Fidibus und die Gemme der Venus

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Fidibus und die Gemme der Venus
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Denise Remisberger

Fidibus und die Gemme der Venus

Ein Mönch Fidibus Krimi

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort

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Impressum neobooks

Vorwort

Während Papst Johannes XII. in Rom den Vatikan zu einem Bordell umfunktionierte, König Otto der Grosse das Ostfrankenreich plus Oberitalien und baldige Heilige Römische Reich durch die Stärkung des Reichsepiskopats durchmauschelte, was den treu ergebenen Bischöfen, Äbten und Äbtissinnen immer mehr königliche Befugnisse und den eigensinnigen Stammesherzögen immer weniger einräumte, Bischof Konrad von Konstanz unermüdlich Bauwerke nach ihren Vorbildern in Jerusalem und Rom errichtete, die Herrschenden des Herzogtums Schwaben, Burchard III. und seine Frau Hadwig, nicht immer einer Meinung waren und Abt Craloh im Kloster Sankt Gallen seine Mönche terrorisierte, verschwand eine Ladung wertvolles Holz in undurchsichtigen Kanälen, was Fidibus, Cellerar des Klosters Sankt Gallen, im Juni des Jahres 957 eine rutschige Reise ins Rheingau abverlangte, wo er einer geheimnisvollen Möchtegernnonne begegnete und daraufhin das tatkräftige Burgfräulein Siegelinde und ihren Panzerreiter Blage sowie den stets auch auf den eigenen Vorteil bedachten Spion des Bischofs, Furdin, mit seiner Freundin, der in Sachen Furdin zwar etwas naiven doch ansonsten aufgeweckten Laienschwester Helwi, wohl oder übel in die Angelegenheit miteinbeziehen musste.

1

Und da sass sie nun. Sie war den weiten Weg aus Italien hergekommen, und das alles aus einer Laune heraus. Obwohl. Eine Laune war es genau genommen nicht gewesen. Eher Wut. Ja. Sie hatte sich wieder mal unglaublich geärgert. Über die Tante, über den Vetter, über sich selber. Vor allem über sich selber. Wie hatte sie nur so blöd sein können, diesem fremden Mann zu vertrauen. Er wollte dafür zahlen. Ja sicher, wieso nicht. Das hatte sie schon ein paarmal gemacht. So blöd war sie nun auch wieder nicht, dass sie ihren Körper gratis hergab. Schliesslich sah sie toll aus und war jung. Wieso nicht etwas dazuverdienen, bei dem, das die Tante ihr gab: nämlich bloss Kost und Logis. Das war nun wirklich zu wenig für all die Schufterei für das Erzbistum Mailand. Die Tante lieferte Gemüse. Und Eier. Und Kräuter. Und vielleicht mal ein zähes Huhn. Viel war es nicht, das für sie selber übrig blieb. Aber sie hatte mehr, als viele andere hatten, denn sie zweigte immer mal etwas hinterrücks für sich und zum Weiterverkauf ab. Geizig war sie, die Tante. Geizig. Doch nicht nur die. Der fremde Mann, der grossspurig zahlen wollte, zahlte nicht nur nicht, nein, er hatte sie, nach geleisteter Arbeit, niedergeschlagen, dort, im mickrigen Stall der Tante, und dann auch noch beraubt. Die kleine Gemme, die an einem ledernen Bändel um ihren Hals gehangen hatte, musste er ihr über den Kopf gestreift haben und damit einfach getürmt sein. Das Geld, das sie in ihren Haaren versteckt hielt, hatte er zum Glück nicht gefunden, falls er danach gesucht haben sollte, als sie darniederlag. Aber geplaudert hatte er. Während des Aktes selbst. Dann verraten sie dir ihre Geheimnisse. Vor allem, wenn sie denken, dass du ihre Sprache nicht verstehst. Und nur dann. So waren sie, die Männer. Sonst logen sie, dass sich die Balken bogen. Er hatte ihr verraten, wo er wohnte. Oh! Und dass er verheiratet war auch. Ja. Das auch. Und nun sass sie hier. Im Rheingau, am Ufer des Alpenrheins, und sah den beiden Flössern zu, wie sie anlegten, Waren abluden und ihre Muskeln spielen liessen. Der eine grinste sie frech an. Sie hob nur ihre Nase noch ein bisschen höher, was er mit einem lauten Lachen quittierte. Sie würde sich bestimmt nicht mit einem dahergepaddelten Flösser begnügen. Sie hatte höhere Ambitionen.

