Handbuch der Europäischen Aktiengesellschaft - Societas Europaea

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2.2.2 Abberufung

150

Mitglieder des Verwaltungsrats können von der Hauptversammlung mit einer Dreiviertelmehrheit der abgegebenen Stimmen jederzeit abberufen werden (§ 29 Abs. 1 SEAG). Entsandte Mitglieder können vom Entsendungsberechtigten jederzeit abberufen werden (§ 29 Abs. 2 SEAG). Daneben besteht die Möglichkeit der gerichtlichen Abberufung (§ 29 Abs. 3 SEAG). § 29 SEAG entspricht weitgehend § 103 AktG.[40]

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Wie das AktG enthält das SEAG zu sonstigen Beendigungsgründen (Niederlegung, Tod, Wegfall der persönlichen Voraussetzungen) keine Regelungen. Es gelten daher dieselben Grundsätze wie im dualistischen System.[41]

2.3 Anstellungsverhältnis

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Für die Vorstände im dualistischen System gilt die Trennung zwischen dem korporationsrechtlichen Organverhältnis und dem schuldrechtlichen Anstellungsverhältnis.[42] Beim Aufsichtsrat im dualistischen System besteht dagegen nach zutreffender herrschender Meinung kein Anstellungsverhältnis, sondern ein einheitliches Rechtsverhältnis mit korporations- und schuldrechtlichem Inhalt. Der Vergütungsanspruch des Aufsichtsratsmitglieds ergibt sich aus § 113 AktG i.V.m. einem entsprechenden Hauptversammlungsbeschluss.[43]

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Entsprechend seinem Bemühen, das monistische System dem dualistischen deutschen Aktienrecht anzugleichen, ordnet das SEAG für die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Verwaltungsrats die entsprechende Anwendung der §§ 113–115 AktG an (§ 38 SEAG). Für die geschäftsführenden Direktoren wird in § 40 Abs. 5 S. 2 SEAG klargestellt, dass die Ansprüche aus dem Anstellungsvertrag bei einer Abberufung erhalten bleiben. Daraus folgt, dass einen Anstellungsvertrag mit der SE nur die geschäftsführenden Direktoren haben, während die Verwaltungsratsmitglieder wie der Aufsichtsrat im dualistischen System lediglich in einem Organverhältnis, für das eine von der Hauptversammlung festgesetzte Vergütung gezahlt werden kann, stehen.[44] Für die Höhe der Vergütung der geschäftsführenden Direktoren verweist § 40 Abs. 7 SEAG auf die §§ 87–89 AktG, so dass die neuen Kriterien im Rahmen des § 87 AktG hinsichtlich der Vergütung auch in der monistisch verfassten SE Anwendung finden.[45] Der Gesetzgeber ist somit auch der Empfehlung in der Literatur[46] nachgekommen die bestehenden Vergütungsregelungen im Licht moderner Corporate Governance durch das VorstAG anzupassen.[47]

2.4 Innere Ordnung

2.4.1 Vorsitzender und Stellvertreter

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Das Verwaltungsorgan hat aus seiner Mitte einen Vorsitzenden zu wählen (Art. 45 S. 1 SE-VO). § 34 SEAG bestimmt dazu ergänzend, dass neben dem Vorsitzenden nach näheren Bestimmungen der Satzung auch mindestens ein Stellvertreter zu wählen ist. Die Vorschrift lehnt sich insofern an § 107 Abs. 1 AktG, d.h. die Regelung zur inneren Ordnung des Aufsichtsrats, an. Ebenso wie der Stellvertreter des Vorsitzenden des Aufsichtsorgans muss bei einer paritätisch mitbestimmten SE der Stellvertreter des Vorsitzenden des Verwaltungsorgans ein von den Aktionären der Hauptversammlung bestelltes Mitglied sein.[48] In § 34 Abs. 2 SEAG ist vorgesehen, dass der Verwaltungsrat sich eine Geschäftsordnung geben kann. Diese Regelung ist in enger Anlehnung an § 77 Abs. 2 AktG konzipiert.

