine Gefahr für Amy drohte, ob im Straßenverkehr oder beim Zusammentreffen mit anderen Menschen oder Tieren. In den Fällen wurde der sonst so gutmütige Hund ein anderer. Seine schönen, ziemlich langen Stichelhaare stellten sich am Nacken und Rücken auf, sodass er größer zu werden schien, seine Lefzen hoben sich an, und man hörte ihn zunächst nur leicht knurren. Schien sich die Gefahr zu vergrößern, wurde das Knurren laut und scharf. Und meist genügte das und ein Blick aus seinen, wenn möglich noch größeren grünen Augen, den Eindringling zu vertreiben. Aber es bedurfte nur eines leisen Wortes von Amy, ihn zu beruhigen. Ein- oder zweimal erlebte sie, dass aus ihrem sonst so ruhigen Blackie ein rasender Teufel wurde, einmal als zwei betrunkene Jugendliche abends auf Amys Heimweg handgreiflich werden wollten und ein anderes Mal, als ein streunender Schäferhund Amy anzubellen wagte.

Ein paar Ereignisse, die sich kurz hintereinander ereigneten, überzeugten auch den alten Obristen Burgess von den außergewöhnlichen Qualitäten des Hundes. Das erste war, dass Blackie eines Nachts Vater und Tochter mit kurzem Bellen aus dem Schlaf holte und sie zur Tür zum Garten führte, von wo aus sie sehen konnten, dass im Anbau eines der benachbarten Häuser Feuer ausgebrochen war, das bisher offenbar von niemandem sonst entdeckt worden war. Die Nachbarn waren bald geweckt, die Feuerwehr schnell zur Stelle.

Eines Tages hatte der Oberst seine Brille verlegt und tappte einen halben Tag halb blind herum, bis Amy auf den Gedanken kam, mit Blackie auf die Suche zu gehen. Es schien fast unmöglich, dem Hund den Suchauftrag zu vermitteln. Amy zeigte ihm eine Brille, ließ ihn am Brillenfutteral Witterung aufnehmen und schickte ihn dann durch Haus und Garten. Zur Überraschung und Freude des Hausherrn kam er nach nur einen halben Stunde und führte Amy und ihren Vater in das Gewächshaus im Garten. Die Brille war zwischen zwei Blumentöpfe gefallen, als der Oberst sie am Morgen eilig abgelegt hatte, um zum Frühstück ins Haus zu gehen.

Und ein drittes Ereignis festigte bei Oberst Burgess die Überzeugung, dass dieses unglaubliche Wesen, wie er Blackie nun respektvoll nannte, die beste Ergänzung des Haushalts gewesen sei, die er sich vorstellen könne.

Zwei, wie sich herausstellte, lang gesuchte Kriminelle verschafften sich eines Nachts über einen Anbau, in dem Waschküche und Vorratsräume untergebracht worden waren, Zugang zum Haus. Als sie die Tür vom Anbau in das Haus öffneten, wurden sie, wie sie später aussagten, von einer riesigen Bestie mit gesträubtem Haar und gefletschtem Gebiss angefallen, zu Boden gerissen und dort festgehalten. Der Krach hatte außer Amy natürlich auch Oberst Burgess auf den Plan gebracht, der die Einbrecher mit einer alten Armeepistole in Schach hielt, bis die Polizei kam.

Und auch um die altehrwürdige Firma Merskin & Threadwell machte sich Blackie eines Tages in einer Weise so verdient, dass ihm der alte Joshua Donahue, der in der Firma die Akten verwaltete, später überirdische Kräfte nachsagte. Soweit wollten Mr Merskin und seine Partner zwar nicht gehen, doch selbst sie waren tiefer beeindruckt, als man es diesen beruflich an ungewöhnliche Begebenheiten gewöhnten, nüchternen Männern zugetraut hätte.

Die Geschichte trug sich wie folgt zu: Zu den Rechtsangelegenheiten, die Merskin & Threadwell seit ihrer Gründung für eine vornehme Familie, die Viscount Haswells von Colridge Manor bei Guildford, zu erledigen hatten, gehörte die Betreuung von Nachlassangelegenheiten. Eines Tages rief Julia Haswell, die Tochter von Viscount Alexander und Viscountess Virginia Haswell an und hinterließ für Mr Merskin die Nachricht, dass sie ihn am nächsten Tag besuchen möchte. Sie wolle einen versiegelten Umschlag abholen, dessen Inhalt ihr von ihrer vor siebzehn Jahren verstorbenen Großmutter vermacht und von der Firma als Testamentsvollstrecker verwahrt worden war und der ihr an oder nach ihrem 21. Geburtstag als Erbin zustehe. In dem Umschlag war eine Kassette mit einem Collier, das seinen bedeutenden Wert vor allem einem besonders großen Sternsaphir und wertvollen Brillanten verdankte. Das Collier war bei Lloyds mit 210.000 Pfund Sterling versichert. Das Schmuckstück stammte aus Indien. Angeblich war es ursprünglich das Geschenk eines indischen Maharadschas für die Frau eines Haswell-Vorfahren, der als Brigadegeneral in Indien Dienst tat. Julia Haswell hatte erklärt, sie werde am darauffolgenden Wochenende 21 Jahre alt und wolle das Schmuckstück gerne bei einem Fest anlegen, welches ihr Vater aus diesem Anlass für sie veranstalte. Ihre Mutter war drei Jahre zuvor verstorben.