2

«Oh, Mann!», verdrehte Burgfräulein Siegelinde die Augen und starrte entnervt in Panzerreiter Blages Gesicht. «Wieso um alles in der Welt müssen wir diesen neuen Imker empfangen?! Das könnte auch unser Hausdiener machen.»

«Eure Tante ist halt ausgerechnet heute ausser Haus. Und der Hausdiener hat sie begleitet.»

«Der ist auch weg?»

«Ja. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als auf den Mann zu warten.»

«Und das bei diesem schönen Juniwetter. Warm ist es. Und die Vöglein pfeifen. Ich würde viel lieber ausreiten.»

«Die eine oder andere Pflichtübung wird Euch nicht schaden», schmunzelte Blage und verlagerte sein Gewicht auf das andere Bein, sodass die Plättchen an seinem Schuppenpanzer leise klingelten. Sie befanden sich im Hof von Burg Falkenhorst in der Nähe Obergoldachs im Herzogtum Schwaben, Blage an der Holzwand lehnend, Siegelinde, die Füsse demonstrativ von sich gestreckt, auf einer hölzernen Bank in der Sonne sitzend, während der Wächter auf der Hurde nach dem Neuen Ausschau hielt, der auf dem Weglein, das von der Sankt Galler Strasse abzweigte und zur Burg führte, daherkommen musste. Ausser er würde die Wildwechsel benutzen, die sich überall im angrenzenden Wald befanden. Doch das würde er wohl nicht tun, denn er kam nicht aus dieser Gegend und kannte sich somit noch nicht gut aus.

Da tauchte sie also vor ihm auf. Burg Falkenhorst. Seine neue Arbeitsstelle. Niedlich. Eher niedlich. Aber hübsch. Durchaus angenehm. Ah ja. Und gleich neben dem Weglein sah er die Bäume. Nadelige Tannen und Föhren, laubtragende Weiden und eine grosse Linde. Gut.

«Was ist dein Begehr?», schallte es über seinem Kopf von der Hurde herunter.

«Ich bin der neue Zeidler und komme, meine Arbeit anzutreten», rief er zum Wächter hinauf, der daraufhin die paar Stufen – mehr konnten es nicht sein – herabstieg und das kleinere der beiden Tore öffnete.

«Oh, Mann!», flüsterte Siegelinde in Richtung Blage.

«Stattlich, was?!», grinste Blage zurück.

«Geht so», tat sie ihren Ausruf gleich wieder ab.

«Ihr werdet Euch doch wohl nicht verlieben? Ihr, die Ihr auf keinen Fall heiraten wollt?»

«Witzig! Erstens, mein lieber Blage, hat Verliebtsein eher wenig mit heiraten zu tun, wenn ich mir diese Welt so ansehe, und zweitens gehört der Herr Imker da vorne nicht gerade meinem Stand an», rümpfte das vom eberhardingerischen Adelsgeschlecht aus dem Zürichgau abstammende Burgfräulein ihr hochwohlgeborenes Näschen.

«Nein, bestimmt nicht», lachte der adelige Panzerreiter. Es war nicht ganz klar, welche der beiden Anführungen Siegelindes er meinte. Nicht, dass er die Frauen wahnsinnig gut kannte, schliesslich war er mehr im Kampf mit Männern ausgebildet denn in der Liebe zu einer Frau. Doch dass er in diesem Fall vermehrt auf sein Fräulein aufpassen musste, war klar. Denn Siegelinde hatte die nervenaufreibende Angewohnheit, sich nicht besonders besonnen zu verhalten. Wer weiss, was sie in ihrem Übermut mit diesem armen Imker anstellen würde, wenn er, Blage, sie nicht daran hinderte. Nachdem er vor zwei Jahren auf dem Lechfeld für König Otto gegen die Magyaren gekämpft und gewonnen hatte, war ihm von Tronhilde, der Tante Siegelindes, die Begleitung ihrer bewegungsfreudigen Nichte angeboten worden. Was hiess, dass er darauf aufpassen musste, dass dem werten Fräulein nichts passierte. Und diese Aufgabe nahm er sehr ernst.