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Generell ist festzustellen, dass sich die Vorschriften über die innere Ordnung, die Einberufung und auch die Beschlussfassung des Verwaltungsorgans an die entsprechenden Regeln des AktG für den Aufsichtsrat, teilweise auch für den Vorstand anlehnen. Teilweise wird dies als Überregulierung angesehen und für eine kürzere und flexiblere Abfassung des SEAG plädiert.[49] Angesichts der weitgehenden Normierung der Unternehmensleitung im dualistischen Modell scheint es aus Gründen der Rechtssicherheit allerdings vernünftig, die entsprechende Anwendung für das monistische Modell jeweils im SEAG durch einen Verweis oder durch weitgehend inhaltsgleiche Übernahme der Vorschriften zu regeln. Anderenfalls bestünde die unnötige Rechtsunsicherheit, wann welche Normen des dualistischen Modells zur Schließung von Lücken im monistischen Modell herangezogen werden können und müssen.[50]

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Die Kompetenzen des Verwaltungsratsvorsitzenden werden in der SE-VO nicht geregelt. Art. 50 Abs. 2 SE-VO räumt den Vorsitzenden aller Organe und damit auch dem Vorsitzenden des Verwaltungsrats einen Stichentscheid bei Abstimmungen ein. Hiervon kann durch die Satzung abgewichen werden. Bei der mitbestimmten SE kann dieser Stichentscheid jedoch nicht abbedungen werden. Hieran zeigt sich, dass dem Vorsitzenden des Verwaltungsrats eine relativ starke Stellung eingeräumt werden soll. Bei ausländischen Board-Systemen ist häufig der Vorsitzende des Verwaltungsrats gleichzeitig Vorsitzender der geschäftsführenden Direktoren oder Generaldirektor des Exekutivausschusses. Dies ist z.B. in Frankreich beim PDG (President-Directeur-General) der Fall.[51] Zum Ende des Gesetzgebungsverfahrens ist ein neuer § 35 Abs. 3 SEAG in das Gesetz eingefügt worden, wonach in den Fällen, in denen ein geschäftsführender Direktor zugleich Mitglied des Verwaltungsrats ist, und dieser aus rechtlichen Gründen gehindert ist, an der Beschlussfassung im Verwaltungsrat teilzunehmen, der Vorsitzende des Verwaltungsrats eine zusätzliche Stimme erhält. Diese Ergänzungsstimme des Verwaltungsratsvorsitzenden ist eingefügt worden, um Stimmungleichgewichte im monistischen System auszugleichen.[52]

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Eine Einschränkung, dass der Vorsitzende des Verwaltungsrats nicht gleichzeitig Vorsitzender der geschäftsführenden Direktoren sein kann, enthält weder die SE-VO noch das SEAG. § 40 Abs. 1 S. 2 SEAG lässt ausdrücklich zu, dass Mitglieder des Verwaltungsrats zu geschäftsführenden Direktoren bestellt werden können, und macht nur die Einschränkung, dass die Mehrheit des Verwaltungsrats weiterhin aus nicht geschäftsführenden Mitgliedern zu bestehen hat. Grundsätzlich ist es daher möglich, dass der Vorsitzende des Verwaltungsrats gleichzeitig geschäftsführender Direktor oder sogar Vorsitzender der geschäftsführenden Direktoren ist. In der Gesetzesbegründung wird dies aufgrund der dadurch entstehenden besonderen Machtfülle zwar nicht für sinnvoll gehalten. Ein gesetzliches Verbot der Wahrnehmung beider Funktionen enthält das SEAG jedoch nicht.[53] Aufgrund dieser flexiblen Gestaltungsmöglichkeit, bei der der Vorsitzende des Verwaltungsrats zugleich geschäftsführender Direktor bzw. Vorsitzender der geschäftsführenden Direktoren ist, kann die monistische Leitungsstruktur dem aus dem US-amerikanischen Recht bekannten CEO-Modell angenähert werden und ist damit interessant für inhabergeführte Familienunternehmen. Dem Gesellschafter gelingt es auf diese Weise, seinen beherrschenden Einfluss sowohl faktisch als auch rechtlich abzusichern.[54]

158

Es ist nicht zu verkennen, dass die teilweise Personenidentität von Verwaltungsratsmitgliedern und geschäftsführenden Direktoren zu einer Optimierung des Informationsflusses und damit zu einer Beschleunigung der Entscheidungsprozesse führt.[55] Dem Ziel einer flexiblen Unternehmensführung dient auch die Empfehlung des DCGK zur Hierarchisierung des Vorstands, wonach der Aufsichtsrat gem. Ziff. 5.2 mit dem Sprecher des Vorstands über die Strategie, die Geschäftsentwicklung und das Risikomanagement des Unternehmens beraten und sich abstimmen soll.[56]

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Gegen eine personenidentische Besetzung des Vorsitzes im Verwaltungsrat und des Vorsitzes der geschäftsführenden Direktoren spricht, dass die auch im monistischen System erforderliche Trennung zwischen Überwachung und Geschäftsführung gefährdet wird. Auch der Kapitalmarkt steht einer derartigen Machtfülle eher skeptisch gegenüber. Im Rahmen der anglo-amerikanischen Corporate Governance-Diskussion wird daher auch eine Trennung des Chairman of the Board und des CEO befürwortet.[57] Eine solche Trennung entspricht auch dem 14. Erwägungsgrund der SE-VO, der auch im monistischen System eine Trennung von Überwachung und Geschäftsführung fordert. Dem Vorsitzenden des Verwaltungsrats kommt wie dem Aufsichtsratsvorsitzenden im dualistischen System die Aufgabe zu, die Überwachungsaufgaben des Verwaltungsrats zu koordinieren und die Vertretung des Verwaltungsrats gegenüber den geschäftsführenden Direktoren auf der Grundlage des Plenumsbeschlusses wahrzunehmen. Um die gebotene Neutralität für die Überwachung zu wahren, sollte der Vorsitzende des Verwaltungsrats daher nicht geschäftsführender Direktor sein.[58]

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Das Problem der entstehenden Machtfülle des Vorsitzenden des Verwaltungsrats bei gleichzeitiger Zuweisung der Geschäftsführung hat der Gesetzgeber erkannt. Er hat daraus aber nur den Schluss gezogen, dass eine gesetzliche Zuweisung der Geschäftsführung an den Vorsitzenden des Verwaltungsrats wegen der dadurch entstehenden Machtfülle nicht sinnvoll erscheint.[59] De lege lata ist die Personenidentität daher unerwünscht aber zulässig.

 

161

Der Gesetzgeber hätte dem 14. Erwägungsgrund zur SE-VO sowie den dargestellten Corporate Governance-Grundsätzen folgend in § 40 SEAG anordnen sollen, dass der Vorsitzende des Verwaltungsrats nicht zugleich geschäftsführender Direktor sein darf. Um die Effektivität der Geschäftsführung und den Informationsfluss zu optimieren, hätte der Vorsitzende der geschäftsführenden Direktoren einfaches Mitglied des Verwaltungsrats sein können.[60]

2.4.2 Sitzungen und Beschlüsse

162

Die Beschlussfassung des Verwaltungsrats regelt Art. 50 Abs. 1 SE-VO unmittelbar und ordnet an, dass die Beschlussfähigkeit gegeben ist, wenn mindestens die Hälfte der Mitglieder anwesend oder vertreten ist (Art. 50 Abs. 1 a SE-VO). Die Beschlüsse werden mit der Mehrheit der anwesenden oder vertretenen Mitglieder gefasst (Art. 50 Abs. 1 b SE-VO). Die SE-VO lässt jedoch abweichende Bestimmungen in der Satzung zu. Nationale Ausführungsbestimmungen zur Beschlussfassung und Beschlussfähigkeit erübrigen sich damit, da nach Art. 9 Abs. 1 b SE-VO die angeordnete Satzungsfreiheit Vorrang vor nationalen Ausführungsbestimmungen hätte.[61]