 

«Ich bin Bertram, der Zeidler», stellte sich der Mann vor, nachdem er quer über den Burghof gekommen war. Siegelinde hatte sich inzwischen von ihrer Bank erhoben und Blage stand aufrecht neben ihr.

«Sei willkommen», sprach Siegelinde. «Ich bin Siegelinde, Nichte der Burgherrin Tronhilde, und das ist Blage, Panzerreiter und Freund der Familie. Wir zeigen dir zuerst dein Gemach in der Burg.» Und Siegelinde lief voraus, an der Küche vorbei zu den Räumen der Bediensteten, die zwar nicht so gross waren, doch alle ein schmales Fenster mit einem Holzladen aufwiesen. Ein gut gefüllter Strohsack lag auf einem gezimmerten Kistenbett bereit, daneben stand ein Schemel und unter dem Fenster ruhte eine Truhe. Die einzige Wärmequelle in diesem Teil der Burg befand sich in der Küche, die gleichzeitig die Stube der Kräfte auf Burg Falkenhorst war. Eigentlich waren die ganzen Diensträumlichkeiten recht grosszügig angelegt. In anderen Burgen oder auch Bauernhöfen schliefen sie alle in einem Zimmer, oft in der Küche selbst, und in derselben Bettstatt. Hier nicht. Hier gab es neben seiner noch weitere niedrige Holztüren, die gerade offen standen und so, wie es aussah, zu den Kammern der anderen führten. Wie die Leute wohl waren, welche sie bewohnten? Nachdem Bertram seine Tasche abgeladen hatte, gingen sie hinaus, um ihm das Stück Wald zu zeigen, das seine zukünftige Arbeitsstelle sein würde.

3

Fidibus, Mönch und Cellerar des Klosters Sankt Gallen, sass vor einem ansehnlichen Krug Wein und streckte seine immer noch schmerzenden Glieder unter dem langen Holztisch aus. Eberhard, bei dem er genächtigt hatte, war ein Freund von früher und vor allem war er Weinbauer. Und zwar aus Farniwang im Rheingau, das den besten Rebensaft weit und breit kultivierte. Natürlich hätte Fidibus auch zum einheimischen Laienpriester gehen können, um einen Strohsack für die Nacht zu kriegen, doch hier, im Hause seines Freundes, war es wesentlich gemütlicher. Und es hatte mehr Platz. Und mehr Wein sowieso. Gestern hatte er den lieben langen Tag damit verbracht, von Sankt Gallen bis hierher zu wandern. Grauenhaft war es gewesen. Beim ersten Sonnenstrahl waren sie aufgebrochen, er und ein uraltes Männlein, das ihn über Stock und Stein geführt hatte. Allein hätte Fidibus den Weg nie gefunden. Vom Kloster aus hatten sie den ersten, eher leicht ansteigenden Hügel schräg aufwärts erklommen, waren dann durch flaches Gebiet gelaufen und mussten kurz danach ein steiles Tobel hinunter, um die wilde Goldach zu überqueren. Beim Hinunterklettern war Fidibus trotz seines genagelten Schuhwerks auf einem feuchten Grasbüschel, das zwischen den Felsen garantiert auf ihn gewartet hatte, ausgerutscht und hatte ein gutes Stück der Strecke auf seinem Allerwertesten zurückgelegt. Laut gekreischt hatte er auch noch dabei. Das Männlein hatte nur leise gekichert. Der war natürlich nicht ausgerutscht. Der kannte anscheinend jeden Abschnitt dieses furchtbaren Weges ganz genau. Wahrscheinlich stand er mit sämtlichen Waldgeistern im Bunde. Auch beim Passieren der Goldach und aller anderen Bäche und Bächlein wusste der Kauz immer, wo sich die beste Stelle zum Hinüberwechseln befand. Und dann war die Steigung durch dichten Wald richtig übel geworden. Die Wildwechsel, auf denen sie bis zum Kaien hochgekraxelt waren, nur einmal durch ein kurzes flaches Stück und ein schnell hinunterführendes unterbrochen, waren von weiteren Bächlein und auch noch von Wurzeln durchzogen. Und das Blätterwerk der bodendeckenden Waldpflanzen, das sich an Fidibus’ Kutte geklammert hatte, hatte auch nicht wesentlich zum Trockenbleiben beigetragen. Ausserdem war dem runden Mönch der Schweiss die Stirne hinuntergelaufen, dass nicht mal mehr sein immer bereites Leinentüchlein zum Abtupfen geholfen hatte. Als sie zur Sext endlich, nach einem kurzen flacheren Stück, oben auf dem hohen Berg angekommen waren, hatte das flinke Männlein dem armen Fidibus eine Pause gegönnt. Die einzige übrigens im Verlaufe dieser Wanderung. Sie hatten mit eingekochtem Lauch gefüllte Pasteten und schrumpelige Äpfel aus ihren ledernen Beuteln ausgepackt, die Schuhe ausgezogen und ein bisschen geruht. Nach der Rast hatten die fussbreiten Pfade steil hinuntergeführt, dann doch tatsächlich nochmals hinauf und schliesslich wieder steil, nur durch ein kurzes Flachstück und später einen schnellen Aufstieg gelindert, bis zu den Rebhängen von Farniwang hinunter. Fidibus war noch zweimal auf dem Hintern gelandet, seine Kutte war von oben bis unten durchnässt gewesen und seine Laune hatte nur der Farniwanger Rheinwein wieder besänftigen können. Und nun war ein frischer Morgen angebrochen, an dem er zum nahen Hof Au mit der Anlegestelle Mon­stein wandern würde, um dort ein Floss zu besteigen, das ihn nach Höchst bringen würde, wo er dringend etwas zu erledigen hatte.

4

Rund um Burg Falkenhorst war in karolingischer Zeit fleissig gerodet worden, sodass die einzelnen Bäume gut erreichbar waren. Die grosse Linde stand am nächsten beim Tor, breitete ihr schützendes Dach weit um sich und brauchte keine Verwandten in ihrer Nähe. Eine angelehnte Leiter führte zu einer in den Baumstamm gehauenen Höhle hinauf, Beute genannt, vor der ein Brett mit einem Flugloch darin angenagelt war. Bertram kletterte die knarzenden Sprossen hinauf, um einen Blick in die Bienenhöhle zu werfen, zu schnuppern und diese vorsichtig mit einem Holzstab zu ertasten. Das Brutnest der Bienen war jetzt, im Juni, weit ausgedehnt, so, wie es sein sollte.

«Und?», rief Siegelinde, die neben der Leiter unten stand, hinauf. «Wie macht sich unser Bienenstock?»

«Sehr gut. Das wird Ende Juli bestimmt eine reiche Ernte an Honig und Wachs geben», rief Bertram und kletterte die Leiter hinunter. Sie liefen weiter, kamen an mehreren hohen Tannen und knorrigen Föhren vorbei, die alle freistanden, damit sie viel Sonnenlicht abbekamen, und rund um die Stämme, mit Ausnahme der fussbreiten Weglein, die zu den Leitern führten, von immergrünen Bodendeckern umgeben waren, die sie im Winter vor dem Vertrocknen schützen würden. Bertram sog die verschiedenen Düfte tief ein, den süsslichen der Linde, die den süssen Blütenhonig lieferte, und den harzigen der Nadelhölzer, die den Honigtau für die Bienen zur Verfügung stellten. Hier war es ruhig und friedlich, wie in einer anderen Welt. Hier konnte ihm nichts passieren, da war er sich gewiss. Die Tannen und Föhren versprachen ebenfalls eine reichliche Honigernte für Burg Falkenhorst, die damit ihre jährliche Abgabe an König Otto beglich. Einen Teil des Honigs bekamen der freie Bauer Stürm aus dem Vorderhof im Tausch gegen Getreide, vor allem Roggen, und ein Kramer aus Rorschach, der begeistert war von dem speziell würzigen Geschmack des Falkenhorster Waldhonigs und gutes Geld dafür bezahlte, um den dunklen Schatz lohnend an seine Kundschaft weiterzuverkaufen. Natürlich behielt er eine grosszügige Portion für den eigenen Genuss. Nahe am Teich von Burg Falkenhorst hielten sich Gruppen von Weiden auf, die im Frühjahr samtige Weidenkätzchen hervorgebracht und sich dann in noch bis vor Kurzem sehenswürdige gelbe und grüne Blüten verwandelt hatten, die den Nektar für die Bienen produzierten.