163

Nicht geregelt ist die Vertretung in den Sitzungen, die in Art. 50 Abs. 1 a und b SE-VO als möglich vorausgesetzt wird. § 35 Abs. 1 SEAG regelt die Vertretung entsprechend § 108 Abs. 3 AktG und übernimmt außerdem § 108 Abs. 4 AktG, der die schriftliche, fernmündliche oder andere vergleichbare Formen der Beschlussfassung zulässt, um der SE im Ergebnis die Rechtssicherheit zu geben, dass auch diese Fragen in der Satzung geregelt werden dürfen.[62]

164

Der Verwaltungsrat hat gem. Art. 44 Abs. 1 SE-VO mindestens alle drei Monate zu einer Sitzung zusammenzutreten. Die Teilnahme an den Sitzungen und die Einberufungsmodalitäten regeln §§ 36, 37 SEAG entsprechend §§ 109, 110 AktG.[63]

2.5 Kompetenzabgrenzung

2.5.1 Grundsätzliche Kompetenzverteilung

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Nach Art. 43 Abs. 1 S. 1 SE-VO führt das Verwaltungsorgan die Geschäfte der SE. Dementsprechend bestimmt § 22 Abs. 1 SEAG, dass der Verwaltungsrat die Gesellschaft leitet und die Grundlagen ihrer Tätigkeit überwacht. Die laufenden Geschäfte werden gem. § 40 Abs. 2 S. 1 SEAG von den geschäftsführenden Direktoren geführt, die gem. § 40 Abs. 1 S. 2 SEAG auch gleichzeitig Mitglieder des Verwaltungsrats sein können.[64]

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Im Grundsatz treffen den Verwaltungsrat damit gebündelt alle Aufgaben, die im dualistischen System der Aufsichtsrat und der Vorstand jeweils getrennt wahrzunehmen haben.[65] Trotz des Zusammenfallens der Aufgaben hat sich in der internationalen Corporate Governance-Debatte herausgebildet, dass auch beim monistischen System die Trennung von Geschäftsführung und Überwachung erforderlich ist. Teilweise wird aufgrund dieser Erkenntnis von einer Konvergenz des dualistischen und monistischen Systems gesprochen.[66]

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Es stellt sich die Frage, was unter den Leitungsaufgaben, die der Verwaltungsrat wahrzunehmen hat, und unter den laufenden Geschäftsführungsmaßnahmen, die den geschäftsführenden Direktoren obliegen, zu verstehen ist. Diese Frage ist im Ansatz mit der Frage nach dem Rahmen der eigenverantwortlichen Leitung der Gesellschaft durch den Vorstand im dualistischen System[67] vergleichbar. Anders als dem Vorstand (§ 76 Abs. 1 AktG) steht den geschäftsführenden Direktoren jedoch gerade keine Eigenverantwortlichkeit bei der Führung der Geschäfte der Gesellschaft zu. Sie unterliegen gem. § 44 Abs. 2 SEAG den Weisungen des Verwaltungsrats und sind damit einem GmbH-Geschäftsführer vergleichbar.[68]

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Wie ein Geschäftsführer (§ 38 Abs. 1 GmbHG) können die geschäftsführenden Direktoren ohne Begründung vom Verwaltungsrat abberufen werden (§ 40 Abs. 5 S. 1 SEAG). Wenn die geschäftsführenden Direktoren gleichzeitig Mitglieder des Verwaltungsrats sind, muss die Abberufung durch die Hauptversammlung gem. § 29 SEAG erfolgen. Die Abhängigkeit der geschäftsführenden Direktoren ist damit im Vergleich zum Vorstand im dualistischen System sehr groß oder umgekehrt gewendet ihre Selbständigkeit eher gering.

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Nach dem gesetzlichen Modell der SE-VO und des SEAG sind grundsätzlich zwei Arten von geschäftsführenden Direktoren denkbar. Es gibt geschäftsführende Direktoren aus der Mitte des Verwaltungsrats und externe geschäftsführende Direktoren, die nicht gleichzeitig dem Verwaltungsrat angehören.[69] Die Möglichkeit, unterschiedliche geschäftsführende Direktoren zu haben, ergibt sich aus § 40 Abs. 1 S. 2 SEAG, der vorsieht, dass Mitglieder des Verwaltungsrats zu geschäftsführenden Direktoren bestellt werden können. Die Überwachungsfunktion soll dadurch sichergestellt werden, dass die Mehrheit des Verwaltungsrats weiterhin aus nichtgeschäftsführenden Mitgliedern bestehen soll.[70]