«Wunderbar!», schloss Bertram die Inspektion der Bienenbäume ab und richtete seinen Blick auf einen jungen Mann, der auf der gegenüberliegenden Seite des Teichs winkte.

«Das ist Kurt, einer unserer beiden Pferdeknechte, die sich auch um unsere Ziege, die Hühner und die Fische im Teich kümmern», erläuterte Siegelinde. «Und natürlich auch um die Wildenten, die es sich bei uns gemütlich gemacht haben. Und der eine oder andere Hase kann durchaus auch auf unseren Tellern landen.»

5

«Na, der kommt mir gerade recht», dachte sie, erhob sich und sprach den leicht schwankenden Mönch an, der am Ufer des Alpenrheins innegehalten hatte. «Welch eine wunderbare Fügung, Euch hier in der garstigen Fremde anzutreffen, werter Herr Mönch, einen Diener der Kirche, der mich eventuell auf meinem weiteren schweren Weg begleiten würde?», sprach sie in nettestem Tonfall und schlug die Augen züchtig nieder.

«Wenn die Schutz braucht, fresse ich einen Besen», dachte Fidibus trotz des Rheinweins, den er intus hatte. Dass dieses Mädchen nicht so brav war, wie sie den Anschein erwecken wollte, sagte ihm seine Lebenserfahrung.

«Wo wollt Ihr denn hin, wertes Fräulein Nonne?», war er doch neugierig geworden.

«Nach Münsterlingen ins Kloster. Ich habe eine Botschaft von meiner Äbtissin, die ich persönlich überbringen soll», war ihre Ausrede.

«Aus welchem Kloster seid Ihr denn?»

«Aus der Abtei San Salvatore in Brescia. Das ist in Italien.»

«Gehört das Bistum Brescia nicht zum Erzbistum Mailand?»

«Doch, doch. Ja.» Hoffentlich ging er nicht ins Detail. So wahnsinnig gut kannte sie sich mit der Materie nun auch wieder nicht aus. Nonnenkostüm hin oder her.

«Wie heisst Ihr eigentlich?»

«Lara. Schwester Lara», betonte sie. «Und Ihr?»

«Fidibus. Ich bin der Cellerar des Klosters Sankt Gallen.»

«So, so. Und was tut Ihr hier? Soviel ich gehört habe, liegt dieses Sankt Gallen nicht direkt am Rhein. Nicht mal direkt am Bodensee.»

«Nein. Es liegt in den angrenzenden Hügeln. Eine Tagesreise von hier.»

«Ich könnte einen Abstecher in Euer Sankt Gallen machen, Fidibus. Und später nach Münsterlingen wandern. Meine Äbtissin hatte noch gemeint, dass ich mir mit der Überbringung der Botschaft Zeit lassen könne, um ein paar Eindrücke dieser Gegend hier zu sammeln, auf dass wir in Brescia dann einen schönen Reisebericht verfassen können.»

Lara hatte eine verschwiegene Freundin aus Kindertagen, die in der Abtei San Salvatore Nonne war und die sie vor ihrer Abreise in den Norden besucht hatte, um sich die passenden Kleider auszuleihen. Ihre Freundin wollte gar nicht so genau wissen, wofür Lara das Habit aus schwarzer Schafwolle und den in der Sonne gebleichten Leinenwimpel brauchte. Untergewand, Umhang und Schuhe hatte sie selber. Ihre Freundin gab ihr die Sachen einfach mit und wünschte ihr Glück auf dem Weg. Es war wesentlich einfacher, als Nonne zu reisen. Die Männer hatten sie in Ruhe gelassen und die Frauen hatten sie gerne in ihren Reisetrupp aufgenommen. So hatte sie zusammen mit einer recht grossen Gruppe Pilgerinnen aus der Gegend des Erzbistums Mainz die Alpen überquert, zuerst über den Malojapass, dann über den Julier. Die Frauen hatten sich bereits gestern von ihr verabschiedet, um weiter nach Rorschach am Bodensee zu pilgern, in der Absicht, den grossen See per Schiff zu durchsegeln. Und nun hatte sie sich diesen Fidibus geangelt. So angesäuselt, wie der war, konnte er kein strenger Mensch sein. Er erschien ihr ganz nett. Irgendwie vertrauenswürdig. Sie würde ihn eine ganze Weile lang nicht mehr vom Haken lassen.