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Unter Beachtung dieser Vorgaben kann die Satzung die Geschäftsführung durch die geschäftsführenden Direktoren frei bestimmen. Sie kann vorsehen, dass sämtliche geschäftsführenden Direktoren gleichzeitig Verwaltungsratsmitglieder sind. Die Satzung kann aber auch vorsehen, dass sämtliche geschäftsführende Direktoren verwaltungsratsfremd sind. Daher ist bei der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister die genaue Funktionsverteilung im Handelsregister offenzulegen.[71]

171

Dies führt zu zwei unterschiedlichen Geschäftsführungsmodellen innerhalb des monistischen Systems. Nach dem ersten Modell (geschäftsführende Direktoren sind gleichzeitig Verwaltungsratsmitglieder) erhalten die geschäftsführenden Direktoren einen stärkeren Einfluss auf die Entscheidungsfindung im Konzern als der Vorstand im dualistischen System, weil sie an den Beratungen und Beschlüssen des Verwaltungsrats mitwirken und damit erheblichen Einfluss auf die Entscheidungen des Verwaltungsrats ausüben können. Gleichzeitig überwachen sich die Direktoren in diesem Modell aber selbst. Ein vollständiger Zusammenfall von Geschäftsführung und Überwachung wird nur dadurch verhindert, dass gem. § 40 Abs. 1 S. 2 SEAG die Zahl der nicht geschäftsführenden Mitglieder im Verwaltungsrat höher sein muss als die der geschäftsführenden Mitglieder. Diese Sicherung ist jedoch eher fragwürdig. Bei bestehender Beschlussfähigkeit des Verwaltungsrats können Mitglieder des Verwaltungsrats, die nicht gleichzeitig geschäftsführende Direktoren sind, fehlen, sodass die geschäftsführenden Direktoren sich dann tatsächlich selbst kontrollieren. Die geschäftsführenden Direktoren müssen gegebenenfalls auch bei voller Besetzung des Verwaltungsrats nur ein nicht geschäftsführendes Mitglied auf ihre Seite ziehen. Ob eine solche Konstellation nach modernen Corporate Governance-Kriterien akzeptabel ist, ist stark zweifelhaft.[72]

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Eine Lösung könnte sein, eine Zweidrittelmehrheit der nicht geschäftsführenden Mitglieder im Verwaltungsrat in § 40 Abs. 1 S. 2 SEAG vorzusehen. Denkbar wäre auch eine Regelung, wonach die Beschlussfähigkeit im Verwaltungsrat nur gegeben ist, wenn eine Mehrheit der nicht geschäftsführenden Verwaltungsratsmitglieder anwesend ist. Es ist jedoch klarzustellen, dass diese Überlegungen de lege ferenda erfolgen. De lege lata ist klar, dass die Eigenüberwachung in dem beschriebenen Sinne zulässig ist, da Art. 43 Abs. 1 S. 2 SE-VO den Mitgliedstaaten Gestaltungsfreiheit einräumt, die der nationale Gesetzgeber wie beschrieben wahrgenommen hat.

173

Das oben beschriebene zweite Modell, die Wahrnehmung der laufenden Geschäftsführung durch externe Geschäftsführer, die nicht gleichzeitig Verwaltungsratsmitglieder sind, nähert sich dem dualistischen System an. Die Überwachungsmöglichkeit ist noch weitergehend gegeben als im dualistischen System. Denn der Verwaltungsrat kann eigene Geschäftsführungsmaßnahmen ergreifen und den geschäftsführenden Direktoren Weisungen erteilen (§§ 22 Abs. 1, 44 Abs. 2 SEAG). Diese Möglichkeit der „aktiven Überwachung“ durch mitunternehmerisches Zusammenwirken wird als vorteilhafte Gestaltungsmöglichkeit im monistischen System und als Beitrag zur verbesserten Corporate Governance angesehen.[73] Sofern der Verwaltungsrat diese Aufgabe professionell wahrnimmt und nicht das Tagesgeschäft zu steuern versucht, ist dem zuzustimmen. Eine solche Maximierung der Überwachung ermöglicht eine Abschwächung des Prinzipal-Agenten-Konflikts, der insbesondere bei fremdgeführten Familienunternehmen existiert.[74]

2.5.2 Regelungsprobleme

174

Die dargestellte Kompetenzverteilung im Verwaltungsrat des monistischen Systems, die dem deutschen Recht bisher unbekannt war, wirft im Bereich des Konzernrechts und des Mitbestimmungsrechts ganz neue Fragestellungen auf.

2.5.2.1 Konzernrecht

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Die SE ist gründungsbedingt Teil eines Konzerns oder anders ausgedrückt ein genuiner Konzernbaustein.[75] Die SE-VO enthält keine konzernrechtlichen Vorschriften. Dies beruht sicher auch darauf, dass ein einheitliches Konzernrecht in Europa nicht existiert.[76]

176

Der nationale Gesetzgeber geht in § 49 SEAG jedoch davon aus, dass die SE ein abhängiges Unternehmen in einem Konzernverbund oder in einem eingegliederten Unternehmen sein kann, indem er bestimmt, dass die besonderen konzernrechtlichen Pflichten des Vorstands einer abhängigen oder eingegliederten Gesellschaft von den geschäftsführenden Direktoren wahrzunehmen sind.[77] Mit dieser Maßgabe unterliegt die SE gem. Art. 9 Abs. 1 c ii SE-VO den deutschen konzernrechtlichen Bestimmungen.[78]

177

Ob und inwieweit auf eine SE das deutsche Konzernrecht anwendbar ist, ist umstritten.[79] Teilweise wird vertreten, dass eine SE weder im faktischen noch im Vertragskonzern Konzerntochter sein könne und zwar sowohl im dualistischen als auch im monistischen System.[80] Da das Konzernrecht an anderer Stelle ausführlich behandelt wird,[81] soll an dieser Stelle nur die Auswirkung der Geschäftsführungsverteilung im monistischen System auf Konzernsachverhalte kurz skizziert werden.

178

Bei einer SE im dualistischen System ergeben sich keine Unterschiede zur AG. Denn das System der §§ 291 ff. AktG ist auf eine Gesellschaft mit einem zur Geschäftsführung und Leitung der Gesellschaft verpflichteten Vorstand und einem zur Überwachung berufenen Aufsichtsrat zugeschnitten.[82]

179

Bei einer SE mit monistischem System im Vertragskonzern stellt sich die Frage, wer Adressat der Weisung der Obergesellschaft ist. Gem. § 308 Abs. 1 S. 1 AktG ist der Vorstand Adressat der Weisung. Bei der SE sind dies gem. § 46 S. 1 SEAG der oder die geschäftsführenden Direktoren.

180

Problematisch kann hier sein, ob sich das Weisungsrecht der Obergesellschaft auch auf Angelegenheiten erstrecken darf, die in die Zuständigkeit des Verwaltungsrats fallen. Der Abschluss eines Beherrschungsvertrages bedeutet gem. § 291 Abs. 1 AktG, dass die abhängige Gesellschaft sich der Leitung der herrschenden Gesellschaft unterstellt. Die herrschende Gesellschaft ist demnach berechtigt, nachteilige Rechtsgeschäfte durchzusetzen. Doch die durch die Beherrschung vermittelte Unterstellung betrifft sowohl die Geschäftsführung als auch die Leitung der SE. Durch den Beherrschungsvertrag wird somit auch die Leitungszuständigkeit des Verwaltungsrats beschnitten. Die interne Kompetenzverteilung zwischen dem Verwaltungsrat und den geschäftsführenden Direktoren wird durch die Weisung des herrschenden Unternehmens überlagert.[83] Auch das Verfahren der Ersetzung der Zustimmung gem. § 308 Abs. 3 AktG kann eingehalten werden. Anstelle des Aufsichtsrats entscheidet der Verwaltungsrat über die Zustimmung. Wenn er die Zustimmung verweigert, greift das Ersetzungsrecht des herrschenden Unternehmens ein.[84]