«Wieso nicht, Lara. Zuerst müssen wir aber nach Höchst.»

«Triftige Gründe?»

«Oh ja! Sehr triftige Gründe», die er ihr bestimmt nicht auf die Nase binden würde. Dem Kloster Sankt Gallen war über mehrere Umwege zu Ohren gekommen, dass in Höchst im Rheindelta etwas nicht stimmte, und da der Ort dem Kloster Sankt Gallen gehörte, beschloss der leicht ausrastende Abt Craloh, seinen Cellerar Fidibus, den er zwar nicht mochte, der aber dennoch zuständig war, auszuschicken, um nach dem Rechten zu sehen. Nicht, dass der harte Abt irgendwen mochte. Und niemand konnte ihn leiden. Die rechneten dort in Höchst also nicht richtig ab. Ob absichtlich oder unabsichtlich, war noch nicht klar. Auf alle Fälle verschwanden sowohl ein Teil der jeweiligen Ladung als auch mehrere Baumstämme der Flösse selber anscheinend auf Nimmerwiedersehen. Und Fidibus musste nun herausfinden, was oder wer dahintersteckte.

«Und wie kommen wir dahin?»

«Mit dem Floss. Das nächste, das hier von Monstein wieder ablegt, nachdem es einen Teil der Fracht ausgeladen hat, und das in Höchst hält, nehmen wir.»

«Ist das noch heute?»

«Ich geh mich gleich erkundigen, junge Frau. So eilig haben wir es nun auch wieder nicht. Es ist erst Morgen.»

Der Mönch sprach mit den Flössern und Lara setzte sich wieder ans Ufer des Alpenrheins, dessen Wasser in der Junisonne glitzerte und glänzte. Es roch nach einem alten Weinfass, das von einem der Flösse gerollt worden war und in Monstein gelagert werden würde, um dann auf dem Landweg zur Burg eines adeligen Herrn transportiert zu werden, der sich italienischen Wein leisten konnte. Nach einer Weile kehrte ihr neuer Freund mit zwei älteren Flössern zurück, die eine Kiste Mandeln ins Lagerhaus gebracht hatten und nun weiter nach Höchst und danach zum Bodenseehafen Rorschach wollten, wo sie ihr Floss als Bauholz verkaufen konnten. Daraus wurden dann Schiffe gezimmert, die auf dem grossen See Ladungen von den Flössen weitertransportierten oder neue aufnahmen. Fidibus und Lara setzten sich auf die dicht aneinander geketteten Baumstämme und wurden ein Stück weit den Alpenrhein hinuntergetragen. Die Flossfahrt verlief recht zackig, Gischt spritzte auf, die beiden Fahrgäste hielten sich aneinander fest, lachten kreischend und genossen die wilde Fahrt in vollen Zügen. Das Floss sauste geschickt gesteuert in die Rheinschlaufe und kam schliesslich am Höchster Anlegesteg zur Ruhe. Der Mönch und die keinesfalls echte Nonne liefen schwankend auf dem Steg zum Ufer entlang – in ihren Köpfen herrschte immer noch starker Wellengang – und liessen sich auf ein einigermassen festes und trockenes Stück Boden fallen, streckten alle viere von sich und schauten in den Himmel hinauf, der immer wieder von den verschiedensten Vögeln durchschwebt wurde. Auf der schnellen Fahrt hatten sie die Höflichkeitsformen über Bord geworfen.

 

«Schön ist es hier bei euch oben im Norden», meinte Lara versonnen.

«Denkst du ans Bleiben?»

«Wer weiss?»

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