 

181

Bei einer SE mit monistischem System als abhängiger Gesellschaft in einem faktischen Konzern fragt es sich, ob die Konzeption der §§ 311 ff. AktG, die dem herrschenden Unternehmen nachteiligen Einfluss auf die Tochtergesellschaft erlaubt, sofern es die nachteiligen Einflussnahmen bis zum Ende des Geschäftsjahres ausgleicht, umsetzbar ist. Wenn der Nachteilsausgleich nicht möglich ist, sind Unternehmen und seine Organe gem. § 317 AktG zum Ersatz des Schadens verpflichtet.[85] Um den durch die Nachteilszufügung entstandenen Schaden feststellen zu können, hat der Vorstand einen Abhängigkeitsbericht zu erstellen (§ 312 AktG), der durch den Abschlussprüfer (§ 313 AktG) und den Aufsichtsrat (§ 314 AktG) zu prüfen ist. Bei einer SE im monistischen System stellen die geschäftsführenden Direktoren gem. Art. 46 Abs. 1 SEAG den Abhängigkeitsbericht auf. Geprüft wird der Abhängigkeitsbericht aufgrund des Generalverweises in § 22 Abs. 6 SEAG durch den Verwaltungsrat.[86]

182

Die Zuständigkeiten sind damit gesetzlich eindeutig geregelt. Die Bedenken, dass die geschäftsführenden Direktoren den Abhängigkeitsbericht nicht frei vom Einfluss des Verwaltungsrats aufstellen können, weil sie weisungsgebunden sind,[87] können nicht überzeugen, da ein Ermessen der geschäftsführenden Direktoren im Bereich der Erstellung des Abhängigkeitsberichtes nicht besteht. Sie haben ihrer gesetzlichen Pflicht zu entsprechen. Dabei bestehen weder Weisungsrechte des Verwaltungsrats noch der Hauptversammlung.[88]

183

Grundsätzlich berechtigt sind die Bedenken, dass der von den geschäftsführenden Direktoren aufgestellte Abhängigkeitsbericht vom Verwaltungsrat zu prüfen ist und im Verwaltungsrat als nicht geschäftsführende Mitglieder in der Regel Vertreter des herrschenden Unternehmens sitzen. Abhilfe könnte insofern der Vorschlag der Einrichtung eines neutralen Prüfungsausschusses bringen.[89] Die Bedenken gegen die Neutralität der Verwaltungsratsmitglieder stellen jedoch keine Besonderheit der SE im monistischen System dar. Auch bei einer SE im dualistischen System und bei einer AG ist der Aufsichtsrat in der Regel mit Vertretern des herrschenden Unternehmens besetzt. Wenn dies nicht als akzeptabel angesehen wird, müsste die Regelung in § 314 AktG vom Gesetzgeber modifiziert werden. Eine Auslegung dahingehend, dass ein vom Gesetz nicht vorgesehenes Prüfungsverfahren angewandt werden soll, wäre contra legem,[90] zumal dem Gesetzgeber die in der Literatur erhobenen Bedenken und Änderungsvorschläge bekannt waren. Eine Lösung könnte sich über den DCGK anbieten, indem dort die Einrichtung eines Prüfungsausschusses, der den Abhängigkeitsbericht prüft, als Element guter Corporate Governance vorgesehen wird. Zur Objektivität und Unabhängigkeit der Prüfung würde es sicher auch beitragen, wenn im DCGK vorgesehen würde, dass im monistischen System der Konzernabschlussprüfer und der Abschlussprüfer der Tochtergesellschaft nicht identisch sein dürfen.[91]

184

In jedem Fall wäre die Schaffung einer gesetzlichen Sonderregelung für die SE oder nur für die SE im monistischen System nicht empfehlenswert, sondern wenn überhaupt wäre eine rechtsformübergreifende Lösung zu wählen.[92] Dies empfiehlt sich insbesondere deshalb, weil der Gesetzgeber bemüht ist, einen möglichst weitgehenden Gleichlauf zwischen den für die AG, die SE im dualistischen System und die SE im monistischen System anwendbaren Regelungen herzustellen.[93]